Cover

Vorwort des Autors

 

Dieser Roman ist eine Erfindung des Schriftstellers. Die im Buch vorkommenden Charaktere, bis auf die Darstellung einiger historischen Persönlichkeiten, sind frei erfunden. Irgendwelche Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Ereignissen, lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig.

 

Copyright-Hinweis: Sämtliche Inhalte, Fotos und Texte sind urheberrechtlich geschützt und dürfen ohne schriftliche Genehmigung des Verfassers weder ganz noch auszugsweise kopiert, verändert, vervielfältigt oder veröffentlicht werden. ©Oliver M. Pabst

 

Das Buch

 

Sommer 1943: Im Mittelmeer fallen alliierte Schiffe häufig präzisen Angriffen deutscher U-Boote zum Opfer. Die britische Funkaufklärung stellt fest, dass die Unterseeboote detaillierte Informationen von einem geheimen Sender bekommen, der sich offenbar im spanischen Hafen Cartagena befinden muss. Das SOE-Büro auf Malta erhält daraufhin den auf Auftrag, diesen feindlichen Funksender unschädlich machen...

Kapitel 1

 

Deutsches U-Boot U-73,

Westliches Mittelmeer

 

Das weite blaue Schimmern des Mittelmeers ließ keinen Gedanken daran aufkommen, dass sich die Welt im Krieg befand. Zusammen mit dem ganz ähnlichen Grau des wolkenverhangenen Himmels mutete der Anblick wie das Werk eines begabten Impressionisten an. Nichts deutete darauf hin, dass dieses Gewässer ein Schlachtfeld war, nicht weniger blutig als irgendein anderes.

Aus der fast hundert Meter langen Dünung, in der fliegende Fische von einem Schaum gekrönten Wasserberg zum anderen schnellten, ragte das Periskop der U-73 nicht weiter als die Rückenflosse eines Hais heraus. Die See ergoss sich tonnenweise über die äußere Linse. Im Innern des deutschen Unterseebootes dröhnte die Gummifassung des Okulars gegen den Schädel von Oberleutnant Horst Deckert. Trübe rote Glühbirnen erleuchteten die Zentrale, um die Augen der Besatzung an die Dunkelheit zu gewöhnen.

Die Wassermassen verschoben sich unaufhörlich. Der erste Offizier sah durch das Periskop einen tiefgrünen Nebel, die Blasen der salzigen Gischt und schließlich den blauen Morgenhimmel über dem westlichen Mittelmeer, zwischen Algier und Gibraltar. Er drehte es ganz langsam, immer nur um zwei Grad, um die eigene Achse. Nichts als Wasser und Himmel, eine aufschäumenden Welle, dann plötzlich, in neunhundert Meter südlicher Entfernung, die schwankende Silhouette eines Schiffes mit grauen, Rost gestreiftem Rumpf. Einen Augenblick lang konnte Deckert das Schiff beobachten, dann war es in einem jähen Wellental versunken. Wieder tauchte es mit rauchendem Schornstein auf der Schaumkuppe einer langgezogenen Welle auf und verschwand erneut. Deckert drehte sich dem Kommandanten von U-73 zu, Kapitänleutnant Helmut Rosenbaum.

»Sind in Position, Herr Kapitän. Rohre eins bis vier sind zum Abschuss bereit.«

»Gut, gehen wir auf die Jagd«, erwiderte der Kommandant und übernahm jetzt selbst das Periskop.

Er blickte die Linse hindurch. Da war er, der Tanker. Das große Schiff fuhr in östlicher Richtung. Der Kapitän blätterte in seinem Schiffserkennungsbuch und verglich die Umrisse des Schiffes mit der Silhouette im Buch. Darunter standen Angaben über die Geschwindigkeit, Tiefgang, Eigentümer und Tonnage.

Am Tag zuvor war U-73 zu einer vereinbarten Zeit aufgetaucht, um den Funkspruch von einem unbekannten Sender zu empfangen. Rosenbaum hatte den Auftrag erhalten, einen britischen Frachter abzufangen, der auf dem Weg von Kairo nach Gibraltar war. Und um 19:30 Uhr würde er bei Oran auf einen amerikanischen Tanker treffen. Man hatte ihm die genauen Kurse und Positionen der beiden Schiffe mitgeteilt, die ohne Begleitschutz unterwegs sein würden.

