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1

Ich sah ihn nicht an, denn ich konnte nicht. Er war ständig auf meinem Radar. Ich konnte seine Präsenz spüren. Nicht ungewöhnlich, auch er besaß diese Aura, aber es war nicht das, was mich auf ihn aufmerksam machte.

 

Ich lehnte mich zurück an die Wand der Schule. Die erste Pause war fast zu Ende und ich scannte den Pausenhof ab. Die Leute standen in kleinen Gruppen und lachten, aber das war mir dann doch zu langweilig anzusehen. Einen Moment schloss ich die Augen und scannte die übernatürlichen Auren. 

 

Es gab in der Nähe nur zwei, die ich aber ignorierte und streckte meine geistigen Fühler weiter aus. Zu Hause befanden sich die Clanmitglieder, weniger als normalerweise, ein paar wuselten durch das große Haus, ein paar patrouillierten in der Gegend. 

 

„Sieh mal einer an." Die Worte rissen mich unangenhem aus meiner Erkundung, als würde ich gewaltsam aus einer anderen Welt gerissen, und ich öffnete leicht die Augen. Natascha stand ein paar Meter vor mir. Ihre schwarzen Haare glatt frisiert und ein nuttiges Outfit am Körper. Sie kam näher auf mich zu, wie eine Raubkatze. Ich beobachtete sie nur teilnahmslos dabei, wie sie sich lasziv über ihre Hüfte strich und die Haare mit einer Kopfbewegung nach hinten warf. 

 

„Was willst du?", fragte ich sie und sie kam so nah, dass ich ihr zu starkes und süßes Parfüm riechen konnte. Sie stand direkt vor mir und berührte mich am Arm. Ich sah sie unbeteiligt an und versuchte den Reflex zu unterdrücken meinen Arm wegzuziehen. „Caenen, Schätzchen, ich glaube das weißt du ganz genau." Sie blinzelte mich mit ihren lang geschminkten Wimpern an, wohl in der Absicht betörend zu wirken. 

 

„Lass es, Natascha. Ich habe es dir schon einmal gesagt." „Komm schon, Caenen. Du weißt doch genauso gut wie ich, dass du das unmöglich ernst gemeint haben konntest." Ihre Lippen waren viel zu stark und in einem grässlichen Rotton geschminkt. Aber nicht das schreckte mich so von ihr ab. Ihr Verhalten ließ schließen, dass sie keinen Respekt gegenüber ihren Mitmenschen und deren Entscheidungen hatte. Sie zog rücksichtslos durch, was sie plante. Sie tat so, als wäre sie das Zentrum des Universums. Die Meinung anderer waren egal. Sie nervte mich.

 

„Natascha, ich werde mich nicht wiederholen. Lass es." Ihr Augenaufschlag und der Schmollmund waren beharrlich, beschworen aber kein Mitleid in mir herauf. Ihre spitzen Fingernägeln berührten mich an der Brust und sie zog eine kleine Linie herunter. Ich zog die Braunen zusammen, ließ sie aber noch gewähren. Sie folgte mit dem Blick ihrer Hand. 

 

„Du hast es doch noch gar nicht versucht, mein Lieber." Sie sah zu mir auf und ich nahm ihre Hand und hielt sie fest, bevor sie noch tiefer rutschen konnte. „Versuch es erst gar nicht, Natascha. Ich lasse mich nicht umstimmen." 

 

Da lehnte sie sich zu mir vor, ihr heißer Atem an meinem Ohr und die Süße ihres Parfums drang mir unangenehm in die Nase. „Denkst du etwa ich weiß es nicht?", fragte sie und kam noch näher, ihr Oberkörper an meinem. 

 

„Ich kenne dein Geheimnis, Caenen." 

 

Eine Gänsehaut überlief meinem Rücken, doch ich stand unbewegt da. „Ich weiß nicht wovon du sprichst." Sie lachte leise auf. „Das weißt du sehr wohl, Schätzchen. Denkst du niemand merkt es, wie du den Star der Schule heimlich betrachtest?" Schrecken durchlief mich, aber ich blieb äußerlich ruhig.

 

„Leugne es nicht. Ich weiß, dass es stimmt. Bei so etwas liege ich nicht falsch." Ihre Lippen berührten mich am Ohr und ich verhinderte ein Zucken. Sie sollte nicht wissen, was in mir vorging. 

 

Dann kam sie mit ihrem Gesicht vor meines. Sie war einen halben Kopf kleiner als ich, aber auch nur dank ihrer Mörderhacken. „Deshalb", flötete sie leise, sodass ich mich anstrengen musste sie zu verstehen, „lass es mich versuchen und ich verrate niemandem, dass du eigentlich vom anderen Ufer bist." Sie biss sich kurz auf die Lippen und starrte meine an. 

 

In meinem Innern focht ein Kampf. Ich wusste sie meinte es vedammt ernst. Sie benutzte andere Menschen wie Spielzeug. Jungen waren für sie wie Trophäen. Ein Stück war mein Kopf gesunken und Natascha lächelte siegessicher. Ich dachte daran wie schade es war, dass ich sie nicht in ihre Schranken weisen konnte. Sie ein wenig einzuschüchtern würde ihr vielleicht ihre Grenzen zeigen. Wüsste sie wer ich wirklich war, würde sie so etwas nicht wagen. Sie kam mit ihrem Gesicht näher. Ihre Finger hatten sich in meine Arme gekrallt und sie stand auf Zehenspitzen. Bevor sie mir mit ihren Lippen aber zu nahe kommen konnte, drehte ich meinen Kopf weg. 

 

„Deine Vermutungen sind falsch. Mit Lügen lasse ich mich nicht erpressen. Erzähl den Leuten, was du willst. Es ist mir egal was andere von mir denken." Empört schnaubte sie, ihr Mund stand offen. Hatte sie wirklich geglaubt ich würde mich auf ihre Spielchen einlassen? „Du hast es nicht anders gewollt." Sie stieß sich hart von mir ab und marschierte wie ein wilder Stier davon zu ihren Püppchen-Freundinnen. 

 

___

 

Die nächsten zwei Stunden verliefen wie immer langweilig. So lange, bis endlich etwas außerhalb dem normalen Ablauf erfolgte. In Physik öffnete sich die Tür und ein Mädchen mit hellbraunen Locken und einem süßen Gesicht betrat die Klasse. Nervös knetete sie ihre Hände vor ihrem Körper. Unsicher stand sie da vorne und stellte sich als Elena, eine Austauschschülerin vor. Unsere strenge Lehrerin lächelte sie kurz freundlich an und bedeutete ihr sich zu setzen. Da mein Sitznachbar fehlte, war der einzige Platz neben mir ganz hinten frei. 

 

Sie ging langsam durch die Reihen der Schüler, die sie neugierig musterten und ließ sich neben mir auf den Stuhl fallen. Sie kramte in ihrer Tasche und ein Stift fiel unter ihrem Tisch auf den Boden, was sie nicht zu bemerken schien. „Ist das deiner?", fragte ich und deutete unter ihren Tisch. Ihre Wangen färbten sich rot und sie bückte sich gleichzeitig wie ich, fischte den Stift aber schneller vom Boden auf.

 

„Danke", murmelte sie verlegen und schien ganz in ihrer eigenen Welt versunken zu sein. Ich sah sie kurz von der Seite an, was sie nicht zu bemerken schien. Die Lehrerin machte indessen mit dem Unterricht weiter und ich schaltete auf Autopilot um, lehnte mich mit verschränkten Armen zurück. 

 

Die Klingel läutete und verkündete das Ende der letzten Stunde vor der Mittagspause. Ich packte meine Sachen zusammen, da piepste das Mädchen neben mir: „Entschuldigung." Ich sah zu ihr auf. Sie war schon aufgestanden, lächelte etwas verlegen und strich sich eine Haarsträhne hinters Ohr. „Ich wollte dich fragen, ob du mir zeigen könntest wo ich die Cafeteria finde." 

 

Sie sah mich aus bernsteinfarbenen Augen an, die mich an flüssigen Honig erinnerten. Ich zuckte mit der Schulter und antwortete: „Folge einfach der Masse, dann kannst du sie nicht verfehlen." Sie zog den Kopf ein. Ich schulterte meinen Rucksack und stand auf, um nach draußen zu gehen, doch sie berührte mich leicht wie ein Schmetterling am Arm. Ich drehte mich zu ihr um und sah zu ihr hinunter. 

 

„Ich ..." Sie sah weg und schien sich innerlich zu winden. Was war mit ihr los? Ich wartete einfach ab, aber sie schien sich nicht überwinden zu können. „Was ist denn los?", fragte ich sie genervt. Sie zuckte zusammen und sah mich unsicher an. „Naja, es ..." 

 

Es schien ihr Unbehagen zu bereiten und ich hatte sie eigentlich nicht einschüchtern wollen. Sie tat mir aus irgendeinem Grund Leid. „Sprich es schon aus. Was es auch ist, ich höre dir zu", sagte ich so sanft wie möglich. 

 

„Es ist mir ehrlich gesagt etwas peinlich, aber ... da gibt es ein paar Typen, denen ich gerne aus dem Weg gehen würde." „Ich soll deinen Bodyguard spielen?", fragte ich belustigt. 

 

Beschämt sah sie zu Boden, aber ich schob nur meinen Rucksack zurecht und sagte: „Na gut. Komm mit." 

 

Sie schien sehr erleichtert und lächelte mich schüchtern an. Sie schien sich nicht zu trauen mich zu berühren, aber streckte schließlich die Hand aus. „Ich bin Elena." Ich umschloss ihre kleine Hand und erwiderte: „Caenen." 

 

Wir verließen die Klasse, sie schien sich hinter meinem Rücken verstecken zu wollen, bis ich mein Tempo etwas zügelte und sie gezwungenermaßen neben mir laufen musste. 

 

„Du bist also eine Austauschschülerin?", wollte ich ins Gespräch kommen und sie nickte. „Ja, ich bin vor ein paar Tagen hier angekommen." „Ungewöhnlich mitten im Semester", wandte ich ein und sie wirkte etwas abweisend, als sie sagte: „Zu Hause gab es ein paar Probleme." Ich nickte einfach nur und bohrte nicht weiter nach. 

 

„Die Heime nehmen mitten im Semester doch keine Schüler." „Ja, stimmt, aber ich wollte auch in kein Schülerheim. Ich wohne bei einer Gastfamilie außerhalb der Stadt. In Southbeach." „Ein nobles Viertel", kommentierte ich und sie zuckte bescheiden mit den Schultern. „Du kommst aus Amerika", stellte ich fest und sie spannte sich etwas an.

 

„Woher weißt du das?", fragte sie und sah mich aus weit geöffneten Augen an. „Dein Akzent", erwiderte ich bloß und sie entspannte sich und lachte leise. „Natürlich. Das habe ich ganz vergessen. Bei mir selbst höre ich das gar nicht." 

 

Ich nickte und wir erreichten das Ende des Ganges, standen vor den minzgrünen Flügeltüren der Cafeteria. Ich schwang eine der Türen nach innen und hielt sie Elena auf. „Hier wären wir." Sie sah kurz hinein, blieb aber starr auf ihrem Fleck stehen. „Kommst du nicht mit rein?", fragte sie nach, aber ich schüttelte den Kopf. Wenn ich mir nur vorstellte etwas von dem Fraß hier essen zu müssen, wurde mir schon schlecht. 

 

An einem Tisch in der Cafeteria sah ich ein Mädchen aufgeregt in unsere Richtung winken. Elena blickte mit einem Lächeln in ihre Richtung und hob die Hand. Allein würde sie also nicht sein. „Dann viel Spaß noch. Wir sehen uns", wünschte ich ihr und ging ohne auf eine Erwiderung zu warten den Gang ein Stück zurück und trat aus dem nächstbesten Seitenausgang nach draußen.

 

___

 

Das Pflaster des Schulhofs war nass, die Wolken waren dunkel, aber es regnete nicht. Ich nahm meine Zigaretten raus, zündete eine an und inhalierte tief, was mich entspannte.

 

Einige Meter neben mir öffnete sich eine andere Tür. Die, die aus der Cafeteria raus führte. Ich sah ihn, seinen engsten Freund und noch einen aus seiner Clique rauskommen und bevor ich mich umdrehen und in eine andere Richtung gehen konnte, kam der andere Kumpel auf mich zu. 

 

Eine schiefe Nase dominierte sein südländisches Gesicht. Er war kleiner als ich und stämmiger, aber das war wohl eher den zu häufigen Fitnessstudiobesuch zuzuschreiben.

 

„Hey Caenen, wie gehts?" Widerwillig wandte ich mich ihm zu. „Gut und selbst?" Ich schnippte die Asche von der Zigarette. „Ja auch, hast wohl auch keine Lust auf das Kantinenessen gehabt." Ich lächelte nur bestätigend. Einmal und nie wieder. „Kann ich nur zustimmen. Den Fraß kann niemand essen. Wir wollten deswegen in die Stadt. Vielleicht willst du ja mitkommen."

 

Alex sah mich fragend an. Ich spannte mich etwas an, alle Freude war mir vergangen. Ich nahm noch einen tiefen Zug von der Zigarette. „Nein, ich denke ich passe", erwiderte ich gelassen. „Komm schon. Du willst doch nicht gar nichts essen." 

 

Ich sah ihn nur stumm an. Wäre ich mein anderes Ich, hätte ich mich vielleicht umstimmen lassen. Nein, vermutlich nicht mal dann, denn unter den gegebenen Umständen würde ich nie zustimmen. 

 

„Nein, danke. Ist nett gemeint, aber ich verzichte." Sein Lächeln schwankte kurz, aber seine gute Stimmung ließ sich dadurch nicht verderben. „Na gut. Wenn du es dir noch anders überlegst, ruf an." 

 

Ich nickte nur ausdruckslos. „Ok, man. Bis dann." Es schien so, als wollte er kurz mit mir einschlagen, überlegte es sich aber anders, vermutlich meiner Aura verschuldet, und ging zu seinen zwei Freunden.

 

Der Dunkelhaarige mit seiner ruhigen Art redete mit ihm. Dieser sah mich kurz an und seine Augen brannten sich mir ins Gedächtnis. Seine Aura war so hell und rein. Ich wandte mich ab, sah aus dem Augenwinkel wie sie sich entfernten, schnippte die Zigarette auf den Boden und ging um die Ecke. Dort atmete ich tief durch.

 

___

 

Die letzten beiden Stunden verliefen ereignislos und ich war froh um den kurzen Fußweg zu unserem Anwesen, in dem ich meinen Gedanken nachhängen konnte. 

 

Ich nahm die zwei Auren wahr, aber beachtete sie kaum, bis zwei Personen, eine junge Frau und ein gleichaltriger Mann um die Ecke bogen. Ich blieb stehen und wartete, bis sie sich mir genähert hatten. 

 

Die hellen Augen der Dunkelhaarigen ließen mich nicht los und ich blieb geduldig, bis sie wenig entfernt stehen blieben. 

 

Man sah den beiden diesen irrsinnigen Respekt vor meiner Person an. Leider lag er über allen ihre Handlungen, egal ob sie mich ausschimipften oder lobten. 

 

„Ihr sollt doch nicht alleine durch die Gegend laufen", fing Divina mit ihrer Predigt an und ihr Begleiter blieb stumm neben ihr. Sein haselnussbraunes Haar war kürzer als sonst, fiel mir auf. 

 

Sie kam näher und flüsterte mir ins Ohr, die Hand neben ihren Mund erhoben, als versteckten sich Spione hinter jeder Mauer. „Ihr wisst was alles passieren kann und wenn nun wirklich Dämonen hier herum laufen sollten seid Ihr alleine total aufgeschmissen." 

 

„Vina, ich weiß." 

 

„Wenn Ihr das wisst wieso habt Ihr dann nicht gewartet, bis wir Euch abholen?" Ich sah sie etwas betroffen und verblüfft stirnrunzelnd wegen ihrer überfürsorglichen Art an. 

 

„Ich habe die Gegend abgecheckt. Es droht gerade keine Gefahr, das hast du sicher genauso erkannt. Zudem ist es noch helllichter Tag. Die Wahrscheinlichkeit eines Angriffs ist sehr gering." 

 

Sie sah mich nur ungläubig an. „Das ist unverantwortlich. Die Gefahr kann sich immer einstellen und allein wärt Ihr dem nicht gewachsen. In Eurer Position könnt Ihr nicht riskieren verletzt oder gar getötet zu werden, mein Prinz." 

 

„Vina, beruhige dich." Janon legte eine Hand auf ihre Schulter und sie verstummte. „Caenen ist in der Lage sich gegen kleinere Angriffe zu verteidigen und vergiss nicht wer er ist. Er wird einmal unser König und lernt richtige Entscheidungen zu treffen, die wir zu unterstützen haben." 

 

Sie nickte betroffen und sah zu Boden. An mich gewandt sprach er weiter. „Trotzdem sollte er keine leichtfertigen Entscheidungen treffen, die ihn gefährden könnten, vor allem nicht, wenn es keinen Grund dazu gibt." Mahnend sah er mich an und ich lächelte entschuldigend. 

 

„Außerdem", fuhr er fort, „wurde die Gefahrenstufe auf drei erhöht. Vermehrt wurden Dämonen in den Außenbezirken der Stadt gesichtet. Wir müssen sehr vorsichtig sein." Ich nickte ernst. Ja, wenn ich das gewusst hätte, wäre ich vermutlich nicht allein gegangen. „Tut mir Leid", entschuldigte ich mich bei ihnen. „Das hat mir niemand gesagt." 

 

Nun verstand ich auch ihre überschwängliche Besorgnis. Vina schüttelte nur über mich den Kopf, ging voraus und murmelte: „Wie oft haben wir Euch schon gesagt Eure Alleingänge einzustellen?" Verletztheit schwang in ihrer Stimme mit. Ich holte zu ihr auf und fasste sie an den Schultern. 

 

„Es tut mir wirklich Leid, Vina. Ich versuche mich zu bessern." Die kleine Dunkelhaarige musste sich eine Träne aus dem Augenwinkel wischen und genau so etwas war es, das ich einfach nie mitansehen konnte. Es war nicht die Angst vor den Dämonen. Sie sorgte sich um mich. 

 

Sie atmete tief durch, bevor sie lächelte. „Das hoffe ich." „Wir sollten los. Euer Vater will Euch bezüglich der neuen Gefahrenstufe sprechen." Ich nickte. „Beeilen wir uns."

2

 

Es war gewöhnlich für mich, dass mich zwei Aufpasser begleiteten. In den Jahren hatten sie sich immer wieder geändert, aber seit zwei Jahren waren es meistens die beiden. Sie nahnem den Job auch nicht auf die leichte Schulter. Mir war es immer erschienen, als wäre die Aufgabe beliebt, da die Clanmitglieder so ihren regulären Aufgaben entgehen konnten und meistens als mein Aufpasser sowieso nichts passierte.

Der Fußweg war nicht mehr weit. Wir erreichten das bessere Viertel der Stadt, gar nicht weit entfernt der äußersten Bezirke und Southbeach. Das Meer war knapp zwanzig Minuten zu Fuß entfernt.

Das Anwesen ragte wie eine Mischung aus Großfamilienhaus und Burg auf. Es gab drei Türme, ein tiefliegendes Dach, das gerundet oben zusammen lief und Mauern aus blankem, grauem Stein. Das verzierte Tor schwang automatisch auf, als wir näher traten und wir überquerten den breiten, gepflasterten Weg zu den Treppen des Hauses.

Drinnen wuselten Clanmitglieder herum und gingen ihren Aufgaben nach, sie verbeugen sich, als sie mich erblicken, was ich mit einem Nicken beantwortete und machten dann weiter. Divina und Janon verabschiedeten sich auch und Janon sagte: „Euer Vater erwartet Euch in seinem Arbeitszimmer."

Ich bedankte mich und stieg die breite Treppe empor und folgte dem Gang bis ans Ende. Einen Moment verharrte ich vor der Tür, ich konnte mir redlich vorstellen wie Vater hinter seinem Schreibtisch ungeduldig auf mein Erscheinen auf seine Unterlagen starrte. Ich riss mich innerlich zusammen, klopfte kurz und trat ein.

Unerwarteterweise saß schon jemand meinem Vater gegenüber und dieser jemand blickte zur Tür, als ich eintrat.

Mein Herz schien zu platzen, diese Person hätte ich auf keinen Fall hier erwartet. Nach außen hin behielt ich meine Ruhe, ich zwang mich den Türgriff, den ich viel zu fest umklammert hatte, loszulassen und die Tür zu schließen.

„Mein Sohn, du bist spät dran", sagte Vater und ich verkniff mir den Kommentar, dass ich eigentlich sehr früh nach Hause gekommen war.

„Setz dich, wir haben viel zu besprechen", drangen die Worte aus seinem Mund, doch sein Blick sagte: Setz dich endlich in Bewegung oder es setzt was.

Ich gehorchte und ließ mich auf den einzigen Stuhl neben dem anderen nieder. Ich versuchte einfach alles um mich herum auszublenden und meinem Vater zuzuhören. Auch wenn es schwer war, da die Präsenz neben mir dauerhaft da war und nicht aus meinem Hinterkopf oder meinem geistigem Bewusstsein verschwinden konnte.

„Caenen, das ist Ilias Eder. Er und seine Familie sind aus Frankreich her gezogen und haben sich unserem Clan angeschlossen. Sie haben immer noch Kontakt zu ihrem alten Clan und werden für uns mit ihnen in Verbindung bleiben. Er hat mir gerade berichtet, dass in Frankreich auch vermehrt Dämonen gesichtet wurden."

Er deutete Ilias zu sprechen und dieser warf mir einen kurzen, nichtssagenden Seitenblick zu, bevor er anfing zu sprechen.

Es war das erste Mal, dass er mit mir sprach. Seine Aura schien auch nicht beeindruckt davon, dass ich ein Prinz war oder mein Vater der König dieses Landes.

„Vor zwei Tagen begannen sich die Angriffe der niederen Dämonen zu häufen. Aus den zwei bis drei Kämpfen pro Woche, wurden mindestens zehn, unsere gezielten Jagden ausgeschlossen. Pflanzen- und Tierdämonen griffen viel aggressiver an als gewöhnlich, ihr Selbsterhaltungstrieb schien nicht mehr vorhanden und sie kämpften bis zu ihnem Tod ohne zu fliehen. Die menschenähnlichen Dämonen schienen gut vorbereitete Attentate auszuführen und nicht nur einmal brachten sie auch Menschen in Gefahr. Es sind plötzlich viel zu viele offensive Gegner, denen wir standhalten müssen, aber noch können wir es ohne Verluste schaffen."

„Ihr denkt also, dass hier das gleiche passiert", wollte ich im kompletten Ernst der Lage wissen. Mein Vater hatte die Arme abgestüzt und spitz die Finger aneinandergelegt.

„Wir sind uns ziemlich sicher, dass sie die gleiche Strategie auch hier anwenden wollen. Die Nachbarländer haben uns bereits kontaktiert. Es ist überall das gleiche."

„Was sollen wir also tun?", wollte ich voller Tatendrang wissen.

„Sag du es mir. Was würdest du tun, Junge?", forderte Vater und seine Augen sahen mich herausfordernd an.

„Wie müssen kämpfen, alle von uns", sagte ich das Logischste. Mein Vater seufzte, als hätte ich etwas schrecklich Dummes gesagt.

„Wir dürfen nicht den Kopf verlieren. Es gilt immer noch die Regel, dass niemand in den Kampf geschickt wird, bevor er einen bestimmten Grad an Können erreicht hat."

„Kennen wir die Ursache für diesen plötzlichen Umschwung?", fragte ich und Vater schien von dieser Antwort mehr angetan.

„Nein, wir wissen es nicht. Unsere Kontakte zu der Unterwelt sind stark abgebrochen. Wir wissen nicht, was da unten vor sich geht." Abgebrochen. Wieso abgebrochen? Gab es einen neuen, mächtigen Dämon, denen die Schwächeren folgten? Oder hatte Luzifer einen neuen Plan ausgeheckt?

„Du denkst in die richtige Richtung, Junge. Wir werden versuchen herauszufinden weshalb sie diese neue Strategie verfolgen."

„Sie sind auf etwas Größeres aus", meldete Ilias sich zu Wort und gleichermaßen überrascht sahen ich und mein Vater ihn an.

Er ließ sich davon nicht aus der Ruhe bringen und erklärte: „Die Taktiken sind sehr durchdacht. Bevor es mit den gehäuften Angriffen losging, waren davor fast keine zu verzeichnen, als hätten sie sich ihre Kräfte aufgespart. Nun bekämpfen sie uns mit Vehemenz, was darauf schließen lässt, dass sie ein bestimmtes Ziel verfolgen."

„Natürlich verfolgen sie ein bestimmtes Ziel. Das Gleiche wie schon seit Jahrtausenden. Uns zu vernichten", widersprach ich.

„Nein, da muss mehr sein", erwiderte er mit dieser ruhigen Stimme und schien in Gedanken versunken.

„Wie kommst du darauf?", wollte mein Vater nun auch wissen und er sah wieder hoch, meinem Vater in die Augen und sagte: „Wäre ich ein Dämon in der Absicht die Engel und die Menschheit zu vernichten, würde ich die Gelegenheit nicht verstreichen lassen es zu meinem größten Vorteil auszunutzen."

„Hast du da eine bestimmte Vorstellung?", fragte Vater und musterte ihn. Er zuckte nur mit den Schultern. „Leider nicht."

Vater sah ihn noch eine Weile skeptisch an, bis er seufzte. „Nun gut. Wir werden vorerst unsere besten Krieger zusammen trommeln und sie auf die Mission vorbereiten. Ich behalte deine Anmerkung aber im Kopf."

Ich wollte mich erheben, denn die Besprechung war eindeutig vorbei, doch mein Vater hielt mich mit einer Handbewegung auf. „Zeige und erkläre Ilias doch bitte unser Anwesen und wie es in unserem Clan zugeht."

Ich erstarrte, sah in eine andere Richtung.

„Ja, Vater."

Ilias stand genauso wie ich auf und wir verbeugten uns, bevor wir rausgingen.

Draußen folgte er mir und sehr widerstrebend erklärte ich auf dem Weg zur Treppe, dass in den anderen Räumen nur die Arbeitszimmer der anderen Mitglieder zu finden waren. Im zweiten Stock waren die Schlafzimmer und als wir im Erdgeschoss ankamen, erzählte ich von dem großen Speisesaal und der Küche hinter der Treppe, von den kleinen Salons und Wohnzimmern, den vielen Bäder in jedem Stock und den Trainingsräumen im Untergeschoss.

„Noch Fragen?", wollte ich wissen und verschränkte die Arme.

Er stand neben mir in der Eingangshalle. Das Licht fiel in das große Fenster über der Treppe und brachte sein helles Haar zum Leuchten. Er schürzte die Lippen. „Ich würde gerne die Trainingsräume sehen."

Ich nickte und ging wieder voraus, er hinter mir in einem gemächlichen Tempo. Ich beschleunigte, sodass er es auch musste. Ich wollte das alles so schnell wie möglich hinter mich bringen.

Wir stiegen hinter einer der Türen die breite, weiße Treppe hinunter. „Wir haben insgesamt einundzwanzig Trainingsräume. Zehn Räume für Einzeltraining, zehn für Partnertraining und eine große Halle für die Übung großer Schlachten."

Ich drückte auf den Knopf neben einer Tür und öffnete einen Einzeltrainingsraum. Neugierig betrat Ilias den Raum und sah sich um. Die blanken, weißen Wände und Böden, der komplett leere Raum. Ich trat an ihm vorbei und drückte den blauen Knopf an der Wand.

Die Wand öffnete sich und gab zahlreiche Waffen preis. Standardwaffen wie Schwerter, Dolche, Wurfsterne, Säbel, Katana und vieles weitere. Es gab sogar einige Schusswaffen, obwohl die meisten Dämonen zu schnell waren, um mit ihnen viel anfangen zu können. Aber für niedere Dämonen reichten auch sie.

„Die Waffenauswahl."

Ilias musterte den Bestand und ließ nicht erkennen, ob er beeindruckt oder enttäuscht war. Er nahm eines der Kurzschwerter, drehte es in der Hand und machte eine schnelle, horizontale Schnittbewegung. Er nickte. „Gut ausbalanciert."

Ich zog die Braunen zusammen. Was dachte er denn? Seine blauen Augen trafen meine. Etwas Unruhiges spiegelte sich darin. Dann wandte er den Blick ab und hängte das Schwert zurück.

„Sind die Trainingsräume in Frankreich so viel besser?", konnte ich mir nicht verkneifen.

Er erstarrte und drehte sich langsam um. Er sah mich mit einem langen Blick an und einen Moment fragte ich mich wie er mich ansehen würde, wenn er wüsste wer ich wirklich war. „Das ist es nicht." Fragend sah ich ihn an. Was dann? Er schüttelte den Kopf und ein leichtes Lächeln zierte seine Lippen. Ich gab es auf.

„Willst du noch den Partnertrainingsraum und den Großen sehen?", wollte ich wissen. „Ja." Ich nickte wieder und er folgte mir einen Raum weiter.

„Identischer Raum, nur um das doppelte größer", erklärte ich und wieder sah er sich um. Am Ende des Ganges waren mehrere Aufzüg. Wir fuhren auf minus 6 und kamen direkt in die Halle. Sie besaß das dreifache Ausmaß aller Trainingsräume zusammen.

„Sie ist 35 Meter hoch und einen Kilometer im Quadrat", informierte ich. Es war kein Wunder, dass sie die Schlachthalle hieß. Es hatte nämlich schon kleinere Schlachtfelder im echten Kampf gegeben.

Ilias schien nun doch etwas beeindruckt. Er berührte die Wand neben ihm. Sie war verstärkt und würde nicht verbrennen. Nicht mal bei himmlischem Feuer.

„Wieso seid ihr erst jetzt zu unserem Clan gekommen?", wollte ich von ihm wissen. „Ihr seid doch schon seit Jahren hier in England."

Ilias drehte sich zu mir und kam mit zwei Schritten sehr nahe. Was? Mein Herz begann zu hämmern, aber ich wich nicht zurück, wollte mir keine Schwäche anmerken lassen. Wir waren gleich groß.

„Du scheinst mich nicht besonders zu mögen", meinte er und sah mir forschend in die Augen. Ich sagte nichts, was sollte ich auch sagen? Ich versuchte meine Distanz zurückzuerlangen. Erfolglos.

„Das habe ich nie behauptet", erwiderte ich und er legte den Kopf etwas schief. Dann lächelte er etwas und meinte. „Ich kann dich einfach nicht durchschauen." Unwillkürlich musste ich auch lächeln. „Ich bin der Prinz. Wäre sonst auch eine Blamage." „Richtig, der Prinz. Tut mir Leid, wenn ich dir respektlos erschienen bin." „Du hast meine Frage noch nicht beantwortet." Er nickte. „Ja, aber sie ist schwer zu beantworten."

Er fuhr sich durch die Haare. „Kurz gesagt waren wir uns nicht sicher, ob ihr uns willkommen heißen würdet." Schweigen setzte ein. Bis jetzt hatte ich selten Fälle gehört, in denen jemand seinen Clan wechselte, aber warum nicht? Schließlich meinte ich: „Lust zu trainieren?"

___

Wir zogen uns in den Umkleiden im Untergeschoss um. Ich konzentriere mich ganz auf das umziehen, um nicht aus Versehen zu starren.

Es gab immer frische Trainingskleidung in den Umkleiden. Alles gehörte allen. Ein schwarzer Ganzkörperanzug aus feuerfestem Material. Wir kehrten zurück in die Halle. Fürs Fliegen war sie am besten geeignet und zurzeit trainierten nur ein paar andere in den Einzelräumen, was dadurch erkennbar war, dass die Knöpfe neben den Türen von blau zu rot gewechselt waren.

Das Neonlicht drang von der Decke bis zu uns hinunter. Ein Knopf gab wieder die Waffen hinter der Wand frei.

Ohne überlegen zu müssen entschied ich mich für ein Schwert und Ilias nahm das vom gleichen Typ. „Gleiche Bedingungen", erklärte er seine Entscheidung. „Na gut."

Wir liefen ein Stück in die Mitte der Halle. „Welche Regeln habt ihr in Frankreich für den Trainingskampf?", wollte ich wissen, während wir uns gegenüber aufstellten.

„Unterschiedlich. Es gibt den Kampf ohne Waffen, den alleinigen Waffenkampf oder wir setzen aufs Volle und benutzen alles zusammen mit unseren Kräften." Ich lächelte. Genauso wie bei uns. „Wenn wir auf die Vollen gehen, wann hat man gewonnen?" „Ein Treffer mit dem Schwert oder Feuer." „Gut, dann machen wir es so."

Ich fühlte die Spannung, ich war aufgeregt und freute mich auf den Kampf. Kurz sahen wir uns in die Augen, nahmen beide Kampfposition ein.

Ich schwang mein Schwert als erster und war in einem Sprung bei ihm, er drehte sich weg und ich versuche seine Füße wegzuziehen, doch er sprang einfach hoch, stützte sich an meiner Schulter ab und landete in einem Salto hinter mir auf den Beinen.

Ich fühlte seine energiereiche Ausstrahlung und konnte mich gerade so in Sicherheit bringen, bevor der weiße Flammenstoß mich getroffen hätte. Ich sprang außer Reichweite.

Lauernd umkreisten wir uns, bis er mit dem Schwert nach vorne stach und erneut ein Feuerstoß auf mich zu schoss. Die Luft knisterte, das Geräusch des Feuers, wie es zerstörerisch nach Haut lechzte. Ich beschwor mein eigenes Feuer.

Meine Nerven vibrierten, die Energie sammelte sich in meinen Händen und kribbelte, bereit, frei gelassen zu werden.

Ich teilte sein Feuer mit meinem Schwert, grüne Funken tanzten in der Luft und Feuerzungen leiteten sein Feuer hoch in die Luft, in der der Feuerstrom versiegte.

Meine Energie befreite sich mit einem Stoß und der Richtung meines Schwertes folgend, das ich in einem Bogen kreisen ließ, kam eine wahre Welle an Feuer auf ihn zu.

Er hielt sich die Arme vors Gesicht, sein Schwert hatte er in die Luft geworfen.

Ein weißer Kokon aus Feuer war um ihn herum erschienen und verhinderte, dass meine Flammen zu ihm drangen. Das Schwert fing er hinter seinem Rücken auf, aber ich ließ ihm keine Pause.

Mit mehreren Schwerthieben attackierte ich ihn, doch jeden einzelnen konnte er parieren. Meine Aufmerksamkeit schweifte aber von dem Kontern und Zuschlagen, auf sein Gesicht. Seine Gesichtszüge waren ruhig, als würde es ihn nicht anstrengen, aber seine knappe Abwehr immer wieder ließ aufs Gegenteil schließen. Meine mangelnde Aufmerksamkeit wurde mir fast zum Verhängnis.

Ich musste meinen Oberkörper stark zurücklehnen, um nicht von ihm geköpft zu werden. Nun griff er an und ich musste aufpassen rechtzeitig abzuwehren. Ich holte mein Feuer zurück, ich fing sein Schwert mit meinem ab, stieß es zur Seite, wir kamen in eine kreisende Bewegung der Klingen, Funken stoben und er musste sein Schwert fallen lassen.

Es flog quer durch den Raum.

Ich entließ mein Feuer über meine Schwerthand, die Scheide fing Feuer und ich stieß das Schwert vor. Doch er war nicht mehr da. Ich sah nach oben und was ich sah ...

Da oben flog er auf der Stelle, seine perlweißen Flügel waren herrschaftlich und seine ganze energiegeladene Aura pulsierte. Von diesem Anblick gefesselt, bemerkte ich zu spät sein Vorhaben.

Ein gewaltiger, weißer Feuerstoß rollte auf mich zu, ich errichtete einen schützenden Schild aus grünem Feuer, aber die Wucht war viel zu groß. Ich verlor mein Gleichgewicht und knallte auf den Rücken, sein Feuer haarscharf an mir vorbei. Es trieb mir die Luft auf den Lungen und ein Schmerz setzte in meinem Rücken ein.

Ich sah Ilias genau über mir fliegen, einen Feuerdolch in der Hand. Er wollte den Kampf nun beenden.
Da stieß ihn ein roter Feuerschwall seitlich, er schrie auf und fiel wie ein Stein vom Himmel. Langsam setzte ich mich auf und sah wie er sich die letzten Meter vor dem Boden wieder abfing und sachte, taumelnd landete.

Ich sah wehendes, schwarzes Haar und wie ein Hase auf Speed feuerte sie mit roten Feuerkugeln auf Ilias.

Sie warf ihn um und hielt ihn mit ihrem Körpergewicht am Boden.

Benommen stand ich auf und rannte auf Vina zu, die einen Feuerdolch an seine Kehle hielt.

„Wie kannst du es wagen den Prinzen anzugreifen?", brüllte sie ihm ins Gesicht.

„Vina!", rief ich und sie drehte sich bei meiner Stimme um.
„Prinz, geht es Euch gut? Keine Angst, ich habe den Angreifer unter Kontrolle."

Ich blieb neben ihr stehen. Ilias nutzte die Ablenkung und konnte Vina von sich werfen und auf die Beine kommen. Vina ging wieder in Kampfstellung. Sie wollte ihn angreifen. „Vina, hör auf!", befahl ich ihr und sie hielt verunsichert inne.

„Es war nur Training, Vina. Siehst du? Wir tragen Trainingskleidung." Nun schien Vina auch darauf zu achten und löste die elektrische Spannung und ihre Haltung auf. „Oh", entfuhr es ihr. „Darf ich dir vorstellen? Das ist Ilias Eder aus Frankreich. Er gehört nun mitsamt seiner Familie zu unserem Clan."

___

„Braucht Ihr ein Zimmer?", fragte eine Nephilim, die unserem Clan diente, beugte sich zu Ilias vor, der am Tisch saß. Sie servierte das Abendessen und hatte die Bluse tief aufknöpft.

Wir hatten nicht mehr viel Zeit. Es war bereits dunkel und die Dämonen aktiv. In ein paar Stunden würde die Jagd beginnen. Ich war für heute eingeteilt.

Ilias gegenüber von mir erwiderte freundlich: „Nein, ich werde nach der Jagd nach Hause zurückkehren." Er schien gar nicht zu bemerken, dass sie versuchte ihn zu umgarnen, sah sie nicht einmal an.

„Habt ihr genauso Probleme in den Wäldern?", wandte er sich an mich. Ich schluckte hinunter und stellte das Glas ab, bevor Greta auch mir einen Teller hinstellte. Bei mir hatte sie es schon längst aufgegeben.

Der Speisesaal war brechend voll. Heute waren noch viele Mitglieder kleinerer Clans, unserer Außenclans, angekommen, um sich über die neuesten Geschehnisse auszutauschen und an der morgigen Sitzung teilzunehmen, zu dem mein Vater gerufen hatte.

„Bis vor zwei Tagen, meiner letzten Jagd, nicht und auch von den anderen habe ich nichts derartiges gehört. Aber vielleicht ändert sich das ja noch." „Ganz sicher tut es das. Wir müssen viel vorsichtiger sein. In Frankreich schicken sie nun immer Späher vor, um die Lage auszukundschaften." „Ja, ich werde den Trupp sowieso mitanführen. Ich teile ein paar Leute dafür ein."

Ilias lächelte. „Natürlich, du bist der Prinz", sagte er als wäre es ihm gerade erst wieder eingefallen.

„Sehe ich denn nicht so aus?", wollte ich von ihm wissen und spießte eine Kartoffel auf.

„Nun, du hast eher die Ausstrahlung eines Kriegers."
„Ach ja?"
„Ja, glaube mir. Ich kenne den Prinz Frankreichs."
„Und dieser sieht mehr wie ein Prinz aus?", fragte ich skeptisch. Wieso fühlte ich mich von diesem Prinzen ausgestochen?

„Wenn man als Prinz faul, verzogen und arrogant versteht, dann ja." „Nicht zu vergessen weltfremd und alles andere als kontaktfreudig."

In der Tür zum Saal stand ein junger Mann, schwarze Haare, intensive Augen und lässig gekleidet. Lenus, Ilias Freund, der das Wort ernst beinahe schon verkörperte.

„Was machst du denn hier, Len?" Freudig stand Ilias auf und sie umarmten sich zur Begrüßung. Die beiden setzen sich.

„Caenan, das ist Lenus. Lenus - Caenan." Wir nicken uns zu. Plötzlich herrschte eine eisige Stimmung.

„Was habt ihr eigentlich die letzten zwei Jahre in England getan?" Die Augen von Lenus formten sich zu Schlitzen. Ilias erstarrte eine Sekunde, dann lächelte er, aber es war ein falsches Lächeln. „Unser Haus steht eine Stunde von der Stadt entfernt. Wir haben dem dortigen Außenclan unsere Hilfe in der Jagd angeboten, aber sie haben uns abgewiesen und gemeint, wir bräuchten erst die Erlaubnis des Königs. Also sind wir für gelegentliches Jagen zurück nach Frankreich geflogen."

Ich nickte, auch wenn ich mit der Antwort nicht zufrieden war. Ilias war, was das anbelangte, nicht ehrlich. Aber wie viel wusste ich von ihm, seiner Familie oder gar Lenus? Nur, weil wir uns einen halben Tag gut verstanden hatten, hieß das nicht, dass ich ihm vertrauen konnte.

Meine Miene blieb ausdruckslos und ich seufzte. „Gut, dann ist das ja geklärt." Wir beendeten das Mahl. Danach zog Lenus Ilias aus dem Saal.

Greta räumte meinen Teller ab und ich machte mich auf den Weg in den zweiten Stock, in mein Zimmer.

Um den Kopf der Treppe verlief eine Galerie. Am hinteren Ende befand sich mein Zimmer, am anderen das meiner Eltern. Dazwischen die vielen Zimmer der Clanmitglieder. Ein Glück, würde ich sagen.

Auf dem Weg begegneten mir viele von ihnen. Mit einigen von ihnen werde ich heute auf die Jagd gehen. Ich sprach ein paar Worte mit ihnen. Zwei meldeten sich freiwillig als Späher zu fungieren, Leah und Sam, denn die Idee war gut.

In meinem Zimmer war es dunkel, jemand hatte bereits die Vorhänge zugezogen. Einen Moment stand ich komplett erstarrt da, bis ich die Tür verriegelte, mich mitten im Zimmer hinstellte und die Augen schloss.

Ich konzentriere mich auf meinen Körper, spürte jede Faser davon, jeden Muskel, Haut und Knochen. Jeden blauen Fleck, den ich mir heute eingefangen hatte. Ich konzentriere mich auf die Verwandlung. Ich spürte wie sich mein Körper veränderte. Manche Stellen wurden schmaler, manche breiter, ich schrumpfte um einen Kopf, meine Gesichtsform veränderte sich, mein Gesicht. Mein Körperschwerpunkt verschob sich. Das T-Shirt, das ich nun trug, war viel zu groß, dafür spannte der Gürtel an meiner Hüfte. Schnell öffnete ich ihn und schlüpfte aus der Hose. Ich warf mich auf mein Bett und spürte erholsam die neue Form meines Körpers. So viel besser.

Es war das Geschlecht mit dem ich geboren wurde. Auch spürte ich keine blauen Flecken oder schmerzenden Stellen mehr. Es war, als würde ich durch die Verwandlung stets zum Status Quo zurückkehren, auch wenn sie wir immer am meisten Kraft abverlangte. Aber ich traute mich nur im wachen Zustand als Mädchen zu sein. Im Schlaf war ich viel zu verwundbar.

Ich erlaubte mir für ein paar Minuten einfach so liegen zu bleiben, bis ich mich doch aufraffte ins angrenzende Bad zu gehen. Ich ließ mir ein Bad ein und sank in das warme Wasser, entspannte mich vollends. Das Shampoo fiel mir aus der Hand und ins Wasser und ich fluchte. Meine Stimme war höher, weiblicher, wenn auch trotzdem nicht hoch für ein Mädchen. Kam vom Rauchen, würde ich denken, wenn ich das mir dem Status Quo nicht wüsste. War zumindest meine Theorie.

Ich wusch mich noch fertig und stieg aus der Badewanne. Im Spiegel sah ich mich gar nicht so genau an und kämmte mir nur schnell meine kurzen, dunkelblonden Haare. Es war ein ungewohnter, aber doch so natürlicher Anblick für mich. Ich konnte sein, wer ich wollte. Wenn das nur der Wahrheit entspräche.

Ich betrat gerade wieder mein Schlafzimmer, als es an der Tür klopfte.

„Caenan? Wir wollen noch die letzten Einzelheiten besprechen, da es heute etwas anders ablaufen wird." Verärgert starrte ich die Tür an und versuchte mit tiefer Stimme ein: „Ich komme gleich", zu imitieren. Klang aber nicht so glaubhaft.

„Ist alles in Ordnung?", erklang es von der anderen Seite und ich schloss die Augen und konzentrierte mich auf eine schnelle Verwandlung.

Es dauerte ein paar Sekunden und ich hörte ein. „Caenan?" Fast geschafft.

Die Tür wurde aufgestoßen, obwohl ich sie verriegelt hatte und ich stand nur in einem Handtuch um die Hüften vor einem jungen Mädchen. Divina.

Sie riss ihre Augen auf, als sie erkannte in welchem Moment sie mich erwischt hatte und lief rot an.

„Ja, Divina, alles in Ordnung. Wenn du also jetzt bitte rausgehen könntest. Oder willst du mir denn auch dabei Gesellschaft leisten ..." Ich griff mit einer Hand nach meinen Jagdklamotten auf meinem Schreibtisch.

Hastig wandte sie den Blick ab und drehte sich weg. Sie schien noch mehr zu erröten. „Nein ... ich ... etschuldigt vielmals, mein Prinz. Ich dachte Euch wäre etwas zugestoßen." „Danke für deine Fürsorge, Divina." Sie winkte ab und meinte während sie ging: „Wir warten in der Eingangshalle." Sie schloss die Tür und meine Haltung fiel in sich zusammen. Ich atmete tief aus. Reiß dich zusammen! Schnell zog ich die schwarze Jagdkleidung an und hastete die Treppen hinunter.

3

 

Was macht er denn hier? Erstaunt blieb ich vor Ilias und Lenus stehen. Ilias hatte schon vom König die Beteiligung an der Jagd aufgedrückt bekommen, um ihren Nutzen im Clan zu beweisen, aber wieso war Lenus dabei?

„Du bist nicht eingeteilt", sagte ich statt einer Begrüßung. Ich kannte die neueste Liste der teilnehmenden Kämpfer. „Doch. Man muss es versäumt haben dir mitzuteilen." Mit verschränkten Armen trat ich noch einen Schritt auf ihn zu. „Über die Nacht werden meine Leute prüfen wollen, ob ihr etwas taugt. Ihr werdet euch beweisen müssen." „Dann sind zwei gute Ergebnisse doch besser als eines." Ich wollte etwas erwidern, wurde aber von Janon in die Mitte der Halle gezogen. Dort warteten bereits ein paar Krieger unserer verstreuten, umliegenden Außenclans. Ich kannte sie nur flüchtig und wenn ich mich richtig erinnerte standen sie alle nicht auf der Liste. Gut, dann sind wir eben mehr Leute. Mehr Kämpfer konnten nie schaden. Janon, Divina und ich würden zusammen alles koordinieren und waren die Anführer. Wir waren für heute zwanzig Leute. Die Patrouille war noch vor dem letzten Sonnenstrahl zurückgekehrt und berichtete, dass im Laufe des Tages vor allem im Wald und im und über dem Meer reges Wuseln von Dämonen stattgefunden hatte. Die Pflanzendämonen waren aktiver und auch die fischähnlichen Dämonen. Sie mussten sogar am Tage einen menschenähnlichen Dämon über der Weite des Meeres bekämpfen und vertreiben. Wir fassten den Schluss noch einen Späher zu ernennen, damit einer im Wald, einer im Wasser und einer in der Luft für einen Überblick sorgen konnte. Ein spitzbübisch grinsender Außenclankämpfer meldete sich und wir teilten die Leute in drei Gruppen ein. Divinas, Janons und mein Team. Wir würden uns um den Wald kümmern, Divina um den Himmel und Janon um das Meer. Es konnte losgehen.

Es war Neumond und selbst die Sterne schienen an Leuchtkraft einzubüßen. Mein Team und ich flogen zur Waldgrenze und landeten auf der Wiese davor. Genauso wie alle anderen fuhr ich meine Flügel ein, zog meine Aura so dicht wie möglich an meinen Körper wie eine zweite Haut, um uns nicht gleich zu verraten und verharrte. Würden wir Unkundigen jetzt nach dämonischen Auren tasten, würden wir unweigerlich auf uns aufmerksam machen und unseren Standort Preis geben. Im alltäglich Leben war das nicht weiter schlimm, da wollten wir die offene Konfrontation meiden, aber bei der Jagd war der Überraschungseffekt ein zentraler Vorteil. Kundige für das Ertasten gab es sehr wenige, da es schwer zu erlernen war. Diese konnten auch Dämonnauren ertasten, die getarnt waren. Dämonen kannten nämlich Wege sich für unsere geistigen Fühler unsichtbar zu machen.

Ich nickte Jean zu, unser Späher, der wortlos an uns vorbei ging und den Wald betrat. Ich wartete gespannt, ließ mit meiner Energie meine Sinne schärfen. Ich hörte den Wind durch die Blätter streifen, kleine Tiere im Unterholz, den Atem meiner Jäger. Nach endlos langen Minuten tauchte eine schwarze Gestalt zwischen den Bäumen auf, ich spannte mich an, wie die anderen, erkannte aber sogleich durch die Körperhaltung und den Bewegungen, dass es einer unserer Jäger war. Ein exzellenter Jäger dem zu urteilen. Jean. Er blieb direkt vor mir stehen.

„Im Osten sind aggressive Geräusche von Höllenhunden zu hören, die Tiere reißen. Der Weg zu ihnen hin ist gespickt mit dämonischen Schlingpflanzen. Ansonsten nur Kleintierdämonen." Ich nickte. „Gut. Wir bleiben zusammen und die Schwertkämpfer zerschneiden die Pflanzen. Bis wir das Rudel erreichen, versuchen wir sie einzukreisen, jeweils zwei Personen zusammen. In unserem Fall auch eine Dreiergruppe. Wie viele schätzt du?", fragte ich an Jean gewandt. Dieser dachte kurz nach. Er war ein wenig älter als ich und kleiner. Aber schon Clanführer eines unserer Außenclans. „Vier, nein fünf." Weniger, als erwartet. „Wir trennen sie. Lockt jeweils einen vom Rudel und erledigt ihn. Die zwei restlichen könnten den anderen zu Hilfe kommen. Wir sollten erst die Bogenschützen diese niederstrecken lassen." Ich sah wie alle nickten und meinem Plan zustimmten. Nur Jean tat nichts dergleichen. „"LDie Höllenhunde könnten zu stark für zwei Personen sein", wandte er ein. Ich schmunzelte nur. „Wir haben die besten Kämpfer des Clans heute eingeteilt. Hier sind alle Profis." Jean sah kurz skeptisch aus, nickte dann leise seufzend. „Sonstige Einwände?" Niemand meldete sich zu Wort. Ich nickte und sah Fiona an. Sie nickte genauso, und schulterte ihren Bogen wieder. „Dann los."
Unsere Schwertkämpfer, darunter die Zwillinge, Katherine und ich waren die Vorhut. Zunächst wucherten noch keine dämonischen Pflanzen, aber nach weniger als einer Minute schlängelten sich die ersten Würgepflanzen hinunter und wollten sich um Fionas Hals legen, doch Kathy schnitt sie rechtzeitig ab. Sie wuselten um unsere Beine, beindick im Durchmesser. Ich schnitt durch sie wie durch Butter, grüne Substanzen, die aus den Schnitten austraten, flogen durch die Luft. Eine hatte sich um das Bein von Katherine geschlungen und zog es ihr unter dem Körper weg. Jean befreite sie und half ihr hoch. Ich deutete mit meinem Kopf weiter.

Je schneller wir uns bewegten, desto schwieriger konnten sie uns fassen. Die Pflanzen waren nicht halb so schnell wie wir. Wir hetzten schneller durch den Wald, so viele Dämonenpflanzen wie möglich zu Kompost verarbeitend. Nebenher trauten sich auch kleinere Dämonen aus ihren Verstecken. Kleintiere wie Eichhörnchen, Hasen und Füchse, die auf uns losgingen. Wir töteten auf unserem Weg so viele wie möglich. Ich lief ganz vorne mit, Jean an meiner Seite. Ich war überrascht, denn bisher konnten nicht viele mit meinem Tempo auf Augenhöhe mithalten. Er lächelte mir leicht zu und ich erwiderte es.

Schon hörte ich die Geräusche von Knurren und Scharren, Jaulen und Winseln. Jean und ich blieben stehen. Fiona und ich wechselten einen kurzen Blick, bevor sie leise wie der Wind nach vorne schoss und ich sie gerade noch sehen konnte, wie sie auf einen Ast sprang und sich eine gute Position zum schießen suchte. Es dauerte nicht lange, da hörte ich das erste Knurren und Jaulen, das daraufhin erstarb. Nun hatte sie es schwerer, die Höllenhunde waren vorgewarnt und ich hörte das Rascheln von Blätter und Tappen von Pfoten. Sie entfernten sich aber nicht etwa, sondern kamen in unsere Richtung. Nochmals ertönte ein kurzes Winseln und eines der Viecher heulte.

Die Tiere fingen an wild zu knurren und ich schickte das eine Team in die eine und das andere in die andere Richtung, damit sie das Rudel einkreisen konnten. Jean blieb an meiner Seite und Fiona tauchte neben uns zwei auf. Die Wölfe tauchten wie schwarze Schatten zwischen den Bäumen auf, ich spürte die tiefe, innere Ruhe, die mich jedesmal vor einem Kampf überkam. Ich drehte das Schwert in meiner Hand, dann sprang mich schon der erste und größte der Höllenhunde an.

Er war doppelt so groß wie ein Wolf, seine Zotteln waren unterbrochen von kahlen Stellen und die Krallen 30 Zentimeter lang. Da waren keine normalen Hundeaugen. Es gab keinen Augapfel, stattdessen schienen Kohlen in seinen Augenhöhlen zu glühen. Ein beißend schwefliger Geruch schlug mir entgegen. Ich wich dem massiven Körper mit einem Sprung auf einen Ast über mir aus. Der Höllenhund knallte mit seinem ganzen Gewich gegen den Baumstamm, der wiederum umknickte und mit einem gewagten Sprung auf einen weit entfernten Baumast brachte ich mich in Sicherheit. Schon musste ich eine Dämonenschlinge vor meinem Gesicht entzwei teilen. Hier oben wucherten sie wie Unkraut. Kein Vorankommen war so weit oben möglich, sie spannten sich wie sich schlängelnde Spinnennetzte. Der Höllenhund hatte sich bereits wieder aufgerappelt, schlug mit seinen Krallen nach Jean, der sie mit zusammen gebissenen Zähnen abwehrte. Die Kraft dieser Kreaturen war wahrlich gigantisch. Fiona entdeckte ich auf einem Ast weit unter mir, sie zielte, aber schoss nicht, wohl aus Angst Jean zu treffen. Ich schätzte die Entfernung und ließ mich vom Ast fallen, die Schwertspitze nach unten zum Stoß gehoben. Die Klinge bohrte sich in den Nacken des dämonischen Tieres, während ich mit Schwung auf seinem Rücken landete. Sein Rückenmark trennte sich, schnell stellte ich einen Fuß auf seinen Rücken und stieß mich ab, um in einem Salto neben dem Tier zu landen, das seitlich zusammenbrach und liegen blieb. Jean war nach hinten gewichen, um von dem monströsen Körper nicht begraben zu werden. Sein anerkennender Blick traf mich. Ich wischte das Blut mit meinem Jackenärmel von der Klinge und steckte das Schwert in seine Scheide. Neben uns landete Fiona.

