Egon war eingefleischter Single. Von Geburt an. Er wuchs als Einzelkind auf und so hielt er es auch, als er ins heiratsfähige Alter kam. Er blieb Single. Es bereitete ihm auch keinerlei Schwierigkeiten, diese Lebensmaxime durchzusetzen. Nur mit der fünften Jahreszeit, wie man im Rheinland zu pflegen sagt, hatte er so seine kleinen Probleme. Und dieses närrische Problem hieß: Weiberfastnacht.
Dennoch hatte er stets die Kurve gekriegt. Jahr für Jahr konnte er sich an besagter Weiberfastnacht erfolgreich dem Ritual der Krawattenopferung entziehen. Entweder ließ es sich vermeiden, dass er mit dem verrückten Weibervolk aus der Firma zusammentraf oder aber er trug an diesem Tag ganz überhaupt keine Krawatte.
Genüsslich beobachtete er stets an Weiberfastnacht seine männlichen Kollegen, die an diesem bestimmten Donnerstag vor Aschermittwoch mit ihren hässlichsten Krawatten durch die Flure eilten und den Eindruck erweckten, sie müssten das hässliche Stück retten, wie Supermann die Welt. Ständig waren sie auf der Flucht vor dem aufdringlichen, schrill angemalten und kostümierten Frauenvolk. Doch geriet auch nur einer der Kollegen in ihre Fänge, dann gellte ein gar schauriges Geschrei über die Flure und drang letztlich bis in das hinterste Büro.
Nur kurze Zeit später waren die närrischen Frauen um eine Trophäe reicher und mit ziemlich viel Tamtam wurde das Objekt närrischer
Begierde an eine eigens dafür hergerichtete Wand gepinnt und dem gemeinen Volk zur Schau gestellt.
Nur im letzten Jahr hatte Egon Pech. In absoluter Gewissheit, dass ihm das närrische Frauenvolk auch in diesem Jahr nicht an die Krawatte kam, hatte er sein einziges Prachtstück angelegt. Egon hatte an diesem Tag einen wichtigen Kundentermin wahrzunehmen und da war korrekte Kleidung für einen erfolgreichen Geschäftsabschluss ein nicht unerheblicher Teil des Erfolges.
Und tatsächlich schien auch dieses Mal der Kelch an ihm vorüberzugehen. Doch ein Augenblick der Unachtsamkeit und es war geschehen. Mit lautem Gejohle hatten die närrischen Weiber die Flure besetzt, sofort hermetisch abgeriegelt und waren in ihrer zahlenmäßigen Überlegenheit in sein Büro gestürmt. Ehe Egon sich versah, hatten sie ihn an seinem Bürostuhl gefesselt und eine ihm nicht näher bekannte Kollegin, hässliche Hexe verkleidet, vollführte einen ihrer Zaubertänze. Gegenwehr war in diesem Falle zwecklos.
Schließlich nahte das Grauen in Form einer überdimensionalen Schere. Mit einer vor Entzücken verzerrten Fratze setzte sich die Hexe, Egon hatte sie als Rädelsführerin des närrischen Mobs eingestuft, auf seinen Schoß und … Schnipp schnapp … war die Krawatte ab. Egon stieß einen wütenden Schrei des Schmerzes aus. Er hatte viele Krawatten, meist billig aus Polen mitgebracht, doch diese, die nun triumphierend von der närrischen Hexe zur Opferwand getragen wurde, war seine erste und einzige Marken-Krawatte. Lange hatte er nicht herausgefunden, wer sich hinter der Maske verbarg, und einer seiner schönsten und teuersten Krawatten den Garaus machte.
Mit dem kläglichen Rest seiner Gucci-Krawatte nahm er dann seinen Kundentermin wahr. Der Kunde nahm die Sache ziemlich gelassen und outete sich schließlich selbst als eingefleischter Karnevalist. Es sei eben Weiberfastnacht, meinte er, und da müsse man eben Spaß verstehen.
Egon verstand keinen Spaß. Er gönnte den Frauen zwar ihren Spaß, aber absolut nicht auf seine Kosten. Egon war stinke sauer und sann auf Rache. Und für seine Rache hatte er ausreichend Zeit, ganze 365 Tage.
