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Miteinander, Auseinander

Die gereifte Partnerschaft – Frauen erzählen

 

Carmen Lange und Lisa Hartman

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

© copyright by Carmen Lange und Lisa Hartmann, 2013

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form ohne schriftliche Genehmigung der Autorinnen Carmen Lange und Lisa Hartmann reproduziert oder vervielfältigt werden.

 

 

 

 

Vorwort

 

Dank

Die Interviews

Eine Runde mit Beate, Caroline, Waltraut, Regina und Petra

Aus den Interviews – Ein Extrakt, der es in sich hat

 

 

Vorwort

 

Nicht schon wieder Partnerschaft!, werden Sie denken. Glauben Sie uns, wir sind ganz Ihrer Meinung. Und ein Buch darüber zu machen, kam für uns überhaupt nicht in Frage. Unzählig sind die Bücher, die dieses Thema auf dem Titel führen, nicht zu vergessen die Zeitschriften, die ständig etwas darüber zu berichten haben. Überhaupt: Partnerschaft!

 

Und doch ...

Wir werden dieses Thema nicht los, nie. Meistens stecken wir ja selbst mittendrin. Der Mann oder die Frau neben uns ist ein nicht wegzudenkender Teil unseres Lebens, ja, fast wie ein Körperteil, mit dem wir verwachsen sind. Wir werden älter, manchmal auch reifer, während die Zeit an der Seite dieses Partners verrinnt. Und wenn wir einmal innehalten, dann fragen wir uns vielleicht: kostbare oder verlorene Jahre? Wie steht es denn so mit der inneren Zufriedenheit?

 

Und bei Ihnen? Sind Sie zufrieden?

 

Zu dieser Frage braucht es Mut. Deshalb kann es unter Umständen sehr lange dauern, bis man sie sich überhaupt stellt. Noch schwerer fällt es, sich die Frage dann auch ehrlich zu beantworten. Die Wahrheit kann eben verdammt unbequem sein.

Vergegenwärtigen wir uns einmal das Leben eines Ehepaares, das gerade sein zehnjähriges Bestehen feiert. Wir sehen zwei Menschen, die sich aufeinander eingespielt haben, die sich noch gern haben, vielleicht sind Kinder da. Eine gute Basis also, könnte man denken, um bevorstehende Krisen ohne größere Schäden zu überstehen (das meinen wir nicht so scherzhaft wie es klingen mag). Die Sache ist nur die, dass die Regeln der Logik in der Gefühlswelt nicht gelten. So mag eine Frau, die gerade auf die silberne oder sogar auf die goldene Hochzeit zusteuert, sagen: „Zehn Jahre? Lächerlich! Warte erst mal ab!“, während sie wissend vom Podest eines halben Jahrhunderts des Zusammenlebens blickt. Entweder als Gewinnerin, die gemeinsam mit dem Partner den Weg ins Alter beschreitet. Oder als Verliererin, die den Absprung aus einer unbefriedigenden Ehe oder sogar Ehehölle nicht geschafft hat. In beiden Fällen ist viel Zeit vergangen.
Doch Moment mal! Wir sprechen hier von 20, 30, 40 und mehr JAHREN.

Plötzlich tat sich vor uns ein ganz neues Panorama auf. Es ging nicht einfach „nur“ um Partnerschaft, um Verführung, Eifersucht & Co., es ging um all das, was uns in den Sinn kommt, wenn wir verblüfft fragen:

 

WIE IST SO ETWAS ÜBERHAUPT MÖGLICH?


 

Wie fühlt sich das eigentlich an, wenn man so lange mit ein und demselben Partner lebt? Dass man sich „zusammenrauft“, hört man oft, dass sich Paare im Alter immer ähnlicher werden, dass man einem Schiff gleicht, welches die großen Stürme überstanden hat und nun in ruhigeren Gewässern schippert. Ein schönes Bild, das aber nur zum Teil die Realität widerspiegelt. Aus langjährigen Beziehungen kann auch etwas ganz anderes entstehen.


Wir haben Frauen im Alter zwischen Mitte 40 und Ende 70, aus verschiedenen Ländern und mit unterschiedlichem sozialen Hintergrund, interviewt. Offen und ohne Tabus zeigen sie uns ihre Sicht auf das Thema Partnerschaft. Es sind ihre persönlichen Erfahrungen, an denen sie Leserinnen und Leser teilhaben lassen. Sie haben sich getraut, ihre Gefühle und ihre Ängste bloßzulegen, sprachen Dinge aus, die sie bisher noch nicht wagten auszusprechen. Manchmal lesen sich ihre Antworten wie Lebensbeichten.

 

Es war keineswegs unsere Absicht, männliche Zeitgenossen an den Pranger zu stellen, denn dies sollte kein Buch „gegen Männer“ werden. Schließlich ist es nicht nur für Frauen jeglichen Alters interessant, wenn andere Frauen aus dem Nähkästchen plaudern. Auch männliche Leser sind herzlich eingeladen und bekommen hier Gelegenheit, die Frau und Partnerin an ihrer Seite besser zu verstehen. 
Es ging uns um das, was Frauen zu sagen haben oder immer schon sagen wollten, nicht um psychologische Erklärungen oder Interpretationen, nicht um Wissenschaftlichkeit. Die Interviews lesen sich wie das Leben selbst – mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Es werden ganz konkrete Dinge angesprochen, realistisch und ohne Schönfärberei: das Meistern des gemeinsamen Alltags, Verständnis und Empathie der Partner, die Bewältigung von Krisen oder die Neuorientierung nach der Trennung; es kommen Themen wie Unterdrückung und Existenzangst zur Sprache, die Veränderungen bei sich und beim anderen, die Eigenarten und Grillen des Partners, und letztendlich die Spuren, die die gemeinsamen Jahre bei den Frauen hinterlassen haben. Interessant auch die Frage, die bei einigen Gesprächen auftaucht: Inwieweit ist es gut, Kompromisse zu schließen? 


Es geht hier um das Miteinander- und manchmal auch um das Auseinandergehen, und damit sind nicht nur Geschmäcker und Ansichten gemeint.


 

Mit Hilfe eines Fragenkatalogs führten wir Interviews in Einzel- und Gruppengesprächen durch. Jedes Gespräch verlief anders, wobei sich eine ganz spezifische Atmosphäre einstellte, die wir, so weit das möglich war, hier vermitteln wollten. Aus diesem Grund haben wir die Wortwahl unserer Interviewpartnerinnen weitgehend belassen. Jede Frau hat ihre eigenen Erfahrungen hinter sich, ihre Schlüsse und Erkenntnisse daraus gezogen, jede Frau hat ihre eigene Art, den gelebten Jahren Ausdruck zu geben. Doch trotz gravierender Unterschiede – sowohl was Alter, Herkunftsland und sozialen Hintergrund betrifft – gibt es immer wieder erstaunliche Parallelen in den Aussagen. 
Einige Frauen gingen weit zurück in ihren Erinnerungen. Bei den Interviews gab es emotional aufgeladene Momente, sogar Wut und Ärger, Bedauern und Ratlosigkeit, aber ebenso viel Spaß und lautes Gelächter, wenn Anekdoten zum Besten gegeben wurden, oder das eigene Verhalten selbstironisch kritisiert wurde. In jedem Fall sind wir auf einen Schatz an Erfahrung, Reife und Weisheit gestoßen. Während der Arbeitsphase haben wir unser Projekt oft „Das Buch der weisen Frauen“ genannt.

 

 

Folgende Fragen wurden u.a. in unseren Gesprächen gestellt: 


  • Wie begann diese Partnerschaft? 


  • Kann man sie als harmonisch bezeichnen?


  • Wann tauchten die ersten Krisen auf?


  • Wie sah und wie sieht der gemeinsame Alltag aus: Haushaltsaufteilung, Kindererziehung, Freizeitgestaltung, gemeinsame Interessen, soziale Kontakte


  • Hat sich im Laufe der Partnerschaft etwas verändert?