„Das war echt gewagt", meinte sie und ich zuckte mit den Schultern. „Manchmal muss man Risikos eingehen. Es hat seinen Zweck getan." „Gute Technik", kam es von Jean. „Wie zu erwarten von unserem Prinzen", rief eine tiefe Stimme und ich drehte mich zu Katherine, die mich lächelnd betrachtete. Ich erwiderte es. Hinter ihnen lag eine weitere Höllenhundleiche, durchbohrt wie schweizer Käse. „Wir haben jetzt keine Zeit. Sehen wir die letzte Gruppe an. Dann helfen wir Divinas und Janons Gruppen."
Caeden, wir haben die Jagd ohne Verluste abgeschlossen, sollen wir euch helfen?, ertönte es in meinem Ohr von dem kleinen Ohrstöpsel. Es war Janon.
Wir habens auch gleich. Treffen wir uns über dem Meer bei Divina, erwiderte ich.
In Ordnung.
Wir hörten Kampfgeräusche und folgten der Richtung. Nun tauchte zwischen den Sträuchern ein weiterer, kleiner Höllenhund auf. Die Zwillinge wirbelten mit ihren Dolchen herum, schnitten hier und dort den Dämon und sein Fell verschmierte vom in der Nacht schwarzem Blut, das an manchen Stellen orange fluoriszierte.
Der Dämon verlor an Kraft, seine Bewegungen ungezielter, aber er knurrte nochmal entsetzlich, zeigte seine Lefzen, die gelben Zähne, versuchte nach den beiden zu beißen. Sie spielten nur noch mit ihm, machten ihn müde. Ein Pfeil bohrte sich in seinen Hals und der Höllenhund sackte tot in sich zusammen. Fiona entspannte den Bogen. Ihr war es wohl auch langsam zu blöd gewesen. „Fertig gespielt", meinte sie. „Fiona hat Recht. Das war nicht nötig", maßregelte ich die beiden, die nur demütig die Köpfe senkten. Die schienen es zu genießen die Kreaturen zu quälen, bevor sie sie töteten. „Gut gemacht", sagte ich lächelnd an alle. „Wir sind hier fertig. Wir treffen uns über dem Meer, um Divinas Gruppe zu helfen. Janons ist bereits da." Unsere Gruppe war leise, als wir weiter schlichen, nur sehr leise wurde sich unterhalten und auf dem Weg nebenbei kleinere Dämonentierchen getötet. Sie waren einfach zu erledigen.

Auf einer nahen Lichtung, breit genug um die Flügel auszubeiten, flogen wir los, in einer pfeilförmigen Formation. Der Wind strich meine Federn entlang, ich war an der Spitze, hatte es damit am Schwersten dem Luftwiderstand zu trotzen, aber es war nicht mehr so anstrengend wie zu Anfang. Nach wenigen Sekunden tauchte das matt glitzernde Meer vor uns auf, der kühle Strand und die Sterne wurden nur von ein paar Wolken verdeckt. Ein paar Schatten mit hell glänzenden Flügeln schwebten hoch oben, aber als ich näher kam, sah ich sie alle immer noch kämpfen. Sie verwendeten Feuerstöße und -angriffe, die die Nacht erhellten wie kompaktes Feuerwerk. Kleinere Drachendämonen antworteten mit rot pulsierendem Höllenfeuer. Sie waren bereits zu 13 Kämpfern, konnten sie in Schach halten, aber sie auch nicht wirklich zurück zwingen. Nach weiteren Sekunden waren wir bei ihnen.

Wie ist die Lage?, fragte ich Divina, die atemlos antwortete: Da kommen stetig mehr von den Biestern, aber mit euch müssten wir sie jetzt dezimieren können.
Ganz vorne sah ich Divina kämpfen, sie wirbelte ihr Schwert gekonnt und wich dem Höllenfeuer aus, schlug Flügel und Köpfe ab und rammte ihre Klinge in Bäuche. Ich musste mich vor einem Stoß Höllenfeuer in Sicherheit bringen, gewann ein wenig an Höhe und flog von oben herab auf meinen Gegner zu. Es war ein schwarzer Drache, die Zeichnungen auf seinem Leib erinnerten an flüssige Lava. Er war so groß wie ein PKW und hatte einen langen Hals.

Drachen. Es waren Luzifers Haustiere. Zumindest sagte man sich das. Ich schwang mein Schwert zusammen mit einem Schwall grünem Feuer. Der Drache war nicht agil genug, um dem auszuweichen, er kreischte, als das Feuer ihn traf und seine Haut verätzte. Es dampfte und ein Geruch von verbranntem Fleisch stieg in die Luft. Mit einer Drehung meines Körpers konnte ich genug Schwung und Kraft aufbringen, um dem Ungeheuer seinen kompletten Hals durchzutrennen. Knochen und Muskeln, orange glühendes Blut spritzte. Sein Kopf fiel vom Himmel, sein Körper stellte jede Bewegung ein und tat es dem Kopf nach.

Spitze Zähne bohrten sich in meine Schulter, ich schrie auf und stieß den Dolch an meiner Jacke in den festgebissenen Schädel. Es knirschte, das Gebiss ließ locker und  der hundegroße, insektenähnliche Dämon fiel tot gen Erde. Doch im nächsten Moment wurde ich gestoßen, mich um meine Achse drehend versuchte ich meine Lage zu stabilisieren. Ein Stoß Höllenfeuer hatte meinen rechten Flügel erwischt. Es brannte, ich fühlte die Nerven absterben, jeder Flügelschlag bereitete Pein, aber ich biss die Zähne zusammen und wehrte das nächste Untier ab. Eine Mischung aus Vogel und Eidechse.

Mit einem gezielten Schlag durchtrennte ich den Ansatz seines Flügels, woraufhin es hoch kreischend abstürzte. Mit Schrecken erkannte ich, dass ich an Höhe verloren hatte, mein ramponierter Flügel brachte mich in eine missliche Seitenlage und es erforderte viel Kraft es auszugleichen und nicht mehr weiter zu sinken.

Langsam gewann ich an Höhe, sackte immer wieder ab und wehrte kleinere Biester ab. Ich wurde nach vorne gedrückt, etwas war auf meinen Rücken gesprungen und grub seine Krallen in den verletzten Teil meines Flügels. Einen Schrei konnte ich nicht verhindern, meine Augen zusammen gepresst und wieder büßte ich schrecklich an Höhe ein. Ich beschwor mein Feuer, legte es auf meinen Körper und Hülle mich darin ein wie in einer Decke. Das Gewicht schwand langsam, als der Körper hinter mir zu Asche verbrannte und davon wehte. Meine Flügelspitzen streiften beim Ausschlagen bereits das Wasser, aber ich brachte nicht mehr als einen Meter höher zustande.

Unter der Wasseroberfläche sah ich leichte Bewegungen und beunruhigende Schatten. Über mir kämpften die Engel und niederen Dämonenviecher, aber die Dämonen waren in viel größerer Zahl. Als ich das Ausmaß erblickte, wallte Panik in mir auf. Ich muss Vater kontaktieren. Wir brauchen Unterstützung. Ich drückte auf den Ohrstöpsel.
Vater, helft uns. Wir werden von Dämonen überrannt.
Ich wartete nicht auf eine Antwort, musste ausweichen, als Körperteile von Dämonen vom Himmel fielen. Noch war keiner tot, erkannte ich erleichtert, aber schwer verletzt auf jeden Fall. Ich verzog das Gesicht, sah aus dem Augenwinkel das orange Glühen des Höllenfeuers an meinem schwarz verkohlten Flügel. Ich musste weiter kämpfen. Ich konnte niemandem im Stich lassen. Ich war für sie alle verantwortlich.

Kein Zentimeter höher gelang mir, da krallte sich etwas in meinen Arm und zog mich nach oben. Es war Janon. Mit stoischer Miene blickte er mich an. Er war wie immer die Ruhe selbst. „Ihr solltet nicht weiter kämpfen", sagte er und ich ließ mich von ihm höher und von dem Geschehen weg ziehen. „Das hast nicht du zu entscheiden", richtete ich ihn, kam aber nicht umhin aufzujaulen, als Janon meine  ramponierte Flügelspitze berührte. „Du kannst kaum fliegen. Wie willst du da kämpfen?" „Das geht schon", meinte ich und wich noch rechtzeitig aus, bevor er das Gleiche nochmals versuchen konnte. Er stellte sich mir in den Weg, als ich mich zum Kampfgetümmel aufmachen wollte. „Tut mir Leid, bei allem Respekt, aber das kann ich nicht zulassen." Er hielt meinen Arm fest, und auch wenn ich zog und zerrte, ihn schlug, er gab mich nicht frei. Seine Kraft war zu groß, sein Wille ebenso. Ich wusste ja welch exzellenter Kämpfer er war. Vater hätte keinen Schwächling als meinen Beschützer eingestellt.

Da blickte Janon hinter mich an den Horizont, ich drehte mich um und sah eine wahre Heerschar von hell erleuchteten Auren, Engel, auf uns zu fliegen.
Wir sehen euch, hörte ich in meinem Ohr.
Ich sehe euch, erwiderte ich und bestaunte die tadellose Formation, mein Vater an der Spitze und alle Kämpfer unseres Haupt- und viele unserer Außenclane in seinem Rücken.

Sie eilten den erschöpften Engeln schnell zu Hilfe und schlugen die Dämonenbiester in Fetzen. Ich hatte meinen Vater noch nie ernsthaft kämpfen sehen, aber was ich sah war mehr als beeindruckend. Man könnte sagen er hätte die halbe Dämonenarmee mit Leichtigkeit allein bezwungen.

Hinter den Dämonenbiestern erkannte ich eine Gestalt in schwarz aufleuchten, es war ein Mann, seine Flügel waren denen eines Engels gleich, nur in schwarz und prachtvoller als gewöhnlich. Seine Haare und Augen waren genauso dunkel, die Haut strahlte im Kontrast weiß, beschienen durch die gelegentlichen Feuerstöße.

Ein hoher Dämon, erkannte ich. Seine Aura war durchdrungen vom Bösen, sie war so dunkel wie seine Erscheinung, sie war gewaltig, pulsierte nur so vor Macht. Ich wusste nicht wer er war, sicher war nur, er hatte so eine Kraft wie ich sie mir in meinen Schreckensfantasien immer bei Dämonenkönigen vorgestellt hatte.

Die Schatten der Nacht schienen sich zu bewegen, mit dem Dämon zu atmen, Schatten schlängelten sich zu ihm empor, umhüllten ihn wie einen Mantel des Schreckens. „Ein Schattendämon", flüsterte Janon,  den Blick genauso gebannt wie ich zu dem hohen Dämon hinauf gerichtet. Der Dämon lächelte belustigt, man hörte erste Schreie von Engeln, Blut spritzte und mit Entsetzen erkannte ich die sich bewegenden Schatten, die Substanz zu besitzen schienen, sie konnten berühren und zerquetschten die Körper der Engel, als wären sie lästige Insekten. Die Engel fielen hinab, stürzten in die Fluten, viele Auren verblassten. Sie waren tot.

„Nein!", drang ein Schrei aus meiner Kehle. Die Lippen des Dämons bewegten sich zu Worten, die ich zwar nicht hören konnte, aber ich sah was er sagte.
Luzifers Tierchen sind zu nichts zu gebrauchen. Ich werde euch mit meinen eigenen Händen zerquetschten, ihr Glühwürmchen!

Die Hoffnungslosigkeit machte  grenzenloser Wut Platz, die sich in mir ausbreitete. Das konnte ich nicht zulassen! „Mein Prinz, nein!", rief Janon und fasste meinen Arm noch fester. „Es wäre Euer sicherer Tod!" „Diese Engel kämpfen im Bewusstsein zu sterben, ich bin nicht mehr wert als sie, also lass mich ..." Vielleicht meine Wut bewirkte, dass ich mich tatsächlich aus seinem Griff befreien konnte. Mit kräftigen Flügelschlägen hoch flog, aber direkt in Vinas Arme flog. Sie sah mich kalt an, berührte mich an zwei Punkten an den Flügelansätzen und ich konnte meine Flügel plötzlich nicht mehr bewegen. Vina fing mich auf, bevor ich fallen konnte, umarmte mich fest, mein Kopf an ihrem Hals. „Lasst es gut sein, mein Prinz."

4

 

Vina brachte mich an den Strand und setzte mich dort ab. Ich stand da, wurde von Vina aber auf meinen Allerwertesten gestoßen. Ihre unterschwellige Wut war wohl nun an die Oberfläche gekommen. „Du lernst es wohl nie, oder?", brauste sie auf. Ich wollte etwas erwidern, aber sie schnitt mir wie immer das Wort ab. „Es ehrt dich, dass du dich für alle verantwortlich fühlst, aber der König ist jetzt hier. Diese Bürde musst du jetzt nicht tragen." Sie zog ihre Flügel ein, kniete sich hinter mich und legte meine Flügel neben mich ausgestreckt.

Vor uns landeten noch zwei Engel, ich erkannte, dass es Ilias und Lenus waren. Ilias' Gesicht war zunächst ein bisschen schockiert, bevor er sich im Griff hatte. Wie aufgedrückte Schürhaken brannte es wieder am Flügel und ich biss mir auf die Lippe. „Vina!", stieß ich hervor. „Ich muss dich heilen, also lass mich machen", sagte sie streng und ich verkniff mir jeden weiteren Laut und Kommentar, um sie nicht noch mehr zu reizen. Janon landete vor uns und er ging vor mir in Stellung, auch Ilias und Lenus wandten sich dem Geschehen hoch über dem Wasser zu. Ich konzentriere mich darauf, um mich vom Schmerz abzulenken. Aber auch so hätte ich nicht weg sehen können.

Um den Schattendämon hatte sich eine gigantische, schwarze Wolke ausgebreitet, sie nahm mehr und mehr das Schlachtfeld ein, aber dort, wo Feuer und Licht erschienen, zuckten die Schattenschwaden zurück. Das hatten auch die Engel erkannt und hatten sich ganz in ihr himmlisches Feuer gehüllt, es sah aus als würden sie bei lebendigem Leibe verbrennen. Aber wie lange wird das gut gehen? Solch umhüllende Flammen kosteten einen hohen Energieaufwand. Ewig werden sie das nicht durchhalten.

Die kleinen und großen Dämonenbiester waren fast alle geschlagen, die Engel mussten sich nun hauptsächlich auf die tentakelähnlichen Ausläufer der Schattenwolke konzentrieren.

Es gibt schon Tote, kam es mir wieder in den Sinn und mein Hals schnürte sich zu. Da glühte direkt vor uns eine hellblaue Flammenwand auf. Es war Janons Feuer, dahinter sah ich sich undurchdringlich schwarze Tentakel bewegen. Ilias und Lenus traten näher an Janon, dann leuchtete auch ein weißes und ein violettes Feuer auf.

Neben mir sah ich genauso Schatten wie eine streunende Katze huschen und ich schickte einen Flammenstoß in die Richtung. Das Brennen war nun einem leichten Pochen gewichen und Vina setzte sich neben mich in den Sand und nahm meine Hand.

„Übernehmt Euch nicht", meinte sie, aber ich sagte: „Mir geht's gut." Vina lehnte sich an mich. Hinter uns hatte sie eine rote Feuerwand hochgezogen, die die Schatten genauso aufhalten sollte. Janon stellte sich nach links, Lenus nach rechts und dann waren wir inmitten einer farbenfrohen, spitz zulaufenden Feuer-Halbkugel. Auch ich wollte meinen Beitrag leisten, aber die Kraft, die ich vor wenigen Minuten noch in mir gespürt hatte, schwand stetig.

„Ruht Euch aus, mein Prinz. Das Höllenfeuer hat Euch einen Großteil Eurer Energie beraubt." Mit einem Ruck zog ich meine Flügel ein und ohne deren Stütze, fiel ich rücklings zurück, Vina auf mir. „Mist", sagte ich und Vina blieb erst still, war verdutzt, lachte dann aber leise.

„Wieso fliehen wir nicht?", drang die Frage Lenus' an meine halb aufmerksamen Ohren. „Das können wir nicht", sagte Janon. „Überall sind Schatten. Schwache, starke. Auch Schwache kann er kontrollieren, wenn die auch deutlich weniger Kraft besitzen. Aber er hat die starken Schatten bereits überall hin geschickt. Uns in die Flammen zu hüllen wird unserem Prinzen nichts bringen. Wir würden ihn verbrennen und eines selbst aufrecht zu erhalten ist er in seinem Zustand nicht in der Lage. Es ist unsere Pflicht den Prinzen zu beschützen."

„Eure Pflicht vielleicht, aber Ilias und ich sind nicht seine Beschützer", wandte Lenus ein. Janon blieb einen Moment still.

„Ihr habt Recht. Es ist nicht eure Pflicht. Flieht, wenn ihr wollt." Der letzte Satz durch die Zähne ausgestoßen. Lenus sah zu Ilias, der aber das Geschehen außerhalb der Feuerkuppel betrachtete. „Ilias." „Ich werde nicht gehen." Seine Stimme war ruhig, bedacht. Durch das Knistern der Flammen musste ich mich bemühen ihn zu verstehen. „Aber Ilias ..." „Nein, Len. Caenan ist ab jetzt auch unser Prinz. Wir müssen ihn beschützen. Ich lasse ihn nicht sterben." Fassungslos sah Lenus ihn an, ein funkelndes Blitzen in meine Richtung entging mir nicht. Dann löste sich seine angespannte Haltung. „Na schön. Wie du willst."

___

Leuchtend gelbes Feuer erhellte immer wieder wie eine gigantische Explosion den Himmel. Mein Vater konnte sich noch am Besten gegen die Schatten wehren, half den anderen und drängte die düstere Schattenwolke zurück. Aber der Dämon war mächtig, sogar alleine konnte er den vielen Engeln standhalten.

Die bunten Lichter und die dunklen Schwaden schienen einen Tanz aufzuführen, niemand konnte die Oberhand gewinnen.

„Die Nacht stärkt ihn", sagte auf einmal Janon. Er hatte nun auch seine Flügel eingefahren und setzte sich nun in den Schneidersitz. „Was meinst du?", fragte ich nach und Janon drehte seinen Kopf zu mir. „Er ist ein Schattendämon, ein mächtiger noch dazu. Ihre Kraft schöpfen sie aus der Dunkelheit, deshalb schwächt sie auch das Tageslicht, nicht auszumalen himmlisches Feuer."

„Müssten sie gegenüber himnmlischen Feuer dann nicht viel empfindlicher sein als normale Dämonen?"

"Das sind sie in der Tat. Ihre große Schwäche. Aber sie können sich gut mit den Schatten davor schützen. Außerdem ist es mit uns doch nicht anders. Die Dunkelheit schwächt uns, die physische, sowie die geistige. Das Höllenfeuer ist genauso sündig, da es die Sünden der Verstorbenen aufnimmt."

Ich sah wieder hinauf zum Farbenspiel. Die leuchtend gelbe Gestalt war verdächtig nah an den geflügelten Dämon herangekommen. Seine Flammen schienen nicht an Kraft zu verlieren. Aber auch er erwischte keine Gelegenheit, um dem Dämon nahe genug zu kommen, um ihn zu verletzen.

„Wie lange wird das noch so weiter gehen?", fragte ich. Vina bewegte sich neben ihr, sie sah auf ihre Uhr am Handgelenk. „In einer halben Stunde geht die Sonne auf. Dann wird sich das Blatt wenden." Ja, daran hatte ich gar nicht mehr gedacht.

Wieder sah ich einen der Engel vom Himmel stürzen und ich spürte, dass ich nicht einfach tatenlos herumsitzen konnte, während andere für unseren Clan kämpften. Für alle Engel. „Können wir ihnen wirklich nicht helfen? Ich fühle mich schon viel besser."

Vina sah zu mir auf, ihre Augen wirken müde. Ilias, der vor mir saß wirkte ganz angespannt und auch Janon neben mir hatte ganz vertieft die Augen geschlossen. Es kostete sie alle sichtlich Anstrengung die Feuerkuppel aufrecht zu erhalten. Sie waren erschöpft, konnte ich dann erwarten, dass sie sich wieder in den Kampf stürzten? Aber ging es den anderen Kämpfern nicht genauso? Konnten wir uns dann hier verkriechen und erwarten, dass sie ihr Leben für die Sache riskierten, die uns genauso betraf? Ich könnte jetzt nicht egoistisch sein und zulassen, dass wir das taten. Auch wenn ich sie alle gerne in Sicherheit wüsste.

Ich stand auf. „Wir müssen ihnen helfen."
„Wie willst du das anstellen? Wenn du es noch nicht begriffen hast, ohne Feuer bist du tot. Die Kuppel hier kostet weniger Energie", spuckte Lenus und richtete somit das erste Mal seit der Jagd das Wort an mich.

„Aber wir müssen etwas unternehmen. Das da draußen sind unsere Clansbrüder -und Schwestern. Wir können uns doch hier nicht verkriechen wie Angsthasen in ihrem Bau!"

„Du Dummkopf. Du kannst ihnen nicht helfen, selbst wenn du fit bist. Du machst dich dann nur selbst zum Ziel und bietest ihnen eine Zielfläche. Du kannst die Schatten nicht besiegen, denn sie haben, wenn sie wollen, keine Substanz. Der einzige Weg, ist die Quelle der Schatten,  den Dämon auszuschalten, der sie kontrolliert. Und genau das versucht ja dein Vater."

Frustriert stieß ich in den Sand. Es klang schlüssig, was er sagte, aber ich wollte und konnte immer noch nicht glauben, dass ich wirklich gar nichts machen konnte, während andere kämpften und ihr Leben gaben. Ich hatte es schon von klein auf gelernt Dinge in die Hand zu nehmen und hatte das auch nie abgelegt. Vielleicht war ich deshalb so gut im kämpfen. Aktion lag mir. Offensive war mein Freund. Aber wenn es diesmal nicht offensiv ging, dann mussten wir in die Defensive gehen.

„Dann lasst uns die anderen Engel auch unter die Kuppel holen. Unsere Leute verlieren nur unnütz ihr Leben. Lasst uns Zeit schinden bis die Sonne aufgeht." Vina sah mich etwas sprachlos an. Sie saß noch und rappelte sich auf. „Das könnte klappen. Ich habe es satt meine Freunde sterben zu sehen."
„Geht mir genauso."
„Zu viert schaffen wir es niemals die Kuppel so zu vergrößern", wandte Lenus ein.

„Das ist auch nicht nötig. Die Engel können sich mit ihrem Feuer anschließen."
"Sollen wir in die Luft? Du kannst jetzt doch wieder fliegen, oder?", erkundigte sich Lenus überraschend kooperativ. Ich schüttelte den Kopf.

„Die Fläche für eine Kugel ist größer, als die einer halben. Auf der Erde haben wir es einfacher." Der stechende Blick von Vina brachte mich dazu sie anzusehen.

„Vermutlich werde ich dich von deinem Vorhaben nicht abhalten können. Trotzdem, lass mich gegen. Dein Flügel ist noch nicht vollständig gegessen." Ich winkte ab.

„Solange ich fliegen kann, passt das schon." Ich wartete auf einen Einwand von Janon, der nicht kam. „Janon?"
„Du bist der Prinz. Es ist deine Entscheidung." Also hielt er es für eine gute Idee? „Gut. Ich werde sie einzeln herholen und ..." „Ich werde gehen."

Ilias erhob sich, drehte sich zu mir um und ich sah die Entschlossenheit in seinem Gesicht. „Ilias, lass mich gehen", versuchte Lenus ihn besorgt umzustimmen, aber bei Ilias zeigte sich keine Regung. „Nein." Das eine Wort strahlte so viel Endgültigkeit aus, dass Lenus stumm blieb.

Ich lächelte. „Gut, dann gehen wir", bestimmte ich und breitete meine Schwingen aus, doch Ilias war bereits aus einem Schlupflochs der Kuppel hinaus geflogen. Die weiße Farbe darin verschwand.

„Lass mich das machen", rief er und seine ganze Gestalt ging in weißen Flammen auf.

Ich sah ihm nach, er war schnell und deutete Janon die Kuppel zu öffnen. Er tat es und ich flog hindurch, spürte die Hitze des Feuers, als ich es passierte und brachte im selben Moment mein Feuer an die Oberfläche, das in meinen Muskeln als Energie gewartet hatte.

Das fliegen schmerzte kaum mehr und ich gewann schnell an Höhe und steuerte die ersten Engel an, die mit den Schatten zu kämpfen hatten. Sie stachen nach ihnen, doch die Schatten teilten sich einfach, wurden an den Stellen fadenscheinig. Ein orange glühender Engel war der erste, den ich erreichte.

„Katherine", schrie ich und sie wandte sich zu mir um, bekam dafür aber einen Schlag der Schatten zu spüren. Ich breitete meine Hände aus und eine Feuerkette breitete sich aus, hüllte die Schatten in Licht, die wichen, als wären es normale Schatten.

„Komm mit", rief ich zu Katherine, das schmerzvolle Stöhnen und die Todesschreie halten in meinen Ohren. "Na los, der Kampf ist sinnlos, wenn wir die Quelle nicht töten können."

Ich reichte ihr meine Hand, doch sie drehte sich um und zerteilte einen heimlich angekrochenen Schatten in zwei Teile. „Ich versteckte mich doch nicht wie ein Feigling", rief sie über die Schulter.

„Das tun wir auch nicht. Aber es bringt auch nichts sich sinnlos zu opfern. Hier kannst du nichts erreichen", argumentierte ich und versuchte sie zu überzeugen endlich mit mir zu kommen.

In ihren Augen blitzte Enttäuschung. "Weißt du weshalb dich alle verehren und gerne ihr Haupt vor dir beugen? Weil sie wissen, dass du kein Feigling bist, nicht davonrennst oder leere Worte dein Versprechen sind. Wir wissen, dass du alles tust, um uns zu schützen, du bist ein *Kämpfer,* wie wir, du bist nahe bei deinen Mitstreitern, siehst uns nicht als Untergebene. Aber vielleicht habe ich mich ja getäuscht und du bist genauso wie dein Vater."

Ihre Worte schmerzten, aber zum einen hatte ich keine Zeit, um ihr alles genau zu erklären, denn immer mehr Engel starben, wärend wir hier Zeit verloren. „Katherine, das war keine Bitte. Du kommst mit."

Ich ließ die Flammen von meiner Hand weichen und fasste ihre Hand. Es kümmerte mich nicht, als meine Hand verbrannte und Kathy mich geschockt ansah, sofort ihre Flammen an der Hand löschte. Ohne noch ein Wort zu verlieren, zog ich sie mit mir.

„Engel!", rief ich laut, „folgt mir, wir haben einen Plan." Alle Engel kämpften und verteidigten sich noch, aber ich war mir sehr sicher, dass sie mich gehört hatten.

Vielleicht folgten sie mir ja so. Ich sah einen türkis brennenden Engel vom Himmel stürzen, seine Flammen verschwanden, doch ein anderer Engel konnte ihn auffangen und flog direkt auf uns zu.

„Kommt" rief ich nochmals und flog los. Als ich zurück sah, sah ich die Engel uns folgen.

Ein großes Schlupfloch war in der Kuppel und als erstes flogen der Engel mit dem anderen im Arm hinein, ich und Kathy folgten.

Es waren schon ein paar mehr hier und vergrößerten die Kuppel. Die Engel draußen taten es uns nach, wie in einem Strom kamen immer mehr von ihnen hinein.

Ich stellte mich an die äußere Wand und ließ mein Feuer aufbranden. Draußen tummelten sich die Schatten wie Schlangen, sie kamen immer mehr, dichter, aber das Feuer hielt sie auf. Sie krochen über die Feuerwände, aber das brachte ihnen nichts.

Hier in der Kuppel war es taghell. Die letzten Engel folgten, niemand wollte mehr alleine der Übermacht draußen trotzen.

Die Kuppel schillerte in allen Farben Sie war gigantisch und die Engel hielten sich an den Händen, um ihre Energie weiter zu geben, die die an der Wand stehenden nutzen, um ihr Feuer weiter anzufachen und zu stärken. Viele flogen auch höher, denn die Kuppel war bereits viele Meter hoch.

Ich sah Ilias und Divina in der Menge, ihnen erklären, was denn mein verkündeter Plan war und viele das Gesicht verziehen, als sie erfuhren, dass es bloß der Verteidigung diente, bis uns die Sonne rettete. Ich sah nach draußen.

Die Dunkelheit schien Überhand gewonnen zu haben. Ein einzelner, gelber Feuerschein schwebte vor der intensiven Dunkel. Er war allein gegen einen Gegner, den er jetzt, ohne Kämpfer, sowieso noch weniger besiegen konnte. Sah Vater das denn nicht?

Er schien wie die helle Kerze einer Flamme mit der Dunkelheit zu tanzen. Sie waren sehr nah, der Dämon und mein Vater, stach er auf ihn ein, hatte er ihn denn schon so weit erreichty um ihn mit dem Schwert treffen zu können?

Da erklang ein Schrei. Jemand stürzte zu Boden, das Feuer schwand kurz an einer Stelle der Kuppel, bis die Lücke von den anderen geschlossen wurde. Auch ich spürte den Druck, den die Schatten auf die Kupppel ausübten. „Divina", rief ich, „wie lange noch?" Ich erhielt keine Antwort. „Es ...", ertönte kurz ihre Stimme von irgendwo, bevor sie verstummte.

Da sah ich genauer hin, nach draußen, in den Himmel. Schwarz von wurde einem dunklen Blau abgelöst.

Hinter dem Dämon kroch langsam die Sonne über den Horizont. Es war, als würde die Wolke aus Dunkelheit zusammen schrumpfen, dichter um einen dunkeln Punkt, der der Dämon war.

Die Wärme und das Licht taten gut auf der Haut. Sie hebte meine Stimmung augenblicklich, als würde nach einer Eiszeit endlich der Frühling anbrechen. Und plötzlich war der Dämon verschwunden. „Es ist vorbei", rief ich und hörte mit der Umwandlung von Energie in Feuer auf. Viele taten es mir nach und die Feuerkuppel löste sich auf.

Voller Sorge rannte ich zum Wasser hin, hielt nach meinem Vater auschau und war mehr als erleichtert, als sich meine Augen an die Helligkeit der Sonne gewöhnten und ich ihn nahen sah. Er landete im Sand vor mir, seine Miene war aber nicht siegesfroh.

„Caeden, hol ein paar Leute und versuche die Lebenden aus den Fluten zu ziehen. Es ist noch nicht alles getan, also Kämpfer, strengt euch nochmals an. Ausruhen könnt ihr euch zu Hause!"

Vater schritt an mir vorbei ohne mich weiter zu beachten und ich sah Vina auf mich zu rennen. Bevor ich ahnen konnte, was sie vorhatte, umarmte sie mich heftig und warf mich fast von den Füßen.

Sie löste sich wieder von mir, quirlig wie sie war, suchte sie meinen Körper nach Verletzungen ab. "Seit Ihr verletzt?", fragte sie und ich wollte verneinen, doch da hatte sie schon meine Hand entdeckt. „Vina, dafür haben wir später noch genug Zeit. Du hast meinen Vater gehört. Er will, dass ich nach Verletzten suche."

Doch sie schenkte meinen Worten keine Beachtung, sondern hielt meine Hand in ihren und begann sie zu heilen. „So", sagte sie etwas erschöpft und ich schüttelte den Kopf. Stures Ding. „Also, hilfst du mir nun?", fragte ich sie und sie bejahte. „Das ist gar keine Frage."

5

 

Meine Stimmung sank, als ich die Toten aufgereiht am Strand sah. Unsere Verbindungen zum Militär ermöglichten es uns den Strand zu sperren. Er war zwar abgelegen und es war zu kalt, um schwimmen zu gehen, aber man konnte nie sicher genug sein.

Es war früher Morgen und wir hatten 33 Tote zu beklagen. Wir versammelten uns alle, man brachte die Verletzten nach Hause und hielten noch in den nächsten Stunden die Totenzeremonie ab.

Mein Vater leitete sie. Es wurde nur das Nötigste gesprochen. Vater ließ kein unnötiges Geschwafel zu.

Familien und Freunde verabschiedeten sich von den Toten und mein Vater als unser Anführer musste der Aufgabe nachgehen mit seinem Feuer die Leichen anzuzünden.

Er ließ über jeden von ihnen sein himmlisches Feuer lecken, bis sie zu Staub zerfielen. Nichts zeugte mehr davon, dass hier noch vor wenigen Stunden eine erbitterte Schlacht stattgefunden hatte. Vina lehnte an Janons Brust und weinte. In dieser Schlacht hatte sie ihre Mutter verloren. Ich ballte meine Hände zu Fäusten. Es war unverzeihlich. Was geschehen war, war unverzeihlich.

Es war undenkbar für mich an diesem Tag noch an Schule zu denken und so lag ich den Rest des Tages nur noch auf der Wiese hinter dem Garten. Vor Augen das Bild von Vinas verweintem Gesicht und vieler weiteren Clanmitglieder, die sich in den Armen lagen. Die ganze Stimmung im Haus war gedrückt. Nun unbewohnte Zimmer wurden frei gemacht, niemand feierte nach der Totenzeremonie. Uns allen war der Ernst der Lage bewusst geworden, meinem Vater und den anderen Clananführern. Es gab schon immer Verluste, aber das hier war ein Massaker gewesen. Mein Vater hatte ein Treffen der Hauptclananführer ganz Westeuropas vorgeschlagen, das überraschend schnell beantwortet wurde. In den anderen Ländern hatten genauso wilde Schlachten mit einem einzigen, sehr mächtigen Dämon stattgefunden. Es war eine Katastrophe. Wie sollten wir nur die Menschen beschützen, wenn wir nicht mal uns selbst beschützen konnten? Vina, es tut mir so Leid für dich. Sie hatte ihre Mutter so sehr geliebt. Und jetzt war sie tot. Wie viele andere. Ich hörte leichte Schritte im Gras.

Es war bereits Nacht und die Sterne schienen mich mit ihrem Licht zu verspotten. Jemand setzte sich neben mich und ohne zu sehen wer es war, wusste ich es war Janon. „Wie geht es ihr?", fragte ich.

Der Wind bewegte sachte die Äste eines Baumes und verdeckte die Sicht auf die Sterne. „Besser. Ihre Schwester ist bei ihr." Ich nickte. Zumindest etwas. War ihre Schwester wirklich die einzige, die sie noch als Familie hatte? Sie war eine richtige Zicke und ich vertrug mich nicht gut mit ihr, aber sie liebte ihre Schwester und ich war froh, dass Vina sie hatte. Noch war Yvonne hier, aber was, wenn sie wieder zurück zu ihrem Außenclan musste? Würde Vina es ertragen?

„Was ist mit dir, Janon?" „Mir geht es gut. Ich mache mir nur Sorgen um Vina." Ich drehte mein Gesicht und sah ihm an wie viel Vina ihm bedeutete. „Sie hat uns. Wir werden sie nicht fallen lassen." Janon sah mich etwas überrascht an, lächelte aber dann leicht. „Ihr habt Recht." Er schüttelte leicht belustigt den Kopf.

„Was ist?" „Es erstaunt mich immer wieder wie wenig Ihr Euch wie ein Prinz aufführt." „Ihr seid meine Freunde", stellte ich für mich selbstverständlich fest. „Da ist es doch völlig normal." „Es freut mich, dass Ihr das so seht", sagte er zögernd, aber ehrlich. „Trotzdem müsst Ihr Euch immer bewusst sein ..." Ich schüttelte nur den Kopf.

„Wenn ich könnte, würde ich tauschen." Ich spürte seinen Blick. Die Sterne funkelten wie kleine, harmlose Lichter über uns. „Das meint Ihr doch nicht ernst." Ich schwieg und betrachtete weiter die Sterne. Standen diese winzigen Lichter für Hoffnung oder Zerstörung?

___

Der nächste Tag Unterricht war schwer. Vina und viele weiteren waren kurzzeitig von ihren Aufgaben befreit worden, um trauern zu können.

Ich hatte Glück niemand Nahestehendes verloren zu haben und trotzdem fühlte ich den Schmerz der anderen und Zorn nisterte sich in mein Herz. Das werde ich nicht auf mir sitzen lassen. Nicht so viele Verluste und traurige Gesichter. Ich werde eine Gelegenheit finden meinen Clan zu rächen.

Ich verabschiedete mich von Janon und Fiona, die heute Vinas Platz eingenommen hatte.

Im Schulgang entdeckte ich Ilias, an seinem Schulspind stehen. Seit dem Kampf hatte ich ihn nicht mehr gesehen. Er war gleich daraufhin genauso wie Lenus verschwunden, vermutlich nach Hause. Ich hatte gar keine Gelegenheit mit ihm zu sprechen und hatte es bis jetzt bedauert.

Als ich ihn aber nun sah, seine geschmeidigen Bewegungen, auch wenn es sich nur um das Öffnen seines Schließfaches handelte, drängte etwas in mir dies nun nachzuholen.

Ich zögerte einen Moment. Konnte ich es tun? Mein Herz klopfte laut, aber kaum ein Schüler war in den Gängen und auch Lenus konnte ich nirgends entdecken. Ich ging auf ihn zu und war bei ihm, als er das Türchen schloss.

„Hallo Ilias", begrüßte ich ihn und ich sah wie er sich versteifte. „Hallo", meinte er kalt und machte sich auf den Weg, ich folgte ihm und lief neben ihm her. Was war mit ihm?

„Geht es dir und Lenus gut?", wollte ich wissen und einfach nur etwas sagen, um die unangenehme Stille zu unterbrechen. „Uns geht es gut." „Ist sonst etwas passiert?", bohrte ich weiter nach und er vermied es in eine andere Richtung als geradeaus zu sehen. „Alles in bester Ordnung." „Ist etwas wegen dem Clan? Man wird euch jetzt gewiss als richtige Mitglieder ansehen." Er nickte nur. Ich blieb stehen und als er weiter gegen wollte, fasste ich seine Schulter.

„Was ist wirklich los? Wieso verhältst du dich so komisch?" Unter meiner Hand versteifte sich seine Schulter. Als er sich zu mir umdrehte, glaubte ich etwas in seinen Augen aufblitzen zu sehen, aber es verschwand bevor ich mir sicher sein konnte. „Es ist nichts", sagte er. „Das glaube ich dir nicht", erwiderte ich und er lachte leicht. „Unfassbar, dass du mich zu durchschauen scheinst, ich dich aber nicht." Sein Lachen beruhigte meine Nerven ein wenig. „Glaub mir, ich durchschaue dich genauso wenig."

Er sah mir in die Augen. Sie waren so blau und fesselten mich. Er war so schön. Da war etwas, das musste er doch auch spüren! Er wandte den Blick ab. „Es wäre besser, wenn wir uns voneinander fern halten", sagte er und wollte davon gehen.

„Warte", rief ich. „Wieso?" Er sah mich mit einem undurchdringlichen Blick an. Sein Gesicht völlig ausdruckslos.

„Lass es einfach. Ich weiß es, ok? Auch wenn ich es anfangs nicht glauben wollte." Er wusste ... was? Kannte er mein Geheimnis? Mein wahres Ich? Ein heißer Schauer der Angst durchlief mich.

„Tut mir Leid, wenn ich dich damit verletze, aber ... Ich weiß wie du für mich empfindest und ich tue es für dich nicht. Ich bin nicht schwul."

Worte waren nie so meines gewesen. Ich war der stille Typ, aber auch wenn mein Gehirn nicht wie durch Nebel schwimmen würde, ich hätte keinen Laut hervorgebracht.

Ilias verschwand den Gang entlang, der Klang seiner Schritte hallte in meinen Ohren. Meine Welt in tausend Stücke zerbrochen.

___

Einen Moment zögerte ich, bevor ich die Türklinke herunter drückte und den Schulhof betrat.

Es war keine Option mehr heute in dieser Schule zu bleiben.

Draußen füllte ich meine Lungen mit der herbstlichen, kühlen Luft.

Ich wollte schreien, alles rauslassen und ich krampfte meine Finger um die Zigarettenpackung, krümmte mich in einem stummen Schrei.

Ich musste hier weg. Ohne mich zu kümmern, ob mich ein Lehrer sah, marschierte ich vom Schulgelände.

Ich ortete die Aura von Janon zu Hause, aber ich kümmerte mich nicht wirklich um die Gefahr, auch wenn mir die Zurechtweisungen Vinas genau deswegen kurz ein schuldiges Gefühl gaben. Aber das verschwand recht schnell wieder.

Zwei Straßen weiter, in einer Gasse, entdecke ich eine dunkle Aura und ich steuerte genau darauf zu. Mit schnellen Schritten erreichte ich die Gasse. Von Müllcontainern zugestellt, war sie nicht mehr als ein dreckiges, dunkles Loch. Ein furchtbarer Gestank schlug mir entgegen. Meine Schritte würde man nicht hören.

Meine Fingerspitzen sprühten bereits grüne Funken, so energiegeladen war ich. Ich glitt entlang, an dem letzten Container vorbei und entdeckte eine schwarze, kleine Gestalt, mit dem Rücken zu mir und in einer krummen Haltung stehend. Es schmatzte, es fraß etwas, erkannte ich und verzog  angeekelt das Gesicht. Ich trat extra einen lauten Schritt vor, die Gestalt erstarrte und drehte langsam ihren Kopf zu mir.

Der Dämon war menschenähnlich, ein kleiner Junge von vielleicht sieben Jahren. Seine Augen glühten rot und sein ganzes Gesicht war blutverschmiert und noch etwas nahm ich wahr. Eine Seele. Die Seele eines Tieres, wohl des Kadavers, die der Junge in sich aufgenommen hatte.

Ein unglaublicher Hass begann mich zu erfüllen. Grausam sein, das konnten Dämonen.

Der Dämon begann zu Fauchen, hatte aber keine Chance. Mein himmlisches Feuer brandete auf und verschlang alles, ich sah die grünen Flammen hoch züngeln, alles erhellen. Der Dämon verbrannte sofort, ich spürte das Feuer in mir, diese Energie, die in mir freigesetzt werden wollte.

Ich schrie, das wusste und spürte ich. Mein Schrei wurde höher, ich spürte die Energie, die Wut abebben.

Ich fiel auf die Knie und schluchzte wie das kleine Mädchen, das ich war.

___

Ich war nicht stolz darauf. Ich lag in meinem Bett, die Vorhänge zugezogen. Mein Verhalten beschämte mich. Ich hätte mich zusammen reißen sollen. Ich war ein Kämpfer. Ein Jäger, ein Anführer, auf den sich andere verließen und auch verlassen konnten. Ich war der, den alle kannten, in einem Körper, den sie respektierten.

Mich erschreckte der Gedanke, dass ich mich ohne es wirklich beabsichtigt oder kontrolliert zu haben, verwandelt hatte. So etwas durfte nicht geschehen. Unter keinen Umständen. Egal wie schlimm eine Situation war, niemand durfte es wissen. Es würde alles ins Wanken bringen. Mein Vater würde ...

Ich atmete tief durch. Genug mit sinnlos Trübsal blasen. Das war nicht ich. Ich schloss die Augen, meine innere Ruhe kehrte zu mir zurück. Ich war unglaublich. So schwach war ich doch sonst nicht.

Mich hatte es noch am allerwenigsten getroffen. Andere hatten Familienmitglieder und Freunde verloren. Endgültig. Ich mit meinen fehlgeleiteten Gefühlen war dahingegen ein Witz. Ich durfte nicht selbstsüchtig sein.

Ich sprang auf die Beine. Ich verließ mein Zimmer und klopfte wenig später an ein anderes. Ein leises Herein ertönte und ich öffnete die Tür.

Bis jetzt hatte ich nicht gewusst wie ich mich verhalten sollte, ich fühlte mich nicht wie jemand, den man gebrauchen konnte.

Vina saß auf ihrem Bett, die Beine angezogen. In ihrer Hand und auf dem Bett verstreut lagen Taschentücher und sie riss bei meinem Anblick die Augen auf und versuchte die Taschentücher unter die Bettdecke zu packen, wischte sich mit dem Arm über die verheulten Augen.

„Ich dachte Ihr seid ...", fing sie an. Ich setzte mich zu ihr auf die Matratze.
„Du brauchst dich nicht zu verstellen, Vina." Sie lächelte. "Aber ..."
„Nichts aber, Vina. Ich möchte für dich da sein. Als dein Freund." Sie schien darüber nachzudenken, zerknüllte das Taschentuch in ihren Händen.

„Das kann ich nicht von Euch verlangen." Ihre Stimme klang sehr kratzig und leise. „Das tut auch keiner. Ich tue es, weil ich es will."
„Ich ... es ... sie war meine mum!"
Ihre Augen füllten sich mit Tränen und auch wenn sie es zrückzuhalten versuchte, es ging nicht. Sie litt, sie weinte. Sie war eine meiner wenigen Freunde und ich konnte es schwer mitansehen, aber ich musste es sein, der, der stark war.

Ich schob ihren Kopf an meine Brust und sie lehnte sich an mich, die Finger in meinem Shirt vergraben, den Kummer und Schmerz aus ihrem Herzen spülend.

„Du bist niemals allein, hörst du?" Ich hob meine Hand und wischte eine verirrte Träne von ihrer Wange. „Wir alle sind deine Familie. Du gehörst zu meiner Familie und Janons sowieso." Ihre Augen glitzerten wie Regentropfen, die auf die Oberfläche eines Teiches fielen. „Caenen ..." Sie legte ihre Hand über meine.
„Es ist in Ordnung. Wir fangen dich auf, wenn du fällst."

„Was hat das für einen Sinn?", forderte ich zu einer Antwort. Janon stand vor mir, mit verschränkten Armen. „Euer Vater hat Euch die Jagd untersagt", antwortete er ernst und ich holte den Bogen von meiner Schulter. Die Jäger standen in der Halle, ich noch an der Treppe. Vina schien sich mit ihnen zu besprechen. Sie lachte und es erleichterte mein Herz etwas. Es war kein Vergleich zu heute mittag. Trotzdem machte ich mir Sorgen wie lange ihre Gemütsfassung anhielt.

Ich versuchte mich an Janon vorbei zu drängen, aber stur stellte er sich mir in den Weg. „Das kann doch nicht sein!", rief ich aus und blitzte ihn an. „Weshalb schickt er dann andere Jäger aus, wenn die Sicherheit aller so gefährdet ist? Sie sind genauso von der Gefahr betroffen!"

Janons Haltung wurde etwas weniger abweisend, doch es war nicht etwa ich, der ihn dazu bewegte. Seine Augen sahen hinter mich und ich spürte die Aura sehr präsent, die von dem Mann hinter mir ausging.

„Du bist mein Erbe. Du wirst dieses Risiko nicht eingehen." Ich drehte mich zu Vater um, der mich mit seinen gelbbraunen Augen musterte.

„Lasst mich kämpfen. Ich bin genauso ein Jäger wie alle hier. Ich sollte mich nicht verkriechen wie der letzte Feigling, wenn ich dem Stand als Erbe gerecht werden und nicht verspotten will." Wie er einer war, schwang im Stillen mit.

Sein Blick war erfüllt von kalter Wut, die allein auf mich gerichtet war. „Du hast mich verstanden und wirst mir gehorchen. Oder willst du deinem König den Gehorsam verweigern?"
„Ich habe das Recht ..."
„Genug", donnerte er und die Zacken seiner Aura bohrten sich in meine wie Messer in Fleisch. „Wenn du nun weiter sprichst, werde ich das als ein Ja werten und dich danach richten."

Ich biss die Zähne fest zusammen. Seine Aura zwang mich in eine beinahe gebückte Haltung. Es war offensichtlich, wenn ich nun widersprach würde er mich endgültig in meine Grenzen weisen. Diese Blamage wollte ich mir vor meinen Kampfkameraden nicht geben.

„Nein. Ich verweigere den Gehorsam nicht." Ich schloss die Augen, verbeugte mich und verharrte.

„Gut, dann verschwinde aus meinen Augen." Ich richtete mich auf, die neugierigen, mitfühlenden oder einzeln spottenden und belustigten Blicke der anderen ignorierend und erklomm die vielen Stufen der Treppe. Janon folgte mir wie ein Schatten, wie es sein Befehl war.

___

Da ich die Jagdkleidung schon einmal trug, machte ich mich auf den Weg zu den Trainingsräumen.

Wie ich war, betrat ich eines der verlassenen Partnertrainingsräume und warf den Bogen von meiner Schulter. Ich hatte einmal wieder mit ihm im echten Kampf üben wollen und mir von Fiona vielleicht ein paar hilfreiche Tricks abschauen, aber daraus wurde nichts. Doch für den Bogen war ich jetzt durch meine Wut  viel zu energiegeladen.

Ich nahm mein altbekanntes Schwert, Janon stand gelassen in einer Ecke und fing das Krummschwert, seine bevorzugte Waffe, ohne Schwierigkeiten, das ich ihm ohne Vorwarnung zuwarf.

Er verstand meine Aufforderung und stellte sich mir gegenüber auf. „Ich habe nicht die Absicht mich zurückzuhalten", warnte ich ihn vor und er nickte mit unbewegter Miene. Mit kalter Wut im Bauch ging ich auf ihn los.

___

Der Tag darauf wollte nicht anbrechen. Die Stadt unter mir war erfüllt mit Lichtern. Die dunklen Winkel erinnerten mich an eine andere Dunkelheit.

„Konntest du nicht schlafen?", erklang eine Stimme neben mir von den Schindeln des Daches. Ich ließ die Brüstung des Balkons los und drehte mich zu ihr. „Wirf her", verlangte ich und keinen Augenblick später hielt ich eine Zigarette in der Hand. Ich benutze mein Feuer zum Anzünden. Sah ja niemand.

„Was tut eine Wächterin am Balkon eines Prinzen?", zog ich sie auf und hörte daraufhin das Schnauben.

„Mach mal halb lang, Prinz. Das ist wohl eher mein Text." Ich schmunzelte.
"Oh verzeiht, Mylady. Ich wusste nicht, dass Euer Gemach auf dem Dach verborgen liegt." Dem kleinen, gelbgrünen Feuerball konnte ich mit Leichtigkeit ausweichen.

„Nein, Blödmann. Du weißt genau, dass ich hier Wache halte." Ich runzelte die Stirn. Hatte das mein Vater angeordnet?

„Man hat es Euch nicht gesagt?"
„Ist es nicht langsam ein wenig übertrieben?", stellte ich die Gegenfrage und sah sie von der Seite an. „Janon musste schon ins Zimmer nebenan anziehen." Mit einem ruhigen Blick bedachte mich Fiona. „Dein Vater macht sich nur Sorgen. Du solltest dich glücklich schätzen, dass er für deine Sicherheit alles tut."

Ich atmete tief durch und betrachtete die Lichter. In weiter Ferne entdeckte ich träge Gestalten, in Gruppen verteilt. „Er übertreibt. Ich kann mich selbst schützen. Für meine Sicherheit muss kein solcher Aufwand betrieben werden."

Fiona sah in die gleiche Richtung wie ich. „Ich weiß, dass du stark bist, aber nicht mal du kommst gegen einen mächtigen Dämon ganz allein an. Du hast sie doch auch bemerkt. Diese Aura." Ich nickte. Deshalb war ich aufgewacht. Sie war stark, wenn auch nicht ganz so wie die in der
Nacht der Schlacht.

„Wer war dieser Dämon?" Aus ihrem Gesicht sprach der Ernst und sie schien jede Bewegung der Gestalten in sich aufzusaugen.
„Er war mächtiger, als alles, was ich bisher gesehen habe."

„Ich weiß es nicht", antwortete ich und betrachtete die Gestalten weiter. Es waren fünf, wenn mich nicht alles täuschte und einer seine Aura verbarg. „Aber ist das nicht egal?", fuhr ich fort. „So oder so müssen wir sie bekämpfen."„Das stimmt wohl, aber ich glaube nicht, dass wir es mit ihnen aufnehmen können."

„Meinst du?", fragte ich und die Gedanken an die monströse Dunkelheit kehrte zurück. Wie wenig wir uns wirklich wehren hatten können.

„Es muss einen Weg geben", sagte ich. „Es ist keine Option aufzugeben."

„Das ist mir bewusst", antwortete sie schnippisch. „Trotzdem wären wir ihnen hilflos ausgeliefert, wenn sie uns nun angreifen würden." Da hatte sie wohl Recht. Es hatte sich gezeigt, dass wir allein gegen einen so mächtigen Dämon nichts ausrichten konnten.

„Es gibt immer noch eine andere Option", wandte ich flüsternd ein und der Blick, den sie mir zuwarf, war stechend.
„Niemals", sagte sie, von einem plötzlichen Stolz ergriffen.

„Ich erwähne das nur, damit wir alle Möglichkeiten vor Augen haben. Wäre ich mein Vater, würde ich sie nicht ausschließen."

„Das ist ..." Sie ballte die Hände zu Fäusten, ließ sie aber gleich daraufhin locker, ein leichtes Lächeln im Gesicht.

„Du stehst deinem Vater wirklich in nichts nach", meinte sie. Ich wartete, dass sie weiter sprach und sich erklärte, aber sie observierte nur weiter die Ferne. „Dein Vater hatte heute schon eine Andeutung bezüglich dieser Möglichkeit im Rat fallen gelassen." Ach, wirklich? So hätte ich ihn nicht eingeschätzt.

„Nunja, morgen soll es nochmal eine Versammlung geben, in der alle Clanführer der Länder anwesend sein werden."
„Schon morgen?", fragte ich erstaunt. „Sie wollen sicher etwas unternehmen, um solche Vorfälle künftig zu verhindern." Vorfälle. Ich schnaubte.

„Du wirst sicher auch dabei sein", vermutete sie und ich nickte kurz und widerwillig. „Vermutlich."

„Könntest du uns kleinen Leuten vielleicht berichten, was da vor sich geht und was die werten Herren planen?"

„Natürlich", sagte ich.
„Wir sollten in diesen Zeiten niemanden außen vor lassen."

Sie nickte zufrieden und ich sah zurück zu den Gestalten, aber nur der weit entfernte Wald und ein verlassener Weg lagen da, wo sie gewesen waren.

Von der plötzlichen Abwesenheit der Bedrohung, schlug Müdigkeit wie ein Fels in meinen Geist und ich wandte mich um.

„Gute Nacht", wünschte ich und schlenderte zu der Balkontür meines Zimmers zurück.

„Wie würdet Ihr wohl als König herrschen?" Ihr Murmeln war wie das Säuseln des Windes, leise.

Vermutlich dachte sie nicht, dass ich es wahrgenommen hatte.

Statt sie darauf anzusprechen, tat ich ihr den Gefallen und schloss hinter mir die Tür. Die Frage beschäftigt mich. Wie würde ich herrschen?

6

 

Die Schule gestaltete sich wie immer als nervtötend langweilig. Elena saß neben mir, ihr Physikbuch lag zwischen uns, da es mich nicht geschert hatte meines mitzunehmen.

Elena hatte eine süße Art an sich und wirkte dauernervös, warf mir aber immer wieder Blicke zu, die ich so gut wie möglich nicht beachtete.

Heute schien sie aber besonders zappelig und sie hatte schon bald die Aufmerksamkeit vom Buch direkt auf mich übertragen. Gespielt interessiert starrte ich nach vorne zur Lehrerin. Was war mit ihr los?

Die Lehrerin begegnete meinem Blick, sie schien einen Moment verunsichert, es konnte sein, dass ich nicht gerade Freundlichkeit ausstrahlte, aber jeder hatte doch mal schlechte Laue. Meine schlechte Laune hatte sogar einen Namen. Vielleicht sogar mehrere.

„Können Sie uns die Lösung offenbaren?", fragte die Frau mit zitternder Stimme. Sah ich so aus, als würde ich gerne antworten, oder weshalb stellte sie mir Fragen?

„Können Sie nun?" Sie klang nun eine Spur wütend, aber ich vermutete wohl eher auf sich selbst.  Unbeeindruckt hob ich eine Augenbraue.

Elena neben mir flüsterte etwas und in der Hoffnung, dass sie mir damit die Lösung weiter leitete und nicht ein Kuchenrezept auf arabisch oder dergleichen, so hörte es sich für mich an, wiederholte ich ihre Worte.

Die Lehrerin nickte nur knapp, mit verkniffener Miene. Sie hatte sich anscheinend schon auf eine falsche Antwort gefreut.

