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1.Film

Robert torkelte nach Hause. Er war nicht betrunken, seine Beine waren bloß faul, da er die letzten zwei Stunden im Kino verbracht hatte, allein. Und dann noch einer dieser Filme, in dem der Protagonist die ganze Zeit über ein Mädchen verfolgt, dass einen anderen Typen heiraten will, ein Film, den man sich mit einem Mädel anschaut. Vielleicht auch mit einem Kumpel oder sogar mehreren Kumpels.... oder einem Freund und einer Freundin..., also eigentlich mit irgendjemanden, nur eben nicht allein! Am Ende ist der Typ natürlich in letzter Sekunde beim „...so möge er jetzt sprechen oder für immer schweigen“ rein gestolpert und hat verkündet, dass er sie liebe. Robert überlegte. Was wäre eigentlich, wenn das mal wirklich jemand machen würde. Was würde der Pfarrer sagen?
„Oh, dann können sie jetzt nicht heiraten, tut mir leid“ oder „Hmmm, das müssen wir dann jetzt ausdiskutieren...“. Und vor allem: Wer ist so fest von sich überzeugt, dass er aller ernstes in eine Hochzeit rein platzt und dann auch noch schreit, dass er das alles nicht wolle, vor all den Verwandten, Freunden und sonst was. Und in Wirklichkeit würde die Frau wahrscheinlich auch nicht den Schleier wegwerfen und los rennen. Wenn man sich schon entschließt zu heiraten, muss das doch fest mit einem selbst geklärt sein, dachte er. Da lässt man sich doch nicht von irgendwem rein reden....
Aber dann muss es für den „Helden“ ein Sau mieses Gefühl sein vor all den Leuten eine Abfuhr zu bekommen. Dann geht man wohl erstmal nach Hause und betrinkt sich. Abends geht man dann vielleicht doch noch mal in Ruhe weg und sucht sich irgend ein billiges Ding um sein Selbstwertgefühl wieder aufzubessern.... Und warum sind die Hochzeiten in Filmen eigentlich immer so weit weg? Die Leute brauchen mindestens drei Tage bis sie angekommen sind. Wenn die Menschen in Filmen mal näher heiraten würden, wäre das auch nicht immer so knapp am Ende. Dann könnte sich der Hauptdarsteller noch erstmal schön hinsetzen und auf seinen Einsatz warten und weil er noch Zeit hat ein Stückchen Kuchen essen und mit den Eltern von dem Mädchen reden, sich ins Fäustchen lachen und denken „Wenn ihr wüsstet was ich gleich mache....“
Mmm, isst man den Kuchen eigentlich schon vor der Hochzeit?, überlegte er. Naja, spielt eigentlich keine Rolle, den Kuchen will ja sowieso keiner mehr, nachdem er die Hochzeit kaputt gemacht hat... Aber egal, ist ja blos ein Film, Filme sind immer unrealistisch, schloss er seinen Gedanken ab.

Er war nun fast da und es viel ihm auf, dass er beim Laufen eigentlich immer unnütze Gedanken hatte und diese solang thematisierte, bis er am Ziel angekommen war. Das ließ die Zeit ziemlich gut überbrücken.
Er schloss die Haustür auf. Dabei brauchte er zwei Versuche, da seine Schlüssel nicht gekennzeichnet waren und Beide gleich aussahen. Wenn er es mal auf Anhieb schaffte, war er irgendwie fröhlich, fast wie beim Bingo spielen oder Lose ziehen. Das war wahrscheinlich auch der Grund, weshalb er sich noch nicht um das Kennzeichnen bemüht hatte.
Vor seiner Wohnung zog er seine Schuhe aus und schloss die Wohnungstür anschließend auf.
Er ging in sein Zimmer und legte sich auf sein Sofa.
„Morgen wieder Schule, Ferien sind viel zu kurz“, dachte er. Es war nun 17:04 Uhr und Robert dachte, er müsse noch etwas machen, die freie Zeit auskosten, auf dem Sofa liegen konnte er ja immer. Außerdem würde es nicht klingen, wenn er am nächsten Tag seinen Schulkameraden erzählen würde, er hätte den letzten freien Tag in seinem Zimmer gegammelt, doch den Gedanken brach er gleich wieder ab, da ihm jetzt wieder einfiel, dass er eben im Kino war und „Ich war im Kino“ wohl reichen sollte, um sie zufrieden zu stellen.