  • Hat er Macken, die er früher nicht hatte? Gibt es Stimmungswechsel, Eifersucht, Gefühlsausbrüche, sonstige, Veränderungen?


  • Wie reagiert er auf Kritik? 


  • Wie ist sein Verhalten bei Krankheit?


  • Gibt es Gedanken an den Tod? Wie wird mit dem Thema umgegangen?


  • Ist Vorsorge (finanzielle Absicherung) getroffen worden?


  • Haben Sie/ hast du das Gefühl, etwas verpasst zu haben durch diese Partnerschaft?


  • Gib dem Partner Noten von „sehr gut“ bis „ungenügend“: Äußeres, Reaktionen, Verständnis, Zuhören, Sex/ Erotik


  • Was ist besser geworden? Welche Vorteile hat ein reifer Partner gegenüber einem jüngeren?


  • Kann man als Frau mit einem Mann zusammenleben?


  • Würden Sie/ würdest du diesen Mann wieder heiraten, bzw. diese Partnerschaft wieder eingehen?


  • Welchen Rat würden Sie/ würdest du anderen Frauen geben?

     

Um die Anonymität der befragten Personen zu wahren, wurden auf Wunsch Namen und Orte sowie kleinere Details geändert.

 

 

Dank

 

 

Liebe Frauen!

 

Wir bedanken uns bei allen, die uns bei diesem Projekt so bereitwillig unterstützt haben. Wir bedanken uns für Eure Solidarität und die gute Energie, die Ihr für dieses Buch mitgebracht habt. Obwohl einige von Euch zunächst Bedenken hatten, auf die Fragen zu antworten, habt Ihr dennoch den Mut aufgebracht und wertvolle Informationen beigesteuert, habt uns weitere Interviewpartnerinnen vermittelt und uns immer wieder bestätigt, wie wichtig es ist, dieses Buch zu machen.

 

Eure Carmen Lange und Lisa Hartmann

 

 

Die Interviews

 

 

Maria, 70, Eisenwarenhändlerin, besaß mit ihrem Mann ein eigenes Geschäft; Partner 75, die beiden sind 51 Jahre verheiratet und Rentner, zwei Kinder.

 

Über 50 Jahre Ehe, wie geht so etwas?

Oh, das geht. Aber ich glaube, man denkt schon hin und wieder an Trennung, natürlich mehr, wenn man jünger ist. Geschäft, Kinder, Haushalt, da fragt man sich schon manchmal: warum mache ich das alles? Wenn man überlastet ist, denkt man, man kann das kaum tragen, wäre ich alleine, ich hätte all dies nicht. Das ist eigentlich eine Flucht.


In welchem Alter warst du, als dir diese Gedanken kamen?

Die Krise war so mit 40, 45 Jahren. Ich trug nicht nur die Verantwortung für die Kinder, sondern ebenfalls für meine Angestellten, die waren auch wie meine Kinder. Von meinem Mann hatte ich da gar keine Unterstützung. Wenn es ihm zu viel wurde, dann floh er. Zu Hause war Bügeln, Schularbeiten mit den Kindern, oder Essen vorkochen, dann wurde es ihm unangenehm. Männer können dann gut verschwinden.


Warum man bloß immer von der Doppel-Belastung spricht?

Tja, ich hatte Dreifach-, Vierfach-Belastung! 


Hast du damals noch die nötige Kraft in dir gespürt, um etwas zu verändern? Hast du vielleicht gedacht: wenn ich es jetzt nicht mache, dann nie mehr?

Ich glaube, es war nie so relevant, dass ich sagen konnte: jetzt gehe ich, ich mach das jetzt. Es war nie so hart. Es war mehr in Gedanken, das Gefühl, ich hätte es besser ohne meinen Anhang. Aber wenn in dem Moment noch irgendetwas passiert wäre ..., dann vielleicht wäre ich gegangen. Den Mut dazu braucht es eben. Wenn du einen anderen Partner kennenlernst, der dir beisteht, ist das ganz etwas anderes. Wir hatten aber viele Freunde und Bekannte, denen man erzählen konnte, was so alles passiert. Die haben schon zugehört und gesagt: „Maria, das schaffst du“. 


Die Freunde waren wichtig, waren dir eine Stütze.

Sehr.


Wie siehst du deinen Partner heute im Vergleich zu damals?

Wenn man älter wird, vor allem die Männer, haben sie das Gefühl, wir müssen alles miteinander machen. Das ist mir manchmal zu eng. In meinem Fall muss mein Mann wenigstens ein paarmal im Jahr weg. Er fährt in unsere alte Firma und arbeitet dort noch ein wenig. Das ist für mich Aufatmen. Das heißt nicht, dass ich ihn weniger liebe, aber er ist jemand, der einen fast erdrückt. Dass er nicht noch mit zur Toilette kommt ... (lacht)


Empfindest du diese Enge besonders jetzt, oder schon früher?

Früher waren wir auch immer zusammen, aber jeder hatte seinen Bereich am Arbeitsplatz. Ich hatte meine Frauen, er hatte seine Männer, da waren getrennte Abteilungen. So hatte man doch Luft. Man konnte miteinander diskutieren, er brachte seine Sachen, ich meine, und man versuchte dann, gemeinsam Lösungen zu finden. Und am Abend hatte er seinen Männerchor, ich mein Tennisspielen.

Und jetzt?

Er geht immerhin wieder singen. Aber er ist den ganzen Tag hier. Was ich nicht verstehe, das ist zum Beispiel, wenn ich sage, ich gehe morgen in die Stadt, dann sagt er sofort, er kommt mit. Nein! Ich will einfach mal eine Stunde alleine sein. Das war früher nicht so. 


Er ist anhänglich.

Ja, ja. Wenn er mit zum Einkaufen kommt, dann geht es wieder darum, kauft man jetzt das größere Brot oder das kleinere.


Du würdest dir also wünschen, nicht immer dieses „Ich komme mit“ zu hören?

Natürlich. Oder er muss zum Zahnarzt, dann fragt er, ob ich mitkomme. Du kannst in der Zwischenzeit doch dies oder das erledigen, meint er dann. Gut, wir schauen auch, dass wir Sachen verbinden und nicht zwei Wege mit dem Auto fahren müssen. Aber dann ist es wirklich so, dass man alles zusammen macht, alles! Und wenn er mal zwei Wochen weg ist, werde ich auf einmal so unsicher, wenn ich alleine in der Stadt bin.


Aha, für dich ist es so zur Gewohnheit geworden, dass dein Mann dabei ist, dass du unsicher wirst, wenn er es nicht ist.

Ja, das ist mir jetzt erst aufgefallen. Zum Beispiel an der Kasse vom Supermarkt, da muss ich einpacken und bezahlen, und der hinter mir drängt schon. Da werde ich unsicher. Wenn mein Mann dabei ist, packt einer schon ein, einer zahlt usw., komische Sachen einfach. Vielleicht weil man älter wird. Aber es ist bestimmt, weil ich es nicht mehr anders gewohnt bin.

Wie hat sich dein Partner konkret verändert? Kannst du Beispiele nennen?

Wo ich mich dran beiße – und das ist auch meiner Tochter aufgefallen –, das ist, dass er so unsicher geworden ist. Er war immer der Boss, früher konnte man ihn alles fragen, er wusste alles, und wenn nicht, hat er nachgeschaut. Heute sagt er einfach: „ach, weiß ich nicht.“ 


Früher war er mehr Vertrauensperson.

Ja, man konnte zu ihm kommen. Und jetzt ist er so unsicher geworden. Vielleicht liegt es auch an der fremden Sprache hier (Anmerkung: Maria und ihr Mann zogen nach Südeuropa, als sie Rentner wurden). Obwohl, er hat Kurse gemacht, er kann sprechen. Zum Beispiel brauchten wir einen Container für Grünabfälle, dann sagt er: „ja, morgen rufe ich an“. Am nächsten Tag heißt es: „vielleicht haben sie im Büro nicht mehr geöffnet“. 


Er schiebt alles auf.