Elena kritzelte auf einem Blatt Papier irgendwelche Notizen in einer geschwungenen, leicht leserlichen Schrift. Ich lehnte mich zu ihr.

„Danke Elena, dafür schulde ich dir etwas." Ihr Körper war erstarrt, die Hand in der schreibenden Bewegung hatte inne gehalten.

„Dafür doch nicht", meinte sie, aber ein leichtes Lächeln war aus ihrer Stimme herauszuhören. „Ich bestehe darauf", beharrte ich und griff an den Ring an meinem Finger. Ich wollte niemandem etwas schuldig bleiben, denn das war mir unangenehm. Und Menschen taten sich gegenseitig ständig Gefallen, wenn sie einmal so etwas wie Freunde waren. Vielleicht deshalb war ich nicht so der gesellige Typ.

„Na gut", murmelte sie und versteckte sich hinter ihren offenen Locken.

„Ähm." Sie nestelte am Saum ihres Pullovers. „Könnte ich vielleicht in der Zwischenpause bei dir bleiben?", platzte sie heraus und verstummte.

Ich lächelte nachsichtig. „Soll ich wieder Bodyguard spielen?", fragte ich amüsiert. „Nein, so ist das nicht." Sie sah mich mit einem offenen Blick an, das Braun ihrer Augen wie warmer Honig. „Na gut. Vielleicht unter anderem." Verlegen sah sie weg. Es war offensichtlich, dass sie nicht darüber reden wollte und ich wollte sie nicht noch mehr verunsichern. „Wenn du das möchtest, von mir aus gerne."

Sie lächelte leicht. „Danke." Ich schüttelte nur den Kopf. „Dafür doch nicht", wiederholte ich ihre Worte und sie lachte leise.

Vielleicht war sie doch ganz in Ordnung. Sie warf sich mir nicht an den Hals, sie war höflich und respektvoll und ihr Verhalten war eigentlich auch ganz süß. Trotzdem war da diese Frage in meinem Kopf. Wer würde ihr etwas antun wollen, wovor hatte sie Angst?

Nachdem die Doppelstunde endlich vorbei war, läutete es zur kleinen Pause. Wie immer stand ich auf, meine Schachtel Zigaretten und ein Feuerzeug in der Hand.

Elena saß immer noch und ich sah sie auffordernd an. Hastig erhob sie sich, ihr Handy zitterte in ihrer Hand. Sie schien etwas sagen zu wollen, warf einen sehnsüchtigen Blick zurück zu ihrem Stuhl.

„Komm", sagte ich und steuerte die Tür an, Elena direkt hinter mir. Auf dem Gang versteckte sie sich wieder hinter meinem Rücken und ich schnaubte und stoppte, sodass sie in mich hinein lief.

Einer Eingebung folgend nahm ich einfach ihre Hand und setzte mich erst in Bewegung, wenn sie es tat.

Ich ließ ihre Hand wieder los, bedacht, dass sie nicht wieder zurück fiel. Sie zog den Kopf ein und vielleicht war meine Aktion für sie anders rüber gekommen, als beabsichtigt. Wieder ließ sie sich leicht zurück fallen. „Kannst du das vielleicht lassen?", sprach ich sie darauf an, blieb stehen und sie zuckte zusammen. Als ich das sah, überkam mich etwas das schlechte Gewissen. „Ich kann es nicht leiden, wenn andere denken nicht auf einer Augenhöhe mit mir sein zu können." 

„Tut mir Leid, es ist nur ..." sie zauderte, drehte ihr Gesicht weg, aber ich sah ihr Kinn zittern.

„Hey", meinte ich sachte und stellte mich direkt vor sie. „Vor wem du auch immer Angst hast, keine Sorge, du musst es mir nicht sagen", sagte ich schnell, als ich ihr Gesicht sah. „Ich schulde es dir schließlich, also wird dir heute nichts passieren."

Ich sah sie zögern, ihre Gedanken schienen miteinander zu fechten, bis sie ihren Kopf hob und mich mit diesen glitzernden Universen betrachtete. „Hey, keine Angst. Ich bin da", sagte ich und strich ihr eine verirrte Strähne zurück. Sie sah auf den Boden. „Danke." „Keine Ursache."

Wir verharrten so, die Gänge füllten sich mit Schülern, aber ich beachtete es gar nicht. „Lass uns raus gehen. Die Luft ist hier so dick."

Elena nickte leicht und ich berührte sie am Ellbogen und führte sie zu dem Seitenausgang.

Die Sonne schaute ausnahmsweise hinter den Wolken hervor. Die Luft roch frisch, wie nach Regen, es hatte ja auch geregnet.

Auf dem Hof entdeckte ich Alex, Ilias und Lenus. Sein Anblick verschaffte mir Gänsehaut und ich verfluchte mich nicht besser auf ihre Auren achtgegeben zu haben. Heute wollte ich ihn wirklich nicht sehen.

Ein paar wenige andere Schüler hatten sich ebenfalls hinaus getraut.

Es war ziemlich frisch, der Wind blies kalt und die Sonne vermochte es nicht zu wärmen. „Ist das dieser Fußballstar der Schule?", fragte Elena mit ihrer gewohnt unsicheren Stimme. Ich nickte nur. „Ja." Sie musterte ihn forschend, aber sie schien weder schwärmerisch angetan, noch besonders abgeneigt.

„Machst du auch einen Sport?", fragte sie mich plötzlich und hatte sich mir zugewandt. Ich runzelte die Stirn. Würde ein Nein glaubhaft klingen? „Ich mache ein wenig Sport", sagte ich zögernd und sie betrachtete mich neugierig. Sie nickte, als hätte sie es nicht anders erwartet.

„Welchen denn?" Wieder zögerte ich bei meiner Antwort. Engelskampf hörte sich sicher nicht normal für Menschen an oder war ihnen gar geläufig.

„Teakwando", sagte ich schließlich. Diese Kampfsportart war doch defensiv, wenn ich es richtig in Erinnerung hatte. Ich würde es ihr wohl kaum zeigen müssen, dachte ich mir und sah sie wieder an. Sie behielt einen nachdenklichen Ausdruck bei. Da lächelte sie bezaubernd. „Das habe ich auch mal gemacht, aber ich glaube das habe ich schon wieder verlernt."

„Das kann man nicht verlernen", rutschte es mir heraus und ich hätte mich schlagen können. Nein, den Engelskampf konnte man auch nicht wirklich verlernen. Dafür war er zu lebensnotwendig. „Aber ich würde es nie gegen Menschen einsetzen", fügte ich hinzu und hörte gleichzeitig wie unbestimmt das klang. Sie runzelte die Stirn und ich seufzte.

„Können wir das Thema wechseln?", fragte ich. „Klar", antwortete sie.

Ich kramte eine Zigarette raus und steckte sie mir in den Mund. Das Feuerzeug schien zu spinnen, aber nach einigen Versuchen klappte es endlich. „Hast du eigentlich Geschwister?", fragte sie und das Feuerzeug fiel mir beinahe aus der Hand. „Nein", antwortete ich kurz angebunden und stopfte es in meine Hosentasche.

„Was ist mir dir?", fragte ich und bemerkte, wie sie die Nase kräuselte und einen Schritt zur Seite machte, um dem Zigarettenqualm zu entgehen.

„Oh sorry, macht es dir was aus?", fragte ich und deutete auf die Zigarette. Sie zögerte etwas und schüttelte dann den Kopf, aber ich sah wie sie versuchte unauffällig die Luft anzuhalten. Ich zuckte innerlich mit den Schultern, hielt den Stängel aber etwas weg. „Ja", antwortete sie dann strahlend. „Ich habe einen großen und einen kleinen Bruder." „Vermisst du deine Familie?" Sie lächelte immer noch. „Etwas, aber es sind bis jetzt auch erst ein paar Tage seit meinem Umzug vergangen."

Ich nickte. Und bemerkte wie meine Hand zu zittern anfing. Ein starrer Blick auf mir bescherte mir ein ungutes Gefühl. Ich schloss die Hand fest, um das Zittern zu unterdrücken und hörte halb, wie Elena etwas über ihre Familie in Amerika erzählte. „... deshalb habe ich auch unbedingt ein Auslandssemester machen wollen", endete sie und ich sah sie etwas konfus an.

Die Gefahr war deutlich spürbar. Eine Aura, die sich auf alles niederlegte und mir seltsam bekannt war. Ein Dämon.

Die Klingel ertönte zum Ende der Pause und mein Blick traf sich mit dem von Ilias. Er nickte mir zu und ich erwiderte es. „Elena, geh schon mal rein. Ich muss noch etwas erledigen." Ich drückte die Zigarette hinter mir an der Schulmauer aus.

Alle Schüler verschwanden langsam im Gebäude und Elena zögerte noch, war unsicher. Mist. Ich wusste ich hatte ihr versprochen sie zu beschützen, aber die Menschen hier brauchten mehr Schutz.

Ich trat zu Ilias, Lenus und Alex. Elena wie ein Geist hinter mir. „Alex, kannst du vielleicht Elena bis zu ihrer Klasse begleiten?", bat ich ihn und etwas verwirrt sah er zu mir, aber dann zu Elena, die sichtlich verkrampft wirkte. Alex Blick wanderte von mir zu ihr. „Bitte, Alex", sagte ich eindringlich und er horchte auf. Sein Blick auf Elena wurde weich und er sagte: „Klar."

Elena sah mich einen Moment noch an, dann folgte sie ihm wie ein Schatten. Alex redete offen und riss Witze, um sie aufzulockern.

Ich wandte mich an Ilias. Meine Gefühle waren in diesem Augenblick zweitrangig. „Wir müssen ihn von der Schule weglocken", sagte ich, aber Ilias schüttelte den Kopf. „Dafür ist es zu spät. Er ist bereits drinnen." Das spürte ich auch und fluchte. Wie war er von der einen in der anderen Sekunde in die Schule gekommen?

„Wir müssen ihm den Fluchtweg abschneiden." Auch wenn ich es nicht gerne tat, wir mussten den Dämon in der Schule eliminieren, bevor er noch jemandem schadete.

„Ich nehme den Hintereingang", sagte Lenus. Er schien sich immer noch daran zu stören, wenn ich die Führung übernahm, aber seit der Schlacht vertraute er mir hinsichtlich schon mehr. „Dann nehme ich das Fenster", beschloss Ilias. "Und ich den Vordereingang."

Ich nickte den beiden zu, während ich auf den Haupteingang zulief, die beiden verschwanden aus meinem Blickfeld und ich trat in die Schule, hetzte lautlos die Treppen in den ersten Stock hoch.

Im Gang sah ich gleich den Jungen, äußerlich in unserem Alter. Schwarze, lange Haare, zu einem Zopf gebunden, weiße Haut und so schwarze Augen, dass es schien sie würden das gesamte Licht verschlucken. Seine Aura war stark.

Er sah mich gleich, als ich den Gang entlang hetzte, machte aber keine Anstalten wegzulaufen. Nur ein spöttisches Lächeln bildete sich auf seinem Gesicht.

Hinter ihm tauchte Lenus auf und neben ihm sprang Ilias durch den Fensterbogen. Er war umzingelt, hatte keine Chance zu entwischen.

Das Spöttische im Gesicht des Dämons blieb. Seine Selbstsicherheit machte mich stutzig. „Du hast keine Chance zu entkommen, Dämon", knurrte ich ihm entgegen und erschuf einen Feuerdolch in meiner Hand. „Das beabsichtigte ich auch noch gar nicht, Erbe." Seine Stimme war tief und aus seinen Augen sprach ein langes Leben voller Grausamkeiten.

„Versucht erst gar nicht mich zu bekämpfen. Ihr Geflügelten kommt gegen mich nicht an", fuhr er fort, aber ich würde das erst glauben, wenn ich es gesehen hatte.

Ich schoss vorwärts, den Dolch erhoben, stach zu, doch er wich geschickt aus. Ich wirbelte herum, versuchte ihn erneut zu erwischen, aber er war zu schnell. Ich verwandelte die Energie in mir in Schnelligkeit um, stach zu und traf. Zumindest hätte ich ihn getroffen, doch sein Arm verwandelte sich in Schatten, es schien er wäre der Schatten. Ich wurde am Arm herumgerissen und landete mit verdrehtem Arm und dem Gesicht zu Boden, ein schweres Gewicht auf meinem Rücken. Ich bekam mit wie Lenus und Ilias angriffen, aber ein Kreis aus Schatten warf sie zurück und hielt sie an der Wand gepresst an Ort und Stelle. „Ihr hättet mir glauben sollen, Prinz", hauchte mir die tiefe Stimme ins Ohr, ich spürte den warmen Atem.

„Wer seit Ihr?", wollte ich wissen und versuchte mich zu befreien, aber es war zwecklos. Nur meine Schulter fing an zu schmerzen. Mein Flügel hatte sich noch nicht komplett erholt und strafte meine heftigen Bewegungen. „Das ist unwichtig. Einzig wichtig ist das hier."

Ich spürte wie er mir den Ring vom Finger zog. Mein Kiefer verkrampfte, als ich den Blitzschlag spürte, der meinen Arm hinauf wanderte. So schnell wie er mich gefangen halten konnte, ließ mich der Dämon los. Ich rappelte mich auf, genauso kamen Ilias und Lenus frei.

Ich sah zu dem Dämon, doch nur noch Schatten verwehte, als wäre er Rauch. Ich massierte meine schmerzende Schulter.

„Was hat er gewollt?", fragte Lenus mit kaltem Blick und ich sah hinab zu meinem rechten Ringfinger. Ich nahm immer noch das leise Pochen an meinem Finger wahr.

Da spürte ich einen plötzlichen Schmerz in meinem Bauch, das Zentrum der Energie. Es brandete durch meine Glieder, brannte in den Muskeln und ich fiel auf die Knie.

„Caenen!" Ilias hockte neben mir, eine Hand auf meiner Schulter, die er aber zischend wegzog. Mir wurde glühend heiß, die Augen zu gekniffen, als wäre ich in ein siedend heißes Bad gesprungen.

Die Energie in meinem Körper wurde immer mehr, bildete einen massiven Druck und automatisch verwandelte sie sich in Hitze, damit ich nicht explodierte.

Als ich mich zwang die Augen zu öffnen, sah ich grüne Flammen, eine Wand nur aus Feuer bestehend. Sie erfüllen den ganzen Gang, wo ich auch hin blickte und entsetzt suchte ich nach Ilias und Lenus.

Lenus stand vor Ilias, der hinter ihm kauerte, beide waren umgeben von einem Kokon aus lilanem Feuer. Eine erneute Schmerzwelle zwang mich näher an den Boden, ich stützte mich mit den Armen ab.

Das Feuer wurde nochmals stärker, es war als würde es auch mich verbrennen wollen, obwohl das unmöglich war. Ich rammte meine Nägel in den Fußboden.

Langsam ebbte die Energie in mir ab, der Schmerz wurde weniger, da die Energie weniger in Feuer umgewandelt wurde. Es war, als wäre ein Gefäß mit Wasser übergeschwappt und das ganze Wasser, das keinen Platz mehr hatte, herausgeflossen. Die Energie schlug wie eine zweite Blutbahn durch mich hindurch, doch sie beruhigte sich allmählich. Das Feuer um mich herum wurde weniger bis es komplett verschwand. Die Energie war nun so viel stärker in mir. Stärker, als mein ganzes bisheriges Leben lang. Ich hatte Angst, dass ich die Kontrolle darüber verlieren würde. Ein kleiner Fehler und alles würde wieder in Flammen aufgehen. Es war so viel mehr. Zu viel.

Mühsam stand ich auf. Lenus hatte den Feuerkokon aufgelößt und kniete über Ilias, der auf dem Boden lag. Lilanes Licht leuchtete auf und seine Hände lagen über Ilias Bauch.

Ich taumelte zu ihnen hin, doch ein lila Feuerschild ließ mich inne halten. „Wieso hast du das getan?", zischte Lenus, seinen Blick fest auf Ilias gerichtet. „Ich ...", begann ich, wusste aber nicht, was ich sagen sollte. „Es tut mir Leid", stammelte ich und ging rückwärts, um Halt suchend. „Ich wollte das nicht."

Da packte Ilias Lenus' Hand und der Feuerschild und das heilende Leuchten verblassten. „Ist schon gut", sagte Ilias und setzte sich langsam auf, das Gesicht kurz vor Schmerz verzogen.

Mein Inneres war immer noch schockiert von mir selbst. Was war mit mir geschehen? „Aber Ilias ...", wandte Lenus ein. „Es war sicher nicht seine Absicht. Oder?", fragte er an mich gewandt und ich verneinte.

„Ich weiß selbst nicht, weshalb das passiert ist. Es tut mir sehr Leid." „Ach ja? Hat ein Prinz so wenig Selbstkontrolle?", fragte Lenus bissig, aber ich schwieg. „Spürst du das auch?", fragte Ilias, den Blick auf mich geheftet.

Lenus Blick veränderte sich, aus der Abneigung wurde Verwirrung. „Diese kraftvolle Aura ..."

Er musterte mich, als wäre ich eine neu entdeckte Lebensform. Ich spürte die deutlich höhere Kraft durch meine Adern fließen und wie leicht sie wohl außer Kontrolle geraten konnte. Ich dachte an den Ring, das Gesicht meiner Mutter erschien mir vor meinem geistigen Auge.

„Ich muss nach Hause", sagte ich und rannte los, ohne mich weiter zu erklären. „Caenen", rief Ilias und ich spürte wie mir beide folgten. Mit meiner momentanen Kraft hätte ich sie vermutlich locker abhängen können, aber ich traute mich nicht sie einzusetzen.

Sie holten auf, Ilias an meiner Seite sagte: „Wir begleiten dich. Ein Alleingang wäre zur Zeit nicht sicher."

Sein Gesicht zeigte Sorge und einen Moment nagte der seelische Schmerz an mir, den ich aber schnell verdrängte. Er tat dies nicht für mich persönlich.

Ich nickte, ja, ich sah ein, dass es sehr leichtsinnig wäre alleine auf die Straße zu gehen. Mich erschreckte immer noch wie einfach es der Dämon geschafft hatte mich zu besiegen.

Wir verließen die Schule und das Schulgelände. Im schnellen Gang flogen wir beinahe über die Straßen. In nur wenigen Minuten erreichten wir bereits das Anwesen.

Überraschenderweise erwartete uns ein Trupp Engel auf dem Vorhof. Das Tor schwang auf, als der Scanner meine Gesichtszüge las und wir den Hof betraten. Die Mienen der Jäger verwandelten sich von kampfbereit zu überrascht.

Jean verengte die Augen zu schmalen Schlitzen, aber niemand wollte mit der Sprache heraus rücken, was los war.

Vater stürmte aus der Haustür und die Stufen herunter, drängte sich durch die Kämpfer. Wie er so vor mir stand, erwartete ich nicht gerade eine fröhliche Begrüßung. Diesen Tag wollte ich mal erleben.

Sein Blick fiel auf meine rechte Hand und ich ahnte, dass er wusste, was vor sich ging. Er musste es wissen. Er musste es mir erklären. „Jäger, geht euren Aufgaben nach. Es besteht kein Grund für euren Auflauf hier. Caenen, du kommst mit mir mit."

Die Jäger verbeugten sich und zerstreuten sich, wenn auch widerwillig.

Ich wechselte einen Blick mit Ilias, der mich ausdruckslos ansah und folgte meinem Vater.

7

 

Die Tür fiel hinter uns ins Schloss, es klang endgültig, aber ich verscheuchte den Gedanken.

Distanziert blieb ich neben der Tür stehen, mein Vater setzte sich hinter seinen Schreibtisch.

Die Atmosphäre fühlte sich unangenehm an, als hätte ich etwas schweres verbrochen, auch wenn ich keine Ahnung hatte, was. Vater nahm eine nachdenkliche Haltung ein, die Ellbogen auf dem Tisch gestützt.

„Wo ist dein Ring?", fragte er und ich warf automatisch einen Blick auf meine Hand. Es fühlte sich seltsam ohne ihn an. Als wäre ein Siegel gebrochen oder ein Staudamm geplatzt, der die reißende Flut meiner Energie im Zaun gehalten hatte. „Es war ein Dämon in der Schule. Wir wollten ihn beseitigen, bevor er Schaden anrichten konnte, schließlich war die Schule voller Menschen. Aber wir haben ihn unterschätzt. Er konnte uns mit Leichtigkeit besiegen, aber er war zumindest vorrangig nicht daran interessiert uns zu töten. Er wollte nur den Ring. Dann verschwand er, als hätte er sich in Luft aufgelöst."

Vaters Stirn runzelte sich und er schien angestrengt alle Informationen zu bedenken.
„Das ist problematisch. Was für ein Dämon war es?"
„Schattendämon", kam meine Antwort wie aus der Pistole geschossen. Vater nickte abwesend.

„Er war beinahe so mächtig wie der Dämon der Schlacht. Und das bei Tag. Wie ist das möglich, Vater?"

Er legte die Finger aneinander.
„Ich wollte es nicht öffentlich machen, da sonst Panik ausgebrochen wäre, aber ich halte es für wahrscheinlich, dass wir es mit einem der Könige der Unterwelt höchstpersönlich zu tun hatten und ihr heute vermutlich mit eines seiner Kinder."

„Beelzebub?", entfuhr es mir ungläubig und Vater nickte. „Was will der Schattenkönig mit meinem Ring?", fragte ich und Vater seufzte tief.

„Setzt dich, Junge. Das, was ich dir zu erzählen habe, ist wichtig." Meine Neugier wuchs und ich setze mich in Bewegung, ließ mich gegenüber meinem Vater nieder.
„Ich höre."

Vaters Blick wirkte einen Moment etwas schuldig, aber das verflog schnell.
„Du musst wissen, dass es dir deine Mutter eigentlich nie erzählen wollte. Genauso wie ich." Fragend wartete ich.

„Dieser Ring, den du getragen hast, weißt du noch, wer ihn dir gab?" Da musste ich nicht lange nachdenken. Ich sah das Gesicht meiner Mutter in meiner Erinnerung. Es war ein Geschenk gewesen. Nicht zu einem Geburtstag oder dergleichen. Ein Abschiedsgeschenk, um sie in Erinnerung zu behalten. Ein Geschenk, bevor sie uns verließ und nie wieder zurück kehrte.

„Natürlich weiß ich das. Mutter gab ihn mir bevor sie ging." Vater nickte. „Und weißt du auch weshalb sie ihn dir gab?"
„Er war ein Abschiedsgeschenk", sprach ich meine Gedanken aus, aber das Funkeln in seinen Augen verriet mir, dass meine Antwort nicht richtig war.
„Sie wollte, dass du das denkst und sie hatte auch sicher gesagt, dass du ihn nie ablegen sollst. Sie hat gesagt es sei ein Familienerbstück."

Ich nickte, auch wenn ich überrascht war, dass er das alles wusste. Er lächelte leicht und es war ein überlegenes Lächeln.
„Die Wahrheit ist jedoch eine andere." Er machte eine Kunstpause, um die Spannung zu steigern. Ich wartete geduldig, aber tat ihm nicht den Gefallen besonders gespannt zu wirken.

„Du warst noch sehr klein, als wir bemerkten wie mächtig du bist. Wie du weißt hielt dich deine Mutter schon für ein Geschenk dafür, dass du dein Geschlecht ändern kannst, sie liebte dich wie eine Mutter nun mal ihr Kind liebte. Ohne Vorbehalte. Es war ihr egal was du zurzeit warst."

Meine Mutter. Ich hatte nur gute Erinnerungen an sie. Ich spürte ihre Abwesenheit beständig wie ein Loch in meiner Seele. Vielleicht wohl die einzige Sache, die ich und Vater wirklich teilten.

„Als du langsam aufwuchst, erkannten wir auch deine große Kraft. Deine Aura war unnatürlich stark für dein Alter und wir waren sehr stolz. Doch es gab ein Problem: Du konntest es nicht kontrollieren. Vermutlich erinnerst du dich nicht, du warst noch viel zu klein." Wovon sprach er?
„Was meinst du?"

Vaters Miene war ernst, jeglicher Spott daraus verschwunden. „Es war nicht dein Fehler. Wir hätten es ahnen müssen." Alarmiert von seinen Worte setzte ich mich gerade auf. Was war geschehen? Und hatte er gerade wirklich einen Fehler eingestanden? Er? „Wir alle kannten deine Stärke, sie war für jeden spürbar. Der Älteste hatte uns bereits gewarnt, dass sie außer Kontrolle geraten könnte. Wir waren zu blind und zu stolz, um es zu sehen, aber du hast uns schlussendlich aufgeweckt."

Vater schwieg betreten und meine Finger krallen sich in die Stuhllehne. „Was ist passiert?", drängte ich atemlos.
„Du warst gerade vier Jahre alt geworden und hast mit den anderen Kindern gespielt. Du hattest ein Spielzeug dabei, das dir Lauren schenkte. Eine Löwenfigur. Du und ein Mädchen habt um die Figur gestritten und du wurdest wütend. Du hattest es nicht unter Kontrolle. Du hast himmlisches Feuer angewandt, obwohl du das eigentlich noch nicht hättest können sollen. Du hast sie verbrannt."

„Ich habe sie getötet?", fragte ich fassungslos, aber er schüttelte den Kopf und Erleichterung machte sich in mir breit. „Sie hat überlebt, aber es war knapp. Sie blieb zwei Monate im Koma, sie leidete noch ein Jahr an den Verbrennungen, bis sie vollständig geheilt war." Ein Jahr. Wie sehr musste sie Qualen gelitten haben? Die Schuldgefühle drangen nicht durch den Panzer der Distanz, den ich trug. Aber ich hörte und verstand. Es war also meine Schuld gewesen. Ich sollte so etwas furchtbares getan haben und konnte mich nicht einmal daran erinnern.

„Wer ist dieses Mädchen?", fragte ich und wieder blitzte das Höhnische in seinen Augen auf. Ich blieb unbewegt. „Fiona Demar", eröffnete er mir und die Maske der Distanz entglitt mir fast. Fiona? Ich sollte eine solch grausame Tat einer meiner engsten Vertrauten angetan haben?

„Heute kann sie sich natürlich kaum mehr daran erinnern. Sie ist schließlich ein Jahr jünger als du. Aber ab dem Moment wussten ich und deine Mutter, dass es so nicht weitergehen konnte. Wir brauchten eine Lösung und deine Mutter eröffnete mir sie habe Verbindungen zu den Maere, den Magiern dieser und der magischen Welt. Sie können starke magische Objekte erschaffen und konnten einen Ring erschaffen, der die Macht besaß die Energie eines Engels zu verstärken oder zu unterdrücken. Doch damit deine Mutter den Ring besorgen konnte, musste sie einen Handel eingehen."

„Einen Handel?" Jede Belustigung war aus seiner Stimme gewichen. Seine braunen Augen blickten ernst.

„Sie hat ihr Leben eingetauscht."

___

„Die Schule hat angerufen", wurde ich aus meinen trübsinnigen Gedanken gerissen und spürte die Matratze sich neben mir senken. Ich senkte den Arm von meiner Stirn und sah Janon neben mir sitzend an der Wand lehnen.

„Die Fehlstunden werden deinen Abschluss gefähren, wenn du so weiter machst."
„Was schert mich die Schule?", fragte ich ihn und drehte meinen Kopf. „Was bringt mir Schule, wenn ich weiß, dass ich schuld bin?"

Janon schwieg und schien abzuwarten, aber ich hatte nicht vor meine Gefühle zu teilen. Hatte ich nie, werde ich nie.
„Was es auch ist, du solltest dich nicht selbst fertig machen. Wir brauchen dich als unseren Anführer."

Seine Worte waren bedacht, aber sie drangen nicht ganz zu mir durch. Wäre es eine Lapalie, würde ich gar nicht erst hier liegen und dem Gefühl ausgesetzt sein total unfähig zu sein und nichts ausrichten zu können. Je länger ich hier lag, desto schlimmer wurde das Gefühl. Ich war schuldig. Ich konnte nichts tun. Es war meine Schuld. Alles.

„Wenn du weiter hier herumliegst wird sich nichts ändern", meinte Janon, aber diese Aussage bestätigte nur meine Gedanken.

„Janon, ich möchte allein sein." Ich schloss die Augen und spürte die Matratze sich heben. Seine Schritte waren kaum zu hören. „Ich hatte dich für eine stärkere Person gehalten", kam es von ihm, bevor er endgültig verschwand. Eine lautlose Träne rollte über meine Wange.

___

Das Klopfen an meiner Tür hörte nicht auf. Ich grummelte halb schlafend und als das Klopfen noch mit einer fordernden Stimme gemischt wurde, seufzte ich, beabsichtigte aber nicht aufzustehen. Es krachte, als die Tür aufgebrochen wurde und der Geräuschpegel der Stimme lauter wurde.
„Du kannst dich hier doch nicht verkriechen!" Ein Gewicht drückte sich auf mich drauf und ich schlug die Decke von meinem Gesicht.

„Geh runter von mir, du Elefant", beschwerte ich mich und versuchte Vina von mir runter zu bekommen, aber sie blieb felsenfest auf mir liegen. „Was habt Ihr da gesagt?", wollte sie beleidigt wissen, grinste mich dann aber breit an. „Ich habe das Gewicht einer Fliege", behauptete sie.

„Einer Fliege in Form eines Zweitonners", erwiderte ich und sie schlug mir empört auf den Arm. „Aua", machte ich und rieb die Stelle. Sie hatte es tatsächlich geschafft, dass ich lächelte. „Ich tue einfach so, als hätte ich nicht gehört was Ihr gesagt habt, weil ich endlich gute Laune habe."

„Ja, das spüre ich am eigenen Leib." Aber es freute mich, dass es ihr besser ging. Viel besser als das verheulte Mädchen, das voller Trauer für seine Mutter in einem Kreislauf der Tatenlosigkeit gefangen war. Doch war es mit mir nicht das gleiche zur Zeit? War ich nicht keinen Deut besser? „Was macht Ihr wieder für ein finsteres Gesicht?", fragte sie fröhlich nach und piekste mich in die Wange. „Ich will, dass du mich duzt, Vina. Das habe ich dir schon oft gesagt."

Vina verstummte, das Lächeln auf ihrem Gesicht verrutschte etwas und ich erkannte, dass die fröhliche Maske nur gespielt war. Sie war noch lange nicht über ihren Verlust hinweg.
„Aber Euer Vater ...", flüsterte sie und ich biss die Zähne zusammen.
„Es ist mir scheißegal was mein Vater davon hält. Wenn kein Clanoberhaupt dabei ist, will ich, dass du mich duzt." Ich sah ihr in die Augen, einen Augenblick starrte sie mich nur an, bevor sie nickte.
„Na gut. Ich duzte Euch ... ähm dich." Sie lächelte verlegen ihres Fehlers.

„Gut", sagte ich und ließ mich zurück aufs Bett fallen.
„Oh nein. Es wird nicht geschwänzt. Wenn ich dich darauf hinweisen darf, die Schule lässt es nicht zu, dass du an den Abschlussprüfungen teilnimmst, wenn du nicht einen bestimmter Prozentsatz in ebenjener Schule verbracht hast. Außerdem gehen Janon langsam die Ausreden aus", fügte sie hinzu.

Ich seufzte, aber ihre unbeschwerte Art hatte auch in mir eine kleine Wirkung. „Was war es diesmal?", fragte ich nach und Vina fing an zu kichern. Mir schwante übles.

„Die Schweinegrippe."
„Was? Dieser ..." Ich sprang auf und zog mir die Hose an, aber bevor ich die Türklinke runterdrücken konnte, legte sich eine Hand auf meine Schulter.

„Spaß. Es waren die Pocken. Oder doch die Masern?" Sie überlegte, den Zeigefinger über die Lippen gelegt. Meine Augen weiteten sich. Das wurde ja immer besser.
„Weißt du was? Es ist egal."
„Dann gehst du in die Schule?", fragte sie und ich zuckte die Schultern, hob mein T-Shirt vom Boden auf und schüttelte es durch. „Jaja."

„Supi", quietschte sie und warf sich auf meinen Rücken, die Arme um meinen Hals geschlungen. „Wieso freust du dich denn so?", fragte ich verwirrt und entfernte ihre Arme, um in mein T-Shirt zu schlüpfen. Hätte ich nur ihre gute Laune, wenn es zur Schule ging.

„Weißt du ... Ich habe das von dir und diesem Mädchen mitbekommen. Wie hieß sie noch gleich? Irgendetwas mit E." „Elena?" Sie dachte nach, schüttelte dann den Kopf. „Nein, das war es sicher nicht."

Sie grübelte und ich rollte mit den Augen. Sie formte mit dem Mund Laute, bis sie aufgab.
„Kannst du sie mir vorstellen?" Ihre Augen glitzerten erwartungsvoll und ich zuckte mit den Schultern. Keine große Sache.
„Ich kann sie dir vorstellen", meinte ich und Vina strahlte mich an. „Ja!" Ich schüttelte über ihr Benehmen nur den Kopf.

Auf den Weg zum Ausgang, machte ich einen kleinen Abstecher in die Küche und holte mir einen Kaffee. Wir durchquerten gerade die Eingangshalle, als Vina ausrief: „Elena, das wars." Innerlich schüttelte ich wieder den Kopf.

„Wieso willst du sie denn unbedingt kennen lernen?", fragte ich und nahm einen Schluck.
„Ich muss doch wissen wer die erste Freundin meines Prinzen ist", meinte sie selbstverständlich und ich verschluckte mich fast an dem heißen Gebräu.

„Da musst du was falsch verstanden haben. Wir sind nicht zusammen", stellte ich klar und die Fröhlichkeit aus ihrer Miene schwand.

„Nein, wir sind nur Bekannte. Wir gehen in die gleiche Klasse. Das war's." Ich sah Widerspruch in ihren Augen, aber statt wie üblich loszulegen, schwieg sie.

„Sag schon", forderte ich sie auf. Sie zögerte. „Naja, Lenus -lass mich  bitte ausreden", sagte sie, als sie mein Gesicht bei der Nennung seines Namens sah. „Er hat erzählt wie du dieses Mädchen beschützt hast und dass du viel Zeit mit ihr verbringst. Für deine Verhältnisse."

Das hatte Lenus erzählt?  Wem wohl alles?  Dieser kleine ..., aber dann dachte ich weiter nach. Hatte er mir damit nicht unbeabsichtigt einen Gefallen getan? Wer würde den Gerüchten Nataschas noch glauben, wenn ich offiziell eine Freundin hätte?

Aber dann wurde mir bewusst, dass ich das unmöglich tun konnte. Nicht nur, weil ich nicht mal wusste, ob Elena mich auf diese Weise mögen würde -der Gedanke bescherte mir eine Gänsehaut. Sondern auch, weil ich das niemals mit mir selbst vereinbaren könnte.

„Janon hat Mist erzählt", wiederholte ich und Vinas Schultern sackten enttäuscht herab.

„Aber wieso reden wir nicht über dich?" Vina wand sich bei meinen Worten wie ein Wurm, der aus dem Erdreich entkommen wollte.

„Da gibt es doch gar nichts zu bereden", winkte sie ab, aber ihre Wangen färbten sich rosa.
„Ach ja?", fragte ich nach und sie wandte sich ab und öffnete die große Tür ins Freie.
„Ja", sagte sie selbstsicher und verließ vor mir das Haus.

___

„Ich will sie trotzdem kennenlernen", meinte Vina und ich sah sie an. Sie hüpfte fröhlich neben mir her. Niemand würde vermuten ... welche schwere Zeiten sie durchmachte. Viele von uns durchmachten. Ich vertrieb den Gedanken. „Wieso das?", fragte ich. Eigentlich war es mir egal, ob ich sie miteinander bekannt machte oder nicht. Ich hoffe nur Vina wird sich nicht irgendwie zu ausgeflippt aufführen oder Elena mit ihrer Art vertreiben.

„Sicher will ich das. Sie ist das erste Mädchen, die es geschafft hat, dass du dich um sie kümmerst. Und damit meine ich mehr als bloß Höflichkeit", sagte sie, als ich widersprechen wollte. Ich seufzte geschlagen. „Wie du willst."

Ich warf den leeren Kaffeebecher in den Müll und da wir sehr gut in der Zeit waren, würde es auch kein Problem werden die beiden einander vorzustellen. Sollte Elena denn bereits da sein. Ansonsten hatte Vina eben Pech gehabt.

„Na komm, nicht so lahm hier!" Vina sprang fröhlich über den Schulhof und ich folgte ihr lächelnd. Die Schüler beobachteten sie. Sie war auch eine Erscheinung, wie sie wie ein Kind mit Zuckerüberschuss über den Hof sprang und ins Innere des Gebäudes verschwand.

Ungeduldig wartete Vina drinnen, als ich zu ihr aufschloss. Ich schmunzelte, als ich sie vor den Spinden stehen sah. „Was ist denn?"
„Das ist das erste Mal, dass ich dich in einer Schule sehe", erklärte ich. „Aber man könnte fast meinen du wärst eine Schülerin." „Willst du mich beleidigen?", fragte sie lauernd und gespielt arrogant warf sie ihre schwarzen Haare zurück. „Das würde ich nie wagen", antwortete ich und schlug den Weg geradeaus ein.

Die Tür zum Klassenraum stand bereits offen, ein paar Schüler saßen und standen in Gruppen verteilt und unterhielten sich. Hinten saß Elena, den Kopf auf dem Arm gestützt und starrte aus dem Fenster. „Ist sie das?", flüsterte Vina und ich nickte.

Vina stellte sich gerader und mädchenlyke, wir drängten uns durch die Reihen und ignorierten die Blicke der anderen. Ja, Vina war eine Schönheit, aber ihr seid alle nicht gut genug für sie. Wir erreichten Elena und ich brachte ein: „Hallo, Elena", hervor.

Ihr Kopf schnelle herum. Sie sah mich an, dann Vina und kam auf die Beine.
„Hi, ich bin Divina. Du musst Elena sein", flötete Divina und stecke ihr die Hand aus. Für den schlauen zweiten Satz wäre ich ihr fast ausversehen auf den Fuß getreten. Elena wirkte etwas unsicher. „Ja, das stimmt. Hallo", sagte sie und schüttelte ihre Hand, warf dann mir einen hilfesuchenden Blick zu. Definitiv war sie mit der Situation überfordert. So etwas hatte ich schon geahnt.

„Entschuldige, Elena. Dieser kleine Sonnenschein wollte dich unbedingt kennen lernen."
„Oh, aha", machte sie und verstummte. „Ja, genau. Ich dachte mir schon, dass es nur ein so hübsches Mädchen sein kann", machte Vina ihr ein Kompliment und meinte es wohl nur gut, aber damit verunsicherte sie Elena nur noch mehr.
„Ähm, danke", sagte Elena verlegen.

„Kommst du aus Amerika?", fragte Vina, die den Akzent heraus gehört hatte und Elena nickte.
„Ja, ich mache hier ein Auslandssemester."
„Amerika wollte ich schon immer hin", meinte Vina begeistert.

„Von wo genau kommst du?"
„New York."
„Wow, wie cool."
Ein kleines Lächeln spielte um Elenas Mundwinkel, aber es verblasste viel zu schnell.

„Caenen?"
„Ja?"
„Ich glaube ich habe mein Armband im Flur verloren. Könntest du nachsehen?", fragte Vina und erntete von mir einen langen Blick.

Es war klar, dass sie wollte, dass ich kurz verschwand, damit sie alleine mit Elena sprechen konnte. Nur was wollte sie mit ihr besprechen, wovon ich nichts wissen sollte?

„Klar, aber beeilt euch bei eurem Gespräch. Der Unterricht fängt gleich an." Vina machte ein ertapptes Gesicht, während Elena erstarrt schien. Ich lächelte sie beruhigend an und schlenderte hinaus auf den Gang.

Ich spazierte ein wenig durch die Gänge. Die Schüler gingen gemütlich zu ihren Unterrichtsräumen, manche vollbepackt mit Büchern.

„Der Schwule", hörte ich jemanden murmeln, konnte aber nicht ausmachen wer es gesagt hatte. Die Nägel meiner Faust bohrten sich in meinen Handballen. Ich lockerte sie und setzte meinen Weg fort.

Ilias und Lenus begegneten mir und wir nickten uns zu. Ich stoppte. Eigentlich perfekte Gelegenheit, um das Missverständnis aus der Welt zu schaffen. Aber da hatte ich die Rechnung ohne der Zeit gemacht. Es klingelte bereits zur ersten Stunde, ich sah Ilias nochmals hinterher, dann beeilte ich mich zurück zu meinem Klassenzimmer zu kommen. Der Lehrer war noch nicht da, gut so.

Die meisten Schüler waren schon auf ihren Plätzen. Einer der Jungs redete mit Vina, die nur so vor Redseeligkeit übersprudelte, als er mich aber sah, stellte er es ein und kehrte zurück zu seinen Kumpels. Gut für ihn.

Elena hatte mit einen der Nerds gesprochen, der sich arrogant wieder zu seinem Tisch drehte, als Elena mich ansah.

„Hey, Caenen", strahlte Vina und Elena verkrampfte sich.
„Wenn du nicht hier sitzen und die nächsten Stunden Lernstoff über dich ergehen lassen willst, solltest du dich auf die Socken machen. Sonst behält dich der Lehrer noch hier", schlug ich Vina mit hoch gezogener Augenbraue vor. „Vielleicht überlege ich mir das noch." Sie nickte nachdrücklich, aber ich glaubte ihr kein Wort. Vina und Schule? Unmöglich. Zwischen den vielen Leuten schien sie richtig aufzublühen. Aber lernen? Oder ihre manchmal herrischen Phasen? Die konnte man wirklich niemandem antun.

„Tschüss dann", sagte sie und umarmte mich. „Sie ist in Ordnung", flüsterte sie in mein Ohr und trennte sich von mir. Sie grinste verschmitzt.

„Tschüss, Elena", wandte sie sich noch an sie und Elena erwiderte es. Vina schlüpfte gerade aus der Klasse, als der Lehrer sie betrat. Er sah ihr kurz irritiert nach und langsam setzte ich mich. Er begann mit seinen Ausführungen über Geschichte und ich lehnte mich mit dem Stuhl zu Elena.

„Muss ich da etwas wissen?", fragte ich sie leise, und sie schüttelte hektisch den Kopf.
„Nein, da gibt es überhaupt nichts." Schlechte Lüge, aber ich ließ es auf sich beruhen. Die Atmosphäre zwischen uns war frostig. Elena beachtete mich nicht weiter und verlor sich in ihren Notizen.

Zwischen der ersten und der zweiten Stunde sprach sie auch kein Wort mit mir, als wollte sie mich bestrafen und führte wieder ein Gespräch mit dem Nerd vor uns. Als die letzten Minuten zur Zwischenpause vergingen, wirkte sie zunehmend nervöser. Es klingelte.

Ich hatte bereits Zigarette und Feuerzeug gepackt und stand, aber verharrte. Elena richtete einen hilfesuchenden Blick an mich.

„Na komm schon", sagte ich und Elena sprang auf. Schweigend liefen wir hinaus zu unserer Ecke. Unsere Ecke? Was dachte ich da nur? Ich sah zu Elena. Sie stand starr da, als erwarte sie jeden Moment angegriffen zu werden. Wer jagte ihr nur solche Angst ein?

„Elena, ich muss mich bei dir wegen gestern entschuldigen. Es gab ... einen Notfall in der Familie. Trotzdem. Ich habe mein Versprechen nicht eingehalten und das tut mir Leid." Elena sah mich aus großen Augen an.
„Das ist schon in Ordnung. Alex war ganz nett", murmelte sie, aber ihre glasigen Augen sagten etwas anderes.

„Ich möchte es wieder gut machen", sagte ich und verzichtete, kurz entschlossen, heute einmal darauf eine zu rauchen.
„Ich lade dich ein. Heute Abend", sprudelten die Worte ohne Halt aus meinem Mund. Sie zauderte.

„Ähm, ich weiß nicht so recht." Sie hielt sich steif am Saum ihres Shirts fest.
„Ist es wegen Vina? Hat sie dich eingeschüchtert oder irgendwelchen Müll erzählt?" Aufmerksam beobachtete ich jede ihrer Reaktionen. Sie biss sich auf die Lippe.

„Seid ihr zusammen?", platzte es aus ihr heraus und sah mich erwartungsvoll an. Weshalb fragte sie das? Aber gut, es war auch kein Geheimnis.

„Vina und ich? Nein, wir sind Freunde. Wie kommst du darauf?"
„Naja, ihr wirkt so vertraut zusammen und man sieht euch an, dass ihr etwas füreinander übrig habt." Darum hatte sie sich Gedanken gemacht? Ihre angespannte Haltung lockerte sich. Sie lächelte leicht.
„Heute Abend klingt toll."

8

Es war merkwürdig wie in der Kindheit das Problem am Hals zu haben, lernen zu müssen sich zu zügeln. Die Energie war wie ein brodelnder Vulkan, der jeden Moment ausbrechen konnte, wenn man nicht aufpasste.

Der Weihrauch drang in meine Nase und ich unterdrückte ein Husten. Entnervt, wieder die Konzentration verloren zu haben, schlug ich die Augen auf.

Mir gegenüber saß der Älteste im Schneidersitz. Er wirkte tief versunken. „Augen zu", befahl er und ich tat wie gehießen. Das war schon immer gruselig gewesen. Obwohl er die Augen geschlossen hielt, schien er alles um sich herum zu sehen.

Nicht nur spürte er die Auren von engelsgleichen, dämonischen Wesen und Menschen, sondern die Seelen aller Lebewesen. Er schien seine komplette Umgebung zu sehen, als hätte er die Augen geöffnet. Jedoch erforderte so ein Können seine Aura einzusetzen Talent und sehr viel Training. Er war auch einer der wenigen, die verhüllte Auren spüren konnten und sie ertasten, ohne selbst erkannt zu werden. Aber um dies meistern zu können, erforderte es jahrzehntelanges Training. Das war der Haken. Er war bereits zu alt fürs Schlachtfeld.

„Ihr müsst es als ein Teil Eurer selbst anerkennen", gab er seine Sprüche kund. Die gleichen, die ich seit meiner Kindheit auswendig kannte.

Nur war es nicht so einfach sich an sie zu halten, überhaupt an diesen, wenn die Flut der Energie dich wie ein reißender Strom mitreißen konnte. Wenn man die Energie akzeptierte, war es leichter sie zu dosieren. Ich wusste das. Es schien für mich wie Zeitverschwendung, schließlich hatte ich das alles schon einmal gemeistert. Aber es war notwendig, deshalb murrte ich nicht.

„So ist es gut", sagte der Älteste. Der Strom floss ungescholten durch mich hindurch. Ich versuchte ihn als Teil meiner selbst anzusehen, nur kraftvoller. Immer noch der gleiche Fluss, nur stärker. Ich war nur stärker geworden. Gewachsen, wenn auch von einem auf den anderen Tag und nicht wie andere über Jahre.

Ich spürte das Elektrisierende meine Adern durchlaufen, als ich mich mehr darauf konzentrierte, schien es aufzubranden. Ich ließ meinen Geist wieder schweifen, im Bewusstsein, dass der Strom da war, aber nicht näher darauf eingehend. Der Strom beruhigte sich wieder.

„Sehr gut. Du hast den Bogen raus." Ich öffnete die Augen und der  Älteste sah mich zufrieden an. Ich lächelte etwas. Ja, es fühlte sich gut an. Beherrscht.

„Dieses Training wiederholst du jeden Tag. Du darfst nicht außer Übung kommen und musst dich an die hinzugewonnene Kraft erstmal gewöhnen. Dein nächstes Training wird die neue Dosierung sein. Der Kraftaufwand wird für dich weniger werden und die Abschätzung der Menge an Energie schwieriger. Du musst es erst neu lernen zu dosieren." Ich nickte.

„Den Rest kennst du ja schon. Erstmal klein anfangen. Es erfordert nur noch Übung." Damit war ich entlassen, aber es ließ mir keine Ruhe.

„Denkt Ihr sicher ich kann es kontrollieren?", fragte ich nach. Der Älteste hob seine Hand und ein royalblaues Feuer züngelte darüber.

„Als Ihr noch ein Kind wart, war Eure Macht erstaunlich groß." Das Feuer züngelte unkontrolliert. „Ein normaler Geflügelter hat erst ab zehn Jahren Zugriff zu dieser Quelle, aber dass Ihr Eure so viel früher einsetzen konntet, zeugte von Eurem Talent. Doch Ihr wart noch im Stadium eines Kindes und als solches war die Kraft zu verlockend sie einzusetzen und als Ihr das tatet, fehlte Euch das nötige Training es zu kontrollieren, mit dem wir die Kinder mit acht Jahren unterrichten. Dadurch können sie sich langsam an die Quelle herantasten. Die Quelle, die Energie, die uns ruft sie freizulassen. Du warst nur unvorbereitet und sie hat dann getan, was sie wollte, genauer, getan, was deine Gefühle von ihr wollten. Deshalb wurde die Macht mit diesem Ring größtenteils versiegelt. Deshalb musstest du in deinem sehr jungen Alter bereits mit dem Training beginnen. In den folgenden Jahren ist die versiegelte Macht natürlich gestiegen."

Die Flamme über seiner Hand wuchs. „Aber dein Geist und die Kontrolle über deine Gefühle sind groß genug, um die Macht zu bändigen. Denke daran, niemand besitzt mehr Macht, als er vertragen kann. Deine Energie bist ganz du."

Seine Worte beruhigten mich. Einen Moment hatte ich schon befürchtet sie nicht wieder so in den Griff zu bekommen wie vorher. Noch jetzt wünschte ich mir fast den Ring zurück, um kein Risiko einzugehen.

Ich verstand nun. Mit meiner Energie hatte sich meine Aura verändert. Die Jäger mussten mich für einen fremden Geflügelten gehalten haben, zu mächtig, um unerwartet mal vorbeizuschauen und dabei friedliche Absichten hegen zu können. „Danke, Ältester", sagte ich, stand von dem flauschig weißen Teppich auf und verbeugte mich, bevor ich seine Hütte verließ.

___

Ich wusste Elenas Adresse nicht. Das war das Erste, was ich dachte, als ich im Auto saß, bereit loszufahren. Ok, was machte ich nun? Wen kannte ich, der ihre Adresse wusste? Ihre Telefonnummer hatte ich auch nicht.

Verdammt, ich war ein Engel, wie konnte ich dann nicht so etwas Banales wie eine Adresse herausfinden?

Da spürte ich eine mächtige Aura, sie flammte kurz auf, bevor sie wieder erlosch, ich versuchte sie zu lokalisieren, aber es war, als wäre sie weg, ganz weg, als würde sie nicht existieren.

Irritiert runzelte ich die Stirn und stieg aus. Die Sonne war heute stark, keine Wolke am Himmel, als wäre der Sommer zurück gekehrt. An was hatte ich eben gedacht? Ich versuchte den Gedanken zu packen, aber er etwischte mir. Wird nicht so wichtig gewesen sein.

„Was tut Ihr da?", ertönte eine Stimme und ich drehte mich um. Katherine stand an die Hauswand gelehnt und polierte ihr Schwert. Es war ein breiteres Schwert mit goldenem Griff und Parierstange.

„Ich genieße die Sonne", antwortete ich und reckte das Gesicht gen Himmel, aber sie schien mir nicht zu glauben. „Du hast im Wagen gesessen", sagte sie und sah mich von der Seite an.

„Hab was liegen lassen." Sie zuckte die Schultern. „Geht mich ja nichts an. Wenn du nicht mit der Sprache raus rücken willst, von mir aus." Ich lächelte leicht und lehnte mich neben sie an die Wand.

„Ich suche jemanden", sagte ich und sie pustete auf die Klinge. Ihr Gesicht spiegelte sich darin.

„Wen denn?", fragte sie und ich beobachtete ihre Ausgeglichenheit. Im Kampf war sie immer sehr offensiv und energiegeladen, sie hatte Spaß am Kämpfen. Aber privat war sie ein sehr umgänglicher Mensch.

„Einen Menschen." Sie runzelte die Stirn.
„Was willst du denn mit einem Menschen?" Ihre Verwirrung war mir nichts Neues. Viele Engel hielten sich für etwas Besseres und auch Kathy besaß diese Abneigung gegenüber den Menschen.
„Ihn besuchen."

„Hm", machte sie.
„Wieso fragst du nicht Janon? Er kennt sich doch gut mit Amuletten aus. Gibt es da nicht so ein Suchamulett?" Sie beendete ihre Säuberung und steckte das Schwert in die Scheide an ihrer Hüfte.
„Das nutzt mir nur nicht viel. Er besitzt keine Amulette. Die Dinger sind teuer."
„Da hast du auch wieder Recht."
„Was soll's, ich werde es schon herausfinden." Sie grübelte noch eine Sekunde, bis sie sich von der Mauer abstieß, meinte: „Ich muss zum Training."

„Soll ich dich begleiten?", fragte ich nach, denn ich hatte gerade keine zündende Idee, um endlich starten zu können. Southbeach, das hatte Elena gesagt.

„Nein, nein, ich treffe mich mit ... jemandem zum Training."
„Soso jemandem." Sie wurde etwas rot und rief: "Kümmere du dich nur um dein Problem. Wenn mir noch was einfällt, sag ich es dir." Ich nickte ihr dankbar zu und sie lächelte nochmals und machte sich auf den Weg.

Ich hatte die Gestalt im Schatten bereits bemerkt.
„Musst du mitkommen?" Ich wusste ich klang genervt und war es auch. Janon löste sich aus den tiefen Schatten, die ihn bargen.
„Ihr kennt die Antwort", sagte dieser und stellte sich vor mich hin.

Der Abend der letzten Jagd kam mir in den Sinn, genau so hatte er da gestanden. Da gestanden und mich gehindert in dem, was ich tun wollte.

„Es wäre sicher angenehmer für dich, als auch für mich, wenn du nicht dabei wärst."

„Ihr werdet mich gar nicht bemerken." Die Arme hatte er diesmal nicht verschränkt. Sein braunes Haar hing ihm glatt in die Stirn.
„Ich dachte es hätte sich etwas geändert", sagte ich und sah ihn geradeheraus an.

„Ich dachte es wäre klar, dass ich mich nicht an Regeln halte."
„Was wollt Ihr also tun? Mich ausschalten? Denn seid Euch gewiss, dass ich den Befehlen unseres Königs Folge leisten werde." Einen Moment lieferten wir uns noch ein Blickduell, bevor ich mich umdrehte und lief.

Ich wusste er folgte mir, ich erhöhte mit meiner Energie meine Sprungkraft, der Strom aus Energie in mir wallte auf, aber er war stark. Ich hatte es unterschätzt. Ich flog viel höher über den Zaun, als ich beabsichtigt hatte, fiel und rollte mich mit der Schulter ab. Aber ich gab nicht auf. Hastig rannte ich weiter, den Weg entlang zur Straße.

Die Macht pulsierte in mir und sie war nun wach. Mein Körper fühlte sich an, als könnte ich mit einem Sprung zum Mond fliegen. Ich zog meine Aura eng an mich, damit er es schwerer hatte mich zu orten. Nach ein paar Ecken hielt ich an einer Hauswand. Ich sah um die Ecke.

„Ihr seid schneller geworden", ertönte es hinter mir, wie nicht anders zu erwarten.
„Oder du langsamer." Er schnaubte, lächelte aber leicht. Die vielen Male, die ich von zu Hause abhaute. Er und Vina hatten mich immer gefunden.

"Ihr habt wieder auf die Beine gefunden", meinte er und ich musste darüber nachdenken. Was war es gewesen, das mich aufstehen ließ? Aber stand ich aus Überzeugung? Nein, ich stand, weil es mein Leben erforderte, weil es eine Notwendigkeit war wie Atmen und Essen. Nicht, um etwas zu erreichen.  Aber das alles verschlingende Loch, diese Leere, war immer noch in mir. Die Schuld.

„Ich stehe, weil ich muss." Das Leben war nicht schön. Das Leben war grausam. Wir waren grausam. Aber wir machten weiter. Sie alle machten weiter. Auch ich musste weiter machen.

