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Vorwort des Autors

 

Dieser Roman ist eine Erfindung des Schriftstellers. Dennoch hält sich das Buch an geschichtliche Nachweise sowie Ereignisse des Jahres 1944. Die im Buch vorkommenden Charaktere entsprechen überwiegend realer historischer oder militärischer Persönlichkeiten. Alle übrigen sind frei erfunden. Irgendwelche Ähnlichkeiten mit lebenden Personen ist reiner Zufall.

 

Copyright-Hinweis: Sämtliche Inhalte, Fotos und Texte sind urheberrechtlich geschützt und dürfen ohne schriftliche Genehmigung des Verfassers weder ganz noch auszugsweise kopiert, verändert, vervielfältigt oder veröffentlicht werden. ©Oliver M. Pabst

Das Buch

 

Frühjahr 1944: Während der Vorbereitungsphase der alliierten Landung in der Normandie werden vier Männer der britischen Special Operation Executive mit einer streng geheimen Mission betraut. Sie sollen aus dem besetzten Frankreich einen deutschen General nach England entführen, um von ihm Informationen über die Truppenaufstellung der Wehrmacht zu erfahren. Ein sehr waghalsiges Unterfangen, wären da nicht eine Agentin der SOE und französische Widerstandskämpfer, die dem Kommandotrupp zur Seite stehen...

Kapitel 1

 

Anwesen der Foussiers,

Saint-Lô, Frankreich

 

Es war der 27. Februar 1944. Claudine Foussier stand am Fenster ihres Zimmers im Haus ihrer Eltern. Es lag in der französischen Stadt Saint-Lô und die Aufmerksamkeit der jungen Frau galt dem Château D'agneaux, das an das Grundstück der Foussiers grenzte.

In dem prächtigen Schloss aus dem 13. Jahrhundert residierte der deutsche General Erich Marcks. Er kommandierte das 84. Armeekorps der 7. Armee. Zu seinen Aufgaben gehörte es nicht nur die Küste zwischen Caen und Carentan zu verteidigen, sondern analog hierzu auch die fünf Divisionen des Korps zu befehligen, die bei der alliierten Landung auf dem europäischen Festland die Hauptlast des deutschen Abwehrkampfes tragen würden.

Anfang Februar 1944 betraute das Hauptquartier der alliierten Expeditionsstreitkräfte, kurz SHAEF genannt, die britische Special Operation Executive damit, genaue Informationen über die dort stationierten deutschen Truppen sowie deren Ausrüstung zu beschaffen, nachdem die Luftaufklärung und die Angaben der französischen Widerstandsgruppen nicht ausreichend waren. Daraufhin entwickelte die SOE einen waghalsigen Plan, der auf die deutsche Führung wie ein Paukenschlag wirken sollte: die Operation ‘Oberon‘.

Von Seiten der Geheimorganisation ging man sehr behutsam zu Werke. Es begann vorerst mit der Beschattung von Marcks. Diese Aufgabe wurde Foussier übertragen, die ihre Auftraggeber nicht enttäuschte. Innerhalb kürzester Zeit trug die Agentin alle wichtigen Fakten zusammen. Ihre Recherchen funkte sie nach Milton Hall in England, sodass dort über den deutschen General ein lückenloses Dossier entstand.

Die Französin fiel nie auf und leistete sich während ihrer verdeckten Tätigkeit auch nicht einen Leichtsinnsfehler. Sie verstand es so glänzend, die Rolle der Biedermann Frau zu spielen, dass niemand, auch nicht die GFP (Geheime Feldpolizei), jemals auf den Gedanken gekommen wäre, Foussier als Spionin zu verdächtigen.

Ein Umstand kam ihr freilich zugute und erleichterte ihre Aufgabe ganz erheblich. Sie wohnte gewissermaßen mit ihren Feinden unter einem Dach, da das Haus der Foussiers an den Wirtschaftstrakt des Schlosses gehörte. So konnte sie sich innerhalb der Sperrzone frei bewegen und saß, um einen Vergleich zu gebrauchen, sozusagen wie die Made im Speck. Idealere Voraussetzungen konnte sich eine Agentin kaum wünschen.

