XXL Leseprobe
Liebe süßsauer
Karin Lindberg
XXL Leseprobe
© Copyright 2015 by Karin Lindberg.
www.karinlindberg.info
Alle Rechte vorbehalten.
Lektorat: Katrin Engstfeld www.kalliope-lektorat.de
Covergestaltung: www.kreativi-production.de
1
„Ich liebe diese Tage,
egal wie scheiße es war.
Ich will mich nicht beklagen,
ich liebe diese Tage …“
Leise tönte es aus den Lautsprechern in der Damentoilette. Wie passend.
Irgendwie hatte ich mir meinen fünfundzwanzigsten Geburtstag anders vorgestellt.
O Gott. Fünfundzwanzig!
Naja, noch nicht ganz. Mitternacht schlug mein Stündchen. Hätte man mich vor fünf Jahren gefragt: „Wo sehen Sie sich mit 25?“, hätte ich darauf sowas in der Art geantwortet, wie: „Mit fünfundzwanzig bin ich mit einem gutaussehenden und intelligenten Mann auf den Bahamas, wo wir uns gepflegt vom stressigen Job erholen. Wenn ich mich nicht gerade in den Paradiesen der Welt herumtreibe, arbeite ich in einem internationalen Unternehmen, für das ich unersetzlich bin. Zum Feierabend, sollte ich nicht mit meinem Partner fein essen gehen, chillen wir in unserer schicken Eigentumswohnung in Hamburg-Mitte.“
Die Realität sah leider etwas anders aus. Akut heulte ich nicht den verpassten Chancen meines bisherigen Lebens hinterher, sondern hatte ein viel konkreteres Problem: In diesem Moment stand ich im Christiansens auf der Damentoilette und versuchte, die Überreste eines Strawberry-Margarita aus meiner Jeans zu kratzen. Leider vergrößerte ich den bisher entstandenen Schaden nur noch. So ein Mist! Eigentlich blieb mir fast keine Wahl. Ich musste die Jeans ausziehen, so sah es nämlich aus, als ob ich in die Hose gepinkelt hätte. Während ich überlegte, welches Übel ich am ehesten überleben würde, ohne vor Scham im Erdboden zu versinken, setzte ich mich auf einen Hocker an der Wand. Es war gar nicht so ungemütlich hier auf dem Klo, die Musik war gut und keiner ging mir auf die Nerven. Vielleicht sollte ich einfach bleiben, wo ich war, und warten, bis alles getrocknet war. Andererseits war die Vorstellung, meinen Geburtstag auf der Damentoilette zu feiern, auch nicht gerade prickelnd. Ich stellte mir einen Dialog mit zukünftigen Traumprinzen vor, die mich nach Jubiläumsfeiern fragten: „Und wo hast du so deinen 25. verbracht?“
„Aufm Klo.“
Im günstigsten Fall würde ich einen mitleidigen Blick für die vermeintliche Magen-Darm-Infektion ernten … Die nasse Hose klebte am Hintern und ich schob die fällige Entscheidung noch ein wenig auf, während ich in Selbstmitleid versunken die ersten 25 Jahre Revue passieren ließ.
Fakt war: deutsche Mutter, englische Vater – Scheidungskind; Abitur – bestanden; eher schlecht als recht, aber immerhin. Studium – abgebrochen; warum, wusste ich nicht mehr so genau, aber wenn es das Richtige gewesen wäre, hätte ich es sicherlich durchgezogen. Da war es in meinen Augen besser gewesen, noch mal neu anzufangen. Das Richtige hatte ich leider noch nicht gefunden. Karriere? Fehlanzeige.
Aber wer konnte schon wissen! Schließlich hatte ich am kommenden Montag ein Vorstellungsgespräch bei der Stein Energy Holding AG. Vielleicht ging es endlich bergauf. Ganz sicher sogar, denn ich hatte vor, den neuen Job zu bekommen.
Schicke Wohnung in Hamburg-Mitte? Ebenso Fehlanzeige. Mein bescheidenes Einkommen reichte nur für ein Zimmer in einer WG. Der einzige Lichtblick war Isabelle, meine Ersatzbeziehung. Mein WG-Leben bewies jedenfalls, dass ich fähig war, mit jemandem zusammenzuleben, was immer Mr. Unright behauptete. Unser Zusammenleben gestaltete sich sogar relativ harmonisch.