"Also habt ihr Euren Willen noch nicht zurück gefunden", stellte er fest, aber dieser Aussage konnte ich nicht komplett zustimmen. Brauchte ich einen zielstrebigen Willen, größere Ziele überhaupt? Wofür lebte ich? Ich hatte nie etwas Großes erreicht, wollte kein Prinz sein mit all der Verantwortung. Ich war schon zufrieden, wenn ich mit meinen Jägern jagen und zusammen sitzen konnte. Mehr brauchte ich nicht.

„Ich weiß nicht wofür ich kämpfen soll", antwortete ich.
„Ihr habt sicher Eure Gründe weshalb ihr euch so verhaltet, Euch verkriecht."

„Ja. Tut mir Leid, wenn ich dich damit enttäusche."
„Es wird spätestens Euch selbst Leid tun, wenn Ihr dadurch alles verliert. Bevor ihr euch verseht, ist alles aus."

„Ich ..." Janon hatte sich bereits für normale Augen unbemerkbar gemacht. Ich seufzte, zuckte mit den Schultern und schlenderte durch die Straßen. Somit suchte ich eben ganz altmodisch. Ich ging direkten Weges nach Southbeach.

Menschenauren und ihre Seelen waren anders als unsere. Nicht so stark, sie waren auf meinem geistigen Auge wie schwache Punkte, die ich mit meiner Aura abtastete, aber bis jetzt gleichte keiner der von Elena. Ich erweiterte meinen Suchradius, ging an Leuten und Geschäften vorbei, aber immer noch nicht. Sollte ich? Ich merkte, ich hatte mein Limit noch nicht erreicht. Ungewohnt für mich, aber ich versuchte es weiter, dehnte meine Aura aus, konnte nicht nur Southbeach, sondern die ganze Stadt überdeckten, und konnte die vielen Punkte spüren, die Seelen der Menschen, die der Engel. Keine einzige Dämonische. Und ich sah sie. Ein heller Fleck auf der Karte meines Geistes.

Aber ohne Auto? Ich könnte unmöglich von ihr erwarten, dass sie zu Fuß ging. Aber zum Umkehren hatte ich auch keine Lust.

Ich sah das Meer in der Ferne, die Häuser wurden edler und die Grundstücke größer. Das Gras war noch grün und eingerahmt von weißen Zäunen.

Die Häuser sahen alle gleich aus, mit nur minimalen Unterschieden.
An einem der Häuser, seine Tür war blau, blieb ich stehen. Ich öffnete und schloss das Gartentor, ging den schmalen, gepflasterten Weg entlang, die drei kleinen Stufen zur Tür hoch und klopfte.

Im Haus hörte ich jemanden rufen und eine etwas beleibte Frau öffnete und wischte sich gerade mit einem Tuch ihre Hände trocken. Als sie mich erblickte, strahlte sie und es war mir sofort symphatisch.

„Du musst Caenen sein", sagte sie herzlich und reichte mir die Hand. „Der bin ich. Und Sie müssen Elenas Gastmutter sein."
„Stimmt genau, ich bin Maria Ebner. Elena, Schätzchen, deine Verabredung ist da!", rief sie über die Schulter und ich hob eine Augenbraue.

Elena kam die Treppe runter gerumpelt, sie hatte ihre Haare offen, ein süßes Sommerkleid umschmeichelte ihre Figur und sie hatte sich eine Handtasche umgehängt. Es war sieben Uhr und es würde gleich einmal dunkel und kühl werden, doch sie nahm sich zum Glück noch eine leichte Jacke von der Garderobe.

„Komm doch herein", bat mich die Gastmutter und verschwand in einem Raum, in dem, den Gerüchten zufolge, die Küche lag. Ich trat über die Türschwelle. Elena bindete noch ihre Schuhe und ich beobachtete sie dabei. Sie spürte wohl meinen Blick, denn ihre Wangen färbten sich rosa.

„Ich wusste nicht wann du kommst", sagte sie und stand wieder auf. „Kein Problem, ich hatte auch keine Uhrzeit genannt." Sie sah mich an, musterte mich und ich legte den Kopf schief. Ich hatte mich nicht wirklich herausgeputzt. Weshalb auch?

Ihr Blick wurde mir etwas unangenehm und ich fragte: „Hast du schon was gegessen?" Sie wurde prompt rot, wandte den Blick ab. „Ähm, ja. Ich wusste nicht was du vorhast."
„Ist nicht schlimm." Ich hatte zwar vorgehabt mit ihr etwas zu essen, aber nicht in einem Restaurant.

Sie musterte nochmal mich, dann sich und wurde unsicher.
„Vielleicht sollte ich ...", sagte sie und deutete Richtung Treppe.
„Nein, das Kleid steht dir und bei dem, was ich vorhabe, ist es egal, was du anhast." Ich wusste ja wie verlegen sie bei Komplimenten wurde, aber es war schlicht und einfach die Wahrheit. „Ok."

Ich hielt ihr die Tür auf, sie verabschiedete sich noch im Rufen von ihrer Gastmutter, die uns noch viel Spaß wünschte. Die Luft war schon etwas abgekühlt, da die Sonne schon tief stand, aber es schien, als wäre uns das Wetter wohlgesonnen. Wir überquerten den Vorgarten und schlenderten die Straße entlang.

„Kennst du diesen Alex eigentlich besser?", fragte sie und ich sah sie überrascht an. Ich ging darauf ein. „Wir kennen uns ewig. In der Grundschule waren wir in derselben Klasse, aber mit der Zeit haben wir uns auseinander gelebt. Früher waren wir mal besser befreundet."

„Aber ihr geht ja immer noch in dieselbe Schule", wandte sie ein.
„Ja, aber ich war nie der, der Kontakt gesucht hat. Irgendwann ist das einfach unter gegangen und er hat sich anderen Leuten zugewendet."

„Du meinst Ilias und Lenus", meinte sie und bei den Namen verkrampfte sich etwas in mir. Sie waren beide verschwunden gewesen, nachdem der Kampf geendet hatte. Und dieses unangenehme Gefühl stieg in mir auf, als ich zurück an den Moment mit Ilias im Schulflur dachte. Ich schüttelte diese Gedanken ab.

Elena schien zu grübeln und ich fragte: „Was hast du?"
„Nichts", sagte sie und ein strahlend falsches Lächeln erschien auf ihrem Gesicht.
„Ich habe mich nur an gestern erinnert." Ich blieb stehen.
„Hat Alex dir irgendwie Angst gemacht?", forderte ich sie zu einer Antwort auf. „Nein, ich ..."
Ihre Stimme war dünn geworden.

„Elena, wenn er dir etwas getan hat, dann musst du es mir sagen. War er es vor dem du die ganze Zeit Angst hattest?" Elena schüttelte den Kopf.
„Nein, es war nicht wegen ihm. Er hat mich einfach nur an denjenigen erinnert." Sie sah weg. „Könnten wir  bitte nicht mehr davon reden?" Ich war noch skeptisch, aber ich ließ es bleiben. „Natürlich."

Wir gingen weiter, ich schlug den Weg zum Strand ein und wenig später spürte ich den Sand unter meinen Schuhen. Als die Wellen fast bis an unsere Schuhe schlugen, blieb ich stehen und sah zu ihr zurück

Die Sonne würde gleich unter gehen. Vermutlich kannte sie den Anblick, denn es war kein weiter Weg bis hier her.
„Wunderschön", flüsterte sie.
„Das ist das erste Mal, dass ich hier den Sonnenuntergang sehe." Da hatte ich mich anscheinend geirrt.

„Vertraust du mir?", fragte ich sie  und sah sie gespannt an. Bezaubert von dem feuersturmähnlichen Lichtspiel am Himmel, nickte sie einfach nur. „Dann schließe deine Augen." Sie sah mich an und tat es.

9

 

Ich ging auf sie zu, umfasste ihre Hüften wie in einer Umarmung und stieß mich ab.

Der Wind wehte ihre Haare in alle Richtungen, aber schon zwei Sekunden später waren wir an unserem Ziel angelangt. Sie öffnete ein wenig erschrocken die Augen und fragte: „Was war das?" Ich antwortete nicht und lächelte nur.

Sie sah sich um. „Wo sind wir? Wie sind wir hier her gekommen?" Ich deutete auf die Picknickdecke. „Wenn Mylady sich setzen will." Sie sah mich fassungslos an, schien verwirrt, verängstigt. Ich erkannte erneut, dass meine Welt niemals die ihre sein konnte. Leicht berührte ich sie am Arm. Sie schien apathisch. „Nein, was ist hier los, verdammt?", schrie sie und ich ließ meine Hand sinken.

„Ich wollte dir eine Freude bereiten", sagte ich und sah zum Rand der Klippe. Die Sonne spiegelte sich im Schein des Wassers und ein blutrotes Farbspiel breitete sich im Himmel aus. „Ich verstehe das nicht. Wie ...?"
„Ist das wichtig?", fragte ich sie sanft.
„Erklär mir einfach nur wie du das gemacht hast." Sie verschränkte die Arme.

„Das kann ich dir nicht sagen."
„Nein?"
„Nein. Deshalb habe ich dich auch gefragt, ob du mir vertraust."
„Und das soll nun zeigen, dass dir nicht zu trauen ist?" Mein Lächeln wurde von ganz allein eisig.

„Wenn du das glauben willst, nur zu." Ich drehte mich zur Klippe. „Diesen Ort habe ich mit noch niemanden geteilt. Ich wollte dich einmal etwas lockerer sehen, als in der Schule und mich konnte dieser Ort bis jetzt jedes Mal beruhigen", glitt es mir über die Zunge. Sie schwieg. Die Sonne strahlte noch ihre letzten Funken, in einem düsteren Rot und ich genoss die letzten Strahlen.

Wie ein Schmetterling berührte sie meinen Arm. „Es tut mir Leid. Ich komme dir jetzt vermutlich wie eine undankbare Kuh vor." Sie lachte sarkastisch.
„Ich bin es nicht gewöhnt, dass jemand etwas für mich tut. Ohne Gegenleistung. Es wäre ja auch nicht deine Aufgabe gewesen auf mich aufzupassen, du hättest einfach Nein sagen können. Ich falle dir bestimmt zur Last." Ihr Gesicht hatte einen bekümmerten Ausdruck abgenommen. „Du hast immer so unnahbar und stark gewirkt. Ich dachte, wenn ich mich an dich halte, kann er ... kann mir nichts passieren."

„Wer ist es?", fragte ich und sie biss sich auf die Lippe.
„Du kennst ihn nicht."
„Wenn es jemand aus der Schule ist, kenne ich ihn."
„Ja, aber ..." Sie zauderte.

"Weißt du was? Du musst es mir nicht sagen. Ich habe meine Geheimnisse und du deine." Mit meiner Aussage schien sie nicht sehr zufrieden.

Schließlich sah sie mir direkt in die Augen.
„Es ist niemand direkt aus der Schule. Zumindest weiß ich, dass er in keiner Klasse ist. Eigentlich kenne ich ihn überhaupt nicht." Sie sah zu Boden.

„Elena, wer ist es?"
„Sein Name ist Diamante." Ich runzelte die Stirn.
„Ja, ich weiß, ein komischer Name", sagte sie und lachte, aber es war freudlos.

Hingegen war ich tief in Überlegungen. Ich glaubte ihr, natürlich tat ich das, so wie sie sich verhielt.

„Du sagst also er geht nicht zur Schule, sondern taucht da nur immer wieder auf?"
„Ja, er und seine Freunde. Sie ..." Gebannt sah ich sie an.
„Es war mein erster Tag hier. Einen Tag bevor für mich die Schule anfing. Ich bin durch die Straßen gelaufen, um mich ein wenig mit der Gegend bekannt zu machen. Sie tauchten aus dem Nichts auf und wollten einen Ring. Sie sagten ein gewisser Caenen aus meiner Klasse würde ihn besitzen, du solltest ihn gestohlen haben und ich sollte ihn zurück bringen." Ihre Stimme zitterte.

„Ich hatte Angst vor ihnen. Sie sahen gewalttätig aus und sie drohten mir, wenn ich es nicht schaffen sollte den Ring zu holen, würde jemand auftauchen und dich und alle deine Freunde umbringen. Das Unfassbare ist, ich glaubte ihm das auch noch. Er meinte jedes Wort ernst. Er sagte er würde jeden Tag in der Schule aufkreuzen und mich kontrollieren. Er sagte es wäre für ihn ein Einfaches den Menschen hier den Gar auszumachen. Wie kann man nur Menschen töten?"

„Wieso hast du es dann nicht getan?", wollte ich von ihr wissen. Sie sah mich an und in ihren Augen konnte ich einen eisernen Willen erkennen.

„In der Klasse, ich weiß es hört sich komisch an, aber ich war mir gleich sicher, dass nur du es sein kannst. Du hast dieses ... bestimmte Etwas und als ich dich gesehen habe, war ich sehr erleichtert. Ich spürte du musstest stark sein und konntest mich und dich vor ihnen beschützen. Ich habe mich in meinem Leben schon zu oft unterdrücken lassen."

„Du hast es gespürt?", fragte ich nach und sie nickte nur.
„Ja." Wer war sie nur? Ich hatte davon gehört, dass bestimmte Menschen Auren wahrnehmen konnten, aber davon gab es sehr wenige. „Kannst du Auren spüren?", fragte ich sie und sie zog ein wenig den Kopf ein. „Ich weiß, dass es sich verrückt und nach Esoterikschwachsinn anhört, aber ja." Wenn das ihre Definition von verrückt war, wollte ich mir gar nicht ausmalen wie es wäre, sollte sie jemals die Wahrheit herausfinden.

„Ich kann dich beruhigen. Ich finde das nicht verrückt. Es ist eher erstaunlich." Sie sah zu mir hoch, und ich war berührt. Weil sie an mich, meine Stärke geglaubt hatte, hatte sie sich gegen einen Dämonen gestellt. Sie war tapferer, als ich jemals für möglich gehalten hatte, selbst wenn sie nicht wusste, wer oder was wir waren. Verlegen strich sie sich eine Strähne hinters Ohr.

„Ich konnte nicht glauben, dass du der Böse in diesem Spiel bist. Du hast diesen Ring nicht gestohlen." Ich schüttelte leicht den Kopf.
„Nein, er war ein Geschenk gewesen."
„Von wem denn?", wollte sie neugierig wissen.
„Von meiner Mutter." Ich wandte mich etwas ab. „Was ist denn mit ihr passiert?", fragte sie sanft nach, als ahnte sie durch mein Verhalten etwas, aber ich antwortete nicht. Sie blieb still, sagte dann leise: „Ich hätte nicht fragen sollen." Ich sah auf meinen nackten Finger.
„Ich will nur nicht darüber sprechen." Verständnisvoll nickte sie.

Die Dunkelheit war komplett, die Sterne strahlen herab und der Mond war eine dünne Sichel.
„Setzten wir uns doch." Elena setzte sich auf die Decke, ich stand noch einen Augenblick da vorne, beobachtete die silbernen Wellen des Meeres, bevor ich mich neben sie setzte.

„Es ist okay", sagte sie. „Meine Schwester starb, als sie erst acht Jahre alt war." Fragend sah ich sie an.
„Der Fahrer hatte sie auf ihrem Rad nicht gesehen. Sie hat keinen Fehler gemacht."
„Das tut mir Leid", sagte ich, aber sie lächelte nur tapfer.
„Das ist schon lange her. Ich war erst fünf. Ich kann mich an ihr Gesicht gar nicht mehr richtig erinnern."

„Eine gute Freundin von mir, und viele andere haben Personen verloren, die sie geliebt haben. Sie ihre Mutter. Kinder ihre Eltern, Freunde, Verwandte."
„Was ist ..." Sie stoppte sich und sah weg. Trotzdem antwortete ich.
„Ein Kampf. Wir gegen die. Dieser Diamante gehört auch zu ihnen."

Ihre Augen waren riesengroß geworden.
„Du meinst einen richtigen Kampf? So etwas wie zwei Straßenbanden, die sich gegeneinander bekämpfen?"
„Ja, so ähnlich."
„Das ist ja schrecklich", sagte sie. Ich zuckte mit den Schultern.
„Es ist unser Leben."
„Dann hast du auch schon ... Leute umgebracht?" Fahrig fuhr sie sich durch die Haare.

„Ich habe noch nie einen Menschen umgebracht", beruhigte ich sie und sie atmete aus. „Gut. Ich glaube dir."
„Gut. Ich bin nämlich nicht wie sie, Elena. Ich möchte diese Welt nicht zerstören." Elena sah mich verwundert an.
„Sie wollen die Welt zerstören?"
„Ja, zerstören und dann neu aufbauen in eine Welt, die im Chaos versinkt, in der sich Seuchen verbreiten und kein Diner Gottes, noch irgendetwas dagegen tun kann." Ich verstummte. Vielleicht hätte ich das nicht sagen sollen.

„Gottes Diener. Du meinst Engel?"
„Ja."
„Deine Metaphern sind echt krass. Obwohl mir dieses Schwarz-weiß-Denken nicht gefällt. Einen Augenblick dachte ich wirklich du würdest das ernst meinen." Sie lachte und ich schmunzelte.
„Ja, echt krass." Sie kaute auf ihrer Lippe und schien zu überlegen. "Was wollen wir also jetzt tun, gegen diesen Diamante?" Ich überlegte.

„Gar nichts." Sie erstarrte.
„Du willst nichts machen? Wenn sie so böse sind, kann dann nicht deine ... Gang oder was auch immer, etwas gegen sie unternehmen?"

„Nein. Sie sind zu stark. Während wir auf der Stelle treten, tun und lassen sie, was sie wollen. Wir können nichts gegen sie ausrichten."
„Aber ..." Ihr Körper war angsterstarrt, ihre Stimme nicht mehr als ein Piepsen. Beruhigend legte ich meine Hand auf ihre und sie blickte hinab.
„Dein Ring!", erkannte sie und betrachtete meine Hand.

„Sie sind zu stark", sagte ich wieder und zog meine Hand zurück.
„Haben sie ihn dir ..."
„Ich konnte nichts gegen ihn ausrichten. Ich habe es versucht, glaub mir, aber ich könnte sie nicht einmal daran hindern, wenn sie anfangen würden Menschen in Massen abzuschlachten."

Meine Hand war zur Faust geballt und Elena, gefasster als noch vorhin, legte ihre Hand auf meine und öffnete meine Faust.

„Es tut mir sehr Leid, was deiner ... Gang-"
„Clan", unterbrach ich sie, „wir nennen es Clan."
„-was deinem Clan zugestoßen ist."
„Nein. Es sollte mir Leid tun, dass du in das Ganze hineingezogen wurdest. Das ist nicht dein Kampf."

Ihr schien ein Licht aufzugehen. „Dann war es meine Schuld? Deine Leute sind gestorben, weil ich ihnen den Ring nicht bringen wollte?" Ich fasste ihre Hand fester.

„Nein, glaub mir. Auch wenn du ihnen gehorcht hättest, es wäre trotzdem passiert. Das alles ist viel größer, als du dir vorstellen kannst. Ihr Plan diesen Kampf zu führen, stand von Anfang an fest." Nur so war es erklärbar, dass es in allen Ländern diese Vorfälle gegeben hatte. Dieser Dämon hat es nur als Drohung benutzt, eine effiziente. Eine Lüge, dass sie es hätte verhindern können, indem sie ihnen das gab, was sie wollten. Eine Lüge mit einem kleinen Kern Wahrheit. Denn es war passiert.

„Wenn, dann bin ich Schuld, weil ich nicht stark genug gewesen bin." Ich senkte meine Stimme zu einem Flüstern.
„Ich bin an allem Schuld."
„Das glaube ich nicht. Du hast sicher getan, was du tun konntest. Mach dich nicht selbst fertig." Ihre Worte kamen mir seltsam bekannt vor, und mit ihr wieder die Erkenntnis, dass es nicht so einfach war.

„Vermutlich hast du Recht", sagte ich, aber bei ihrem besorgten Blick erkannte ich, dass sie wusste, dass ich log.
„Wenn ich irgendetwas für dich tun kann, Caenen." Sie strich sich eine lästige Strähne hinters Ohr.
„Du hast schon mehr getan, als du gemusst hättest" sagte ich und sie fasste meine Hand fester.

Die Wellen des Wassers waren ruhig, folgten einem Rhythmus, formten eine Melodie. Elenas Blick wurde mir bewusst und ich begegnete ihm. Ihre Augen glitzerten mit den Wellen um die Wette. Es freute mich wie ruhig sie geworden war. Dieser Ort war wirklich etwas Besonderes. Ihre Stimme war ein Wispern, als sie sagte: „Schon als ich dich das erste Mal gesehen habe, wusste ich es."

„Was meinst du?" Sie war näher gekommen ihr Gesicht direkt vor meinem.
„Dass ich dir, egal, was ich tue, verfallen werde." Ich wandte mein Gesicht ab. Nicht mal als lästig konnte ich das hier empfinden, denn dafür mochte ich sie zu sehr. Aber ich empfand nicht das Gleiche.

„Elena." War das schwer. Ihre Hand an meiner wurde unruhig, zitterte.
„Ich verstehe schon. Ich bin nicht gut genug für jemanden wie dich."
„Das ist es nicht." In meinen Gedanken tauchte ein Bild auf. Ilias. „Ich bin nicht beziehungsfähig."

Elena malte kleine Kreise auf meinen Handrücken. „Aber du hast mich beschützt und auch wenn ich das zwischen dir, Ilias und Lenus nicht verstehe, ich war froh, als ich sah, wie ihr zusammen gehalten habt. Wegen was auch immer. Ich habe gespürt und ab den Zeitpunkt auch gewusst, dass du eine gute Person bist."

Ich und gut, ich musste schmunzeln. Meine Mitschüler und meine Umgebung interessierten mich einen feuchten Dreck. Die Schule war mir egal und die Lehrer konnte ich allesamt nicht ausstehen. Das Einzige, was ich wollte, war meiner Leidenschaft nachzugehen: Kämpfen. Ich war eine Enttäuschung für meinen Vater und tat alles, um jede Regel zu brechen. Ich hörte nicht auf meine Freunde. Und da sollte ich eine gute Person sein?

„Elena, glaub mir, ich bin nicht gut. Und ich wäre auch nicht gut oder gut genug für dich."
„Nicht gut genug für mich?" Ungläubig blinzelte sie.
„Du bist Mr. Cool, von allen Mädchen angehimmelt. Und da denkst du so etwas?"

„Ich bin nicht cool, Elena. Wie dir vielleicht aufgefallen sein würde, können mich nicht viele in der Schule leiden." Sie schüttelte vehement den Kopf.
„Da irrst du dich. Viele halten dich einfach nur für unnahbar und trauen sich deshalb nicht mit dir zu sprechen."
„Gut", sagte ich, „das soll auch so bleiben." Betroffen schwieg sie.

„Wieso willst du niemanden an dich heran lassen?" In ihren Augen glänzten Tränen.
„Elena." Sie schüttelte den Kopf. „Nein, ich verstehe schon. So bist du eben." Hastig, ohne mich anzusehen, stand sie auf.
„Kannst du mich bitte nach Hause bringen?"

Ergeben schloss ich die Augen. Elena, wenn du nur wüsstest wie gefährlich es in meiner Nähe war. Würdest du dann immer noch mit mir zusammen sein wollen? Ich stand genauso auf.

„Die Frage, ob du mir vertraust erübrigt sich wohl", meinte ich und fasste ihre Taille. Sie zuckte zusammen und versuchte wegzurücken.
„Tut mir Leid, aber ich kann dir nicht das bieten, was du willst." Der Schmerz stand ihr ins Gesicht geschrieben und sie schloss die Augen.

„Wieso hast du mich heute eingeladen?", flüsterte sie.
„Ich war es dir schuldig."

Ich öffnete meine Schwingen und stieß uns in den Himmel, fest krallten sich ihre Finger in meine Seiten.
„Keine Angst, ich lasse dich nicht fallen." Sie hatte erst die Augen zusammen gekniffen, aber öffnete sie abrupt.

Aus Schreck fuhr ich meine Flügel ein, wir fielen vom Himmel, sie sah mich aus weit aufgerissenen Augen an und begann zu schreien. Ich konzentrierte mich auf meine Energie, verstärkte meine körperliche Kraft, meine Wiederstandsfähigkeit.

Ich nahm Elena auf meine Arme, nur noch ein paar Meter. Die Energie pulsierte in mir, Adrenalin strömte durch meine Adern, machte meine Sinne zusätzlich scharf. Ich landete auf den Füßen, knickte ein, Schmerz schoss von meinen Fußgelenken hoch, aber ich verzog keine Miene.

Ich war lautlos gelandet, wir waren in einem Nachbargarten. Elena atmete heftig, definitiv hatte ich sie zu Tode erschreckt.

„Was zur Hölle bist du?", fragte sie, aber ich ließ sie nur langsam von meinen Armen.
„Kannst du stehen?", fragte ich und sie schwankte, aber ich fasste ihre Schulter. Sie erstarrte und ich ließ meine Hand von ihrer Schulter rutschen. Sie sah mich schockiert an.

„Bist du verletzt?" Ich betrachtete ihren Körper genau, konnte aber keine Verletzungen feststellen. Sie schüttelte den Kopf. Langsam ebbte meine Energie wieder ab. „Was denn?", fragte ich und Zorn blitzte in ihren Augen auf.
„Das fragst du noch? Wir sind gerade vom Himmel gefallen!"

„Ich sagte dir du sollst deine Augen geschlossen halten", rechtfertigte ich mich, und es sah so aus, als wollte sie mich schlagen, tat es dann aber doch nicht.
„Dazu wirst du vermutlich auch nichts sagen, oder?" Ich schwieg und sie sah so aus, als würde sie gleich wieder anfangen zu weinen.

Sie schüttelte in kleinen Bewegungen den Kopf, als könnte sie es nicht glauben. Definitiv, es war zu viel gewesen. Sie konnte mit diesen Dingen nicht umgehen und irgendwie enttäuschte mich das.

Sie wandte sich ab, überwand den Gartenzaun und ich folgte ihr, musste sicher gehen, dass sie heil ankam. Vor ihrem Haus blieb sie stehen.
„Sag mir nur eines. Ist dieses etwas, das du bist, der Grund weshalb du alle wegstößt?" Ich entfernte mich einige Meter.
„Wieso musst ausgerechnet du so anders sein? Könntet du nicht einfach sein wie jeder andere?"

„Elena." Sie drehte sich nochmal um. „Es wäre besser, wenn auch du mich meiden würdest." Ihre Unterlippe zitterte. Sie sah verloren aus, doch dann entschlossen.
„Gut, dann werde ich dich nicht mehr belästigen."

10

 

Es war noch der gleiche Abend. Ich hatte mich in meine andere Form zurück verwandelt und lag auf dem Bett. Die Jalousinen natürlich zu gezogen und die Tür verriegelt.

Es war wie ein schmerzhaftes Klingeln in den Ohren und sogleich wusste ich woher es kam. Elena. Aber wie ...? Ich wusste etwas war mit ihr geschehen, etwas schreckliches.

Bevor mir richtig bewusst war, was ich tat, hatte ich mir meinen Jagdumhang geschnappt, umgehangen und war aus dem Fenster gesprungen.
Ich achtete nicht darauf, ob mich jemand aufzuhalten gedachte. Sie spürten sicher alle, dass ich mich entfernte, aber dafür hatte ich keine Zeit.

Ich spürte Fionas Blick, ihre Aura schien mich erreichen zu wollen. Zaghaft, fragend, was los war. Aber ich hatte keine Zeit. Janon folgte mir wie selbstverständlich und Angst kam in mir auf.

Im Rennen versuchte ich mich zu verwandeln, konzentrierte mich auf meinen Körper, aber es funktionierte nicht. Nicht, wenn ich mit etwas anderem beschäftigt war.

Da es Nacht war, wagte ich es einfach loszufliegen. Es war komisch mich in diesem Körper zu bewegen. Es war anders, aber nicht schlechter.

Ich landete in Elenas Garten. Die dämonische Aura, die ich schon die ganze Zeit gespürt hatte, war sehr präsent. Es war die gleiche Aura wie desjenigen, der mir den Ring gestohlen hatte.

Ich spürte vier menschliche Seelen in dem Haus. Elena, Maria und noch zwei. Die Atmosphäre war von Angst getränkt. Ich steigerte die Energie meines Körpers, meine physische Stärke und rammte ohne viel zu überlegen die Haustür mit meiner Schulter auf. Oben.

Ich rannte die Treppe hoch, am Ende des Flures spürte ich die dämonische Aura und auch Elena. Ich hörte kein Geräusch.
„... nicht verwunderlich, dass wir dich töten", hörte ich eine Stimme. Ich blieb vor der Tür stehen.
„Oh, wir haben Besuch." Ich spannte mich an und riss die Tür auf. Der Dämon, dieser Diamante, stand mit dem Rücken zu mir, Elena am Hals gepackt und an die Wand gedrückt. Sie röchelte, schnappte lautlos nach Luft, ihre Augen traten aus den Höhlen.

Mit meiner Wut wollte auch meine Energie die Oberhand gewinnen. Ich unterdrückte die Energie, die außer Kontrolle geraten wollte, indem ich tief durchatmete und meine emotionale Distanz wieder aufbaute.

Der Dämon sah zu mir zurück und seine schwarzen Augen waren überrascht, neugierig.
„Ein Mädchen?", fragte er und meine Muskeln spannten sich an. Seine Augen formten sich zu Schlitzen. Dann lachte er, tief und kehlig.
„Ich wusste nicht, dass der Prinz eine Schwester hat." Elena hatte aufgehört sich zu bewegen, nur ihre Augen zuckten hin und her.

„Lass sie gehen", verlangte ich und zeigte mit meinem Schwert auf ihn.

Er legte den Kopf etwas schief, ein höhnisches Lächeln auf den Lippen.
„Weshalb sollte ich, kleine Möchtegern-Prinzessin?"

Elena hatte bereits das Bewusstsein verloren. Ich sah die roten Abdrücke an ihrem Hals. Kontrollierte Wut wallte in meinen Adern.

Der Dämon ließ Elena los, sie fiel auf den Boden und blieb seitlich liegen. Mein Startzeichen. Ich griff an, mein Schwert wirbelte durch die Luft, stach nach dem Dämon, aber wieder war er verflucht schnell, die Dunkelheit der Nacht gab ihm Stärke, die Schatten tanzten, die ich nebenbei nieder streckte, ich erhöhte meine Energie in meinem Körper und meine Schnelligkeit, ließ mein Schwert in Feuer auflodern, und plötzlich konnte ich mit seinem Tempo mithalten.

Der Dämon kämpfte ohne Waffen, die Schatten verteidigen ihn, waren seine Klingen, zerfetzten meinen Umhang, die Kaputze rutschte von meinem Kopf.

Ich traf den Dämon, doch die Stelle wurde zu Rauch, wie bei unserem ersten Kampf.

Der Dämon lachte auf. „Du magst stärker sein, als dein Schwächling von Bruder, aber du kannst mich nicht besiegen."

„Das werden wir ja sehen", erwiderte ich, schöpfte meine Energie noch mehr aus und erreichte eine Grenze. Ich wusste, wenn ich sie überschritt, würde ich noch stärker sein, mächtiger, aber außer Kontrolle. Ich schreckte davor zurück, ich war noch nicht so weit.

Der Dämon bemerkte meine fehlende Aufmerksamkeit, sein Dolch, den er plötzlich in der Hand hielt, schlitzte meinen Arm auf. Ich zischte, verstärkte nochmal das Feuer, das die Schatten zurückweichen ließ. Ich sammelte die Energie in mir, der Stoff meines Umgangs wehte, strich über die Wunde, aber ich konzentrierte mich ganz auf die Stärkung des grünen Feuerballs in meinen Händen.

Meine Haare wehten nach hinten, undurchdringlich sah ich dem Dämon ins Gesicht, dem jegliche Höhne aus dem Gesicht gewichen war. Wir standen im Schein des grünen Lichts.

Mit erschrockenen Augen erstarrte der Dämon, die Macht pulsierte in mir, die Kugel in meinen Händen wollte losgelassen werden und ich ließ sie, ein lauter Knall ertönte, als sie auf die Wand hinter dem Dämon traf, er selbst, wie ich erwartet hatte, in Rauch aufgelöst.

Das Licht verschwand im Raum, genauso wie meine Kraft. Ich fiel auf die Knie. Erschöpft kam ich wieder auf die Beine.

Ich spürte draußen Janons Aura.

Auf meinen Körper, all meine Zellen konzentriert, verwandelte ich mich, aber es war sehr anstrengend und dauerte länger als sonst.

Janon stand vor der Tür.

Lichschein trat in den Raum, als er die Tür öffnete und ich drehte mich zu ihm um. Er war blutbesudelt, seine Kleidung, sein Gesicht, genauso die Klinge des Schwertes, das er in der Hand hielt.

„Ist mit Euch alles in Ordnung?", fragte er und ich nickte.
„Hast du sie alle erledigt?"
„Ja. Und Ihr?"
„Er konnte entkommen. Es war der gleiche, der mir meinen Ring genommen hat." Fragend sah er mich an. „Ich erzähl es dir noch."

Ich trat zu Elena, sie lag still da. Ich kniete mich hin, schob eine braune Strähne hinter ihr Ohr zurück. Vorsichtig drehte ich sie auf den Rücken.

Ihr Hals war rot und geschwollen, ihr fiel es schwer zu atmen. Sachte legte ich meine Hände über ihre Haut. Ich fühlte die Energie, einen Aspekt, den ich davon selten benutzte, ließ ich meine Adern entlang strömen.

Das grüne, sanfte Leuchten an meinen Händen bestätigten die Heilung und seinen Prozess. Ihre Schwellung ging zurück, die Haut bekam wieder ihre gewöhnliche, helle Farbe.

„Lass mich nur zuerst um sie kümmern", sagte ich.
„Ich hoffe du weißt, was du tust", meinte er, bevor sich seine Aura entfernte.

Elena schlug flatternd die Augen auf, sie sah mich erst an, in ihrem benommenen Zustand, doch dann schnellte sie hoch.
„Dieser Typ", rief sie aus und sah sich hektisch um. „Schht, es ist alles gut. Er ist weg."

Sie sah mich an, den Mund leicht geöffnet, bevor sie wohl die Geschehnisse zwischen uns wieder vor Augen hatte. Schmerz huschte über ihr Gesicht und sie wandte den Blick ab.

„Er ... er wollte mich töten", flüsterte sie und grub ihre Finger in ihr T-Shirt. „Das werde ich nicht zulassen", beteuerte ich und fasste ihre Hand. Zweifelnd ließen ihre Finger locker, sie sah mich genau an.

„Wieso bist du hier?", fragte sie misstrauisch und ihre Augen glitzerten in Erwartung einer Antwort. „Ich wollte sicher gehen, dass es dir gut geht."
„Woher wusstest du, dass er da sein würde?"
„Ich wusste es nicht." Zumindest am  Anfang wusste ich es nicht.

„Du hast mich gerettet", stellte sie fest. Ich stand auf und reichte Elena die Hand, die sie erst nach einigem Zögern entgegen nahm.
„Ich verstehe es nun", sagte ich und zog sie hoch. Fragend erwiderte sie meinen Blick.

„Ich weiß nun, dass du zu tief in die ganze Sache verstrickt bist, und es nichts mehr bringt dir aus dem Weg zu gehen, um dich zu schützen. Du brauchst Schutz und den will ich dir geben." Ich ließ ihre warme Hand los.

„Es ist mehr, als ich anderen anbiete, aber wenn du willst, können wir Freunde sein." Sprachlos sah sie mich an, einen Moment sah ich noch die Sehnsucht, die Sehnsucht nach mehr, als nur Freundschaft, bevor sie sich zusammen riss und mich plötzlich umarmte und sich fest an mich drückte.

„Ich fände es schön, wenn wir Freunde wären." Ihre Umarmung berührte tatsächlich etwas in mir, zwar klein und unbedeutend noch, aber ich war mir sicher, dass sie bereits einen Platz in meinem Herzen eingenommen hatte. Und ausnahmsweise schreckte ich nicht davor zurück, war eher erstaunt wie es dieses Mädchen geschafft hatte, dass ich mich um sie sorgte und sie lachen sehen wollte. Ich löste mich aus ihrer Umarmung.

„Bleib bitte hier, ich schaue mich im Haus um, ob alles in Ordnung ist." Verwirrt, aber dann voller Sorge, sagte sie: „Denkst du er hat sie ..."

Ich wusste, was sie meinte, aber noch konnte ich alle Seelen hier spüren.
„Umgebracht? Nein, sie leben noch, aber es kann sein, dass sie verletzt sind." Ich erhob mich, reichte ihr meine Hand und zog sie auf die Beine.

„Ich bin gleich zurück", sagte ich und warf noch kurz einen Blick auf ihre verlorene Gestalt, bevor ich die Tür hinter mir zuzog.

Den Flur entlang, auf der linken Seite, öffnete ich eine Tür, hinter der die Aura der schwächsten Seele lag. Ein Junge, etwas älter als Elena und ich, lag bewusstlos auf dem Bett. Seine rechte Seite blutete stark, das Laken unter ihm war blutgetränkt, seine Haut war fahl vom Blutverlust.

Schnell kniete ich mich neben das Bett, schob den Stoff seines Shirts beiseite und betrachtete die tiefe Wunde.

Wie bei Elena legte ich meine Hände über seine Wunde, konzentrierte mich und das grüne Licht leuchtete auf, stoppte die Blutung, verband die Ränder der Wunde und heilte sie. Nicht einmal eine Narbe blieb zurück. Das Licht erlosch.

Gegen den Blutverlust konnte ich leider nichts tun, aber so wie es aussah und sich seine Energie langsam erholte, würde er es schaffen. Ich stand auf und verließ sein Zimmer.

Die anderen zwei Seelen befanden sich gegenüber und ich betrat das Zimmer, musste aber sogleich eine Vase aufhalten, die auf mich zugeflogen kam. Panisch pulsierte Marias Aura, vermutlich sah sie in dem dunklen Zimmer nur meine Konturen. Ich fand den Lichtschalter und betätigte ihn.

Im Zimmer wurde es hell, hinter Maria stand ein Mann, vermutlich ihr Ehemann und hielt eine Eisenstange in der Hand.
„Keinen Schritt weiter", donnerte die Stimme von Mr. Ebner. Maria schien mich nicht zu erkennen. Ich hob beschwichtigend meine Hände.

„Mrs. Ebner, erinnern Sie sich an mich? Ich bin's, Caenen, Elenas Verabredung." Sie runzelte die Stirn und die Erkenntnis huschte über ihr Gesicht, aber ihr Gesicht verfinsterte sich wieder. Sie hielt mich wohl für einen Komplizen von Diamante.

„Elena hat mich angerufen, dass ihr angegriffen werdet, also bin ich gekommen, um euch zu helfen. Ich habe diesen Typen verjagt, es besteht also kein Grund zur Sorge."

„Dieser Junge ist weg?", fragte Maria nach und ich nickte. Ihre Haltung entspannte sich und nachdem ich Elena erwähnt hatte, schien sie mir zu glauben.
„Oh Gott." Sie fing an zu schluchzen, ihr Mann legte ihr beruhigend eine Hand auf die Schulter.

„Kilian!", rief sie aus und wollte aus dem Zimmer stürmen, aber ich hielt sie auf. „Es geht ihm gut. Vermutlich wird er in der nächsten Zeit noch etwas schwach sein, aber er wird nicht sterben."

Maria sah mich an, Verzweiflung stand ihr ins Gesicht geschrieben. „Ich muss ihn sehen." Ich ließ sie gewähren, als sie raus stürmte und das Zimmer gegenüber betrat.

Der Mann eilte ihr nach, nicht ohne mir noch einen skeptischen Blick zuzuwerfen. Ich hatte auch nicht erwartet, dass sie mir vertrauen würden. Ich kehrte zu Elena zurück.

Sie saß auf dem Bett, die Augen geschlossen, ihre Finger berührten ihren Hals. Als ich vor sie trat, öffnete sie sie.

„Hast du Schmerzen?" Sie zog ihre Hand von ihrem Hals zurück.
„Nein, seltsamerweise nicht." Ich kommentierte das nicht, ihr Argwohn war berechtigt.

„Deiner Gastfamilie geht es gut. Vielleicht solltest du zu ihnen gehen. Um dich machen sie sich bestimmt auch Sorgen", fuhr ich fort. Sie schüttelte den Kopf.
„Nein, ich will ihnen den Moment lassen. Schließlich gehöre ich nicht wirklich zu ihrer Familie. Ich würde mich wie ein Eindringling fühlen."

Ich setze mich neben sie. Ich hörte, da meine Sinne immer noch geschärft waren, ihren nun rasenden Herzschlag.
„Kannst du ein wenig bei mir bleiben?", fragte sie leise und sah mich zaghaft an. Nervös nestelte siw wieder an ihrer Kleidung.

„Natürlich", sagte ich. Sie seufzte zufrieden. Ich hörte die schwerfälligen Schritte vor der Tür und stand schnell vom Bett auf.

Langsam schob sich die Tür auf und Maria lugte herein. Sie betrat das Zimmer, Erleichterung zeichnete sich auf auf Zügen ab, als sie Elena unverletzt und putzmunter auf ihrem Bett sitzen sah.
„Elena, geht es dir gut?", fragte die gute Frau und Elena nickte.
„Ja, Dank Caenen ist mir nichts passiert."

Marias Blick schnellte zu mir, sie schien immer noch skeptisch, aber vermutlich würde ich auch so denken, wenn am gleichen Tag wie ich aufgetaucht war, ein Fremder sie in der Nacht attackierte.

„Dann ist ja gut, Schätzchen. Wenn du was brauchst, sag es uns einfach." Elena nickte dankbar lächelnd.
„Ja, danke." Mit noch einem warnenden Blick an mich, verließ sie wieder das Zimmer und erleichtert atmete Elena aus. Dann vergrub sie das Gesicht in den Händen.

„Es ist alles meine Schuld. Hätte ich einfach getan, was er wollte, wäre es nie so weit gekommen." Ich trat zu ihr, kniete mich vor sie und nahm ihre Hände herunter. Ihre Wangen waren bedeckt von Tränen.
„Du konntest nichts dafür, Elena. Wenn du für diese Vorfälle einen Schuldigen suchst, dann nimm mich. Gäbe es mich und diesen Ring nicht, wäre es für euch nicht so gekommen."

„Nein", sagte sie entschlossen, ihre Hände drückten meine. Elena schüttelte den Kopf.
„Nein, du bist es nicht gewesen, der ihnen und mir das angetan hat. Er ist es gewesen." Sie strich sich die Tränen aus den Gesicht.
„Er ist es gewesen und dafür hasse ich ihn."

Ich nickte. Ich war froh, dass sie die Dinge so sah, aber zugleich wusste ich, dass das nicht das Ende sein würde. Mehr solcher Vorfälle werden sich ereignen. Vielleicht will sich der Dämon dafür rächen, dass ich ihn aufgehalten hatte. Vielleicht tötet er sie dann alle. Zu einem Teil war es also meine Schuld. Und ich musste etwas dagegen unternehmen. Ich musste kämpfen. Für sie. Für alle meine Ziele, die ich bis dahin nicht geglaubt hatte zu haben. Ich werde für sie kämpfen.

„Danke", sagte ich und meinte es auch so. Sie sah mich aus geröteten Augen an.
„Wofür?"
„Du hast mir meinen Willen zurückgegeben und dafür danke ich dir."
„Deinen Willen?" Ich nickte.
„Ja."
„Hattest du ihn denn verloren?" Ich hätte gerne aufgelacht, wenn ich sie damit nur nicht gekränkt hätte.
„Oh ja."

Schweigend sahen wir uns an, bis ich die drängende Aura von Janon an meiner spürte. Ich hatte ihm ja versprochen alles zu erzählen. Elena zuckte kurz zusammen, sie hatte es wohl auch gespürt.

„Ich muss los", sagte ich und erhob mich.
„Mein Vater bringt mich sonst noch um." Nachdenklich drehte Elena die Kette ihres Anhängers in den Fingern.
„Wirst du mir je verraten, was eigentlich los ist? *Was* du bist?", fragte sie geradeheraus. Ich lächelte nur nachsichtig und begab mich zur Tür.
„Bis morgen, neue Freundin."

Der Gedanke sie nun allein zu lassen, behagte mir nicht. Sie konnte jederzeit wieder angegriffen werden. Aber um ihr Haus zu sichern, brauchte ich ein paar Materialien und musste Vorkehrungen treffen.

Draußen wartete Janon bereits an der Tür, die Hände hinter dem Rücken.
„Woher wusstest du, dass hier Dämonen ihr Unheil stiften?", wollte er sogleich wissen. Ich zuckte mit den Schultern.
„Hab's einfach gespürt", sagte ich. Ich verstehe es ja auch nicht ganz. „Ihr habt Euch mit der Energie dieses Mädchens verbunden." Verwirrt sah ich ihn an. Als er meinen Gesichtsausdruck sah, tat er seine Worte mit einer Handbewegung ab.

„Was meinst du damit?" Er antwortet mir nicht, bis er seufzte. „Wir sollten los." Er wandte sich zum Gehen und ich folgte ihm, brannte zwar darauf, was er meinte, aber er würde sich nicht äußern. Das kannte ich von mir.

Wir gingen zu Fuß, und währenddessen erzählte ich ihm von meiner Begegnung mit dem Dämon Diamante, dem Sohn des Schattenkönigs, in der Schule. Ich erzähle ihm von der Besonderheit des Ringes und er konnte sich selbst zusammen reimen, dass die Dämonen ihn benutzen wollten, um ihre Macht zu stärken. Ich erzählte ihm davon, weshalb er mir gegeben wurde, von ... meinem Fehler, den ich begangen hatte, dass ich Fiona verbrannt hatte ... und von meiner Mutter, die ihr Leben für diesen Ring eingetauscht hatte.

Janon hörte mir zu, ohne Vorbehalte und unterbrach mich nicht.
„Dann war es das Mädchen, das dich nun aufgeweckt hat", sagte Janon und dem konnte ich nur zustimmen.
„Das ist gut. Nur hinderlich, dass sie ein Mensch ist. Wenn du sie wirklich schützen willst, müsst Ihr Euch richtig ins Zeug legen."

„Das weiß ich", sagte ich.
„Deshalb brauche ich deine Hilfe." Neugierig betrachtete er mich.
„Ich brauche ein paar Dinge und du weißt wie man sie auftreibt."

___

Keine Stunde später saß ich zusammen mit Janon gegenüber einem sogenannten Helfer. Ein Nephilim, der den Jägern unter uns, die auf ausländischen Missionen waren, mit Ausrüstung, Plänen und Informationen versorgte.

Er war vor einem Tag aus Afghanistan zurückgekehrt, hatte mir Janon erzählt und außerdem handelte er mit seltenen Gegenständen.

Er war ein sichtbar komischer Kerl, seine Bewegungen fahrig und mit einer seltsam hohen Stimme, aber es konnte mit egal sein, solange ich bekam, wofür ich hier war.
„Also wir hätten gerne die Amulette ge-"
„Oh, jajaja, die Amulette sind sehr gefragt bei mir. Jajaja, es gibt kaum so viel Ware, die über den Tresen geht."

Glücklicherweise hatte Janon nicht erwähnt wer ich war, ich glaubte der Typ wäre entweder ausgeflippt oder getürmt. Er kam mir zwielichtig vor.

„Ähm, oh ja, wo habe ich sie denn?" Er kratzte sich an seiner Halbglatze, sah unter den Tisch, öffnete Schubladen, schloss sie wieder.
„Wir brauchen nur ..."
„Da habe ich sie ja, die Ringe. Wieviele wollt ihr?" Ich unterdrückte ein genervtes Seufzen.

„Amulette. Wir brauchen Amulette."
„Jaja, das ist mir durchaus bewusst, Junge." Er hob einen Schaukasten aus einer der Schubladen und stellte ihn auf den Tisch. Darunter lagen Ringe, große, kleine, solche, die man sicher nicht am Finger tragen konnte.

„Ja, Junge, bevor du jetzt fragst, das sind Amulette. Magische Gegenstände, viele von den Maere hergestellt, aber auch himmlische Amulette."
„Himmlische?" Der Kautz nickte ernst.
„Oh ja, Himmlische steigen von Zeit zu Zeit zu euch Geflügelten hinab und bringen diese Dinge mit. Ihre Schutzmagie ist unglaublich, schließlich ist es ihr Metier die Menschen zu schützen."

„Ihr Metier? Ich dachte es wäre unsere Aufgabe die Menschen zu leiten und zu schützen. Die Himmlischen unterstehen doch direkt dem Herrn." Der merkwürdige Mann strich anerkennend über seinen orangenen Schnauzer und nickte.

„Du hast Recht damit, dass es die Aufgabe der Geflügelten ist, die Menschheit zu schützen. Doch ihr Metier ist der Kampf gegen die Dämonen, um dies zu erreichen. Die Himmlischen hingegen werden von Gott für die Erfüllung seines direkten Willens und den Schutz für bestimmte Menschen, die er für diesen Schutz würdig hält. Ihre Energie ist stärker und sie können die Energie vielfältiger einsetzen. Im Kampf sind die Himmlischen euch aber ebenbürtig und auch eure Heilmagie ist auf derselben Ebene."

„So ist das also", sagte ich. Wir erfuhren selten etwas von unseren höhergestellten Artgenossen. Die meisten waren in der magischen Welt in der höchsten Ebene, dem Himmel. Gott hatte sie gerne um sich.

„Woher weißt du davon?", fragte Janon argwöhnisch und verschränkte die Arme.
„Man hört hier und da etwas ...", murmelte der Kautz und schob die Glasscheibe vom Kasten.

„Was ist jetzt? Wollt ihr sie euch ansehen?", fragte er ungeduldig und ich lehnte mich vor, um die Stücke zu betrachten.

Sie strahlen alle Magie aus, einige sanft und beinahe schüchtern, andere aggressiver, als wollten sie einen fast beißen. Aber einer stach mir direkt ins Auge. Er war filigran und silbern, strahlte eine sanfte Wärme aus.

Er sah aus wie ein Farn, der in einem Rund gebogen war. Das Ende war wie eine Öse gebogen.
„Wir haben hier Stärkungsamulette. Sie funktionieren wie aufladbare Batterien ... hier sind die Suchamulette, die Tarnamulette, die Heilamulette und zu guter Letzt ... die Schutzamulette." Seine Hand glitt in einer kreisenden Bewegung, als er die verschiedenen Arten aufzählte.

„Wir brauchen ein Schutzamulett. Ein Starkes, das sogar hochrangigen Dämonen standhalten kann", verlangte Janon und der Kautz strich über zwei verschiedene Ringe. Der Farnring war darunter.
„Da haben wir nicht mehr so viel Auswahl."

„Den Silbernen", sagte ich bestimmt und der Kautz fing an zu kichern. „Gut, dass Ihr wisst, was Ihr wollt", meinte er.
„Ihr habt ein gutes Gespür. Er ist der Stärkste, den ich habe. Und der teuerste. Könnt Ihr denn zahlen?", wollte er wissen und leckte sich gierig über die Lippen.

Ich holte ein Säckchen gefüllt mit der Währung der magischen Welt hervor und lege es auf den Tisch. Seine Augen wurden groß, aber dann schüttelte der Nephilim den Kopf.

„Ihr scheint reich zu sein, das merkt man Euch gar nicht an." Er schürzte die Lippen.
„Trotzdem. Das Amulett wurde von Raphael und Michael höchstpersönlich erschaffen."

Janon neben mir spannte sich an. „Caenen. Er will uns über den Tisch ziehen." Ich hob meine Hand.
„Was wollt Ihr?" Der Kautz grinste. Seine Zähne waren ekelerregend. „Ihr habt eine sehr starke Energie, Junge. Gebt mir eine Eurer Federn." Überrumpelt runzelte ich die Stirn.

„Eine Feder?" Nichts weiter?
„Wir lehnen ab", bestimmte Janon und ich sah ihn überrascht an.
„Nur eine Feder, ja."
„Wir lehnen ab", sagte Janon mit Nachdruck.

„Oh, das wäre aber sehr schade. Ich kann ansonsten das Amulett nicht an euch verkaufen."
„Janon", sagte ich.
„Nein", sagte er und lehnte sich zu mir, flüsterte mir zu: „Vertraut mir. Ihr wisst nicht, was Ihr damit tun würdet."
Ich nickte. Ja, in diesen Angelegenheiten vertraute ich ihm. Der drängende Ton in seiner Stimme ließ nichts anderes zu, als ihm zu glauben.

„Was wollt Ihr sonst?", forderte ich zu wissen und sah den Helfer eisern an. Das gierige Funkeln seiner Augen ging unter, er schnalzte unzufrieden mit der Zunge.
„Ich könnte Euch den Ring geben ... für eine Million." Was? Mit meiner Wut wallte auch meine Aura auf. Ich werde mich sicher nicht verarschen lassen. Erst das Flehen des Helfers, ließ mich aus meiner Wut erwachen.

Ich hatte das noch nie getan und hätte es nie tun wollen. Zu genau wusste ich durch meinen Vater wie es sich anfühlte. Er hatte die Arme schützend um seinen Kopf geschlungen. Ich ließ mit meiner Aura von seiner armseeligen sofort ab.

Angstvoll sah er mich an und ich blickte kalt zurück. Mit zitternden Fingern nahm er den Ring aus dem Samtkissen und reichte ihn über den Tresen.

„Ich hatte keine Ahnung wie stark Ihr seid. Ihr könnt ihn haben." Ich nahm den glänzenden Ring entgegen, er strahlte sanfte Wärme aus und ich fühlte mich automatisch gut ihn in der Hand zu haben. Janon und ich erhoben uns wortlos. Ich spürte kein Mitleid mit ihm.

„Du solltest aufpassen mit wem du deine Spielchen treibst", legte Janon nach und ich hoffte nur er würde nicht gleich verraten wer ich wirklich war. Meine Ehre verteidigen war absolut unnötig, obwohl ich es mir bei diesem miesen Kerl für einen Augenblick überlegte.

Der Kautz, verängstigt und verwirrt, sah von Janon zu mir. Ich schüttelte den Kopf.
„Es tur mir sehr Leid, Meister." Meister? Ich sah Janon an und musste mir ein Lachen verkneifen. „Nehmt das als Wiedergutmachung." Er verbeugte sich ehrfürchtig, was mir nicht behagte.

Ich hatte nicht so weit gehen wollen.  Er drückte mir etwas in die Hand und hielt dann schnell wieder Abstand. Ich tauschte mit Janon einen Blick und wir verließen das kleine, modrige Büro.

„Denkst du er ist darauf gekommen wer wir waren?", fragte ich Janon draußen, aber er zuckte nur mit den Schultern.
„Um Wesen wie ihn würde ich mir keine Gedanken machen. Solches Gewürm sollte man verbrennen", meinte er und ließ eine hellblaue Flamme über seinen Fingerspitzen aufsteigen.

„Janon", mahnte ich ihn, er schmunzelte nur furchterregend und ließ die Flamme vergehen. Ich lachte. Sein schwarzer Humor gefiel mir, auch wenn ich seinen Worten nicht zustimmte.

Nephilim waren nicht schlechter als wir. Diese Art von Benehmen hingegen ... Zumindest fühlte ich mich nicht, als hätte ich meine Macht ausgenutzt. Den Geldbeutel hatte ich immerhin zurück gelassen und damit hatte er ein schönes Sümmchen, mit dem sich manch anderer ein jahrzehntelanges Leben in Luxus gönnen konnte.

Ich betrachtete den Gegenstand, den der Helfer mir noch zugesteckt hatte. Es war ein schmaler, schwarzer und schlichter Ring, ohne Verzierungen oder sonst etwas. Nicht mal eine Nahtstelle fand ich. Er strahlte rein gar nichts aus, als hätte er keine besondere Fähigkeit.

Ich wusste wie dumm es nun wäre ihn einfach anzustecken ohne seine Funktion zu kennen. Der Älteste konnte mir sicher mehr sagen.

„Gehen wir", sagte ich und ging voraus die dunkle Industriestraße entlang. Die Dämmerung brach gerade erst an und färbte den Himmel dunkelblau.
„Die Versammlung ist heute."

