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Titel

Kurzgeschichten
aus Nuun

 

Ein Buch aus der Reihe „Doppelmond“

 

Benjamin Spang

 

 


 

Impressum


© Dezember 2013 Benjamin Spang

Version 1 – Dezember 2013 


Benjamin Spang
Am Franzschacht 4
66299 Friedrichsthal
benjamin.spang@gmail.com

Alle Rechte vorbehalten

Titelbild von Elif Siebenpfeiffer
Korrektorat von Kerstin Fricke

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Die Gruft


„Noch ein Hofbräu?”
„Nee, lass mal, Jurik! Was schulde ich dir?”
„Macht zwei Solid und eine Essensmarke!”
Samuel gab dem Wirt, wonach er verlangte, und rieb sich über die dünnen Linien seines Bartes.
Zwei Solid. Das war alles, was Gildenmeister Abel ihm für den abgelieferten Plunder gezahlt hatte. Die Krönung seines heutigen Raubzuges war ein dreckiger Silberbecher. Abels Gesichtsausdruck hatte Bände gesprochen, und Samuel wunderte sich, dass er überhaupt nach seinem Notizblock gegriffen hatte, um ihn auszuzahlen.

Jetzt saß er an der Bar im „Güldenen Dietrich”, der Taverne, die zu dem unterirdischen Komplex der Gilde gehörte. Jurik verdiente nicht schlecht. Hier wurden manche ihre Solid schneller los als eine unachtsame Dame ihre Handtasche im Gedränge des Wochenmarktes. Alkohol war immer noch der beste Dieb. Er stahl einem nicht nur das Geld, sondern auch die Sinne.
Passend zu diesem Gedanken bestellten zwei Taugenichtse hinter ihm laut grölend ihr neuntes Bier.
Samuel bildete mit seiner schlechten Laune den Gegenpol.
Hier unten zu leben, nachts auf Raubzug zu gehen und am Ende wieder nichts in der Tasche zu haben, hatte er allmählich satt.
Wie oft er nur aufgrund seiner Stauballergie flüchten musste, konnte er schon nicht mehr zählen. Die Leute machten ihre Wohnungen einfach nicht mehr richtig sauber.
Durch den dicken Zigarrenqualm hindurch sah er, wie sich die Tür der Taverne öffnete. Tabea und Rupert traten herein und grüßten den Wirt sowie weitere Diebe neben dem Eingang. Sie waren das Musterbeispiel dafür, das man als Dieb auch erfolgreich sein konnte. Samuel hasste die beiden.
Tabea ging an den Stühlen vorbei, stellte sich neben ihn an die Bar und bestellte zwei Flaschen Patzara-Wein, von dem eine allein hundertzwanzig Solid kostete. Ihre roten Haare dufteten lieblich nach Rosen.
Samuel schaute starr in die Gläserreihe, die im Regal hinter der Bar stand, und ärgerte sich, dass er nicht schon gegangen war.
„Na, Samuel? Fertig mit Bügeln?”
Sie lachte ihn aus, nahm ihre beiden Flaschen und ließ drei Hundertsolidscheine auf dem Tresen liegen. Während Jurik die Scheine griff, ging sie zurück zu Rupert und den anderen.
Seitdem bekannt geworden war, dass er für den alten Beringer die Hausarbeit erledigen musste, war er das Gespött der Gilde. Wie konnte er auch ahnen, dass der alte Mann seine Masche kannte.
Er hatte sich als Freund seines Enkels ausgegeben, der Geld für ihn holen sollte, damit die Armee von Hofstein ihn freilassen würde. Der alte Herr hatte ihn hereingebeten und unbemerkt hinter ihm die Tür abgesperrt.
Als er ihm sagte, das Geld würde im Schrank hinter ihm liegen, erblickte Samuel nur ein altes Bügeleisen. Er dachte schon, der Mann sei verrückt oder nicht mehr ganz bei Sinnen. Dann hatte er plötzlich eine Pistole im Nacken und wurde gezwungen, Unterhosen zu bügeln. Und nicht nur das! Er sollte auch die Wochen darauf jeden Tag vorbeikommen, sonst würde der alte Mann die Stadtwache alarmieren.
Jetzt waren Samuels Hände aufgequollen vom Abwasch, den er vor einer Stunde erledigt hatte. Oft dachte er daran, den alten Beringer zu töten, ihm einfach die Kehle zuzudrücken und ihn zu vergraben. Aber er konnte es nicht. Er erinnerte ihn an seine alte Mutter.

Samuel ertrug das laute Gelächter von Tabea nicht mehr, das von der Tür aus in seine Ohren drang. Er verließ seinen Hocker und wollte gerade stur vor sich blickend die Taverne verlassen, als er merkte, dass seine Blase drückte.

