Der Roman ist eine Erfindung des Schriftstellers. Dennoch beruhen viele Fakten auf historische Quellen. Die Charaktere der Handlung sind frei erfunden. Irgendwelche Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Ereignissen, lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig.
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In der Karibik entdeckt ein Hobbytaucher die Reste einer spanischen Galeone am Grund eines Riffs. Er findet auch eine verkrustete Silbermünze, die er seiner Tochter und einem Experten zeigt. Als die drei noch auf weitere Funde stoßen, glauben sie, dass unter dem Wrack ein historischer Schatz liegt, den sie gemeinsam heben wollen. Doch ein dubioser Geschäftsmann will ihnen den wertvollen Fund abjagen und schreckt vor nichts zurück....
Haus von Steven Farrell,
Charlotte Amalie, Saint Thomas,
US. Virgin Island
Saint Thomas ist eine Insel der amerikanischen Virgin Islands in der Karibik, die zu den nicht inkorporierten Außengebieten der Vereinigten Staaten zählt. Auf ihr befindet sich auch die Hauptstadt des Gebietes, Charlotte Amalie. Seit 1672 war diese Insel die wichtigste der drei Kolonien im ehemaligen Dänisch-Westindien, zu denen noch das benachbarte Saint John wie auch sechzig Kilometer entfernte Saint Croix gehören. Die Inseln sind seit 1917 amerikanisch: Damals kauften die USA sie der dänischen Regierung für fünfundzwanzig Millionen Dollar ab. Darauf sind die Amerikaner noch heute stolz.
Die Virgin Islands wurden 1493 von Kolumbus auf seiner zweiten Reise in die Neue Welt entdeckt und ist zweifellos die malerischste Inselgruppe in den kleinen Antillen, aber nicht an diesem Abend, als ein tropischer Sturm, sozusagen das Schwanzende eines Hurrikans, über die alte Stadt hinwegfegte. Er brachte die Boote im Hafen zum Tanzen, jagte den Regen in peitschenden Schwaden über die Hausdächer, während der aufblitzende Himmel von immer wiederkehrendem Donner zu explodieren schien.
Zur gleichen Zeit saß Steven Farrell im Wohnzimmer seines Hauses am Rande von Charlotte Amalie und studierte am Esstisch im Schein der Hängelampe eine Seekarte der Jungferninseln. Er war achtundvierzig Jahre alt, groß, besaß braunes Haar und seine Haut war von der Sonne gebräunt.
Steven hatte die Verandatür geöffnet, weil er den Geruch des Meeres liebte. Es erinnerte ihn an seinen Dienst in der US-Navy. Er hatte es bis in den Rang eines Commander geschafft und hätte weiter Karriere machen können, was seine Vorgesetzten eigentlich erwartet hatten, doch nach zwanzig Jahren als Hubschrauberpilot auf einem Zerstörer verließ er mit vierzig die Marine, um sich anderen Verpflichtungen zu widmen.
Steven und seine Familie hatten kein schlechtes Leben in Norfolk geführt. Sie lebten dort glücklich und zufrieden, bis seine Frau Cathy mit nur zweiundvierzig Jahren bei einem Autounfall starb. Die Auszahlung der Lebensversicherung machte ihn zwar sehr reich, aber er hatte eine lange Zeit mit Depressionen zu kämpfen.
Es war ein Urlaub auf Saint Thomas gewesen, der zu seiner Rettung wurde. Damals hatte er im Marriott's Frenchman's Cove Hotel gewohnt. Dort führte ihn ein Tauchlehrer in das Sporttauchen ein, was für Steven zu einer neuen Passion wurde. Nachdem er nach Virginia zurückgekehrt war, verkaufte er sein Haus und zog nach Charlotte Amalie, wo er sein jetziges Anwesen erworben hatte.
Sein Leben in den Virgin Islands war völlig sorgenfrei und ausgefüllt, nicht zuletzt dank seiner Tochter, die mit ihrem Vater nach Saint Thomas ging. Tracy Farrell, fünfundzwanzig Jahre jung, hatte ein sehr gleichmütiges Gesicht, große Augen über hohen Wangenknochen und trug langes blondes Haar, das sie meist zu einem Pferdeschwanz gebunden hatte. Er kaufte ein Lokal im Hafenviertel der Stadt, die sie Farrell‘s Bar & Grill nannten. Der Laden wurde zu einem vollen Erfolg und von Touristen wie auch Insulaner gern besucht.
In diesem Moment hörte er draußen den knatternden Roller vorfahren. Die Verandatür wurde geöffnet und fiel wieder in das Schloss. Dann trat Tracy ein, lachend und mit einem Regenmantel über der Schulter. Sie schleuderte ihn auf einen Sessel, lief zu Steven an den Tisch, beugte sich herab und küsste ihren Vater auf die Wange.
»Draußen braut sich ganz schön was zusammen.«
»Bis morgen früh hat sich der Sturm verzogen, du wirst sehen. Wie war heute das Geschäft?«
»Es lief prächtig. Etliche Touristen waren da. Ich bin wirklich geschafft.«
»An deiner Stelle würde ich schnell ins Bett gehen, es ist fast ein Uhr.«
»Das mache ich gleich.«
»Vielleicht gehe ich morgen Vormittag tauchen, aber bis zum Mittag bin ich sicher zurück.«
»Ich wünschte, du würdest das nicht immer alleine tun.«
»Tracy, ich bin reiner Freizeittaucher und brauche keine langen Dekompressionsphasen, weil ich mich stets innerhalb der ungefährlichen Grenzen bewege. So hat man mir es mir beigebracht. Außerdem gehe ich niemals ohne meinen Tauchcomputer ins Wasser, das weißt du genau.«
»Und ich weiß auch, dass bei jedem deiner Tauchgänge die Gefahr einer Taucherkrankheit besteht.«
»Du hast recht, aber das Risiko ist sehr klein. Also mach dir keine Sorgen und geh jetzt zu Bett.«
Sie gab ihm einen Kuss auf die Stirn und verließ das Wohnzimmer. Nach einer Weile ging er mit seiner Seekarte hinüber zur Couch am Fenster und legte sich genussvoll darauf. Steven schien in letzter Zeit nicht sehr viel Schlaf zu brauchen. Eine der Strafen des Altwerdens, glaubte er, aber nach zehn Minuten fielen seine Augen zu und er schlief ein.