Genau. Und das ist, was mich ein bisschen enttäuscht. Ich habe einen Mann geheiratet, der wusste alles, der konnte alles, im Haus hat er Reparaturen selber gemacht, jetzt macht er gar nichts mehr.

Oder liegt das an der körperlichen Verfassung?

Es sind ja keine schweren Arbeiten. Eine Steckdose reparieren, eine Birne auswechseln. Es heißt nur: „ja ja, ich mach´s dann“, und dann mache ich es irgendwann selber.

Aber du siehst mehr eine Unsicherheit, oder hat er einfach keine Lust?

Hm, nein, es ist das Unsichere. Das hatte er früher nicht.


Hast du ihn mal darauf angesprochen?

Ja, dann hat er eine Ausrede und dann spricht man nicht mehr darüber. Er sagt immer, ich wäre ungeduldig. Wenn ein Stecker nicht mehr geht und ich brauche den zum Staubsaugen, dann muss ich das heute repariert haben, denn ich weiß: morgen wird es auch nichts. Früher war er so exakt und gradlinig, jetzt zerfließt das so. (Denkt nach) Ich habe auch das Gefühl, meine Wünsche sind ihm nicht mehr wichtig. Nicht, dass er es nicht machen will, aber es ist nicht so wichtig.

Kommt das vielleicht daher, dass du jetzt zu Hause bist, nicht mehr arbeitest?

Nein. Der Charakter ist anders.


Du meinst, er hat seinen Charakter verändert?

Ja, obwohl, das ist schwierig zu sagen, es ist vielleicht erst nur etwas Kleines, aber im Laufe der Zeit ... Vor allem seine Präsenz ist nicht mehr dieselbe. Er ist eben unsicher.


Unsicher auch anderen Menschen gegenüber?

Auch. Wobei, wenn er in die Firma fährt, dann ist er wieder der Boss. Dann begrüßt ihn jeder, das ist schön, er ist ja auch da zum Helfen, weil er die Praxis hat, er weist die Leute ein.

Dass er das noch machen kann, gibt ihm Selbstsicherheit.

Da bin ich so froh!


Unsicherheit hat also damit zu tun, dass er nicht mehr voll im Beruf steht?

Er kann noch nicht abschließen. Auf der einen Seite ist es gut, dass er das immer noch machen kann, er wird geschätzt, und er weiß, dass es eine sinnvolle Arbeit ist. Vielleicht bewertet er es über, aber das ist egal, ich gönne ihm das. Wenn er dann hier zu Hause ist, hat er solche Aufgaben nicht, ich entscheide alles. Ich bin ja nicht so dominierend, da kenne ich andere Frauen, die wirklich dominierend sind, aber wenn er immer so unschlüssig ist, muss eben einer von uns beiden entscheiden, und das bin ich.


Welche Entscheidungen sind das zum Beispiel?


Vor kurzem haben wir das Gästebad renoviert und mussten einen Boden aussuchen. Wir wussten nicht recht, was. Dann habe ich in einem Geschäft diese braunen Fliesen gesehen, das ist ja im Moment in. Früher hätte er sofort gesagt: „Nein, so was wollen wir nicht.“ Heute zögert er, „na ja, meinst du?, also wenn du das wünschst“. Dabei wusste ich, ihm gefällt es überhaupt nicht.

Jetzt überlässt er dir das einfach.

Einfach so. Die Sicherheit fehlt ihm eben.


Gibt es Dinge, über die du dich wirklich ärgerst?

Hier habe ich versucht, dass er mal was im Haushalt macht, auch einmal die Spülmaschine ausräumt zum Beispiel. Aber dann räumt er das Geschirr woanders hin. Da ärgere ich mich, denn so wie es ist, ist ja alles durchdacht. Und plötzlich ist alles am anderen Ort. Aber vor allem dieses Zaudern ärgert mich.


Hast du das Gefühl, dass alles an dir hängen bleibt?

Ja. Komisch, dass das nur zu Hause so ist.


Aber es liegt wohl auch daran, dass das Haus immer dein Bereich war. Er hat sich ja ausgeklinkt.


Immer.

Und jetzt ist er ja mit dir zu Hause.

Aber er verzieht sich halt dann einfach, wenn ich etwas sage. Er geht jedem Streit aus dem Weg. Und dann weiß ich eigentlich nicht so genau, hat er sich jetzt sehr darüber geärgert oder nicht.


Und wie ist er dann hinterher?

Normal eigentlich.


Konflikten geht er also aus dem Weg?

Direkt Konflikte haben wir nicht. Ich glaube, das geht vielen Ehen so, die es gut haben, man wird wie ein Geschwisterpaar. Man denkt schon gleich. Und ich weiß genau: wenn ich jetzt das und das sage, dann denkt er das schon.


Findest du das schön, dass das jetzt im Alter so ist?

Hm. Habe ich mir eigentlich noch nie überlegt. Es ist nicht mehr spannend. Man kennt sich.


Es ist alles vorhersehbar.


Ja. Wir haben im Bekanntenkreis den Namen „das doppelte Lottchen“, immer ist er dabei. Dass ich jetzt alleine zur Rückengymnastik gehe, das ist wirklich was! Ich habe ihn noch nie gefragt, ob er mitkommen will. Ich glaube auch nicht, dass er so gelenkig ist, das gefällt ihm nicht. Er hat mich schon ein paarmal gefragt, ob ich nicht auch zum Singen mitkomme. Aber da gehe ich jetzt einfach nicht hin. Es ist seins.


Das kann er aber auch akzeptieren?

Schon, aber man muss ihn dann überzeugen.

 

Könntest du weitere Beispiele geben für etwas, was er jetzt macht, früher aber nicht machte?

Wir haben einen großen Zitronenbaum, der so viel trägt dieses Jahr. Ich habe ihm immer wieder gesagt, er soll auch mal pflücken gehen, vor allem die oberen, da kommt er doch leichter dran als ich. „Ja, ja, mach ich morgen“, hieß es erst. Dann sagt er auf einmal: „Da werde ich ja nass“. Es hatte zuvor geregnet und der Baum war eben ein bisschen nass. Na ja, endlich geht er raus, um zu pflücken, ich in der Küche. Plötzlich schreit er. Ich denke, um Gottes willen, es ist ihm was passiert, er ist von der Leiter gefallen, hat sich den Fuß verknackst oder was weiß ich. Ich renne raus, aber nichts ist passiert! Er steht da und beklagt sich: „Jetzt bin ich ja nass geworden.“ Ihm ist nur ein bisschen Wasser auf den Kopf getropft. Ich sag zu ihm: Ja, das ist doch nicht schlimm! Und deswegen schreist du so? Ich dachte schon, wer weiß was, und wegen dem bisschen Wasser! Nur weil er für mich Zitronen pflücken muss. (Lachen)
Dann gibt es noch etwas, das ist sogar ziemlich neu, vielleicht erst vor einem Jahr hat das angefangen, und da ärgere ich mich total drüber. Er spricht so in dieser Niedlichkeitsform. Er fragt mich: Möchtest du auch ein Käffili? Möchtest du vielleicht ein Schokolätli? Da stehen mir die Haare zu Berge. Ich antworte dann: ja, ich möchte einen Kaffee oder eine Schokolade. Ich habe ihn schon gefragt, warum er plötzlich so redet. Er sagt, er weiß es nicht, er tut das nicht bewusst.


Aber ist das nicht eigentlich etwas Nettes, Zärtliches?

Also, ich weiß nicht, ich mag es nicht. Für mich hört sich das an, als würde er mit einem Kleinkind reden. Ich möchte nicht so angeredet werden.
Oder eine andere Sache. In der Spüle hatte seine Mutter früher so eine Unterlage liegen. Jetzt müssen wir das auch immer haben, früher nicht, aber jetzt auf einmal. Ich sehe nicht ein, wieso, und ich schmeiße das weg. Aber er bringt immer so ein Plastikding mit, wenn er von der Reise kommt. Vorgestern erst, und schon haben wir wieder das Plastik da drin liegen. Erst habe ich mich geärgert. Aber dann denke ich: ach, wegen dem Plastik musst du dich nicht ärgern. Ich glaube, ich bin weicher geworden im Alter.

