Der Roman ist eine Erfindung des Schriftstellers. Die Charaktere der Handlung sind frei erfunden. Irgendwelche Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Ereignissen, lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig.
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Im winterlichen Anchorage wurde das Stadtoberhaupt ermordet. Das Team der Violent Crime Unit des Police Department beginnt mit seinen Ermittlungen und vermutet einen Racheakt. Doch dann erfahren diese von einem Informanten, dass viel mehr hinter dem Mord des Bürgermeisters steckt. Gemeinsam mit einem Kollegen kommen sie einer Gruppe von Verschwörern auf die Spur, die eine geheime Spionageoperation aus den Siebzigern vertuschen...
Flug 23,
Nordpazifik,
Alaska, Vereinigte Staaten
Winter 1972
Pünktlich um 06:30 Uhr wurde das silberne Passagierflugzeug der Alaska Shuttle Airlines für die Vorbereitung auf den Flug von Anchorage nach St. Lawrence Island in der Beringsee aus dem Hangar am Flughafen rangiert. Die Wartungsarbeiten waren abgeschlossen, nun wurde das über zehn Meter lange Luftfahrzeug aufgetankt. In der Zwischenzeit wurde das Gepäck verladen und die Piloten gingen im Cockpit die Checkliste durch, während die Passagiere an Bord kamen, welche mit einem Bus vom Terminal zur Maschine gebracht wurden. Nach der Betankung fuhr der Tankwagen davon, um das nächste Flugzeug zu befüllen. Eine Stunde später, als auch das Gepäck verladen war, hob die Maschine von der Startbahn ab und brach mühelos durch die morgendliche Wolkendecke. Bei dem Flugzeug handelte es sich um eine Beechcraft King Air 350, ausgestattet mit zwei leistungsstarken Turbopropmotoren. Sie galt als eines der zuverlässigsten in Verwendung stehenden Luftfahrzeuge, abgesehen von jenen Maschinen, mit denen die Piloten der U.S. Air Force flogen.
Der Flug 23 beförderte elf Zivilisten, inklusive einer dreiköpfigen Besatzung. Die meisten Passagiere machten es sich mit Zeitungen oder Heften auf ihren Sitzen bequem, während sich die Maschine langsam auf 9.000 Meter empor stieg. Als die King Air 350 ihre Reiseflughöhe erreicht hatte und in den Horizontalflug überging, ertönte die Stimme des Kapitäns über den Lautsprecher, um die Fluggäste zu begrüßen. Der Copilot hatte eine Flugzeit von eine Stunde siebenundvierzig Minuten errechnet. Nach knapp einer Stunde erschienen auf dem Bordradar zwei Punkte an Steuerbord, nordwestlich vor dem zivilen Flugzeug.
»Ich habe drei nicht identifizierte Kontakte, sechzig Meilen backbord. Sie nähern sich uns mit hoher Geschwindigkeit«, sagte der Kapitän.
»Wer kann das sein?«, fragte der Copilot.
»Keine Ahnung, aber wir sind nicht sehr weit vom russischen Luftraum entfernt. Vielleicht lassen die Kerle wieder ihre Muskeln spielen. Trotzdem, wahrscheinlich kein Grund zur Beunruhigung.«
Er schaltete den Autopiloten aus und drückte die Steuersäule sachte nach rechts. Sekunden später stabilisierte sich die Beechcraft King Air 350 auf dem neuen Kurs.
»Scheiße, wir werden von einem Zielradar erfasst!«, fluchte der Flugzeugführer, riss die Gashebel bis zum Anschlag zurück und drückte die Steuersäule hastig in eine Rechtskurve.
»Was ist los?«, fragte der Copilot irritiert.
»Wir bekommen gleich Gesellschaft! Löschen Sie die Lampen. Auch wenn es reine Zeitverschwendung ist. Diese Mistkerle haben radargesteuerte Waffen an Bord.«
Der junge Mann schaltete die Positionslampen und die Anti-Kollisionslichter aus.