Am Morgen schickte Rosenbaum bereits den 7.453 Tonnen schweren Frachter Cassiopeia, mit einem Torpedo, in die Tiefen des Mittelmeers. Jetzt versuchte er den Tanker Dundalk zu versenken. Laut Funkspruch und Erkennungsbuch handelte es sich um ein Schiff von 16.540 Tonnen, gebaut 1940 von der Sun Shipbuilding & Drydock Company, Pennsylvania, im Besitz der North American Shipping & Trading Corporation, New York, Geschwindigkeit maximal siebzehn Knoten, siebenunddreißig Fuß Tiefgang.

Rosenbaum war erstaunt, wie präzise die Schiffsdaten der Funksprüche waren. Er wusste nicht, von wem und woher die Informationen kamen, obwohl er auf Grund der Richtung sowie Stärke der Signale annahm, dass der Sender irgendwo an der Südostküste von Spanien sein musste.

Tag für Tag ließ er zu einem anderen, vorher per Funk bestimmten Zeitpunkt, das U-Boot auftauchen. Während die Generatoren die Batterien aufluden und durch die offenen Luken frische Luft in das Boot strömte, wartete der Funker auf die nächsten Instruktionen. Die Nachrichten waren in einem Code abgefasst, der in regelmäßigen Abständen geändert wurde: dieses oder jenes Schiff, das von diesem zum anderen Hafen fuhr, werde zu einer bestimmten Zeit an Punkt X sein. Rosenbaum nahm an, dass jene Menschen, die diese Informationen sammelten, auch den Zeitpunkt des Auslaufens und weitere Details über Fracht und Leistung des Schiffes kannten, bis diese seine Position berechnen konnten, auf der das Schiff abgefangen werden sollte. Aber wie war es möglich, dass U-Boote so exakte Daten bekamen? Deutsche Agenten spionierten heimlich die Alliierten in den Häfen aus oder hörten Funksprüche und gaben ihre geheimen Informationen jede Nacht an einen Funksender weiter, ohne entdeckt zu werden. Kaum zu glauben, aber dennoch wahr. Und Rosenbaum staunte über den Mut der unbekannten Spione.

Auf Urlaub in Deutschland hatte Rosenbaum oft von Heldenmut zu Wasser und in der Luft, in Nordafrika oder an der russischen Front gehört. Für ihn aber waren die wahren Helden jene Männer oder Frauen, wer weiß, wie sie es zustande brachten, so detaillierte Schiffsdaten Stück für Stück zusammentragen konnten und diese dann ganz offen hinaus funkten.

Seit Anfang des Monats Juni 1943 hatten die Funksprüche ihm Positionen von sechs allein fahrenden alliierten Schiffen vorausgesagt, die im westlichen Mittelmeer unterwegs waren. Es handelte sich um zwei Amerikaner, zwei Briten, einem Norweger und einem Griechen. U-73 konnte sie alle versenken, ohne dass es von irgendwelchen Geleitschiffen verfolgt oder Flugzeugen bedroht wurde. Nun sollte auch die Dundalk auf die Liste der Versenkungen hinzukommen.

Rosenbaum schwenkte das ausgefahrene Sehrohr langsam um hundertachtzig Grad, für den Fall, dass sich nicht doch andere Schiffe in der Nähe befanden, denn er galt als ein vorsichtiger und erfahrener Kommandant. Er war im April 1941 mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet worden, nachdem der bei seiner zweiten Feindfahrt fünf Schiffe aus einem alliierten Konvoi versenkt hatte. Im Mai erhielt er für die Torpedierung des britischen Flugzeugträgers Eagle die Schwerter mit Brillanten zum Ritterkreuz verliehen.

Die See erstreckte sich so leer wie der Himmel. Sie waren also vor einem Vergeltungsschlag der Alliierten sicher.

»Vorhaltewinkel null Grad«, sagte Rosenbaum.

»Bestätigt«, erwiderte der erste Offizier.

Deckert, überprüfte die Schalterreihen und entsicherte die Magneten, welche mit den beiden geladenen Rohren im Bug verbunden waren.

»Torpedos, los!«, gab der Kommandant den Befehl.

Zwei Aale schossen aus den gefluteten Rohren und steuerten nun auf den Tanker zu. Die Projektile, jeweils über sechs Meter lang, mit einem Durchmesser von fünfundfünfzig Zentimetern, besaßen einen eigenen Antrieb, Schrauben und eigenem Ruder. Jeder trug einen Gefechtskopf mit dreihundert Pfund TNT. Die Torpedos hatten eine Reichweite von gut zehn Kilometern, eine Marschgeschwindigkeit zwischen achtundzwanzig und sechzig Knoten und waren mit einem Gyroskop ausgestattet, das sie auf geradem Kurs hielt.