Und dein Mann, ist der nicht auch weicher geworden?

Nein.

Dieses Unsichere, was du erwähntest, das kann man nicht mit „weicher“ bezeichnen?

Nein.


Du bist nachgiebiger.

Ja, wie zu einem Kind.

Also versuchst du ihn nicht mehr davon zu überzeugen, dass er zum Beispiel diese Plastikunterlage nicht mehr mitbringt?

Habe ich versucht, aber nein. Ich glaube, es liegt daran, dass er jetzt ja nur noch das Zuhause hat. Er ist dann wie ein Kind, das auch mal bestimmen will. 
Oder dieser Kristallleuchter hier, da gibt es verschiedene Positionen für die Kristalle, mal so gerafft oder hängend. Ich lasse den gerne hängen. Wenn mein Mann das sieht, schraubt er ihn wieder hoch und sagt: „Das gehört so“. Früher hätte ich etwas gesagt, heute denke ich: ach, wenn er ihn jetzt so will, soll er.


Du bist da entspannter geworden?

Eben wie zu einem Kind, und großzügiger. Wir haben Bekannte, Ehepaare, die können sich streiten um des Kaisers Bart.

Würde dein Mann streiten, wenn er etwas nicht möchte?

Ich lasse ihn ja. Aber ich glaube nicht, dass er streiten würde.

 

Ein ganz anderes Thema: Krankheit. Wie verhält er sich dazu?

Früher war er sehr wehleidig. Wenn er nur ein bisschen was hatte, hat er gejammert. Das hat sich verloren. Es geht ihm ja gut, er hat nur etwas Zucker. Da achte ich ein bisschen drauf. Aber ich glaube, das will er auch, dass ich ihn ein wenig bemuttere, wenn ich ihm sage: Jetzt hast du schon Schokolade gehabt, da kannst du heute keine mehr essen, und so etwas. Oder im Supermarkt, da streicht er dann um die Süßigkeiten herum, bis ich sage: Na, dann nimm halt eine Schokolade! Ich denke bei mir: also so was Blödes, jetzt bist du wie die Großmutter, die ihrem Enkel erlaubt, Schokolade zu kaufen. Hinterher denkst du auch: hoppla, jetzt hat er wieder das mit dir gemacht, was du eigentlich gar nicht möchtest. Ich möchte ja nicht seine Mutter, oder Großmutter, werden.
Ich selber darf übrigens nicht krank werden und was sagen, da schickt er mich gleich zum Arzt. Wenn ich mal Schmerzen habe, versuche ich das immer zu kaschieren.


Er hört sich das nicht gerne an?

Nein. Ich sage auch nichts.


Und früher?

Ich glaube, da hat er gar nicht gemerkt, wenn etwas war.

Gibt es bei ihm Stimmungswechsel?

Ja, aber ich denke einfach: ach jetzt kriegt er schlechte Laune.


Ist das mehr geworden im Gegensatz zu früher?

Es ist mehr geworden. Eigentlich kam das erst in der Phase, als wir das Geschäft aufgaben und er depressiv wurde. Als er in den Ruhestand ging, das war für ihn schwierig. Da waren die Depressionen so stark, dass er Medikamente nehmen musste. Er hat das nie geglaubt, bis ich ihm mal geraten habe, etwas zu nehmen. Es ist zwanzig Jahre her, als ich so weit war, dass ich gesagt habe, wenn du so weitermachst, dann lasse ich mich scheiden.

Das war noch mal ein kritischer Moment zwischen euch?

Ja! Das hältst du nicht aus! Und dann kam das noch mal, als wir hierher zogen, in der ersten Zeit, da hat er sich immer zurückgezogen.


Also immer in Phasen des Umbruchs, Neuanfangs.

Immer dann. Aber es gibt auch zwischendrin Phasen, das habe ich noch nicht rausgekriegt, wann das kommt und wann das geht. Ich lasse ihn da einfach.


Aber das sind keine Launen?

Nein, mehr so, dass er nicht mehr redet. Wenn man fragt: Was hast du? „Nichts. Lass mich.“ Ich bohre dann nicht. Was bei meinem Mann noch dazukommt: er war schon immer unheimlich eifersüchtig. Und jetzt im Alter, wenn wir Gäste haben, wenn geplaudert wird, da wird er plötzlich still. Da kommt nur noch ja und nein, das ist eine Art Eifersucht.


Ist er gesellschaftsscheu geworden?

Im Beruf nicht, aber im Privaten.


Aber ihr habt ein offenes Haus, ihr kennt viele Leute, er müsste das doch eigentlich gewohnt sein.

Er ist sogar oft der, der die Leute einlädt, und er freut sich auch. Und da sind wir so gemütlich und da wird´s vielleicht später, dann wird er müde, und dann hätte er gerne: jetzt geht alle.

Wie war er früher in der Freizeit?

Eher ruhig. Aber man kannte ihn so. Unsere Freunde sagten immer: wir gehen zu Maria. Nicht zu Anton und Maria, sondern zu Maria. Ich war eben immer mehr nach außen gerichtet. Aber ich komme aus einer großen Familie, das war fast italienisch bei uns. Das musste er erst lernen.


Aber dieses Zurückhaltende bei ihm ist jetzt stärker?

Viel stärker geworden. Und dann sitzen die Leute da und wollen gar nicht gehen, es ist so gemütlich auf der Terrasse, aber er ist still.

Er bemüht sich auch nicht?

(Schüttelt den Kopf) Ich habe eigentlich noch nicht recht rausgekriegt, warum.


Bedrückt dich das?

Sehr. Ich habe manchmal schon vorher Angst. Wenn er dann auf einmal so eine Bemerkung macht, dann denke ich: oh je, jetzt kriegt er wieder seine Depressionen. Der Arzt hat mir das damals auch so erklärt. Es kann im Gespräch kommen, oder wenn es zu laut ist, oder wir lachen, irgendetwas. Ich muss halt immer schauen, dass es ihm gut geht.

Ein anderes Thema, was aber mit Depressionen zusammenhängen kann: Ab einem gewissen Alter rückt der Tod einfach näher. Beschäftigt er sich damit?

Er selber schiebt es weg. Ich versuche, ein bisschen darüber zu reden, auch weil ich mich abgesichert sehen möchte. Wir müssen da auch mal zur Bank. Aber das verdrängt er immer. „Wenn ich von der Reise zurück bin“, ja, jetzt ist er schon längst wieder zurück. Oder „ja, ja, das müssen wir machen“. Gut, mein Mann hat eine Lebensversicherung, die mir ausgezahlt wird, sollte er eher sterben. Unser Haus ist bezahlt, es muss niemand Hunger leiden. Aber was wir besprechen müssen, ist, wenn einer sich nicht mehr selber pflegen kann. Bei uns zu Hause gehst du ins Alterspflegeheim. Hier müssen wir uns noch etwas suchen.


Eure Kinder würden nicht für euch sorgen?

Das ist kein Thema. Die wollen das nicht, und das erwarten wir auch gar nicht.


Wie steht es mit der Angst vor dem Tod?

Nein. Wir haben da manchmal gesprochen, sogar gelacht, welche Art von Beerdigung wir wollen. Wir sahen einmal was im Fernsehen, da sagte ich zu ihm, du, das machen wir. Da geht man nach der Verbrennung mit der Urne nach Holland, da gibt es so eine Rakete, und dann wird das Ding mit einem lauten Knall in die Luft gesprengt, das gibt ein wunderschönes Bouquet (Lachen). „Das ist wieder typisch“, sagt er nur. So reden wir schon darüber. Aber er findet es jetzt nicht so wichtig, wo er mal beerdigt wird. Er meint, er wäre ja dann nicht mehr da, „macht was ihr wollt“.


Wie empfindest du die Partnerschaft heute im Vergleich zu früher?