»Wer zum Teufel ist das?«, fragte er erneut. »Soweit ich weiß, führen wir doch gerade mit niemandem hier Krieg.«
»Wen interessiert das? Wir müssen schleunigst von hier verschwinden. Geben Sie unsere Position nach Anchorage durch und sagen Sie, dass uns zwei unidentifizierte Flugzeuge abfangen wollen.«
Der Copilot ging auf die zivile Notfallfrequenz, begann in das Mikrofon zu sprechen und verstummte beinahe augenblicklich wieder.
»Was ist?«, fragte der Pilot.
»Sie wird blockiert. Da liegt ein Störton darauf, oder irgendein Funksignal wird darüber gelegt. Ich komme nicht durch.«
»Versuchen Sie eine andere!«
Er versuchte sein Glück auf vier, schließlich sechs weiteren Frequenzen, sowohl auf UHF als auch VHF, doch das Ergebnis war jedes Mal dasselbe. Schließlich der Copilot den Kopf.
»Sind alle blockiert. Diese Maschinen müssen ein ECM-Störgerät an Bord haben.«
Das Gesicht des Kapitäns wurde unübersehbar bleich in der dämmrigen Kabinenbeleuchtung.
»Das sind wirklich schlechte Nachrichten. Das bedeutet, sie wollen nicht, dass wir jemandem erzählen können, was hier oben passiert.«
»Können wir ihnen entkommen?«, fragte der Copilot besorgt.
»Keine Ahnung. Wir fliegen Höchstgeschwindigkeit. Mehr können wir nicht aus der Kiste…«
Der Kapitän wurde von einem harten Schlag mit einem grellen Feuerblitz auf der Backbordseite des Flugzeugs unterbrochen. Auf der Instrumententafel flammten rote Warnlichter auf, Nadeln rotierten wie verrückt und die Maschine bockte heftig.
»Wir wurden getroffen!«, schrie der Kapitän. »Eine Rakete hat das linke Triebwerk erwischt! Betätigen Sie die Feuerlöscheinrichtung!«
Der Copilot drückte die entsprechenden Knöpfe, während der Flugzeugführer sich gegen die Steuersäule stemmte. Nachdem eines der zwei Propellertriebwerke zerstört worden war, verlor die King Air 350 sofort die Balance, weil das Flugzeug nach rechts drückte. Die Feuerlöscher erstickten die Flammen mit Schaum, aber Hydraulikflüssigkeit und Kerosin blubberten aus den zerfetzten Leitungen, sie wurden vom Sog sofort mitgerissen.
»Wir verlieren an Höhe! Der Kabinendruck fällt!«, meldete der Copilot.
Der Zeiger des Höhenmessers raste über das Zifferblatt, während das Passagierflugzeug nach unten raste. Raketensplitter hatten nicht nur das linke Triebwerk zerstört, sondern auch ein fünfzig Zentimeter großes Loch in den Flugzeugrumpf im hinteren Teil der Kabine gerissen. Sauerstoffmasken fielen aus den Handgepäckfächern über den Köpfen der geschockten Passagiere. Im Cockpit setzten die beiden Piloten die Sauerstoffmasken auf und versuchten, die Maschine wenigstens wieder halbwegs unter Kontrolle zu bekommen.
»Mayday, Mayday, Mayday!«, schrie der Copilot automatisch in sein Mikrofon, bis er den Peilton in seinen Kopfhörern registrierte und begriff, dass niemand seinen Notruf hören würde.
In 2.000 Meter Höhe konnte der Kapitän die Maschine abfangen, sodass sie mehr oder weniger geradeaus nach Nordosten weiterflog.
»Wie weit sind wir von der nächsten Landmasse entfernt?«, presste er hervor.
Der Copilot hatte bereits die Navigationskarten entfaltet. Er benutzte seine gespreizten Finger als ungefähren Maßstab und kalkulierte die Entfernungen.
»Bis zur Küste sind es über sechzig Meilen«, sagte er.
»Falls wir diese Kiste überhaupt so lange in der Luft halten können und nicht vorher ins Meer abschmieren«, knurrte der Kapitän.
Er drückte vorsichtig die Steuersäule weiter nach rechts, trat auf das Ruderpedal und reduzierte behutsam den Schub des Steuerbordtriebwerks. Die Maschine reagierte schwammig und ungenau, die leichte Kursänderung kostete sie weitere fünfhundert Meter Flughöhe.