Beim Punkt mit dem gutaussehenden Intelligenzbolzen musste ich nämlich leider auch passen. Unglücklicherweise war mir Mr. Right bisher nicht über den Weg gelaufen. Nach dem Desaster mit Paul (Mr. Unright) zog ich es vorerst definitiv vor, Single zu bleiben.
Letztens hatte ich in der Cosmo gelesen, dass Scheidungskinder im späteren Leben oft selbst Probleme in Beziehungen hatten. Vielleicht traf das ja auch auf mich zu, ganz sicher sogar, wenn ich genauer darüber nachdachte. Weshalb sonst saß ich hier alleine? Meine Eltern hatten sich getrennt, als ich acht Jahre alt war. Mein Vater ging damals zurück nach Nordengland und meine Mutter blieb mit mir in Hamburg, wo ich im sechsten Stock eines Mehrfamilienhauses aufwuchs. Es konnte jedenfalls nur besser werden …
Ich seufzte und stand auf. Genug Trübsal geblasen, das konnte ich auch morgen noch.
Ich blickte in den Spiegel und prüfte meine Erscheinung. Viel zu dünne Beine in einem viel zu kurzen Kleid. Ich war quasi halbnackt. Aber besser als für inkontinent gehalten zu werden. Isabelle störte mein Outfit mit Sicherheit nicht. Sie sah mich zu Hause jeden Tag nackt und ihre Hemmschwelle lag deutlich höher. Um sie in Verlegenheit zu bringen, hätte ich schon oben ohne in die Bar zurückkehren müssen. Ich ging also mit der Jeans unter dem Arm an unseren Tisch zurück und versuchte dabei, so gelassen wie möglich mit meinem spärlich bekleideten Körper durch die Bar zu kommen. Ich wurde schon ungeduldig von Isabelle erwartet, die auf der Stuhlkante hin und her rutschte.
„Na endlich, du hast ja mal wieder 100 Jahre gebraucht! Was hast du gemacht? Ein Nickerchen?“
„Na, hör mal, Isi, ich will ja nicht wissen, was du hier für ’nen Aufstand gemacht hättest, wenn der Strawberry Daiquiri auf deiner Hose gelandet wäre!“ Ich funkelte Isabelle an.
„Reg dich ab, Süße! Immer schön locker bleiben. Ich dachte, wir wollten heute so richtig einen drauf machen! Du solltest dir mal wieder einen Typen suchen. Have fun! Hak Paul endlich ab und fang wieder an zu leben.“
„Ich bin locker!“, presste ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
Plötzlich musste ich lachen. Sie hatte ja Recht. Wenn nicht jetzt, wann dann.
„Los, lass uns noch was bestellen, ich bin schließlich nicht zum Spaß hier.“
Einige Strawberry-Daiquiris später beschlossen wir, vom Christiansens ins CH auf der Reeperbahn zu wechseln. Als wir uns auf den Weg nach draußen machten, schwankte der Boden gefährlich unter meinen Füßen. Mein Gleichgewichtssinn ließ mich im Stich und ich rempelte einen gutaussehenden, braungebrannten Adonis an. Für meinen Geschmack zu viel Gel, zu viel Hawaiihemd und definitiv zu viel Solarium.
„Oh, là, là, schöne Frau, du kannst mich auch einfach ansprechen, wenn du Interesse an mir hast. Du musst mich nicht gleich umhauen!“
Arschloch.
Was dachte der Penner sich, mich so plump anzumachen? Da stand ich ja so was von gar nicht drauf. Unmöglich.
„Pass mal auf, Blondie! Das war keine Absicht und ich steh nicht auf Surfer!“ Angepisst lief ich weiter und rannte geradewegs in den nächsten Mann.
Megapeinlich.
Er war gut gekleidet und attraktiv. Ozeanblaue Augen durchbohrten mich, wir hatten einen Frontalzusammenstoß und sein Mojito landete – mein Glück – auf ihm selbst und nicht auf meinem Kleid. Damit hätte ich sonst beim Miss-Wet-Contest teilnehmen können. Ich spürte die Hitze über meinen Hals nach oben kriechen. Na toll, blieb mir an diesem Abend gar nichts erspart?
„O mein Gott! Es tut mir so schrecklich leid …!“ Zum Glück war es nicht besonders hell in der Bar, sodass der dunkelhaarige Typ meine knallrote Birne nicht sehen konnte.
„Halb so schlimm. War sowieso ein altes Hemd“, kommentierte er die Cocktaildusche augenzwinkernd.