Grundlos stand er auf, lief ein paar Schritte Richtung Tür und entschloss sich in die Küche zu gehen, was er dort wollte wusste er noch nicht, aber Küche war gut, dachte er, dort gab es immer etwas mit dem man sich beschäftigen konnte, sei es essen, trinken oder Hände waschen. Mit der Küche konnte man nichts verkehrt machen.
Er sah in den Schrank und suchte nach Gummibärchen, fand allerdings nur eine Packung Salzstangen. Die waren ihm auch recht und damit war sein Ziel auch schon erreicht, er dachte es würde länger dauern, aber was sollte man nun noch großartig tun, Salzstangen waren gut, man kann in die Küche gehen um Salzstangen zu holen, das geht.
Als er wieder in sein Zimmer gehen wollte öffnete sich die Wohnungstür.
„Wieder da?“, fragte ihn seine Mutter. „Ne,“ dachte Robert „Ich bin noch weg, deshalb steh ich hier, ist doch logisch“ Er überlegte ob er ihr das sagen sollte, aber bevor er dazu kam fügte sie hinzu: „Wie war denn der Film?“
„Ganz in Ordnung, wie solche Filme eben sind, nichts neues“. „Aha, also gut oder schlecht?“ fragte sie noch einmal nach. Robert ging das auf die Nerven: Er hatte schon geantwortet, dachte er. Durchdacht und aussagekräftig, wie er fand. Sie kannte solche Filme, da war er sich sicher.
Bei dem Gedanken viel ihm auf, dass man diesen Film doch besser allein schaut, als mit seiner Mutter. Zu Hause ist das okay, aber im Kino, umgeben von Pärchen, geht das nicht, das ist nicht richtig, dann nimmt wohl noch jemand an sie sei seine Freundin, schließlich ist sie vierzig und vierzig ist nicht extrem alt und jemand mit schlechten Augen könnte sie noch für Ende zwanzig halten. Mit diesem Gedanken im Hinterkopf, fand er es nun doch nicht mehr so schlimm, dass er allein im Kino gewesen war.
„Schlecht.“ Antwortete er, obwohl er das eigentlich gar nicht fand, man konnte den Film ertragen und hätte er ihn im TV gesehen, hätte er wahrscheinlich nicht einmal weggeschaltet. Trotzdem war „Schlecht“ die bessere Antwort, das macht keinen Ärger. Sollte sie den Film doch sehen und fände ihn gut, wäre sie positiv überrascht. Würde er „Gut“ sagen und sie fände ihn schlecht, wäre das aber seine Schuld, also lieber sicher gehen, schlecht ist gut. „So so, Christin fand ihn aber ganz gut, hat sie mir erzählt“ Das hatte Robert nicht bedacht. Eine andere Meinung die seiner widersprach, das war nicht gut, das war schlecht. Sollte er jetzt auf seiner Meinung beharren oder sollte er sich anpassen und unauffällig ins positive wechseln? Das war noch drin, nach einem schlecht war das zwar schwer, aber das ging. Aber wenn sie den Film doch nicht gut fand, würde sie bloß wütender werden, zwei positive Äußerungen und der Film ist schlecht, das kann einen schon ärgern. Seine Mutter schaute ihn erwartungsvoll an. Sie hatte zwar keine Frage gestellt, aber ihre Aussage war eine von diesen, auf die es trotzdem zu antworten galt, wie z. B. „Ich habe Hunger...“ oder „Mir ist kalt“ dem man hinzufügen konnte: „Machst du was zu Essen?“ und „Kannst du bitte das Fenster schließen?“ In ihrem Fall war es aber eher ein: „Was sagst du nun? Ist der Film immer noch schlecht? Willst du Christin widersprechen?!“
„Der Film war grottig, Christin hat keine Ahnung.“ Platzte es aus ihm heraus. Der Umstand, dass seine Mutter indirekt solche Fragen stellte regte ihn auf. Sie zweifelte seine Meinung an, nicht Christins, sondern seine. Da konnte er nicht plötzlich die Seiten wechseln, das wäre feige. Wie er seine Aussage bestätigt hatte, war vielleicht nicht sonderlich klug, aber das war schon richtig so, das sollte nun alles klar gestellt haben, jetzt ist Schluss dachte Robert. „Also ich habe mich mit Christin schon öfters über Filme unterhalten und wir waren uns eigentlich immer einig“ fing sie wieder an. „Schön.