Irgendwann im Laufe des Jahres, es war kurz vor Beginn der neuen Karnevalssession, hatte Egon endlich die zündende Idee. Der entsprechende Plan, wie er es dem närrischen Weibervolk heimzahlen konnte, reifte, als er sich mit einem alten Schulfreund traf. Dieser hatte einen Job in einem Filmstudio und war verantwortlich für die Spezialeffekte. Der Plan stand für Egon fest, als besagter Schulfreund bilderreich erzählte, wie man blutige Horrorfilme ausstattete. Er wäre der Meister der blutigen Szenen, meinte der Freund.
Darauf angesprochen, auf Egons Racheplan, gab dieser ihm noch einige entscheidende Tipps, wie er seinen Plan effektvoll in die Tat umsetzen und den absoluten Schockeffekt damit erzielen könnte.
Eine Woche vor Weiberfastnacht hatte er schließlich alles beisammen. Seine hässlichste Krawatte zauberte er aus der hintersten Ecke seines Kleiderschrankes hervor und machte sich voller Vorfreude ans Werk.
Mittels einer kleinen Nagelschere öffnete er die Naht auf der Krawattenrückseite. Nun befestigte er auf der Rückseite der Krawatte fein säuberlich ein Kondom. Hundertprozentig reißfest, wie auf der Packung stand. Dieses Kondom hatte er sich extra in der Nachbarstadt besorgt, in einem Supermarkt, in dem man ihn mit Sicherheit nicht kannte.
Bevor er dieses Kondom in fast chirurgischer Meisterleistung an der Krawatte befestigte, hatte er es mit einigen Millilitern Schweineblut gefüllt. Das war einer der Tipps seines Schulfreundes. Schweineblut mache sich immer gut, meinte dieser, schließlich nehme man beim Film dieses auch immer, wenn besonders blutige Szenen gedreht wurden. Einen Metzger, der ihm Schweineblut besorgte, hatte Egon schnell gefunden. Nachdem er nun das Kondom sachgerecht in der Krawatte eingenäht hatte, verschloss er mit vorsichtigen Stichen die vorher aufgetrennte Krawattennaht.
Voller Stolz betrachte er nach getaner Arbeit sein Werk. Es gab nichts zu meckern. Die merkwürdige Krawattenfüllung fiel absolut nicht auf. Ein wenig schwer erschien sie ihm schon, doch er hoffte auf die unverhohlene Krawattengier der närrischen Weiber und somit auf eine kurze Tragezeit seiner Krawatte.
Als er am Abend ins Bett ging, schaute er noch einmal zu seinem Kleiderschrank hinüber. Dort hing sein Meisterwerk. Mein wird die Rache sein, dachte er und dann schlief er ein.
Am nächsten Morgen, Weiberfastnacht, war er zeitig auf den Beinen. Er duschte ausgiebig, rasierte sich, wobei er sogar entgegen aller Gewohnheit ein Lied pfiff und ließ sich die morgendliche Semmel besonders gut schmecken.
Schließlich legte er die Krawatte an. Alles war perfekt, selbst den Knoten hatte er diesmal sofort hingekriegt. Dann machte er sich auf den Weg ins Büro. Derartig gut gelaunt war Egon schon lange nicht mehr ins Büro gegangen.
Es war ein kühler Februartag. Um seine Krawatte zu verbergen, hatte er den Mantel hoch geschlossen und sogar noch den Kragen hochgeschlagen. Schließlich sollten nicht irgendwelche närrischen Weiber auf der Straße ihre gierigen Finger nach seiner Krawatte ausstrecken und ihn letztlich seiner eigentlichen Rache berauben. Seine Krawatte war etwas besonderes und ausschließlich für die närrischen Weiber seiner Firma gedacht.
Mit einem lauten, unüberhörbaren „GUTEN MORGEN“ betrat er das Bürogebäude, wobei er demonstrativ seinen Mantel öffnete und die Krawatte sehen ließ. Mit Lichtgeschwindigkeit breitete sich die Nachricht seiner Ankunft aus. Egon fuhr mit dem Fahrstuhl in den dritten Stock.
Auf dem Flur zu seinem Büro hatten sich sofort einige kostümierte Frauen zusammengerottet und warteten auf ihr potenzielles Opfer.