Er verfolgte im Periskop den Blasenspuren. Nach ein paar Minuten erhob sich in der Ferne eine grüne Wasserwand, als die Dundalk mittig getroffen wurde. Eine gewaltige Explosion, gefolgt von einer zweiten und einem riesigen Flammenkreis, brach rund um das Schiff aus. Rosenbaum erteilte seinem ersten Offizier den Befehl zum Auftauchen. Indessen ließ die Besatzung des Tankers ein paar Rettungsboote hinab, während der Steuermann das Schiff scharf nach Backbord drehte, um einer weiteren möglichen Torpedosalve weniger Angriffsfläche zu bieten.

Als U-73 die Wasseroberfläche erreicht hatte, besetzte ein Teil der Mannschaft die Bordgeschütze und eröffneten das Feuer auf die Dundalk. Nach mehreren Treffern in den Rumpf sowie den Aufbauten des Feindschiffes, begann es sehr schnell zu sinken. Kurz darauf ragte nur noch der Bug aus dem Wasser. Von weitem sah es aus, als ob das Spielzeugschiff eines Kindes in einer Badewanne unterginge. Eine große Dünung kam an die U-73 heran und glättete sich wieder. Dann trieben nur noch einige Trümmer sowie brennendes Benzin auf der Wasseroberfläche. Und die Köpfe der überlebenden amerikanischen Seeleute, die verzweifelt versuchten zu den Booten zu schwimmen, schaukelten in der See auf und nieder.

Rosenbaum beobachtet durch das Periskop die Szene sekundenlang. Es war schwer, sich die Männer da draußen im Wasser als menschliche Wesen mit Heim und Familie vorzustellen. Sie waren für ihn einfach nur der Feind, so wie er für sie. Ein Teil von ihnen würde überleben, der andere Teil nicht. Das lag in der Hand des Schicksals. An seiner Stelle hätten sie zweifellos genauso gehandelt, wie er. Rosenbaum nickte dem ersten Offizier zu, worauf die U-73 ihren Kurs änderte. In der Zentrale verglich er seine Armbanduhr mit dem Chronometer des U-Bootes. Es war genau 19:34 Uhr, am Abend des 28. Juni 1943.

Kapitel 2

 

White Hall,

London, England

 

Zwei Tage später, kurz vor 09:30 Uhr, saßen sechs Männer mittleren Alters mit grimmigem Gesicht um einen runden, pechschwarz bezogenen Tisch in einem Keller, dreißig Meter unter der britischen Admiralität in London. Fünf der Männer trugen die Uniformen von Marineoffizieren, der sechste war in Zivil gekleidet. Alle hatten die sonderbare fahle Gesichtsfarbe von Menschen, die schon zu lange Sonnenlicht und frische Luft hatten entbehren müssen.

Nackte Glühbirnen unter Porzellanschirmen warfen ein grelles Licht, das genauso unnatürlich war, wie die trübe rote Beleuchtung in Helmut Rosenbaums U-73. Hier wie dort hatten Tag und Nacht keine Bedeutung. Es konnte ebenso gut frühmorgens wie spät am späten Abend sein.

Die Kellerwände waren in einem unangenehmen Grün gestrichen und mächtige Stahlträger stützten die Decke. Die metallenen Luftschächte sowie die graue Stahltüre mit ihren Schraubbolzen, die aussah wie eine wasserdichte Luke auf einem Kriegsschiff, verstärkten noch den Eindruck, als ob man sich unter Deck eines Schlachtschiffes befand. Das war auch sehr passend, denn die Männer gehörten einem geheimen Ausschuss der britischen Admiralität an, der eine Lösung für die bedrohliche Zunahme der Schiffsverluste im Mittelmeer finden sollte. Diese Angelegenheit war um so beunruhigender, als die Überlebenden der versenkten Schiffe häufig berichteten, das deutsche und nicht italienische Unterseeboote dafür verantwortlich seien. Seit Anfang Juni 1943 hatten die deutschen U-Boote dreiundvierzig alliierte Schiffe im westlichen Mittelmeer versenkt. Das sind über 148.650 Registertonnen! Wie war es möglich, dass die deutschen Unterseeboote so erfolgreich operieren konnten?