Am Morgen schreckte er aus dem Schlaf hoch. Licht drang durch die Jalousien. Für einen kurzen Moment lag er reglos da, dann sah er auf die Uhr. Kurz nach fünf. Er stand auf und schlenderte hinaus auf die Veranda. Es dämmerte bereits und am Horizont wurde es langsam hell. Aber es sah irgendwie sonderbar aus, auch das Meer war ungewöhnlich ruhig. Wahrscheinlich hing das mit dem Hurrikan zusammen, der am Abend zuvor über Saint Thomas durchgezogen war, dachte er. Es schienen optimale Verhältnisse zum Tauchen zu sein, absolut perfekt.
Steven war vergnügt und erregt zugleich, ging eilig in die Küche, warf die Kaffeemaschine an und machte sich ein paar Sandwiches, die er mit Schinken sowie Käse belegte. Als der Kaffee fertig war, füllte er ihn in eine Thermoskanne, verstaute diese zusammen mit seiner Brotzeitbox in einem Seesack und holte seine alte Seejacke von der Garderobe, bevor er das Haus verließ.
Am Devil Rock,
Südlich von Saint Thomas,
US. Virgin Island
Steven fuhr mit seinem Wrangler Jeep zur Long Bay hinunter. Es war noch immer sehr still in den Straßen von Charlotte Amalie und er begegnete nicht vielen Leuten. Die Hafenpromenade war mit schmucken Gebäuden in verschiedenen Pastelltönen sowie mit Läden und Restaurants jeder Art gesäumt. Der Einfluss dänischer Architektur war stellenweise noch zusehen. Er hatte sich auf den ersten Blick in den Ort verliebt und meinte manchmal scherzhaft, dass alles, was hier fehlte, wäre Humphrey Bogart, der mit einem Boot zu irgendeiner geheimnisvollen Mission ausläuft.
Er parkte seinen Wagen am Hafen, nahm seinen Seesack von der Pritsche und kletterte an Bord seines strahlend weißen Sport-Fisherman mit einer Laufbrücke, das an einem Pier festgemacht war. Dann sah er sich auf Deck um und prüfte seine Ausrüstung. Zwei Presslufttanks standen aufrecht in ihren Haltevorrichtungen, die er am Tag vorher selbst dort deponiert hatte. Steven öffnete den Deckel der Deckkiste. Da war ein Tauchanzug aus Neopren, den Steven nur selten benutzte, denn er bevorzugte den leichteren, dreiviertellangen in Blau. Außerdem befanden sich noch Flossen, Maske, Tarierweste, Mundstück, Handschuhe und sein Tauchcomputer darin.
Anschließend löste er die Leinen, stieg die Leiter zur Laufbrücke hoch und startete die Motoren. Diese erwachten hustend wie spuckend zum Leben. Nach einigen Sekunden liefen sie aber mit einem satten Brummen rund. Langsam schlängelte er sich zwischen den zahlreichen anderen Booten hindurch aus dem Hafen auf das offene Meer zu und genoss diese Augenblicke in vollen Zügen.
Steven konnte unter seinen liebsten Tauchgründen auswählen. Da waren Water Island, Turtledove Cay oder auch Saba Island, wenn er länger unter Wasser bleiben wollte. Erst in der vergangenen Woche hatte er dort einen Teufelsrochen gesichtet. Aber das Meer war so ruhig, dass er einen südlichen Kurs einschlug. Es gab auch noch Capella Island im Südosten, ein wirklich herrliches Gebiet, aber er fuhr weiter geradeaus, beschleunigte seine Morning Star auf fünfzehn Knoten, schenkte sich einen Becher Kaffee ein und packte die Sandwiches aus.
Mittlerweile war die Sonne aufgegangen und das Meer erstrahlte in makellosem Blau zwischen den Kuppen der Inseln rundum, ein atemberaubend schöner Anblick. Er begann über verschiedene Dinge vor sich hin zu brüten, bis er eine halbe Stunde später schlagartig aus seinen Gedanken erwachte und seine Position feststellte.
»Verflucht noch mal«, schimpfte er, »ich bin ja fast fünfzehn Kilometer von der Küste entfernt.«
Er befand sich jetzt ziemlich nah am Rand zum Nichts, wo der Grund einfach abstürzte und die Entfernung bis zum Meeresboden mindestens siebenhundert Meter betrug. Außer bei Devil Rock, das wusste er. Aber da tauchte man nicht. Dort lag das gefährlichste Riff in der ganzen Region, mit einer relativ starken Strömung und alptraumhaften Welt aus Felsspalten, Vorsprüngen sowie Höhlen. Sein Tauchlehrer hatte einmal erzählt, dass ihm vor Jahren ein Taucher die Gegend beschrieben hätte. Von der Wasseroberfläche war der Riffbereich bis zu fünfzehn Meter tief. Auf der anderen Seite des Riffs ging es dafür über sechshundert Meter tief hinunter. Der alte Knabe war in Schwierigkeiten geraten, schaffte es gerade noch bis zur Oberfläche und versuchte sein Glück dort nie wieder. Normalerweise war das Meer da draußen derart turbulent, dass alleine dies schon ausreichte, um jeden fernzuhalten. Aber heute war es der reinste Badeteich. Steven hatte so etwas noch nie gesehen.