»Und, was entscheidender sein dürfte, falls die Piloten dieser Kampfjets uns so weit überhaupt kommen lassen.«
Der Copilot behielt die Instrumente im Auge. Überall blinkten rote und orangefarbene Warnlichter sowie Warnhinweise auf.
»Das Feuer ist aus«, verkündete er. »Das ist die gute Nachricht. Die schlechte ist, wir verlieren Kerosin. Unsere Tanks dürften in zehn Minuten staubtrocken sein. Und noch viel übler ist, dass wir Hydraulikflüssigkeit verlieren.«
»Ich wäre schon glücklich, wenn wir so weit kämen. Teilen Sie unseren Passagieren die Neuigkeiten mit«, befahl der Kapitän.
Noch während der Kopilot den Kabinenfunk einschaltete, zischten einige Leuchtspurgeschosse mit lautem Heulen an der linken Seite des Cockpits vorbei. Die beiden Männer spürten den Aufprall, als sie in den Backbordflügel einschlugen und die Verkleidungsbleche zerfetzten, die im Fahrtwind flatterten. Das Querruder sowie die Klappen wurden weggerissen. Dann hoben sich die letzten drei Meter des Flügels nach oben und klappten nach hinten, bevor dieser ganz abriss und hinter dem Flugzeug verschwand.
Die beiden Männer im Cockpit waren machtlos. Die King Air 350 verlor praktisch sämtlichen Auftrieb unter ihren zerfetzten Flügeln, kippte unaufhaltsam über die Steuerbordseite und trudelte immer schneller auf das Meer zu. Sie stemmten sich mit aller Macht gegen ihr Schicksal, aber wussten, dass es für sie nur eine Richtung gab. Abwärts. Weder die zuverlässigste Luftfahrttechnik noch die außergewöhnlichsten Flugkünste konnten die grausame Wahrheit negieren, mit der alles Leben an Bord der beschädigten Maschine konfrontiert war: Sie alle würden schon sehr bald sterben. Und wie es bei nahezu allen Flugzeugabstürzen der Fall ist, sollten die Piloten als erste diese Welt verlassen. Nur den Bruchteil einer Sekunde später würden alle übrigen Menschen folgen.
»Gott, wir stürzen ab!«, brüllte der Kapitän.
Während die glitzernde Oberfläche des Nordpazifiks auf sie zuraste, sah er einen dunklen Umriss eines Flugzeuges an Backbord, der mit ihnen sank und schüttelte fassungslos den Kopf.
»Eine russische MIG-21!«
Im nächsten Augenblick krachte die Beechcraft in Sichtweite einer Insel auf die Wasseroberfläche. Der Aufprall ähnelte dem auf Beton. Der Rest des rechten Flügels und die Nase des Flugzeugs schlugen fast gleichzeitig auf. Er tötete die Männer im Cockpit auf der Stelle. Die Maschine überschlug sich und landete auf dem Bauch, lief rasend schnell voll Wasser und versank. Trümmerstücke stiegen an die Oberfläche und markierten ihr Grab. Aber es tauchten weder überlebende Passagiere, noch Leichen auf.
Ein russischer Abfangjäger, welcher der King Air 350 bis zum Aufprall gefolgt war, kreiste fünf Minuten über der Absturzstelle. Der Pilot suchte sorgfältig das Meer ab. Er hielt dabei seinen Daumen unablässig über dem Feuerknopf der Bordkanone. Schließlich sicherte dieser seine Waffen, schob den Schubregler vor und ging in einen steilen Steigflug, bevor die beiden Düsenjäger in westlicher Richtung davon rasten.