Offiziell arbeitete sie im väterlichen Weingut. Einem aufmerksamen Beobachter wäre freilich aufgefallen, dass Foussier so gut wie nie dort arbeitete. Man interessierte sich nicht dafür. Genauso wenig wie man auf deutscher Seite auf den Gedanken kam, einmal ihre Familie genauer unter die Lupe zu nehmen. Von ihrem Vater wusste man nur, dass er gestorben war, die Mutter, so erzählten die Einheimischen, sei schon lange tot. Was die Leute aber verschwiegen, war die Tatsache, dass er nicht an einer Krankheit oder an Altersschwäche im Bett das Zeitliche gesegnet hatte, sondern während eines Verhörs der Gestabo aus dem Leben schied. Der alte Foussier war ein französischer Widerstandskämpfer. Das Schicksal ereilte ihn 1941, als seine Partisanengruppe in Saint-Lô einen deutschen Straßenposten überfiel, er fliehen musste und schließlich von der geheimen Staatspolizei, geschnappt wurde.

Sein Tod stellte die Weichen für die junge Foussier. Diese schloss sich derselben Gruppe an, der ihr Vater angehört hatte und übernahm nach kurzer Zeit das Kommando über dieselbe. Doch schon bald wurde für sie der Boden in der Normandie zu heiß. Sie flüchtete mit einem französischen Schmugglerschiff und landete in England. Dort fand sie schnell Anschluss an die Special Operation Executive, die sie unter ihre Fittiche nahm und zur Agentin ausbildete.

Foussier galt in Führungskreisen der SOE als eine Frau mit überdurchschnittlicher Intelligenz. Anfang 1943 schickte man sie, nach voran gegangenen Einsätzen in Holland und Belgien wieder nach Frankreich zurück. Über die Sache aus dem Jahre 1941 war inzwischen längst Gras gewachsen. Das Experiment mit der Französin hatte sich für die Geheimorganisation gelohnt, denn bald wurde Foussier in der Normandie zur einer Schlüsselfigur im Kampf gegen die deutsche Besatzungsmacht.

In dieser Nacht vom 27. auf den 28. Februar 1944 tigerte die Agentin wie ein gefangenes Raubtier in ihrem Zimmer auf und ab. Eigentlich sollte sie einen wichtigen Funkspruch nach Milton Hall absetzen. Aber die Zentrale dort hatte sie angewiesen, die Sendezeit um eine volle Stunde zu verschieben. Nach Möglichkeit sollten alle Agenten in Frankreich ihre Meldungen zwischen 23:00 und 24:00 Uhr durchgeben. Um diese Zeit herrschte bei den Deutschen Hochbetrieb. Ein geheimer Agentensender fiel dann kaum auf. Zudem hatte die SOE ihren Leuten empfohlen, keinesfalls länger als vier Minuten zu senden, denn wer länger am Drücker blieb, lief Gefahr, von den deutschen Abhörtrupps angepeilt zu werden, denn die Männer vom Funkabhördienst verstanden ihr Handwerk.

Foussier warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. In zehn Minuten musste sie spätestens, ob die wollte oder nicht, den Spruch in Morsezeichen abschicken. Die junge Frau verwünschte ihre Vorgesetzten. Diese wussten doch ganz genau, dass es die gefährlichste und ungünstigste Sendezeit war, denn nach Mitternacht schwiegen alle deutschen Funkstationen. Das bedeutete aber nicht, dass die Peilstationen deshalb ebenfalls ihren Betrieb einstellten. Ganz im Gegenteil, gerade diese Burschen legten sich dann auf die Lauer, um die Widerstandssender zu lokalisieren.