Der überseeischen Felsen boten einen prachtvollen Anblick, die sich aus der bewegten See erhob. Seevögel aller Art saßen auf den Kanten und Möwen sanken im Wind majestätisch langsam zur Wasseroberfläche herab. Erregung erfasste Steven, Er schaltete das Echolot ein, welches ihm den Riffgrund anzeigte, nahm bei den Motoren das Gas weg und beobachtete die gelben, schartigen Linien auf dem schwarzen Bildschirm. Dabei kontrollierte er die Tiefenangaben, bis er sicher sein konnte, dass er sich in der Mitte über dem Riff befand. Anschließend ging Steven nach vorn zum Bug und ließ den Anker in das Wasser gleiten. Nach einer Weile spürte er, wie sich dieser auf dem Grund festsetzte und das Schiff in Position hielt.
Steven begab sich in das Deckhaus und setzte wie immer den Tauchwimpel, der weithin sichtbar war, so war die Vorschrift. Dann zog er den Tauchanzug an, befestigte den Presslufttank an seiner Tarierweste, koppelte den Computer an die Zuleitung seiner Sauerstoffflasche, schlängelte sich in die Jacke, verteilte das Gewicht des Tanks sorgfältig auf seinen Schultern, spannte die Klettbandverschlüsse um seine Hüften und hängte ein feinmaschiges Tauchernetz an seinen Gewichtsgürtel. Darin befand sich eine Taschenlampe, für den Fall, dass er irgendetwas Interessantes fand und seine Fundstücke legen konnte. Er zog die Flossen an, spuckte in seine Maske, spülte sie aus, schob sie vor seinem Gesicht sorgfältig zurecht und machte schließlich von der Tauchplattform am Heck einfach einen Schritt in das Wasser.
Das Meer war unglaublich klar und blau. Wie jedes Mal, wenn er tauchte, spürte Steven einen erregenden Kitzel, eine schwache, aber elektrisierende Mischung aus Agoraphobie und Klaustrophobie. Er war alleine, ausgesetzt in einer Weite aus Sand, Korallen wie auch Felsen und wusste, dass er von Geschöpfen beäugt wurde, die er nicht sehen konnte. Gleichzeitig war er aber eingeschlossen von Tausenden von Tonnen Wasser, deren sanften, aber unnachgiebigen Druck, er überall an seinem Körper spürte.
Er schwamm hinüber zum Ankertau, hielt kurz inne und begann dann mit dem Abstieg, indem er dem Tau folgte. Die Empfindung wie im Weltraum zu schweben, war wie immer aufregend. Es war eine stille, eigene Welt, zuerst noch von Sonnenschein erfüllt, was sich jedoch schnell änderte, als er tiefer sank. Das Riff, an dem der Anker sich festgehakt hatte, war ein Wald aus Korallen und Seegras, in dem es von Fischen aller Arten und Formen wimmelte. Plötzlich schwebte vor ihm ein riesiger Teufelsrochen in sein Gesichtsfeld, dessen rhombenförmige Körperscheibe breiter als lang war. Der Rumpf schien abgeflacht, aber immer noch relativ dick. Die Augen befanden sich an den Kopfseiten. Seitlich davon saßen die nach vorn gerichteten Loben, die dazu dienten Plankton in das sehr breite, fast gerade und leicht unterständige Maul zu leiten, wo am Ober- und Unterkiefer in Reihen zahlreiche kleine Zähne angeordnet waren. Der Peitschen förmige Schwanz war lang, im Vergleich zu den meisten anderen Rochen. Und die Haut schien glatt sowie unbeschuppt zu sein. Steven beunruhigte das Monster nicht im mindesten, denn Rochen griffen im Allgemeinen einen Menschen nur an, wenn sie sich bedroht fühlten.
Steven sah auf seinen Tauchcomputer, der ihm nicht nur die Tiefe anzeigte, die er erreicht hatte, sondern ihm auch mitteilte, wie lange er sich dort ungefährdet aufhalten konnte. Dabei veränderten sich die Werte ständig entsprechend der wechselnden Tiefe während des Tauchgangs. Er befand sich auf zehn Meter, schaute sich suchend um und schwenkte dann nach links, wo das Riffgebirge steil bis auf fünfzehn Meter abfiel. Er glitt über den Grat, änderte dann jedoch seine Absicht und stieg wieder hoch. Verblüffend, wie zusätzliche fünf oder sechs Meter Tiefe die Tauchzeit verkürzten.
Es herrschte eine verhältnismäßig starke Strömung. Steven spürte, wie sie ihn zur Seite drückte und versuchte sich vorzustellen, wie es sein musste, wenn die Verhältnisse richtig schlecht wären. Aber er hatte nicht vor, sich davon abhalten zu lassen, einen Blick in den tiefen Abgrund zu werfen. Die Riffkante war deutlich zu erkennen. Er hielt inne, stützte sich an einer Korallentraube ab und blickte an der Klippenwand entlang in einen dunkelblauen Abgrund, der sich bis in die Unendlichkeit zu erstrecken schien. Dann schob er sich wieder von der Kante zurück und schwamm zum Riffgrund hinunter.
An den Korallenstrukturen gab es erhebliche Schäden. Große Stücke waren offenbar erst vor kurzem weggebrochen, vermutlich eine Folge des Hurrikans. Allerdings befand er sich hier auch nahe einer geologischen Verwerfungslinie, wo Erdbeben an der Tagesordnung waren. In einiger Entfernung erkannte er eine Stelle in der Riffwand, wo ein ganzer Überhang sich gelöst hatte. Darunter lag irgendetwas, was dort nicht hingehörte. Steven verharrte für einen kurzen Moment, dann näherte er sich vorsichtig dem Punkt. In diesem Moment machte er den aufregendsten Fund seiner bisherigen Taucherlaufbahn. Zwischen Korallen und Sand lagen eine Menge verfaulter Holztrümmer, Ballaststeine, Bronzekanonen, ein aus dem Boden ragender Anker sowie das abgebrochene Ruderblatt verstreut herum, die mit den unterschiedlichsten Seegewächsen überwuchert waren.