“, sagte Robert und ehe sie wieder mit etwas anderem Anfangen konnte ging er in sein Zimmer und schloss die Tür hinter sich. Er wollte abschließen, aber er hatte keinen Schlüssel. Sie würde ihm aber nicht folgen, glaubte er. Das „Schön“ war perfekt abgepasst, er tat nämlich so als sei er schon in Bewegung und nicht mehr zu stoppen, da war nur noch Zeit für ein einfaches „Schön“, „Gut“ hätte vielleicht zu ironisch geklungen, das konnte einen Streit anzetteln, aber „Schön“ war sicher, „Schön“ war gut. Er war sich trotzdem nicht mehr so sicher, ob seine Mutter vielleicht nicht doch noch reinkommen würde. Er nahm sein Telefon in die Hand. Wenn er telefonieren würde, würde sie vielleicht kurz rein schauen aber dann wieder verschwinden. Wen konnte er denn mal anrufen? Er hatte eigentlich gar keine Lust zu telefonieren, also musste er sich entscheiden: Telefonieren oder sich noch ein wenig von seiner Mutter nerven lassen? Robert hörte Schritte und reflexartig riss er das Telefon ans Ohr. Es öffnete sich die Tür. „Ja, ich auch nicht“ sagte Robert. Seine Mutter schaute ihn an. „Jupp“ fügte er nach einer kurzen Pause hinzu, das klingt echt, dachte er. Sie schloss die Tür und Robert legte das Telefon auf den Tisch. Er war zufrieden. Er hatte nicht telefonieren müssen und konnte den Angriff seiner Mutter trotzdem erfolgreich abwehren. Sicher war er aber immer noch nicht, das war nur für jetzt. Er entschloss sich schlafen zu gehen, da konnte ihn keiner stören, schlafen war sicher, schlafen war gut.


2. Freitag

Robert saß im Wohnzimmer. 11:17 Uhr und er war nicht in der Schule. „Chronische Unlust“ dachte er. Ein lustiges und nicht abzuwertendes Wort, da war irgendwie etwas dran. Er hatte ja am Morgen nicht vorgehabt zu schwänzen, bzw. am Abend zuvor, Pläne macht man ja nicht erst morgens beim Aufwachen, oder im Schlaf, das macht man vorher. Sein Wecker war gestellt, er war recht-, wenn nicht sogar frühzeitig, schlafen gegangen und hatte sich zuvor sogar schon Gedanken darüber gemacht, was er mit seinen Mitschülern bereden wollte. Trotzdem saß er nun im Wohnzimmer und sah aus dem Fenster.
Da ist was schief gelaufen, das war nicht seine Schuld, dachte er.
Was sollte er denn sonst tun? Er konnte ja schließlich nicht mehr machen, als guten Willens alle Vorkehrungen zu treffen und sich dann ins Bett zu legen, er hatte alles richtig gemacht. Da ist wer anderes dran Schuld, aber nicht er, das konnte man ihm nicht nachsagen. Er überlegte. Der Körper..., dachte er. Der Körper spürt, wenn man ihm etwas Schlechtes antun will, der weiß was kommt, weil ich es weiß. Ich muss mir das nächste mal einfach einreden, ich geh saufen.... oder ficken oder so. Dann freut sich mein Körper, ist fit und hüpft fröhlich aus dem Bett, bereit für den Tag. Aber so... Ich weiß ich werde 5 Stunden auf einem Stuhl sitzen und mir Dinge erzählen lassen, die ich nicht hören will, das ist wie Gift! Dann denkt sich mein Körper: Nene, ich lass mich nicht vergiften, nicht mit mir mein Lieber, ich bleib hier schön liegen, vergiften kannst du wen anders. Und ich liege dann im Bett und kann mich nicht bewegen weil mein Körper das nicht will, wer will auch schon vergiftet werden? Robert legte sich auf den Rücken und starrte wütend an die Decke. Vom eigenen Körper verraten..., dachte er. Womöglich geht er noch irgendwann spazieren, während ich schlafe oder fängt an zu schlafen, wenn ich spaziere... So läuft das aber nicht, der kann doch nicht machen was er will, der gehört mir und nicht ich ihm, ICH hab das dann aus zu baden, er ist nicht Derjenige, der den Ärger bekommt, weil er nicht in der Schule war, derjenige bin ich,... bzw. mein Geist..., der Körper ist ja doch irgendwie ein Teil von mir, aber der ist eher für die physischen Sachen verantwortlich, der Geist muss ja die ganzen stressigen Angelegenheiten klären, dachte er, doch er stockte nun. Moment mal..... Wenn der Körper von den Nachdenksachen gar nicht angegriffen wird, muss es ja mein Geist sein, der mich liegen lassen hat! Er wurde nun noch wütender und setzte sich wieder hin, fürs liegen war er jetzt zu erregt.
