Cover

Leseprobe

 

 

 

John F. Beck/Larry Lash/Pat Urban

 

 

Meile um Meile

im Schnee

 

 

 

 

Western-Sonderedition: drei Romane

 

 

 

 

 

 

Bärenklau Exklusiv

 

 

 

 

Impressum

 

 

Copyright © by Authors/Bärenklau Exklusiv 

Cover: © by Steve Mayer mit Kerstin Peschel, 2022

 

Verlag: Bärenklau Exklusiv. Jörg Martin Munsonius (Verleger), Koalabärweg 2, 16727 Bärenklau. Kerstin Peschel (Verlegerin), Am Wald 67, 14656 Brieselang

 

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

 

Alle Rechte vorbehalten

Inhaltsverzeichnis

Impressum 

Das Buch 

Man nannte ihn Windreiter 

Prolog 

1. Kapitel – JIM PARSON 

2. Kapitel – DAVE KERWOOD 

3. Kapitel – JIM PARSON – DAVE KERWOOD 

4. Kapitel – JIM PARSON 

5. Kapitel – DAVE KERWOOD 

6. Kapitel – JIM PARSON 

7. Kapitel – JIM PARSON – DAVE KERWOOD 

8. Kapitel – JIM PARSON 

EPILOG 

Meile um Meile 

1. Kapitel 

2. Kapitel 

3. Kapitel 

4. Kapitel 

5. Kapitel 

6. Kapitel 

7. Kapitel 

8. Kapitel 

9. Kapitel 

Das vergessene Fort 

1. Kapitel 

2. Kapitel 

3. Kapitel 

4. Kapitel 

5. Kapitel 

6. Kapitel 

7. Kapitel 

8. Kapitel 

9. Kapitel 

10. Kapitel 

11. Kapitel 

12. Kapitel 

13. Kapitel 

14. Kapitel 

15. Kapitel 

16. Kapitel 

17. Kapitel 

18. Kapitel 

19. Kapitel 

20. Kapitel 

21. Kapitel 

22. Kapitel 

23. Kapitel 

24. Kapitel 

25. Kapitel 

26. Kapitel 

27. Kapitel 

28. Kapitel 

29. Kapitel 

30. Kapitel 

31. Kapitel 

32. Kapitel 

33. Kapitel 

34. Kapitel 

35. Kapitel 

36. Kapitel 

37. Kapitel 

38. Kapitel 

39. Kapitel 

40. Kapitel 

41. Kapitel 

42. Kapitel 

43. Kapitel 

44. Kapitel 

45. Kapitel 

Über die Autoren 

 

Das Buch

 

Im harten Leben des Wilden Westens prallen Welten aufeinander, wie sie unterschiedlicher nicht sein können. Es ist eine Zeit, in der alles möglich scheint: eine ruhmreiche Zukunft und unermesslicher Reichtum. Es ist aber auch eine Zeit, die Männer hervorbringt, die das Gesetz nicht achten und mit den Stiefeln treten, die alles zunichtemachen, was andere sich in harter Arbeit erschaffen haben und dafür sogar Menschen töten.

Wenn es keine Männer geben würde, Marshals und Sherifs, die den Pionieren folgen, die unter Einsatz ihres Lebens für ein Gleichgewicht zwischen beiden Seiten sorgen, was wäre das Leben dann noch wert? – Keinen Cent!

Doch ihr gefährlichste Gegner ist nicht immer der Feind, der hinter der nächsten Biegung in einem Hinterhalt lauert und nach ihrem Leben trachtet, manchmal ist es das Schicksal, das zusätzlich den schlimmsten Schneesturm, den man sich nur vorstellen kann, bereithält. Da wünscht sich so mancher einen Kampf gegen einen Gegner, dem er gewachsen ist, vielleicht gewachsen ist …

 

In diesem Band sind folgende drei Romane großer Western-Autoren enthalten:

Man nannte ihn Windreiter – von John F. Beck

Meile um Meile – von Larry Lash

Das vergessene Fort – von Pat Urbanlebte

 

 

***

 

 

Man nannte ihn Windreiter

 

 

von John F. Beck

 

 

Sie sind Männer, wie sie unterschiedlicher nicht sein können: Jim Parson, Spieler und Abenteurer und stets bereit zum Risiko. Dave Kerwood dagegen ist ruhig und besonnen und hat in seinem bisherigen Leben nie viel Glück gehabt. Als sich die Wege der beiden Männer eines Tages kreuzen, ahnen weder Parson noch Kerwood, dass ihr Schicksal von nun an untrennbar miteinander verbunden ist. Aus Freundschaft wird schließlich Hass – und der Wunsch nach Rache und Vergeltung überlagert alles andere. Und als sich die beiden schließlich wieder gegenüberstehen, gibt es nur noch eine Sprache – nämlich die der Colts!