Besser. Weil man mehr Zeit zu überlegen hat, was ist jetzt auch für den anderen besser, nicht nur für mich. Früher war die Zeit gar nicht da. Früher war die Partnerschaft gut, gesetzt, aber sie war nicht so rücksichtsvoll. Man wird weicher. Man ist zusammengeschweißt.

Wie du aber vorher angedeutet hast, geht das mehr von dir aus, du bist weicher, nimmst Rücksicht, er nicht.

Das stimmt.


Aber es stört dich nicht?

Nein, ich bin es gar nicht gewohnt, dass man so auf mich Rücksicht nimmt.


Hast du das Gefühl, du bist gereift und er nicht?

Ja – also ... so menschlich glaube ich, der macht sich einfach gar nicht so große Gedanken, obwohl ich schon mal überlege, der muss sich ja auch mal Gedanken über mich machen. Aber so lange es ihm wohl ist, ist die Welt in Ordnung. Sonst würde er ja mal was sagen. Manchmal, wenn wir mit meinen Geschwistern so Probleme besprechen, dann sagt er immer: „Was habt ihr denn! Das ist ja nichts, über das braucht es keine Gedanken.“

 

Wie reagiert er auf Kritik?

Er nimmt sie nicht an. Er sagt dann einfach nichts mehr und macht weiter wie er es für gut findet. Bei Kleidung vielleicht, wenn ich sage, das und das passt nicht, dann fragt er: „meinst du?“ Dann zieht er sich um, ungern, aber er sieht es ein.


Und bei anderen Sachen?

Nein. Manchmal habe ich das Gefühl, der nimmt mich nicht so ernst. Aber das hat auch seinen Vorteil. Da gibt es diese Ehepaare, die haben den ganzen Tag zu reden, die Blumenvase muss da stehen, nein, dort.

Dein Mann fährt noch Auto. Hat sich sein Fahrverhalten geändert?

Ja, auch hier ist es das Unsichere, was er hat. Er schaut zigmal in den Rückspiegel, und noch mal, noch mal. Er meint, mit der Brille könnte er nicht gut zurückschauen.


Wie ist er als Beifahrer?

Da sagt er nichts. Ich aber auch nicht.


Kritisiert er dich sonst?

Selten.

Also insgesamt würdest du deine Partnerschaft positiv bewerten.

Ja, im Gegensatz zu früher kann ich sagen: den kann ich ganz gut ertragen. Bei uns ist kein Halleluja, aber wir vertragen uns und haben uns auch noch was zu erzählen. Nur eben, manchmal wird es mir zu eng.


Diese Enge, die du in der Partnerschaft empfindest, wäre also für dich ein Schwachpunkt. Resignierst du da, oder bist du einfach entspannt?

Wer weiß, vielleicht wenn ich etwas jünger wäre, würde ich mich doch trennen, würde es noch mal wagen. Aber jetzt, glaube ich, ich habe resigniert.

Aber du hast nicht das Gefühl, immer zurückzustecken?

Nein, das wechselt ab bei uns. Ich kann auch stur sein.


Zum Abschluss: Was wäre dein Rat, deine Botschaft an andere Frauen?

Wenn ich so unser Alter sehe, dann fällt mir auf, dass die sich an allem ärgern, immer wieder über dasselbe, was gar nicht wichtig ist. Zum Beispiel mein Bruder, der fasst die Tassen nicht am Henkel an, und seine Frau sagt ihm das seit 30 Jahren. So was meine ich. Das wäre mir egal! Das ist etwas, was ich nicht verstehe, dass die Leute, je älter sie werden, sich an solchen Kleinigkeiten stören. Auch Bekannte von uns, da sagte sie immer, was er machen muss. „Stell den Stuhl so hin, stell das da hin.“ Jetzt ist sie gestorben und er kommt überhaupt nicht zurecht. Jetzt meint er, er macht alles falsch, weil ihm niemand mehr was sagt.

Man sollte sich also nicht an Kleinigkeiten festhalten?

Ja, denn den ganzen Tag gibt es Kleinigkeiten, worüber du dich ärgern kannst. Und das darf man sich nicht antun – nicht nur wegen ihm, auch für einen selber.

 

 

 

Lilo, 69, gelernte Kosmetikerin, heute Rentnerin, ein Kind aus erster Ehe, aktueller Partner 68 und noch selbstständig zu Hause arbeitend, 25 Jahre zusammen.

Wie begann diese Partnerschaft, die ja mittlerweile länger dauert als deine erste Ehe?

Ich hatte damals ein kleines Kosmetikstudio innerhalb eines Friseurgeschäftes, und der Mann war Kunde. Es war dieses Intelligente, dieses Ruhige, was mir nach den unruhigen Männern, die ich hatte, gefiel. Ich brauchte einen Pol. Es gefiel mir, dass er Klassische Musik liebte. Und in der Gegend, wo ich damals lebte, war er der Mann, zu dem man Vertrauen haben konnte.


Aber es gab Unstimmigkeiten.

A) als ich feststellte, wie stark das Verhältnis zu seiner Mutter war, ein Überverhältnis. Das tauchte schon nach einem Jahr auf. Die Partnerin war für das Sexuelle, aber die große Liebe war seine Mutter, das spürte ich immer mehr. B) das Kleinkarierte. Dass etwas so oder so sein muss, hatte man mir vorher noch nie gesagt. Ich war in allem lockerer.


Trotzdem bist du bei diesem Mann geblieben.

Eigentlich war es der Sicherheitsfaktor, zumindest am Anfang. Lange bevor unser Verhältnis enger wurde, hatte er mir gesagt, er könne mir helfen. Und zwar wollten wir gemeinsam ein Geschäft eröffnen. Das sollte eigentlich was Kleines werden, wurde dann aber eine richtige, viel zu große Parfümerie. Er hat sich falsch beraten lassen. Da gab´s dann auch Reibereien.


Es kam dann zwischenzeitlich auch zur Trennung, nicht?

Ja, ich wollte geheiratet werden. Nach 13 Jahren wollte ich das. Außerdem lag unser Geschäft in einer ländlichen Gegend, die Leute redeten. Wieso heiratet man Sie nicht?, das wäre doch besser, hieß es. Es war auch ein Problem, dass Leute mitkriegten, wenn er morgens um fünf nach Hause ging. Es war mein Wunsch, wieder verheiratet zu sein, es war ein Bedürfnis nach Sicherheit, Geborgenheit.


Trotz der Schwierigkeiten?

Trotz der Schwierigkeiten. Es war ja ein allmähliches Hineingehen in die Partnerschaft. Ein Jahr waren wir per Sie, gingen ins Theater, in Konzerte. Später dann habe ich immer im Scherz gesagt, wenn er bei mir war: wie wär´s denn, wir könnten doch heiraten? Er hat nur gelacht. Heute weiß ich, das wäre gar nicht möglich gewesen, solange seine Mutter lebte. Ich muss dazu sagen, ich habe ihn damals sehr gemocht. Sehr! Und war dann eigentlich enttäuscht, dass das so dahin ging. Es wurde mir auch von Freunden gesagt. Was bin ich eigentlich? Wie eine Schublade, die man auf- und zuzieht. Wir hatten ja auch jeder seine eigene Wohnung, fünf Minuten voneinander entfernt.


Und was war dann letztendlich der Grund der Trennung?

Er hat mich sehr enttäuscht. Es gab ein einschneidendes Erlebnis, das hat mir sehr wehgetan. Im Grunde genommen hat sich aber alles aufgestaut. Dieses „Nicht zu mir-Stehen“, das Gefühl zu haben, ich bin nicht so wichtig, war es auch.
Dann machte ich hin und wieder Kurzurlaube, zwei, drei Tage, wo er mir immer nahelegte: vielleicht findest du mal jemanden, der dich heiratet. Dann fragte er mich auch jedes Mal: „Und, hast du keinen gefunden?“ Und dann ist es eines Tages tatsächlich passiert.


Wie reagierte er da?

Zuerst habe ich das geheim gehalten, er hat auch nichts gemerkt. Dann wurde ich über Weihnachten eingeladen und da sagte ich ihm: es gibt jemanden, das ist mir ernst. Da ist er zusammengebrochen.