Einen Steinwurf weit entfernt von Foussiers Zimmer lag das Château D'agneaux. Dort brannten alle Lichter. Plötzlich ertönten Motorengeräusche und ein Fahrzeug näherte sich in schneller Fahrt dem Schloss. Die junge Frau erkannte schon am Geräusch den Wagen des Generals. Scheinwerfer rissen jetzt die Dunkelheit auf und schließlich bog der schwarze Opel Kapitän in die Schlosseinfahrt ein. Der Doppelposten räumte rasch die Spanischen Reiter zur Seite. Langsam rollte der Wagen in den Innenhof und wurde vom Fahrer vor der großen Steintreppe angehalten, wo Marcks ausstieg. Die Agentin konnte die Szenerie mit ihrem kleinen Fernglas mühelos verfolgen und die schlanke, hagere Gestalt mit dem Krückstock deutlich im Licht der vielen Lampen erkennen.

Es war mittlerweile 00:10 Uhr geworden. Die Französin stieß einen leisen Fluch aus. Sie hatte unnötigerweise Zeit vergeudet, diese sogar um ganze zehn Minuten überschritten. Die Agentin stürzte an das Gerät und stellte die Wellenlänge ein. Der Funktext bestand nur aus vier Sätzen. Drüben im Schloss wurden jetzt die Lichter gelöscht. Marcks hatte sich zur Ruhe begeben. Auch Foussier legte sich wieder in ihr Bett. Von dort aus konnte sie den mit Scheinwerfern angestrahlten Stacheldrahtzaun sehen, der das Château D'agneaux hermetisch von der Außenwelt abschirmte.

Um 02:30 Uhr wurde sie auf einmal aus dem Schlaf gerissen und sprang mit einem Satz aus dem Bett. Durch die Nacht brummten Flugzeugmotoren, wummerte Geschützfeuer und hallten dumpfe Detonationen. Foussier trat an das Fenster und sah in die Nacht hinaus. Sie spähte umsonst nach grellen Explosionsblitzen in Saint-Lô. Aber wenn sie sich nicht täuschte, kamen diese Geräusche aus nordöstlicher Richtung, wo die Nordküste lag.

Die junge Frau hatte die Zeit gestoppt. Der ganze Vorfall dauerte achtzehn Minuten und vierzig Sekunden. Danach trat wieder Ruhe ein. Sie notierte natürlich den Vorgang, legte ihm aber wenig Bedeutung bei. Wahrscheinlich handelte sich um einen nächtlichen alliierten Luftangriff. So etwas kam immer wieder vor.

Als im Château D'agneaux jedoch wieder die Lichter angingen, wurde Foussier stutzig. Die Posten vor der Einfahrt wurden um weitere drei Männer verstärkt und alle Zusatzscheinwerfer im Sperrraum eingeschaltet. Sekunden später kamen General Marcks, ein Adjutant und zwei Ordonnanzoffiziere auf die Veranda. Sie waren angekleidet und sahen in den Himmel Richtung Bayeux. Sie hörte erregtes Palaver, konnte aber kein Wort verstehen. Anschließend verschwanden die deutschen Offiziere wieder im Schloss.

Es vergingen mehrere Minuten, dann wurden plötzlich Motoren angeworfen. Aus dem Seitenhof fuhr der Opel Kapitän vor. Hinter ihm zwei Kräder mit Beiwagen, auf denen Maschinengewehre montiert waren. Kaum waren der Generalswagen sowie die Kräder vorgefahren, trat Marcks aus dem Schlosseingang. Ihm folgten der Adjutant und die beiden Ordonnanzoffiziere. Der Cheffahrer riss den Wagenschlag auf, worauf Marks und seine Begleitung einstiegen. Mit durchdrehenden Reifen jagte die Kolonne durch die Einfahrt und bog schließlich auf die Hauptstraße ein.