Vorbei an Zigarettenautomaten und Leuten, die sich lauthals unterhielten, ging er in den weiß gefliesten Raum und suchte sich eine der Holzkabinen aus.
Er war nicht nur ein schlechter Dieb, er war auch noch Sitzpinkler.
Auf der Kloschüssel sitzend verrichtete er sein Geschäft und legte dabei das Gesicht in die Hände.
Gerade als er wieder aufstehen wollte, hörte er, wie draußen die Tür aufsprang. Zwei Männer kamen herein und stellten sich an die kupfernen Pissoirs.
„Und, was kannst du mir anbieten?”
„Du weißt, dass mich das meinen Job kosten könnte, also hätte ich gerne eine gewisse Sicherheit bei der ganzen Sache!”
Leises, metallenes Plätschern erfüllte den Raum.
Samuel versuchte, unter der Kabine hindurch die Schuhe der Männer zu erkennen, aber sie standen zu weit weg.
„Wären zweitausend Solid genug Sicherheit?”
Kurz war es still, und man hörte gedämpft die grölenden Menschen aus der Taverne.
Samuel wartete und gab sich Mühe, keinen Mucks zu machen.
„Das klingt gut!”
„Schön!”
Langsam nahm das leise Plätschern ab, und das Geräusch einer Gürtelschnalle erklang sowie von Schritten auf den abgenutzten Fliesen.
„Dort, wo der Tarus vom Meer aus gesehen das erste Mal auf den Wald trifft, musst du ungefähr fünfzig Meter weiter nach Süden gehen. Der Eingang der Gruft wird von zwei großen Steinsäulen eingerahmt, die in den schwarzen Felsen eingelassen sind.”
Samuel spürte, wie sich etwas in seinem Darm regte. Das Gulasch, für das er eine Essensmarke gelassen hatte, meldete sich wieder.
„Und ihr wart noch nicht dort drin?”
„Nein, unser Trupp musste weiterziehen nach Hellmark. Der General erlaubte nur zehn Minuten Pause. Was glaubst du, dort zu finden?”
Samuel kniff den Po zusammen. Ein laues Lüftchen wollte seinem Hinterteil entweichen.
„Vampire geben immer reichlich Schmuck in ihre Särge!”
„Ist das nicht zu gefährlich?”
Einer der Männer lachte, und Samuel erkannte, dass es Rupert war, der da gerade den nächsten Raubzug organisierte.
Der Druck wurde immer stärker, sodass Samuel anfing, ein Stoßgebet gen Himmel zu schicken.
„Ja, es ist gefährlich! Aber wir nehmen lieber diese Gefahr auf uns, als wochenlang in die Wohnungen alter Frauen einzusteigen, die höchstens ein paar Solid unter ihrer Matratze verstecken. Kein Risiko, kein Hauptgewinn!”
Samuel biss die Zähne fester zusammen und hörte das dumpfe Klingen von Münzen.
„Na, die werde ich bestimmt nicht unter mein Kopfkissen stecken!”
Beide verließen lachend den Toilettenraum.
In dem Moment, als die Tür ins Schloss fiel, entwich Samuel ein langgezogener Darmwind.
Er atmete stoßartig aus und dachte an ihre Worte.
Was hatten Rupert und Tabea vor? In eine Vampirgruft steigen? Und wer war dieser andere Typ aus der Armee? Solche Tipps an Diebe weiterzugeben war bestimmt nicht erlaubt.
Samuel beendete seine Grübeleien.
„In die Wohnungen alter Frauen steigen”, murmelte er vor sich hin und dachte an seine Mutter, die ein Wohnzimmerfenster hatte, das ungünstig zu einer dunklen Gasse hin lag.

„Ja, was möchten Sie?”
Auf einen Stock gestützt schaute sie durch eine kleine, runde Brille nach oben und kniff die Augen zusammen.
„Mutter, ich bin's, Samuel!”
„Samuel? Ach ja, Samuel! Komm rein, mein Junge, ich habe dir eine Suppe gekocht, die dir bestimmt gut schmecken wird!”
Sie verschwand um die Ecke des Flures. Die Suppe, die er häufiger bekam, bestand aus kaltem Wasser, das sie auf ihrem kaputten Herd stehen hatte. Er fragte sich jeden Tag, wann sie sein Gesicht endgültig vergessen würde.
Ohne zu zögern marschierte er durch den Flur ins Wohnzimmer, um nach dem Fenster zu schauen. Er schob es nach oben und untersuchte die Ränder des Fensterladens und des Holzrahmens. Eindeutige Spuren waren zu erkennen.
„Verdammt!”, zischte er.
Er schloss das Fenster und ging ins Schlafzimmer, wo er feststellen musste, dass die ersparten Solid nicht mehr unter der Matratze waren.
Was ist das für eine Gilde, die sich gegenseitig bestahl? Jeder Dieb musste sich vor einem Einbruch informieren, wer in dem Haus lebte. Dafür hatte er diese Adresse bei der Aufnahme in die Gilde schließlich angegeben.
Sauer verließ er das Schlafzimmer und bekam von seiner Mutter einen Teller in die Hand gedrückt.
„Hier, mein Junge, iss!”
Er setzte sich an den kleinen Tisch im Wohnzimmer und betrachtete den leise knisternden Kamin.
Während sich die alte Dame in ihrem Schaukelstuhl niederließ, fing er an, das kalte Wasser auszulöffeln. Wie jedes Mal.
„Schmeckt sehr gut, danke, Mutter!”
Sie lächelte ihn zufrieden an.
Auch wenn sie vergesslich war und ihre Suppe nicht mehr von Wasser unterscheiden konnte, war sie dennoch in der Lage, ihren Alltag selbst zu meistern. Die Stube war stets sauber und aufgeräumt. Kein Grund, das Hilfsamt zu informieren.
Samuel stellte sich vor, wie Rupert hier einstieg und die hart gesparten Solid einfach so an sich riss.
Skrupellosigkeit war ebenso eine Eigenschaft, die ihm fehlte, um ein wirklich guter Dieb zu sein. Seine Mutter schaute ihm weiter lächelnd dabei zu, wie er ihre Suppe aß.
„Wie läuft es in der Fabrik, mein Junge?”
Ihr Grinsen verdreifachte sich durch die Falten in ihren Mundwinkeln.
„Gut, Mutter. Viel Arbeit und jede Menge Metall! Nicht sehr aufregend!”
Sie nickte sanft und schaute verträumt im Raum umher, während sich ihr Kiefer immer wieder auf und ab bewegte, als würde sie etwas kauen.
„Mein Sohn, ich habe noch eine Bitte an dich! Siehst du das Regal dort?”
Sie zeigte auf ihr Bücherregal, das auseinanderplatzte vor Papier. Die Bücher standen in allen Farben und Formen in fünf breiten Fächern und mussten selbst wiederum auch nochmal Bücher quer über sich tragen. Es war ein Wunder, dass das morsche Holz nicht schon unter der Last nachgegeben hatte.
„Jedes einzelne Buch dort habe ich gelesen. Kannst du mir ein neues besorgen?”
Sie wippte mit dem Schaukelstuhl hin und her.
Er ärgerte sich darüber, dass er die zwei Solid von letzter Nacht versoffen hatte, und legte den Löffel in den leeren Suppenteller.
„Ja, Mutter, ich werde dir ein neues Buch besorgen!”
Auf seinem nächsten Beutezug könnte er eins mitgehen lassen.
„Weißt du, mein Kind, ein Buch ist wie das Leben selbst. Dummköpfe blättern es schnell durch, aber ein kluger Mensch liest jede Zeile mit Bedacht!”
Er setzte sich ihr gegenüber aufs Sofa und streichelte sanft über ihre zarte Hand.
„Bücher sind die wahren Schätze, mein Kind!”, sagte sie und lächelte ihn an.
„Dein Vater wird sich freuen, dass du hier bist! Geh ihn suchen!”
Er brauchte ihn nicht zu suchen, da er wusste, wo er lag.
Vor 21 Jahren hatte er den Tod gefunden, als die Vampire Hofstein angegriffen hatten und erst durch eine Verstärkung aus Hellmark zurückgedrängt werden konnten. Samuel hatte vage Erinnerungen an die Tumulte und die Unruhen. Seine Mutter hatte sich damals mit ihm in dem großen Keller des Brauhauses verbarrikadiert, bis Soldaten sie befreien konnten.
Während er zu seinem Suppenteller starrte und ihre Hand streichelte, nickte sie ein. Leise pfiff ihr Atem über die schmalen Lippen.