Die Trennung wurde also eigentlich wegen des anderen Mannes vollzogen?

Ja. Dazu muss man sagen, das Sexuelle war durch die neue Liebe total weg. Aber das Menschliche war wahnsinnig stark. Ich mochte ihn als Mensch, nicht mehr als Partner.


Obwohl er dich ja gerade menschlich sehr enttäuscht hat.


Aber ich habe gesehen, in welch einer Zwickmühle er war. Das tat mir leid.


Du kamst dann nach anderthalb Jahren zurück.

Ja, und da sagte er: „Jetzt können wir ja heiraten.“ Ich brauchte dann eine lange Zeit, um mich überhaupt einem Mann zu nähern, körperlich lehnte ich jegliche Beziehung ab.


Hat er sich dann anders zu dir verhalten?

Ja. Er ist auf mich eingegangen, hat mich nie belästigt, nie etwas gefordert. Das, muss man dazu sagen, gehört zu der Beziehung. Es wurde dann immer wertvoller. Er war ein Mensch, der für mich da war. Das mit seiner Mutter hat mich gar nicht mehr so gestört.


Seid ihr gleich zusammengezogen?

Erst noch nicht. Er ist immer gekommen, hat mich manchmal vom Geschäft abgeholt. Ich habe damals wieder im Angestelltenverhältnis gearbeitet, ich musste ja meinen Lebensunterhalt verdienen. Das ist auch bitter, wenn man mit Anfang 50 noch mal eine neue Stelle antreten muss. Also zweimal die Woche sahen wir uns mindestens. Aber er ist immer wieder zu sich nach Hause gefahren.
Dann ist er endlich, da war er ja auch schon über 50, zum ersten Mal mit einer Frau zusammengezogen, also mit mir. Da er ewig Junggeselle war, waren es alltägliche Dinge, die zu Streitereien führten. Wie er Mehl und Zucker einsortiert, so lächerlich das ist, das war ihm wichtig. Er stand eigentlich immer hinter einem, kontrollierte. Das macht man so oder so, Reibereien, die albern sind, aber nervig. Die einfachsten Dinge, die ich als Hausfrau selbstverständlich fand, die konnte er nicht begreifen. Er wurde dann manchmal richtig wütend.

Hat sich das mit den Jahren geändert?

Ja, zum Vorteil! Es waren auch nur die ersten drei Jahre wirklich schlimm. Aber man muss eben sehen, dass er jemand war, der immer alleine gelebt hat, ich würde das nicht dem Alter zuschreiben. Ich denke, er hat lange gebraucht, um einzusehen, dass das richtig ist, was ich mache, was hausfrauliche Sachen betrifft. Das akzeptiert er jetzt.


Und glaubst du, dass es auch Veränderungen gibt, die mit dem Alter zu tun haben?

Auf jeden Fall. Bei ihm sind es aber zweierlei Veränderungen. Vielleicht hat das damit zu tun, dass er Sternzeichen Zwilling ist. Er hat zwei Seelen in seiner Brust. Ich schreibe das nicht unbedingt seiner Krankheit (Anm.: Prostatakrebs, der operiert wurde) oder der Hormonbehandlung zu, der er sich unterziehen musste. Obwohl das schon einen gewissen Einfluss hat.
Einerseits nimmt er alles gelassener. Da sagt er: „was sollen wir uns auf unsere alten Tage ärgern? Ist doch alles Quatsch“, diese Erkenntnis hat er. Aber das fing auch schon ein bisschen vorher an. Da war er auch schon ruhiger geworden. Mit der Krankheit kam noch mal ein Rieseneinschnitt. Er sah, dass ich für ihn da war, dass er mich auch brauchte. Auf der anderen Seite hat er Ausbrüche von Aggressivität, er schimpft auf alle Leute, er wird ausfallend. Es gibt Phasen, da ist er nur negativ.


Fing das auch schon vor der Krankheit an?

Das fing schon vorher an, ja. Vielleicht habe ich das da noch nicht so gemerkt. Heute fällt mir das mehr auf. Im Alter braucht man einfach mehr Ruhe und Zufriedenheit. Wenn der Partner nur meckert und nörgelt, das ist schlimm.


Wie kommst du damit klar, was machst du in solchen Momenten?

Manchmal versuche ich, mich abzulenken. Ich sehe mir einen schönen Film an, lese, gehe in die Natur. Aber ich leide schon sehr darunter, wenn er so ist.


Also stellt diese negative Stimmung deines Partners eine Belastung für dich dar.

(Lilo ist den Tränen nah) Das kann man sagen, ja.


Ist er depressiv?

Das Wort „depressiv“ mögen die Männer ja nicht. Die körperliche Veränderung macht ihm zu schaffen. „Wenn man überlegt, wie sportlich man war, man wird immer dicker“, sagt er manchmal.

Früher machte er Sport und jetzt nicht mehr?

Ja, er war ein leidenschaftlicher Skifahrer.


Wenn die Stimmung oft so negativ ist, würdest du es da nicht vorziehen, allein zu leben?

Nein. Alleine könnte ich gar nicht leben, finanziell käme ich ja gar nicht zurecht. (Anm.: die eigene kleine Lebensversicherung wurde aufgebraucht, Lilo bekommt 400€ Rente monatlich). Spielt eine große Rolle. Ich hatte immer Existenzängste. Und erst recht, als ich mit ihm zusammenlebte und merkte, er tat nichts. Diese Angst kann man gar nicht beschreiben. Er hat eben sehr lange gewartet damit.


Du meinst, jetzt hat er auch für dich Vorsorge getroffen?

Ja. Das hat lange gedauert. In den ersten Jahren, als wir zusam-menlebten, habe ich das immer wieder angesprochen, aber er reagierte nicht. Irgendwann, nach fünf Jahren, überschrieb er mir die Lebensversicherung. Und so ist das auch geblieben. Jetzt ist es sogar so, dass er noch mehr tun möchte. Seit er krank ist, ist er direkt in Panik, dass ich auch gut versorgt bin.

Wie geht er heute mit Krankheiten um im Gegensatz zu früher?

Früher wurde er fast nie krank. Wie andere mal eine Erkältung haben, das kannte er gar nicht. Wenn er krank wurde, dann richtig ernst. Jammern tut er nicht. Er kann gut Schmerzen aushalten. Diesbezüglich hat sich nichts geändert. Er geht zu sorglos mit der Gesundheit um, finde ich. Manchmal glaube ich, er hat Angst.

Aber er sagt nicht, wovor?

Nein, darüber spricht er nicht.


Ist dein Partner eifersüchtig?

Überhaupt nicht. Außer, als damals der Mann auftauchte. Sonst nicht, noch nie. Das war das Schöne. Ich brauchte nicht eifersüchtig auf ihn zu sein, und er nicht auf mich.

Gibt es jetzt im Alter mehr Gefühlsausbrüche?

Er ist schneller gerührt. Über das Elend in der Welt ist er heute gerührter als früher.


 

Dein Partner arbeitet in seinem Alter noch freiberuflich von zu Hause aus. Schafft er das?

Da hat sich was geändert. Zum Anfang der Krankheit sagte er immer: „Bin ich froh, dass ich abgelenkt bin.“ Doch jetzt merkt man, er kommt an seine Grenzen. Jetzt sagt er: „Wenn ich nicht Geld verdienen müsste, würde ich sofort aufhören.“ Das ist neu, das hat er noch nie gesagt.


Das angelegte Geld würde also nicht reichen?

Wir wohnen in einer teuren Gegend in Süddeutschland, haben eine schöne Wohnung. Vielleicht hätten wir da mehr überlegen müssen.


Setzt er sich mit dem Thema Tod auseinander?

Man sprach wenig darüber. Ihm war das egal, „wenn man weg ist, ist man weg“. Jetzt ist es so, dass er sagt, „mir ist das wichtig, dass du versorgt bist, ich habe ja mein Leben gelebt“. Als ob ihm das nichts ausmacht. Weil ich weiß, was auf ihn zukommen könnte, meide ich das Thema. Er sagt: „Das ist nun mal so, jeder muss sterben, nur möchte ich nicht gerade solche Schmerzen haben.“


Wie hat er vor seiner Krankheit gedacht?