Plötzlich gellte ein Urwaldschrei, den Tarzan nicht besser hinbekommen hätte, über den Flur. Eine Frauenhand zeigte auf ihn. Oder doch mehr auf seine Krawatte? Sämtliche Frauenköpfe flogen herum und schauten gierig auf das Objekt männlicher Eleganz. Schon blitzte eine Schere im Licht der Leuchtstofflampen und innerhalb weniger Sekunden umringte ihn ein ganzes Rudel ausgelassener Weiber.
Und dann, Egon hüpfte das Herz vor Freude, tauchte aus der Masse wieder jene mitleidlose Hexe auf. Blanke Gier auf seine Krawatte schaute aus ihren dunkel geschminkten Augen. Schließlich war nur noch die Schere zwischen Egons Krawatte und der närrischen Hexe. Ein Schnitt und sein Hemd färbte sich blutrot. Egon stöhnte gequält auf.
Der Lärm auf dem Flur verebbte, plötzlich war es totenstill. Eine Schere fiel klirrend zu Boden. Die närrische Hexe stieß einen schrillen Schrei aus, wobei sie ihr Krawatte tragendes Opfer mit schreckensweiten Augen ansah. Sie war einer Ohnmacht nahe, aber auch die anderen närrischen Weiber schauten ihn mit einem Ausdruck des Schreckens in den Augen an. Schließlich zogen sie sich kleinlaut zurück und geleiteten ihre Kollegin in deren Büro.
Egon ließ man einfach blutüberströmt stehen. Doch Egon jubelte. Die Rache war ein voller Erfolg.
Aber Egon war kein Unmensch oder gar gefühllos. Schon eine halbe Stunde später meldete sich sein Gewissen und er fragte sich, ob er mit seiner Rache nicht doch etwas zu weit gegangen war.
Zahlreiche Entschuldigungen murmelnd fragte er sich bis zum Büro der sichtlich schockierten Kollegin durch. Als Egon eintrat, saß die Kollegin, immer noch kreideweiß im Gesicht, an ihrem Schreibtisch und sah deutlich mitgenommen aus. Als sie Egon erblickte, sprang sie auf und das Kreideweiß ihres Gesichtes wurde noch intensiver. Egon trug immer noch das mit Schweineblut verschmierte Hemd. Er versuchte sie zu beruhigen und erklärte ihr schließlich den ganzen Sachverhalt. Und nachdem er ihr einige Male versichert hatte, dass ihm absolut nichts geschehen sei, kehrte ein wenig Farbe in ihr Gesicht zurück. Als kleine Wiedergutmachung lud er die Kollegin zu einem Cappuccino ein.
Wenig später saßen beide auf der anderen Straßenseite beim Italiener und konnten auch schon wieder gemeinsam über das Geschehene lachen.
Übrigens hat jemand von Egons Kollegen die Geschichte dem Lokalradio mitgeteilt, was denen sogar eine Nachricht wert. Das ganze Spektakel um Egons Rache ging als die BLUTIGE WEIBERFASTNACHT in die Lokalnachrichten des Senders und sogar in die Stadtannalen ein.
Etwas gutes aber hatte die ganze Geschichte dann doch. Ein Happyend.
Egon ist an diesem Tag seiner Lebensmaxime untreu geworden und nicht mehr Single. Er hat sich in der darauf folgenden Zeit noch oft mit der närrischen Hexe getroffen. Und wenn alles gut geht, nichts dazwischen kommt, dann soll im nächsten Jahr zu Weiberfastnacht Verlobung sein.
Glauben Sie nun, dass Rache süß ist?
Einmal im Jahr singt man auf der ganzen Welt zu Weihnachten: „Alle Jahre wieder...“ Bei uns in der Siedlung ist das schon etwas anderes, bei uns gibt es sogar im Frühjahr auch ein: „Alle Jahre wieder“.
Im Frühjahr, wenn die Sonne die letzten Reste des Schnees zum Schmelzen gebracht hat und die ersten Vöglein ihre Liedchen trällern, dann beginnen in unserer Siedlung die Vorbereitungen zum großen Wettkampf.
Es beginnt alles ziemlich harmlos. Bei den ersten warmen Sonnenstrahlen zieht es die männlichen Eigenheimbesitzer hinaus in ihren Garten. Mit geschultem Blick wird zunächst eine Art Bestandsaufnahme gemacht.