Als er still die Haustür hinter sich zuzog und die hölzernen Stufen nach unten ging, kam ihm Herr Guntro entgegen.
Samuel stöhnte innerlich auf. In den letzten Wochen hatte er ihm geschickt aus dem Weg gehen können.
„Gut, dass ich Sie antreffe!”
Herr Guntro zeigte mit seinem Gehstock, dessen goldener Knauf beim Pfandhändler genug Solid einbringen würde, um Samuel und seine Mutter für vier Monate zu ernähren, auf ihn.
„Ich habe keine Lust mehr auf Ihre Spielchen! Sie haben mir jetzt drei Mal versichert, mir die Mieten zu bringen, und ich warte immer noch darauf!”
Guntros Monokel tanzte auf und ab, während seine Augen vor Verärgerung glühten.
„Sparen Sie sich die Aufregung, ich habe das Geld!”
„Ach, und wo ist es?”
„In meinem Kontrollraum in der Fabrik! Ich habe meinen Lohn gestern erhalten, also kann ich Ihnen das Geld demnächst vorbeibringen!”
„Demnächst heißt wann?”
„Das kann ich nicht sagen, weil meine Schichten im Moment unterschiedlich ausfallen. Glauben Sie mir, ich bringe es Ihnen vorbei!”
Wieder hob Guntro seinen Gehstock und fuchtelte damit bedrohlich nahe vor Samuels Nase herum.
„Verkaufen Sie mich nicht für dumm, hören Sie? Bis nächste Woche habe ich das Geld, sonst sitzt Ihre Mutter auf der Straße!”
Mit einem giftigen Blick stolzierte er schnurrbartzupfend an ihm vorbei.
Samuel konnte diesen geldgierigen Aasgeier nicht ausstehen.
Er dachte zurück an das Gespräch zwischen Rupert und dem Unbekannten auf der Toilette.
„Kein Risiko, kein Hauptgewinn!”, sagte er leise zu sich und seufzte. Wenn es diese Gruft wirklich gab und sie ihn verschlingen würde, wäre seine Mutter nicht nur obdachlos, sondern auch alleine. Er faltete seine Hände über dem Kopf zusammen, als würde er den gütigen Allvater um ein Wunder bitten. Dann ging er mit zügigen Schritten in Richtung der alten Abwasserkanäle.

Normalerweise war der Zutritt erst in der Nacht gestattet, und jetzt war es früher Abend. Erst, als er Aluk seine gesamten Essensmarken übergab, ließ dieser ihn in die Ausrüstungskammer. Samuel war sauer.
Er stand in dem kleinen Raum und schaute sich um. Was könnte man für solch ein wahnsinniges Vorhaben gebrauchen? Er schnallte sich eine kleine Armbrust auf den Rücken, die er in einer mit Staub bedeckten Kiste fand. Einen passenden Köcher mit Bolzen befestigte er an seinem Gürtel. Seine Kleidung wollte er auch wechseln. Er rechnete damit, auf Vampire zu treffen, und im Kampf mit diesen Kreaturen war es wichtig, so wenig Haut wie möglich zu zeigen. Daher zog er sich Handschuhe und ein stärkeres Hemd an, dessen Kragen er hochklappte. Zur Sicherheit band er sich noch ein rotes Tuch um den Hals. Festere Stiefel brauchte er ebenso wie eine Lampe, die er praktischerweise neben dem Köcher am Gürtel befestigen konnte. Um den Unterarm schnallte er sich ein Lederband, in dem sich verschiedene Dietriche befanden. Falls es in der Gruft so etwas wie Schlösser gab, war er vorbereitet.
Um überhaupt erst den Weg in die Gruft zu finden, griff er nach dem alten, rostigen Kompass, den er hinter einer Spinnwebe fand.
Eilig schnappte er sich noch einen alten Rucksack. Darin würde er die ganzen Schätze transportieren, wenn er denn welche finden würde. Für seine Pistole konnte er noch einige Silberkugeln zusammenklauben, fand aber keinen Kletterhaken.
„Tabea hat den letzten vor ungefähr einer Stunde mitgenommen!”, sagte Aluk.
Samuel hatte gehofft, dass sie und Rupert frühestens morgen zur Gruft reiten würden.
„Musste sie auch all ihre Essensmarken dafür rausrücken?”, fragte Samuel, schmiss die Tür der Ausrüstungskammer mit voller Wucht hinter sich zu und kletterte nach oben.

Als er wieder unter freiem Himmel war, stahl er ein Marsal, das einsam in einem der Ställe am Stadttor Heu futterte. Die Wache, die kurz vorher noch munter ihre Runde gemacht hatte, schlummerte nach einem gezielten Schlag sanft hinter einem dicken Strohballen. Samuel war stolz darauf, mit welcher Selbstverständlichkeit er das zustande gebracht hatte.

Die beiden Monde waren fast vollständig verschwunden und schickten nur noch dämmriges Licht über den Horizont, als er an die Stelle kam, an der der Tarus in den Wald strömte.
Samuel stieg vom Marsal und band es an den erstbesten Baum.
Links von sich sah er zwei weitere auf der Wiese grasen. Tabea und Ruperts Vorsprung war enorm.
Ob er auch etwas von den Schätzen abbekommen würde? Wie die beiden wohl reagierten, wenn er auf einmal vor ihnen auftauchte?

Ende!