11

 

Das Gewand, das ich anhatte, war gar nicht mein Stil. Dieses weiß und die goldenen Verzierungen. Meine Haare waren adrett auf eine Seite gekämmt, sie sahen mit dem Gel dunkler aus und ich fand es stand mir gar nicht. Die Jacke machte meine Schultern noch breiter, war überladen mit all dem Schmuck, die Hose und das Oberteil komplett weiß. Wie ein Schnößel. Dieser Aufzug würde eine Jagd niemals bestehen, schon nach einem harmlosen Spaziergang wäre das weiß bei meinem Glück am Ende ein braun.

Das erste, was ich als König tun würde, wäre solche Klamotten und diese rechtshaberische höfliche Anrede zu verbieten, aber vermutlich würde sich das mit den anderen Königshäusern nicht ausgehen. Ein Affront an den Adel. Der Gedanke gefiel mir.

Ich trat aus meinem Zimmer. Divina stand davor, die Hand zum Klopfen erhoben. Sie war in ein schwarzes Kleid gehüllt, blaue Edelsteine und komplizierte Raffungen schmücken es, das sie wie eine dunkle Prinzessin aussehen ließ.

„Gut, Ihr seid fertig. Alle warten schon." Ich nickte ihr zu, sie hakte sich bei mir unter und wir gingen die Treppe hinunter.

Ein paar Stufen vor dem Fuß der Treppe stand mein Vater, er trug das gleiche wie ich, nur noch ausladender.

„Du kommst zu spät", sagte er und ich trat auf dieselbe Stufe und verbeugte mich. 

„Ich weiß, tut mir Leid." Er nickte leicht, zum Zeichen, dass er meine Entschuldigung angekommen hatte und es ärgerte mich irgendwie.

„Wir begrüßen erst die Königspaare", sagte er überflüssigerweise. Ich nickte.

Schon wurden die Tore geöffnet, ein kleiner Junge eilte voraus und eine Frau in einem prächtigen Kleid rief ihn zurück, aber er hörte nicht, lachte nur verspielt und rief etwas zu seinem Vater, in einer Sprache, die ich nicht verstand, aber als italienisch erkannte.

„Padre, questa casa é troppo grande per una famiglia!", rief der Kleine, aber blieb abrupt stehen, als er mich und meinen Vater erblickte. Mein Vater lächelte ihm zu, ich wusste nicht, was er dachte.

Das italienische Königspaar, hinter sich ihre engsten Clanmitglieder, kamen vor uns zum stehen. Die Frau hatte ihre dunklen Haare seitlich hochgesteckt, sie sah noch sehr jung aus, mit einer zierlichen Figur, gebräunte Haut und einen lilaroten Lippenstift, der Farbe ihres Kleides.

„Das Verhalten meines Sohnes tut mir Leid. Er ist zum ersten Mal im Ausland", sprach sie in einem weichen Akzent. Mit ihrer Art konnte sie sicher die Herzen aller ihrer Untertanen erobern.

„Kein Problem", sprach mein Vater.
„Kinder sollten so lange Kinder sein wie möglich." Die Frau lächelte hinreißend.

„Es ist mir eine Freude euch willkommen heißen zu dürfen", sprach er weiter und deutete eine Verbeugung an.

„Die Freude ist ganz auf unserer Seite", erwiderte der italienische König die altbekannte Floskel.

Er trug genauso einen Aufzug wie wir in schwarz und rot. Die dunkelbraunen Haare streng gekämmt, aber an ihm sah es ganz gut aus. Er war ein Typ, der sich mit allen verstehen konnte. Der König reichte meinem Vater die Hand, der sie schüttelte.

„Auch wenn die Umstände alles andere als erfreulich sind", erwiderte der König.
„Ja, aber dafür sind wir ja hier."

Vater deutete zu mir.
„Ihr könnt Euch bestimmt noch an meinen Sohn erinnern." Der italienische König musterte mich.„Wie könnte ich einen solchen Kämpfer vergessen? Ohne Frage, aus dem Jungen ist ein Mann geworden." Keine weitere Sekunde und er hatte mich umarmt.

„Dann will ich mal sehen, ob Ihr mich nun schlagen könnt", meinte er und ich lachte.

„Ich war zehn, Onkel Hanares."
„Zehn und hast damals einen meiner Wächter besiegt, aber dann den Mund ganz schön voll genommen."

„Das war Glück", sagte ich, aber es freute mich, dass er sich noch an mich, wenn auch ganz schön freche Ausgabe, erinnern konnte. Für meine Dreistigkeit hätte er mich ohne Weiteres bestrafen oder foltern können, stattdessen hatte er gelacht und war auf meine Herausforderung eingegangen.

Der König ging weiter zu Divina und gab ihr einen Handkuss. „Ein wundervolles Mädchen habt Ihr an eurer Seite. Wann heiratet ihr?" Divina wurde auf der Stelle rot, brachte aber keinen Ton heraus

„Nein, Onkel. Sie ist eine meiner Beschützerinnen", stellte ich richtig. „Von den ganzen Verehrerinnen kann er sich wohl kaum retten."

„Mach ihn doch nicht so verlegen, Res", mahnte seine Frau und lächelte mich an, was ich erwiderte. Mein Vater gab ihr einen Handkuss.
„Ihr werdet von mal zu mal schöner", schmeichelte er ihr.
„Ihr Alter Chameur", meinte sie lächelnd.

Auch ich gab ihr der Tradition nach einen Handkuss.
„Ihr habt Euch wirklich verändert", stellte sie fest und mir war nicht ganz klar, ob sie mein Aussehen, Verhalten oder meine Aura meinte.

„Und Ihr seid immer noch die schönste Königin dieser Welt." Damals als, kleines Kind, als sie die Verlobte des italienischen Königs gewesen war, hatte ich sie gefragt, weil sie so schön war, ob sie mich heiratete. Damals hatte sie gelacht und gesagt, wenn ich größer sei, würde sie auch mich heiraten. Ich hatte ihr geglaubt. Ich schmunzelte.

Sie ging weiter zu Divina, das bezaubernde Lächeln fiel von ihren Lippen. Die Könige neben mir führten ein Gespräch und bekamen es nicht mit.
„Ich hoffe Ihr beschützt ihn gut." Divina knickste.
„Ich tue mein Bestes, Königin Asla." Die Spannung zwischen ihnen war mit Händen zu greifen, dann entspannte sich aber die Königin. „Dann ist gut."

Ihr kleiner Sohn klammerte sich hinter sie an ihrem Rock fest und lugte hervor.
„Hallo, Kleiner. Und wer bist du?", fragte ich ihn und ging in die Hocke.

Er antwortete erst nicht und runzelte die Stirn, als würde ihm etwas missfallen und sagte dann:
„Sprich nicht so mit mir. Ich bin ein Prinz!" Ich lachte leise.
„Rayna, das ist ..."
„Ich bin Caenen", stellte ich mich vor und reichte dem kleinen Mann die Hand, die er erst skeptisch betrachtete.

„Na gut, dieses Mal verzeih ich dir das." Er schüttelte meine Hand.
„Ich bin Prinz Rayna."
„Sehr erfreut, kleiner Prinz." Wieder runzelte er die Stirn.
„Ich bin nicht klein, ich ..."
„Komm", meinte Königin Asla und zog ihn an sich.

Die Königin knickste, Divina auch und ich verbeugte mich genauso wie die zwei Könige.
„Der Ostflügel steht euch wie immer ganz zur Verfügung", sagte Vater. „Wir bedanken uns für eure Gastfreundschaft", sagte der andere König und die drei stiegen die Treppen hoch, ihr Gefolge hinter sich.

„Netter, kleiner Junge", meinte ich zu Vina, die mich verdutzt ansah.
„Also ich fand ihn nicht so nett." Sie fing an zu glucksen.
„Er erinnert mich an dich." Da musste ich ihr Recht geben. Damals wusste ich es einfach noch nicht besser.

Das nächste Königspaar folgte. Sie trugen hellblau mit einem Beige. Hinter den beiden lief ein Junge, zwei Jahre älter als ich und an der Hand der Frau ein kleines Mädchen. Händeschütteln und Handküsse folgten. Der Mann war ein Berg, seine Haare grau und voluminös. Sein Händedruck war sehr kräfrig.

„König Roland", begrüßte mein Vater, „und Königin Daphne." Die Königin trug ein relativ schlichtes Kleid, sie war sehr dünn und ihre Wangen stachen hervor. Das hellbraune Haar war im Versuch einer kunstvollen Hochsteckfrisur gescheitert. Aber ihre blauen Augen strahlten.

Das Mädchen an ihrer Seite starrte mich mit offenem Mund an. Was hatte sie nur? Sie trug die vollen Haare zu zwei Pferdeschwänzen und ihr Gesicht erinnerte mich an das einer Puppe.

Nachdem auch ich das Königspaar begrüßt hatte, stand die Kleine schüchtern vor mir und wollte sich zu ihrer Mutter umdrehen, als wollte sie sich verstecken, überlegte es sich aber anders.

Ich hielt ihr meine Hand entgegen und sie legte nach Zögern ihre in meine. Mit einem sanften Lächeln hauchte ich einen Kuss auf ihren Handrücken. Danach versteckte sie sich hinter ihrer Mutter, aber ich spürte sie beobachtete mich.

Zum Schluss stand der Prinz vor mir. Von oben herab sah er mich an. Er war größer als ich, aber schmaler, das sehr kurze Haar wie wir alle affig frisiert, nur würde es mich nicht überraschen, wenn er es normalerweise auch so trug.

„Immer eine Freude Euch wiederzusehen", brachte ich hervor und reichte ihm meine Hand. Seine kalte Geringschätzung und sein Hass brachten etwas in mir zum Brodeln.

„Maman, ils ne s'aiment pas?", fragte das Mädchen ihre Mutter. Die Königin schüttelte lächelnd den Kopf.

„Qui, ma princesse." Er ergriff sie und in dem Moment war ich froh kein Mädchen zu sein. Wenn ich mir nur vorstellte ihn heiraten zu müssen, kam mir der Graus.

Seine Augen bohrten sich brennend in meine und keiner von uns ließ die Hand des anderen los. Ich konnte diesen Kerl wirklich nicht ausstehen.

„Also dann, Kinder, lasst uns die Gäste hinter uns nicht aufhalten", polterte der französiche König und ich ließ sofort Grius' Hand los.

Mit noch einem letzten vernichteten Blick an mich stiegen er und seine Familie die Treppe empor.

Nur noch die spanische und die deutsche  Königsfamilie waren übrig.

Die portugiesische Familie würde erst am Nachmittag eintreffen, in Österreich und Schweiz gab es keine genauso wie in der Niederlande, Belgien oder Island.

Meine Familie herrschte über ganz Großbritanien, uns gingen die Fehden der Engländer und Iren schließlich nichts an.

Die norwegische und schwedische, wie auch die polnische Königsfamilie zählten sich schon gar nicht mehr zu Westeuropa. Die mitteleuropäischen Länder würden sich unter sich treffen, genauso wie die osteuropäischen.

Die deutsche Königsfamilie hatte eine Tochter, Marabelle. Es wurde vermutet, dass sie eines Tages Grius heiraten musste. Die drei traten ein.

Ihre Gewänder waren weiß mit einem intensiven Royalblau. Die Prinzessin trug ihre blonden Haare offen, nur zwei Strähnen zurück gesteckt. Ihr Kleid war passgenau geschneidert, ein weißes Kleid mit blauem Saum und mit einem glockenförmigen Rock. Sie sah wunderschön darin aus.

Ihre Mutter trug ein geschäftsmäßiges Kostüm, entgegen der Tradition, aber es war noch zulässig. Ihre kurzen Haare waren nach hinten gesteckt.

Als mein Vater dem deutschen König die Hand schüttelte und begrüßte, bewegte sich dessen grauer Schnauzbart witzig beim Reden.

Das kurze Haar des deutschen Königs war bereits ergraut, aber das verschaffte ihm nur eine edle Ausstrahlung von Weisheit.

Die Etikette war ihm sehr wichtig und normalerweise behielt er immer eine gewisse Distanz. Normalerweise.

„Wie groß Ihr geworden seid", rief der deutsche König aus und musterte mich. War das eine Standardfrage?

„Nicht größer, als verträglich", antwortete ich und der König lachte. „Ihr habt Euren Witz, wie ich sehe, nicht verloren." Ich lächelte.

An die Geschichte von damals denkend, als ich den sonst so beherrschten, von allen Frostkönig genannten, Herrscher aus der Fassung brachte und er mir, einem kleinen Kind, nachlief. Die Erinnerung war heute genauso witzig wie damals.

„Und wie ich sehe habt Ihr leider schon eine Frau gefunden", sagte er in einem bedauernden Unterton, aber ich erklärte: „Divina ist meine Beschützerin und eine enge Vertraute." Divina knickste bei meinen Worten. Wo war Janon nur? So konnten die anderen Könige Divinas Präsenz nur missverstehen.

„Oh!" Der König schien erleichtert und verwirrt betrachtete ich ihn.

„Vater!", hörte ich Marabelle erbost flüstern.

Da stand die Königin vor mir: „Freut mich sehr Euch wiederzusehen", sagte sie mit einer ruhigen, leisen Stimme, der man gerne den ganzen Tag zuhören würde.
„Ganz meinerseits, Königin Babette."

"Ist das die kleine Mara?", fragte mein Vater.
„Ja, sie wollte unbedingt mitkommen", sagte ihr Vater und Marabelle blitzte ihn kurz an.

„Eine wunderschöne Blume", sagte mein Vater und gab ihr einen Handkuss.
„Danke, König John."

Sie war weder verlegen, noch sonst etwas, weder aufdringlich, noch schüchtern. Sie trat vor mich. Ihre Augen glitzerten.

„Prinzessin." Auch ich gab ihr einen Handkuss und richtete mich wieder auf.
„Lange nicht gesehen", meinte ich und sie nickte.
„Wie lange ist es nun schon her?" Sie überlegte.
„Drei Jahre, glaube ich." Ich nickte.

„Habt Ihr meinen Brief erhalten?", fragte sie aufgeregt und ich nickte. „Natürlich. Ich hatte aber noch keine Zeit dir zu antworten." Sie winkte ab. „Kein Problem."

Sie hakte sich bei mir unter und lehnte sich an mich.
„Schon so lange her", murmelte sie und schien in der Vergangenheit zu schwelgen. An welche Missetat, die wir als Kinder begangen hatten, sie wohl gerade dachte? Sie hatte sich äußerlich wirklich sehr verändert, aber ihr Inneres und unsere Freundschaft hatten sich offensichtlich nicht verändert.

Sie trug die gleiche Last wie ich, als einziges Kind einer Königsfamilie, hatte es im Gegensatz zu mir um einiges schwerer als Mädchen. Auch war ihre Aura nicht besonders stark, aber mit ihrem Ehrgeiz machte sie das alles wett.

„Ich würde Euch ja gerne Euer Gemach zeigen, aber leider muss ich noch die letzte Königsfamilie begrüßen", sagte ich, aber sie löste sich nur von mir und strahlte mich an.

„Kein Problem, aber nachher kommt Ihr zu mir. Ich möchte alles über Euch und dieses Mädchen wissen", flüsterte sie. Hatte Vina ...?

Ich nickte und sie drückte noch ein letztes Mal meine Hand und folgte ihren Eltern. Ich warf einen Blick zu Vina, aber sie sah stur an die Wand ihr gegenüber und summte unschuldig ein Lied.

„Das bedeutet Rache", sagte ich zu Vina und kurz zuckte sie zusammen und sah mich gespielt ängstlich an, harmlos, als könnte sie kein Wässerchen trüben.

Die letzte Königsfamilie trug dunkelbraun mit orange und bestand aus einer ganzen Rasselbande an Quälgeistern.

Sie sprachen allesamt sehr schnell und da ich spanisch nicht verstand, hörte es sich für mich wie ein Wasserfall an nicht enden wollenden Worten an.

Sieben Kinder, mannomann. Wenn ich mich recht erinnerte, waren fünf von ihnen adoptiert.

Sie kreischten und quietschten, ärgerten sich gegenseitig. Den kleinsten, noch ein Baby, trug ein abgeschafftes Kindermädchen auf dem Arm, ein Schnuller im Mund. Ein kleiner Junge, der noch Windeln trug, Zwillingsmädchen von vielleicht fünf Jahren, ein Mädchen von vielleicht sieben Jahren, ein älterer Junge von ca. zehn Jahren und einer, der wohl gerade erst in die Pubertät gekommen ist

Dieser stand mit verschränkten Armen abseits und ihm ging offensichtlich alles auf die Nerven.
Er trug ein schwarzes Sweatshirt über seinem Hemd und hatte die Kapuze hochgeschlagen.

Es war eine sehr nette und großherzige Familie. Die Mutter ermahnte ihre Kinder, die aber nicht auf sie hörten und unwillkürlich musste ich lächeln. So stellte ich mir eine glückliche Familie vor.

Ich und mein Vater begrüßen das Königspaar und die älteren Kinder, der älteste Junge war dann von meinem Vater eingeschüchtert und mir gegenüber trug er ein trotziges Gesicht zur Schau.

Emil war sein Name. Ich bemerkte die Blutergüsse an seinen Handgelenken, die man nur von einer bestimmten Art von Training bekam.

„Kämpfst du gerne mit dem Schwert?", fragte ich ihn und überrascht nickt er.

„Oh ja, unser Emil ist ein ganz großer Fan von dir und deiner Technik." Der Junge war sichtlich erbost und peinlich berührt.

„Ach ja? Dann lass uns doch mal zusammen trainieren", bot ich an und der Junge sah überrascht zu mir auf.
„G... gerne", stotterte er.

Die Familie verschwand so laut in den Tiefen des Hauses wie sie eingetreten war, ihr Gefolge eilte hinterher.

Ich seufzte. Endlich geschafft und die große Uhr über der Eingangstür zeigte halb acht an.

„Wann genau startet die Versammlung?", fragte ich Vater, der die Hände hinter dem Rücken gefaltet hielt und konzentriert aussah.

„Um halb vier, wenn bis dahin die portugiesische Familie eingetroffen ist." Ich nickte, verbeugte mich und wollte die Treppe hocheilen.

„Caenen", hielt mich Vaters Stimme auf. Sein Gesicht war ausdruckslos, als er sagte: „Gut gemacht." Ich nickte wieder, ein seltsam gutes Gefühl im Bauch, das ich vertrieb.

In meinem Zimmer zog ich mich schnell um. Gott sei Dank, und strich durch meine Haare. Sie waren verklebt, aber ich hatte keine Zeit mehr sie zu waschen.

Im Flur sah ich einen fremden Nephilim vorbei hetzen: „Hey, du", sagte ich und er stoppte abrupt. „Könntest du Prinzessin Marabelle ausrichten, dass ich gerade keine Zeit habe, aber nachher noch alles nachholen werde?"

Der Nephilim sah mich verwirrt an.
„Sag es doch selbst", sagte er und ein amüsiertes Auflachen entfuhr mir.

„Bist du neu hier?", fragte ich, aber er verschränkte nur die Arme vor der Brust.

„Ich bin Melius, Prinzessin Marabelles persönlicher Diener." Er wirkte nicht wenig stolz.

„Soso, ihr persönlicher Diener, ein wichtiger Posten." Ich nickte anerkennend.
„Aber vielleicht könntest du mir den Gefallen tun. Du willst doch sicher nicht verantwortlich sein, dass ein fremder Kerl durch deine Weigerung das Gemach der Prinzessin betritt."

Seine selbstbewusste Haltung fiel ein wenig ab, als er über meine Worte nachdachte.
„Na gut, aber dafür schuldest du mir was. Wie ist überhaupt dein Name?", fragte er und ging schon zwei Schritte los.
„Sag ihr, ein alter Freund schickt dich." Der Junge nickte nur, wenn auch wenig überzeugt. „Na gut" sagte er und wandte sich ab.

Ich betrachtete mich. Sah ich wirklich so wenig wie das aus, das ich repräsentieren sollte? Was solls. Ich zuckte mit den Schultern und machte mich auf den Weg zum Ausgang. Neben der Tür stand Janon.
„Wo ist Vina?", fragte ich und er deutete in eine Richtung.

Mein Blick folgte der Richtung und ich entdeckte Vina in ihrem wunderhübschen Kleid mit ein paar Mädchen aus dem Clan anderer Königsfamilien zusammen stehen und lachen. Ihre besten Freundinnen.

Sie verhielt sich sehr selbstbewusst, das Kleid verlieh ihr eine nie da gewesene Eleganz und man sah ihr an, dass sie sich wie eine Prinzessin fühlte. Es erleichterte mich.

„Lassen wir sie", sagte ich froh und trat hinaus. Er folgte mir.
„Wo warst du eigentlich während der Begrüßung?" Er lief neben mir her zu meinem Auto, stumm und wortlos wie immer.

„Ich musste etwas erledigen", antwortete er verschlossen und ich sah ihn noch einen Augenblick an konzentrierte mich dann auf mein Vorhaben. Das Papier des Päckchens, das ich in der Hand in meiner Jackentasche hielt, knisterte.

12

 

Zu Elenas Haus war es ein ganzes Stück. Die Materialien, die ich in meinem Rucksack trug, fühlten sich schwer an.

Ich beeilte mich damit einmal um das Haus zu gehen, nicht zu schnell, denn ich wollte nicht die Aufmerksamkeit der Nachbarn erregen.

Als alles an seinem Platz war, verband ich noch den letzten Punkt, legte den Stein hin und spürte schon sogleich die Schutzbarriere, die das Grundstück umgab.

Kein dämonisches Wesen sollte es ohne weiteres betreten können.

Ich schloss gerade meinen Rucksack, Janon stand tatenlos neben mir.

„Du hättest mir ruhig helfen können", fing ich an, da öffnete sich die Haustür und Elena trat heraus.

Sie trug ein süßes, rotes Shirt mit einer Blumenstickerei, die Handtasche umgehängt. Wie sie so sprachlos in ihrem Garten stand, musste ich lächeln.

„Was machst du denn hier?", fragte sie und lief auf mich zu.
„Ich wollte dich abholen", erwiderte ich und deutete hinter mich auf das Auto.

„Aber ... das ... das hättest du doch gar nicht tun müssen."
„Ich wollte aber. Nach dem, was gestern vorgefallen ist, will ich sicher gehen, dass es dir gut geht."

„Wow." Sie wirkte überrascht.
„Das hatte ich gar nicht erwartet." War es der Porsche oder mein Erscheinen?

„Schließlich sind wir Freunde", sagte ich und stieß sie leicht mit der Schulter an. Ein Lächeln erhellte ihr Gesicht und sie sagte: „Stimmt."

Ihr Blick huschte zu Janon. „Oh, ignorier ihn einfach", meinte ich und öffnete ihr die Beifahrertür. Wortlos stieg sie ein. Janon hinten. Ich am Steuer. Elena drehte sich um.

„Ähm, ich bin Elena", stellte sie sich vor und reichte ihm die Hand, die er nach einer gehobenen Augenbraue nahm und schüttelte.
„Ich weiß", erwiderte er und Elena drehte sich sichtlich unwohl wieder um. Das hatte ich ja gewusst.

Ich startete den Motor und fädelte mich in den Verkehr ein. Die Sonne strahlte warm und gemütlich, aber Elena hätte zu Fuß mit mir ein ziemliches Stück laufen müssen und Busse hasste ich.

„Trotzdem, du hättest mich nicht extra abholen brauchen", sagte Elena verlegen und zwirbelte eine Haarsträhne.
„Das ist sicher nur ein Umweg für dich."

„Ich wollte es so und wollte sehen ob alles in Ordnung ist. Außerdem ist es mit dem Auto ein Katzensprung und du musst nicht auf den Bus warten. Zwei Fliegen mit einer Klatsche", sagte ich.

„Danke", meinte Elena und berührte mich leicht am Arm.
„Ich hätte nicht gewusst wie es ohne dich gestern ausgegangen wäre."
„Keine Ursache."

Nachdenklich sah sie aus dem Seitenfenster und kaute an ihrer Lippe.

Ich überholte einen BMW- Fahrer, der mir zu langsam fuhr und gleich noch einen verirrten LKW. Ich hörte Elenas Puls beschleunigen, sie äußerte sich aber nicht über meine Fahkünste.

Sie räusperte sich. „Was ist eigentlich mit dem Kerl passiert?", fragte sie.
„Ich habe mit ihm gekämpft, er hat eingesehen, dass er nicht stark genug war und ist abgehauen", fasste ich die Geschehnisse zusammen.

„Wie hast du ihn besiegt?" Ich sah Elena an, ihr Gesicht war gezeichnet von Sorge.
„Ich habe ihn weder verletzt, noch sonst etwas mit ihm gemacht, wenn du darauf hinaus willst." Beschämt sah sie nach draußen.

„Entschuldige. Du hast uns gerettet und ich zeige so wenig Dankbarkeit. Es ist nur ... Ich verstehe das alles nicht."
„Elena." Sie hatte ihre Hand zur Faust geballt.
„Weder, wie wir quf diese Klippe gekommen sind oder weshalb wir vom Himmel gefallen sind, noch, weshalb ein Straßenboss wollte, dass ausgerechnet ich von jemandem wie dir einen Ring stehle."
Sie blinzelte Tränen weg und ich spürte ihre Aufgewühltheit.

Ich nahm die Hand vom Ganghebel, fasste in meine Tasche und legte ihr das kleine Päckchen in den Schoß. Verwundert sah sie hinab.
„Was ist das?"
„Ein Geschenk."
Sie zögerte, riss das Papier dann aber auf und öffnete geschickt die kleine Box.

Als sie sie aufmachte, erstarrte sie. Sie sagte nichts, also warf ich einen Blick zu ihr. Ihr Mund war offen, sie starrte den Ring nur an. Mit zitternder Hand näherte sie sich ihm, zog aber die Finger in letzter Sekunde zurück.

„Was soll das?", fragte sie mit rauer Stimme. War es so ungewöhnlich, dass ein Junge einem Mädchen einen Ring schenkte? Obwohl, man konnte durchaus falsche Schlussfolgerungen ziehen.

„Es ist ein Anhänger", erklärte ich und sie nahm den kleinen Gegenstand in die Hand, angetan von ihm, was mich erleichterte.
„So warm", flüsterte sie.
„Aber ..." sie schüttelte den Kopf. „Wieso solltest du mir etwas schenken?"

Ich dachte darüber nach. Für ihren Schutz konnte ich kaum sagen.

„Sieh ihn als Zeichen unserer Freundschaft", sagte ich.
„Aber der muss doch verdammt teuer gewesen sein!"
„Ach was", log ich.
„Ich möchte, dass du ihn nie ablegst. Kannst du mir das verprechen?"

„Hat es-" sie verstummte und setzte neu an: „Hat es etwas mit dem zu tun, was du bist, was er ist?"

Ich zeigte keine Reaktion, nickte schließlich einmal. Sie sah zurück auf den Ring.
„Ich verspreche es."
„Danke." Ich bog in den Schulparkplatz ein und parkte ganz vorne.

Elena fummelte an ihrem Hals herum. Sie drehte mir den Rücken zu und strich die langen Haare auf eine Seite.

„Kannst du mir helfen?", fragte sie schüchtern und ich nahm den Verschluss in meine Hände und hatte ihn nach zwei Versuchen geöffnet.

Sie nahm die Kette in die Hand, fädelte sie durch den Verschluss des Ringes und reichte mir die Kette wieder. Ich legte sie um ihren dünnen Hals und schloss sie.

„Fertig", sagte ich und sie drehte sich mit einem Lächeln zu mir um. Man sah die Grübchen in ihren Wangen.
„Danke", hauchte sie, blinzelte dann aber und entfernte ihr Gesicht ein wenig. Sie riss sich sichtlich zusammen.

„Es tut mir immer noch Leid, dass ...", fing ich an, wurde aber von ihr unterbrochen.

„Ich will nicht, dass es dir Leid tut." Unwillig schüttelte sie den Kopf.
„Es ist gut so", sagte sie, aber ich sah ihr an, dass es nicht so war.

Die Schulglocke ertönte und wir alle drei stiegen aus. Ich winkte noch kurz Janon zu, der sich auf den Weg wohin auch immer machte.

___

„Kann ich kurz mit dir reden?", ertönte es von der Seite und ich blieb abrupt stehen.

Elena ging noch ein paar Meter, bevor sie merkte, dass ich nicht mehr neben ihr war und sah mich fragend an.

„Geh schon mal vor und sag dem Lehrer ich komm gleich." Sie nickte, musterte mich aber noch einmal, bevor sie sich wieder umdrehte und weiter zum Klassenraum ging.

Ich drehte mich zu dem Gang an meiner Linken. Meine emotionale Distanz automatisch hochgefahren.
Ich wartete einfach ab, was er zu sagen hatte.

Ilias stand an einem Spind gelehnt, seine Ruhe und seine Perfektion waren wie eine Supernova. Man konnte nicht wegsehen, wusste aber sie würde einen vernichten.

„Wegen neulich", fing er an und schwieg wieder. Er erwiderte meinen Blick offen, als wäre es normal, dass man nach einer solchen Ansage von dem Betroffenen nicht die Augen ließe.

Seine Ruhe übertrug sich auf mich, aber ich spürte, dass er gar nicht so ruhig war, wie er tat. Er sog kurz die Unterlippe zwischen die Zähne und diese Geste verriet mehr, als alles andere. Er war nicht ruhig.

Er suchte meinen Blick, als würde etwas schlimmes passieren, täte er es nicht. Er schwieg.

Erst als er den Blick abwandte, sprach er, als wäre er bis dahin sprachlos gewesen.

„Ich wollte mich für meine Worte gestern entschuldigen. Ich wollte nicht so harsch sein."

„Wieso?", fragte ich und die Worte kamen über meine gefühlt taube Zunge.
„Weil ich nicht die Absicht habe jemanden zu verletzen."

Immer noch sah er mich nicht an. Seine blonden Haare lagen wie immer perfekt, er hielt den Kopf gesenkt.

„Ich habe erkannt wie dumm es ist sich durch solch einen Grund zu hassen und möchte zwischen uns Frieden schaffen." Er hatte mich gehasst? Der Gedanke schnitt wie ein Messer in mein Herz.

„Es ist alles in Ordnung", sagte ich. „Kein Grund sich zu entschuldigen."
Er runzelte die Stirn.

„Du hast diese kleine Sache nur falsch verstanden. So empfinde ich nicht für dich", log ich und lächelte leicht.

Zweifelnd zog er die Augenbrauen zusammen. „Wirklich?", fragte er mich und sah mich an, seine blauen Augen wie zwei Tore zu einer strahlenden Seele. Ich verdrängte den Gedanken.

„Natürlich nicht. Ich bin hetero", sagte ich und es entsprach der Wahrheit.

Er musterte mich, sein Lächeln konnte vielleicht andere täuschen, aber ich wusste, es war eine Maske, um Schmerz dahinter zu verbergen. Ich schöpfte neue Hoffnung.

Wenn es auf das hindeutete, was ich dachte, waren meine Gefühle vielleicht doch nicht unerwidert. Wenn es auch in diesem Leben keine Hoffnung auf so etwas wie eine glückliche Beziehung gab.

Sein gezwungenes Lächeln fiel ihm vielleicht sogar selbst auf, denn es verblasste. Vermutlich verstand er sich selbst gerade nicht.

„Natascha hat dieses Gerücht verbreitet, weil sie mich nicht haben konnte", erklärte ich und wieder stimmten im Grunde meine Worte.

Ilias nickte verstehend, aber ich sah den Riss in seiner emotionalen Distanz.

„Aber ich bin froh", sagte ich.
„Gut, dass wir das Missverständnis aus der Welt geschafft haben", sagte ich und lächelte.

Solange er mich nicht mit finsteren Blicken strafte, war alles okay für mich. Mehr, als ihn ab und zu zu sehen, ihn glücklich zu sehen, brauchte ich nicht.

„Ja, gut", sagte Ilias. Er sah mich nicht mehr an, aber das brachte nichts, denn ich hatte ihn sowieso, was das anbelangte, schon durchschaut. Glaubte ich.

„Wir sehen uns", verabschiedete ich mich, bedacht darauf ihn nicht zu berühren, als ich mich umdrehte und zu meiner Klasse ging, ohne zurückzuschauen, aus Angst, was ich sehen würde.

Wollte man nicht immer das, was man nicht haben konnte?

___

Elena sah mich fragend an, als ich mich neben sie setzte. Ich schüttelte den Kopf.

„Ich musste nur ein Missverständnis klären", sagte ich und sie sah mich noch an, besorgt und argwöhnisch, bevor sie sich wieder dem Unterricht zuwandte.

Als die Schule endete und ich mit Elena auf den Hof trat, stand Marabelle wartend mit ihrem persönlichen Diener an der Bank.

Sie trug normale Kleider, Jeans, T-Shirt und Jacke, trotzdem sah sie umwerfend aus. Sie fing an zu strahlen, als sie mich erblickte und ohne groß zu überlegen trat ich zu ihr.

„Was machst du denn hier?", fragte ich und ein leichtes Gefühl breitete sich in mir aus.

Die Prinzessin sah kurz auf ihre Designerschuhe, bevor sie mich lachend an sich drückte. Sie löste sich wieder von mir.

„Ich wollte sehen, was mein Prinz den ganzen Tag so macht", antwortete sie mit einem strahlenden Lächeln, das ihre diamantengleichen Augen zum Leuchten brachte.

„Prinz?", fragte Elena leise an meiner Seite. Marabelle lächelte sie an.

„Ja", sagte sie und hängte sich an meinen Arm.
„Mein Prinz, mein Verlobter, mein zukünftiger Ehemann, such dir was aus."

Elenas perplexes Gesicht warf mich ein bisschen aus der Bahn und ich sagte: „Sie scherzt nur."

Ihr persönlicher Diener richtete sich an Marabelle: „Bitte benehmt Euch, wenn wir unter Menschen sind." Die Prinzessin lächelte nur weiter, sagte: „Jaja", und legte genießerisch ihren Kopf auf meine Schulter, dann sah sie Elena an, die komplett verwirrt sich nicht rührte.

„Dieser Mensch wird mir das schon nicht übel nehmen, oder?", fragte sie und Elena schien endlich aus ihrer Trance aufzuwachen.

„Wer bist du?", wollte sie wissen und Melius an der Prinzessins Seite sagte: „Wenn ich vorstellen darf, das ist Prin-"
„Marabelle von Sedua. Da ihre Familie mit meiner befreundet ist, besuchen sie uns für ein paar Tage", unterbrach ich harsch und versuche mit meinem Blick deutlich zu machen, dass sie jetzt besser nichts falsches sagten.

Ich wandte mich direkt an Elena: „Mara kommt aus Deutschland." Sie entspannte sich etwas.

„Oh", sagte sie und lächelte dann.
„Freut mich euch kennen zu lernen. Ich bin Elena. Eine Austauschschülerin." Sie reichte Mara die Hand, die sie schüttelte, ein Blitzen in den Augen.

„Du bist Elena?", fragte sie nach und Elena nickte nur, den hintergründigen Ton nicht bemerkend und reichte auch Melius die Hand, der sie schüttelte, wenn auch etwas fest. Vermutlich war er es nicht gewohnt.

„Melius, der werte D... " Meine Aura sagte ihm deutlich was ich von seiner Vorstellung und diesem Wort hielt.

„Ein guter Freund meinerseits", riss die Prinzessin das Ruder nochmal herum. Elena nickte.
„Mara, seid Ihr nicht noch müde von der Reise?", fragte ich nach und erkannte zu spät wie ich gesprochen hatte. Elenas Argwohn konnte ich beinahe riechen.

Die Prinzessin wirkte überhaupt nicht müde, aber vielleicht rührte ihre Aktivität auch daher, dass sie diese Schwelle schon überschritten hatte.

„Nein, nein. Ich konnte mir doch unmöglich die Gelegenheit entgehen lassen Euer Mädchen kennen zu lernen", sagte sie wie selbstverständlich.
„Sie entspricht meinen Erwartungen zwar nicht ganz, aber ..."
„Mara", sagte ich und sie verstummte.

Elena war in sich zusammen gesunken, und ich ahnte, dass es eher etwas damit zu tun hatte, dass Mara sie als mein Mädchen bezeichnet hatte.

„Elena ist eine Freundin", sagte ich und Marabelle zog belustigt eine Augenbraue hoch.

„Dann lässt du also nichts anbrennen?"
„Mara, du solltest mich besser kennen." Sie musterte Elena, die den Anhänger ihrer Kette in der Faust hielt. Neugierig besah sie die Kette und sagte: „Sie bedeutet Euch tatsächlich etwas."

Mara legte eine Hand auf Elenas Schulter.
„Und du bist in ihn verliebt." Elenas Blick schnellte hoch.
„Dann entschuldige ich mich für meine Worte, Mensch."

Elena riss sich von ihr los und fing an zu rennen.
„Mist", fluchte ich und rannte ihr hinterher.

Hinter einer Ecke tauchte Janon auf, der mich wie ein Schatten verfolgte, seine Aura drängend fragend.
„Nicht jetzt", schrie ich ihn an und er ließ sofort ab.

Nach einer Straße hatte ich Elena eingeholt und umarmte sie von hinten. Sie versteifte sich.
„Elena, bitte sei nicht sauer. Ich wusste nicht wie offensiv sie sein würde."
„Lass mich bitte los."
„Nein."

Ihr Herz raste und langsam lockerte ich meinen Griff und drehte sie zu mir um. Elenas Kinn zitterte.

„Es tut mir Leid was sie gesagt hat." Elena ließ ihre Haare nach vorne fallen, als Schutz. Schutz vor mir.
„Es ist ja noch nicht mal was sie gesagt hat. Ich bin wütend auf mich."
„Was meinst du damit?"

Elena lachte freudlos auf.
„Ich bin das Problem. Ich meine ich weiß, dass du nicht mehr willst und hast mir sogar deine Freundschaft angeboten, weil ich so aufdringlich war. Ich sollte damit zufrieden sein." Sie seufzte schwer.

„Ich bin sogar eifersüchtig auf jemanden, mit dem du nichtmal zusammen bist. Und jetzt habe ich sogar eine Freundin von dir verärgert."
„Elena." Sie schüttelte den Kopf.

„Und trotzdem. Trotz, dass du mich nicht so magst wie ich dich und ich dir vermutlich in deinem Glück im Weg stehe, möchte ich bei dir sein. So selbstsüchtig bin ich."

Das kam mir gar nicht so unbekannt vor, nur dass ich sogar zu feige dazu war mit der Sprache herauszurücken ... feige?, kam mir der Gedanke. War es Feigheit? War die Angst vor den Konsequenzen meiner Offenbarung nur eine Ausrede? Nein und ja, erkannte ich.

Elena weinte und ich zog sie an meine Brust und strich über ihr seidiges Haar.

„Du bist nicht selbstsüchtig, Elena. Es ist nichts falsch daran seinem Herzen zu folgen. Ich finde das sogar sehr mutig."
„Achja?", fragte sie nach und sah zu mir hoch. Ich hatte nicht den Mut dazu, also ja.

„Du bist eine starke Person, Elena. Eine schwache hätte das gestern Abend niemals so leicht weg gesteckt." Elena griff an ihre Kette, umschloss den Anhänger und atmete aus. Sie schloss die Augen.

„Daran ist auch etwas komisch." Fragend hob ich beide Augenbrauen.

„Wir haben Kilian nach der ganzen Sache ins Krankenhaus gebracht. Die Ärzte sagten er hätte viel Blut verloren, konnten aber keine Wunden bei ihm entdecken. Weißt du etwas davon?"

„Elena", begann ich, „das kann ich dir leider nicht sagen." Sie seufzte.

„Wirst du mir jemals sagen können, was los ist?", fragte sie, aber in ihrer Stimme erkannte ich, dass sie die Hoffnung aufgegeben hatte.

„Vielleicht irgendwann", sagte ich und die Stille, die sich daraufhin ausbreitete, lastete schwer. Es musste schwer für sie sein in Ungewissheit zu leben, aber ich konnte es ihr nicht erzählen.

„Willst du nach Hause?", wechselte ich das Thema und sie zögerte. „Was ist mit Marabelle?"

„Sie hat zur Schule gefunden, also wird sie auch zurück finden", antwortete ich und sie sagte: „Gerne. Aber dein Auto steht noch bei der Schule", erinnerte sie mich und ich zuckte mit den Schultern.

„Ich hole es einfach morgen ab."
„Na gut. Aber ich will dir wirklich keine Unannehmlichkeiten bereiten."
„Das tust du nicht", widersprach ich.
„Außerdem unterhalte ich mich gerne mit dir."

Sie lächelte leicht. „Ich sollte mich bei Marabelle entschuldigen", überlegte sie, aber ich schüttelte den Kopf.
„Du hast nichts falsch gemacht."
„Trotzdem", sagte sie.
„Wie du willst. Ich kann sie morgen zur Schule mitbringen, wenn sie nichts dagegen hat."
„Nur wenn sie nichts dagegen hat", wiederholte sie und ich nickte.

Wir schlenderten die Straße entlang, durchquerten die Altstadt.

„Was ist Mara eigentlich für dich?", fragte sie und ich antwortete sofort:

„Eine gute Kindheitsfreundin. Zusammen haben wir früher allerhand Blödsinn angestellt. Aber seit ein paar Jahren sehen wir uns sehr selten und die letzten drei Jahre führten wir ausschließlich Briefkontakt."

„Briefe? In unserer Zeit?",  fragte sie nach.
„Natürlich. Ist doch viel persönlicher." Ich lächelte. Ich konnte kaum erwähnen, dass Mara in Deutschland keine technologischen Dinge benutzen durfte. Da war ihr Vater sehr altmodisch. Und entgegen normaler Menschen merkte ihr Vater sofort, wenn sie sie mal benutzt hatte.

„Alex, Ilias, Lenus, Divina, Marabelle und dieser komische Typ im Wagen", zählte sie auf.
„Janon ist sein Name", sagte ich und sie nickte nachdenklich.

„Wieviele solcher Kindheitsfreunde hast du denn noch?", wollte Elena wissen, sagte aber dann schnell: „Weißt du was?, sag es mir besser nicht." Sachte lächelte ich sie an.

„Ich denke das war's eigentlich schon. Zwar würde ich sie nicht alle unbedingt in die Kategorie Freunde einordnen, aber ich denke auf jeden von ihnen ist auf ihre eigene Art Verlass." Erst ließ sich Elena meine Worte durch den Kopf gehen.

„Natürlich gibt es da noch Natascha, ihre Cousine Daisy und diese ... wie hieß sie noch gleich?" Elena haute mich auf den Arm und ich brachte ein „Aua" hervor, aber ich sah sie schmunzeln.

„Dieses Lächeln hatte ich vermisst", sagte ich und Elena sah mich gütig an.

Der Weg bis nach Southbeach erschien mir schrecklich kurz. Ich genoss es mit ihr zu sprechen, ich konnte offen über allerhand sprechen. Nur manchmal musste ich meine Worte genau abwägen, um nicht zu viel zu verraten. Erst als Elena die Schutzbarriere betrat, fiel eine Last von meinem Herzen. Ihr würde nichts passieren. Sie war sicher.

Nachdem ich mich auf den Rückweg machte und um die erste Ecke bog, tauchte Janon neben mir auf.

„Wie gut wird die Barriere halten?", fragte ich ihn und er zuckte mit den Schultern. „Schwächere Dämonen sollte sie ohne Probleme draußen halten, die mittleren könnten sie hingegen überwinden."
„Also ist sie nicht komplett sicher", stellte ich fest.

„Aber gegen das Amulett, das Ihr ihr gegeben habt, wird nicht mal ein hoher Dämon etwas tun können."

„Bist du dir da sicher?", fragte ich nach.
„Absolut. Ich erkannte das Amulett aus eines meiner Bücher", merkte er an.
„Sollte es keine Fälschung sein, haben es wirklich die beiden Erzengel Michael und Raphael erschaffen. Es soll eines der stärksten Schutzamulette überhaupt sein und vor ca. 1 500 Jahren von Raphael an einen Geflügelten in Vorderasien überbracht worden sein. Für einen bestimmten Menschen, den Gott schützen wollte." Interessant.

„Wer war dieser Mensch?", wollte ich wissen und Janon zuckte mit den Schultern.
„Diese Information konnte ich nirgends entnehmen." Schade. Ich nickte.

„Ich hätte das Amulett noch vom Ältesten abchecken lassen sollen", ärgerte ich mich über mich selbst.

„Und wenn schon", meinte Janon. „Auch wenn das Amulett nicht das Berühmte von vor 1 500 Jahren ist, es *ist* ein Schutzamulett. Und es ist stark, das hast du selbst gespürt."
„Du meinst diese warme Ausstrahlung?" Er nickte.

„Ja. Schwache Schutzamulette besitzen keinen Schein."
„Gut, dann glaube ich dir das. Deine Vernarrtheit in die Dinger ist ja doch ziemlich nützlich." Janon lächelte leicht.
„Werdet mir ja nicht frech", meinte er.
„Sonst was?", fragte ich herausfordernd, aber er wurde schon wieder ernst.

„Was ist eigentlich mit dem Ring, den der Helfer Euch noch geschenkt hat?" Ich zog den kleinen, schwarzen Ring aus meiner Jackentasche. Er schimmerte matt, sah nicht sehr besonders aus und ich konnte auch nichts an ihm spüren.

Janon hielt mir die Hand hin und ich ließ den Ring in seine Handfläche fallen. Er drehte ihn in seinen Fingern, sah ihn genau an, blieb sogar stehen und schloss die Augen. Er öffnete sie.

„Und?", fragte ich erwartungsvoll, aber er schüttelte den Kopf.
„Nichts."
„Das habe ich mir gedacht. Ich konnte auch nichts ausmachen, nicht mal, nachdem meine Energie nun stärker geworden ist."

„Um die Stärke der Energie geht es auch gar nicht", meinte er.
„Die Übung macht es aus." Er drehte den kleinen Gegenstand nochmal und gab ihn mir wieder.

„Ihr solltet ihn vom Ältesten untersuchen lassen." Ich nickte.
„Das hatte ich vor."

Ich steckte den Ring wieder ein und schlug Janon auf die Schulter.

„Wer zuerst beim Anwesen ist?" Janon lächelte schief.
„Ihr werdet haushoch verlieren", sagte er, aber ich war ihm schon weit voraus und rief: „Was hast du gesagt?"

13

 

Der Saal war gut gefüllt. Die portugiesische Familie war anwesend, sie war vor einer halben Stunde eingetroffen und ich war froh, dass ich nicht noch eine Familie begrüßen musste.

Die Portugiesische kannte ich auch nicht besonders und ich war gerade noch rechtzeitig erschienen, bevor die Versammlung losging.

Der Tisch war rund. Die Königspaare und ihre direkten Erben waren anwesend. Das machte insgesamt 18 Leute von königlichem Geblüt, an einem Haufen versammelt. In unserem Haus. Alle mit starken Persönlichkeiten und einem strengen Willen, geborene Anführer.

Sogar der kleine Ryna, der ungeduldig auf seinem Stuhl links neben uns herumzappelte. Aber immerhin würde er eines Tages König sein.

Die Berichte der Ereignisse vor zwei Tagen, in allen Ländern und auch noch genau in der Nähe der Anwesen der Königsfamilien, lagen vor den Königen.

Alle quatschten noch miteinander. Es kam nicht oft vor, dass einmal alle Herrscher Westeuropas in einem Raum versammelt waren. Diese Gelegenheit wollte man natürlich nicht vergeuden und politische Kontakte knüpfen und stärken.

Ganz auf der anderen Seite des Tisches, mir gegenüber, saß Prinz Grius, hochnäsig wie er war seinen Vater zutexten und ansonsten niemanden Beachtung schenkend.

Einen Platz weiter saß der spanische Teenagerjunge mit seinen Eltern. Das Swestshirt trug er nicht mehr. Er wirkte sehr gelangweilt.

Die nächsten Plätze nahm die pirtugiesische Familie rechts neben uns ein. Eine junge Frau mit rotbraunen, wilden Haaren, und komplett in schwarz gekleidet, saß mit überschlagenen Beinen lässig da.

Sie kaute lautstark einen Kaugummi und blickte geringschätzig durch den Raum. Die portugiesische Prinzessin. Aber hatte sie nicht noch einen älteren Bruder?, erinnerte ich mich.

Sie sah meinen Blick und rollte einmal mit den Augen. Arrogante Bitch. Ich mochte sie. Nach unseren Plätzen, saß die italienische Königsfamilie, Prinz Ryna, König Hanares und Königin Asla.

Und zu guter letzt Marabelle und ihre Eltern. Großbritannien. Portugal. Spanien. Frankreich. Deutschland. Italien.

Links neben mir saß mein Vater, auf meiner anderen Seite die Königin von Portugal, mit der ich noch nie im Leben ein Wort getauscht hatte, aber jetzt ein Gespräch anfing.

„War Eure Reise angenehm?", fragte ich sie aus Höflichkeit, war immerhin meine Pflicht, und die korpulente, aber keineswegs dicke Frau, drehte sich zu mir um.

„Ah, Ihr müsst Prinz Caenen sein. Ja, unsere Reise war recht angenehm, das Wetter hatte mitgespielt und die Luftschwankungen waren sehr gering. Wir hatten schon befürchtet, dass das Wetter umschlagen würde, bekanntlich habt ihr hier in England kein allzu rosiges Wetter."

Sie lächelte leicht und die kriegerische, schwarze Bemalung in ihrem Gesicht, Stirn und Wangen, verzog sich. Die große Uhr schlug vier Uhr und langsam verebbten alle Gespräche.

„Wir sollten beginnen", sagte der deutsche König.
„Wir sind uns doch wohl alle einig, dass wir etwas unternehmen müssen. Wie wir nun alle wissen haben in allen sechs Ländern verschiedene Höllenkönige, direkt an den Anwesen der Königsfamilien Westeuropas gewütet. Ihre Kinder währendessen in den anderen Ländern dieser Erde. Sie wollten uns überrumpeln und haben es auch geschafft."

Zustimmendes Murmeln kam auf. Die Prinzessin drei Plätze neben mir betrachtete ihre Nägel, der spanische Prinz Emil schien von all dem Trubel ganz verunsichert, auch wenn er versuchte erwachsen und cool auszusehen und Ryna schien sowieso nicht zuzuhören.

Mit fünf Jahren hätte mich das Gequatsche von Erwachsenen auch nicht interessiert.

Die einzigen, die wohl alt und erwachsen genug für eine solche Versammlung waren, war Mara, ich und leider musste ich in meiner Aufzählung auch Grius hinzuzählen.

„Sie benutzen ihre speziellen Fähigkeiten, die sie zu Königen der Unterwelt machen, kämpften allein als höhere Dämonen und ansonsten kämpften nur Drachen oder insektenähnliche Dämonen der Zucht Luzifers." Der deutsche König sah in die Runde und alle nicken zustimmend.

Hanares meldete sich zu Wort.
„Anscheinend wollten sie ihre Truppen nicht schwächen", sagte er.
„Das kann nur darauf hindeuten, dass noch eine größere, viel wichtigere und entscheidendere Schlacht stattfinden wird. Da sie vor allem unsere Länder ins Visier nahmen, wollten sie uns scheinbar am meisten schwächen."

„Ihre Pläne sind und nach wie vor nicht ersichtlich", sprach der portugiesische König und verschränkte die Arme.
„Wir können nicht sagen, was sie vor haben."

„Ihr erster Schritt, uns schwächen, ihr zweiter Schritt, sich und ihre Truppen stärken, ihr dritter Schritt der Logik zufolge ein Angriff", brachte mein Vater seine Überlegungen zusammen.

„Was meint Ihr explizit mit Schritt zwei? Natürlich stärken sie ihre Truppen", hinterfragte Portugals König.

„Es hat nach der Schlacht bei uns einen kleinen Vorfall gegeben. Vermutlich ist euch aufgefallen, dass sich die Aura meines Sohnes verändert hat." Viele Königspaare tauschen Blicke. Ich ließ sie über mich ergehen.

„Der Grund ist die Entwendung eines sehr mächtigen Amuletts. Ein Ring, der die Fähigkeit besitzt, Kräfte zu verschließen oder um ein Vielfaches zu stärken. Ich denke sie könnten weitere solcher oder ähnlicher Artefakte sammeln und im finalen Schlag gegen uns einsetzen." Gemurmel erhob sich.

„Aber wie kommen sie zu den Informationen wo sich diese Artefakte befinden? Die Idee ist schließlich nicht neu", meldete sich der französische König Roland und war wohl nicht wenig versucht mit der Faust auf den Tisch zu schlagen. Vielleicht hätte er es damit sogar geschafft den Tisch zu spalten.

„Sie müssen einen Weg gefunden haben", sagte mein Vater.
„Dann sollten wir sie daran hindern weitere zu finden. Oder sie vor ihnen finden", führte Hanares die Überlegung weiter.

„Wartet. Es ist doch nur Spekulation, dass das ihre Vorgehensweise ist."
„Wir sollten es aber auch nicht ausschließen", wandte der spanische König mit ruhiger Stimme ein.

„Wären alle damit einverstanden, wenn wir versuchen die Artefakte vor ihnen zu finden? Für uns können sie in der Schlacht genauso hilfreich sein", fragte der deutsche König und alle nickten.

„Aber wie wollen wir vorgehen?", warf der französische König ein. „Wäre ja nicht so, als hätten viele vor und es nicht schon erfolglos versucht."

Der Blick von Königin Asla blieb an mir haften. „Habt Ihr eine Ahnung wie es der Dämon schaffte Euren Ring zu finden?", fragte sie, aber ich konnte nur mit den Achsen zucken.

„Ich weiß es nicht und ich wusste auch nicht, dass er es auf meinen Ring abgesehen hatte. Jean sagte mir aber, dass magische Amulette einen bestimmten Schein ausstrahlen." Königin Asla nickte.

„Das ist korrekt. Aber dieser ist nur auf wenige Meter spürbar, wenn überhaupt. Da von ihnen keine lebendige, geistige Energie ausgeht, kann man sie nicht geistig orten."

„Was ist mit Suchamuletten?", wandte ich ein, aber  sie schüttelte den Kopf.
„Selbes Problem. Außerdem bräuchte man, um Gegenstände zu orten jemanden, der diesen Gegenstand schon berührt hatte."
„Wie mein Ring zum Beispiel." Sie zögerte.
„Das könnte funktionieren."

„Dann ist es beschlossen. Ich schlage vor wir stellen ein Team aus unser aller erfahrensten und mächtigsten Aura- und Energiekundigen zusammen und überlassen ihnen die geheime Mission die Artefakte aufzutreiben", schlug mein Vater vor und zustimmendes Nicken folgte.

„Vater, in dieser Angelegenheit sollten wir die Meinung des Ältesten miteinbeziehen", sagte ich leiser, nur an ihn gewandt und er nickte.
„Sprich später mit ihm", befahl er und ich nickte.

„Gut, nach dem wir das geklärt haben, brauchen wir eine Strategie für die nächste Schlacht", sprach der deutsche König.

„Wenn sie es tatsächlich auf eine große Schlacht in Westeuropa abgesehen haben, wäre es sinnvoll die mächtigsten Krieger zusammen zu halten und die Dämonen vereint zurückzuschlagen. Nur wissen meine Spione überhaupt nicht, was da unten vor sich geht. Wie sie sich rüsten, wann sie angreifen könnten."

„Meine Verbindungen zur Unterwelt sind auch abgekappt", sagte Hanares und die anderen nickten nur zustimmend.

„Wir können aber davon ausgehen, dass die Dämonen angreifen, solange unsere Truppen noch geschwächt sind", erscholl die ruhige Stimme des spanischen Königs.

„Sollte es den Dämonen diesmal wirklich so ernst sein und sie das jüngste Gericht einleiten wollen, wird es ihnen egal sein, ob Menschen sie sehen oder durch sie Schaden nehmen", trug er einen Punkt offen vor, der wie ein Demoklesschwert über uns baumelte.

„Wir dürfen die Menschen in diese Angelegenheit auf keinen Fall hineinziehen", sagte König Hanares.