Für Foussier gab es keinen Zweifel mehr, dass etwas Alarmierendes passiert sein musste. Zuerst die schwachen Flugzeuggeräusche am Himmel, das mysteriöse Geschützfeuer, die Detonationen und schließlich der hektische Aufbruch des Generals, der wegen einer Lappalie seine Nachtruhe ganz gewiss nicht opfern würde.

Eine halbe Stunde später klopfte es an der Haustür, zuerst zaghaft, dann eindringlicher. Die Französin lief rasch die Treppe aus dem zweiten Stock hinunter, trat an die Tür und schob fast geräuschlos den Riegel zur Seite.

»Ich bin es, Adrien«, sagte eine Stimme leise aus der Dunkelheit heraus.

»Komm rein«, forderte sie ihren nächtlichen Besucher auf.

Adrien Boisselier war Verbindungsmann zu den Widerstandsgruppen in Saint-Lô. Er unterhielt unweit der Stadt eine kleine Funkstation, deren Reichweite sich allerdings nur auf die Normandie beschränkte.

»Was willst du hier? Hast du den Verstand verloren?«, herrschte sie den Mann an. »Habe ich dir nicht tausendmal gesagt, du sollst dich nachts nicht aus deinem Versteck rühren?«

»Das hast du weiß Gott schon hundert Mal gesagt, aber ich habe dir etwas Interessantes zu erzählen, Claudine.«

Boisselier atmete schwer. Er musste wohl schnell mit seinem Fahrrad gefahren sein.

»Komm mit nach oben, aber trample nicht wie ein Elefant herum. Verstanden?«

Als beide in Foussiers Zimmer angelangt waren, ließ er sich ächzend auf einen Stuhl fallen.

»Hast du vorhin den Krach gehört?«

Sie nickte.

»Was war denn los?«

»Auf das Bayeux hat es einen britischen Luftangriff gegeben.«

»Was?«, erwiderte sie überrascht und starrte den Mann entgeistert an. »Die Briten haben die Stadt bombardiert, sagst du?«

»Die Flugzeuge belegten den deutschen Flugplatz mit einem Bombenteppich. Du weißt schon, dort landeten gestern Abend mehrere Transportflugzeuge. Dahinein warfen sie ihre Bomben. Die erste Welle erwischte gleich eine mit Munition beladene Maschine, die in die Luft flog und eine andere gleich mit zur Hölle nahm. Du kannst dir nicht vorstellen…«

Die Agentin war an das Fenster getreten und blickte nachdenklich in die Nacht hinaus. Das also war es. Nun war ihr klar, warum Milton Hall gestern von ihr wissen wollte, wann die deutschen Flugzeuge ankamen. Es handelte sich um einen gezielten Angriff, der nichts anderem diente, als die Deutschen unruhig und unsicher zu machen. Für Foussier war es kein bedeutender Vorfall. Was sie mehr interessierte, war die Frage: Woher wusste Boisselier über das Ereignis so gut Bescheid?

»Dich lässt das wohl alles kalt, wie?«, wandte er sich enttäuscht und zugleich ärgerlich an die junge Frau. »Verflucht, was muss eigentlich noch alles passieren, um dich aus der Fassung zu bringen?«

Sie drehte sich mit einem Ruck zu ihrem Verbindungsmann um.

»Sag mal, woher weißt du das alles, Adrien? Von deinem Versteck in La Longue Maison kannst du wohl kaum die Vorgänge gesehen haben.«

Es dauerte einige Sekunden, bis dieser mit der Sprache herausrückte.

»Clément Granville hat es mir gefunkt.«

»Wann funkte dich er an?«, fragte sie ihn überrascht.

»Genau weiß ich es nicht. Es muss gegen 02:45 Uhr gewesen sein«, antwortete Boisselier.

»Da haben wir es! Ab Mitternacht herrscht in der Normandie absolute Funkstille. Kapierst du immer noch nicht, worum es geht?«, brummte Foussier.

»Verdammt, Claudine, nun mal den Teufel nicht an die Wand«, erwiderte er gereizt.