Wie hat der Garten den mehr oder weniger strengen Winter überstanden? Welche Pflanzen müssen raus und welche müssen vor dem ersten Austrieb noch geschnitten werden? Wie sieht die Hecke zum Nachbarn aus? Die Heckenschere ist bereits geschärft und wartet im Schuppen auf den ersten Einsatz.
Doch diese Dinge sind alles nur ein Alibi. Was wirklich in Augenschein genommen wird, ist der englische Zierrasen. Unauffällig für die Spione aus der Nachbarschaft bücke ich mich und streiche prüfend über das frisch sprießende Grün. Die Sonne hat schon Kraft und eine fast zärtliche laue Wärme strömt von den jungen Halmen in meine Handfläche. Er wächst, unser Rasen.
Am Samstag darauf ist schlechtes Wetter. Es ist wieder kühl geworden. Die beste Zeit, um das Wettkampfgerät zu überprüfen und einsatzbereit zu machen. Stunde um Stunde verbringe ich im Geräteschuppen. Dort hat das Wettkampfgerät, sorgfältig verpackt, den langen Winter verbracht. Jetzt wird es auf Herz und Nieren geprüft. Es wird etwas Lack ausgebessert, geputzt, geölt und getunt. Das schier endlose Kabel wird zum hundertsten Male überprüft und wieder auf die selbst konstruierte Kabeltrommel aufgerollt. Die Messer werden gewetzt und geschliffen. Schließlich funkelt und blitzt das Wettkampfgerät wie ein Lamborghini auf der IAA in Frankfurt. Voller Liebe und Bewunderung betrachte ich meinen aufgemotzten Rasenmäher.
Wenn es mir nachginge, könnte der Wettkampf noch heute beginnen. Doch den Startschuss zum alljährlichen Wettkampf der Giganten gibt nun einmal Mutter Natur. Erst wenn der Rasen im Garten eine entscheidende Länge erreicht hat, kommt unser Hightech-Rasenmäher zum Einsatz und nicht eher.
Mein Blick fällt auf den frisch im Geräteschuppen aufgehängten Kalender. Langsam geht der März zu Ende. In drei Wochen ist Ostern und wenn der Rasen so weiter wächst, dann ist genau das Osterwochenende der richtige Zeitpunkt für den ersten Einsatz des Rasenmähers.
Doch die Tage schleppen sich träge dahin und nur langsam kommt der Rasen auf Länge. Aber dann, Ostern ist nicht mehr weit, noch eine Woche. Am Sonntag treffen sich alle Wettkampfteilnehmer aus den Nachbarhäusern bei mir. Es wird eine Wettkampfstrategie ausgearbeitet. Schließlich müssen wir die Gegner aus dem Tulpenweg in diesem Jahr unbedingt besiegen. Koste es, was es wolle. Im letzten Jahr hatten diese den „Wettkampf der Giganten“ für sich entschieden und das hatte doch mächtig an unserer Ehre gekratzt, unser aller Selbstvertrauen angenagt.
Am Abend vor unserem Treffen habe ich, bewaffnet mit Taschenlampe und Zollstock, die Länge der Grashalme gemessen. Das Osterwochenende ist genau richtig.
Nach unzähligen Debatten über das absolute „Muss“ eines Sieges und ebenso unzähligen zahlreichen Flaschen Bier, stand es fest: Ostersamstag 10 Uhr, Wettkampf der Giganten!
Dann ist es endlich soweit. Es ist Ostersamstag. 5 Minuten bis zehn Uhr. Punkt zehn Uhr jaulen im Rosenweg, dies sind wir, die Motoren auf. Die scharfen Messer fressen sich durch das Gras und die frisch gemähten Halme duften aus dem Auffangbehälter.
Im Tulpenweg liegt man noch im Dornröschenschlaf. Keinerlei Aktivitäten, keine Rasenmähergeräusche. Die Kerle liegen noch im süßen Schlummer und ahnen nichts von ihrer Niederlage. Auch zwei Straßen weiter, am Fliederweg, hat man den Einsatz verpasst. Erst zehn Minuten später rattert dort der erste Rasenmäher und gar ganze dreißig Minuten nach unserem Einsatz schlagen endlich die Rasenmäher im Tulpenweg zu.