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Lieferung von Krokk


Das Sturmwasser schmeckte nicht, und damit endete der Tag so mies, wie er begonnen hatte. Die Lieferung nach Tausendbein lief zwar ohne Probleme, aber das änderte nichts an seiner Stimmung.
Wie eine Tätowierung hatte sich das heutige Datum vor genau einem Jahr für alle Zeit in seinem Kopf festgesetzt. Der Alkohol half ihm über die ersten Monate hinweg. Schnell aber sah er ein, dass dies auf Dauer keine Lösung sein würde. Er konnte verstehen, wenn andere sich ewig damit betäubten, aber er wollte sein Leben nicht als umherirrender Zombie verbringen. Auch das Rauchen gab er auf, und damit war er so gar nicht das typische Bild einer gescheiterten Existenz, wie man sie hier in Fepriffs Bar jeden Tag antreffen konnte.
Der Geruch von Tabak, Bratenfett und Schweiß lag in der Luft. Fast alle Tische waren besetzt mit Arbeitern, Bauern und Händlern, die ihre Flaschen zum Mund führten, Zigaretten wild gestikulierend zu ihrer lauten Erzählung durch die Luft schwenkten oder sich ein saftiges Stück Fleisch schmecken ließen. Viele wollten einfach nur wie er den Tag mit Alkohol beenden, wobei sie im Gegensatz zu ihm auch den morgigen Tag durch einen trüben Flaschenboden begrüßen würden. Aufgrund der wenigen Solid in Krokks Manteltasche konnte er sich das nicht erlauben. Nun ja, heute hatte er ausnahmsweise ein dickes Bündel Scheine dabei, das er aber morgen seinem Vermieter bringen musste, um eine Sorge weniger zu haben.
Die Bezahlung hing immer davon ab, wohin er liefern musste. Je gefährlicher seine Route oder je teurer die Ware in seiner Kutsche, desto mehr konnte er verlangen.
Seine oberste Regel lautete: Sei dir sicher, was du transportierst! Illegale Geschäfte waren selten in den letzten Monaten. Die Bezahlung war zwar besser, aber die Stimme in seinem Kopf war leider nicht käuflich.
Lautes Gelächter einer ganzen Truppe von Mechanikern schallte durch den Raum. Krokk griff erneut zum Glas. Als er es wieder absetzte, sah er einen Mann, der aus dem Nichts aufgetaucht war, an der Bar stand und Fepriff beim Abtrocknen der Gläser störte.
Der seltsame Kerl hatte ein Tuch vor dem Mund und den Zylinder tief ins Gesicht gezogen. Die Kleidung war eher schlicht, keine Schnörkel oder Metallteile, nur abgetragener Stoff. Seine Hose war eng anliegend, grau-schwarz gestreift und führte in ein Paar feste, schwarze Stiefel.
Fepriff unterhielt sich mit ihm, wobei er mehr zuhörte. Was der Fremde sagte, konnte Krokk durch die frivolen Witze und ebenso laut vorgetragenen Trinksprüche seiner Umgebung nicht verstehen. Aber er konnte Fepriffs Blick lesen, und der sah nicht so aus, als würde der Typ gerade ein Getränk bestellen. Stattdessen schaute er kurz zu ihm, was Krokk dazu trieb, seine Hand möglichst unbemerkt unter den Mantel zu schieben.
Alte Rechnungen, die jemand begleichen wollte?
In Gedanken ging er seine letzten illegalen Lieferungen durch, kam aber zu dem Ergebnis, dass alle seine Kunden zufrieden waren und sich stets mit einem Händedruck verabschiedet hatten. Außer Holbert. Das lag aber daran, dass er beide Hände verloren hatte und somit keine mehr schütteln konnte. Ein Sprengstoffunfall hatte ihn dazu gezwungen, sich sein Leben mit illegalen Drogen erträglicher zu gestalten und damit seinen verlorenen Lebensmut zu ersetzen. Krokk besorgte ihm kiloweise Jawa-Staub, der normalerweise nur in Krankenhäusern eingesetzt wurde. Dafür ließ Holbert einige Solid springen.
Wusste Krokk vielleicht zu viel?
Gut möglich, aber das war das Risiko, wenn man bei jeder Lieferung selbst aufgestellte Regeln befolgen wollte.
Krokks Hand lag auf der Pistole, die an seinem Gürtel befestigt und vom Mantel verdeckt war. Der Fremde streckte Fepriff seine Hand entgegen, der diese Geste annahm und sie schüttelte. Ungewöhnlich. Die Hände von Fepriff im Blick entdeckte er jetzt einen kleinen, gefalteten Zettel. Krokk mochte ihn zu sehr, um ihn einfach so seinem Verderben zu überlassen. Wenn man sich hier in Tausendbein mit den falschen Leuten einließ, landete man entweder mit aufgeschnittener Kehle in der Gosse oder im besten Falle im Gefängnis, um dort dann in einer Zelle zu verrecken.
Die Stadt lag nahe am Krallenmoor und dem Gebiet der Werwölfe, sodass viele Bürger in ständiger Angst lebten. Manch schlauer Kopf wusste, mit dieser Angst Geschäfte zu machen. Schutzgelderpressungen waren an der Tagesordnung.
Krokk ließ den letzten Schluck des Sturmwassers unter seinem dichten, grauen Schnurrbart in den Mund fließen und ging nach vorne zur Theke.
„Noch eins!“
Fepriff nickte, legte sein Küchentuch zur Seite und nahm mit einer routinierten Bewegung die Flasche, mit der er dann beiläufig das Glas füllte.
Gerade wollte er Fepriff seine weisen Worte überbringen, als der schmale Zettel abermals den Besitzer wechselte.
„Wollte gerade an deinen Tisch kommen!“, sagte Fepriff, der sein Küchentuch wieder in die Hand nahm.
Krokk schaute den Wirt vielsagend an.
Der Zettel lag so neben dem Glas, dass nur er ihn sehen konnte.
Fepriff formte seinen Mund zu einem schmalen Streifen, nickte und widmete sich dann dem nächsten schaumbedeckten Glas aus dem Spülbecken.
Krokk rückte die runden Gläser seiner Brille zurecht, nahm mit einer Handbewegung Glas sowie Zettel und trabte zurück an seinen Platz.
Noch bevor er das Papier betrachtete, schaute er sich um.
Jeder hier im Raum war ihm mehr oder weniger bekannt. Auf einer Skala von „Schon mal gesehen“ bis hin zu „Aus der eigenen Kotze gezogen“ war alles dabei. Die Männer und Frauen waren damit beschäftigt, über ihre Arbeitgeber zu schimpfen oder Fingerhakeln zu spielen. Niemand beobachtete ihn. Der Fremde war nicht mehr unter ihnen, aber scheinbar wusste er, wer Krokk war und was er tat.
Mit seinen rauen, hornhautbesetzten Fingern faltete er das Papier unterhalb der Tischkante auseinander. Im Halbdunkel entzifferte er den Satz, der mit schwarzen Großbuchstaben geschrieben war:

HINTER DER KNEIPE. JETZT!