Steven hatte sich an der Marineakademie viele Lehrfilme ansehen müssen, darunter waren auch solche über historische Segelschiffe gewesen. Nichts Besonderes, nur ein Teil der allgemeinen Offiziersausbildung, doch er erinnerte sich noch sehr gut daran und erkannte sofort, dass es sich um eine Galeone handeln musste.
Wie alle Wracks war auch dieses zu einem eigenen Lebensraum geworden. Überall waren die unterschiedlichsten Fische zu sehen: Schnapper mit gelben Schwänzen, Engels- und Papageienfische, Offiziersfische und viele andere. Er entdeckte ein langes Geschützrohr, bei dem ein Schwarm Grashechte sowie Ährenfische huschten. Dann schwamm er zu dem Objekt und suchte nach einem Erkennungsmerkmal, um das Wrack identifizieren zu können. Zunächst fand er nichts, doch schließlich fand er ein Bild mit einer heiligen Madonna, dass am dickeren Ende des Rohr eingraviert war.
Steven sah auf seinen Tauchcomputer. Er befand sich in fünfzehn Meter Tiefe und hatte höchstens eine Viertelstunde Zeit, dann musste er wieder zur Wasseroberfläche hochsteigen. Um sich einen Überblick zu verschaffen, ließ er sich ein Stück wegtreiben. Offenbar hatte der Überhang, der vor kurzem abgebrochen war, Jahrhunderte lang eine Art Dach für das Wrack gebildet und es so an diesem Ort, der sowieso nur selten aufgesucht wurde, vor Sicht geschützt.
Dass Galeonen in diesem Seegebiet unterwegs gewesen waren, war allgemein bekannt. Er hatte einmal von einem Historiker gelesen, der behauptete, dass regelmäßig spanische Konvois mit Gold und Silber von Südamerika an den Virgin Islands vorbeisegelten. Allerdings fiel es ihm schwer, derartige Geschichten zu glauben, denn soweit er wusste, liefen die Hauptrouten der Spanier anderswo.
Mit zwei Flossenschlägen begab er sich zu einem Anker, der halb aus dem Boden ragte. Silbrige Fische glitten dort herum. Er holte eine Stablampe aus seinem Tauchernetz und leuchtete ihn an. Auf einmal zuckte er zusammen, als er einen Totenschädel erblickte. Erstaunlich, dass nach so vielen Jahrhunderten überhaupt noch solche menschliche Spuren vorhanden waren, dachte er sich. Steven begann es zu frösteln und kam sich wie ein Eindringling vor, der hier eigentlich nichts zu suchen hatte. Als er sich zum Umkehren wandte, fiel der Lichtstrahl seiner Lampe auf einen schwarzen Klumpen im Sand. Er fasste danach und hatte einen Brocken in der Größe einer Faust in der Hand, stopfte ihn in sein Tauchernetz, dann begann er zum Grat des Riffs aufzusteigen.
Nachdem Steven das Ankertau erreicht hatte, kontrollierte er erneut seinen Tauchcomputer und stellte fest, dass nur noch fünf Minuten Zeit war. Er tauchte vorschriftsmäßig auf, wobei er an der Ankerleine entlang glitt. In drei Meter Tiefe ließ er das Tau los und schwamm unter dem Boot hindurch zum Heck. Dort kämpfte er sich mühsam aus seiner Montur. Du wirst alt, dachte er sich. Anschließend zog er sich die Metallleiter hoch und hievte seine Tarierwest sowie die Pressluftflasche an Bord.
Er zwang sich alles so normal wie möglich zu erledigen, verstaute die Flasche sowie die übrige Ausrüstung und hielt sich an seine gewöhnliche Routine. Nachdem er sich abgetrocknet hatte, schlüpfte er in trockene Kleidung, öffnete seine Thermosflasche und schenkte sich ein wenig Kaffee ein. Dann ließ er sich in einem der Drehsessel am Heck nieder, trank einen Schluck und musterte den Brocken, der wie ein Stück Kohle aussah. Steven starrte das Stück an, versuchte zu erraten, was es war und fragte sich, ob vielleicht irgendein Metall darin steckte. Er wusste, dass manche Metalle eine schwarze Hülle bekamen, wenn sie lange im Salzwasser lagen. Mit einem Hammer und Beitel aus seinem Werkzeugkasten spaltete er den Klumpen in zwei Teile. Zum Vorschein kam eine matt glänzende Silbermünze. Erregt verstaute er diese im Deckhaus, lichtete den Anker am Bug, startete auf der Brücke die Motoren und jagte mit Vollgas nach Saint Thomas zurück.
Auf der Rückfahrt zur Insel grübelte Steven darüber nach, wie er mehr über die gefundene Münze und das Wrack herausfinden konnte. Natürlich konnte er sich an die Behörden wenden. Doch er wollte nicht, dass andere von dem Funde erfuhren. Er befand sich jetzt dicht vor der Küste. Als es ihm einfiel, musste er schallend lachen.
»Natürlich! Jack Rollins! Warum bin ich nicht gleich darauf gekommen?«
Beide hatten sich während ihrer Dienstzeit bei der Navy kennengelernt. Sie freundeten sich an und diese Freundschaft hielt bis zum heutigen Tag. Der ehemalige Marinetaucher hatte inzwischen als Schatzsucher Karriere gemacht und war somit der richtige Mann.
Vor dem Hafen von Charlotte Amalie bemerkte ein weiteres Sport-Fisherman, das auf ihn zukam. Es war das Boot seines früheren Tauchlehrers Billy Crowd. Dieser stand auf der Laufbrücke, bremste und schwenkte zu ihm herum. Am Heck saßen vier Touristen, die bereits Tauchkleidung trugen. Steven drosselte ebenfalls die Geschwindigkeit seiner Morning Star.