Wir haben gewonnen, waren die Ersten in diesem Jahr, die ihren Rasen gemäht haben. Die Häuslebauer und Hobbygärtner des Rosenwegs haben ihre Ehre wieder hergestellt. Wir lassen die Korken knallen und genießen das von unseren Frauen zubereitete Bauernfrühstück.
Den anderen im Fliederweg und Tulpenweg bleibt nur die Schmach. Denn nach unserem grandiosen Sieg folgt schließlich noch die Siegesparade. Voller Stolz ziehen wir mit unseren aufgemotzten und schon fast nicht mehr an Rasenmäher erinnernden Hightech-Rasenkreuzern durch die Straßen der Verlierer.
Im Tulpenweg machen wir halt, nehmen großzügig die Gratulation der Verlierer entgegen. Am späten Nachmittag und nach unzähligen Osterwässerchen, natürlich spendiert von den Unterlegenen des Wettkampfes der Giganten, beginnen wir schon mit der Planung des Wettkampfes im nächsten Jahr.
Der Tulpenweg hat uns eine schmachvolle Niederlage angedroht und auch die vom Fliederweg nehmen wieder mal den Mund ganz schön voll. Aber bis zum nächsten Jahr ist noch viel Zeit und im nächsten Winter lassen wir uns wieder etwas ganz besonderes einfallen. Denn nichts ist schlimmer, als von seinem Nachbarn beim ersten Rasenmähen im Jahr geschlagen zu werden.
Was waren das früher für schöne Zeiten! Damals, als der Frühling nicht nur in der Natur Einzug hielt, sondern auch in die Herzen und wir in der Schule Frühlingsgedichte lernen mussten. Johann Wolfgang von Goethe:
Der Osterspaziergang: Vom Eise befreit sind Strom und Bächedurch des Frühlings holden belebenden Blick,im Tale grünet Hoffnungsglück.
Mit verträumten Blicken schauten wir Jungs unsere Banknachbarin an, seufzten voller Frühlingsgefühle und ernteten nichts als einen geringschätzigen Blick, sowie ein niederschmetterndes: TypischJungs!
Und doch war es schön.
Na, erinnern Sie sich wieder? Derartige Frühlingsgefühle mussten jedoch längst dem grauen Alltag weichen. Des Frühlings betörende Düfte wurden von stinkenden Autoabgasen abgelöst und den Frühling in der Großstadt können sie nur noch beim Blumenhändler für teures Geld erkaufen.
Doch damit habe ich so mein Problem. Männer im Allgemeinen und ich im ganz Besonderen, haben eine gewisse Abneigung gegen Blumenläden.
Es ist, als gäbe es dort nicht Blumen, sondern ansteckende Krankheiten, denn ich meide sie wie die Pest. Dennoch muss ich mindestens dreimal im Jahr meinen Fuß über die Schwelle eines solchen Blumenladens setzen. Einmal zum Geburtstag meiner lieben Ehefrau, zum Hochzeitstag, auch wenn ich ihn ab und zu mal wieder vergesse, und am Karsamstag.
Warum am Karsamstag?
Ganz einfach, um uns den Frühling wenigstens zu Ostern ins Haus zu holen. Früher, ja früher, da machten wir mit unseren Eltern noch einen Osterspaziergang, suchten unsere Ostereier im Garten oder auf der Wiese des Bauern von nebenan. Heute? Heute rümpfen unsere Kinder die Nase, wenn ich einen derartigen Vorschlag unterbreite und versuche, sie zu einem Osterspaziergang zu animieren.
Dann kommen solche Sprüche, wie „Ach komm, Dad, das ist doch total uncool. Wir machen heute Abend unseren Osterspaziergang in die Disco!“ Und die Ostereier, nun, die sind bei unseren völlig „anspruchslosen“ Kindern heutzutage viel zu groß, um sie auf der Wiese des Bauern zu verstecken und außerdem, wo haben sie in der Großstadt noch einen Bauern in der Nachbarschaft! Und … verstecken Sie mal eine Playstation oder einen Computer auf einer Wiese.
Na???? Sehen Sie, ist gar nicht so einfach, was?
Deshalb, um wenigstens etwas Frühlingsgefühle aufkommen zu lassen und aus einer gewissen Tradition setze ich am Karsamstag meinen Fuß, wie gesagt äußerst widerwillig, über die Schwelle eines Blumenladens.