„Ähm. Es tut mir leid, kann ich was tun um es wieder gutzumachen?“ Er runzelte die Stirn und verzog den Mund, als ob er wirklich überlegen müsste. Dann grinste er mich an.
„Hm. Wenn du mich so fragst … Gib mir deine Nummer!“
Der Alkohol hatte meine Zunge gelöst und verlieh mir den nötigen Mut. Dass Isabelle direkt hinter mir stand, gab den Ausschlag ihr zu beweisen, dass ich sehr wohl Spaß haben konnte. Ihre blöden Sprüche gingen mir schon länger auf den Zeiger, sollte sie sehen, dass ich keine „Schlafmütze“ war (wie sie mich bei unserem letzten Ausgehabend tituliert hatte). Ohne über die möglichen Folgen nachzudenken, nahm ich das Gesicht des Adonis zwischen meine Hände und küsste ihn leidenschaftlich. Der Kuss fühlte sich gut an. Seine Lippen öffneten sich bereitwillig und er ließ es geschehen.
Himmlisch!
Nach einigen Sekunden löste ich mich von ihm und flüsterte atemlos und ziemlich beschwipst: „Meine Nummer musstu selbst rausfinden. Mach’s gut!“
Enttäuschung spiegelte sich in den blauen Augen. Nach einem kurzen Moment strahlten sie allerdings wieder wie zuvor.
„Na dann, du schöne Unbekannte, wenn du es verantworten kannst, mich hier so stehen zu lassen ...“ Dabei legte er den Kopf schief und setzte eine leidende Miene auf.
Echt süß!
In meinem Bauch kribbelte es, es fiel mir schwer, mich von seinem Blick zu lösen. „Anna, kommst du jetzt mit oder willst du weiterflirten?“ Isabelle, die Ungeduld in Person, wollte unbedingt weiter in den Club, daher blieb mir nicht viel Zeit, meine merkwürdige Aktion zu analysieren. Ich rollte kurz mit den Augen und zuckte mit den Schultern, dann lächelte ich den Fremden an: „Sorry, ich muss los.“ Damit ließ ich den Ozeanmann endgültig stehen.
„Ciao, Anna!“, rief er mir hinterher. Ich spürte seinen Blick im Nacken.
Die kühle Abendluft ließ mich frösteln und etwas ernüchtern. Aber ich genoss die leichte Brise nach der stickigen Luft in der Bar. Der Kuss hatte mein Blut ganz schön in Wallung gebracht. Die kleine Abkühlung tat mir gut, um wieder auf normale Betriebstemperatur zu kommen.
„Was war das denn, Fräulein?“ Ich fing Isabelles tadelnden Blick auf.
„Hey, du hast gesagt, ich solle Spaß haben, also hab ich mir gedacht, mach mal was Spontanes, Anna. Und dann hab ich den gutaussehenden Typen geküsst. . Das ist doch Spaß, oder? Jetzt sag nicht, dass du das nicht gemeint hast, denn das wäre nicht fair. Dir kann ich es gerade eh nicht recht machen, hm?“ Ich redete mich geradezu in Rage.
„Hm, wenn du meinst … Happy Birthday!“
Meine Freundin spürte offenbar, dass sie besser nicht weiter nachhaken sollte. Ich konnte in der Tat ganz schön jähzornig sein, wenn mir etwas gegen den Strich ging.
Isabelle umarmte mich fest und drückte mir einen Schmatzer auf die Wange. Damit erstickte sie meine schlechte Laune im Keim und ich schmiegte mich in ihre Arme.
„Danke. Die letzten Monate waren ganz schön hart für mich, weißt du. Ich muss mich mal ein bisschen ablenken, nach dem ganzen Drama mit Paul.“
„Ist schon gut, ich verstehe dich. Komm. Lass uns kein Trübsal blasen und endlich abrocken!“ Isabelle zog mich weiter, sie hatte ein ganz bestimmtes Ziel.
Kurze Zeit später fanden wir uns auf der Tanzfläche wieder. Normalerweise hasste ich es, zwischen so vielen schweißnassen Menschen zu sein, aber heute hatte ich bereits genug getrunken, um es zu ignorieren. Ich schloss die Augen und ließ mich von der Musik tragen. Es war toll, mich vom Rhythmus mitnehmen zu lassen. Ich hatte das Zeitgefühl vor einigen Cocktails verloren, irgendwann war der Club aber so gut wie leer und unverkennbare Rausschmeißermusik dröhnte aus den Lautsprechern. Wir wankten auf die Straße und suchten ein Taxi.