Was fällt denen eigentlich ein!? Das ist ja ein Komplott! Ein Zusammenspiel zwischen Geist und Körper... gegen MICH, zwei gegen einen! Was soll das, das ist nicht fair. Ich dachte bisher, ich entscheide für mich selbst, aber kaum denkt man mal ein wenig nach, findet man heraus, dass schon lange eine Meuterei stattfindet, eine Unverschämtheit....
Die müssen sich sogar abgesprochen haben, das ginge nur so... von wegen: „Hey, sag mal willst du dich eigentlich bewegen? Ich hab heute eigentlich gar keine Lust mir wieder irgendwas von diesem Hitler erzählen zu lassen und mir das auch noch merken zu müssen, hier liegen ist viel angenehmer. Und du hast doch bestimmt auch keine Lust das Bett runter zu steigen, die Treppen zu laufen, bis zur Haltestelle, einsteigen, aussteigen, weiterlaufen und dann den ganzen Tag auf dem Arsch zu sitzen, hier liegen ist doch viel besser, meinst du nicht auch?“
„ Hmm ja, hast schon recht..., okay, bleib ich heute liegen. Dafür schuldest du mir aber was, verstanden? Das nächste mal entscheidest du dich dafür nicht zum Sportunterricht zu gehen, das ist viel zu anstrengend. Ist mir egal, dass du findest, dass es mir gut tut, bin ich hinterher vielleicht ein bisschen breiter und kann womöglich weiter und schneller laufen, aber wen kümmert es? Wir leben ja auch so irgendwie, das ist ja wohl die Hauptsache... Also ich bleib jetzt liegen, dafür fällt das nächste mal Sport flach, Deal?“ „Deal!“
Bastarde, dachte Robert. So läuft das nicht, ganz und gar nicht. Ich geh das nächste mal auf jeden Fall zum Sport und jetzt lerne ich erst mal zwei Stunden Mathe, das habt ihr nun davon,...ihr Verräter!
Zwei Stunden später wachte er auf. Es ist nicht zu fassen..., dachte er. Gemein, einfach nur Fies, Gemein und Bösartig. Da will ich nun lernen um mich zu rächen und dann das, die lassen mich einfach einschlafen...., das ist wahrscheinlich so etwas wie der körpereigene Selbstschutz, oder so etwas in der Art. Echt super, krank werde ich am laufenden Bande, aber da will man mal was vernünftiges machen und da schaltet sich dann plötzlich der Körper ein. Ich kann mich einfach nicht wehren, es ist hoffnungslos, die sind ich, die denken auch so wie ich. Ich will ja schließlich auch nicht lernen, bei so etwas zwing ich ja nicht nur die zu etwas, was sie nicht wollen, sondern auch mich gleich mit, wenn ich denen schade, schaden sie mir. Er sah wieder aus dem Fenster und dachte nach. Vielleicht sollte ich uns allen einfach mal einen gefallen tun, dann vertragen wir uns und alles läuft dann wieder wie es sich gehört, überlegte er und ging daraufhin duschen. Robert dachte über das Duschen nach, eine schöne Sache, ziemlich verschwenderisch, aber schön. Es ist nicht nur zum Waschen gut, man entspannt sich dabei und es geht einem gut, egal bei welchem Wetter, ist es heiss, duscht man kalt und ist es kalt duscht man heiss, für jede Situation die richtige Temperatur. Er duschte heiss, nicht weil es draussen kalt war, sondern weil ihn das Heissduschen am meisten entspannte. Er sah plötzlich auf, drehte das Wasser ruckartig auf kalt, zappelte etwas herum und ließ schnell wieder heißes Wasser laufen. Das war fürs Schlafen, dachte er. Irgendwie muss ich uns ja bestrafen, vielleicht prägt ihr euch ja jetzt ein, dass es kalt wird wenn ihr mich wieder verschlafen lässt. War auch nicht böse gemeint, ihr müsst ja einsehen, dass ihr eine Strafe verdient habt und mit dem Bisschen Wasser seid ihr ja wohl noch glimpflich davon gekommen.
Er fing an zu lachen. Ich rechtfertige mich schon vor mir selbst, für Sachen, die mich betreffen, das ist schon irgendwie bitter. Und rede dann auch noch mit mir, als wäre ich nicht nur jemand anders, sondern zwei jemands. Vielleicht sollte ich mir langsam Sorgen machen, denken ist zwar schön und gut, aber in die Klapse will nun doch nicht, man sollte immer dann aufhören, wenns am schönsten ist.

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Tag der Veröffentlichung: 29.06.2010

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