Amalie Wissing
Sugar Baby
"Sugar-sugar baby, o-o sugar-sugar baby, oh oh, sei doch lieb zu mir..."
hörte sie ihn singen.
Die Stimme wurde lauter. Nahm Stufe um Stufe. Näherte sich. War in der bedrohlichen Endlosschleife gefangen.
Wie sie. Sein sugar baby...
Sie hieß Liza. Bei den Nachbarn. Im Kindergarten. Für Oma und Opa war sie Liza, mein Mädchen
oder Liza, mein Schatz
.
"Du siehst müde aus, Liza", sagte ihre Mutter jedes Mal, wenn sie vom Nachtdienst kam. Jedes Mal, wenn er ihr, fremde Namen stöhnend, Gewalt angetan hatte.
"Mein sugar baby
hat doch nicht schlecht geträumt, oder?" lächelte er bedrohlich und streichelte ihre Wange.
Sie nickte. Stumm und verloren. War nicht Liza. Nicht sugar baby. Nur Angst und Schmerz und Ohnmacht.
Im Kindergarten hatte ihre beste Freundin Marianne einmal gesagt: "Meine Barbie kann auch nicht weinen. Genau wie du!"
Dann, eines Tages, kam Liza nicht mehr. Alle weinten. Und Marianne hielt ihre Barbiepuppe fest in den Armen.
"Du mußt weinen", flüsterte sie. "Wein!"
Und vorsichtig tropfte sie mit dem Finger helle Limonade in die Augen ihrer Barbie.
Texte: Amalie Wissing
Bildmaterialien: Amalie Wissing
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