Am besten man bringt sich um, wenn man Pflegefall wird. Am besten gleich weg. So in der Art. Ich habe das Gefühl, seit der Krankheit hat er mehr Ängste. Dieses Lässige, was er vorher hatte, das ist jetzt weg.


 

Wie sieht der gemeinsame Alltag aus: Freizeit, Freunde, Haushalt?

Früher haben wir uns gerne Kunst angeschaut, haben über Malerei und Klassische Musik gesprochen, etwas, was er mir nahegebracht hat. Das war ja etwas, was mir von Anfang an an ihm gefallen hat, diese Gespräche. Die finden jetzt weniger statt, er ist da so lustlos geworden. Ich bin immer gerne raus in die Natur gegangen oder gewandert, aber er nicht. Da habe ich dann oft verzichtet oder ich bin alleine gegangen.
Freunde sind nicht gepflegt worden. Er war früher nur Junggeselle. Wir waren nie ein Paar in dem Sinn, dass wir gemeinsame Freunde hatten. Das ist, was uns jetzt im Alter beiden zu schaffen macht. Bei ihm ist seine Heimatstadt nicht weit, aber einer seiner alten Freunde ist gestorben und mit anderen hat er praktisch keinen Kontakt. Und die Menschen, mit denen ich sprechen könnte, sind auch zu weit weg. Bei ihm kommt das jetzt schon, dass er mehr Freunde bräuchte, ab und zu mal. Sein Freizeitsport war früher Golf, auch etwas, was wir nicht gemeinsam hatten. Ich schickte ihn ja immer, damit er überhaupt mal etwas tat, saß dann aber an schönen Sommerabenden oft alleine da. Heute ist die Freizeitgestaltung ruhig. Man geht zusammen spazieren. Wenn die Krankheit nicht wäre, wäre er viel aktiver in allem. Er hat die Natur mehr erkannt, dass man sich bewegen muss – geredet habe ich da während der ganzen Beziehung, aber bei ihm kam die Erkenntnis spät, eher mit der Gewichtszunahme.


Wann fing die Gewichtszunahme an?

Mit Ende 50. Da hat er sich über Jahre kaum bewegt. Hat immer die Arbeit vorgeschoben. Immer mehr Arbeit als Freizeit, und in dem bisschen Freizeit sich möglichst nicht rühren. Jetzt ist er sehr eingeschränkt, aber geht mit raus, auch im Winter. In Konzerte geht man nicht mehr. Heutzutage ist das auch eine Geldfrage. Wir müssen eben ein bisschen zusammenhalten. Gemeinsam Kaffee trinken, das machen wir auch am Nachmittag. Heute drängt er direkt darauf: „Machst du Kaffee?“ Wo er früher immer sagte: „Nö, will ich nicht“. Er genießt das.


Hilft er dir im Haushalt?

Er macht morgens Frühstück, er spült die Töpfe und Pfannen nach dem Essen, also, wenn er nicht total im Stress ist. Ich koche, kaufe das meiste ein, wasche, mache sauber. Bei ihm kann der Staub ruhig hoch liegen, aber in den Schränken ist alles säuberlich sortiert. Aber er sieht heute, was Hausarbeit ist, er erkennt das an. Seit einiger Zeit haben wir auch eine Putzhilfe, die alle zwei Wochen kommt, die macht dann die anstrengenderen Arbeiten.


 

Was ist besser geworden? Welche Vorteile hat ein reifer Partner einem jungen gegenüber?

Oh, das hat Vorteile! Mein Partner sieht heute, was ich schaffe. Er sieht, ob ich blass bin, „du hast wieder zu viel gemacht, jetzt ruh dich aus“. Also dieses Umsorgen ist mehr geworden. Er ist aufmerksamer. Er betont, dass er möchte, dass es mir gut geht. Und wenn er mal hochgeht, bezieht sich das nicht auf mich, nur auf andere. 
Und diese Ruhe! Ohne Sexualität, das ist ein viel ruhigeres Miteinander. Es ist viel schöner zusammenzuleben ohne das.

Mit einem Mann kann man als Frau also gut zusammenleben?

Ich habe es mal nicht gut gefunden. In der Mitte meines Lebens sagte ich mir: wenn man nicht finanziell einen Mann dazu bräuchte, um einigermaßen leben zu können, könnte man besser alleine leben. Wenn ich eine Frau gewesen wäre, die selbst ihr gutes Geld verdient, dann hätte ich nach der ersten Enttäuschung alleine gelebt. Ich finde aber, dass es im Alter absolut wichtig ist – wenn ein Paar harmoniert –, zusammen zu sein, dann ist das schöner als alleine zu sein.

Und wenn es nicht nur um das nicht Alleinsein ginge?


Also ich finde es schöner mit Mann.


Würdest du diese Beziehung wieder eingehen?

Ja! Also wenn ich das Schlimme wegstreiche ..., aber höchstwahrscheinlich fällt das jetzt gar nicht mehr ins Gewicht. So wie ich ihn jetzt kenne in den letzten Jahren, ja!


 

Welchen Rat würdest Du anderen Frauen geben?
In der Partnerschaft muss nicht immer alles so genau zusammenpassen, auch wenn die Hobbys nicht so übereinstimmen, aber es müssen Ähnlichkeiten da sein. Bei uns ist das die Sensibilität auf bestimmte Sachen, was so harmoniert. Obwohl er fast jähzornig war und Komplexe hatte, war eine Verbindung zwischen uns. Diese Verbindung muss da sein. Und es muss etwas wachsen. Das kann man vorher nicht sehen, aber es ist „etwas“, was wachsen kann.

 

 

 

 

Marlies, 55, Büroangestellte, lebt heute getrennt von ihrem Mann, 59, mit dem sie seit 31 Jahren verheiratet ist, zwei Kinder

 

Ich war Anfang 20 und machte gerade eine kaufmännische Ausbildung, als ich zufällig eine Annonce in einem Stadtmagazin las. Da suchte ein 24jähriger, gut aussehender Mann eine Frau, die durchaus attraktiv sein durfte. Ich war dann der erste und einzige Date, den er auf insgesamt vier Anzeigen hatte. Es war nicht unbedingt Liebe auf den ersten Blick, es hat sich eher entwickelt. Erst später wurde es Liebe. Ich bin dann ziemlich schnell zu ihm gezogen nach meiner Ausbildung. Dann fingen die Kämpfe an. Er hat mich viel alleine gelassen, er hat eigentlich nur gemacht, was er wollte. Nicht mit anderen Frauen, aber er kam einfach abends nicht nach Hause, weil er mit einem Kumpel einen trinken ging, oder er ging am Wochenende auf den Fußballplatz, anstatt etwas mit mir zu unternehmen. Ich bin dann da zwar auch immer hingegangen, aber mir hat einfach etwas gefehlt. Wir haben uns zwischenzeitlich getrennt und ich bin in eine andere Wohnung gezogen. In der Zeit verliebte ich mich in einen anderen Mann. Das war ziemlich intensiv, aber er war noch verheiratet. Mein Mann hat um mich gekämpft – und hat eben gewonnen. Ich wurde dann schwanger von ihm und wir heirateten. Und so sind über 30 Jahre draus geworden.

Worum ging es bei diesen Kämpfen?

Mein Mann hat immer recht, er ist der Beste. Er ging nie Kompromisse ein. Ich war damals auch naiv, ich war so erzogen worden, meine Mutter war ziemlich dominant. Erst mit der Reife habe ich mir dann nichts mehr verbieten lassen. Vor 15 Jahren eröffnete er ohne mein Wissen eine Webseite, und zwar ging es um Dreierbeziehung. Das muss ich kurz erklären. Es handelt sich da um eine gewisse sexuelle Vorliebe, und zwar möchte der Mann, dass seine Frau einen Liebhaber hat. Es gab in Deutschland dazu noch keine Plattform, mein Mann eröffnete also die erste Seite auf Deutsch und hatte gleich sehr viele Mitglieder. Irgendwann erzählte er mir davon.