Die Handel- und Versorgungsschiffe der Alliierten im Mittelmeer kamen aus den unterschiedlichsten Häfen und hatten so viele verschiedene Ziele, dass nicht alle das Konvoi-System nutzen konnten, selbst wenn die alliierten Marinestreitkräfte in der Lage gewesen wären, alle ihre Kriegsschiffe im Mittelmeer für den Geleitschutz zu entbehren, was aber nicht der Fall war. Einige der Frachter, Transporter und Tanker mussten sich daher vor allem auf ihre jeweilige Geschwindigkeit verlassen. Manchmal bekamen die Kapitäne, die Fracht von höchster Kriegswichtigkeit geladen hatten, versiegelte Befehle, die sie erst auf hoher See öffnen durften. Sie enthielten Anweisungen für Täuschungsmanöver, welche oft Abweichungen von vielen hundert Meilen zu ihrer ursprünglichen Route zur Folge hatten. Doch diese Aktionen nützten nichts. Nur allzu oft kam ein deutsches Unterseeboot aus der Tiefe und griff überraschend an. Die U-Boot-Kommandanten schienen den Kurs der Schiffe und die Geschwindigkeit bis in das letzte Detail zu kennen.

Anfang 1941 hatten noch italienische U-Boote das westliche Mittelmeer kontrolliert, doch nun hatten sich die meisten von ihnen nach Griechenland und das östliche Mittelmeer zurückgezogen, um sich auf die Schifffahrt rund um Kreta bis Port Said zu konzentrieren. Das war augenscheinlich kein Zufall, sondern geplant, denn die Deutschen hatten unverkennbar Zugang zu einem leistungsfähigen Spionagenetz im Mittelmeerraum, das den Italienern nicht zur Verfügung stand.

»Gentlemen, wie es aussieht, sind die Deutschen hervorragend gut informiert. Wenn ein U-Boot auf ein oder mehrere unserer Schiffe trifft und der Kapitän nicht weiß, ob er genug Zeit hat, sie alle zu versenken, sucht er unweigerlich jene mit der für uns wichtigsten Ladung aus«, erklärte Konteradmiral Spencer Phillips. »Daraus folgt eindeutig, dass die U-Boot-Kapitäne genaue Kenntnis über die Ladung haben und der Wichtigkeit für uns. Wenn wir noch mehr Schiffe verlieren, wird das Mittelmeer fallen und werden mit Nazi-Deutschland einen Verhandlungsfrieden schließen müssen. Anstelle von Cricket wird man bei Sportveranstaltungen dann Deutschland über alles singen und die Schulkinder werden jeden Morgen den Führer grüßen.«

»Ich will Ihnen ja nicht zu nahe treten, Konteradmiral«, warf Henry Moore ein, »aber übertreiben Sie jetzt nicht ein wenig?«

»Das ist nicht meine Beurteilung, Admiral. Das stammt von Kriegsminister Churchill selbst. Wir müssen mit allen Mitteln verhindern, dass dieses Szenario zur Realität wird. Kann mir jemand erklären, woher die Deutschen zum Teufel diese Informationen haben?«

Moore auf der anderen Seite des Tisches ordnete seine Papiere.

»Ich habe bereits auf dem üblichen Weg ein Gesuch an den Geheimdienst gerichtet und die Leute dort gebeten, die Aufdeckung dieses Lecks vorrangig zu behandeln.«

»Viel mehr können wir vermutlich auch nicht tun«, antwortete Commodore Gordon Rudledge nickend, der eine halbe Tischlänge von ihm entfernt saß. »Aber ich muss sagen, dass ich mir nicht viel davon verspreche. Die haben alle Hände voll zu tun, Subversive und andere festzunehmen, die gegen uns und den ‘imperialistischen Krieg‘, wie sie es nennen, agitieren. Warum setzen wir nicht die Royal Navy darauf an?«

»Rudledge hat recht«, meldete sich Commander Arthur Reilly zu Wort. »Ich denke, wir sind uns alle einig, dass unbedingt etwas geschehen muss. Daher bin ich ebenfalls der Meinung, dass wir die Marine einsetzen, welche die deutschen U-Boote aufspüren und versenken sollen.«

»Das können Sie vergessen!«, schaltete sich Phillips wieder ein. »Wenn Sie von uns erwarten, dass wir etwas unternehmen, dann brauchen wir akkurate Daten, mit denen wir die Positionen der Unterseeboote zielgenau ermitteln können, damit wir überhaupt wissen, wo wir suchen sollen. Wir können unsere Schiffe nicht von laufenden Seeoperationen abziehen, um das ganze Mittelmeer nach deutschen U-Booten abzusuchen.«

»Und wie sieht es mit dem Nachrichtendienst der Marine aus?«, fragte Captain Alexander Forsyth. »Können die uns nicht unterstützen?«