„Sollte es diesmal wirklich so ernst sein und wir ihnen nicht gewachsen, werden wir keine andere Wahl haben, als ..." Die Worte des spanischen Königs hingen wie eine dunkle Wolke über alle von uns.

„Wir werden kämpfen, solange und so stark wie es geht. Die Himmlischen haben in unserem Kampf nichts verloren. Es ist unsere Aufagbe für die Sicherheit der Menschheit zu kämpfen und sie anzuleiten, sollten sie den falschen Weg einschlagen. Wir dürfen den Herrn nicht enttäuschen", sprach der französische König Roland und man spürte die Welle der Euphorie und Entschlossenheit, die von ihm ausging.

Ich konnte mir sehr gut vorstellen wie er seine Truppen allein durch solche Worte die freudige Entschlossenheit zu kämpfen gab.

„Wir werden alles in unserer Macht stehende tun, um eine Schmach zu verhindern, aber bevor Menschen umkommen, sollten wir unseren Stolz vergessen", warf plötzlich die Prinzessin Portugals ein.

Der Unmut und die Blicke richteten sich auf sie und ich sah die Wut, die ihr Vater ausstrahlte. Natürlich würden alle so reagieren.

Wir, als Gottes irdische Engel, die nicht einmal in der Lage waren den Himmel je lebendig zu betreten, wollten sich von den hohen Engeln, die kommen und gehen konnten, wie sie wollten und Gott am nächsten standen, nichts sagen lassen.

Das Schwert Gottes, das waren wir, sie waren sein Schild. Ich teilte ihre Abneigung nicht, sie waren anders als wir, ja, aber wir hatten unsere Aufgabe, sie ihre und es war rechtens. Notfalls waren sie mächtige Verbündete.

Ich teilte ihre Ansicht, aber es brachte nichts es hier frei raus herumzuposaunen. Auch sie würden einsehen, spätestens, wenn wir versagten, dass wir keine andere Wahl hatten, und das war allen bewusst.

„Vorrangig sollten wir uns auf unsere eigene Stärke verlassen", schwenkte der spanische König um und die allgemeine Wut verblasste etwas.

„Wir sollten unsere Vermutung auf einen großen Kampf hier in Westeuropa mit den anderen Königen dieser Welt teilen. Sie sollten ihre Wachsamkeit in ihren Königreichen nicht vernachlässigen, aber für uns erreichbare Hilfe bleiben." Alle stimmten den Worten Hanares zu.

„Wir sollten außerdem alles dafür tun unsere Gebiete zu schützen, Barrieren schaffen, die allgemeinen Schutzvorkehrungen treffen und die Außenclans ins Innere holen. Unsere Kampfeskraft muss vereint und stark sein."

„Hat irgendwer Einwände?", fragte der deutsche König nach und alle verneinten.
„Dann ist es beschlossen."

Die spanische Königin räusperte sich und alle sahen sie an. Plötzlich strahlte sie nicht mehr die Ausstrahlung einer abgekämpften vielfach-Mutter aus, ihre Augen blickten scharf, wie die einer Kriegerin. Sie betätigte gerade den kleinen Ohrstöpsel in ihrem linken Ohr.

„Meine Spione konnten melden, dass eine Vielzahl von niederen Dämonengruppen sich zusammen horteten und gleichzeitig unsere Außenclans angreifen."
„Meine auch", sagte der portugiesische König, in die Luft starrend und den Dingen am anderen Ende des Funkgeräts lauschend.

Nacheinander taten alle Königspaare dasselbe und meldeten Angriffe auf Außenclans. Und gerade jetzt waren deren Anführer im Hauptclan, um die Ergebnisse in der Versammlung abzuwarten. Das war verdammt schlau von diesen Dämonen gewesen.

Die verschiedenen Königspaare gaben Anweisungen an ihre Leute weiter.

„Wir reisen ab", sagte pötzlich die spanische Königin und auch der portugiesische König sagte: „Wir müssen zurück in unser Land."

Mein Vater nickte. „Die Versammlung war sowieso beendet und unsere Entscheidungen getroffen. Kümmert euch um eure Länder. Wir bleiben in Kontakt."

Alle erhoben sich, manche eilten schneller nach draußen, als andere. Ich blieb noch einen Moment sitzen, bis ich eine Hand auf meiner Schulter spürte. Ich drehte mich zu Marabelle um.

„Es tut mir Leid, was gestern passiert ist", sagte sie und setzte sich auf den leeren Stuhl neben mir. „Ich kann verstehen, wenn du sauer bist."

Sie sah beschämt auf den Tisch, ihre Locken fielen in saften Wellen über ihren Oberkörper, ihre Wangen waren gerötet und brachten die leichten Sommersprossen darauf noch mehr zur Geltung. Leicht lächelte ich.

„Ich bin dir nicht böse. Elena dir übrigens auch nicht." Eeleichtert sah sie auf.
„Dann bin ich ja froh." Sie seufzte.
"Schade, dass wir jetzt schon abreisen. Ich hätte gerne mehr Zeit mit dir verbracht. Mit dir geredet. So wie früher", sagte sie und wandte ihr Gesicht ab.

„Wir werden uns wiedersehen", versuchte ich sie aufzumuntern.
„Und wir schreiben uns weiter Briefe." Ich stupste ihr Kinn an und sie lächelte.
„Ja, damit muss ich mich wohl noch begnügen."

„Ich komme dich besuchen, wenn all das vorbei ist", versprach ich und sie umarmte mich glücklich.
„Wehe du hälst dein Versprechen nicht. Dann komme ich und hole dich." Ich lachte.

„Das ist mir klar, kleine Fee." Sie schlug mir auf den Arm.
„Wie oft habe ich dir schon gesagt du sollst mich nicht so nennen?"
„Ich weiß nicht", sagte ich, „hab aufgehört zu zählen.

„Ich werde dich vermissen." Ich dich auch, kleine Fee.

„Prinzessin?", klang es hinter uns, aber wir ignorierten es.

„Wir müssen los, Prinzessin, Euer Vater wartet", sagte Melior. Mara hob ihren Kopf von unserer Umarmung.

Sie sah mich an, diese blauen Augen blickten offen, herzlich, ganz natürlich und ich erwiderte den Blick. Der Moment war ganz intim, ohne dass mehr, als dieser Blick nötig wäre. Sie versuchte auch nicht mehr.

„Aufwiedersehen, mein Prinz", sagte sie. „Aufwiedersehen, meine kleine Fee."

Sie stand auf, noch ein letzter Blick und sie verließ den Versammlungssaal.

Ich werde dich auch vermissen.

___

Ohne eine weitere Sekunde zu verschwenden zog ich mich in meinem Zimmer um, Jagdkleidung, mein Schwert, drei Dolche. Zuletzt noch meinem Umhang, den ich mir flicken hatte lassen, umgeschwungen, trat ich entschlossen hinunter und in die große Eingangshalle, in der schon viele Leute in Jagdkleidern standen und aufgeregt durcheienanderredeten.

Janon tauchte vor mir auf.
„Du wirst mich nicht aufhalten können", sagte ich und er nickte und sah weg.

„Ich weiß." Ein leichtes Lächeln erschien auf seinen Lippen und er verbeugte sich.
„Ihr seid unser Prinz und wir erwarten Eure Befehle."

Die Leute in der Halle verstummten. Janon verharrte in seiner Haltung und alle drehten sich zu uns und verbeugten oder knicksten ebenfalls. Ich hätte es ihnen gerne ausgeredet, aber die Geste war zu berührend.

„Wie darf ich das verstehen?", fragte ich leise nach.
„Euer Vater übertrug Euch die Verantwortung dieser Mission. Und wir stehen hinter Euch."

Ich atmete durch. Ich war überrumpelt. Eine Mission alleine anführen. Die Last des Verantworlichen kannte ich, aber bisher stand ich nicht höher, als Divina oder Janon. Es beudeutete ich würde alle Truppen anführen, keinen Teil der Truppe. Es war etwas anderes und es zeigte mir, dass Vater mir vertraute. Oder mich testete. Egal. Ich lächelte.

„Na gut. Wir haben keine Zeit jeden der sechs Außenclans zusammen abzuklappern. Wir teilen uns also besser auf. Janon, Divina, Jean, Fiona und Kathetine. Ihr führt die fünf anderen Truppen an."

Ich entdeckte Ilias und Lenus in der Menge. Wie alle anderen hörten sie mir aufmerksam zu. Mein Herz fühlte sich ein Stück leichter.

„Wir brechen sofort auf. Teilt eure Truppen in bekannte Konstellationen. Ich möchte, dass die Leute zusammenarbeiten, die miteinander vertraut sind. Heute dürfen wir kein Risiko eingehen. Es steht das Leben unserer Freunde auf dem Spiel." Ich mache eine kleine Pause.

„Wir werden diesen Dämonen in den Hintern treten." Euphorisch johlten alle und streckten ihre Fäuste in die Luft. Ein breites Grinsen stahl sich in mein Gesicht. „Na dann los!"

___

„Euer Sohn wächst zu einem richtigen Anführer heran", ertönte eine Stimme hinter König John und dieser verstärkte den Griff um die Brüstung der Galerie, von der er die Ansammlung an Jägern beobachtete.

„Er war nie etwas anderes", erwiderte der König.
„Wohl wahr, er war schon immer einer, der voranschritt und dem man folgte."

„Ihr seid sicher nicht hier, um über meinen Sohn zu sprechen. Was wollt Ihr?"

Hinter ihm erklang ein glockenhelles Lachen.
„Scharfsinnig wie eh und je, aber was erwartet man auch von dem König des Chaos?"

Der Fremde wischte sich imaginäre Lachtränen vom Augenlid. Das Gesicht des Königs verfinsterte sich und die Stimme des Fremden verlor jeglichen Witz.

„Natürlich geht es um unseren Handel."

Der König biss die Zähne zusammen. Er wusste, dass das hier folgen würde.

„Die Bedingung war, wie Ihr noch recht wisst, dass das Amulett niemals in falsche Hände geraten dürfte. Ansonsten ..." Man hörte etwas brechen, wie einen Ast.

John versuchte die Ruhe zu bewahren. Er konnte auch bluffen. Aber es war schwer.

„Was habt ihr ihr angetan", knurrte er und die Gestalt hinter ihm zuckte mit den Schultern.

„Noch nichts. Aber sollte es nicht bald zu seinem Besitzer zurück finden oder uns überreicht werden, könnte es sein, dass das Obkjekt des Handels-"

„Ihr wollt nicht verantwortlich gemacht werden, wenn es zum Krieg kommt", unterbrach John ihn.

„Selbstverständlich!", spuckte die Gestalt.

„Wir haben Euch erklärt wie mächtig dieses Artefakt wirklich ist und nur weil Ihr es Euren Artgenossen verschweigt, heißt das nicht, wir würden es vergessen. Oder er würde es nicht wissen."

„Was werdet Ihr also tun?", fragte der König äußerlich ruhig nach.

Die Gestalt bewegte sich kurz. „Wir? Nichts. Aber sollte es Euch nicht gelingen das alles ins Lot zu bringen ... ", die Stimme der Gestalt wurde leiser, „...wird Eure Frau sterben."

John wirbelte herum, sein Herz raste und er erwartete jemanden hinter sich zu sehen, doch die Galerie hinter ihm war leer.

Bis auf ein kleines Kästchen.

John ging auf es zu, sein Geist drohte zu verschwimmen, seine Sicht gefährlich schwankend.

Aber er musste es nehmen, auch wenn die Angst vor dem Inhalt ihn schier umbrachte. Er öffnete das Kästchen ...

14

 

Wir blieben nicht lange zusammen. Die fast 200 Leute hatten wir aufgeteilt, nur jenen, die sich auch sicher waren, kämpfen zu können, wurde erlaubt mitzugehen. Die Brennpunkte sollten nicht ohne sein.
Meine Gruppe bestand aus 34 Leute.

Die Nacht hatte sich ausgebreitet, unsere Flügel noch kaum, aber doch am meisten von uns, sichtbar.

Jede Gruppe bestand aus drei Teams und brauchte drei Anführer. Die Hauptanführer der sechs Gruppen und jeweils noch zwei andere. Ilias war in meiner Gruppe und vielleicht war er überrascht, als ich ihn und Lenus wählte. Doch ich hatte sie kämpfen sehen.

Lenus war zwar stur und hätte meinen Befehlen gerne widersprochen, weil genau ich es war, der sie gab, aber ich wusste er würde es nicht, solange es die richtige Entscheidung war.

Und Ilias ... ich konnte mich noch genau erinnern in welche Gefahr er sich gebracht hatte. Um mich zu unterstützen. Ich wollte ihm zeigen, dass ich ihm vertraute.

Die Außenclans lagen verstreut in unserem ganzen Land. Zwei Clane in Schottland, zwei in Irland, einer in Wales und einer in England. Die Anführer dieser Clane waren Adlige, alle auf dem gleichen sozialen Stand und der Königsfamilie im Hauptclan in Sheringham, einer Küstenstadt in Englands Grafschaft Norfolk, unterstellt.

Unsere Gruppe war zum Außenclan in Bristol unterwegs. Sie war eine Hafenstadt mit auch hügeligem Gelände und es war kein Wunder, dass unser Ziel in der Mitte dieser Extreme grenzte.

Bristol Castle, eingegrenzt zwischen zwei Flüssen. Sie gilt heutzutage als Ruine und wurde abgerissen, aber diesen Zustand sehen nur die Menschen.

Die Burg wurde wie viele andere während des zweiten Weltkrieges zerstört. Doch das war die große Besonderheit an der Burg.

Für uns war sichtbar und fühlbar, dass sie stand. Heute ist das Gelände der Burg die Grünanlage Castle Park, den unser Außenclan führt.

Die anderen Gruppen flogen zu den anderen Außenposten, wir würden ständig über Funk in Verbindung sein.

Ich musste alles wissen, die richtigen Entscheidungen treffen. Ich war verantwortlich ob die Mission reibungslos vonstatten ging oder es unsinnige Opfer gab. Und irgendwie war mir die Verantwortung weniger unangenehm, als ich gedacht hatte.

Die Bäume der Grünanlage von oben wikten dunkel, das Gras eine Spur heller. Wir hörten schon die Kampfgeräusche von drinnen, sahen bunte, himmlische Feuer sprühen.

Schatten, Höllenfeuer und biestige Pflanzenranken machten es den Kämpfern schwer.

Wir landeten direkt vor der Burg, sie strahlte in hellem Licht, Teile brannten in einem dämonisch roten Feuer. Ich hörte Sirenen nahen. Die Feuerwehr.

Ich wandte mich an Lenus: „Wir müssen die Rettungskräfte aufhalten. Schon ein paar Minuten Verzögerung kann uns helfen." Lenus nickte und sprach hinter mir mit einem anderen Krieger und dieser verschwand.

Neben mir stand eine Geflügelte dieses Außenclans. Sie hatte mir bereits erklärt, welche Eingänge es gab. Es gab den vorderen Eingang und ein Ausfalltor im Falle von Belagerungen war vorhanden. Der Burggraben war trocken.

„Ein Team bleibt hier und vernichtet die Dämonen, die fliehen wollen. Die anderen zwei Teams gehen rein. Ein Team durch den Haupteingang, das andere durch das Ausfalltor."

Einige Dämonen stürmten durch den Ausgang, ich zog mein Schwert und streckte einen mit einem Streich nieder, während neben mir durch Ilias ein weiterer starb.

„Mein Team zum anderen Eingang. Ilias, geht hier rein und Janon, hält hier die Stellung", gab ich die letzten Anweisungen, die beiden nickten, ich nickte meinem Team zu und wir rannten los, die anderen direkt hinter mir.

Das Ausfalltor war genau da zu finden wo Clara es beschrieben hatte, sonst hätte ich es unter den Gestrüpp schwer gefunden.

Das vergitterte Tor war leicht zu öffnen, der Gang dahinter war eng und feucht. Wir mussten einzeln rein, ich vorne weg.

Er machte eine leichte Biegung und schon kam uns der erste Dämon entgegen. Oder Dämonin.

Sie hatte ihr Feuer entfacht, lächelte hämisch und schoss eine ganze Feuersbrunst durch den Gang, die ich mit meinem Feuer entgegen kam. Aber sie war stark. Ich ließ mehr und mehr Energie in mein Feuer fließen, so viel, bis sich mein Feuer ihrem entgegen und ihres zurück drängte und sie plötzlich aufschrie, als mein grünes Feuer sie erreichte. Es verbrannte sie gnadenlos.

Ich spürte das Erstaunen hinter mir und die Erwartungen, die die Krieger hinter mir hatten. Sie wollten alle Blut sehen.

Wir drangen weiter ein und stiegen eine steile Steintreppe empor, die uns durch eine weit geöffnete und kaum in den Angeln hängende Tür in den zweiten Innenhof führte.

Im Hof flammten Feuerangriffe auf, gefährliche, grüne Pflanzenränke zerrten an den überforderten Kriegern des Außenclans, die schlecht als recht gegen menschenähnliche Dämonen kämpften.

Verschiedene Dämonen konnten Wasser, Luft, Feuer, Erde, Schatten und Pflanzen befehligen, aber was ich auf die Schnelle sah, waren die meisten Schatten-, Feuer- und Pflanzendämonen.

Noch waren alle auf dem Boden geblieben. Sofort eilten wir zur Hilfe, einen Dämon, der die Ranken befehligte, näherte ich mich und schlug alle Pflanzenstränge, die mir im Weg waren, nieder.

Der Dämon stand mit dem Rücken zu mir und drehte sich gerade leicht, sodass er mich kommen sah.

Er hob die Hand, eine meterdicke Schlinge erhob sich vom Boden vor mir, ich sprang und schlitzte sie auf, der grüne Saft spritze in alle Richtungen.

Nach weiteren zwei Sekunden war ich bei dem Dämon und hatte den Kopf von seinen Schultern getrennt.

Viele der Ranken fielen zu Boden, wie Puppen, denen die Fäden gekappt wurden.

Ich half neben mir einer Kämpferin auf die Beine, die die schweren Schlingen von ihrem Körper schob.

„Dankeschön", sagte sie atemlos.
„Gut, dass ihr gekommen seid. Lange hätten wir alleine nicht standgehalten", sagte sie, während sie und ich in Kampfposition gingen.

Dämonen gingen auf uns los, kopflos und brüllend und mit Leichtigkeit konnte ich, während ich einen nach dem anderen zerstückelte sagen: „Das ist selbstverständlich. Unsere Truppe hat viele Kämpfer, wir sollten das hier schnell in den Griff bekommen."

Fertig mit den paar Dämonen, die es so leichtsinnig mit uns aufenommen hatten, strich sich die junge Brünette zwei lange Strähnen aus dem Gesicht. Ihr Brustkorb hob und senkte sich schnell, sie schien aber weder erschöpft, viel eher konnte sie mit mir mithalten. Sie lächelte.
„Das hört sich doch gut an." Ich nickte ihr zu.

Nach noch einem Dämonen, der gerade von oben auf mich zuschoss und den ich mit erhobenem Schwert aufspießte und fallen ließ, nickte ich ins Innere des Bergfrieds.

„Könnt ihr sie hier aufhalten? Bald müsste auch die andere Gruppe hier zu uns stoßen. Ich würde gerne rein." Sie nickte.
„Kein Problem. So viel schaffen wir."

„Team 1. Wir gehen rein", rief ich durch den Innenhof und meine Krieger erledigten noch den derzeitigen Gegner und sahen mich an. Ich ging voran, sie folgten mir. Mit Schwung trat ich das Tor des Bergfriedes auf.

Drinnen kämpften weitere Dämonen, aber die Geflügelten hier waren sichtlich keine Kämpfer. Kleine Kinder und größere, die sie verteidigten. Frauen, die nie das kämpfen gelernt hatten und Diener des Clans, Nephilim, die nie das kämpfen lernen hatten müssen.

Die Dämonen drangen von oben ein. Ich sah zu fünf meiner Krieger und schickte sie mit einem Handzeichen die Treppe hoch.

Sieben blieben bei mir und begannen die Dämonen zu bekämpfen.

Ich spürte die Energie fließen, gewaltiger als noch zuvor. Der Rausch des Kampfes ließ auch mich meine Leistungen verstärken, während ich mit dem Schwert Gliedmaßen abtrennte, Feuerbälle nebenbei warf und meine Dolche anzündete und in Körperteile rammte.

Viele ungeschulte Engel scheuten sich davor menschenähnliche Dämonen umzubringen, aber ich sah sie als das, was sie waren: Bestien.

Ein mächtigerer Dämon erschuf einen Schild aus knisterndem, jaulendem Feuer und ließ es wie eine Dampfwalze über mich nieder gehen.

Ich hüllte mich komplett in mein Feuer, zerschnitt mit meinem brennenden Schwert die Feuerwand, als wäre sie vieleschichtiges Papier.

Ich sprang und landete vor dem Dämon, seine Augen weit geöffnet, als ich mein Schwert durch sein Herz rammte. Ich ließ ihn fallen.

Hinter ihm erkannte ich einen Jungen. Mit seinen spärlichen Feuerfähigkeiten versuchte er die Schatten einer Dämonin zurückzuschlagen.

Hinter ihm stand ein kleines und noch ein kleineres Mädchen, die sich aneinander klammerten und zitterten.

Mit einem Streich zerschlug ich die Schatten, richtete mich vor dem Jungen auf und drehte mich um, schützte sie vor den Angriffen weiterer Schattenschwaden, die zischend zurück wichen, als mein Feuer sie berührte.

Einen meiner Dolche schleuderte ich hoch zur Galerie. Eine Gestalt dort oben fiel zu Boden und die Angriffe der Schatten hörten auf.

Ich erschuf eine weite Feuerkuppel um die Kinder und mich und ging leicht in die Hocke.
„Seit ihr unverletzt?", fragte ich sie, sah die Mädchen zuerst an, die nicht reagierten und dann den Jungen, als er sagte: „Es müsste ihnen gut gehen. Dank Euch." Ich nickte.

„Du scheinst auch unverletzt zu sein", sagte ich zu ihm und er bestätigte es.

„Gut. Ich geleite euch hinaus. Schafft ihr es vom Innenhof nach draußen zu fliegen?", fragte ich.

„Ich schon", sagte der Junge.
„Lena vermutlich auch. Aber Hanna ..." Ich nickte und trat zu den zwei Mädchen.
„Hallo", sagte ich.
„Du bist Hanna, oder?" Das kleinere Mädchen nickte.

Ein Dämon rannte schreiend auf uns zu und verbrannte an meinem Feuer ohne Gnade. Die Mädchen zuckten zusammen.

„Gleich ist alles gut. Ich bring euch nach draußen", beruhigte ich sie. „Darf ich dich dafür auf den Arm nehmen?", fragte ich sie und zögernd nickte das Mädchen. Ich hob sie hoch auf meinen Arm und stand auf. 

„Haltet euch hinter mich und egal, was passiert, berührt nicht das grüne Feuer." Ich setzte mich langsam in Bewegung und spürte an meiner Hand etwas. Ich sah hinunter und bemerkte das andere Mädchen, das meine Hand hielt.

Der Junge war direkt hinter uns, skeptisch sah er nach hinten und sich immer wieder um, auch wenn er durch das Feuer nichts mehr als Schemen ausmachen dürfte.

Wir traten durch das Tor nach draußen.

„Halt dich an meinem Hals fest", wies ich das Mädchen an, die es auch tat, ich schoss einen Feuerblitz hoch, der einen Dolch umlenkte.

Vor uns türmten sich dämonische Ranken und Dämonen kämpften mit unseren Kriegern am Tor, das zum ersten Innenhof führte.

In der Luft waren nur einige wenige und flogen auch nicht besonders hoch. Noch wollten die Dämonen also nicht unbedingt von den Menschen bemerkt werden.

„Wir fliegen jetzt", sagte ich zu den beiden Kindern und breitete gleichzeitig wie sie die Flügel aus.

Ich verbreiterte die Feuerkuppel nochmal. Zusammen stiegen wir in die Luft, eine Ranke angelte nach uns, aber da wir einen Bogen beschrieben, erwischte sie uns nicht.

Weit genug von dem Kampfgeschehen entfernt, landete ich zusammen mit ihnen auf einer Lichtung im Wald, auf der bereits andere Engel waren, sich in Schutz brachten, versorgten und heilten oder einfach nur warteten.

Gleich als wir die Füße auf den Boden setzen, verschwand meine Feuerkugel und eine junge, braunhaarige Frau wandte sich von ihrem Gesprächspartner ab und lief auf die Kinder zu. Sie schloss das größere Mädchen weinend in die Arme.

„Ich bin ja so froh." Sie richtete sich auf, küsste das Gesicht des kleineren Mädchens und ich übergab sie ihr, die sie auf ihren Arm nahm und das größere Mädchen an sich drückte.

„Ich bin Euch so dankbar", sagte sie mit Tränen in den Augen und ich lächelte sie sanft an.
„Ich dachte schon weiß Gott was ist mit ihnen passiert."
„Der Junge hier hat sie beschützt und jetzt sind sie in Sicherheit, das ist alles, was zählt", sagte ich und die Frau nickte.

Ich bemerkte den Jungen, der sich auf der Lichtung umsah, er ging zu einem älteren Mann und fragte ihn etwas, aber der alte Mann schaute betreten weg.

Der Junge erstarrte und rannte im nächsten Moment in den Wald. Ohne lange zu zaudern folgte ich ihm. Der Kleine hatte ein ziemliches Tempo drauf, aber nach ein paar Sekunden hatte ich ihn eingeholt.

„Hier ist es gefährlich, Kleiner", rief ich und der Junge blieb stehen. Seine Schultern bebten, aber er weinte nicht. Er hatte die Hände zu Fäusten geballt, sein Kiefer angespannt und die Zähne fest aufeinander gebissen.

„Es ist mir vollkommen egal wie gefährlich es hier ist!", schrie er und drehte sich um. Er biss die Zähne fest zusammen.
„Es interessiert mich einen Scheiß, ob ich mich in Gefahr begebe."

Langsam trat ich auf ihn zu, die Hand leicht erhoben.
„Ich weiß zwar nicht genau was dich so wütend macht, aber ich kann es mir denken." Fast hatte ich ihn erreicht.

„Nein, nichts weißt du!", schrie er und stolperte, mich fest und zornig im Blick, ein paar Schritte zurück.

„Geht doch einfach zurück zu eurem schönen, tollen Hauptclan und hört auf euch jetzt wie Helden auszuführen, obwohl ihr uns damals und so oft im Stich gelassen habt."

Ich verharrte. Feuer, Blut und Rauch erschienen vor meinem inneren Auge. Schreie. Ich ließ meine Hand sinken.
„Es tut mir Leid, dass wir damals nicht alle retten konnten", flüsterte ich und erkannte meine eigene, raue Stimme fast nicht.
„Es war ein dunkler Tag."

Das Gesicht des Kleinen verzog sich, schmerzhaft, als würde er gleich all seine Verzweiflung aus sich raus lassen. Schreien. Weinen. Zusammenbrechen.

„Und auch heute konntet ihr mir nicht helfen, nicht alle beschützen." Die Spannung verließ meinen Körper, er fing an zu schluchzen und in zwei Schritten war ich bei ihm und zog ihn an mich, strich ihm beruhigend über seine Haare.

„Du hast Recht", sagte ich leise.
„Wir haben es nicht geschafft." Es dauerte etwas, bis sich der Junge wieder beruhigt hatte und er hielt auch wieder physisch Distanz, wenn auch nicht mehr so sehr.

Ich setzte mich auf einen Stein. „Weißt du, wir müssen alle kämpfen und unser Bestes geben, aber manchmal ist es nicht genug. Das heißt aber nicht, dass wir aufgeben sollten. Es ist vielmehr ein Grund noch stärken zu kämpfen, sich zu verbessern, um jene zu schützen, die wir lieben. Um alle schützen zu können, die jemanden lieben und geliebt werden."

Der Junge sah mich an.
„Glaubst du an deine eigenen Worte?", fragte er und ich sah wie wichtig ihm war, was ich ihm nun erzählte.

„Ich bin schon oft am Boden gelegen, habe Freunde sterben sehen, habe selbst getötet ohne Gewissen. Aber ich habe nie aufgegeben. Weil ich nicht konnte. Weil es bedeutet hätte, dass das Leben mich besiegt hätte. Und das konnte ich nicht zulassen. Nicht, wenn das hieß, dass durch meinen fehlenden Willen anderen, meiner Familie, ein Leid zustieß. Wenn es hieß, dass andere leiden mussten und sterben, weil ich nicht alles gegeben hatte. Könntest du das zulassen?", fragte ich ihn und er schien zu überlegen.

„Ich weiß nicht", sagte er dann. „Ich glaube nicht." Ich erhob mich und trat nah an ihn heran. Der Griff meines Dolches berührte sein Herz. Fest sah ich ihn an.

„Würdest du jemand anderem den Schmerz wünschen, den du jetzt spürt?", fragte ich ihn und beinahe erschrocken, aber jetzt auf jeden Fall aufmerksam, schüttelte er den Kopf.

„Erinnere dich an diesen Schmerz und denke daran, wenn du mutig bist, kämpst, und nicht aufgibst, dass du dann diesen Schmerz für eine Freundin, einen Bekannten oder auch für einen komplett Fremden verhindern kannst. Trauere jetzt, aber lass dich nicht fallen. Sei stark und kämpfe. Es liegt allein an dir."

Ich stieß ihn ein wenig von mir und trat an ihm vorbei den Rückweg an. Er folgte mir. Zurück auf der Lichtung, sie war schon gefüllter, kam ein Mann, als er den Jungen erblickte, angerannt und schloss ihn in eine Umarmung.

„Onkel", murmelte der Junge tränenerstickt und ich breitete die Flügel aus und flog zurück, über das Stück Waldstück, zu der Burg.

Während dem Flug drückte ich einmal auf den Ohrstöpsel.
Wie ist bei euch die Lage?, fragte ich und hörte es kurz knistern.

Ein Schnaufen. Bis einer antwortete: Bei uns ist es schon vorbei, meldete sich Divina.
Ein paar Verletzte, aber nichts Ernstes.

Gut. Kümmert euch um sie. Wir brauchen keine Hilfe, also wartet nur noch die Berichte der anderen ab.

Geht klar. Wieder knisterte es.

Keine Probleme bei uns, hörte ich Jeans Stimme, gefolgt von Katherines: Bei uns ebenso, Prinzchen.

Gut, tut, was Ihr könnt und bleibt in Bereitschaft. Wieder ein Schnaufen.

Caenen?, hörte ich. Fiona.
Die Dämonen sind sehr stark. Große Teile des Gebäudes sind abgebrannt. Wir sind zu wenige. Caenen?

Ich habe dich gehört. Divinas Gruppe wird zu euch stoßen.

Ja, danke, sagte sie eine Spur erleichtert und ich leitete es an Divina weiter, die die Anweisungen annahm. Nur noch Janon fehlte.

Janon?, fragte ich, doch die Leitung blieb stumm. Dann rauschte es, schweres Schnaufen war zu hören, Waffengeklirre und Gebrüll.

Wir sind mitten im Kampf, erklang seine verärgerte Stimme. Ich grinste.

Ein kleines Pläuschchen wird doch wohl noch drin sein, konnte ich mir nicht verkneifen. Ich konnte mir vorstellen, wie er die Augen verdrehte.

Also?, fragte ich ernster nach. Ein kurzes Schnaufen.
Wir sollten es ohne Hilfe schaffen.

Okay, sagt Bescheid, wenn ihr Hilfe braucht. Ich war erleichtert, dass es nirgendwo größere Schwierigkeiten gab.

Ich drückte wieder den Knopf und konzentrierte mich auf das Geschehen vor mir. Feuer waren nur noch vereinzelt zu sehen. Ich flog direkt in den zweiten Innenhof.

Letzte Krieger töteten Dämonen, Leichen lagen auf dem Boden, nicht nur Dämonen und ich wandte den Blick ab.

Jemand kam auf mich zugerannt, ein Krieger, mit Blut, Ruß und grünem Zeug verschmiert. Ich erkannte, dass es Ilias war.

„Caenan", sagte er und blieb vor mir stehen.
„Wir konnten weitestgehend alle Wehrlosen raus schaffen, die Dämonen sind auch am Ende und die Flüchtigen hat Lenus' Team alle verfolgt und zur Strecke gebracht." Ich roch beinahe das Aber.

„Aber im Keller hat sich das Höllenfeuer unkontrolliert ausgebreitet, es hat Futter gefunden und wir können es nicht löschen. Zwei Geflügelte sitzen unten fest." Ich fluchte. „

Zeig mir den Weg", wies ich ihn an und er rannte voraus, in den Bergfied und durch eine unscheinbare Tür nach unten.

Wir nahmen zwei Stufen auf einmal und schon bald schlug uns der Rauch entgegen. Wir husteten und ein jeder von uns nahm den Kragen seiner Jägerjacke und zog sie sich über Mund und Nase.

„Geh hoch", verlangte ich von ihm, aber er zögerte. Ich sah ihn streng an, seine Augen spiegelten Gefühle, Widerstand, aber schließlich tat er zum Glück, was ich sagte und ich hörte seine Schritte sich entfernen.

Ich stieg weiter die geschwungene Treppe hinab. Ein Deckenbalken stürzte ein und nur knapp konnte ich ausweichen, während ein Teil der Decke in der unteren Ecke des Kellers herunterbrach.

Bevor ich noch das Ende der Treppe erreichte, sah ich das rote Feuermeer auf dem Boden, Fässer und Holzregale standen in Brand und das Stroh am Boden brannte wie Zunder.

Der Keller war vollgestellt mit Bänken und Stühlen, die sie hier wohl lagerten, wenn sie niemand brauchte.

Das Atmen fiel mir schwer und ich erhöhte die Energie in meinem Körper, fühlte mich energiegeladener und der Schwindel trat zurück. Alles knirschte und knisterte.

Ich schoss einen Schwall grünen Feuers auf den Boden vor mir, das das Höllenfeuer vertrieb, ließ es erlöschen und sprang auf die freie Fläche.

Ich tastete die Auren ab und erkannte die zwei in der Ecke rechts von mir. Sie waren eng beeinander, ihre Auren ausschlagend vor Panik und Angst.

Ich schloss die Augen und verstärkte meine Energie in mir nochmal, zwang sie bis ans Äußerste, an die Grenze.

Dann öffnete ich die Augen und ließ mein Feuer frei, das rot wich grünen Flammen, alles ging in dem Feuer auf und es vertrieb das rote Höllenfeuer so schnell, es leckte über Boden, Wände, Decke, alles.

Ich hörte die zwei Seelen schreien und rannte zu ihnen hin, während das Feuer zusammen sackte und verschwand.

Die zwei lagen in der Ecke, hinter einem Kasten und einem herabgefallenen Deckenbalken.

Vermutlich hatten sie sich erschrocken, und sicherheitshalber sah ich sie nach Verbrennungen ab, aber in mir wusste ich, ich hatte sie nicht verbrannt, mein Feuer hatte sie nicht berührt. Tatsächlich sah ich keine derartigen, schweren Verletzungen auf den ersten Blick.

Ihre Gesichter und Kleider waren rußverschmiert, die Haut empfindlich gerötet von der Hitze, die hier herrschte, die Kleider an ein paar Stellen zerrissen.

Der hintere Junge war ohnmächtig. Seine Lider bewegten sich nicht, die Lippen leicht geöffnet, atmete.

Doch dann ... verschoben sich seine Gesichtszüge, die Lippen etwas voller, das Kinn weicher und die Stirn runder, die Nase etwas kleiner.

Seine Lider flatterten und ein Mädchen sah mich aus türkisen Augen an.

15

 

Ein wissendes Blitzen erschien in ihren Augen, bis ihr Blick leer wurde, ihre Augen verdrehten sich und sie fiel in Ohnmacht, ihr Kopf fiel auf die Seite.

Der Junge vor ihr schien nicht sehr verletzt. Die größte Angst schien auch gewichen, nachdem ich nun hier war.

„Es ist alles gut", wiederholte ich Worte, die ich heute schon oft gebraucht hatte.

„Die bösen Dämonen sind weg. Ich bringe euch zu euren Familien." Der Junge nickte tapfer, vielleicht spürte er, dass es nun wirklich vorbei war. 

„Kannst du stehen?", fragte ich ihn, als er wacklig auf die Beine kam. Er nickte, räusperte sich.
„Ja."

Sachte nahm ich das Mädchen auf meine Arme, ihr Kopf fiel auf meine Brust. Ihr Körper war lose wie der einer Puppe.
„Komm mit."

Ich trat über den Schutt hinweg, der Junge hinter mir. Mit bedächtigen Schritten stieg ich die Treppe hinauf. Ich hörte es hinter mir rumpeln und sah zurück.

Der Junge war gegen die Wand an der Treppe gefallen und schien sich zu sammeln. Ich streckte ihm meine verbliebene Hand entgegen, die er dann auch wortlos nahm.

Wir kamen höher und die Luft wurde klarer, nicht mehr voll mit Rauch. Wir durchquerten langsam und ohne Eile die Eingangshalle des Bergfrieds.

Der Junge konnte kaum gehen, fliegen ausgeschlossen, das Mädchen sowieso. Im Innenhof trat ich zu dem ersten Engel, der mir begegnete.

„Bring ihn bitte zur Sammelstelle", bat ich und der Krieger, einer aus einem Außenclan, nickte und hob ihn hoch. Dem Jungen fielen die Augen fast im gleichen Augenblick zu.

Zusammen hoben wir ab und flogen Richtung Lichtung.
„Ein Glück, dass es vorbei ist", sagte der Krieger.
„Ja, und ihr habt alle auch wirklich gut gekämpft", sagte ich.

„Durch Eure Führung konnten wir so viele retten." Das Gesicht des weinenden Jungen kam mir in den Sinn. Das Chaos vor fünf Jahren.

„Aber nicht alle", sagte ich schwer und der Krieger schwieg.
„Doch mehr, als es ohne Euch der Fall gewesen wäre. Alle, die es möglich war zu retten."
„Woher willst du das wissen?", fragte ich ihn und er lächelte.
„Weil ich an Euch glaube."

Die Worte waren aufbauend, wenn ich auch nicht ganz an ihnen glauben konnte.

Wir landeten auf der Wiese, der Krieger ging direkt auf einen anderen Geflügelten zu, eine Frau und legte den Jungen vorsichtig auf den Boden, genau wie ich gerade, der langsam den Körper des Mädchens auf das Gras bettete.

Mit meiner nun viel stärkeren Energie fiel mir nun auch die Heilmagie leichter und ich ließ in der Luft meine Hände über ihren Körper gleiten.

Kleine Schürfwunden, gerötete Haut, einen verstauchten Knöchel, die schnell heilten. Noch schien sie schwach, aber auch ihre Energie, die noch kritisch, aber nicht lebensgefährlich gering war, würde sich erholen.

Ich legte sachte eine Hand auf ihre Stirn, um zu messen, ob sie fieberte. Schien nicht so, nur ihr Körper schwitze, es war kalter Schweiß und sie zitterte leicht. Der Temperaturunterschied war vielleicht zu stark und plötzlich.

Da wurde es mir schwarz vor den Augen, ich blinzelte und vertrieb die Schwärze, die mir die Sicht raubte und nahm die Hand von der Stirn des Mädchens.

Es hatte sich angefühlt, als würde mir Energie entsogen. War ich schon derart erschöpft? Das konnte mit meiner neuen Energie eigentlich gar nicht sein.

Ich betrachtete das Mädchen genauer. Hatte sie ...? Aber wie sollte sie? Von etwas derartigem hatte ich noch nie gehört.

In einem neuen Versuch legte ich erneut leicht eine Hand auf ihre Haut, diesmal ihren Arm und wieder setzte, ganz leicht, ein kleiner Sog ein, der mich etwas, nur minimal diesmal, schwächeln ließ, bis es nach ein paar Sekunden meine Wahrnehmung nicht mehr beeinflusste.

Ich spürte, dass sich ihre Energie erholte, schneller, als ich es je für möglich gehalten hätte. Sie nahm von mir, was sie kriegen konnte, in kleinen Schlucken aber nur. Faszinierend.

Sie war schon nicht mehr in einem kritischen Bereich, ich nahm die Kleine wieder auf meine Arme und trat zu ein paar Geflügelten, die wohl die Heiler waren, ihren starken Auren zufolge.

„Könnt ihr euch um sie kümmern?", fragte ich sie und eine Frau nahm sich ihrer an, checkte sie ab, doch wie zu erwarten fand sie nichts.

Das Mädchen lag im Gras, den Kopf auf dem Schoß der Frau, die der Bewusstlosen mit einem warmen Lächeln eine blonde Strähne aus dem Gesicht strich.

„Sie wird auf jeden Fall wieder", sagte die Frau und sah zu mir hoch.
„Ist sie einer Eurer Clanleute?", fragte die Frau und ich schüttelte entsetzt den Kopf. Niemals würden wir solch kleine Kinder in einen Kampf schicken.

„Nein, ich habe sie in der Burg gefunden", antwortete ich und die Frau nickte verstehend, während aber der Mann neben ihr die Stirn runzelte.

Ich dachte mir nichts dabei und machte eine Runde durch die Leute, fragte nach, ob es allen gut ging und sie Hilfe benötigten.

Sie lehnten ab, wir hatten gute Personalkräfte, die wussten, was sie taten und bestens vorbereitet waren. Vermutlich würde ich ihnen nur im Weg stehen. Das dachten sie wohl auch, auch wenn es niemand direkt aussprach.

Nach meinem Rundgang, ging ich etwas abseits und drückte den Knopf am Ohrstöpsel.

Wie sieht es bei euch aus?, fragte ich und hörte das gewohnte Knistern.

Die Lage bei uns hat sich entspannt, ertönte Janons Stimme.
Wir konnten die meisten retten. Die meisten. Wie bei uns.
In Ordnung. Fiona?, fragte ich nach und nach ein paar Sekunden erklang eine weibliche Stimme. Aber nicht Fionas.

Wir ... haben getan, was wir konnten, aber es haben nicht alle geschafft. Die Verletzten behandeln wir noch. Es wird eine Weile dauern, bis sie transportfähig sind, erklärte Divina, Trauer in ihrer Stimme.

Wie viele?, wollte ich wissen und einen Moment blieb es still.
23.
23. So viele Tote. Ich atmete tief durch.

Braucht ihr Unterstützung?
Keine Krieger mehr, der Kampf ist vorbei. Aber fähige Heiler wären nicht schlecht.
Ich schicke euch die fähigsten.
Danke.
Nichts zu danken.

Die Leitung wurde still. Jean?, kontaktierte ich ihn und sofort antwortete er mit einem Ja?
Ihr habt ein paar sehr gute Heiler in der Gruppe und seid am nächsten zu Fiona. Falls bei euch alles erledigt ist, schick sie zu ihr in den Außenclan in Schottland.

Wird gemacht, folgte die Antwort.
Ach ja, und könntest du ihr und Fiona sagen, dass sie es nicht zu sehr zu Herzen nehmen sollen. Sie haben es gut gemacht. Der Rest von eurer Gruppe kann zurück. Nehmt alle mit. Wir lassen niemanden zurück.

Ihr habt das auch gut gemacht. Ich dachte anfangs Ihr wärt so ein nutzloser Adeliger, aber Ihr seid wirklich ein Anführer. Verdient. Seine Worte hallten noch in meinem Kopf nach. Sie bedeuteten mir viel, von einem so starken Anführer eines Clans, der sich nicht vor Arbeit scheute und seinen Leuten nah war.
Danke, sagte ich und drückte erneut den Knopf.

Ich drehte mich zu den Leuten um. Noch kleinere Lichter leuchteten, die heilten, aber bei uns war es ebenfalls geschafft.

Zwei Krieger landeten gerade auf der Wiese. Es waren Lenus und Clara. Ich wandte mich ihnen zu.

„Die Burg ist sauber", berichtete Lenus.
„Wir konnten auch den letzten Dämon finden und ausmerzen." Ich nickte.
„Sehr gut. Es sollen sich alle hier versammeln. Nachdem alle ausreichend fit und bei Kräften sind, werden wir zum Hauptclan aufbrechen."

Lenus sah mich einen Augenblick stumm an, dann wandte er sich ab und gesellte sich zu einer kleinen Gruppe.

Ich blickte in den Himmel. Er war klar und nur wenige Wolken verdeckten das Antlitz der Sterne.

Was würde mein Vater nun sagen, wenn er wüsste, wie die Situation war? Wie viele Verluste wir erlitten hatten, ohne dass ich direkt anwesend sein konnte, um mir diese direkt anzusehen? Doch auch so wog die Schuld nicht leichter. Diese eine Zahl, gesprochen durch ein Headset in einer Sekunde, verursachte dieses nagende Gefühl im Magen. Schürte das Verlangen nach Vergeltung.

„Caenan", wurde ich aus meinen Gedanken gerissen und ich drehte mich um. Die Heilerin von vorhin stand hinter mir.
„Alle sind weitestgehend stabil und sollten in der Lage sein die Reise zu überstehen."

Ich nickte, wandte mich allen zu und sprach laut: „Ihr habt es vermutlich mitgekriegt. Wir brechen zum Hauptclan auf, genauso wie alle anderen Geretteten und Krieger der anderen Außenclans. Wir versammeln uns im Hauptclan. Somit leiten wir direkt auch schon die erste Phase unserer Sicherheitsvorkehrungen für das Kommende ein, das die Versammlung aller Westeuropäischen Könige beschlossen hat und ich weiß, dass ihr alle es lieber vermieden hättet."

Ich sah in die Gesichter aller. Gespannt, wut- und schmerzverzerrt. Ängstlich. Verständlich, niemand wollte, nach dem Kampf hier und jetzt gleich an die nächste Schlacht denken.

„Es ist das, was wir niemanden in unseren Familien antun wollen. Aber wir sind, was wir sind und wir sollten stolz darauf sein. Die große Schlacht werden wir gewinnen."

Die Krieger, Heiler und alle Geflügelte sahen mich an. Manche geschockt, andere mit einem verbissenen Gesichtsausdruck.

Dann jedoch jubelten und klatschten die Krieger, sie schienen nicht mehr so angespannt und die Erleichterung darüber, dass dieser Kampf vorbei und wir gesiegt hatten, aber auch die Erwartung eines nächsten Kampfes klang in den Jubel mit.

Auch mich berührte ihre Stimmung, sie sagte mir, dass ich nicht alles falsch gemacht hatte. Solche Zweifel durfte ich mir nicht leisten, sowieso als Anführer, aber was sagte es über mich aus, dass sie mich dennoch befielen?

Ilias stand plötzlich neben mir, ein Lächeln im Gesicht. Vielleicht hatte ich nicht alles falsch gemacht.

___

Die Leute hatten zusammen gefunden. Die Familien, Freunde, wie ich sah blieb niemand allein zurück und das stimmte mich etwas fröhlicher.

„Es sind alle bereit", sagte Ilias und ich drehte mich zu ihm. Sein Gesicht war zum Himmel gedreht, er betrachtete die Sterne.

„Ich danke dir", sagte ich und tat es ihm gleich, auch wenn ich spürte, dass er mich musterte.
„Wofür?"
„Weil du an meiner Seite gekämpft hast." Er schwieg einen Augenblick.
„Natürlich kämpfe ich an deiner Seite, wenn du mich fragst. Du bist immerhin der Prinz."

Ich lächelte, auch wenn es eher ein frustriertes und unzufriedenes Lächeln war.
„Ja, der Prinz", spöttisch kamen mir diese Worte über die Zunge.
„Das ist wohl meine Rolle."
„Du scheinst nicht sehr zufrieden damit", meinte er.
„Nein. Es ist einfach nur unnötig."

„Von unserer monarchischen Struktur hälst du also nicht viel?"
„Es ist eher ... Ich weiß, dass es in unserer Welt zentrale Anführer der Länder braucht, aber wieso plustern sie sich so auf? Sie sind nicht tapferer oder besser, als andere Krieger. Es gäbe bessere als mich. Das alles ist ..."

„Eine Last." Ilias nickte.
„Ich sehe die Verantwortung, die du nun trägst und die, die du eines Tages tragen wirst. Aber du bist, was ich bis jetzt gesehen habe, zu Recht ein Anführer, wenn ich mir Vergleiche ansehe. Du bist nah an deinen Kampfgefährten, beziehst sie mit ein und was ich gesehen habe, sind dir ihre aller Leben wichtig. Deshalb vertrauen die Krieger sie dir auch an."

Leicht berührte ich ihn am Arm, aus Reflex oder sonst wie und ein Kribbeln überlief meine Haut. Es war das zweite Mal, dass ich ihn berührte, aber es war ganz anders. Mit aller Kraft drängte ich diese dämlichen Gedanken zurück.

„Ich hoffe ich werde euch in euren Erwartungen und in eurem Vertrauen nicht enttäuschen." Er nickte, seine blauen Augen wirken in der Dunkelheit fast schwarz.

Ich wollte gerade nachfragen, was der wirkliche Grund für ihren Umzug nach England war, da es mich doch neugierig machte, doch davor hörte ich jemanden hinter mich sagen: „Entschuldigt."

Ich drehte mich um und erblickte die Heilerin. Sie trug das Mädchen aus dem Keller auf den Armen.

„Entschuldigt die Störung ..." Ich winkte nur ab und sie sprach weiter: „Familien und Freunde des Außenclans haben zusammen gefunden, aber dabei ist uns aufgefallen, dass das Mädchen hier niemand vermisst. Ich habe nachgefragt. Die Mitglieder dieses Clans sagen sie hätten dieses Mädchen noch nie in ihrem Leben gesehen."

Ich betrachtete das ruhige, schlafende Gesicht des Mädchens und erinnerte mich an den Energiestrom, den sie anwenden konnte.

Ihre blonden, halblangen Haare waren an einigen Stellen rußverschmiert, ihr Brustkorb hob und senkte sich langsam, sie sah nicht danach aus, als wollte sie so schnell wieder aufwachen.

„Wir nehmen sie erst mal mit wie alle anderen. Ich sagte doch, dass niemand zurück bleibt." Die Frau nickte, dann sah sie aber betreten weg.

„Es ist nur, der Flug ist lang und mit den Nephilim haben wir schon mehr als genug Flugunfähige." Und da dachte sie sich ein Mädchen, das niemand vermissen würde, wäre am leichtesten weiterzureichen?

„Tut alles, was ihr könnt. Niemand, absolut niemand bleibt zurück. Auch die Nichtheiler und Nichtkrieger sollen helfen. Sag das im Lager durch. Jeder, der kräftig genug ist, soll anpacken." Die Frau nickte.

„Da sie niemand kennt ...", sagte sie. Hätte sie sie wirklich im Ernstfall zurück gelassen? Skeptisch sah ich sie an, was sie bemerkte und sagte schnell: „Natürlich will ich sie auch nicht hierlassen und sie scheint nur ein Mädchen zu sein, aber trotzdem ..." Da verstand ich. Ich legte eine Hand auf ihre Schulter.

Sie wollte nicht verantwortlich gemacht werden, sollte wirklich etwas sein, das Mädchen zum Beispiel eine Verräterin, die aus einem ihrer Clane geflohen war.

Doch wäre das so und sie vielleicht eine wichtige Person jener Clane, durften wir sie erst recht nicht zurücklassen.

Für die Heilerin könnte ein Fehler weitreichende Folgen haben, aber sollte ich durch meine Handlungen nun etwas falsch machen, könnte man mich durch meine Position kaum belangen.

„Ich kümmere mich um sie", sagte ich und ich konnte die Erleichterung der Heilerin beinahe körperlich spüren. Ich nahm ihr das Mädchen ab. „Danke."

Die Heilerin kehrte zu ihren Kollegen zurück, sie alle trugen bewusstlose und schwache Kinder und Erwachsene. Auch andere halfen mit. Eltern ihre Kinder und sollten die Eltern es nicht schaffen, halfen die anderen Clanmitglieder.

Ich trat in die Mitte der Lichtung. Ilias blieb an meiner Seite.

„Wir brechen auf. Schaut nochmal, ob ihr nichts zurück gelassen habt. Wir dürfen wie immer keine Spuren hinterlassen."

Ich stellte mich nach ganz vorne. Und wir alle breiteten unsere Flügel aus und hoben ab.

Die Formation diesmal war größer, als für mich alle bisherigen. Die Krieger hatten durchgezählt. Zu unseren 34 Kriegern waren nochmal 28 Geflügelte und Nephilim des Außenclans dazugestoßen, die wir unterstützen und retten konnten.

Leider ... konnten wir sieben Leute nicht retten. Niemand wurde vermisst.

Ich schlug ein langsames Tempo an, um die Schwachen und auch uns alle, die wir erschöpft waren, nicht zu überfordern.

Rechts neben mir flog Ilias. Lenus links und es überraschte mich wie schnell, nach nur zwei Tagen ihres öffentlichen Eintretens in den Clan, sie es geschafft hatten, dass sie mir so nah kamen und mein Vertrauen im Kampf errungen hatten.

Der Sog meiner Energie wurde kleiner und versiegte dann komplett. Das Mädchen bewegte ihre Hand an meiner Brust und seufzte wohlig. Wer war sie nur?

16

 

Der Krankenflügel bekam viel zu tun. Zwar gab es keine tödlichen Verletzungen mehr, die hatten die Geflügelten auf der Lichtung bereits mit der heilenden Magie verschwinden lassen, aber nach wie vor gab es Verletzte. Die restlichen, erschöpften Mitglieder des Außenclan bekamen ihre Zimmer zugewiesen und konnten sich erholen.

Ich brachte das Mädchen in eines der freien Zimmer im zweiten Stock. Sie war noch immer nicht aufgewacht. Ich wachte ein paar Minuten an ihrem Bett und dachte nach. Aber viel brachte es mir nicht. Nur die Ereignisse der letzten Stunden tanzten vor meinem inneren Auge, die Qualen, aber auch die Freude in den Augen der Eltern und Freunde, als sie ihre Gebliebten in ihre Arme schlossen.

Ohne mit meinen Überlegungen weiter gekommen zu sein, stand ich vom Stuhl auf und gerade kam eine junge Frau durch die Tür. Sie hatte lange, schwarze Locken und lächelte mich freundlich an.
„Ich wollte das Mädchen nochmal untersuchen", sagte sie und knickste vor mir. Ich ersparte mir ihr zu erklären, dass das nicht nötig war und deutete mit der Hand zu dem Mädchen. Sie machte sich gleich an die Arbeit und ich machte mich schnell aus dem Staub.

Draußen stieß ich beinahe mit jemandem zusammen, kein Wunder bei den vielen Leuten hier. Es war Divina. Ihre Augen glitzerten, aber statt mich wohl zu umarmen, vor den Augen der ganzen Leute hier, zog sie mich einfach an der Hand den Gang entlang.

Durch eine Tür kamen wir auf einen der Balkone, auf dem sie mich dann umarmte.
„Unser Prinz ist wohl ganz schön beliebt", erklang eine Stimme, Divina ließ mich sofort los und ich drehte mich zu Fiona um, die lächelte. Ich strich verlegen durch meine Haare.

„Hallo, Caenen." Ich hätte mir ja denken können, wenn Divina hier war, die Fiona mit ihrer Gruppe geholfen hatte, musste Fiona auch hier sein.

„Hallo, Fiona." Sie stand mit verschränkten Armen an der Wand.
„Es ist gut euch zu sehen. Ich wollte schon schauen, ob alle Gruppen gut ankommen und angekommen sind." Fionas Gesicht wurde etwas ernster und auch Divina strahlte eine gewisse Niedergeschlagenheit aus.

„Ja. Die, die wir retten konnten, sollten es alle schaffen." Ich nickte ernst.
„Ihr habt getan, was ihr konntet", sagte ich und Fiona seufzte.
„Ja aber ...", ihr Blick wanderte kurz zu Divina und es schien sie zu hemmen, das zu sagen, was sie wollte.
„Divina, könntest du ..." Sie verdrehte nur leicht die Augen und sagte:

„Nachher muss ich dir noch etwas berichten." Sie sagte es so ernst, gewohnt war ich das von ihr keineswegs. Sie ging an mir vorbei, wieder hinein und hörte sie noch ein fröhliches Lied summen, bevor die Tür sich ganz hinter ihr schloss.