Als wir vor unserer Haustür ausstiegen, dämmerte es schon. Ich liebte die frische Morgenluft im Sommer an einem der Tage, bei denen man genau wusste, dass es in ein paar Stunden unerträglich heiß werden würde. Jetzt war es aber noch angenehm kühl und frisch.
Ich hatte einige Mühe, die Haustüre aufzuschließen, der Schlüssel wollte einfach nicht ins Schloss. Isabelle stand grün angelaufen daneben und jammerte und ächzte. Was mit ihr gleich passieren würde, war sonnenklar. Glücklicherweise hatte es Isi diesmal bis nach Hause geschafft, bevor sie sich den Abend noch einmal durch den Kopf gehen ließ und in unserem Badezimmer die Kloschüssel umarmte. Beim letzten Mal hatten wir nicht so viel Glück gehabt, da musste sie sich schon während der Fahrt übergeben und der Taxifahrer hatte uns rausgeschmissen. Das Schlimmste daran war, dass wir die restlichen drei Kilometer hatten nach Hause laufen müssen. Mit dem positiven Nebeneffekt, dass ich mir die Ausnüchterung hatte sparen können. Im Gegensatz zu Isi ging es mir heute erstaunlich gut, ich war sogar noch in der Lage gewesen, ihr die Treppen nach oben zu helfen, obwohl ich wirklich selbst mehr als genug intus hatte. Dank Isabelles übermäßigen Alkoholkonsums fand sie nämlich, es wäre eine super Idee, auf der Treppe zu schlafen, was ich ihr zum Glück ausreden konnte. Unsere Nachbarn hätten sich außerdem wohl eher nicht über ein Geschenk auf dem Hausflur gefreut und ich hatte wenig Interesse, meinen Geburtstag zu Hause mit dem Feudel in der Hand zu starten. Deswegen war ich irgendwie erleichtert, als ich ihr Würgen aus dem Badezimmer hörte und uns somit andere Unannehmlichkeiten erspart geblieben waren.
Diese Aktion hatte mich allerdings komplett ernüchtert. Ich brachte Abstand zwischen mich und das Bad und ging in die Küche, einen Snack suchen. Meiner robusten Konstitution konnte auch Isabelles Übelkeit nichts anhaben. Das viele Tanzen hatte mich wirklich hungrig gemacht, deswegen öffnete ich den Kühlschrank in der Hoffnung auf etwas Essbares. Ich fand zwei Stücke Pizza vom Vortag. Ein Wunder! Üblicherweise war unser Kühlschrank nämlich so leer wie mein Konto. Ich klappte die Alufolie auf und biss genüsslich in das Stück kalte Pizza Hawaii. Weil ich beide Hände voll hatte, benutzte ich meinen Ellenbogen, um die Tür zuzuschlagen. Meine Beine machten sich nach dem vielen Tanzen bemerkbar, daher setzte ich mich an den kleinen Küchentisch und verspeiste den Rest meines Festmahls in aller Ruhe.
„Kalte Pizza. Du bist so ekelhaft, Anna.“ Ein kurzes Statement meiner wieder unter den Lebenden weilenden Freundin. Offensichtlich war ihr die Badaktion bekommen. Für mich kam das nur im Notfall infrage, grundsätzlich folgte ich dem Motto: Was bezahlt war, blieb auch drin.
„Danke, meine liebe Isabelle. Du bist so unheimlich liebenswürdig an diesem schönen Morgen, der übrigens immer noch mein Geburtstag ist. Also sei nett zu mir, ich brauche heute Mitleid und kein Gemeckere! Und denk dran: Ich bin fünfundzwanzig geworden! Steinalt.“
„Weissu was. Ich hab genug für heute. Ich hau mich hin. Dein Selbstmitleid ertrag ich jetzt nicht.“ Sie drückte mir einen alkoholgeschwängerten Schmatzer neben den Mund, verschwand in ihr Zimmer und ließ mich allein in der Küche zurück. Da ich noch viel zu aufgekratzt war, holte ich mir eine eisgekühlte Sprite und ging auf unseren Mini-Balkon, um den Sonnenaufgang zu genießen.
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Tag der Veröffentlichung: 12.10.2015
ISBN: 978-3-7396-1773-2
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