»Kaum«, wandte Reilly ein. »Die haben schon genug zu tun. Und sie berichten, dass man es in manchen Bars von Gibraltar, Malta, Alexandria und Port Said mit der Schweigepflicht in der Royal Navy nicht sehr genau nimmt. Aber es gibt keinen Fall, in dem Matrosen oder Offiziere mehr als Allgemeinsätze von sich gegeben hätten. Aus solchen Gesprächen können die Deutschen unmöglich Details über Frachten, Ausweichrouten und so weiter mitbekommen haben. Sie müssen Zugang zu viel besser informierten Kreisen besitzen.«

Ein Zivilist ergriff an nächster das Wort. Professor Joseph Hunt lehrte vor dem Krieg an der Universität in Cambridge Politikwissenschaft. Nun arbeitete er für einen der verschiedenen Nachrichtendienste, die nach außen hin dem Ministerium für Wirtschaftskriegsführung unterstanden und dies auch jedem erzählten, der Fragen stellte.

»Sir, ich schlage vor, dass wir ein Gesuch an die Special Operations Executive senden, die in Malta ein Büro haben.«

»Glauben Sie, dass die irgendetwas beitragen können?«, fragte Moore skeptisch. »Was ich so gehört habe, ist das ein gemischter Haufen von Geheimdienstoffizieren und Sabotagespezialisten.«

»Ich bin sicher, dass sie uns bei dem Problem helfen können.«

»Sie wissen etwas über diese Sonderoperationseinheit?«

»Genügend. Ich habe einen Verwandten bei dem Verein. Colonel Lionel Perkins. Er war früher bei der britischen Armee. Jetzt verrichtet er beim SOE allerlei diskrete Dinge«, erwiderte der Professor.

»Ich wüsste es gern genauer.«

»Ungewöhnliche Operationen, die dem Krieg nützen sollen, Sir.«

»Klingt nach schmutziger Arbeit, so wie Sie das Ausdrücken«, sagte Admiral Moore. »Also schön, ich informiere die SOE, wie Sie vorgeschlagen haben.«

Er blickte seine Kollegen am runden Tisch an.

»Meine Herren, hat einer von Ihnen noch einen sachdienlichen Vorschlag zu machen?«

Die übrigen Anwesenden schüttelten den Kopf. Dann erhob sich der Admiral von seinem Stuhl und verließ den Raum, während die anderen ihm folgten. Professor Hunt blieb noch einen Moment sitzen und verglich seine Armbanduhr mit der elektrischen an der Wand, die vier Zeiger hatte. Diese zeigte sowohl die Zeit in Washington als auch in London an. Er war Perkins nie nahegestanden und hatte ihn vor dem Krieg zum letzten Mal gesehen. Jetzt fragte er sich, wie es ihm so ging.

Kapitel 3

 

SOE-Büro, Sektion Malta,

Zentrales Mittelmeer

 

Die Niederlassung der Special Operations Executive auf Malta, nahe der Hauptstadt Valletta, war ein Bungalow. In Friedenszeiten hatte ein Brigadegeneral und Standortkommandant der britischen Armee auf Malta das Gebäude bewohnt. Es hatte einen Vorgarten mit einer langen Steinmauer zur Straße und Torpfeiler. Am rechten Pfeiler war ein schwarzes Holztäfelchen angebracht, auf dem in weißen Lettern gemalt war: Ministerium für Wirtschaftskriegsführung. Da die SOE diesem Ministerium unterstand, schien diese Aufschrift zur Tarnung ihrer Tätigkeit ganz gut geeignet zu sein.

Hier wurden wichtige Versammlungen abgehalten. Zu diesem Zeitpunkt besprach man die dringlichen Anweisungen, wegen der Schiffsverluste im Mittelmeer, die man aus London über die maltesische Regierung erhalten hatte. Die Besprechung fand im früheren Speisezimmer des Brigadegenerals statt. Damals versorgte die britische Armee auf Malta aktive hohe Offiziere und Unteroffiziere mit fertig möblierten Wohnungen und an diesem Zimmer konnte man noch genau den offiziellen Geschmack der Zeit erkennen. Der Raum hatte cremefarbige Wände sowie braune Türen und die Einrichtung war altmodisch. Ein Ventilator knarrte über den Köpfen der fünf Männer, die um den rechteckigen Esszimmertisch saßen.

Der Leiter, des SOE-Büros auf Malta, saß am Kopfende des Tisches. Colonel Todd McGinley war dafür bekannt, wenig Sinn für Humor zu besitzen. Er war Mitte 50 und besaß dichtes braunes Haar. In seiner sandfarbenen Uniform wirkte er etwas erhaben und man hatte den Eindruck, dass ihn nichts aus der Ruhe bringen konnte.