Crowd lächelte und winkte ihm mit der Hand zu.
»Guten Morgen, Steven. Du bist ja schon früh unterwegs. Wo warst du heute?«
»Bei Buck Island.«
Steven hasste es einen Freund zu belügen, aber er sah keine andere Wahl, wenn er die Position der Galeone geheim halten wollte.
»Sind die Verhältnisse draußen gut?«
»Hervorragend.«
»Prima.«
Dann entfernte sich Crowds Boot in Richtung Südwesten und Steven rauschte wieder mit voller Kraft weiter.
Haus von Steven Farrell,
Charlotte Amalie, Saint Thomas,
US. Virgin Island
Als Steven zu seinem Haus kam, wusste er sofort, dass seine Tochter nicht da war, denn ihr Roller war verschwunden. Sicherlich war sie wieder in der Bar, um dort mitzuhelfen. Er parkte den Jeep vor der Garageneinfahrt und sah auf seine Armbanduhr. Es war jetzt zehn Minuten nach zehn. Danach ging er in die Küche, holte ein Bier aus dem Kühlschrank, lief in das Wohnzimmer und holte sein Telefonverzeichnis. Dannach setzte er sich auf die Couch und blätterte darin. Als er die Nummer gefunden hatte, die er suchte, nahm er das Mobiltelefon in die Hand, um seinen Freund anzurufen.
Auf der Nachbarinsel Saint John saß Rollins gerade in der Küche am Esstisch, trank eine Tasse Kaffee und las die Zeitung. Als das Telefon an der Wand klingelte, verzog er ungehalten das Gesicht, stand aber trotzdem auf.
»Mit wem spreche ich?«, fragte Steven.
»Hier ist Steven Farrell.«
»Hey, alter Freund. Wir haben uns eine Ewigkeit nicht mehr gesprochen. Was verschafft mir die Ehre deines Anrufes?«
»Jack, ich habe ein Problem und hoffe, du könntest mir vielleicht helfen.«
»Na, worum geht es?«
»Ich bin heute Vormittag auf das Wrack einer spanischen Galeone gestoßen.«
»Du bist was?«
»Ehrlich, eine Galeone! Sie liegt am Devil Rock, auf dem Grund des Riffs in fünfzehn Meter Tiefe.«
Rollins atmete tief durch.
»Ich frage dich gar nicht erst, ob du etwas getrunken hast. Aber wie kommt es, dass niemand vor dir das Wrack entdeckt hat?«
»Einerseits ist das Riffviel zu weit entfernt für Leute, die nur zum Spaß tauchen wollen. Andererseits wurde das Wrack bis vor kurzem von einem Überhang geschützt. Wenn der letzte Hurrikan diesen nicht weggerissen hätte, wäre ich wahrscheinlich selbst daran vorbeigeschwommen.«
»In welchem Zustand ist das Schiff?«
»Von dem sind nur noch eine Menge Trümmer übrig, die mit Korallen überwuchert sind. Der Rest liegt entweder tief im Sand oder ist bereits verrottet.«
»Und du bist dir ganz sicher, das es wirklich ein Spanier war?«
»Absolut. Ein Kanonenrohr trug das Bild einer heiligen Madonna.«
»Bleib mal einen Moment dran und lass mich kurz nachsehen. Ich habe ein Buch, in dem alle spanischen Galeonen aufgelistet sind, die in der Karibik unterwegs waren und was mit ihnen passiert ist.«
»Okay.«
Steven wartete geduldig, bis Rollins sich wieder am Telefon meldete.
»Wie es aussieht, hast du die Esperanza gefunden. Bei der Abbildung handelt es sich nämlich um die Matrona von Barcelona, die zweifelsfrei auf allen Geschützen des Galeone eingraviert war. Allerdings haben wir auch ein Problem: Sie sank 1728 bei einem Sturm vor der Dominikanischen Republik.«
»Tatsächlich? Und wie erklärst du die Tatsache, dass sie dann vor Saint Thomas unterging?«
»Tja, dazu habe ich im Moment leider keine Erklärung«, gab der Experte zu.
»Na gut. Aber das Beste kommt noch, Jack.«
»Und das wäre?«
»Ich habe noch eine Silbermünze mit einer spanischen Inschrift gefunden. Leider kann ich sie nicht entziffern. Aber so weit ich mich erinnere, sprichst du fließend Spanisch.«
»So ist es, mein Lieber. Meine Großmutter mütterlicherseits war aus Madrid. Steven, ich schlage vor, du kommst nach Saint John und zeigst mir deinen Fund.«
»Ja, das habe ich mir auch gedacht. Also werde ich voraussichtlich am späten Nachmittag bei dir sein.«
»In Ordnung, ich erwarte dich«, erwiderte der Unterwasserexperte und legte den Hörer wieder auf.
Die Professional Association of Diving Instructors hat strenge Anordnungen erlassen, was das Autofahren sowie Fliegen nach Tauchgängen betrifft. Steven schlug in dem Regelverzeichnis nach und stellte fest, dass er nach einem einzigen Tauchgang bei fünfzehn Meter Tiefe und ohne Dekompressionsphase mindestens drei Stunden warten sollte. Kein Problem, vor allem, wenn er nicht vor vierzehn Uhr nach Saint John reiste, was er sowieso nicht vorhatte.
Er lehnte sich im Stuhl zurück. Bis die Autofähre am Terminal von Charlotte Amalie ablegte und nach Cruz Bay fuhr, war genügend Zeit, um noch etwas zu Essen und sich frisch zu machen. Aber zuerst musste er noch ein Gespräch mit seiner Tochter führen.