»Wie lange funkte er?«, sagte sie und beobachtete ihn scharf. »Fünf, sieben, zehn, oder mehr als zehn Minuten?«

»Ich habe nicht auf die Uhr gesehen. Aber es kann sein, dass es länger als zehn Minuten waren«, gab er kleinlaut zu.

»Dieser verfluchte Idiot«, stieß sie zornig hervor.

Es war immer dasselbe. Zuerst ging alles gut und sie spurten. Aber wenn längere Zeit nichts passierte, wurden die Verbindungsleute leichtsinnig.

»Clément hat sich sicher nichts dabei gedacht«, versuchte er seinen Kameraden zu verteidigen und sah sie fragend an. »Was passiert jetzt, Claudine?«

»Du begibst dich sofort zu ihm. Und zwar auf dem schnellsten Weg. Es kommt auf jede Minute an. Er soll seinen Posten räumen und sich sofort auf den Weg nach Saint-Jean-des-Baisants machen. Wenn ihm die Deutschen noch Zeit lassen, soll er das Funkgerät abbauen und mitnehmen, anderenfalls zerstören. Hast du mich verstanden, Adrien?«

Boisselier nickte. Dann schob sie ihn zur Zimmertür hinaus.

»Nimm den rückwärtigen Ausgang«, befahl sie. »Und bleib in deinem Versteck, bis ich mich wieder melde. Komm auf keinen Fall hierher. Und wenn es Tage dauern sollte.«

Nachdem der Mann gegangen war, schaltete die Agentin ihr Funkgerät ab und brachte es in ein Versteck. Anschließend zog sie sich um und verließ zwanzig Minuten später das Haus auf demselben Wege wie ihr Besucher. In ihrer Rocktasche befand sich ein Sonderausweis, der es ihr erlaubte, Tag und Nacht alle Kontrollposten zu passieren.

Kapitel 2

 

Haus von Jean-Paul Beauvois,

Saint-Jean-des-Baisants, Frankreich

 

Die junge Frau brachte den Weg zu einer französischen Gemeinde, unweit Saint-Lô, nur auf den von Einheimischen bekannten Schleichpfaden hinter sich. Erst als es hell und die allgemeine Ausgangssperre aufgehoben war, bog die Französin vom Pfad ab und betrat die Straße. Dank der Hilfsbereitschaft eines deutschen Lastwagenfahrers erreichte Foussier gegen 06:30 Uhr die kleine Ortschaft. Dort begab sie sich unverzüglich zu Jean-Paul Beauvois, ihrem Stellvertreter, der seine Chefin schon mit Ungeduld erwartete.

»Hast du Nachricht aus England erhalten?«, erkundigte sich die Agentin, als diese ihm gegenüber saß.

»Ja. Sie gaben die Anweisung, dass du bis zum Abend hierbleiben und einen wichtigen Funkspruch abwarten sollst«, antwortete er und goss ihr ein Glas französischen Rotwein zur Stärkung ein. »Die zweite Nachricht wird für dich bitter sein, Claudine.«

Sie blickte den schlanken Mann interessiert an.

»Hat es etwas mit Clément zu tun?«

Er nickte.

»Die Deutschen haben sein Versteck entdeckt.«

Der jungen Frau war nicht anzumerken, ob sie diese Nachricht traf oder nicht. Ihr Gesichtsausdruck war konzentriert und beherrscht.

»Granville hatte großes Glück«, fuhr Beauvois in seinem Bericht fort. »Er konnte fliehen, musste aber seine Funkanlage sprengen. Soviel ich weiß, wurde er von Adrien gewarnt. Als ich es erfuhr, bekam ich einen heillosen Schrecken. Ich verstehe das alles nicht.«

»Ich werde es dir erklären«, erwiderte Foussier und trank in einem Zug das Glas Wein aus, bevor sie Beauvois über den nächtlichen Vorgang in Bayeux berichtete.