Vor dem Krieg war er Direktor der größten Whiskey-Destillerie Schottlands gewesen, hatte aber das sensible Gesicht eines Gelehrten. In ihm vereinten sich die Talente eines Literaten und eines Geschäftsmannes, eine eher seltene Kombination. McGinley hatte als junger Mann die Eton-Universität besucht und ging danach nach Cambridge, wo er in englischer Poesie ausgezeichnet wurde. Seine Firma schätzte ihn wegen seiner Nase für Finanzielles gleichermaßen. Als der Krieg ausbrach, wurde der Reservist einberufen und 1940 nach Nordafrika geschickt. Dort leitete er zahlreiche Spezialunternehmen beim britischen Special Air Service gegen die Achsenmächte. Als er jedoch bei einer Geheimaktion bei Tobruk schwer verletzt wurde, brachte man ihn nach England zurück, wo er in Anerkennung seiner bisherigen Leistungen zum Colonel befördert wurde und schließlich zum Leiter des SOE-Büros in Malta ernannte, was eine herausgehobene Stellung war.

Neben McGinley befand sich Colonel Lionel Perkins. Dieser trug die britische Armeeuniform, aus khakifarbenen Buschhemden und Hosen aus Drillich. Die Krone und der Stern auf seinen Schulterklappen wiesen ihn als hohen Offizier aus. Er war schlank, Anfang zweiundfünfzig, mit dunkelbraunen Haaren sowie graublauen Augen und ein Berufssoldat. Am Beginn seiner Laufbahn hatte er zuerst in einem Royal Artillery Regiment gedient. Während dieser Zeit war er in England stationiert. Aber die langsame Beförderung in Friedenszeiten machte ihn bald ungeduldig. Einige Kollegen in seiner Einheit hatten nach zehn Jahren noch immer den Rang eines Lieutenant. Dann antwortete er auf ein Stellenangebot, in dem Männer mit Diensterfahrung gesucht wurden und trat dem Nachrichtendienst bei. Er diente zuerst in London, dann in Gibraltar, bis er nach Malta versetzt wurde. Und als die SOE auf der maltesischen Insel ein Büro einrichtete, war er hierfür der gegebene Kandidat. Jetzt führte er die operative Einsatzstelle für Geheimoperationen.

Perkins war ein paar Tage nicht Valletta gewesen. Er hatte eine geplante Mission mit den Männern der Gruppe 66 besprochen, die hinter den deutschen und italienischen Linien eine geheime Operation ausführen sollten. Die Spezialeinheit gehörte zu den erfolgreichsten SOE-Einheiten im Mittelmeerraum. Ihr Hauptquartier befand sich außerhalb der Hauptstadt und waren darauf spezialisiert, Agenten sowie ausgebildete Saboteure tief in das Feindesland einzuschleusen.

An seiner rechten Seite saß Captain Gary Stevenson, ein hünenhafter Mann und entsprechender Statur im Alter von Mitte vierzig Jahren. Bevor er zur SOE kam, diente er einige Jahre lang in der Nachrichtenabteilung der Royal Navy. Er war er ein richtiger Dynamo, begeistert von seiner Aufgabe und fasziniert von den kühnen Operationen der Special Operations Executive.

Auf der anderen Seite, schräg gegenüber, saß Harry Benson. Der sechsundvierzig Jahre alte Militärexperte, war auf selbe Militärakademie gegangen. Benson und Stevenson hatten einander jedoch seither nicht mehr gesehen, bis er nach Malta beordert worden war. Eine seiner Aufgaben bei der SOE auf Malta bestand darin, die Widerstandsgruppen in den von den Achsenmächten besetzten Ländern zu unterstützen. Während der ersten sechs Monate seines Aufenthaltes in Valletta war er mit Stevenson auf den beiden maltesischen Inseln herumgereist und hatten eine Untergrundorganisation aufgebaut, die im Fall einer feindlichen Invasion den Widerstand fortsetzen sollte.

Der fünfte Mann am Tisch war Jock Hamilton, der körperlich massivste. Er wog gute hundertzwanzig Kilogramm, hatte ein freundliches Gesicht und trug eine Brille. Wenn er strahlte, sah er wie Charles Dickens aus, nur überlebensgroß. Dieser war fünfundfünfzig und hatte in Edinburgh studiert. Da er sich nicht nur für ungeheuer viele Dinge, von der Malerei bis zum Ackerbau, interessierte, sondern auch ebenso viele Bekannte sowie Freunde in der Regierung und Wirtschaft vieler Länder hatte, schien er immer genau die richtigen Leute zu kennen, die der SOE, bei ungewöhnlichen und geheimen Nachforschungen, behilflich sein konnten. Und reichten diese Beziehungen nicht aus, so konnte er zumindest jemanden anderen nennen, der solche Leute kannte. Durch seine organisatorischen Fähigkeiten konnte Hamilton einige eher abstruse Ideen der SOE in durchführbare Projekte umwandeln, wenn auch die Verantwortlichen ihre Karriere aufs Spiel setzten, falls die Aktionen schiefgingen.