CIA-Hauptquartier,
Langley, Virginia,
Ostküste, Vereinigte Staaten
Gegenwart, 46 Jahre später
Das Büro des CIA-Direktors im obersten Stockwerk war geräumig, hell und geräumig. Von dort aus hatte man ungehinderten Blick auf die Wälder von Virginia, die den Gebäudekomplex des Hauptquartiers umgaben. Der massige Mann in dem anthrazitgrauen Anzug auf seinem ledernen Bürosessel hatte keinen Blick für die Schönheiten der Natur. Seine Aufmerksamkeit war ausschließlich auf einige Schwarzweißaufnahmen gerichtet, die auf dem großen und beeindruckenden Schreibtisch vor ihm lagen. Abgesehen von den Fotos und drei Dokumentenablagen aus Stahlgeflecht befanden sich nur noch zwei Telefone und eine silberne Schreibgarnitur auf der Tischplatte. Ein aufgeräumter Schreibtisch, daran glaubte er, verriet einen ordentlichen und organisierten Verstand.
Neben dem Mahagonitisch stand eine speziell angefertigte Computerkonsole, von der aus er direkten Zugang zu den umfassenden Datenbanken der CIA, zum Internet und zu einer Vielzahl anderer Datenquellen hatte, einschließlich der größten Pressedienste. Robert Dewey hatte fünf Fotos in einem Halbkreis ausgelegt, in chronologischer Reihenfolge. Die sechste Aufnahme hatte er aussortiert. Sie war beim Überflug eines Überwachungssatelliten gemacht worden und zeigte ein offenes, anscheinend unbemanntes Boot. Und genau dieses Bild hatte den Direktor alarmiert und beunruhigt. Vor allem, nachdem er die präzise geografische Lage überprüft hatte, die der Überwachungssatellit mitgeliefert und auf den oberen Rand jedes Fotos gedruckt war. Die nächsten Überflüge über dieses Gebiet hatten kein Resultat ergeben.
Eine kurze Zeit hatte der Mann gehofft, ja fast geglaubt, dass das erste Foto ein vereinzeltes Vorkommnis ohne Bedeutung gewesen war. Doch bei einem weiteren Überflug über das Zielgebiet hatte der Satellit die restlichen fünf Bilder geschossen, im Abstand von jeweils zehn Sekunden. Oberflächlich betrachtet waren sie sehr ähnlich. Fast in der Mitte jedes Bildes befand sich der Umriss eines offenen Bootes mit einem kleinen Ruderhaus am Heck. Der Nachrichtendienst schätzte die Länge des Kahns auf knapp über achtzehn Fuß. Jedes Foto war von den Analytikern mit Anmerkungen versehen worden. Die meisten Bezeichnungen verstanden sich von selbst, Ruderhaus, Taue, Klampen, Radarreflektoren, Reifen, die als Fender dienten und so weiter. Er musste jedoch den Analytikern glauben, dass die undeutlichen, länglichen Umrisse an beiden Seiten des Bootes in der Nähe des Hecks Gestelle für Tauchgeräte waren. In jedem lag ein Set von zwei Flaschen. Auf den beiden ersten Fotos beugte sich der Schiffer über den Rand des Bootes und griff nach etwas oder zog etwas hinein. Bis er das dritte Foto betrachtete, glaubte er noch, dass es sich um einen falschen Alarm handelte und er nur einen Fischer sah, der eine Krabbenreuse an Bord zog. Als er jedoch eine Seekarte des Nordpazifiks zurate zog, begriff er, dass das Meer an dieser Stelle viel zu tief war, als dass Krabbenfischer hier ihr Glück versuchen würden. Außerdem war auf dem dritten Foto der Umriss einer Sauerstoffflasche neben dem Mann im Boot deutlich zu erkennen. Also hatten die Analytiker recht mit ihrer Einschätzung des Bootstyps, obwohl sie weder einen Namen noch eine Nummer identifizieren konnten. Auf dem vierten Bild sah man drei Flaschensets neben der anonymen Gestalt im Boot liegen, doch die größte Sorge machte ihm das Etikett auf dem fünften Foto. Der entscheidende Unterschied zwischen diesem Foto und den vorherigen vier war der, dass sich die Gestalt nicht mehr länger über den Rand des Bootes beugte. Stattdessen hatte die Kamera des Satelliten den Mann aufgenommen, wie er gerade das Ruderhaus betrat oder daneben stand. Der Direktor beugte sich jetzt bestimmt zum sechsten Mal über dieses letzte Foto und starrte aufmerksam durch sein Vergrößerungsglas auf einen winzigen Ausschnitt. An der Seite des Bootes, über die sich der Mann zuvor gebeugt hatte, war ein winziger Höcker zu sehen. Daneben wies eine mit Tinte gezogene Linie zu dem Etikett, auf dem einfach nur stand: ‘Leine in Wasser und an Klampe vertäut‘. Was möglicherweise bedeutete, dass etwas am Ende der Leine hing, das sich noch unter Wasser befand. Er studierte Foto durch sein Vergrößerungsglas, als das Telefon klingelte.