Fragend sah ich Fiona an.
„Ich kann mich nur immer noch nicht daran gewöhnen, dass Leute sterben", sagte sie und ich sah ihr an wie fertig es sie machte.

Sie fühlte eine tiefe Verbundenheit mit ihren Kampfgefährten, hatte ein großes Herz. Sie konnte das Zögern anderer, das Leben kostete, nicht mitansehen und nahm dann lieber selbst die Zügel in die Hand. Bei ihr wusste ich, würde ich falsche Entscheidungen treffen, würde sie nicht tatenlos zusehen, sondern mir mal erst ordentlich den Kopf waschen.

Egal wer ich war, ob ich nun ein Prinz war oder nicht. Sie gab mir das Gefühl, nicht ein privilegierter Diktator zu sein, sondern ein Kampfgefährte, und sie würde mich nicht unterstützen, wenn ich so eine Person wäre. Niemals würde sie ein Blatt vor den Mund nehmen, vor meinem Vater sprang sie nicht, musste sie einem Befehl gehorchen, tat sie es meist mit zusammengebissenen Zähnen. Sie fand dieses alberene soziale System genauso blödsinnig. Leistungen, Fähigkeiten und Wille sollten zählen, nicht die Abstammung.

„Ich auch nicht", sagte ich und das Bild der toten Körper der Gefallenen erschien kurz vor mir.
„Wir sollten für sie eine kleine Trauerzeremonie abhalten", schlug ich vor.
„Auch wenn wir ihre Körper nicht in einer Zeremonie verbrennen konnten, sollten wir die Gefühle der anderen nicht außer Acht lassen."
„Ja, tut das", sagte sie.
„Es wird sie wissen lassen, dass ihr an sie denkt."
„Ja", meinte ich leise.

Leicht schüttelte sie den Kopf, als müsse sie sich von trüben Gedanken lösen. Ich konnte sie verstehen. Ich nahm meine Zigarettenpackung aus der Hosentasche und holte eine raus.
„Willst du auch eine?"

Fiona streckte fordernd die Hand aus und ich schmiss ihr die Packung hin, die sie auffing. Ich zündete meine an, sie ihre und während sie nun, sichtlich entspannter, den Rauch ausatmete, fragte sie: „Was ist jetzt eigentlich bei der Versammlung rausgekommen?"

Ich lehnte mich zurück. Natürlich hatte sie noch niemand informiert. Natürlich.
„Es gibt zwei wichtige Dinge. Zum einen ist die Lage sehr ernst und damit meine ich nicht, dass ein paar Dämonen mehr unsere Clans angreifen."

Ich stockte, unsicher, ob ich ihr die ganze Tragweite anvertrauen sollte, aber ihr Blick bestätigte mir, dass ich sie nicht außen vor lassen konnte.
„Im schlimmsten Fall soll vom Jüngsten Gericht die Rede sein." Fiona wurde blass, wenn auch sonst nichts auf ihre Gefühle hindeutete.

„In Westeuropa ist die Lage am Schlimmsten. In allen Ländern kamen gleiche Schlachten vor, mit einem hohen Dämon, der von niemanden besiegt wurde. Es ist sicher, dass es die Könige der Unterwelt waren."

„Die Könige der Unterwelt", wiederholte sie flüsternd. Dann riss sie die Augen auf.
„Soll das heißen wir haben gegen den Schattenkönig gekämpft?"
Ich nickte.

„In vielen anderen Ländern geschah dasselbe mit den Kindern dieser Dämonenkönige. Unsere Könige gehen davon aus, dass es zu einer großen Schlacht kommen wird. Vermutlich irgendwo in Westeuropa, da sie uns hier am meisten geschwächt haben. Die Sicherheitsvorkehrungen wurden eingeleitet, sie wollten die Außenclans zum Hauptclan holen. Durch die Angriffe heute war das sowieso nötig."

„Was denkst du, was uns erwartet?", fragte sie. Sie saß am Geländer gelehnt, die Arme hinten an der Brüstung abgestürzt.

„Es wird nicht einfach. Derzeit sind wir sehr geschwächt, fast alle Königsfamilien sind wieder abgereist, als ihre Clanmitglieder die Angriffe auf die Außenclane meldeten." Abwartend verzog sie keine Miene.

„Ganz ehrlich? Ich weiß nicht was geschehen wird." Sie atmete schwer aus und sah zu Boden.
„Dann können wir also nur noch abwarten." Sie sah wieder hoch und in dieser Bewegung schwang sie ihre dunkelbraunen Haare zurück.

„Was ist das zweite?", wollte sie wissen und ihr Blick brannte sich schon fast in mich hinein.

„Artefakte", begann ich. „Außerhalb der Versammlung und Janon weiß es niemand, also bitte behalte das, was ich dir zu erzählen habe, für dich." Sie nickte, aber damit war ich noch nicht zufrieden. Sie verdrehte die Augen.
„Ja, gut. Ich verspreche es."

Ich begnügte mich damit und sprach weiter: „Du hast vielleicht den Ring bemerkt, den ich immer trug. Er war ein Geschenk meiner Mutter, bevor sie verschwand. Was ich bis vor kurzem nicht wusste, war, dass er eine mächtige Fähigkeit besaß. Er konnte die Energie eines Engels oder eines Dämones entweder unterdrücken, oder verstärken. Für mich wurde er fürs erstere eingesetzt." Ich verstummte und sie runzelte die Stirn.
„Wieso?", fragte sie nach, aber ich brachte es nicht über mich ihr davon zu erzählen. Zumindest noch nicht.

„Ich hatte als Kind ... meine Energie nicht wirklich unter Kontrolle und der Ring half mir bei diesem Problem. Jedenfalls hatte es ein Dämon, der Sohn Beelzebubs, auf meinen Ring abgesehen und konnte ihn in seinen Besitz bringen. Vermutlich wollen sie seine Macht nutzen, um im Vorteil zu sein. Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass sie noch mehr dieser Artefakte aufzutreiben versuchen."

Sichtlich musste die das erst mal sacken lassen und fragte dann: „Was wollt ihr also dagegen unternehmen?"
„Ganz einfach", sagte ich und lächelte leicht.
„Wir finden sie vor ihnen."

„Ich komme mit", bestimmte sie und abwartend sah ich sie an.
„Ich möchte diesen Dämonen endlich einen Schritt voraus sein."
„Die Mission ist geheim", sagte ich.
„Eigentlich hätte ich dir gar nicht davon erzählen dürfen."
„Das ist mir egal", sagte sie.
„Wenn es bedeutet, dass wir endlich etwas dagegen unternehmen können wie Spielfiguren von den Dämonen herumgeschubst zu werden, ich bin dabei."

„Nur Clanmitglieder aus allen Ländern mit der stärksten Energie und Erfahrung werden im Team sein." Trotzig hob sie das Kinn.

„Was willst du damit sagen, Caenan?", fragte sie drohend und ihr Selbstbewusstsein ließ mich schmunzeln.
„Vielleicht kann ich es arrangieren, dass du dabei bist."

___

Der Älteste antwortete nicht. Wieder klopfte ich an seine Tür, die alte Holztür schwang von alleine ein Stück auf und unsicher, ob ich eintreten sollte, sah ich durch den Spalt in die Dunkelheit.

Schließlich schob ich die Tür weiter auf und rief, während ich eintrat: „Ältester, seid Ihr da?"

Wieder kam keine Antwort und ich sah mich im Raum um. Der weiße, flauschige Teppich, Holzwände und wenige Regale und Schränke. Keine Stühle, Tische oder gar ein Bett. Es war aufgeräumt, gemütlich mit den wenigen Dingen, die aber so an Betrachtungswert gewannen.

Ich trat zu der Vitrine hin. Dahinter lagen farbige Kristalle, ungeschliffen und daumengroß. Sie schienen eine Anziehungskraft auf mich auszuüben.

„Caenen!", hörte ich plötzlich und zog die Hand zurück, die ich unbewusst nach den kleinen Steinen ausgestreckt hatte. Ich drehte mich um. Der Älteste stand in der Tür, das Gesicht streng, aber nicht unfreundlich. Er wirkte angespannt.

„Du bist sicher wegen dem Training hier", meinte er aber ich schüttelte den Kopf.

„Nein, ich bin ehrlich gesagt wegen zwei Dingen hier. Zum einen deswegen." Ich trat näher zu ihm heran und zog den kleinen Ring aus meiner Hosentasche.

Neugierig kam der Älteste näher und betrachtete den kleinen Gegenstand. Er nahm ihn in die Hand, runzelte die Stirn, fühlte sicher den Energiewellen nach, die zumindest ich und Janon nicht wahrnehmen konnten. Der Älteste beendete seine Untersuchung achselzuckend.

„Es scheint ein ganz gewöhnlicher Ring zu sein", meinte er und legte ihn zurück in meine Handfläche.
„Seid Ihr Euch da sicher? Es ist nichts Ungewöhnliches daran?", fragte ich sicherheitshalber nach und er antwortete knapp: „Nein. Zumindest nicht soweit ich feststellen kann. Wo habt Ihr ihn überhaupt her, Junge?"

„Ein Helfer und Händler für magische Amulette schenkte ihn mir." Skeptisch verzog er den Mund.

„Er dürfte keine Gefahr darstellen, aber auch keinen Nutzen bringen. Trotzdem solltet Ihr vorsichtig damit umgehen. Sollte es ein Objekt erschaffen von den Maere sein, können auch wir nicht alles daran bemerken." Ich nickte.

„Danke, Ältester."
„War das alles?", fragte er und schien es seltsam eilig zu haben.
„Nein. Vermutlich seid Ihr noch nicht über die Ergebnisse der Versammlung informiert. Da der Schattendämon meinen Ring entwendet hat, glauben wir, dass die Dämonen auf der Suche nach noch mehr magischen Artefakten sind, um eine kommende, große Schlacht für sich zu entscheiden. Wir stellen ein Team zusammen, um die Artefakte vor ihnen zu finden und wollten als erstes versuchen meinen Ring zu finden und zurückzuholen. Mit Suchamuletten sollte es doch möglich sein."

„Das stimmt", sagte er, „aber Ihr seid geistig noch nicht dazu in der Lage. Ich kann Euch dabei helfen, aber es wird ein langwieriges und kräftezehrendes Unterfangen. Es birgt ein paar Risiken. Wollt Ihr es trotzdem versuchen?"
„Ich tue alles, um die Dämonen zu schwächen." Und es ihnen heimzuzahlen, dachte ich mir.

Der Älteste nickte. „Na gut. Finde dich morgen Nachmittag im ersten Einzelträningsraum ein. Ich warte dort auf dich." Ich verbeugte mich vor ihm.
„Ich danke Euch."
„Schon gut. Und jetzt raus, Junge! Ich habe noch etwas zu erledigen."

Ich ließ ihn alleine und schloss hinter mir die Holztür. Die Sterne strahlten herab, es war eine Nacht mit magischer Atmosphäre, wenn ich es näher bemerkt hätte, doch aus meinem Kopf wollte nicht das seltsame Verhalten des Ältesten gehen.

___

Es dämmerte bereits, als ich in meinem Zimmer ankam. Es lohnte sich kaum noch heute zu schlafen, auch wenn ich totmüde war. Ich kehrte direkt um und machte mich auf den Weg in die Küche.

Alle Lichter waren im Haus erloschen, aber ich fand den Weg blind. Im Erdgeschoss war es gespenstisch ruhig. Ich hörte nur ein paar Stimmen aus der Richtung eines der Salons, hatte aber nicht die Absicht ihnen Gesellschaft zu leisten.

Ich erkannte die Stimme meines Vaters unter ihnen. Seit meiner Rückkehr hatte er noch kein Wort mit mir gewechselt, aber ich zuckte darüber nur mit den Schultern.

Ich machte mich weiter auf den Weg in den großen, leeren Speisesaal, durchquerte ihn, ging hinter den Tresen und betrat die Küche.

Der Kühlschrank summte beständig und ich ging hin und öffnete ihn. Das Licht strahlte mich an und blendete mich einen Moment. Meine Augen schlossen sich von alleine und ich riss sie auf. Fast wäre ich eingenickt.

Etwas beunruhigt von meiner Schwäche durchsuchte ich das Innere und nahm schließlich etwas, das aussah wie Auflauf.

Mit einer Gabel bewaffnet, setzte ich mich an die Arbeitsplatte der Küche und nahm den ersten Bissen.

Sofort stellte sich Übelkeit ein und ich beeilte mich zum Waschbecken, bevor ich alles ausspuckte und würgen musste. Mit zitternden Händen drehte ich den Wasserhahn auf und spülte mir den Mund aus. Was war nur los mit mir? Wurde ich krank?

Ich gab es auf jetzt noch etwas essen zu wollen, schon allein wenn ich den Auflauf ansah, stellte sich wieder Übelkeit ein. Ich stellte die Gabel und die Form ins Spülbecken, dann machte ich mich auf den Weg zurück zu meinem Zimmer.

Alles drehte sich, ich hielt mich an dem Türrahmen fest und kniff die Augen zusammen.

Einmal atmete ich durch, bis sich meine Sicht etwas klarte, setzte einen Fuß vor den anderen und schaffte es gerade so durch die Eingangshalle, nach den ersten Treppenstufen brach mein Kreislauf zusammen, ich sah nichts mehr, fühlte kaum, wie ich mich mit den Armen vor einem Sturz auffing.

Ich zog die Knie an meinen Körper, den Kopf vergraben und atmete durch. Ich wartete und hoffte, dass es besser wurde, aber nichts stellte sich ein.

Leicht panisch versuchte ich mich am Geländer wieder auf die Beine zu ziehen, doch meine Finger hatten keine Kraft. Es blieb beim Versuch und ich knallte mit dem Allerwertesten zurück auf die Treppenstufe.

Schwindel erfasste mich, schien die bis dahin noch logischen Gedanken wegzuspülen ...

... ich kam wieder zu mir und brauchte einen Moment, um zu realisieren, wo ich war.

Die Konturen der Treppe waren unscharf im diffusen Licht der Dämmerung. Viel Zeit konnte also nicht vergangen sein.

Ich umgriff das Geländer und stellte fest, dass es mir gelang und es mir etwas besser ging.

Vorsichtig stand ich auf, verharrte einen Moment, bevor ich die Treppen hoch stieg.

Der Weg kam mir beängstigend lang vor, aber ich schaffte es in mein Zimmer, schloss die Tür und setzte mich mit langsamen Bewegungen auf das Bett.

Ich hatte mich heute nur übernommen, dachte ich, bevor ich mich zurück legte und die Augen schloss. Das wird alles wieder.

___

Ein beharrliches Klopfen an der Tür weckte mich und als ich mich leicht bewegte, schmerzte alles.
„Caenen! Du kommst zu spät zur Schule", rief eine Mädchenstimme, die ich Divina zuordnete.

Wieder klopfte es und ich drehte mich, musste die Zähne zusammen beißen, um nicht aufzuschreien.
„Divina", sagte ich und erkannte meine eigene Stimme kaum mehr. Flüsternd, heiser. Kaum zu hören.

„Caenen, bitte antworte", ertönte ihre nochmal. Ich räusperte mich und wollte sprechen, aber nichts kam raus. Mein Hals fühlte sich geschwollen. Das Atmen fiel mir schwer. Verdammt, ich bin krank.

„Ich komm jetzt rein, Caenen", warnte Vina mich ein wenig hysterisch vor und wenig später hatte sie die Tür aufgebrochen.

Das helle Licht blendete mich. Als sie mich so sah, erstarrte sie erst, kam dann aber mit schnellen Schritten auf mich zu und setzte sich an die Bettkante. Sie fühlte meine Stirn.

„Man, dich hats erwischt", sagte sie, „du glühst wie ein Feuerball." Ich lächelte leicht.
„So heiß bin ich doch gar nicht", sagte ich und sie verdrehte nur die Augen.
„Dir muss es echt schlecht gehen, wenn du Witze reißen kannst", meinte sie sarkastisch, strich aber dann sanft eine verschwitzte Strähne aus meiner Stirn und trommelte nachdenklich mit den Fingernägeln auf die Bettdecke.

Komischerweise hat mein Hals beim sprechen diesmal nicht weh getan. Halluzinierte ich schon? Aber sie hatte doch geantwortet, oder? Vina stand wieder auf, deckte mich zu, sodass nur noch mein Kopf raus schaute.
„Ich komm gleich wieder. Hole nur einen Heiler." Ich bekam noch mit wie sie aus dem Zimmer verschwand, dann driftete ich weg.

___

Elena!, war mein erster Gedanke, als es mich aus dem Schlaf riss. Ich musste sie beschützen, es war zu spät, hatte verschlafen, ich konnte sie nicht mehr abholen und zur Schule bringen. Was, wenn ihr etwas passiert war?

„Hey", hörte ich sachte und wie mir jemand über die Wange strich. „Ganz ruhig."
Etwas Kaltes legte sich auf meine Stirn, es war erfrischend, aber es konnte das glühende Feuer in meinem Körper nicht aufhalten. Es fühlte sich an, als würde ich bei lebendigem Leib verbrennen.

„So geht das nicht."
Ich spürte, wie ich hochgehoben und getragen wurde, dann ließ man mich nieder. Eiskalt schlug es über mir ein, es war, als würde brennende Kohle in einen Eisteich geworfen, alles in mir zog sich zusammen. Doch mein Körper überwand den ersten Schock. Die Kälte drang von außen nach innen, löschte die Flammen, doch ließ alles schmerzen vor Frost und wurde taub.

 

17

 

Als ich erwachte, verfärbte sich der Himmel dunkel. Mein Kopf war zum Fenster gedreht und es war das erste, das ich wahrnahm. Das zweite war die mächtige Aura neben mir.

Ich drehte den Kopf, was nicht mal mühsam war und erblickte das blonde Mädchen, das auf einem Stuhl neben meinem Bett saß. Sie sah mich intensiv an, der Blick in ihren Augen war rasiermesserscharf.

„Hallo", sagte ich und registrierte, dass sich meine Stimme normal anhörte. Mein Hals tat nicht weh und auch mein restlicher Körper war schmerzfrei, als hätte er einzig die Erholung heute gebraucht, um wieder topfit zu sein.

Das Mädchen legte den Kopf schief. „Dir scheint es wieder besser zu gehen", meinte sie und ich setzte mich auf.
„Ja. Viel besser." Wir sahen uns in die Augen und ich spürte, dass sie etwas wusste.

„Du bist kein einfaches Mädchen", sagte ich. Sie zuckte einmal verneinend mit dem Kopf.

„Und du kein einfacher Junge", sagte sie. Für ihr Alter klang sie erstaunlich erwachsen. Sachte legte sie eine Hand auf meinen Arm, ich erwartete einen Strom aus Energie, wie jedes Mal bisher, aber nichts passierte.

„Ich danke dir", sagte sie.
„Deine Energie hat mir sehr geholfen." Meine Augen verengten sich automatisch ein wenig.

„Wie hast du das gemacht?", wollte ich wissen und sie sah mich fragend an. Dann aber lächelte sie leicht und ich spürte einen leichten Strom an Energie, der mir entzogen wurde.

„Meinst du das?" Ich nickte und der Strom versiegte.
„Du scheinst wirklich keine Ahnung zu haben", sprach sie vor sich hin, nahm die Hand weg und lehnte sich zurück. Fragend sah ich sie an, aber sie winkte ab. Ihre Augen wirkten sehr weise und passten nicht zu ihrem jungen Erscheinungsbild.

„Wer bist du?", wollte ich wissen, ein jugendliches Lächeln erschien auf ihrem Gesicht und sie antwortete: „Nenn mich Anen."

„Na schön, Anen. Wer bist du?", wiederholte ich mich.
„Ich bin wie du", sagte sie und tippte sich an den Kopf.
„Das beantwortet nicht meine Frage", widersprach ich und sie seufzte. Es glitzerte in ihren Augen und sie sah mich an, als wäre ich das Kind von uns beiden.
„Ich, wir, sind nicht wie die anderen in euren Clanen." Sie verstummte.

„Was meinst du damit?" Sie zögerte, bevor sie sagte: „Wir sind ... Weißt du was, vergiss es." Sie lachte, um abzulenken, aber die Neugier in mir war zu groß, um sie damit durchkommen zu lassen.

„Was? Was willst du sagen?" Meine Stimme klang streng, ja, aber ich wollte mich nicht verarschen lassen. Sie hatte angefangen zu sprechen, sie sollte es auch zu Ende bringen.
Doch ihre Aura wurde plötzlich sehr distanziert, immer noch mächtig, fast vergleichbar mit Vaters und das war gewaltig. Ihr Mund war verkniffen.

„Ich weiß noch nicht, ob er will, dass du es erfährst." Ihre Aura wurde wieder ruhiger. Mit er könnte eigentlich nur einer gemeint sein, aber der Gedanke war so abwegig. Was sollte es ihn kümmern?

„Was?", fragte ich leise nach, ihre Mine blieb unbewegt, als wir ein Blickduell ausfochten. Sie sah weg.

„Komm erst mal wieder auf die Beine, Kleiner." Sie stand auf und ging aus dem Zimmer. Hatte sie mich wirklich Kleiner genannt?

___

Ich blieb noch ein paar Minuten im Bett liegen, dann stand ich auf. Es ging mir tatsächlich viel besser. Phänomenal, als wäre ich bis vor ein paar Stunden nicht noch bewegungsunfähig gewesen. Ich machte mich schnell fertig und trat raus auf den Gang.

Viele Leute wuselten herum, in Gespräche vertieft oder ihrer Arbeit nachgehend. Ein paar erkannten mich und verbeugten oder knicksten, was ich wie immer mit einem Nicken erwiderte.

Ich stieg die Treppen hinab, sah Divina und ein paar andere in einer Ecke stehen und diskutieren. Als sie mich sah, winkte sie mir zu. Sie entschuldigte sich bei den anderen und eilte auf mich zu. Ihr Blick war ernst.

„Du solltest noch nicht auf den Beinen sein", sagte sie und musterte mich, aber sie schien in Gedanken an einer anderen Sache zu hängen.

„Mir geht es gut, Divina. Wirklich. Ich fühle mich bestens." Divinas Blick war kritisch, aber sie meinte nur: „Übernimm dich nur nicht."

Ich erwiderte darauf nichts. Aber ihre Ernsthaftigkeit und die Anspannung waren bei ihr mit Händen zu greifenn.

„Was ist los?", wollte ich deshalb von ihr wissen. Bedeutungsvoll sah sie mich an.
„Der Älteste ist verschwunden", rückte sie mit der Sprache raus.

„Was heißt verschwunden?", fragte ich nach. Sie sah zu Boden, nachdenklich, dann wieder hoch.
„Dein Vater hat mit ihm gestern gesprochen und er soll ausgeartet sein. Die folgende Nacht ist er dann verschwunden. Wir konnten ihn nirgends finden." Hat er sich deshalb so seltsam benommen, als ich bei ihm war? Wollte er so schnell wie möglich abhauen?

„Aber was ist passiert? Worüber haben sie gesprochen?"
„Das hat mir der König nicht gesagt. Er meinte nur, dass wir, die Mächtigsten und Erfahrensten der Energie, sofort los und ihn suchen und zurückholen sollen. Du sollst auch mit", berichtete sie.

„War es das, was du mir gestern erzählen wolltest?" Sie nickte und schüttelte im gleichen Atemzug den Kopf.
„Da war er noch nicht verschwunden, aber ich wollte dich warnen, dass dieser Streit vorgefallen ist. Ich weiß du trainierst mit dem Ältesten."

„Ich verstehe. Ist der Suchtrupp bereits los?", fragte ich geschäftig und sie deutete auf die Gruppe in der Ecke.
„Es ist zwar sehr unwahrscheinlich, dass wir ihn mit seinen Fähigkeiten finden werden, aber wir müssen es versuchen." Ich nickte.

„Aber ..." Sie hielt mich an der Brust auf, als ich zu ihnen rüber gehen wollte. „Fühlst du dich wirklich wieder fit genug?" Ich nahm ihre Hand in meine.
„Sonst würde ich jetzt nicht hier stehen." Ihre Hand verkrampfte in meiner. Bedrückt. Sorge spiegelte sich in ihrem Gesicht.
„Ich hatte Angst um dich", flüsterte sie und ihre Augen fingen an zu glitzern.
„Ich dachte du würdest sterben."

„Divina", sagte ich leise.
„Du musst dir keine Sorgen machen. Ich bin ein großer Junge." Sie kniff die Lippen zusammen.

„Hör wenigstens diesmal bitte auf mich und geh kein Risiko ein", bat sie und diesmal konnte ich es ihr nicht abschlagen. Nicht diesmal.

„Nicht, nachdem ich dich ..." Sie verstummte.
„Keine Sorge, Divina." Sachte umschloss ich ihre Hand.
„Ich weiß wie weit ich gehen kann."

Sie schluckte. „Das hoffe ich."
„Dann lass uns loslegen und den Ältesten suchen."
„Ja", hauchte sie. Ich rückte von ihr ab, trat zu der Gruppe. Sie bestand aus fünf Leuten, mit mir und Vina sieben. Erfahrenen und älteren Mitgliedern.

Auch Jean war darunter und ich nickte ihm kurz zu. Doch es überraschte mich weniger, dass er so mächtig war, schließlich war er ein Außenclananführer.

„Wo ist Janon?", fragte ich, denn ich fand es ungewöhnlich, dass er nicht dabei war. Seine Stärke wäre hilfreich gewesen. Divina schüttelte den Kopf.
„Er hat mal wieder was eigenes zu tun."
„Na gut. Dann eben wir sieben."

Um einen möglichen Anhaltspunkt zu bekommen, durchsuchten wir erst die Hütte des Ältesten. Alles war beim Alten, nichts schien zu fehlen, aber als ich vor der Vitrine stand, sah ich, dass die Kristalle verschwunden waren.

Wir fanden keine Hinweise auf de  Verbleib des Ältesten und wie vermutet brachte die Suche rein gar nichts.

Wir durchstreiften die ganze Stadt, ich schaute auch kurz an Elenas Haus vorbei, wenn wir schon dabei waren und war erleichtert, als ich ihre unbeschadete Seele spürte.

Wir durchsuchten das Umland, aber ohne eine Spur seiner Aura, die ich trotz meiner beachtlichen Reichweite nicht ausmachen konnte, war es ein hoffnungsloses Unterfangen.
Vermutlich wusste Vater das auch, das würde ihn aber nicht weniger zornig machen.

Tatsächlich konnte ich bei unserer Rückkehr was zu hören bekommen. Er war in Rage, aber ich ließ seine Worte nicht nah an mich heran. Sichtlich suchte er nur ein Ventil, um seine Wut auszulassen.
Ich frage mich was denn in den Ältesten gefahren war. Ich konnte es mir nicht erklären. Nur hatte ich keine Zeit weiter darüber nachzudenken, denn nachdem mein Vater mit seiner Ansprache vor allen fertig war, eine Blamage, die ich wortlos über mich ergehen ließ, verschwanden die Mitglieder dieser Gruppe nicht etwa, sondern berichteten, dass sie auch die Auserwählten für die Suche nach den Artefakten waren.

Bei Jean verwunderte es mich weniger. Ich hatte schon vorher gewusst, dass er kein ordinärer Krieger war und auch seine Aura verriet seine Macht.

Nur Divina würde nicht dabei sein und weil ich schon genug von meinem Vater heute hatte, wollte ich ihn am besten erst morgen erzählen, dass ich Fiona dabei haben wollte.

Die Nacht war fortgeschritten, als ich mich schlafen legte, ich fühlte mich aber weder zerschlagen, noch sonst körperlich erschöpft. Die einzige Erschöpfung, war die geistige. Trotzdem gelang es mir nicht zu schlafen.

___

Ich hupte einmal. Ich hörte es im Haus rumoren und keine zwei Sekunden später, kam Elena durch die Tür. Sie schien ganz aufgekratzt, aber als sie bei mir ankam, konnte ich eine Spur Erleichterung aus ihrem Gesicht lesen.

„Du warst gestern gar nicht in der Schule", startete sie schon ohne eine Begrüßung.
„Ja, ich bin leider etwas krank gewesen." Die Erklärung schien sie mir zu glauben, war eigentlich auch die Wahrheit, aber bei den ganzen Halbwahrheiten, die ich erzählte und all dem, was ich eben nicht erzählte, fühlte es sich an wie eine Lüge.

„Achso. Geht es dir dann wieder besser?", wollte sie besorgt wissen. „Ja. So ein kleiner grippaler Infekt haut mich schon nicht um."
„Dann bin ich ja froh." Sie spielte an ihrem Anhänger herum. Er glänzte in der Sonne.

„Wie geht es dir?", wollte ich von ihr wissen und sie lächelte.
„Ganz gut, eigentlich." Sie biss sich auf die Lippe. Ich merkte, dass ihr etwas durch Kopf ging. Ich sah sie genau an.
„Ist wirklich alles in Ordnung?", fragte ich nach und sie nickte lächelnd.
„Ja. Wirklich. Ich war nur in Gedanken."

Ich ließ es dabei bewenden und öffnete ihr die Beifahrertür. Während sie verlegen einstieg, meinte sie: „Aber du musst mich jetzt wirklich nicht jeden Tag abholen."

„Stört es dich?", fragte ich während ich ihre Tür schloss und dann auf meiner Seite einstieg.
„Nein, ... aber ... ich bereite dir Umstände."
„Das Thema hatten wir doch schon. Ich tue es gerne und außerdem sind wir doch Freunde." Verlegen sah die aus dem Fenster.
„Na gut", sagte sie.

„Ich muss dir was sagen", begann ich und sie horchte auf.
„Mara und ihre Familie mussten überraschend wieder abreisen. Ich kann sie also so bald nicht in die Schule mitbringen, damit du dich entschuldigen kannst." Sie wandte den Blick von mir ab.

„Ach so", sagte sie und es klang enttäuscht.
„Du könntest ihr ja auch einen Brief schreiben", schlug ich vor.
„Dann schick ich ihn einfach mit meinem ab. Sie freut sich immer über Briefe."

„Klar", meinte sie, aber der umwölkte Gesichtsausdruck passte nicht.
„Du musst natürlich nicht, es ist nur ein Vorschlag", schob ich schnell hinterher.
„Gute Idee." Unzufrieden trat ich nochmal aufs Gas.

„Was hast du?", fragte ich und sah wie sie sich an den Türgriff klammerte.
„Gar nichts", meinte sie. Ihre Stimme war dünn, fast schon ängstlich. Waren es meine Worte oder meine Fahrkünste? Um sicher zu gehen, zügelte ich das Tempo und Elena atmete auf. Die Anspannung fiel von ihr, aber die steife Haltung blieb.

„Elena, du kannst es mir wirklich sagen." Abfällig schnaufte sie kurz.
„Ach ja? Du erzählst mir ja auch nichts. Nichts, aber ich soll dir alles erzählen?"
„Elena, du solltest am besten vergessen was passiert ist", riet ich ihr, aber empört schnaubte sie, ihr Gesicht war bereits wieder rot wie eine Tomate.

„Vergessen?", zischte sie.
„Wie soll ich denn vergessen, dass mir jemand gedroht hat Leute zu töten, wenn ich nicht tue, was er sagt? Oder wie er meine Gastfamilie verletzt hat? Der uns immer noch gefährlich ist und ich weiß nicht warum! Warum tut dieser Kerl solche Sachen, warum passiert das alles? Warum sind wir vom Himmel gefallen und wie sind wir auf diese Klippe gekommen?" Sie hielt einen Moment inne, schnell atmend, ihr Blick brannte wie Dolche.

„Und der einzige, der mir das alles erklären kann, will mir rein gar nichts erzählen und sagt ich solle das alles vergessen."

Ich machte einen gewagten Linksschlender und parkte so vor irgendeinem Geschäft. Der Schreck stand ihr kurz im Gesicht geschrieben, aber ihre Entschlossenheit konnte das nicht vertreiben. Ich richtete meinen Blick stur geradeaus und ignorierte ihren rasenden Herzschlag.

„Ich habe Vorkehrungen zu eurem Schutz getroffen", begann ich.
„Der Anhänger, den ich dir schenkte, gehört auch dazu, frag aber nicht wie er funktioniert. Deshalb bat ich dir ihn nie abzunehmen. Der D... dieser Diamante hat es darauf abgesehen sich an dir, womöglich jetzt wegen mir, da ich ihn vertrieben hatte, zu rächen. Vorrangig wird er dich angreifen wollen." Ihre Augen waren weit aufgerissen, sie zitterte.

„Das heißt also, es ist noch nicht vorbei?" Ich schüttelte den Kopf.
„Nein. Da bin ich mir sicher."
„Er wird ..."
„Gar nichts wird er", fuhr ich ihr dazwischen. Ich seufzte, als ich sie zusammenzucken sah. Mit sanfter Stimme fuhr ich fort.

„Solange du diesen Anhänger trägst und ich bei dir bin, um dich zu beschützen, wird dir nichts passieren", garantierte ich.
„Ich ..." Sie war den Tränen nahe, wischte sich über die Augen.
„Warum gibst du dann nur mir einen Anhänger? Wieso nicht allen meiner Gastfamilie?", flüsterte sie.

„Weil solche Amulette schwer aufzutreiben sind. Wenn ich könnte, würde ich euch allen eins geben, aber ich hatte schon Glück mit diesem. Außerdem wird Diamante es am ehesten auf dich abgesehen haben. Und wenn er versucht dir etwas anzutun, werde ich kommen und dich und die Menschen um dich herum schützen."

„Woher willst du wissen, sollte er mir etwas antun?", wollte sie leise wissen. Wie verrückt es sich in ihren Ohren anhören musste. Anhänger, die Menschen schützten. Ich dachte kaum, dass sie mir das glauben konnte. Und wenn das so war, wie sollte ich ihr dann erklären, dass ich einfach spürte, wenn sie in Gefahr war?

„Ich werde es wissen", sagte ich und sie blieb stumm. Wie sollte sie mir schon glauben oder vertrauen, wenn ich ihr alles verschwieg? Ich verstand sie, konnte aber nichts daran ändern.

„Kannst du mir das ganze vielleicht irgendwie erklären? Wenn es sein muss auch zensiert, aber ich brauche etwas, woran ich mich festhalten kann, um nicht auszuticken", sagte sie und der Griff um ihren Autogurt, den sie umklammerte, verkrampfte. Ich sah sie an.

„Ja, gut", sagte ich schließlich.
„Ich kann es versuchen." Ich überlegte einen Augenblick. 

„Mein ... Clan, ich habe dir bereits erzählt, wir bestehen aus vielen, verschiedenen Leuten. Familien, die zu einer großen Familie zusammengewachsen sind. Wir halten zusammen, egal was kommt, niemand kann uns auseinanderreißen, denn wir sind eingeschworen und unserem ... Anführer verpflichtet."
„Ein Anführer?", fragte sie beunruhigt nach.

„Ja, genau. Stell es dir wie einen Bürgermeister vor und die anderen seine Angestellten und sein Volk."
„Wo bist du in dieser Liste."
„Sagen wir so: Ich bin kein Bürger, aber meine Entscheidungsgewalt reicht auch nicht bis ganz nach oben."
„Also im Mittelfeld?" Ich zögerte.

„Nein, aber meine Position darin ist auch nicht so wichtig. Ich kann Leute beschützen, das ist alles, was zählt." Geduldig und gespannt wartete sie ab, bis ich weitererzählte.

„Jetzt ist es jedenfalls so, dass es eine andere Art Clan gibt, der mit uns verfeindet ist."
„Das klingt sehr nach Mafia", wandte sie ein und ein stilles Lächeln erschien auf meinem Gesicht. Die war im Vergleich harmlos.

„Wir sind keine Mafia oder eine sonstige zwielichtige Organisation. Wir sind eine Familie, die für den Schutz der Menschen kämpft." Ihre Augen waren starr auf mich gerichtet. Aufmerksam. Fasziniert.

„Das klingt sehr nach FBI oder so." Ich fuhr fort.
„Wir sind auch keine staatliche Organisagion. Nun, unsere Familie kämpft für den Schutz der Menschen. Die andere möchte hingegen die Menschen umbringen, die Welt zerstören und nach ihren Vorstellungen neu aufbauen."

„Dann seid ihr also wie die Polizei, die Gangsterbanden schnappt."
„So ähnlich."
„Ihr seid die Guten und sie die rein Bösen?", fragte sie skeptisch nach.

„Muss ich dir ihre Böswilligkeit, nach all dem, was vorgefallen ist, wirklich noch demonstrierenn?", herrschte ich sie an und augenblicklich verstummte sie erschrocken.
„Sie sind böse, daran wird sich nichts ändern."

„Aber weshalb wollen sie die Welt zerstören?", fragte sie leiser nach.
„Weil es ihr Wesen ist", antwortete ich und mahnte mich dazu die Ruhe zu bewahren. Es fiel mir schwer. Ich wusste ja, dass es schwer zu glauben sein musste, dass es Personen, abgrundtief böse und sündig gab, die der Welt nichts Gutes wollten.

„Das ist ja total ..." Mein scharfer Blick ließ sie verstummen.

„Das ... ich kann das nicht glauben. Menschen sind nicht nur gut oder böse." Ihre Stimme war zu einem eingeschüchterten Flüstern geworden.
„Glaub, was du willst."

Ich stieg aus und die Tür knallte laut zu. Es war mir egal. Zumindest im Moment. Ich atmete Straßenmief ein und drückte die Faust gegen die Stirn.

Weshalb regte mich das ganze so auf? Vielleicht weil ich wusste, was Dämonen für schreckliche Dinge taten, sie töteten Menschen, Engel, alles, was ihnen in die Quere kam. Sie hatten so viele auf dem Gewissen. Divinas Mutter. Meinen Großvater. So viele hatten ihr Leben verloren, um das der Menschen vor ihnen zu schützen. Der Gedanke machte mich krank, dass Menschen wie Elena solche Kreaturen in den Schutz nahmen.

Meine Reaktion war irrational, ja. Sie konnte die ganze Tragweite nicht wissen, durfte sie auch nicht. Aber dass unsere ganzen Mühen nichts wert sein sollten?

Wir waren wie Schatten. Kämpften im Verborgenen. Starben im Verborgenen. Alles nur für die Menschen, die es nicht schätzen konnten, denn wissen konnten, dass da jemand war, der sie vor der Dunkelheit beschützte.

Aber es musste so sein. Es hatte so zu sein. Menschen waren zu zerbrechlich, um sie zwischen die Fronten kommen zu lassen. Es war nicht der Kampf der Menschen. Sondern unserer für die Menschen.

Ich stieg wieder ein.
„Tut mir Leid, Elena. Ich hätte nicht so reagieren dürfen." Wo war meine emotionale Distanz geblieben? Bei Elena schien sie eine Fehlfunktion zu haben.

„Nein, es tut mir Leid. Ich verstehe das alles nicht und war zu voreilig." Ich schüttelte den Kopf.
„Es war klar für mich, dass du das nicht verstehen würdest." Meine Stimme schnitt wie Glas und sie zuckte zusammen. Das hatte ich eigentlich gar nicht sagen wollen.

„Nein, ich ..." Verzweifelt fuhr ich mir durchs Haar.

„Nein, ich versteh schon. Vermutlich bin ich zu dumm, um das alles zu begreifen." Sie schickte sich an den Wagen zu verlassen, aber ich hielt sie am Handgelenk auf.

„Ich meine das anders. Es war von mir zu viel verlangt, dass du es verstehen würdest, so, wie ich es dir erzählte. Ich habe mich nicht korrekt ausgedrückt, aber ich kann dir nichts genaueres sagen, damit du wirklich alles verstehen würdest. Natürlich kannst du dir jetzt deine eigenen Gedanken machen."

„Nein", widersprach sie sofort.
„Auch wenn ich es jetzt noch nicht verstehe, ich möchte wissen, alles wissen, was hier passiert." Ihre Stimme zitterte, aber sie ließ sich wieder zurück auf ihren Sitz sinken. Ihre Miene war ernst. Ich hielt ihren Blick. Er trieb mich dazu, ihr zu sagen, was gegenwärtig passierte. Auch wenn ich hoffte sie würde nie darin hinein geraten.

„Es wird zwischen uns und unseren Gegnern ein Kampf stattfinden. Wir alle bereiten uns darauf vor."

„Ein Kampf?", fragte sie erschrocken. Mein musternder Blick in ihr Gesicht verriet mir, dass es doch vielleicht zu viel des Guten war, es ihr zu erzählen. Aber ich wollte auch nicht lügen. Ich schwieg und startete den Motor, während ich sagte: „Versuch dich einfach nicht in Gefahr zu bringen."

Wir sprachen während der restlichen Fahrt kein Wort, sie tief in Gedanken versunken und ich, ja ich irgendwie auch. Der Griff um das Lenkrad tat fast schon weh.

18

 

Janon war uns in den Schatten gefolgt und ich war froh, dass er einfach zu Fuß losgestürmt war, ohne mit dem Auto mitfahren zu wollen.

Die Schulstunden vergingen öde, denn auch Elena verhielt sich nicht wie gewöhnlich. Sie war nicht kalt oder abweisend und sprach auch mit mir, wirkte aber seltsam paralysiert und schwer in Gedanken.

Nur Sport machte mir wenig aus, wenn es auch ziemlich langweilig war in einem schildkrötenartigem Tempo durch die Halle zu laufen und danach nur Badminton zu spielen.

Ilias und Lenus spielten natürlich Fußball, darin waren sie, zugegeben,  auch gut. Nur hatte ich heute keine Lust mitzumachen und setzte mich nach Badminton auf die Bank. So lange, bis Ilias vor der Bank stand, auf der ich saß und den Fußball auf den Boden fallen ließ. Ich sah zu ihm hoch, seine Augen blitzten herausfordernd.

„Ich kann Fußball nicht ausstehen", sagte ich, angelte den Ball und warf ihn ihm vor die Brust, sodass er zwei Schritte zurück stolperte.

„Komm schon", sagte er mit seiner ruhigen Stimme.
„Es ist nur ein Spiel." Ich brummte, lehnte mich mit geschlossenen Augen zurück und sagte: „Nein."

Ich beabsichtigte ihn zu ignorieren, spürte aber die Energie, die er in seinen rechten Arm steckte, die Luft, die der Ball mit sich riss und konnte ihn knapp vor meinem Gesicht abfangen.

„Was soll das?", fragte ich ihn verärgert. Ich sah ihn an und in seinem Gesicht zeigte sich die Freude und Belustigung.

„Na warte", drohte ich, warf den Ball weg und warf mich auf ihn. Er hatte das nicht erwartet und konnte nicht rechtzeitig ausweichen. Wir fielen auf den Boden. Er wehrte sich, wir drehten uns zweimal, aber er hatte keine Chance. Ich hatte ihn auf den Boden gepinnt und grinste ihn siegessicher an. Sein Gesichtsausdruck war vollkommen perplex, aber dann veränderte sich etwas darin, sein Blick wurde weicher und verunsichert darüber ließ ich ihn los, stand auf und reichte ihm die Hand. Er ließ sich von mir aufhelfen.

„Du kannst Fußball wohl wirklich nicht ausstehen", meinte er belustigt.
„Ich mag keine Ballsportarten", sagte ich und sah die weißen, kaum sichtbaren Funken um seiner Hand tanzen.
„Was soll das werden?", fragte ich argwöhnisch. Die Funken erstarben.
„Du meinst alle außer dieser Ballsportart?", fragte er herausfordernd.
„Willst du mich herausfordern?", fragte ich nach und sein Lächeln war mir Antwort genug.
„Nach der Schule", sagte ich leise.
„Partnertrainingsraum." Er nickte, ich konnte die Sympathie aus seinem Gesicht heraus lesen.

Die Pause verbrachten Elena und ich wie viele andere im Klassenzimmer. Draußen schüttete es wie aus Kübeln. Sogar ich hatte da keine Lust raus zu gehen. Wieder unterhielt sich Elena mit dem Nerd, der wohl immer in der Klasse blieb. 

___

Es hatte aufgehört zu regnen, bemerkte ich aus dem Fenster schauend, während ich Elena zur Schulcafeteria begleitete. Am Eingang blieb ich wieder stehen und unschlüssig trat Elena von einem Fuß auf den anderen. Ich entdeckte das brünette Mädchen, das ihr an ihrem ersten Tag zugewunken hatte.

„Willst du vielleicht mitkommen?", fragte Elena halbherzig, aber zum einen sah ich, dass sie darauf eigentlich keine Lust hatte und zum anderen, wie gehabt, Würgereiz. Und nachdem ich mich wieder fit fühlte, wollte ich meinen Magen nicht noch extra dazu auffordern sich wieder gegen mich zu wenden.

„Nein, danke. Wir sehen uns später." Sie nickte nur, mir noch einen Blick zuwerfend, bevor sie in der Mensa verschwand. Sie kam mir niedergeschlagen vor.

Ich atmete kurz durch und trat schließlich vom Seiteneingang in den Hof. Alex entdeckte mich gleich und winkte mir zu und ging dann auf mich zu, von der Ecke im Hof, an dem er mit Ilias und Lenus gestanden hatte.

„Hey, Caenen", begrüßte er mich.
„Hi", sagte ich und schob mir eine Zigarette in den Mund.
„Wir wollten heute zum neuen Schuppen in der Stadt. Vielleicht hast du ja diesmal Lust uns zu begleiten", fragte er völlig unbekümmert und einen Augenblick ließ ich es mir durch den Kopf gehen. Eigentlich hatte ich keine Lust auf Essen und ich verspürte auch keinen Hunger.

„Komm schon, Caenen. Als Wiedergutmachung für letztes Mal." Verschmitzt grinste er mich an, auch spürte ich den Blick Ilias', den ich erwiderte. Er lächelte mich an und ich gab mir einen Ruck.

„Na schön", sagte ich und trat die Zigarette mit dem Fuß aus. Alex strahlte und quatschte mich gleich schon voll, während wir zu Ilias und Lenus gingen. Vielleicht war es doch keine so schlechte Idee, dachte ich und betrachtete Ilias' Gesicht. Vielleicht konnte ich doch mehr erwarten, als ihn nur aus der Ferne zu beobachten.

Wir gingen in einem schlichten  Restaurant essen, vielleicht wäre Bistro der treffendere Begriff. Er war neu in der Stadt, modern und schlicht. Wir setzten uns in eine Eckniesche.

Alex schwärmte nur so von dem Essen hier, während Ilias und Lenus gar nicht so genau auf ihn achteten oder dem, was er erzählte. Die ausgelassene Stimmung, die Alex erzeugte, war angenehm, ich hatte schon ganz anderes befürchtet. Ilias mied mich nicht. Das war meine andere Befürchtung.

Lenus unterhielt sich mit Ilias, während wir unser Essen bestellten. Mir war es egal, was ich nahm, so schlecht wie in der Schulmensa konnte es sicher nicht schmecken. Die Kellnerin war ein nettes Mädchen, das mit einem Lächeln an unseren Tisch kam.

„Wisst ihr schon was ihr nehmen wollt?", fragte sie mit zuckersüßer Stimme. Alex' Blick war eindeutig zugetan, während wir drei sie mehr oder weniger ignorierten.
„Einmal das Roastbeef, zusammen mit deinem Lächeln." Alex kam mir wie ein kleiner Junge vor, sicher ohne böswillige Absichten und das merkte man ihm an. Die Kellenerin errötete etwas, blieb aber professionell und schrieb die Bestellung auf.

„Was wollt ihr?", fragte sie und ihre Augen begannen noch mehr zu funkeln. Sie ignorierte Alex eiskalt und ich musste schmunzeln.

„Das gleiche wie immer für uns", sagte Lenus und das Mädchen nickte mit einem Lächeln. Ihr Blick behielt das Weiche, als sie mir in die Augen sah.

„Und Sie?" Ihre Augen waren grün, schienen von innen heraus zu leuchten. Etwas an ihr kam mir seltsam vor, aber ich konnte es nicht benennen. Ihr Gesicht lief an wie eine Tomate und ich wandte den Blick zur Speisekarte. Hatte ich sie zu lange gemustert?

„Pizza Margherita", sagte ich und sie schrieb es auf und verschwand hastig.

„Die Kleine steht total auf dich", flüsterte mir Alex zu.
„Schnapp sie mir ja nicht weg", warnte er mich, aber ich merkte, es war nicht ernst gemeint. Ich lächelte nur hinterhältig.

Als ein Glas zerbrach, sah ich auf. Ilias' Glas war durch die Vibration seiner Aura zersprungen. Lenus sah ihn genauso konfus an, wie ich. 

„Bedienung!", rief Lenus. Eine andere Kellnerin sah sich um und als sie das zerbrochene Glas erblickte, kam sie herangeeilt. Ihr Blick fragte eindeutig wie Ilias das angestellt hatte.

Die größten Scherben auf der Tischdecke nahm sie in die Hand und schmiss sie weg. Mit einem Kehrblech entfernte sie die restlichen und wechselte zum Schluss die Tischdecke.

„Da brauchst du dir keine Sorgen machen. Sie ist nicht mein Typ", erwiderte ich und Alex lachte und stieß mich mit dem Ellbogen an.
„Komm schon, veralbern kannst du wen anders. Du hast sie förmlich mit Blicken ausgezogen." Ich schüttelte den Kopf. Hatte es so für Außenstehende also ausgesehen?

„Oder stimmen etwa die Gerüchte?", fragte Alex leise in mein Ohr. In mir krampfte es sich zusammen. Wie würde ich reagieren, wenn wirklich nichts dran wäre?

„Natürlich nicht!", zischte ich und Alex zog den Kopf zurück.
„Natascha, die Bitch, hat sie rumerzählt um mir eins reinzuwürgen." Alex' Blick war fast schon erschrocken, aber dann lachte er und schlug mir auf die Schulter.

„Toll. Dann kannst du ja heute Nacht mit Mädchen aufreißen. Ilias hat leider schon abgesagt und Lenus in einem Club?" Er lachte. Scheiße, war das erste, das ich dachte.
Lenus und Ilias wechselte einen Blick. Lenus prüfend, ob Ilias sich auch beruhigt hatte.

„Sorry, Alex. Heute ist schlecht." Ich musste die Mission Artefakte-Beschaffen endlich starten und einen anderen Ältesten aus einem anderen Land anbeordnen. Nur konnte ich das schlecht sagen.  Außerdem ... würde das sowas von schief gehen.

„Warum?"
„Ich muss meinem Vater bei einer wichtigen Angelegeneheit helfen." Er nickte nur verstehend. Gott sei Dank bohrte er nicht weiter nach was für Angelegenheiten.

„Was macht dein Vater überhaupt?", fragte Alex und trank aus seiner Cola.
„Er ist Unternehmer. Ich muss die Sachen erledigen, die wichtig sind, aber der Chef natürlich nicht selbst machen würde."

„Was ist das denn für ein Unternehmen?", wollte er interessiert wissen. Gott sei Dank hatte ich die Lügen von Kindesbeinen an auswendig gelernt.

„Computertechnik." Die Lüge ging mir leicht von den Lippen. Er lachte auf.
„Bist du denn nicht ne Niete in Mathe?" Ich sah ihn eine Sekunde nur an.
„Nein, darin bin ich gut."
„Achso."

„Bist du in der Schule denn sonst so schlecht?" Ilias Stimme klang ein wenig verdutzt, während Lenus nur wieder sehr analysierend abgeneigt schien. Ich schüttelte den Kopf.

„Nein, aber die meisten Fächer interessieren mich einfach nicht. Physik zum Beispiel. Oder Kunst und Musik."

Alex schmunzelte.
„Wie ich gehört habe, sollst du den
Lehrern ziemlich Schiss machen." Ich zog eine Augenbraue hoch und lächelte unschuldig.

„Schon möglich. Aber eigentlich mache ich nichts Besonderes."
„Ich habe gehört, dass deine Physiklehrerin wegen dir geheult haben soll."
„Achja?", fragte ich nach. Das war mir neu. Alex nickte.

„Ja, aber meiner Meinung nach hat sie es nicht besser verdient. Die drückt jedem eine schlechte Note auf, der sie nur schräg ansieht. Bei dir traut sie sich das wohl nicht." Ich zuckte mit den Schultern.
„Scheinbar."

„Ist Schule echt das einzige Thema für euch?", fragte Lenus uns und verschränkte arrogant die Arme.

„Besser als Fußball", meinte ich und lehnte mich zurück. Bei dem Wort huschte mein Blick zu Ilias.
Unser versprochener Kampf.

„Oh, da fällt mir ein. Das Training morgen fällt aus. Der Coach hat ne Fortbildung oder so", informierte Alex und Ilias und Lenus nickten.
Das Essen wurde serviert. Das Mädchen von vorhin. Sie reichte mir den Teller, ein blendendes Lächeln im Gesicht. Verdutzt nahm ich ihn und bedankte mich.

„Das gibts doch nicht!", rief Alex aus und deutete unter meinen Teller. Die Ecke eines Stück Papiers schaute hervor und ich hob den Teller und zog es raus. Nachdem ich es auseinander gefaltet hatte, erblickte ich zehn Ziffern, einen Namen und in geschwungener Schrift: Ruf mich an! 

„Hast du es nicht schon seit der Eröffnung bei ihr versucht?", fragte Lenus und Alex Gesicht wurde etwas verkniffen.

„Ja, aber gegen Caenen habe ich echt keine Chance." Ich faltete den Zettel wieder zusammen und reichte ihm ihn.
„Versuch ruhig dein Glück", sagte ich.

„Das kann ich doch nicht machen", meinte er und ich zerknüllte das Papier und schickte mich an ihn in den Zigarettenbecher zu werfen.
„Warte, warte", sagte er hastig und ich gab ihn ihm. Als ich aufblickte, sah ich Ilias stur in eine andere Richtung blicken.

„Ilias, schau mal. Caenen ist echt ein netter Kumpel." Ilias sah zu ihm und nickte lächelnd. Vielleicht bildete ich mir auch nur ein, dass ihm etwas gegen den Strich ging.

„Das weiß ich jetzt", erwiderte er und als er mich ansah, konnte ich es sehen. All die Scheiße, die wir zusammen mit den anderen durchgestanden hatten. Die Schlacht gegen Beelzebub. Der Kampf beim Außenclan. Die stillen Momente. Ich stoppte meine Gedanken. Meine emotionale Distanz war das Wichtigste, auch wenn mich sein Lächeln dahinzuschmelzen schien. Es war eine trügerische Illusion das alles, diese Situation. Es gab sie nicht in echt.

Ich sah mir mein Essen an. Es sah nicht schlecht aus und roch verführerisch, aber schon beim Anblick hatte ich keinen Appetit. Trotzdem nahm ich Gabel und Messer und fing an zu essen.

„Und?", fragte Alex mich, „wie ist es?" Ich nickte.
„Gut. Auf jeden Fall besser als die Mensa." Alex strahlte.

„Siehst du? Schon allein dafür ist es wert mit uns hier her zu kommen." Ich lächelte leicht und schob den leeren Teller von mir.

Da wir uns mit dem Essen Zeit gelassen hatten, hätten wir uns eigentlich beeilen müssen, um rechtzeitig zur nächsten Stunde zu kommen. Aber weder ich, noch die anderen drei hielten es wirklich für nötig.

Elenas Blick schnellte sofort zu mir, als ich mit ordentlicher Verspätung den Klassenraum betrat. Der Lehrer stand vorne, ein Buch in der Hand und mit verkniffener Miene. Ich winkte ihm nur kurz mal zu und setzte mich auf meinen Platz.

„Kann ich da mitschauen?", fragte ich sie, aber sie presste nur die Lippen zusammen und sah aus dem Fenster. War sie sauer?
„Herr King, könnten Sie bitte den nächsten Absatz vorlesen?", verlangte der Lehrer und ich sah auf Elenas Buch.

Schließlich seufzte sie und schob es in die Mitte unserer Bänke. Ich tat wie gehießen und plötzlich waren alle Schüler aufmerksam und lauschten. Auch wenn ich nur ziemlich monoton und gelangweilt vortrug. Der Lehrer nickte nachdem ich geendet hatte und erklärte etwas.

„Danke, Elena", flüsterte ich, aber sie ignorierte mich. Nahm sie das von vorhin noch immer so mit? Ich hatte sie stärker eingeschätzt. Ich ließ sie mit ihren Gedanken in Ruhe. Sollte sie machen, was sie wollte.