Verdammt mutig, ihm auf diesem Wege einen Geschäftsvorschlag zu machen. Krokk stand gar nicht auf diesen Befehlston. Er war eher der dominante Typ, auch wenn er aussah, als würde er den ganzen Tag Tauben füttern. Krokk leerte das Glas mit einem Zug, stand auf und gab Fepriff seine Solid.

Die Monde schienen aus einem Winkel, der die Gasse nur schwach beleuchtete. Vor ihm stand der Fremde, den Zylinder tief im Gesicht und ein schwarzes Tuch vor Nase und Mund.
Dumpf drang das Geplärre der Kneipe nach draußen.
Würde er jetzt eine Waffe ziehen, hätte Krokk keine Chance und es wäre sein Name, der morgen früh in der Zeitung unter der Überschrift „Mysteriöser Mord“ genannt werden würde.
Papierreste und abgefallenes Laub flogen raschelnd, vom Wind getrieben über den Boden und an ihren Beinen vorbei.
„Krokk, richtig?“, fragte der Fremde, dessen Stimme durch das Tuch stark gedämpft wurde.
„Ja, und wer bist du?“
„Unwichtig!“
Der Fremde kam einen Schritt näher, behielt seine angespannte Körperhaltung jedoch bei.
„Wir brauchen jemanden, der etwas nach Hellmark transportiert! Hast du Interesse?“
Krokk strich ruhig über seinen grauen Bart, während der Fremde wartend seine Arme verschränkte.
„Das Problem ist: Ich mache nur noch legale Lieferungen. Und wenn es sich um eine solche handeln würde, könnte ich dein Gesicht sehen und wir würden uns nicht zwischen Mülleimern und toten Ratten unterhalten!“
Der Fremde ließ sich ebenfalls Zeit mit seiner Antwort.
„Wir zahlen 5000 Solid! 2.500 beim Aufladen und noch einmal die gleiche Summe beim Abladen!“
Krokk dachte kurz an das Geld und wie viele Mieten er damit abdecken könnte, schüttelte dann aber den Kopf.
„Sucht euch einen anderen Idioten!“
Krokk warf den Zettel des Fremden zusammengeknüllt in eine Pfütze, die vom Regenschauer des Morgens übrig geblieben war.
„Wir wollen aber den besten Idioten für den Job!“, sagte der Maskierte und verschwand zu Krokks Verwunderung in einer dunklen Seitengasse.
„Nicht heute!“, flüsterte Krokk und griff nach der Silberkette, die um seinen Hals hing.
Illegale Lieferungen wurden im Schnitt dreimal so gut bezahlt wie legale. Vorausgesetzt, man konnte Lieferscheine fälschen oder wusste einen anderen Weg, um an den Stadtwachen vorbeizukommen.
Er rückte seine Brille zurecht und ging an der Kneipe vorbei, aus der immer noch Gelächter drang. Auf seinem Weg nach Hause achtete er besonders auf die Schatten, die aus den engen Seitengassen krochen.

In seiner ungepflegten Zweizimmerwohnung angekommen, zog er als Erstes den Mantel aus und genoss es, diese Last nicht mehr auf den Schultern zu haben. Der Stoff sackte auf dem Boden zusammen, bevor er sich bückte und aus der Innentasche einen kleinen Teddybären zog. Behutsam platzierte er ihn neben sich auf dem Kissen. Bevor er die Hose auszog, nahm er die Pistole aus dem Gürtel und legte sie auf den Nachttisch, ebenso das Rasiermesser, das er immer in seinem linken Stiefel aufbewahrte. Es war ein angenehmes Gefühl, keine Schuhe mehr zu tragen. Er zog auch das weiße Hemd und die Fliege aus und trug nur noch eine schlabbrige Unterhose. Mit dem Rücken legte er sich auf die viel zu harte Matratze. Den kleinen Teddy, den sein Sohn gebastelt hatte, platzierte er auf seinem Bauch.
Heute vor genau einem Jahr hatte er die beiden liebsten Menschen verloren, die er je in sein Herz geschlossen hatte. Immer blasser werdende Erinnerungen, die Kette um seinen Hals und dieses kleine, abgewetzte Stofftier, das sich rhythmisch zu seiner Atmung hob und wieder senkte, waren alles, was ihm geblieben war.
Seine Frau, stets fürsorglich und ehrlich, war strikt dagegen gewesen, ungenehmigte Transporte auszuführen. Bis kurz vor ihrem Tode hatte sich eine Krankenschwester um sie gekümmert. Ihre Augen und ihren Mund, als dieser das Wort „Nebelschatten“ formte, würde Krokk nie vergessen. Eine Krankheit, die zu einhundert Prozent mit dem Tod endete. Als müsste die Menschheit nicht schon genug kämpfen.
Mit diesen Bildern im Kopf und den Fingern an der Silberkette glitt er langsam in den Albtraum, den er jede Nacht hatte.

Am nächsten Morgen schmerzten seine Glieder und der Teddy lag neben dem Bett.
Ein kurzer, von Unschärfe geprägter Blick auf den Nachttisch ließ ihn hastig nach seiner Brille greifen. Ein Zettel lag neben seiner Pistole. Hatte er den nicht gestern in die Gasse geworfen?
„Heute Abend, 22 Uhr! Bauruine neben der alten Kelterei!“, las er darauf.
Krokk schnappte sich die Waffe, prüfte die Patronen in der Kammer und schaute sich im Zimmer um. Bedächtig kroch er aus dem Bett und schlich in Unterhose zur Badezimmertür.


Ende!