»Hier spricht der diensthabende Analyst des Nachrichtendienstes, Sir. Wir haben etwas Neues. Beim letzten Überflug des KH-11 befand sich das Boot nicht mehr in dem Gebiet. Wir haben eine großflächige Aufnahme von dem Gebiet geschossen, um das Boot vielleicht irgendwo in einem Hafen ausfindig zu machen, aber das könnte schwierig werden. In dieser Gegend des Pazifiks wimmelt es von Booten wie dem fraglichen. Es dürfte die sprichwörtliche Suche in einem Heuhaufen sein.«
»Befanden sich zwischen den Überflügen des Satelliten noch andere in Reichweite?«
»Nein, tut mir leid. Die Gegend hat nur eine niedrige Priorität.«
»In Ordnung, versuchen Sie Ihr Bestes. Ich erkläre die Identifizierung und das Auffinden des Bootes zur Priorität zweiter Klasse. Benutzen Sie alle möglichen Quellen, aber leiten Sie keine anderen Satelliten von ihren normalen Bahnen um.«
»Verstanden, Sir.«
Nachdem Dewey den Hörer aufgelegt hatte, beugte er sich wieder über die Fotos. Das fünfte Bild war aus einem etwas flacheren Winkel gemacht worden, weil sich der Satellit in dem Augenblick von seinem Ziel entfernte. Paradoxerweise war die Aufnahme dadurch klarer als die anderen Bilder, weil die Sonne nicht mehr von der Wasseroberfläche direkt in die Kameralinse reflektiert wurde. Natürlich glitzerte die Meeresoberfläche immer noch von den Reflexionen der kleinen Wellen, aber der Bereich um die Backbordseite des Bootes war relativ dunkel. Dicht neben dem vom Nachrichtendienst als vertäute Leine identifizierten auswuchs, schimmerte ein kleiner, heller Fleck im Wasser. Für das bloße Auge wirkte es entweder wie eine ungewöhnlich rechteckige Welle oder wie etwas Metallisches, das unter der Oberfläche schwebte. Er nahm erneut ein Vergrößerungsglas in die Hand und blickte konzentriert hindurch. Jetzt konnte er erkenne, was es war. Die Vergrößerung zeigte eindeutig das Wrack einer Beechcraft King Air 350 bei Sledge Island im Wasser schimmern.
Dewey suchte im Datenbankarchiv irgendwelche Berichte über eine verschwundene Maschine diesen Typs. Er fand drei Dateien, die als vertraulich klassifiziert waren. Diese bezogen sich auf denselben Unfall. Ein Passagierflugzeug war 1972 irgendwo über dem Pazifik verschwunden. Die erste Datei beinhaltete die Meldung des Verlustes, die zweite eine Zusammenstellung der verschiedenen Phasen der Suche auf der Meeresoberfläche und im dritten stand, wann die Suche ergebnislos abgebrochen worden war. Dewey druckte die Berichte aus und las sie durch.