Seine Gabe aufgebrachte Dienststellen zu beruhigen, war ebenfalls unbezahlbar. Die Special Operations Executive hatte nämlich, als neue nachrichtendienstliche Organisation auf Malta, unter den alteingesessenen Abteilungen der militärischen Nachrichtendienste oft Neid und Eifersucht hervorgerufen. Für die anderen war das Leben in den letzten fünfzig oder sechzig Jahren ziemlich ruhig und glatt verlaufen. Mit dem, was sie über die unorthodoxe Arbeitsweise der Sondereinheit hörten, waren sie ganz und gar nicht einverstanden. Man munkelte von Geiselnahmen, politischen Morden, gefälschten Dokumenten, welche man bei Menschen sowie Organisationen deponierte, um sie in Misskredit zu bringen und dergleichen. Darum musste die kaltblütige SOE sich nicht mehr auf persönliche Kontakte und Freundschaften verlassen, als auf offizielle Unterstützung. Und deshalb arbeiteten die Leute von einem Bungalow aus, der außerhalb von Valletta lag. Zudem war es sehr schwierig in den überfüllten Amtsgebäuden der Hauptstadt geeignete Diensträume zu finden. Doch McGinley erkannte die Vorteile einer räumlichen, verwaltungsmäßigen Unabhängigkeit gegenüber anderer Regierungsabteilungen und dem kompliziert verzweigten militärischen Kommandostrukturen, dem die auf Malta stationierten britischen, neuseeländischen und australischen Streitkräfte unterstanden.

»Schön, dass Sie wieder da sind, Lionel. Wie sind die Dinge in Sizilien gelaufen?«, fragte der SOE-Leiter neugierig nach.

»Spätestens morgen Nacht ist Gruppe 66 im Rücken deutscher Verbände und wird strategisch wichtige Objekte im Gebiet von Messina sprengen.«

»Gut, dann zu den nächsten Schwierigkeiten. Wie ich sehe, haben Sie das dringende Ersuchen der Admiralität schon studiert«, begann McGinley und blätterte dabei in seiner Akte. »Es ist erstaunlich. Seit Juni wurden dreiundvierzig alliierte Handels- und Versorgungsschiffe im westlichen Mittelmeer versenkt. Die deutschen U-Boote wissen offensichtlich ganz genau, wann und wo sie angreifen sollen. Sie sind offenbar unglaublich gut informiert. Ich habe die Funkaufklärung gebeten nach nicht offiziellen Funksprüchen Ausschau zu halten, die Informationen über Schiffe zum Inhalt haben könnten. Laut ihrem Bericht gibt es in Gibraltar, Malta, oder Kairo, keine deutschen Geheimsender. Auch nicht in Nordafrika.«

»Dann ist er in Italien oder Südfrankreich?«, fragte Hamilton und blickte auf die riesige Karte, die eine ganze Zimmerwand bedeckte.

»Weder noch«, antwortete McGinley. »Die Funkaufklärung meldet, dass die regelmäßigen nächtlichen Funksprüche von Spanien kommen, genau genommen irgendwo aus dem Hafen von Cartagena.«

Er stand auf, ging durch den Raum zu der Karte und deutete mit einer Hand auf einen Punkt an der spanischen Küste. Dieser war auf der Übersichtskarte grau gefärbt, während die Besitzungen der Achsenmächte rot waren. Jene Länder, welche die Alliierten kontrollierten hatten, leuchteten in einem hellen Grün.

»Also von neutralem Boden«, meinte Perkins. »Das ist heikel.«

»Sie sagen es«, sagte McGinley seufzend.

»Warum haben wir diese Funksprüche nicht schon früher bemerkt?«, fragte Stevenson spitz, mit einem Lächeln im Gesicht.

»Fragen Sie mich nicht, warum«, erwiderte der SOE-Leiter und fuhr dann fort: »Die Funksprüche werden in einem deutschen Chiffriercode gesendet, mit unterschiedlicher Geschwindigkeit und zu verschiedenen Zeiten.«

»Sind diese Codes dechiffriert worden?«

»Ja, es sind genaue Angaben über Schiffe, ihre Bestimmungsorte und vermutlichen Positionen zu bestimmten Zielpunkten. Ich will verdammt sein, wenn ich wüsste, wie die Deutschen an solche Informationen kommen.«

»Das kann ich Ihnen sagen, Sir«, meinte Perkins sicher. »In jedem großen Hafen im Mittelmeerraum gibt es irgendwelche Nazi-Sympathisanten, die geheime Informationen über die Alliierten sammeln und diese an die Achsenmächte weitergeben.«

»Dann muss die Achse ja ein ganzes Spionagenetz rund um das Mittelmeer haben, wenn die Informationen einen Wert haben sollen«, warf Benson ein.