Traditionsgemäß muss ein Strauß Forsythien her, daran werden dann die Holz-Ostereier aufgehängt, die schon meine Großmutter an einen derartigen Strauß hing und so das Osterfest einläutete. Und es musste ein Blumenbukett voller Frühlingsblumen sein, welches dann den festlich gedeckten Frühstückstisch ziert und ganz allein für meine geliebte Ehefrau gedacht ist. Was sie auch immer lächelnd registriert.
Mit derartigen Kaufabsichten strebe ich also an besagtem Karsamstag zielsicher den nächsten Blumenladen in unserer Nähe an. Und ehe ich mich versehe, stehe ich in einem feuchtwarmen Biotop Palmen, Naturstein und Wasserfall erwecken den Eindruck, dass ich mich in den Urwald des Amazonas verirrt habe.
Es fehlen nur die schrillen Schreie von Affen und andere derartig tierische Urwaldgeräusche. Unsicher arbeite ich mich durch mannshohe Farne, vorbei an exotischen Orchideen. Es wird fast zur Gewissheit, ich habe mich verirrt. Doch da spricht mich eine zarte Frauenstimme an. 'Gott sei Dank', denke ich. Jane hat den Großstadttarzan entdeckt und rettet mich so aus schier auswegloser Situation.
"Was darf ich für Sie tun?"
Ja, Gott, was wollte ich doch gleich? Ach ja, einen Strauß Forsythien und ein Blumenbukett.
"Forsythien können sie sich im Eingangsbereich aussuchen!" säuselt Jane ungeduldig. „Und was für Blumen hätten sie denn gern?“
Gute Frage! Die Zeiten, als ein Mann noch mit einem einfachen Strauß Tulpen die Herzen der stolzesten Frauen erobern konnte, sind genauso vorbei wie die Zeiten, als unsere Kinder noch leuchtende Augen bei einem lila Osterhasen bekamen.
„Ach ja, äh ... wissen Sie ...“ beginne ich zu stottern und versuche, das Dickicht des künstlichen Dschungels nach einer mir bekannten Blumensorte zu durchdringen. „Äh … ich wollte ... ich hätte gern etwas Frühlingshaftes ... etwas Frisches. Es ist Frühling und morgen ist doch Ostern!“
Blumen Jane, eine Mischung aus Alternativemanze und Designerpunkerin, lässt ihren Blick ganzheitlich über meine Erscheinung gleiten, wobei ich immer kleiner werde und mich fühle wie eine Waldameise, welche plötzlich einem Ameisenbären gegenüber steht. Als die Musterung meiner Person beendet ist, trifft mich ein Blick, welcher aus der tiefsten Antarktis zu kommen scheint.
Schlagartig wird mir wieder bewusst, welch ein pflanzenkundlich kleines Licht ich doch eigentlich bin.
„Ich verstehe, etwas Frühlingshaftes. Wie wäre es mit einem Strauß … oder … oder wir hätten da noch …“ An meine Hörmuscheln, dringen Namen und Bezeichnungen, bei denen ich eher an ein Gebet des Dalai Lama gedacht hätte, aber nicht an Blumen.
Blumen Jane registriert meinen unwissenden Blick mit einem kurzen Blick in Richtung Ladendecke und einem alles sagenden Seufzer. "Das sind die lateinischen Namen für ..."
"Ja, ich weiß!" antworte ich schnell. „Das ist sehr gut, machen Sie mal!"
"Für wie viel?"
"Wie viel was?"
„Euro“
"Fünfundzwanzig!?" frage ich mehr, als ich antworte. Mit einem leichten Augenrollen verschwindet Blumen Jane in einem Nebenraum. Schon bald wird dort gewerkelt, dass es eine wahre Freude für einen Heimwerker wäre. In mir wird der Eindruck erweckt, als würde Blumen Jane nebenan von einer Schar Mainzelmännchen unterstützt, so ein Gewusel ist aus dem Nebenraum zu hören. Das ein Blumenarrangement zusammen zu stellen einen derartigen Lärm verursachen kann, erstaunte mich dann doch.