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Im Wartezimmer zur Hölle


Der Schuss hallte durch den Innenhof, dann fiel der Häftling, der gerade ein weiteres Mal auf sein Opfer einstechen wollte, matt auf den Rücken. Etwas Schwarzes rutschte durch die riesige Blutlache vor Markus’ Füße. Als er genauer hinsah, erkannte er, dass es das Herz des Häftlings war, das zuckend die letzten Tropfen Blut ausspuckte. Die Gewehrkugel des Wachpostens hatte es einfach aus seinem Körper gerissen. Damit befolgte dieser eine der wichtigsten Regeln in diesem Gefängnis: keine Toleranz gegenüber Gewalt im Hof.
Ein blechernes Signalhorn ertönte, und aus allen Türen stürmten Wachen herein. Markus und der große Karl neben ihm knieten sich auf den Boden und verschränkten die Arme hinter dem Kopf. Die anderen Häftlinge taten das Gleiche, denn wer stehen blieb, wurde gnadenlos niedergeknüppelt.
Die Wachen rannten zu dem niedergestochenen Häftling, konnten aber nur noch seinen Tod feststellen. Hektisch legten sie den Gefangenen Handschellen an und führten sie in ihre Zellen. Der abendliche Hofgang war beendet und hatte gerade mal zehn Minuten gedauert. Zu wenig, um frische Luft zu schnappen. Als Markus sich auf sein Bett gelegt hatte, schlief er sofort ein.

„Hey, aufwachen!“
Markus drehte sich im Halbschlaf auf die Seite.
„Aufwachen, habe ich gesagt, du verdammter Hurenbock!“, sagte eine dunkle Stimme.
Jetzt schreckte er auf und sah vor seiner Zelle eine dunkle Gestalt. Nach kurzem Blinzeln, was seiner Sehkraft Schärfe verlieh, wunderte er sich über die schwarze Kleidung und zwei runde, undurchsichtige Gläser, die auf den Augen der Wache saßen.
Das Personal schien die Uniform gewechselt zu haben. Auch die Stimme war fremd. Der Mann verschwand und riss die anderen Häftlinge ebenso unfreundlich aus dem Schlaf.

Ein neuer Tag in Tausendbeins Gefängnis begann, welches auch gerne „Yzatas Wartezimmer“ genannt wurde. Wer hier landete, sei der Hölle ganz nahe, hieß es. Ein anderer, älterer Name war „Das Schlangennest“, weil das Gefängnis aus vielen langen und verwinkelten Gängen bestand, die unter der Erde lagen. Früher wurde hier Eisen geschmiedet, gekühlt und gelagert. Aber seitdem der Boden kein Eisenerz mehr hergab, verwahrloste die Anlage immer mehr zu einer rostbraunen, vor Dreck untergehenden Höhle.
Vor wenigen Monaten entdeckte man eine Silberader in den leeren Erdschächten. Die Gefängnisleitung fackelte nicht lange und ließ ihre Häftlinge dort arbeiten, um sich damit die eigenen Taschen zu füllen.

Markus gähnte und stellte seine blanken Füße auf den kalten Steinboden. Er streckte sich, schlurfte zum halbrunden Kupferwaschbecken und putzte sich mit seinem Zeigefinger und einem Spritzer Pfefferminz-Paste die Zähne. Dabei blickte er in die Glasscherbe, die Teil eines Spiegels gewesen war. Ein müdes Augenpaar mit dunklen Ringen starrte ihn an.

Nach dem Zähneputzen wusch er sich die kurzen Haare unter dem Wasserhahn und rubbelte sie mit einem Handtuch trocken. Dann kämmte er sie mit den Fingern nach hinten, was seine hohe Stirn mit den Geheimratsecken betonte. Er zog Unterhemd und Hose aus und zog das Gleiche noch einmal an, nur in der frisch gewaschenen Version, die man ihm gestern gegeben hatte. Langsam wich der Schlaf aus seinen Knochen, und er rieb sich ein letztes Mal über sein durch Akne vernarbtes, Gesicht.
„Kann ich raus?“, rief er durch die Gitterstäbe.
Die Wache war nicht mehr zu sehen.
Von links hörte er Schritte, bis ihn der seltsame Typ, der ihn geweckt hatte, mit einem gewissen Sicherheitsabstand anstarrte.
„Raus? Du spinnst wohl!“
Jetzt erkannte Markus, dass die Wache eine Schweißerbrille aufhatte, die nur die Augen bedeckte. Durch die beiden schwarzen Gläser, die mit einem schmalen Lederband an den Kopf gebunden waren, war nichts zu sehen. Sein Erscheinungsbild war stämmig, er trug feste Stiefel und hatte die Ärmel seiner Uniform hochgekrempelt. Markus betrachtete sein Gesicht. Dreitagebart, breit und kantig. Seit acht Jahren saß Markus hier, aber diesen Typen hatte er noch nie gesehen.
„Morgens ist mir nicht nach Lachen zumute. Ich muss zu meiner Schicht in die Kantine, also lass mich raus!“, sagte Markus und rüttelte an der Zellentür, als könne er sie aus den Angeln reißen.
Verunsichert trat die Wache näher, öffnete die Zelle und zog Markus heraus. Im Gang drückte ihn der Kerl gleich mit dem Gesicht an die unebene und von Rissen durchzogene Backsteinwand. Die Hände zog er ihm grob auf den Rücken. Markus hörte, wie er fluchte, gleich darauf hielt er ihn nur noch mit einer Hand fest.
„Bleib ja so stehen, mein Freund!“, sagte der Mann und es wurde kurz still.
Aus dem Augenwinkel sah Markus, wie sich der Wachmann einen Handschuh überzog. Dann klickten die Schellen um seine Handgelenke und er wurde grob durch den langen Flur in die Kantine geführt.