Kapitel 3

 

SOE-Einrichtung, Sektion F,

Milton Hall, England

 

Im fernen England lief gerade Captain Horace Fuller, der Stellvertreter von Major Buckmaster, mit einem Becher heißen Tee durch den Korridor des alten englischen Schlosses Milton Hall und trat ohne anzuklopfen in Lieutenant Williams Arbeitszimmer ein.

»Morgen, Anthony. So früh bereits bei der Arbeit?«

Der junge Mann saß an seinem Schreibtisch und schob eine dicke Akte in den Ablagekorb. Er nickte, als Fuller auf ihn zukam.

»Ist der Major schon wieder da?«

»Noch nicht, Sir.«

»Ob ihm etwas dazwischen gekommen ist?«

»Verspätungen sind nichts Ungewöhnliches, Sir«, erwiderte Williams. »Es könnte am Wetter liegen. Um diese Jahreszeit ist der Morgennebel oft sehr dicht.«

Der Lieutenant wartete Fullers Antwort nicht ab, sondern begann weiterhin einen Stapel Papiere zu ordnen.

»Übrigens. Anthony. Wissen Sie vielleicht, weshalb er gestern nach London gefahren ist?«

»Nein, Sir. Aber ich vermute, es könnte mit der Operation ‘Oberon‘ zu tun haben.«

»Arbeiten Sie etwa daran?«

»Soweit es möglich ist, Sir. Die entscheidenden Fakten fehlen mir noch, wie Sie wissen.«

»Natürlich«, meinte Fuller. »Sind neue Informationen eingetroffen?«

»Nein, Sir. Nur das hier…«

Williams klappte eine rote Mappe auf und holte ein schwarzweiß Foto hervor. Es zeigte eine gestochen scharfe Luftbildaufnahme, zwanzig mal zwanzig Zentimeter groß. Der Captain betrachtete die Aufnahme.

»Ein fabelhaftes Foto«, lobte er. »Ist das die neueste Aufnahme vom Château D'agneaux?«

»Die allerneueste sogar, Sir. Das Foto wurde vor zwei Tagen von einem unserer Aufklärer gemacht.«

»Ein toller Prachtschuppen dieses Schloss«, sagte Fuller. »Wie ich sehe, hat sich an den äußeren Umständen nichts geändert. Die Deutschen sind dort nach wie vor.«

Der Captain legte das Foto auf den Schreibtisch zurück, dann begann er im Zimmer grübelnd auf und ab zugehen. Es schien sich offenbar in Gedanken mit ‘Oberon zu beschäftigen, einem streng geheimen Unternehmen in der besetzten Normandie, das nicht nur ihm schlaflose Nächte bereitete.

»Darf ich fragen, ob der Major oder Sie schon eine Wahl getroffen haben, wer die Operation leiten wird?«, fragte der Lieutenant seinen Vorgesetzten.

Fuller trank einen Schluck von seiner Tasse Tee.

»Ein bisschen viel Fragen auf einmal, Anthony. Aber die Zweite kann ich Ihnen beantworten, ohne mich einer Verletzung des Amtsgeheimnisses schuldig zu machen. Es ist ein guter Mann, einer unserer besten.«

»Verbindlichsten Dank für die ergiebige Auskunft«, antwortete Williams spottvoll. »Jetzt weiß ich Bescheid.«

»Haben Sie noch Kekse?«

»Ja, Sir. Sie finden welche in der Büchse auf dem Regal«

Fuller ging dorthin und wollte eben den Dosendeckel öffnen, als unten vor dem Haupteingang auf einmal ein Wagen vorfuhr. Williams stand von seinem Stuhl auf, marschierte an das Fenster und blickte hinaus. Dann wandte er sich zu Fuller um.

»Sir, der Chef ist eingetroffen.«

Wenig später stand Major Maurice Buckmaster, Leiter der Sektion F, im Büro.