Farrell‘s Bar & Grill,
Charlotte Amalie, Saint Thomas,
US. Virgin Island
Im Hafenviertel von Charlotte Amalie herrschte inzwischen reger Betrieb, als er mit seinem Jeep wieder dorthin fuhr. Die Bar lag etwas abseits der Uferpromenade, aber mit Blick über die Long Bay. Eine Treppe führte hinauf zur Terrasse und über der Tür hing eine Neonschrift. Im Innern war es kühl sowie schattig. Zwei große Ventilatoren rotierten an der Decke. Nur vier Tische im Gastraum waren besetzt. An der langen Bartheke aus dunklem Mahagoniholz warteten hochbeinige Hocker auf Gäste und vor der Spiegelwand hinter der Theke standen auf Glasregalen zahlreiche Flaschen aufgereiht. Ein hochgewachsener Farbiger mit graumeliertem Haar polierte Gläser. Es war Earl Corvin, der Barkeeper. Um die Augen hatte er faltiges Narbengewebe sowie eine Knollennase. Er nahm die Bestellungen auf, während sich eine dunkelhäutige Serviererin hektisch bemühte, die Gäste zu bedienen. Auch an der Bar drängten saßen mehrere Gäste, aber Earl schien keine Probleme zu haben, sie alleine zu betreuen.
Steven fand am Ende des Tresens einen freien Hocker und wartete geduldig, bis man sich um ihn kümmern konnte.
»Hallo, Mr. Farrell, suchen Sie Tracy?«, fragte der große Mann.
»Ja, wo kann ich sie finden?«
»Sie ist mit Mary zum Einkaufen gegangen, um frisch Muscheln für heute Abend zu besorgen. Sie bleiben bestimmt nicht lange weg. Kann ich Ihnen etwas anbieten?«
»Nur einen Kaffee. Ich trinke ihn draußen auf der Terrasse, Earl.«
Er ließ sich an einem freien Tisch in einen Rohrstuhl sinken, trank seinen Kaffee, den die Serviererin ihn brachte und dachte über verschiedenes nach. Er war so tief in Gedanken versunken, dass er Tracy gar nicht bemerkte.
»Du bist ja schon zurück!«, rief sie ihm zu.
Steven schaute hoch und sah seine Tochter zusammen mit Kim Nolan die Treppe heraufkommen. Die Geschäftsführerin wünschte ihm einen guten Morgen und ging in die Bar. Tracy setzte sich auf den Stuhl gegenüber. Sie trug ein T-Shirt und Bluejeans, was ihre gertenschlanke Figur gut zur Geltung brachte.
»Ich muss nach Saint John«, eröffnete er ihr.
Die junge Frau musterte ihren Vater stirnrunzelnd.
»Wann?«
»Noch heute Nachmittag.«
Sie schüttelte verdutzt den Kopf.
»Was ist denn passiert?«
»Als ich heute morgen getaucht bin, ist etwas höchst Außergewöhnliches geschehen. Ich habe vor Saint Thomas in fünfzehn Meter Tiefe das Wrack einer spanische Galeone entdeckt.«
Sie blickte ihn böse an und fühlte Zorn in sich aufsteigen.
»Du verdammter Narr, ganz allein so tief zu tauchen! Willst du dich unbedingt umbringen?«
Er bemerkte die Wut in ihrem Gesicht.
»Sei nicht albern, Tracy. Es war ein kalkuliertes Risiko.«
»Und wenn du dich geirrt hättest?«
»Dann wäre es Schicksal gewesen. Außerdem ist doch alles gut gegangen. Jeder Taucher wünscht sich ein Wrack zu entdecken, das vorher noch niemand je gesehen hat und hofft, dass es mit spanischen Dublonen vollgestopft ist.«
»Und wo war das genau?«, hakte sie nach.
Obgleich seine Tochter nicht mit der gleichen Begeisterung tauchte wie ihr Vater, begleitete sie ihn nur gelegentlich und kannte daher die meisten Reviere. Steven zögerte. Obwohl er ihr bedingungslos traute, wollte er ihr den Fundort nicht verraten, denn er befürchtete sie könnte die Position vielleicht ausplaudern. Außerdem würde sie sicher ernsthaft böse, wenn sie erführe, dass er an einer Stelle wie Devil Rock gewesen war.
»Alles, was ich dir im Augenblick sagen kann ist, dass die Galeone offenbar an zweimal unterging.«
»Wie ist das möglich?«, fragte sie irritiert.
»Das würde ich auch gern wissen. Aber vielleicht kann die Silbermünze, die ich noch gefunden habe, das Rätsel lösen.«
Ihre Augen weiteten sich.
»Wirklich? Darf ich sie mal sehen?«
Steven holte sein Fundstück aus der Hosentasche und gab es seiner Tochter.
»Ein schönes Stück«, sagte sie staunend. »Was hast du damit vor?«
»Erinnerst du dich noch an meinen Freund Jack Rollins?«
»Du meinst den, mit dem du in der Navy warst? Natürlich. Du hast ihn mir vor zwei Jahren vorgestellt, als uns auf der Durchreise besucht hatte.«
»Ich habe ihn heute morgen angerufen. Er besitzt jede Menge Archivmaterial über Segelschiffe und die spanische Kolonialgeschichte. Zudem kennt er sich mit Meeresschätzen aus.«
»Du glaubst, das Schiff hatte einen Schatz geladen?«
Er zuckte mit den Achseln.
»Ich weiß nicht. Es könnte jedenfalls äußerst wichtig sein, dass ich dieses Wrack entdeckt habe, Tracy. Vielleicht ist mein Fund sogar von historischer Bedeutung.«
Steven stand auf, trat an das Geländer und umklammerte es mit beiden Händen. Tracy hatte ihn noch nie so erregt gesehen. Sie erhob sich ebenfalls, dann legte sie ihm eine Hand auf die Schulter.
»Hast du etwas dagegen, wenn ich dich begleite?«
»Das ist wirklich nicht nötig. Ich bin ja bald wieder zurück.«
»Aber ich möchte mit nach Saint John kommen.«
Er zögerte zuerst, nickte ihr dann aber schmunzelnd zu.