Dank guter Führung konnte er als Koch arbeiten und sich ein paar Solid dazuverdienen. Die Speisen waren zwar immer gleich, aber dennoch bemühte sich Markus unter Zuhilfenahme der wenigen Gewürze, die er in der Küche fand, den Mahlzeiten jeden Tag eine andere Note zu verleihen.
Als er an seinem Arbeitsplatz angekommen war, zog er die Arbeitskleidung über und begrüßte die anderen, die mit ihm heute die Schicht übernahmen. Klett stand hinter dem Herd und rührte in einem großen Topf, während Vess und Larek Zutaten aus dem Speiseschrank nahmen.
An der Essensausgabe angekommen, fiel ihm auf, dass auch die Wachen in der Kantine neu waren. Sie trugen ebenfalls diese seltsamen Brillen und die schwarzen Uniformen. Ihr Kopf aber war unbedeckt, die Haare waren ungekämmt. Es waren vollkommen fremde Leute.
Larek kam mit einem Korb voller Gewürze aus der Speisekammer und stellte ihn auf den Tisch neben Markus, der die Situation nutzte, sich mit dem Rücken zur Wache drehte und flüsterte: „Neue Wachen. Schon gesehen?“
„Oh ja. Keine Ahnung, was das soll. Vielleicht neuer Besitzer oder so?“
„Hey, ihr da! Keine Unterhaltungen!“
Markus drehte sich um und sah, wie eine Wache auf ihn zukam. Schnell widmete er sich dem Zubereiten der heutigen Mahlzeit. Die Wache musterte ihn noch eine Weile, stellte sich dann aber wieder auf ihren Posten neben der Tür.
Markus gab sich Mühe, doch das heutige Menü sah alles andere als appetitlich aus. Am Erscheinungsbild von Wurzelbrei kann auch der beste Koch nichts ändern.
Minuten später war die Mahlzeit angerichtet, und mit einem lauten Klingeln, das durch die Lautsprecher der gesamten Anlage hallte, strömten die Häftlinge unter Beobachtung weiterer Wachposten in die Kantine.

„Danke!“, sagte ein Insasse mit deutlich ironischem Unterton, als Markus den Brei von seiner Kelle auf dessen Teller plumpsen ließ.
Der große Karl war der Nächste in der Reihe. Seine massige Erscheinung war immer wieder beeindruckend. Er hatte nur eine einzige Hose, die er sich selbst aus zwei anderen zusammengenäht hatte. Sein Hemd hatte keine Ärmel und war eigentlich ein Bettlaken. Die paar Haare, die noch an seinen Schläfen hingen, waren ungewaschen, und sein Schnurrbart wucherte in alle Richtungen.
„Und, wie geht’s?“, fragte er.
„Kann nicht klagen!“, antwortete Markus und klatschte eine große Kelle Brei auf seinen Teller.
„Deine Freunde sind übrigens gleich hier!“, sagte Karl, schaute ihn mit einem Beileidslächeln an und nahm sein Tablett. Damit suchte er sich einen freien Tisch und setzte sich, was immer eine Weile dauerte. Die Stühle und Tische waren angeschraubt, sodass er sie nicht nach hinten schieben konnte. Er musste sich dazwischenquetschen, und wenn er saß, ragte ein dicker Wulst seines Bauches über die Tischkante. Die dummen Sprüche der anderen Inhaftierten waren an der Tagesordnung.
Markus stach ebenfalls aus der Masse der Insassen heraus. Nicht durch sein Äußeres, vielmehr durch sein Verhalten.
Er handelte weder mit Jawa-Staub noch mit Rost, und er war noch nie in irgendwelche Schlägereien oder Bandenbewegungen verwickelt. Das lenkte die Aufmerksamkeit auf ihn. Das Motto der Banden hier drin lautete „Bist du nicht auf unserer Seite, bist du gegen uns!“
Kilred und seine Leute, die sich selbst „Die Silberfäuste“ nannten, ließen nichts unversucht, um ihm das Leben zur Hölle zu machen.
Mit einem Donnern sprangen die Blechflügel der Kantine auf. Kilred marschierte herein und hatte Markus sofort im Blick. Seine beiden Handlanger schlurften ihm hinterher und nahmen sich ein Tablett. Die restlichen sechs Männer der Bande kamen auch dazu.
Markus klatschte den Brei auf ihre Teller und versuchte, möglichst unbeeindruckt zu wirken, als Kilred vor ihm stand, dessen Glatze im Schein der Neonröhren glänzte. Die viel zu kleinen Augen fixierten Markus, der ihm seinen Teller überreichte.
„Bist auf meiner Liste die Nummer eins!“, sagte Kilred, warf ihm einen Luftkuss zu und ging weiter.
Seine Handlanger grinsten nur dümmlich und folgten ihm, als sie ihre Mahlzeit auf den Tellern hatten. Am liebsten hätte Markus ihnen ins Essen gespuckt, aber diese spezielle Beilage gab es gestern schon. Sein Bemühen um Variation war sehr ausgeprägt, weshalb er heute unauffällig eine kleine Dreingabe in ihr Essen mischte, die er hinter dem alten Küchenschrank gefunden hatte.

Markus wusste nicht, was ihm mehr Angst machte: dass Kilred und seine Bande ihn ständig beobachteten oder dass sie bisher noch nichts unternommen hatten und er auf der Hut sein musste.
Sein Plan war, die letzten 59 Tage, die er hier im Gefängnis abzusitzen hatte, möglichst in der Nähe der Wachen zu verbringen. Das verringerte die Wahrscheinlichkeit, von den Mistkerlen überfallen zu werden, und steigerte die Chance, einen Mordversuch zu überleben. Zu den alten Wachen hatte er ein paar gute Beziehungen aufbauen können, aber aus unerfindlichen Gründen waren diese scheinbar über Nacht ausgetauscht worden.

Am Abend ging es zurück in die Zelle.
Der Wärter nahm Markus die Handschellen ab und schob ihn durch die Gittertür, die er wortlos hinter ihm zuknallte und dreimal verschloss.
Ein schmaler, junger Mann, den man an einem Ort wie diesem niemals vermuten würde, saß auf dem zweiten, bis dahin unbenutzten Bett. Er traute sich kaum, Markus’ Blick zu erwidern. Mit seinem glatten Gesicht und der ordentlich sitzenden Frisur auf seinem kleinen Kopf war es schwer, ihm ein Verbrechen zuzutrauen. Diebstahl vielleicht.