Nach dem Ende der letzten Stunde bewegte sich Elena nicht vom Fleck, obwohl alle anderen schon gingen. Ich blieb an ihrem Tisch stehen und wartete darauf, dass sie sich erhob. Erwartungsvoll sah ich sie an, aber den Blick erwiderte sie nicht.

„Ich warte noch auf jemanden", sagte sie und zog ihre Tasche näher. Geschafft und ein wenig genervt ließ auch ich mich wieder auf meinem Platz nieder. Argwöhnisch sah sie mich aus dem Augenwinkel an.

„Du musst nicht ...", begann sie, aber mein kalter Blick ließ sie verstummen.
„Ich schätze du weißt die Gefahr nicht ernstzunehmen", sagte ich. Ihre Wangen färbten sich rot, aber nicht aus Scham, sondern aus Wut.
„Du musst nicht hier mit mir warten", vollendete sie aufbrausend ihren Satz.
„Ich will von niemandem kontrolliert werden", fügte sie wütend hinzu.

So konnte ich auch. Ich stand schneller vor ihrem Tisch, die Hände darauf abgestürzt, als sie sehen konnte.
„Du verstehst den Ernst der Lage nicht", knurrte ich und ängstlich sah sie mich an.
„Du stehst unter meinem Schutz und solltest du ihn verlassen, kann ich für nichts mehr garantieren. Sei dir dessen bewusst."

Langsam schien sie ihr überraschend starkes Selbstbewusstsein wiederzufinden. „Ich habe dich um den Schutz gebeten. Ich kann ihn auch wieder zurückziehen", sagte sie und ich sah wie ernst sie das meinte, aber ihre Worte zeugten davon, dass sie darüber nicht viel nachgedacht haben konnte. Zumindest, wenn ihr ihr Leben lieb war.

„Bist du dir sicher?", fragte ich und es war mir mehr als ernst. Sie zögerte, ich sah die Unsicherheit in ihrem Blick.

„J-ja!", sagte sie schließlich.
„Solange du mir die Wahrheit nicht erzählst, hat es für mich keinen Sinn deinem Gerede von Gefahr irgendeiner Bedeutung beizumessen, dem allem zu vertrauen. Woher weiß ich, dass das alles nicht erstunken und erlogen ist?"

In Rage lösten sich ein paar Haarsträhnen aus ihren zurückgebundenen Haaren und fielen in ihr Gesicht. Ich sah sie ernst an.
„Du weißt, dass die Gefahr echt ist, hast am eigenen Leib erfahren, dass es diese Typen gibt, die, die Böses wollen. Wie kannst du da -"

„Woher weiß ich, dass das von dir nicht inszeniert wurde, um wie ein Held vor mir dazustehen? Ich weiß deine Familie ist reich und du hättest die Mittel", unterbrach sie mich. Einen Moment sprachlos sah ich sie an.

„Wer hat dir diesen Schwachsinn eingeredet?", fragte ich.
„Das ... das geht dich gar nichts an", fauchte sie, aber eigentlich war es mir auch egal wer es gewesen war. Beweise? Sie wollte Beweise für die Echtheit? Ich konnte ihr keine liefern.

„Elena, hör mir zu. Wenn du mir diesbezüglich nicht vertrauen kannst, sollten wir das mit der Freundschaft sofort beenden. Dann kannst du dich in Gefahren schmeißen, wie es dir gefällt und ich habe weniger Stress und muss mir keine Sorgen mehr um dich machen. Denn dann wärst du mir egal."

Elenas Gesicht wechselte zu geschockt. Sie konnte es wohl nicht glauben. Vielleicht hatte sie nicht erwartet, dass ich nicht nachgab. Vielleicht war sie es auch durch meine Worte. Sicher war nur, ich meinte jedes Wort todernst, genau, wie ich es sagte. Hatte sie mich mit ihrem Gerede austricksen wollen, damit ich ihr die Wahrheit erzählte? So dumm war ich nicht. Außerdem hätte sie mir nie geglaubt. Die Wahrheit würde sie nie glauben.

Ich hatte sie nicht zum Weinen bringen wollen, aber die Tränen flossen über ihre Wangen. Ich wollte ungerührt bleiben, denn es war wichtig, sie musste sich entscheiden, ob sie mir vertrauen wollte oder nicht. Aber ich konnte nicht. Vor ihrem Tisch ging ich in die Hocke, sodass wir auf Augenhöhe waren.

„Entscheide dich bitte", sagte ich sanft und sie sah mich mit Tränen in den Augen an.

„Ist es denn wirklich so wichtig, dass ich es nicht erfahre?", fragte sie nach. Ich nickte. Es würde bedeuten, dass ich meinen Clan verraten hatte, dass ich Menschen in eine Angelegenheit hineingezogen hatte, die für sie gar nicht existieren sollte. Zwar würde ich nicht gleich verbannt werden, aber ich konnte sicher sein, sollten es die anderen Clanmitglieder oder gar mein Vater herausfinden, sie würden sie einschüchtern, vielleicht einsperren und hätten keine andere Wahl, als die ständig zu observieren oder sie zu rufen, einen der Himmlischen, der ihre Erinnerungen löschen konnte.

Möglicherweise war es tatsächlich das Beste sie alles vergessen zu lassen, aber ich war nicht bereit sie gehen zu lassen. Oder auch den Zorn des Clans heraufzubeschwören, der sich vielleicht durch ihren Stolz weigern würde für einen Menschen einen Himmlischen zu rufen. Elena würde ihre Freiheit verlieren.

„Glaub mir, ich tue das nicht, um dich zu ärgern", sagte ich.
„Warum dann?", flüsterte sie und ich zögerte.
„Um dich zu schützen. Auch vor meinen Leuten." Sie blickte hinab auf ihren Tisch und schien nachzudenken.

„Ich vertraue dir", sagte sie fest und ich merke wie mich ihre Aussage entspannte.

„Aber bitte erlaube mir Fragen zu stellen. Solltest du mir auf diese keine Antworten geben, werde ich damit schon leben können." Ich nickte und reichte ihr die Hand, die sie nahm.

„Einverstanden."

19

Wie hatte man es nun leichter auf der Welt? Als Mädchen, als Junge? Ich kannte nur eine Seite wirklich, die, die ich spielen musste, aber ich sah wie schwer es Marabelle hatte sich in ihrer Position zu behaupten. Viele erwarteten, dass ihr Zukünftiger die Stricke in der Hand halten würde. Sie hatte mit Vorurteilen zu kämpfen, die ich für so irrelevant empfand.

Königin Asla bekam es irgendwie hin, dass man sie respektierte, mit ihr schöpfte ich Hoffnung, dass es in Zukunft besser aussehen würde, aber auch sie durfte keine Entscheidungen treffen.

Im Zimmer war es dunkel und ich genoss meine Form. Ich gönnte mir einen Moment Pause, stand schlussendlich aber doch auf und verwandelte mich zurück. Ilias wartete bereits im Partnertrainingsraum. Das konnte ich durch seine Aura feststellen.

Als ich unten ankam, kamen mir gerade Ryna und Emil entgegen, die  zielstrebig die Aufzüge der großen Schlachthalle ansteuerten. Emil versuchte sich wie immer cool zu geben, während er Ryna etwas zu erklären versuchte.

„Hallo", begrüßte ich sie und Ryna grüßte schüchtern zurück, während Emil immer noch versuchte cool rüberzukommen, aber damit gewaltig scheiterte.

„Hallo."
„Und, geht ihr trainieren?", fragte ich sie und rückte das Schwert an meiner Seite zurecht.
„Das hatten wir vor", sagte Emil und verschränkte die Arme.

„Etwas dagegen?" Ich lächelte nur.
„Überhaupt nicht. Immerhin stehen die Trainingsräume allen zur Verfügung und Training ist wichtig."
„Ähm, ja", sagte er nun etwas unsicher und freundlich lächelte ich ihn an.

„Wenn ihr Hilfe braucht, sagt einfach bescheid."
„So verschieden von unseren Räumen sind die hier gar nicht", lehnte er ab.
„Ich meinte nicht nur die Räume", präzisierte ich und er sah mich mit großen Augen an.

„Trainierst du mit uns?", fragte Ryna und seine Stimme klang sehr befehlshaberisch. Ich schüttelte bedauernd den Kopf.
„Heute kann ich nicht. Ich habe schon jemand anderen versprochen mit ihm zu trainieren. Aber unser Training steht noch aus."

„Dürfen wir zuschauen?", fragte Ryna mit glitzernden Augen und auch wenn es Emil verbarg, sah ich, dass auch er interessiert war.
„Das möchte Caenen bestimmt nicht", sagte Emil belehrend, aber ich zuckte mit den Schultern.

„Wenn ihr wollt, ich habe nichts dagegen." Überrascht sah mich Emil an, während Ryna jubelte.
„Durch zuschauen kann man auch hilfreiche Tricks lernen", erklärte ich und Emil nickte verstehend.

„Kommt mit", wies ich sie an und wir drei begaben uns zum Partnertrainingsraum, in dem sich Ilias befand. Sobald sich die Tür öffnete, sah ich ihn mit dem Schwert herum wirbeln und sich aufwärmen. Er vollendete seinen letzten Satz, bevor er stehen blieb und uns ansah.

„Die beiden wollen uns beim Training zusehen. Geht das für dich in Ordnung?", fragte ich ihn und er nickte nur.

„Kein Problem", sagte er, wandte sich zu ihnen und verbeugte sich.
„Es wird mir eine Ehre sein." Komisch, dachte ich, vor mir hatte er sich nie verbeugt. Aber zum Glück.

„Okay", sagte ich, „setzt euch in diese Ecke und bleibt da. Kommt auf keinen Fall ins Feld." Dass ich sie herum kommandierte schien keinen von beiden, besonders Ryna, zu schmecken, sie taten aber beide wie gehießen. Sie setzen sich in die Ecke und ich drückte zweimal auf den blauen Knopf, sodass eine kleine Schaltfläche zum Vorschein kam, mit dem ich die durchsichtige Abschirmung in der Ecke aktivierte.

Die beiden machten große Augen. Waren die Trainingsräume doch nicht gleich wie bei ihnen zu Hause?

„Von innen kann man sie durchschreiten, aber nichts kann von außen zu euch durchdringen", erklärte ich ihnen und wandte mich Ilias zu. Er stand bereits kampfbereit da, mit einem leichten Lächeln auf den Lippen.

„Kampf mit allem?", fragte er und ich überlegte.
„Kampf mit Schwert", sagte ich und er nickte. Mit der Kraft meiner Energie war ich noch immer zu unsicher. Auch wenn ich mich seit meiner Genesung sehr selbstsicher und wohl mit meiner neuen Kraft fühlte. Außerdem konnte ich den Druck, der durch seine Freisetzung folgte, weder Emil, noch Ryna zumuten.

„Stimmt. Die Kleinen", sagte Ilias und ich nickte.

Auch ich begab mich in Kampfposition und die Freude auf diesen Kampf durchströmte mich. Meine Energie steigerte sich und ich erhöhte meine Sinne, meine Schnelligkeit, meine Kraft. Ilias, spürte ich, tat es mir gleich. Diesmal machte er den ersten Schritt.

Er führte das gleiche Schwert wie ich, das am Besten ausbalancierte. Ilias war schnell. Immer wieder parierten wir gegenseitig, keiner von uns beiden gab sich eine Blöße. Stahl auf Stahl. Es machte den Eindruck, als wären wir uns ebenbürtig.

Wir wirbelten durch den Raum, schafften uns Raum und drängten einander zurück, nutzten auch die Höhe aus.

Doch ich hatte noch einen Trumph. Ich sprang zurück und wandte meine Technik an. Meine Energie sprang auf mein Schwert über, erhöhte sein Gewicht um ein Vielfaches und ich spürte es schwer an meinem Handgelenk, aber sofort stärkte ich die Energie in meiner Schwerthand. Den Schwung, den ich nahm, war groß und von oben herab ließ ich die Klinge auf Ilias niedersausen.

Er wehrte die Klinge ab, hielt mit dem Schwertarm und die andere Hand am anderen Ende an der Schneide. Seine Handfläche fing an zu bluten, seine Knie knacksten, da er die Kraft auffing, seine Zähne waren zusammen gebissen.

Mit dem Aufprall war der größte Druck entwichen, ich versuchte ihn zu halten, aber er war nicht mehr so stark.

In einer gewagten Drehung wich Ilias aus und meine Klinge sauste hinab und drang tief in den Boden ein.

Ich gab aber nicht nach und drang weiter auf Ilias ein, der immer wieder nur knapp abwehren konnte und schließlich erwischte ich ihn, hielt meine Klinge an seinen Hals.

Seine Augen sahen mich direkt an, die Tiefe dieses Blaus, mein emotionsloses Gesicht spiegelte sich in seinen Pupillen.

„Du hast gewonnen", hauchte er und bescherte mir eine Gänsehaut. Er ließ sein Schwert sinken und sofort nahm ich meine Klinge von seinem Hals.

Ich hörte Ryna sprechen, er war aufgesprungen und Worte sprudelten nur so aus seinem Mund, während Emil schockerstarrt dastand. Ryna kam zu mir gerannt.

„Das musst du mir beibringen", verlangte er und ich lächelte. Ich trat zu Emil und klopfte ihm auf die Schulter.

„Emil kann dir sicher die Grundlagen zeigen", erwiderte ich und dieser nickte nur weggetreten.
„Das war echt krass", rutschte es ihm heraus.
„Bei unserem Training kann ich es dir beibringen. Richtig beibringen", sagte ich.

Ryna lief sofort zu Emil.
„Lass uns jetzt gleich trainieren!" Er zog Emil an der Hand zum Ausgang. Emil sah mich nochmal an als bräuchte er meine Erlaubnis, ich nickte und er lächelte und ließ sich von dem Knirps mitziehen.

„Du hast ja Fans", ertönte Ilias' Stimme und ich drehte mich zu ihm um. Er drehte sein Schwert spielend in der Hand.
„Sie haben noch viel zu lernen", erwiderte ich. Ilias' ausgelassene Stimmung war beruhigend für mich. Eine Sehnsucht überkam mich. Am liebsten hätte ich mich zurück gewandelt und gezeigt: Hier bin ich, das bin ich. Wie würde er da reagieren? Ich verwarf den Gedanken.

„Das mussten wir in ihrem Alter auch", meine Ilias.
„Das haben wir noch", verbesserte ich ihn und er lachte.
„Da hast du Recht. Bei mir angefangen. Was war das für eine Technik, die du angewandt hast?", wollte er wissen.

„Und ich dachte schon meine Technik wäre berühmt", scherzte ich und lächelte. Ilias' Augen strahlten. Er kam näher, das Schwert ließ er fallen, das scheppernd auf den Boden aufkam.

Unbeteiligt stand ich da und ich spürte wie mein Lächeln verblasste. Keine Handbreit von mir blieb er stehen. Ich spürte seinen Atem, hörte seinen Herzschlag. Ich konnte, wollte nicht zurück weichen. Seine Hand berührte meine Brust und die Berührung elektrisierte mich, während seine blauen Augen, sein Blick mich in seinen Bann zog. War es ein Test? Panik kam in mir auf, ich sprang zurück und hielt das Schwert vor mich. Mein Blick war warnend.

„Was soll das?", fragte ich, meine Stimme tief und knurrend. Ich sah die Verletztheit in seinen Augen, das Zucken seines Mundwinkels. Verlegen lachte er. Er atmete ein, sich durch seine immer noch perfekt liegenden Haare fahrend.

„Das war keine Absicht." Misstrauisch betrachtete ich ihn. Entweder ich wandte mich ab und vergaß das alles oder ich ... Nein, ich hatte es satt.

Schnell war ich bei ihm, vor ihm, und ich hörte ihn erschrocken einatmen. Nah an seinem Ohr flüsterte ich: „Verleugne es oder gesteh es ein. Aber verschone mich mit deiner Unentschlossenheit." Ich wandte mich ab und ging zur Tür. Bevor ich sie öffnete, hörte ich Ilias hinter mir:

„Würdest du es denn wollen?"
Was wollen?", fragte ich, aber er blieb stumm.
„Du kannst es noch nicht mal aussprechen", sagte ich düster.

„Lass es, Ilias. Auch wenn du dich dafür entscheiden würdest. Das würde nie etwas werden."

„Woher willst du das wissen?", sprudelte es aus ihm heraus. Ich betrachtete ihn. Seine ganze Gestalt strahlte Aufgewühltheit aus. Ich hätte am liebsten zu ihm gehen mögen, es ihm sagen. Mein wahres Ich offenbaren. So vieles wäre dann einfacher. Aber das ging nicht. Ich sah weg.

„Du hast gesagt, dass du nicht auf Jungs stehst", erinnerte ich ihn und die Vorstellung schien ihn seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen auch zu widerstreben.

„Das stimmt auch", sagte er leise.
„Ich sagte dir ebenfalls, dass ich hetero bin. Worüber reden wir dann jetzt eigentlich?", fragte ich ihn, meiner Logik folgend, aber mein Herz raste in Erwartung einer Antwort. Ich hoffte er hörte das verräterische Klopfen nicht.

„Du hast Recht", sagte er und etwas in mir begann zu schmerzen. Wegen drei kleinen Worten.

„Du hast Recht mit dem, was du sagst ..." Er trat näher, Schritt für Schritt.
„Ich stehe nicht auf Kerle." Schmerz.

„Aber ich mag dich."

Unwillkürlich verfärbte sich sein Gesicht ein wenig rot.

Das Etwas in mir hörte nicht auf zu schmerzen, aber etwas beruhigte sich in mir gleichermaßen. Und mir war bewusst, dass seine Worte nichts änderten. Nichts ändern konnten. Höchstens würde es zu etwas führen, das ich nicht wollte. Nicht so. Nicht in dieser Form.

Ich musste es im Keim ersticken, auch wenn es mich umbrachte, denn ... ich wollte es. So sehr. Auch wenn ich mir etwas anderes einredete. Ich mag dich auch, hallten die wahren Worte in mir wieder, aber ich sagte etwas komplett anderes.

„Mit deinen Gefühlen stehst du allein. Es tut mir Leid."

Der Schmerz in seinen Augen war der gleiche wie meine. Es war so ironisch. Das gleiche Gespräch hatten wir in vertauschten Rollen geführt. Er lächelte schmerzlich und sah zu Boden.

„Ich verstehe. Tut mir Leid, wenn ich dich damit belästigt habe." Ich wollte den Kopf schütteln, ihm versichern, dass er das nicht tat, dass meine Worte Lügen waren, aber ich brachte keine Reaktion zustande. Ich sah zurück in seine Augen.

„Es tut mir wirklich Leid." Meine Stimme klang brüchig. Es machte mich fertig. Ich verließ den Raum.

___

Der Tag war schnell zu Ende gegangen. Ich befand mich auf den Weg zu Vaters Büro. Leicht klopfte ich an und wartete, hörte zunächst nichts.

„Herein!", ertönte es mit einem Male und ich trat ein. Vater saß nicht hinter seinem Schreibtisch, sondern stand mit hinter dem Rücken verschränkten Händen am Fenster.

„Was willst du?", fragte er direkt. Ich verbeugte mich emotionslos und starrte seinen Rücken an.

„Ich möchte Fiona im Team für die Artefaktensuche", kam ich direkt auf den Punkt.

„Fiona?" Ich konnte mir vorstellen wie er die Brauen hochzog.
„Weshalb willst du ausgerechnet sie im Team? Soweit ich weiß hat sie weder nennenswerte Fähigkeiten mit dem Umgang der Energie oder eine besonders große Menge davon. Sie ist doch nur eine Gewöhnliche."

„Das stimmt, aber da wir im Team nur aus Adligen bestehen, brauchen wir noch andere Perspektiven. Eine solche kann uns Fiona geben."
„Du denkst also das hilft euch weiter." Ich nickte.

„Natürlich. Sie hat großen Ehrgeiz bei der Sache. Ich will sie dabei haben." Vater schwieg für eine lange Zeit. Seine Aura war immer noch ruhig, fast nachdenklich.

„Wenn es euch weiterbringt und ich heute schon Erfolge sehe, darf sie dabei sein. Bläu ihr aber ein, dass die Mission geheim ist. Ich habe keinen Nerv mich mit der Öffentlichkeit drüber auseinander zu setzen."

„Danke", sagte ich und verbeugte mich wieder, wollte gehen. Doch er sagte noch etwas.

„Wer ist außerdem dieses Mädchen, das du hier her gebracht hast? Ihre Energie ist in keinem normalen Level", fragte er. Hielt er sie für verdächtig?

„Ich weiß es noch nicht. Sie stammt aus keinem unserer Clane. Sie ist sicher kein gewöhnliches Clanmitglied", erzählte ich.

„Sie stammt auch aus keinen der Clane Westeuropas", sagte Vater und ich stockte. Er stufte sie definitiv als Gefahr ein.

„Ich weiß nicht wer sie ist, aber sie ist keine Bedrohung", sagte ich mit Bestimmtheit. Die kurze Stille danach verriet Vaters Bedenken.

„Bist du dir da sicher?", fragte er. „Ja."
„Ich traue ihr nicht. Wenn du sie aber schon so sehr in Schutz nimmst, kann sie noch bleiben. Aber du trägst die Verantwortung für ihre Handlungen." Ich schluckte. Aber bevor Vater sie rausschmiss, war das immer noch die bessere Option.
„Damit bin ich einverstanden", sagte ich.

„Du darfst gehen." Ich verbeugte mich, doch verharrte noch einen Augenblick. Würde er mir die Wahrheit über den Streit zwischen ihm und den Ältesten sagen, wenn ich jetzt fragte? Ich dachte zurück an sein vor Rage verzerrtes Gesicht. Vermutlich nicht. Ich machte kehrt und verließ sein Büro.

Ich holte Fiona in ihrem Zimmer für das Treffen mit den anderen Beteiligten der Mission ab. Wir trafen uns mit ihnen in einem der Salons.

Ortus vom italienischen Clan, einer dieser Mitstreiter, hatte einen Hinweis auf ein magisches Artefakt, das genauso wie mein Ring in der Lage sein sollte Kraft unserer Energie zu verstärken, aber nur eine spezifische Kraft wie Schnelligkeit, Stärke oder eines der Sinne.

Jedoch wusste er auch nichts genaueres. Weder wer es erschaffen hatte, noch wo es sich befand.

Den Mann, den mein Vater auf den Ältesten angesetzt hatte, um nachzuforschen wo dieser steckte oder was er vorhatte, kam ohne bisherige Ergebnisse zurück.

Das Suchamulett lag leicht in meiner Hand. Seit einer halben Stunde versuchte ich mit seiner Hilfe und meiner Aura den Standort meines Rings zu bestimmen, aber ohne Erfolg.

Im Vergleich zum Ältesten hatte ich keine Ahnung wie man seine Energie richtig einsetzte. Ich hätte die Anleitung dringend gebraucht, deshalb war sein Verschwinden genau jetzt besorgniserregend und ungünstig. Durch die Tipps der erfahreneren Energiekundigen kam ich nicht wirklich weiter. Aber ich gab nicht auf.

Es klopfte an der Tür und riss mich aus meiner Konzentration. Vina trat ein. Sie wirkte seltsam ernst und als sie mich erblickte, trat sie zu mir.

„Kann ich mit Euch sprechen?", fragte sie und ich nickte.
„Vielleicht draußen?" Ich nickte wieder, zog mir das Amulett schnell über den Kopf, erhob mich und ging mit ihr aus dem Salon.

Ich kam mit meiner Suche sowieso nicht voran und eine kleine Pause war vielleicht genau das, was es benötigte.

Ruhig lehnte ich mich an die Wand und wartete. Ich musste nicht lange warten.

„Es geht um dieses kleine Mädchen, das du aus dem Feuer gerettet hast", begann sie.
„Sie isst seit Tagen nichts und spricht mit niemandem. Kannst du vielleicht mit ihr reden? Du bist der einzige, mit dem sie seit ihrer Ankunft hier gesprochen hat." Damit hatte ich nicht gerechnet. Aber das Mädchen war wirklich recht seltsam.

„Ich kann es versuchen" sagte ich und musste gar nicht fragen wo sie sich befand, denn ihre Aura sprang einen förmlich an.

„Ich erledige das gleich. Sag den Leuten im Salon ich habe kurz etwas zu erledigen."

„Was macht ihr da eigentlich?", wollte sie wissen. Die Mission war also wirklich noch nicht publik geworden.

„Vater will, dass wir bei dem Verschwinden des Ältesten dran bleiben", teilte ich ihr die halbe Wahrheit mit. Sie nickte nur.

„Es ist schon recht seltsam", meinte sie.
„Kaum verschwindet der Älteste, taucht dieses Mädchen auf."

„Was meinst du damit?", fragte ich sie, aber sie zuckte mit den Schultern und lächelte.
„Keine Ahnung. War nur so ein Gedanke." Ich nickte nur wenig überzeugt.

„Gut, ich geh dann mal zu ihr", sagte ich und winkte Vina nochmal kurz zu, bevor ich mich auf den Weg zu den Trainingsräumen begab.

Die Energie schwoll mit jedem Meter an, den ich näher kam. Sie war mächtig, bescherte mir ein Kribbeln auf der Haut, als ich vor der Tür zum Einzeltrainingsraum stand. Ich tastete fragend mit meiner Aura und da sie mir wohlgesonnen antwortete, trat ich ein.

Das Mädchen schwebte im Schneidersitz mitten im Raum. Ihre Haut schien gelb zu glühen, von innen heraus, ihre halblangen Haare bewegten sich, als wären sie unter Wasser und von diesem Anblick überwältigt blieb ich stehen. Das Mädchen öffnete ihre Augen, die genauso glühten. Sie begann zu lächeln.

„Hallo, Caenen", sagte sie und ihre Stimme klang nicht wie die eines kleinen Mädchens. Ich bemerkte auch, dass ihr Körper nicht mehr dem eines kleinen Mädchens entsprach.

Sie blinzelte einmal, das Glühen verging und als wäre die Schwerkraft wieder eingeschalten, fiel sie zu Boden und landete elegant. Ihr Körper schrumpfte unterdessen wieder und vor mir stand das kleine Mädchen.

„Weshalb suchst du mich auf?", fragte sie und sah mir starr in die Augen. Sie klang nicht unfreundlich, eher neugierig. Das, was ich sagen wollte, sie fragen weshalb sie mit niemandem sprach oder nichts aß, kam mir nun sehr unpassend vor.

„Ich wollte ..." „Mich darauf ansprechen weshalb ich mit niemandem spreche und nicht esse", vollendete sie meinen gedachten Satz.

„Woher ..."
„... ich das weiß?" Ihr Lächeln wurde ganz lieb.
„Ich habe die Befugnis noch nicht erhalten dir irgendetwas zu sagen. Deine Frage fällt in diesen Bereich." Was meinte sie damit?

„Wer bist du?", wollte ich endlich wissen, doch sie schwieg mit diesem Lächeln im Gesicht. Dann wanderte ihr Blick auf meine Brust.

„Was willst du denn mit einem Suchamulett?", fragte sie.
„Ich suche etwas, das ich wiederhaben muss", antwortete ich.

„Ein Ring", flüsterte Anen.
„Dein Ring, der deine Natur unterdrückte." Meine Natur?

„Du meinst meine Kraft", verbesserte ich, aber sie schüttelte den Kopf.

„Hast du ihn gefunden?", wich sie aus und ich schüttelte den Kopf, was sie eine Augenbraue hochziehen ließ.

„Komm her und setz dich", befahl sie und etwas in ihrer Stimme brachte mich dazu ihren Worten zu folgen. Ich setzte mich auf den Boden und sie mir gegenüber.

„Was-" Ihr Blick ließ mich verstummen.
„Nimm das Amulett in die Hände", verlangte sie und ich zog es mir über den Kopf und hielt es mit beiden Händen. Sie legte ihre Hände über meine.

„Schließe deine Augen." Ich tat es.
„Spürst du deine Aura um dich herum?", fragte sie und ich nickte. Sie war sehr präsent, ich nahm sie viel klarer wahr, als bisher. Mein Kopf fühlte sich klar.

„Jetzt konzentrier dich auf den Gegenstand, den du suchst. Zeichne ihn bildhaft vor dein inneres Auge. Spüre das Gefühl, wenn du ihn trägst."

Ich stellt mir vor, dass der Ring an meinem Finger war. Konnte das Gefühl des Käfigs, den es um mich und meine Energie spannte, kaum noch heraufbeschwören. Zu lange fühlte ich mich davon befreit.

Ich sah seine silberne Farbe, die zwei Spiralen, die sich umeinander wanden und einen Ring ergaben.

Sehr gut. Behalte dieses Bild und tauche mit deiner Energie in das Amulett ein.

Ich wusste nicht wie, versuchte meine Energie aber genauso wie bei meiner selbst entwickelten Technik mit dem Schwert in das Amulett fließen zu lassen, den Ring immer noch da, spürbar, als wäre er tatsächlich da.

Aber nicht nur meine Energie, auch meine Gedanken, mein ganzes Selbst schien in das Amulett gezogen zu werden. Ich sah Schwärze, nur Dunkelheit.

Konzentriere dich auf den Ring, befahl mir die Stimme, aber ich sah an mich herab und bemerkte, dass ich keinen Körper zu haben schien.

Stell ihn dir vor, erklang sie und ich versuchte mir meinen Körper vorzustellen, sah wieder an mir herunter und sah meinen Körper, wenn auch in meiner Mädchenform.

Bedenken überkamen mich, Angst davor, dass jemand mein Geheimnis heraus fand. Anen es herausfand.

Alles ist gut, beruhigte mich die Stimme.
Niemand wird dir etwas tun. Konzentrier dich nun auf den Ring an deinem Finger.

Ich tat es und als ich auf meine Hand sah, sah ich ihn dort, aber halb durchsichtig, als wäre er nicht wirklich da.

Ich spürte mich etwas zu sich ziehen und wusste, ich musste ihm folgen. Ich bewegte mich in seine Richtung, in der Dunkelheit gab es eine Schnur vom Ring ausgehend, die mich zu sich zog.

In der Ferne, am Ende dieser, sah ich einen hellen Punkt.

Von Ehrgeiz gepackt, kam ich immer schneller voran, bis der Punkt größer wurde, er wurde breiter, nahm mein komplettes Sichtfeld ein.

Das Ziehen nahm zu, als würde ich aus meiner Welt gerissen. Alles war weiß und aus dem Weiß wurde ein Bild.

Ein Schlachtfeld unter uns. Der Boden war sandig und aus weichem Stein. Er war blutgetränkt. Leichen stapelten sich. Der Himmel besaß die gleiche Farbe, blutrot, die Sonne ging gerade unter.

„Die neuen Biester sind zu schwach", ertönte verzerrt eine Stimme. Es war nicht Diamantes.

„Ich finde sie ganz akzeptabel." Eine andere Stimme. Jemand schnaubte.

„Wenn sie nicht mal gegen meine Drachen ankommen, sind sie nutzlos."

„Stellst du nicht zu hohe Ansprüche?"

„Sie sind zu schwach! Denkst du etwa so könnten wir gegen die Glühwürmchen gewinnen?" Höhnisches Gelächter.

„Was denkst du, Diamante?" Die Frage klang fast wie ein Test .

„Ich stimme Luzifer zu." Das Bild begann sich zu bewegen, als würde der Träger des Rings über den Abhang zum Schlachtfeld hinunter schlittern. Die Details des Massakers wurden genauer.

Zerfetzte, insektenähnliche Körper, Leichen niederer Dämonen menschlicher Gestalt und tierähnliche Dämonenbiester. Blutgetränkt, leblos und mit bleichen Gesichtern, so weit der Horizont reichte. Der Schock darüber ließ mich unruhig werden.

„Was", ertönte es und ich spürte, dass der Ring sich bewegte, vom Finger geschoben wurde.

Ein vorausahnender Schmerz setzte ein, aber bevor er mich erwischen konnte, wurde ich mit einem Ruck zurück gerissen, überwand eine Grenze und landete in meinem Körper.

Ich atmete schwer, es war, als bekäme ich zu wenig Sauerstoff. Ich öffnete meine Augen und sah den Trainingsraum-Boden.

„Das war knapp", hörte ich Anens Stimme, aber vielleicht bildete ich sie mir auch nur ein. Ich stützte mich mit den Armen ab und versuchte mich zu beruhigen.

„Was war das?", krächzte ich und sah auf in Anens Gesicht. Ungerührt sah sie zurück.

„Du hast ihn gefunden", stellte sie fest und berührte meinen Arm. Langsam fühlte ich mich besser. Der Strom an Energie, den sie mir gab, half mir zu Kräften zu kommen. Der Strom versiegte.

„Danke", sagte ich. Sie erwiderte nichts.
„Was war das für eine Technik?", wollte ich von ihr wissen.
„Energieübertragung", antwortete sie tatsächlich.

„Du hast es sehr schnell raus gehabt. Hat du es schon mal gemacht?" Ich nickte.
„Ich benutze es schon lange als Technik, um das Gewicht meines Schwertes zu erhöhen. Aber das hier ..." Ich deutete auf das Amulett. „... war auf einem ganz anderen Level. Es war als ..." „... wärst du mitgereist, ja", vollendete sie meinen Satz. Irritiert schüttelte ich den Kopf.

„Ja, ich kann deine Gedanken lesen", antwortete sie auf meine nicht laut gestellte Frage.
„Und nein. Auch das kann ich dir noch nicht erklären." Ich ignorierte es einfach. Dann war es eben so.

„Nur jene mit mächtiger Energie können einen Gegenstand mit einem Suchamulett orten. Da die Energie, die ein Gegenstand ausstrahlt, in einer sehr kurzen Reichweite erfolgt, gibt es sehr wenige Geflügelte, die dazu fähig sind."

„Aber ohne deine Anleitung hätte ich es nie geschafft", warf ich ein.
„Dafür hast du noch zu wenig Erfahrung. Die Komplexität sich geistig so weit vorwagen zu können ohne verloren zu gehen muss geübt werden. Es am Anfang alleine zu wagen wäre viel zu gefährlich." Ich begann zu verstehen.

„Gibt es für das Ganze bestimmte Regeln?", fragte ich sie. Sie lächelte verschmitzt.

„Du meinst so etwas wie eine Theorie und eine Schritt-für-Schritt-Anleitung?" Ich nickte. Sie schüttelte den Kopf.

„In unseren Kreisen nicht. Da gibt es nur die Praxis und die Theorie ist für jeden so individuell wie es die Vorstellungskraft ist. Unter den Ältesten der Geflügelten könnte es solche Schriften geben." Das hieße sobald der von mir angeforderte Älteste eintraf ... ich stockte.

Eigentlich interessierten mich Theorien weniger und ich sollte diese ganzen geistigen Praxisen den Ältesten überlassen, aber aus irgendeinem Grund interessierte es mich. Doch die Geheimnisse eines Ältesten zu ergründen war gleichbedeutend bei diesem in die Lehre zu gehen und darauf hatte ich weniger Lust.

„Könntest du es mir beibringen?", fragte ich Anen. Sie fasste sich mit dem Zeigefinger nachdenklich ans Kinn.

„Ich könnte dich die Geheimnisse und Techniken lehren. Nachdem ich seine Erlaubnis habe", sagte sie. Meinte sie damit etwa wieder Gott? Ich wollte ja nicht bestreiten, dass es ihn gab, aber er war für unsereins so weit entfernt wie die Sterne.

„Stehst du Gott denn so nahe?", wollte ich von ihr wissen und sie lächelte geheimnisvoll.

„Na gut. Wie lange wird es wohl bis zu seiner Erlaubnis dauern?" Sie dachte nach und zuckte mit den Schultern.

„Keine Ahnung. Den ersten Antrag auf deine Einweihung habe ich bereits gestellt, aber er hält es wohl nicht für nötig sich zu beeilen. Außerdem bin ich nicht eine seiner direkten Ansprechpartner, solange ich hier bin."

Wunderbar. Da gibt es einen allmächtigen und allwissenden Gott, der so etwas schon gestern erledigen könnte und ließ mich hier lieber auf heißen Kohlen sitzen. Und vor mir saß ein Engel, der ... Gott wohl persönlich kannte.

Eine Erkenntnis überkam mich. Gottes nähesten Engel, die er für sich im Himmel und gerne um sich hatte. Die so selten auf der Erde aufkreuzten, dass es einem Weltwunder glich, taten sie es doch.

„Du ..." sprachlos sah ich sie an und sie lächelte wissend über meine nächsten Worte.

„Du bist eine Himmlische."

20

„Da hast du Recht", sagte sie. 

„Überrascht?" Weder nickte ich, noch schüttelte ich den Kopf.
„Es ist nur so. Ihr sollt doch sehr selten die magische Welt und den Himmel verlassen", brachte ich meine Gedanken hervor. Sie nickte.

„Ja, selten. Das stimmt schon. Aber manchmal geben wir uns euch auch nur nicht zu erkennen", belehrte sie mich. Daran hatte ich gar nicht gedacht.

„Ist das der Grund weshalb du mit niemandem sprechen willst und nichts isst?" Sie legte den Kopf schief.

„Himmlische müssen weder essen, noch schlafen. Außerdem habe ich mit den Geflügelten hier nichts zu schaffen." Ihr Blick sprach für sich. Sie war der Meinung, dass die Stufe zwischen den beiden Engeln existierte.

„Weshalb sprichst du dann mit mir?" Wieder schwieg sie sich aus.
„Hab Geduld. Sobald ich die Erlaubnis habe, werde ich dir alles erklären." Ich nickte nur etwas genervt. Die Ahnung, die mich beschlich, entzog sich wieder meinem Verständnis. Wie damals, als ich ... was eigentlich vergessen hatte?

„Dann bist du wirklich eine Himmlische", versuchte ich es mir begreiflich zu machen. Sollte ich mich geehrt fühlen, vor ihr auf die Knie fallen? Sie war eine der Nähesten Gottes. War es da nicht angebracht? Doch ich empfand nicht, dass ich so etwas tun müsste. Vielleicht war es auch meine Ignoranz und ein Fehlverhalten.

„Deine Energie ...", begann ich.
„Wir haben die Fähigkeit sie auf andere zu übertragen oder sie von anderen abzuzapfen. Deshalb fällt uns eine solche Suchtechnik mit einem  Amulett auch einfacher. Wie ich weiß müssen die Ältesten bei euch jahrzehntelang üben, um auf ein solches Level zu kommen und solche Fähigkeiten zu erlangen." Ich verstand. Durch ihre Anleitung war es mir erst überhaupt möglich meinen Ring durch das Suchamulett aufzuspüren. Wahrscheinlich hätte ich es alleine nie geschafft.

„Ich danke dir für deine Hilfe", bedankte ich mich und sie lächelte sachte, ihre Augen strahlten Weisheit und Erfahrung aus. Zu Recht, wie ich nun wusste. Sie war immerhin mehrere tausend Jahre alt, auch wenn man es dem kindlichen Körper nicht ansah. Ich fand es sehr spannend. Ich hatte tausend Fragen.

„Weshalb bist du auf der Erde?", stellte ich die erste und sie löste den Schneidersitz in eine bequemere Position auf. Sie schwieg lange, schien ihre Worte abzuwägen.

„Wir beobachten das Treiben auf der Erde schon eine Weile. Die dämonischen Aktivitäten haben sich gehäuft, die Energien der Erde ins Negative verschoben. Ich wurde beauftragt etwas zu finden, aber ich kann es dir nicht nennen."

„Wieso?", fragte ich nach.
„Wir Geflügelten könnten dir womöglich helfen." Sie schüttelte den Kopf.
„Nein, könnt ihr nicht, vertrau mir. Ich muss einfach weiter suchen."

Meinen offensichtlichen Gedanken folgend, ließ ich das Suchamulett vor ihrer Nase baumeln, doch sie lachte nur auf.

„Nein, damit kann ich bei meiner Suche nichts anfangen."
„Weil du den Gegenstand noch nie gesehen hast?" Sie tippte sich ans Kinn.

„Womöglich. Und weil ich noch nicht einmal weiß, ob es ein Gegenstand ist." Ich schwang das Amulett einmal rum und schloss es in meine Faust.
„Du denkst ein Lebewesen?", fragte ich nach und sie zuckte mit den Schultern.

„Ich weiß es nicht. Aber lass uns nicht darüber reden. Was hast du nun vor mit den Resultaten deiner Suche?", wechselte sie plump das Thema. Sie heuchelte Interesse, das spürte ich. Trotzdem antwortete ich.

„Ich werde es natürlich weiterleiten. Ich weiß nun wie hoffnungslos es ist den Ring da zu suchen, wo er sich zurzeit befindet. Das werde ich Vater berichten und die Szene des Gesprächs der Dämonen schildern. Wir werden mit dem anderen Gegenstand weitermachen. Dem Artefakt, das eine bestimmte Kraft verstärken kann." Überlegend nickte Anen.

„Ihr wollt die Artefakte vor den Dämonen finden. Das dürfte für euch kein großes Problem darstellen." Angestrengt dachte ich darüber nach.

„Du kannst uns damit helfen?", fragte ich sie.
„Das könnte ich. Obwohl es für dich nun kein allzu großes Problem mehr darstellen sollte. Vielleicht finde ich dann auch das, was ich suche." Ich lächelte.
„Dafür wäre ich dir sehr dankbar." Ich stand auf.

„Ich sollte wieder zurück.Gerade sind ich und ein paar andere Energiekubdige dabei etwas über sich mächtige Artefakte herauszukriegen. Eine Freundin von mir wollte, dass ich mit dir spreche. Sie hat sich Sorgen um dich gemacht. Dich halten die Leute hier wirklich nur für ein kleines Mädchen." Ihre Miene blieb ernst.

„Ich kann doch davon ausgehen, dass du niemandem verrätst wer ich bin." Ich nickte.
„Aber du solltest aufpassen. Mein Vater ist sehr misstrauisch. Niemand weiß woher du so plötzlich kommst und deine Aura ist auch nicht zu übersehen." Sie nickte.
„Ich werde wohl mit ihm sprechen müssen."

„Wirst du es ihm sagen?" Sie wägte ab und sah durch die Gegend.
„Vermutlich bleibt mir nichts anderes übrig. Aber er wird mich nicht verraten", sagte sie mit Bestimmtheit, aber ich hinterfragte ihre Gewissheit nicht. Wer wusste schon was in ihrem Kopf vorging? Sie *war* ein tausende Jahre altes Wesen. Ich wandte mich zum Gehen, aber blieb dann nochmal stehen.

„Achso. Wie konnte es eigentlich geschehen, dass dich ein Höllenfeuer überforderte?" Sie wandte sich ab.

„Das ist eine Geschichte für ein anderes Mal." Traurigkeit zeigte sich auf ihrem Gesicht und ein tapferes Lächeln. Ihre Hand berührte einen kleinen Stein an ihrem Handgelenk, den ich erst jetzt wahrnahm. Er sah genauso aus wie die Kristalle des Ältesten.

Ich verließ den Raum und als ich noch mal zurück sah, bemerkte ich eine Träne, die über ihre Wange zum Kinn rollte. Die Tür schloss sich.

___

Als ich den Salon wieder betrat, kam schon gleich Fiona auf mich zugestürmt.

„Was ist passiert?", fragte sie und musterte mich, als hätte ich irgendwo eine lebensbedrohliche Wunde versteckt.

„Was meinst du?", fragte ich zurück und sie sah mich entgeistert an.

„Für ein paar Sekunden war deine Aura nahezu weg, so schwach war sie", erklärte sie. Hatte mich die Amulettsuche so viel Energie gekostet?
„Es ist alles gut, Fiona. Es ist nichts", versuchte ich sie zu beruhigen.

„Das kann nicht nichts gewesen sein!", beharrte sie und sah mich verurteilend an.
„Solchen Energieverlust gibt es eigentlich nur, wenn das Leben am seidenen Faden hängt, man schwer verletzt ist oder es so sehr mit den Training übertrieben hat, dass man sich kaum davon erholen kann. Was hast du nur gemacht?"

Ich zog das Suchamulett aus meiner Tasche.
„Ich habe meinen Ring gefunden." Leicht lächelte ich und durch meine Worte verstummte sie sofort.

„Du hast es geschafft?", fragte sie ungläubig und als ich nickte, fing sie an zu strahlten.
„Ja! Endlich sind wir diesen miesen Fledermäusen einen Schritt voraus." Ihr Enthusiasmus war ansteckend.

„Nicht alle Dämonen haben solche Flügel", erinnerte ich sie, aber sie winkte ab. Ich wurde ernster.
„Außerdem ist das Ergebnis meiner Suche alles andere als vielversprechend", wandte ich ein und sie sah mich fragend an.

„Der Ring befindet sich in der Unterwelt." Fiona stöhnte kurz auf  „Toll. Was machen wir dann jetzt?" Ich nahm mein Suchamulett und hob es hoch.

„Ganz einfach. Für den Moment vergessen wir meinen Ring und konzentrieren uns auf die nächsten Artefakte." Sie blinzelte.

„Wenn du nach dem nächsten Artefakt suchst, wird es dich wieder fast umbringen?" Ich runzelte die Stirn. So melodramatisch kannte ich sie gar nicht.
„Das bringt mich nicht fast um. Es geht mir gut. Ich kann es wieder versuchen."

Bevor sie etwas einwenden konnte, trat Ortus zu uns. Er zwirbelte kurz seinen karottenfarbenen Schnauzer zwischen den Fingern und sah uns über seine Brille hinweg an.
„Da Ihr gerade das nächste Artefakt erwähnt. Es gibt neue Informationen dazu", erzählte er und reichte mir ein gefaltenes Blatt.

Ich öffnete es und sah es mir an. Fiona neben mir legte einen Arm um meine Schulter und schielte ebenfalls auf das Geschriebene. Es enthielt Koordinaten und eine Karte, erst auf dem zweiten Blick erkennbar. Eine Satellitenaufnahme, die Hügel und leichte Ebenen aufzeigte. Mit einem Marker war ein Punkt in Rot markiert. Das ging wirklich schneller als erwartet.

„Wie habt ihr es herausgefunden?", wollte ich wissen und der Angesprochene nahm wieder das Blatt entgegen und meinte: „Wir sind einer Legende auf die Spur gegangen, aber das alles ist ziemlich unsicher. Vielleicht findet man auch gar nichts vor." Da war nichts zu machen. Ich nickte.

„Wir sollten allen Hinweisen nachforschen. Wir machen uns morgen direkt auf den Weg", bestimmte ich und die Anwesenden nickten. Fiona wirkte etwas nachdenklich, sie lehnte nun am Tisch, den Blick gen Boden gewandt und die Arme verschränkt. Fragend sah ich sie an, was sie nicht registrierte.

„Was ist los?", fragte ich sie direkt und eine Antwort ließ nicht auf sich warten.
„Das ist ein sehr gefährdetes Gebiet", meinte sie und ich sah mir die Karte nochmal genauer an.

„Wie gefährdet?", fragte ich und statt sie antwortete Ortus: „Ein Dämonennest, das der dort ansässige Clan schon mehrmals erfolglos ausrotten wollte. Vermutlich gibt es da ein Höllenportal." Die Worte ließen mich erstarren. Ein Höllenportal? Ich räusperte mich und riss mich zusammen.

„Wir werden den ansässigen Clan und seinen Hauptclan verständigen. Die Länder haben uns bereits ihre Zustimmung zu unserer Mission gegeben und werden uns unterstützen", bestimmte ich und alle nickten.

„Ich werde sie informieren", meinte Ortus und ich nickte.
„Mach das." Ich wandte mich zur Tür. „Es ist bereits spät, machen wir für heute Schluss. Morgen erwarte ich höchste Konzentration", verabschiedete ich mich und verließ nach ihren kurzen Erwiederungen den Raum. Sie waren wieder vertieft in ihrem Tun, würden  wohl noch lange nicht Feierabend machen.

Hinter mir huschte auch Fiona hinaus und hängte sich an meinen Arm/ging neben mir her als wäre es das selbstverständlichste der Welt.

___

Der Flug nach Ägypten verlief problem- und ereignislos. Wir machten uns auf den Weg noch bevor die Sonne aufging.

Doch die erste Überraschung ließ nicht lange auf sich warten. Nur wenige Kilometer von unserem Ziel entfernt, sahen wir eine Gruppe Männer zu uns hoch winken. Nach einem kurzen Blickaustausch unter uns landeten wir vor ihnen.

Grius kam mit einem falschen Lächeln auf uns zu. Was machte denn der hier?
„Ah, na endlich seit ihr auch mal da. Wir mussten schon Stunden auf euch warten!", beschwerte er sich. „Aber ich will ja auch nicht so sein. Zu viel Erwartung in Minderjährige stecken soll man ja auch nicht", fuhr er fort und sah mich herausfordernd an.

Ganz klar. Er wollte vor meiner Gruppe meine Autorität untergraben. Da schnitt er sich aber in den Finger. Abgesehen vom Offensichtlichen, nämlich, dass Frankreich wohl etwas näher an Afrika lag als England und er gerade einmal beschissene zwei Jahre älter war als ich, gab es da noch etwas.

„Zumindest habe ich bei unseren Schlachten gegen den Dämonenkönig mitgekämpft und habe mich nicht wie ein elendiger Feigling unterm Bett versteckt." Sein Lächeln fiel ihm vom Gesicht und während er mich wütend anblitzte, oh ja, es war ihm peinlich, danke Ilias, dass du es mir erzählt hast, breitete sich auf meinem Gesicht ein überhebliches Lächeln aus. Ilias erzählte es mir bei unserem Rückflug vom Außenclan. Schon damals konnte ich mir ein Lachen nicht verkneifen. Ja, er wollte wohl den perfekten Prinzen spielen, doch scheiterte er daran erbärmlich. Allein in zwischenmenschlicher Hinsicht.
Doch war ich dabei so viel besser?, beschwerte sich etwas in mir.

„Was sucht Ihr und Euer Gefolge hier?" Ich musterte seine Gefolgsleute. Ihre Blicke waren überheblich und spöttisch. Sie gefielen mir alle drei nicht. Ich richtete meine Aumerksamkeit wieder auf Grius. Er spielte mit dem protzigen Ring an seinem Finger herum. Ein Schutzamulett. Interessant.

„Was wir hier suchen?" Er lächelte herablassend.
„Euer Vater vertraut Euch wohl nicht genug, um Euch eine wichtige Mission allein durchführen zu lassen. Wir sind die kurzfristige Unterstützung."

Seine Worte verletzten mich nicht. Ich wusste mein Vater vertraute mir, sonst hätte er meinem Urteil gegenüber Anen nicht Glauben geschenkt oder mich den Kampf gegen die Dämonen in den Außenclanen leiten lassen.

„Dann hoffe ich für euch, dass ihr eine Unterstützung seid und mir nicht nur im Weg steht."
Ich ging an ihm vorbei und streifte dabei absichtlich seine Schulter.
„Ich kann wohl davon ausgehen, dass Ihr noch nie ohne Euren Papi irgendwo wart. Fliegt uns einfach nach und stört nicht." Mit diesen Worten stieß ich mich ab und meine Begleiter mit mir.

Es verlieh mir ein Gefühl des Triumphs vorne weg zu fliegen. Weniger angenehmer war es ihn in meinem Rücken zu spüren. Aber was sollte ich machen? Wenn mein Vater es angeordnet hatte kam ich da nicht mehr raus. Das hieß aber nicht, dass ich ihm bei allem dabei haben und überall einweihen musste.

Der Wind wirbelte den Sand in die Luft hinauf, aber wir flogen so hoch, dass er uns nicht erwischte. Unter uns lag die Wüste gleißend hell da, bis zum Horizont.

Fiona neben mir versuchte ihre Aura in den Griff zu bekommen und eine seltsame Kälte ging langsam von ihr aus. Natürlich, sie mochte und vertraute normalerweise keine Adlige und hasste es, wenn sie sich aufspielten, als wären sie etwas Besseres.

Kurz warf ich ihr einen prüfenden Blick zu und sie nickte nur, dass sie verstanden hatte. Sie wird versuchen sich unter Kontrolle zu halten.

Ortus auf meiner anderen Seite musterte Fiona analysierend. Ich konnte nur hoffen, dass er sie notfalls auch stoppen würde, sollte sie wieder einmal zu vorlaut sein.

Jean flog hinter Fiona und und wie so oft spürte ich seine große Energie und den messerscharfen Verstand.

Er und Fiona verstanden sich prächtig seit Fiona wusste, dass auch er nur auf Ergebnisse wert gab und weniger auf die Abstammung. Trotzdem herrschte in der Gruppe noch eine gewisse Anspannung gegenüber dem. Fiona war die einzige Nicht-Adlige in der Gruppe und Ortus zählte *nur* als Adliger, da er adoptiert wurde und die Ehre hatte bei dem italienischen Hauptclan-Ältesten in die Lehre zu gehen.

Der restliche Flug verlief genauso schweigsam wie bisher. Grius hielt mit seinem Gefolge einen guten Abstand von uns. Gut, dass er mich genauso wenig mochte wie ich ihn. So mied er mich und ich musste mich weniger mit ihm herumschlagen.

Am Horizont tauchte langsam eine große Felsformation auf. Mattbraun ragte sie steil in den Himmel.
Ich konnte die handvoll fliegenden Wachen am Himmel erkennen, die ihre weiten Kreise zogen.

Zwei davon flogen uns entgegen, musterten uns und winkten uns dann näher. Bis auf wenige Meter blieb ich vor dem einen auf der Stelle fliegend stehen. Seine Miene war unbewegt, seine kohleschwarze Haut glänzte in der Sonne wie polierter Mahagoni.

„Prinz Caenen von Großbritannien?", fragte er mit einem eigentümtlichen Akzent und ich nickte. Daraufhin verbeugte er sich und deutete nach hinten zu dem Tafelberg.

„Die Gegend hier ist zwar sicher am Tag, aber das Nest der schwarzen Kreaturen ist nicht weit. Wir begleiten euch bis zum Schloss." Ich nickte.
„Danke."

Der eine flog links von unserer Gruppe, der andere rechts.
Ich bemerkte die ein wenig zornige Aura von Grius, da sie ihn komplett ignorierten und konnte darüber nur innerlich schmunzeln. Wenn nicht einmal ich etwas von seiner sogenannten Unterstützung wusste, wie sollte es dann bis zu einem Geflügelten in Wachposition vorgedrungen sein?

Doch vielleicht hatte mein Vater nur absichtlich mir nichts gesagt, da er wusste wie wenig wir uns ausstehen konnten? Obwohl, nein. Das scherte ihn nicht. Da wäre noch der Gedanke logischer, dass er es gerade deswegen so arrangiert hatte.

Umso mehr amüsierte es mich, dass sich Grius wegen solchen unwichtigen Dingen aufregte.

Die Berge wurden größer, ihre dunkle Farbe enthüllte viele Farbnuancen und Vertiefungen. Unsere Flughöhe war über den höchsten Gipfel des Berges, sodass wir ganz einfach darüber flogen. Es zeigte sich eine mächtige Kuhle inmitten der Bergformation. Im Felsen die Fassade eines Schlosses herausgearbeitet, das sich in perfektem Schwung an die Umgebung anpasste. Die Türme glichen Bergwipfel, doch beim Näherkommen sah man die filigrane Feinarbeit und Harmonie der herausgearbeiteten Flächen.

Spitz zulaufende Winkel und facettenreiche Oberflächen unterbrachen die natürliche Struktur mancherorts und frei schwebende Brücken verbanden Gebäude und Türme. Das Glas der Fenster spiegelte das Licht und ließ das Schloss wie einen Diamanten strahlen. So etwas hatte ich noch nie gesehen.

Im Hof des Schlosses, wenn man es so nennen konnte, landeten wir.

Ein Engel in Steilflug erweckte meine Aufmerksamkeit. Kurz bevor er auf dem Boden vor uns zerschellen konnte, fing er sich mit einem Flügelschlag ab und landete sanft auf den Füßen.

Der Engel strich sich die langen, lockigen Haare aus der Stirn und die dunkelhäutige Schönheit vor uns lächelte uns freudig an. Ihr Blick blieb auf mir haften.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 04.08.2018

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