»Na schön, wenn dir so viel daran gelegen ist, darfst du mitfahren,«
Sie strahlte über das ganze Gesicht.
»Wann starten wir?«
»In zwei Stunden.«
»Fantastisch, da kann ich ja noch duschen«, erwiderte sie begeistert und lief in die Bar, um ihre Sachen zu holen.
Inzwischen fuhr Steven mit seinem Jeep nach Hause. Tracy folgte nach zehn Minuten auf ihrem Roller. Beide ahnten nicht, dass ihr Gespräch von einem Mann am Nebentisch belauscht wurde.
Haus von Emilio Fuentes,
Bovani Bay, Saint Thomas,
US. Virgin Island
Emilio Fuentes saß im Arbeitszimmer seiner prachtvollen Villa an der Bovani Bay. Das Anwesen war von Bäumen und dichten Buschwerk umgeben. Ein gesäumter Pfad führte die Klippe zu einem kleinen Sandstreifen hinunter, wo sich ein stabil wirkender Holzsteg befand, an dem ein paar Sportboote festgemacht hatten. Etwas weiter draußen ankerte seine hochseetüchtige Motoryacht.
Fuentes war ein beeindruckender Mann und sein Haar sowie der Bart waren trotz seines Alters noch immer völlig schwarz. Der Kolumbianer hatte die Ausstrahlung eines Mannes, der daran gewöhnt ist, dass sein Wille geschieht. Er trug eine Brille mit Goldrand auf der Nase, ein weißes Seidenhemd unter einem Leinenanzug und an seinem Hals hing eine goldene Kette mit einer fast drei Zentimeter langen Feder aus Gold.
Als sich vor ihm die Flügeltür öffnete, sah er eine Hausangestellte mit einem Besucher in den Raum kommen. Es handelte sich um Leon Palmer, dem ein kleiner Juwelenladen in Charlotte Amalie gehörte und zu Fuentes ein recht freundschaftliches Verhältnis hatte.
»leon, ich freue mich Sie zu sehen.«
»Die Freude ist auch auf meiner Seite«, erwiderte Palmer in seinem blauen Flanellanzug.
Sie begrüßten einander mit einem Händedruck, dann setzten sich beide.
»Sie sagten vorhin am Telefon, dass Sie wichtige Neuigkeiten für mich hätten. Warum geht es?«
Palmer nickte, dann erzählte er seinem Gegenüber ausführlich, was ihm in einer Bar zu Ohren gekommen war. Fuentes saß die ganze Zeit nur nachdenklich hinter seinem Schreibtisch, ohne ein Wort zu sagen.
»Sind Sie sicher, dass von einer spanischen Galeone die Rede war?«, meldete er sich schließlich zu Wort.
»Ja. Der Mann war davon ziemlich überzeugt.«
»Wie lautet noch sein Name?«
»Steven Farrell.«
Fuentes nahm einen Kugelschreiber und machte sich eine Notiz.
»Was wissen Sie über ihn?«
»Er ist Amerikaner, lebt seit etwa sechs Jahren auf Saint Thomas und ein leidenschaftlicher Taucher. Mehr weiß ich nicht.«
»Und Sie haben keine Ahnung, wo er das Schiff gefunden hat?«
Palmer zuckte die Achseln.
»Davon hat er seiner Tochter nichts erzählt. Wenn Sie meine Meinung hören wollen, dann muss es ganz weit draußen gewesen sein.«
»Was meinen Sie damit?«
»Die meisten Tauchgründe sind vor Saint Thomas oder Saint John nicht all zu weit entfernt. Es gibt eine ganze Menge Wracks in der Region, aber die Vorstellung, dass eine Galeone mit einem Schatz unentdeckt geblieben sein soll...«
Er schüttelte den Kopf.
»So etwas konnte nur geschehen, wenn das Schiff irgendwo draußen lag.«
»Weiter draußen auf See?«
»Ja.«
»Leon, entschuldigen Sie mich kurz. Ich muss ein wichtiges Gespräch führen. Warten Sie bitte solange draußen. Wir werden noch gemeinsam zu Mittag essen.«
Palmer nickte, erhob sich von seinem Stuhl vor dem Tisch wurde von einem bulligen Leibwächter in den Korridor hinaus begleitet. Nach fünf Minuten kam ein Latino mittleren Alters in das Zimmer. Er war nicht besonders groß, aber ungemein kräftig. Sein Haar war derart kurz geschnitten, dass er beinahe kahl aussah. Eine Augenklappe über seinem linken Auge trug zu seiner düsteren und bedrohlichen Ausstrahlung bei, die ihn trotz seines grauen Anzug umgab. Er war Fuentes uneingeschränkt ergeben, weil dieser ihn vier Jahre zuvor, nachdem er eine Prostituierte erstochen hatte, vor einer lebenslangen Gefängnisstrafe retten konnte, indem er großzügig Geld nicht nur an die Anwälte, sondern auch an korrupte Beamte verteilte.
»Carlos, ich habe eine neue Aufgabe für dich.«
»Was kann ich für Sie tun, Señor?«
»Nimm ein paar Leute und setze sie auf einen Steven Farrell an, der in Charlotte Amalie lebt.«
»Gibt es ein Problem?«
»Nein. Er kennt die Lage eines Schatzes, der irgendwo vor Saint Thomas auf dem Meeresgrund liegen muss.«
»Sollen wir den Mann in die Mangel nehmen?«
»Vorerst nicht. Ich will, dass er nur beschattet wird.«
»Wie Sie wünschen, Señor. Ich werde mich sofort darum kümmern«, erwiderte der Mann, dann verschwand er wieder durch die Flügeltür.