Das war bestimmt eine Überraschung für Sie?

Ich war da erst mal sauer. Aber ich bin ein neugieriger Mensch. Am Anfang dachte ich noch, dass mein Mann vielleicht eine andere Frau, oder einfach einen Partnertausch möchte. Aber er hat mir versichert, er braucht nur mich, er sei glücklich mit mir und wolle keine andere. Später haben wir das dann selber ausprobiert, dass wir einen Hausfreund suchen. In der sogenannten Dreierbeziehung ist der andere Partner ein Familienmitglied mehr. Ich liebte diesen Partner und mein Mann ihn auch. Es geht nicht nur um das Sexuelle. Und das war so enttäuschend für mich, wenn diese Männer sich nicht mehr blicken ließen oder es ein abruptes Ende gab, wo ich einfach viel Gefühl investierte. Irgendwann konnte ich nicht mehr, ich wollte davon nichts mehr wissen. Dann war sechs Jahre Ruhe.

Wie sah sonst Ihr Alltag aus, blieben Sie berufstätig?

Bevor die Kinder kamen, habe ich den ganzen Tag gearbeitet. Und den Haushalt musste ich auch machen, denn mein Mann hat gar nichts gemacht. Wir sahen uns kaum, morgens ging ich früh aus dem Haus, er konnte länger schlafen, und am Wochenende arbeitete er oft. Freizeit hatten wir kaum zusammen, wir gingen mal zusammen auf eine Fete vom Fußballverein.
Als die Kinder kamen, musste ich kündigen. Ich habe mich praktisch alleine um sie gekümmert. Hinzu kam, dass beide unter Asthma litten und besondere Aufmerksamkeit brauchten. Mein Mann war selbstständig und kam erst abends spät von der Arbeit zurück, das war schon manchmal schwer. Ich habe für ihn dann auch von zu Hause aus Bürosachen erledigt. Eine Putzhilfe hatte ich irgendwann, denn das schaffte ich einfach nicht mehr.

Nie Gedanken gehabt, sich zu trennen?

Tja, man wurschtelt sich so durchs Leben. Und wenn man dann ein Haus hat, finanzielle Sorgen, überhaupt eine schwere Zeit, hält man mehr zusammen. Das wurde mir vor allem dann bewusst, als wir später umzogen, wo es uns gut ging. Wir hatten keine finanziellen Probleme, eine tolle Wohnung in einer wunderschönen Umgebung, so dass man sein Glück manchmal gar nicht fassen konnte, aber dann wurde mehr getrunken als früher. Und man hat von morgens bis abends zusammengehockt. Ich habe mir dann einen Job gesucht. Mein Mann meinte immer, ich soll lieber mehr für unsere Webseite tun, die wir ja gemeinsam betrieben. Aber ich wollte raus, mit anderen Menschen zusammen sein, mir hat das einfach Spaß gemacht. Das ging ein paar Monate so. Während ich den ganzen Tag von zu Hause weg war, wurde dort nichts gemacht. Ich kam abends zurück, und der Berg Geschirr stand noch in der Spüle, nicht mal in die Spülmaschine hat er die Sachen eingeräumt. Er machte gar nichts.

Oder war das wie ein Protest, weil Sie arbeiten gingen?

Keine Ahnung, aber früher hat er mir auch nicht geholfen. Nach einigen Monaten schloss die Firma. Seitdem bin ich ohne Arbeit, es ist einfach schwer, etwas zu bekommen. Es gab dann nur noch Streit.

Diese Partnerschaft wäre wohl nicht als harmonisch zu bezeichnen?

Nein. Es war ein Hoch und Tief. Die Harmonie hat mir immer gefehlt, die lerne ich jetzt erst kennen. Ich habe verschiedene Partner gehabt, und die haben einfach auch dieses Bedürfnis nach Harmonie, die haben gar keine Lust zu streiten, die suchen solche Situationen gar nicht. Mein Mann hat nach jedem Satz, den ich gesagt habe, etwas gefunden und hat das als Streitpunkt genommen. Das war schlimm für mich.

Über 30 Jahre, das sind viele Jahre. Haben Sie nicht eher an Trennung gedacht?

Heute denke ich, ich hätte mich eher trennen sollen, schon nach dem zweiten Kind. Das sagen meine Kinder auch. Man ist aber in diesem Alltagstrott drin. Und ich war auch finanziell abhängig. Heute ist er eher von mir abhängig, gerade was unsere Webseite angeht. Ich könnte sagen: ich nehme meine Texte, Bilder und Videos raus. Und mir gehören die Hälfte der Einnahmen.

 

Gehen Frauen mehr Kompromisse ein als Männer?

Ich glaube schon. Sie sind eher bereit, auf etwas zu verzichten. Vor allem, wenn man Kinder hat. Ich konnte damals nicht mal abends zur Gymnastik gehen, weil er selbst am Abend nicht da war, Oma gab´s auch keine. Von daher ist man gezwungen, was soll man machen? Es gibt ja Frauen, die verlassen ihre Kinder, aber so etwas würde ich nie machen.

Hatten Sie irgendeinen Ausgleich?

Nein, nichts. Dadurch wurde ich sogar aggressiv, irgendwie kommt das dann ja mal raus. Heute sagen mir meine Kinder, dass ich viel ausgeglichener bin, ein ganz anderer Mensch geworden sei. Ich bin nun weg von diesen Zwängen, von diesem „Beobachtetwerden“. Und sie sehen auch, wie ihr Vater ist. Das Verhältnis ist nicht gut. Stellen Sie sich mal vor, damals erzählte mein Mann den Kindern, dass ich einen Freund suchen würde. Dabei war er es ja, der diese Idee mit dem Hausfreund hatte. Abgesehen davon, geht das Sexualleben der Eltern die Kinder nichts an. Ich war damals geschockt, aber er hat mich so lange bequatscht und es mir plausibel gemacht, dass ich auch dachte, es wäre in Ordnung. Heute lange ich mir an den Kopf! Ich brauchte viele Jahre, um das Verhältnis wieder zu meinen Kindern aufzubauen. Ich meine, die Jüngste war gerade zwölf Jahre, die hatte einen Schock. Ich bereue das alles. Vor allem, es war so respektlos, dass er den Kindern so etwas erzählte, ohne mich vorher zu fragen.

Ließ er es auch in anderer Hinsicht an Respekt fehlen?

Ja, das fing eigentlich schon ziemlich früh an. Vor allem, wenn Alkohol im Spiel war. Mein Mann hat immer viel getrunken. Einmal hat er mich sogar geschlagen, und nur, weil ich eine Flasche versteckte, weil er schon bis obenhin voll war. Und bei der Trennung hat er doch tatsächlich behauptet, ich hätte damals mit der Flasche nach ihm geschlagen.


Tatsachen verdrehen.

Ja. Man sagt ja nicht umsonst, dass Hirnzellen vernichtet werden.

Es wurde auch von anderen Frauen angesprochen, dass Männer einfach die Realität anders sehen.

Das ist möglich. Schlimm ist ja, wenn er mir unterstellt, ich würde alles verdrehen. Unsere ganze Ehe hat er immer wieder gesagt, ich würde ihn niedermachen. Selbst die Kinder sagten dann: nein, Papa, es war genau umgekehrt. Ich sehe ihn heute als Narziss. Andere niedermachen, um sich selbst zu erhöhen. Ich habe das nicht nötig. Ich meine, ich habe Mittlere Reife, einen Beruf erlernt, aber ich muss mich damit nicht über andere stellen. Ich bin sozial eingestellt, helfe anderen Menschen gern und bin beliebt. Es kommt alles zurück. Wenn du anderen hilfst, kriegst du das hundertmal zurück.

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Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Carmen Lange, Lisa Hartmann
Bildmaterialien: José Manuel Peña Hernandez
Tag der Veröffentlichung: 23.01.2014
ISBN: 978-3-7309-7765-1

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