„Willkommen im Wartezimmer!“, sagte Markus und legte sich auf die dünne Matratze seines Bettes. Das Gestänge knallte an die Wand und klapperte laut durch den Gang. Aus den anderen Zellen hörte man nur noch leise Gespräche. Schlafenszeit.
„Wartezimmer?“, fragte der Neue.
„Du siehst nicht so aus, als wärst du schon mal im Knast gewesen!“, sagte Markus und drehte den Kopf zur Seite, den er auf seine überkreuzten Arme gelegt hatte.
„Nee, bin das erste Mal hier. War ‘ne dumme Geschichte. Drei Soldaten sind in meine Wohnung gestürmt, haben alles durchwühlt. Meine Frau spielte gerade mit unserem Sohn, als ich ihre Schreie hörte. Bin sofort hingerannt, da standen sie auch schon vor mir. Sie drückten mich weg und rissen meine Schränke auf. Ihre Schreie und die Schreie meines Sohnes … Es war einfach zu viel, und irgendwann donnerte ich einem der Soldaten eine Vase über den Schädel. Und ja, hier bin ich!“
Markus wollte zwar nicht seine ganze Lebensgeschichte hören, aber es tat gut, mal etwas anderes erzählt zu bekommen als den Dienstplan von nächster Woche.
Der Junge sah aus, als hätte er gerade erst die Schule beendet. Grün hinter den Ohren, keine Ahnung, wie die Welt wirklich funktioniert, in der er lebte. Und diese Welt, ob vor oder hinter Gittern, fraß einen auf, wenn man sich nicht an die Regeln hielt. Das hatte Markus am eigenen Leib erfahren müssen.
„Was haben sie in deiner Wohnung gesucht?“
Der Junge rutschte mit seinem dünnen Körper weiter nach hinten, sodass er ganz auf dem Bett saß. Mit dem Rücken lehnte er sich gegen die raue Steinwand. „Einer der Soldaten schrie mich an, wo der Wein sei. Ich trinke aber nur Bier und meine Frau ist seit fünf Jahren trocken. Sie glaubten mir nicht und machten einfach weiter.“
Markus musste grinsen.
„Hatten wohl ungeheuren Durst, die Jungs!“
Der Junge grinste auch, obwohl ihm wahrscheinlich eher zum Heulen zumute war. Eine erste, gute Methode in dieser Welt zu überleben.
„Ich bin Metti, wie ist dein Name?“
„Markus. Ich hoffe, du bist nicht sauer, dass kein Minztäfelchen auf deinem Kopfkissen liegt!“
Metti schaute zur Seite. „Nee, schon okay! Da liegt ja auch kein Kopfkissen!“
Markus griff hinter sich und zog unter seinem ein zweites Kissen hervor. Er hatte es sich von dem anderen Bett genommen, seitdem er alleine in der Zelle sitzen musste.
Metti bedankte sich, legte sich mit dem Rücken aufs Bett und rutschte hin und her.
„Die erste Nacht hier drin ist immer die schlimmste! Bald haben sich deine Knochen an die vorstehenden Sprungfedern gewöhnt!“, sagte Markus und schlief kurz darauf ein.

Am nächsten Morgen saß Markus mit anderen Häftlingen in einem weiß gefliesten Vorraum, mit nichts außer einem grauen Handtuch bekleidet.
Es roch nach Desinfektionsmittel, Seife und faulendem Abwasser.
Metti saß zitternd neben ihm.
Finstere Fleischberge mit Bärten starrten sie an.
„Nächster!“, schrie die Wache aus dem Nebenraum, als einer der Häftlinge aus diesem heraustrat und durch eine Tür in der Dusche verschwand. Markus stand auf und ging zu dem Wachmann, der ihn grinsend begrüßte. Er stellte sich mit dem Gesicht zur Wand auf die Markierung am Boden.
„Bücken! Arschbacken auseinander! Umdrehen! Hoden heben! Handtuch schütteln! Okay, ab unter die Dusche! Nächster!“

Er genoss das kalte Wasser, das aus dem vergilbten Duschkopf auf ihn niederprasselte. Kurz darauf trat Metti unter die Dusche neben ihm und schaute nervös umher.
„Entspann dich!“, flüsterte Markus und rieb sich das Wasser aus den Augen.
Metti machte einen Schritt nach vorne und tippte auf den Seifenspender, der neben den Wasserhähnen angebracht war.
„Kann auch nicht runterfallen!“, sagte Markus und nahm sich grinsend eine Handvoll Seife.
Metti war nicht nach Lachen zumute und fing an, sich hektisch einzuseifen. Überall um ihn herum nackte Ärsche und Pimmel. Die Blicke der muskulösen Häftlinge aber waren wohl das Schlimmste hier drin, gefolgt von dem Zwang, die eigene Intimzone entblößen zu müssen.

Gerade als Markus mit dem Duschen fertig war, kamen Kilred und seine beiden Leibwächter herein. Sie stellten sich weiter hinten unter die Dusche und schienen Markus zu ignorieren, der gerade das Wasser abstellte und sein Gesicht ins Handtuch grub.
„Oh, ein Neuer!“, rief einer von Kilreds Männern.
Kilred selbst stand bereits unter fließendem Wasser und drehte sich jetzt ebenfalls um. Grinsend verließ er die Dusche, packte sein Handtuch und rieb sich damit über das Gesicht. Dann legte er es sich über seine breiten Schultern und schlenderte an Markus vorbei.
„Hübscher Hintern!“, sagte er und blieb genau hinter Metti stehen.
Dieser hatte gerade den Kopf voller Seife und scheinbar auch welche im Auge, denn er blinzelte nur. Ratlos stand er da, bis er ein zitterndes „Danke!“ hervorbrachte. Er drehte sich wieder um und versuchte, den muskelbepackten Stier zu ignorieren.
Kilred spitzte die Lippen und pfiff. Seine Helfer kamen angedackelt und grinsten. Weitere Muskelberge türmten sich vor Markus und Metti auf, während die anderen Insassen die Dusche verließen. Selbst diejenigen, die gerade erst reingekommen waren, gingen wieder, denn sie wussten, was gleich passieren würde.
Markus wusste es auch, aber er blieb stehen.
Kilred gab ein Handzeichen, damit einer seiner Männer zu Markus ging und ihn festhielt.
Der Bandenchef griff sich Metti und schlug seinen Kopf gegen den Seifenspender, der zerbrach und die Seife auf dem Boden verteilte. Auf dem nassen Boden liegend bekam er noch einmal Kilreds Faust ins Kreuz. Die weißen Fliesen warfen seinen schmerzerfüllten Schrei mit einem hallenden Unterton zurück. Alles, was die Wache sah, als sie durch die Tür in die Dusche hereinstürmte, war Markus, der sich losriss und Kilred mit Anlauf die Faust ins Gesicht donnerte.

Ende!

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Impressum

Texte: Benjamin Spang
Lektorat: Kerstin Fricke
Tag der Veröffentlichung: 14.12.2013

Alle Rechte vorbehalten

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