Es war keine große logische Herausforderung, diese mit dem abgestürzten Flugzeug und dem Taucher, der das Wrack angeblich am Meeresgrund gefunden hatte, in Verbindung zu bringen. Vor allem deshalb nicht, weil bei der Operation ‘Spy Eye‘ such Flugzeuge vom Typ Beechcraft King Air 350 verwendet wurden. Aber als der Direktor die Berichte las, fiel ihm etwas auf, was nicht zusammenpasste. Die Angaben über das wahrscheinliche Absturzgebiet waren zwangsläufig ungenau, da die Maschine sich außerhalb des amerikanischen Radars befunden hatte, als sie spurlos verschwand. Die Suchteams hatten sich einfach auf das Gebiet konzentriert, in dem sich die zweimotorige Propellermaschine laut Flugplan hätte befinden sollen. Aber die Stelle, an welcher der einheimische Taucher das Wrack offenbar gefunden hatte, lag weder in der Nähe seiner vorgesehenen Route noch in dem Suchgebiet. Die Maschine lag viel weiter nördlich auf dem Meeresboden. Das ließ vermuten, dass der Pilot aus irgendeinem Grund sein Flugzeug außerhalb der Radarreichweite nach Nordosten und dann in Richtung Küste geschwenkt war. Das ergab jedoch keinen Sinn, es sei denn, er hätte sich verirrt, oder, und das war weit wahrscheinlicher, die Beechcraft wurde von russischen Kampfflugzeugen abgeschossen.
»Mein Gott«, knurrte er.
Dewey nahm den Hörer seines Telefons in die Hand. Der Apparat war in keinem Verzeichnis aufgeführt und wurde mindestens alle zwei Tage auf Wanzen überprüft. Zuerst beauftragte er ein dreiköpfiges Agententeam, dass sich unverzüglich nach Alaska begeben sollte. um alles aus dem Wrack zu bergen. Außerdem gab er den Männern den unmissverständlichen Befehl, das Flugzeug zu zerstören und die Spionagekamera samt Inhalt so rasch wie möglich ins CIA-Hauptquartier nach Langley bringen. Damit war der erste Schritt für die Rückholaktion abgeschlossen. Er hatte eine verdeckte Operation in Gang gesetzt, aber ohne die entsprechende Ausrüstung und Unterstützung wäre ihre Mission von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Anschließend arrangierte er über eine Reihe von Umwegen und sogar einige legale Kanäle alles, was das Team seiner Meinung nach brauchen würde. Eine Stunde später lehnte sich der Direktor in seinem Sessel zurück und ließ sich von seiner Sekretärin eine Tasse Kaffee bringen.
Jetzt musste Dewey nur noch seinen besten Agenten schicken, der in Alaska alles forcierte. Als CIA-Chef schützte sowohl die Firma als auch seine Karriere, wofür er bisher gearbeitet hatte. Alles andere war seiner Meinung nach zweitrangig. Er konnte und würde nicht zulassen, dass irgendwelche Einzelheiten über die Operation ‘Spy Eye‘ an die Öffentlichkeit drangen. Das wäre Dynamit mit so viel Sprengkraft, dass es die Central Intelligence Agency vollständig erledigen konnte. Daher griff er ein weiteres Mal zum Telefon.
Wohnung von Bill Davison,
Eckington, Washington D.C.,
Alaska, Vereinigte Staaten
Davison hatte bereits einen Fuß unter der Dusche, als sein Telefon klingelte. Verärgert drosch er auf den Hebel der Duscharmatur. Er hatte fünf Minuten gebraucht, um das Wasser genau auf die richtige Temperatur einzustellen. Er stieg aus der Dusch und wickelte ein großes Handtuch um seine Hüfte. Dann ging er zum Apparat, der im Schlafzimmer auf dem Nachtisch stand. Der Agent warf einen Blick auf das Display. Es zeigte die Nummer des CIA-Direktors aus Washington D.C. an und nahm den Hörer ab.
»Bill, wir haben ein Problem. Du musst sofort nach Anchorage!«, sagte Dewey ohne Einleitung am Ende der Leitung.
Etwas in dessen Ton machte Davison stutzig. Er spürte, dass es sehr wichtig sein musste, sonst hätte Dewey nicht selbst angerufen.
»Worum geht es, Robert?«
»Eines unserer Spionageflugzeuge, eine King Air 350, wurde gefunden.«
Der Agent schwieg einen Moment. Als er
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Oliver M. Pabst
Bildmaterialien: Oliver M. Pabst
Cover: Oliver M. Pabst
Lektorat: Korrekturen.de Julian von Heyl
Korrektorat: Korrekturen.de Julian von Heyl
Tag der Veröffentlichung: 29.05.2022
ISBN: 978-3-7554-1479-7
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