Haus von Jack Rollins,
Fish Bay, Saint John,
US. Virgin Island
Die Überfahrt mit der Fähre nach Saint John verlief für die Farrells ohne Schwierigkeiten, außer dass ihr Schiff auf starken Gegenwind traf, dass es etwas bremste und später am Terminal in Cruz Bay ankam wie vorgesehen. Als die beiden schließlich die Fish Bay erreichten, wo Rollins lebte, war es siebzehn Uhr.
Ein weißes, von einem Lattenzaun umgebenes Kalksteinhaus mit einem Garten thronte über der Felsklippe, von wo man die ganze Bucht überblicken konnte. Das Wort ‘Privat‘ war an die Pforte gemalt. Steven öffnete sie und lief mit Tracy den kurzen Weg zu dem Häuschen. Links neben der Eingangstür stand ein großer Zuber mit einer durchsichtigen Flüssigkeit. Darin sahen sie Dutzende verrostete Metallstücke: Bolzen, Schnallen und andere zahlreiche Gegenstände, die sie nicht identifizieren konnten.
»Wozu ist das?«, fragte Tracy.
»Es ist wahrscheinlich ein chemisches Bad zum Säubern von Metallen.«
Nachdem die Türklingel im Haus angeschlagen hatte, öffnete der Hausherr selbst die Tür.
Der Experte trug legere Kleidung, ein kurzärmliges T-Shirt sowie Bermuda-Shorts. Er war groß und hatte einen muskulösen Oberkörper. Seine schwarzen Haare waren zu einer Bürstenfrisur geschoren. Der Mann besaß hohe Wangenknochen, dünne Lippen über einem leicht vorspringenden Kinn sowie eine lange, schmale Nase, die auffallend gekrümmt war, als sei sie früher einmal gebrochen, aber nicht behandelt worden. Und seine Augenfarbe hatte ein meliertes blau.
»Steven, schön dich zu sehen«, begrüßte sie Rollins seinen alten Freund. »Ist eine ganze Weile her, dass wir uns nicht gesehen haben.«
»Ja, das stimmt.«
»Hallo Tracy. Wie ich sehe, bist du noch viel hübscher geworden«, wandte sich Rollins an die junge Frau.
»Danke für das Kompliment«, erwiderte sie ganz verlegen.
»Kommt mit, wir gehen in mein Arbeitszimmer.«
Rollins führte die Farrells in einen geräumigen Raum mit Blick auf das Meer. Dort standen oder lagen jede Menge Flaschen mit Chemikalien, Bunsenbrenner, Zahnarztbohrer, lange Spezialzangen, Messer, Hämmer und Beitel in den Regalen herum. Er forderte sie mit einer Handbewegung auf am Arbeitstisch Platz zu nehmen.
»Könnte ich bitte etwas Wasser haben?«, fragte Tracy, da ihre Kehle wie ausgedörrt war.
»Ja, wenn ich ein Glas finde.«
Während Rollins in dem Durcheinander in einem der Regale herum stöperte, erblickte Tracy ein halb gefülltes Glas auf dem Tisch stehen.
»Das wird reichen. Es braucht nicht kalt zu sein«, meinte sie und griff danach.
Als er es merkte, packte er die junge Frau am Handgelenk.
»Bei Gott, Mädchen, trink das nicht. Ein Schluck und du stehst morgen schwarz eingerahmt in der Zeitung.«
Sie erschrak.
»Was ist denn da drin?«
»Salzsäure. Das würde dich ganz schön ausputzen, soviel ist sicher.«
Er fand ein sauberes Glas, füllte es mit Mineralwasser aus der Flasche und reichte es der jungen Frau.
»Hier, das kann dich höchstens ein bisschen anrosten«, meinte Rollins schmunzelnd.
Steven hörte auf einmal hinter sich ein Knurren. Erschrocken drehte er sich um und sah auf der Fensterbank Rollins Hund sitzen. Es war irgendein Terrier, mittelgroß, mit schwarzen Haaren, der ihn eindeutig anknurrte.
»Schon gut, Stella, die tun dir nichts«, sagte der Experte zu dem Terrier.
Die Hündin wandte die Augen nicht von Steven und knurrte wieder.
»Ich sagte, schon gut!.«
Stella wedelte mit dem Schwanz, lief zu Steven und schnupperte an seiner Hose.
»Es ist ihr nicht recht, dass jemand ohne ihre Erlaubnis das Zimmer betritt. Sie muss jeden zuerst beschnüffeln.«
»Ich wusste gar nicht, dass du dir ein Hund zugelegt hast«, meinte Steven.
»Ach, ich habe Stella erst seit einem Jahr. Mein Nachbar hatte sie mir geschenkt, damit ich nicht immer so alleine bin«, erwiderte Rollins lächelnd.
»Ist sie bissig?«, wollte Tracy wissen, als die Nase der Hündin nun an ihrer Bluejeans roch.
»Eigentlich nicht. Sei aber trotzdem vorsichtig, wenn du sie streichelst. Sie ist manchmal ein bisschen eigenwillig.«
Rollins setzte sich auf einen Stuhl, dann wandte er sich seinem Freund zu.
»Also, lass mich mal sehen, was du gefunden hast.«
Steven holte die Silbermünze aus einem Stoffbeutel und gab sie ihm. Der Experte klopfte mit einen Hämmerchen zunächst das restliche Sulfid ab und betrachtete sie danach unter einer Handlupe.
»Ich kann zwar die Inschrift nicht genau lesen, aber es ist ein sehr schönes Exemplar.«
»Was ist es denn?«, wollte Steven wissen.
»Ein Silbergroschen, der Vorfahre unseres US-Dollar.«
»Ich verstehe nicht.«
Rollins hielt das Stück
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Oliver M. Pabst
Bildmaterialien: Oliver M. Pabst
Cover: Oliver M. Pabst
Lektorat: Korrekturen.de Julian von Heyl
Korrektorat: Korrekturen.de Julian von Heyl
Tag der Veröffentlichung: 25.07.2021
ISBN: 978-3-7487-8977-2
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