»Eigentlich braucht es nur auf die Häfen von Gibraltar, Valletta, Alexandria und Port Said konzentriert sein, von wo aus die Hauptmasse unserer Schiffe in See sticht«, erwiderte Perkins und wandte sich McGinley zu. »Sind die Leute von der Funkaufklärung sich absolut sicher, dass diese Nachrichten von Spanien gesendet werden?«

»Absolut. Sie haben sogar festgestellt, dass sich der Sender im Hafen von Cartagena befindet und nicht an Land. Ich bezweifle das, aber sie waren fest davon überzeugt«, erklärte der SOE-Leiter.

»Und?«

»Entweder sie irren sich, was ich nicht glaube, oder die Deutschen senden von einem U-Boot im Hafen aus, was auch nicht anzunehmen ist. Bleibt nur noch eine dritte Möglichkeit: Der Sender muss auf einem Schiff sein, das dort vor Anker liegt.«

»Womit wir zwei mögliche Frachter zur Auswahl haben?«, sagte Hamilton.

Jeder im Raum wusste, dass zwei feindliche Schiffe im Hafen von Cartagena Zuflucht gesucht hatte, als der Zweite Weltkrieg ausbrach. Seither hatten sie ihn nicht mehr verlassen und waren eine Attraktion für die Besucher. Von der Mole aus konnten sie deutlich die beiden mächtigen Schiffe im Hafenbecken liegen sehen, deren Flaggen im Wand flatterten. Und manchmal saßen sie sogar Seite an Seite mit den Deutschen oder Italienern in einem der vielen Cafés.

Dass ein deutscher und italienischer Frachter im Hafen ankerte, hatte auf die Schaulustigen eine ziemlich beunruhigende Wirkung. Egal, welche Katastrophen den alliierten Streitkräften von Dünkirchen, Dieppe bis Nordafrika zugestoßen waren, hier war der sichtbare, trostlose Beweis, dass zwei wertvolle Schiffe richtiggehend eingekerkert waren.

Die Männer im Bungalow der SOE wussten eine ganze Menge über diese Schiffe: Da waren die 6.840 Tonnen schwere Garibaldi, ein italienisches Handelsschiff. Und die deutsche Poseidon, mit 7.454 Tonnen. Die Fracht der Schiffe waren unterschiedlich, wie ungewöhnlich: Sie hatten gepökeltes Fleisch, Säcke mit Mehl und Zucker an Bord. Weiterhin 1.000 Kisten Sprengstoff für Bergwerke, Maschinenbauteile, Autobatterien, Holz, Fässer mit Schmiermittel sowie Öl. Außerdem befanden sich große Rotwein-Bestände und ein paar hundert Kisten besten bayerischen Biers in Laderäumen der Poseidon.

»Also, wenn der Sender tatsächlich auf einem der Schiffe ist, kann er nur auf der Poseidon sein«, sagte Perkins.

»Was macht Sie da so sicher?«, fragte Benson verblüfft.

»Die Garibaldi ist im westlichen Mittelmeer vom Kriegsausbruch überrascht worden. Ihre Besatzung hatte schnell die italienische Wappen auf dem Schornstein übermalt und hat schleunigst den nächsten neutralen Hafen angelaufen, wo wir ihr nichts anhaben konnten. Aber mit der Poseidon ist das anders. Sie kam vor dem Krieg aus Deutschland und war offenbar auf dem Weg nach Griechenland. In Algeciras legte sie einen Zwischenstopp ein. Damals war ich in Gibraltar für den zentralen Nachrichtendienst tätig. Wir erhielten einen Hinweis, dass auch ein deutscher Top-Spion an Bord sei, den unsere Leute unter dem Namen Thor kennen. Wir hofften, er käme an Land, damit wir ihn uns

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Oliver M. Pabst
Bildmaterialien: Oliver M. Pabst
Cover: Oliver M. Pabst
Lektorat: Korrekturen.de Julian von Heyl
Korrektorat: Korrekturen.de Julian von Heyl
Tag der Veröffentlichung: 17.05.2022
ISBN: 978-3-7554-1408-7

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