Ich warte und schaue mich weiter im Blumenladen-Dschungel um. Zu dieser Morgenstunde bin ich der einzigste Kunde, der sich hierher verirrt hat. Der nahe Wochenmarkt beansprucht die Mehrheit meiner Mitmenschen, denn schließlich hat man zwei Feiertage vor sich und da muss genügend essbares zu Hause sein.
Ein „Ist es so recht?" reißt mich aus meinen Gedanken.
Blumen Jane hat mit ihren geschickten Händen aus scheinbar schwindsüchtigen Blumenstängeln, allerlei Grünzeug und anderen Zutaten ein regelrechtes Kunstwerk geschaffen. Wundervoll. Und doch erinnert mich das Ganze irgendwie an den letzten Herbststurm, der unsere Balkonblumen ähnlich arrangiert hatte.
'Egal', denke ich. 'Nimm den Strauß und dann nichts wie raus hier!'
Ich reiße mich zusammen, lächle und heuchle ein „Wunderbar!“
Schweigend kassiert Blumen Jane ab und noch ehe sie mir ein „Frohes Osterfest“ wünschen kann, stehe ich auf der Straße. Erleichtert atme ich auf und eile voller österlicher Vorfreude nach Hause. Ich habe es wieder einmal geschafft.
Bis September. Dann hat meine geliebte Frau nämlich Geburtstag und dann muss ich meinen Fuß notgedrungen wieder über die Schwelle dieses Blumengeschäftes setzen. Mal sehen, ob sich Blumen Jane dann noch an mich erinnern kann. Ich hoffe nicht!
Ach und übrigens, meine Forsythien habe ich dann schlichtweg vergessen.
Dafür hat meine Frau jedoch, in weiser Voraussicht, ein paar Kirschzweige organisiert, an denen wir nun unsere Ostereier aus Omas Erbmasse aufhängen. In diesem Sinne: Frohe Ostern.
Am Anfang war das Licht.
Irgendwann in seinem Schaffenswahn schuf der liebe Gott das Paradies. Und dort war auch alles in Ordnung, bis … ja eben bis zu jenem Zwischenfall mit Adam und Eva und dem Apfel.
Aber darauf will ich gar nicht näher eingehen. Es war soweit alles in Ordnung, da sich der Schöpfer selbst um das Paradies kümmerte. Keinen Rasen mähen, keine Hecke schneiden oder so. Nein! Wiesen, soweit das Auge blicken konnte und darauf Blumen in tausenden von Farben, es trällerten die Vögel und alles wuchs so, wie es die Natur, von Gott geschaffen, für richtig hielt.
Doch dieses idyllische Bild sollte sich schon bald ändern. Der Teufel hatte es ihnen eingeflüstert und schon begannen sich Adam und Eva gärtnerisch zu betätigen. Als allererstes mussten sie natürlich testen, ob die Früchte des Baumes, unter dem sie geschlafen hatten, auch verwertbar waren. Folge war ein klassischer Platzverweis mit weitreichenden Folgen bis in unsere Zeit.
Und ich, ich habe unter diesen Platzverweis zu leiden und darunter, dass sich Adam und Eva als erste Kinder des Herrn Schreber betätigten, obwohl sie den damals noch gar nicht kannten. Mein Leid war es, das ich vergeblich versuchte meiner Familie klarzumachen, dass es besser sei, der Natur in unserem Garten ihren Lauf zu lassen.
Nun ich muss zugeben, dass unser Garten mehr dem Urwald des Amazonas glich, als einem akkuraten deutschen Schrebergarten. Doch in dem bunten Durcheinander von roten und gelben Rosen, lila und weißem Flieder, aus kniehohem Rasen und allerlei Kletterpflanzen steckte für mich System.
Sicher, der berühmte Fürst Pückler-Muskau, seines Zeichens Schriftsteller und Gartengestalter, würde die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, könnte er meinen Naturgarten sehen. Mein Garten war eben nicht mit den Parks von Muskau und Branitz zu vergleichen, das gebe ich ganz ehrlich zu. Doch ich fand ihn schön.
Doch jedes Jahr wiederholte sich das gleiche Ritual. Meine mir seit fünfundzwanzig Jahren angetraute und in Liebe verbundene Gattin schien mir stets im Frühjahr vom Satan besessen. Immer und immer wieder flüsterte sie mir mit satanischer Eingebung zu: „Schatz, es ist Frühling,
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