»Guten Morgen allerseits«, sagte er zur Begrüßung.

Dann ging der SOE-Führungsoffizier sofort weiter in sein Arbeitszimmer nebenan. Dort legte er seine schwarze Aktentasche auf den Schreibtisch, setzte sich in seinen Ledersessel und zündete sich eine Zigarette an. Fuller, der dem Major durch die offengelassene Tür gefolgt war, ließ sich auf einem der beiden Stühle vor dem Tisch nieder und blickte Buckmaster neugierig an.

»Wie war es in London, Sir?«

»Nun, ich habe sowohl mit Mister Dalton als auch mit Sir Gubbins gesprochen.«

Hugh Dalton war britischer Minister für Wirtschaftskriegführung und ziviler Chef der SOE, während Sir Colin Gubbins die militärischen Belange der Geheimorganisation vertrat.

»Und wie steht es mit der Sache ‘Oberon‘?«

»Sehr gut, die Operation wurde genehmigt. Wir haben ab sofort freie Hand, mit allen damit verbundenen Konsequenzen selbstverständlich. Gubbins misst der Aktion allergrößte Bedeutung bei. Es war nicht schwer, ihn zu überzeugen, denn er sieht die Sache vom militärischen Standpunkt aus. Ich versicherte ihm, dass wir das Unternehmen umgehend starten und zum Abschluss bringen werden.«

Der Major drückte die Zigarette, die ihm offensichtlich nicht mehr schmeckte, sorgsam im Aschenbecher aus.

»Dalton ist grundsätzlich, um das vorwegzunehmen, mit unserem Plan einverstanden. Nur glaubt er, unser Truppführer sei für so einen gefährlichen und wichtigen Auftrag zu jung.«

»Zu jung? Das verstehe ich nicht, Sir«, meinte Fuller irritiert.

»Tja, der Minister hat manchmal solche Vorurteile«, entgegnete der Major achselzuckend. »Aber ich legte ihm dar, dass unser Mann alle jene Eigenschaften besitzt, die für die Aktion notwendig sind. Dennoch bestand er darauf, dass wir einen erfahrenen Offizier nehmen. Ich sagte, alle Männer stünden bereits fest und nannte ihm die Namen. Dalton stellte daraufhin prompt die Frage, wie alt diese Leute denn seien. Ich sagte, dass sie noch um einige Jahre jünger sind, als Nummer eins.«

»Und wie gelang es Ihnen doch noch ihn zu überzeugen, dass unsere Wahl richtig ist?«

»Indem ich ihm die Personal- und Einsatzakten unserer Männer vorlegte. Er studierte sie eingehend und mit der für ihn typischen Sorgfalt. Dann sah er mich an und meinte: Nun gut, meinen Segen haben Sie. Lassen Sie meinetwegen das Ding von diesen jungen Burschen drehen. Aber das eine prophezeie ich Ihnen jetzt schon. Geht die Sache schief, können Sie Ihren Abschied einreichen, Major.«

»Das meinte Dalton gewiss nicht ernst, Sir«, versuchte der Captain diese Androhung zu bagatellisieren.

»Sie irren sich, mein Lieber. Der Minister meinte es bitterernst. Und er hatte recht. Bedenken Sie einmal, was wirklich auf dem Spiel steht. Wenn wir in dieser Sache vermasseln, setzen wir nicht nur das Leben von vier hervorragenden SOE-Offizieren aufs Spiel, sondern werden auch zum Gespött bei unseren Verbündeten. Ich kann mir bereits vorstellen, was Winston Churchill dazu sagen würde.«

»Was

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Oliver M. Pabst
Bildmaterialien: Oliver M. Pabst
Cover: Oliver M. Pabst
Lektorat: Korrekturen.de Julian von Heyl
Korrektorat: Korrekturen.de Julian von Heyl
Tag der Veröffentlichung: 26.01.2023
ISBN: 978-3-7554-3051-3

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