John F. Beck hat mit diesem epischen, meisterhaft erzählten Roman ein wahres Feuerwerk an Spannung und Dramatik vor einer historischen Kulisse geschaffen. Es ist sein bisher umfangreichster und engagiertester Roman überhaupt. Ein absolutes MUSS für jeden Westernleser!

 

 

Prolog

 

14. August 1884. Die kleine Stadt Yellow Flat am Rande der Ausläufer der Nevada-Wüste wirkte wie ausgeglüht. Kein Lufthauch bewegte das Windbrunnenrad auf dem Holzgerüst hinter dem Mietstall. Straße, Gehsteige und Vorbauten lagen leer. Das einzige sichtbare Lebewesen war ein alter, magerer Hund, der mit heraushängender Zunge hechelnd unter den Verandabrettern vor dem Hotel ruhte. Es war ein doppelstöckiges, wenig einladend wirkendes Gebäude. Droben stand in einem der rückwärtigen Zimmer eine ein wenig zur Üppigkeit neigende Frau am Fenster und blickte in die Hitzeschleier, die über der sandigen Ebene waberten.

»Er hat eine Abkürzung genommen«, sagte sie ohne sich umzudrehen. »Mindestens fünf Meilen von der Poststraße entfernt. Weiß der Kuckuck, woher er kommt.«

Der Mann auf dem Bett schräg hinter ihr hatte sich aufgesetzt. Er war nur mit aufgeknöpftem Hemd und Hose bekleidet. Ein Hustenanfall hatte ihm schlimm zugesetzt. Mit einem weißen Taschentuch tupfte er sich ein paar Blutstropfen aus dem rechten Mundwinkel. Sein Gesicht war fahl, hohlwangig, im Ganzen aber recht gut geschnitten. Eine schweißfeuchte blonde Strähne klebte an seiner Stirn. Trotz der Nachmittagshitze im Zimmer schien er zu frösteln. Er zog die leichte Decke halb über sich.

»Wie sieht er aus?«

»Zu weit weg.«

»Nimm das Fernglas, Sally.«

Der Mann trank einen Schluck aus dem Glas mit einer dunkelbraunen Flüssigkeit, das neben ihm, auf dem Kästchen stand. Das übrige Mobiliar bestand aus einer Kommode mit Waschschüssel, einem wurmstichigen Schrank und einem wackeligen Stuhl.

Die Frau öffnete die zur Abreise bereit gestellte große Stofftasche und entnahm ihr ein Fernglas. Die reichliche Schminke konnte die Spuren des beginnenden Alters auf ihrem Gesicht nicht verbergen. Das Rot ihrer Haare war zu grell, um echt zu sein und in dem smaragdgrünen, wenn auch gut modellierten Kleid hätte sich bestimmt keine der Stadtbewohnerinnen zu zeigen gewagt.

Jim Parson wartete geduldig, bis Sally wieder am Fenster stand.

»Nun?«

»Von Kopf bis Fuß mit Staub bedeckt.«

»Kein Wunder bei der Strecke, die er anscheinend hinter sich hat. Sein Pferd?«

»Ein Schecke.«

»Naja, Brown Boy ist inzwischen alt geworden – falls er überhaupt noch lebt.« Parson lachte rissig, worauf er wieder zu husten begann.

Die Frau drehte sich ruckartig. »Du kennst ihn?«

»Möglich.« Parson atmete jetzt gleichmäßig.

»Bewaffnet?«

»Ein Revolver.« Sally benutzte wieder das Fernglas.

»Wo?«

»Links, mit dem Kolben nach vorn.«

»Dann ist er es.«

»Wer? Mann, Jim, lass dir nicht alles aus der Nase ziehen!«

»Dave Kerwood, mein ehemals bester und einziger Freund.«

»Wie du das sagst! Das ist doch kein Zufall, dass er hier auftaucht. Was will er von dir?«

»Ich nehme an, er kommt, um mich zu töten.«

»Das ist nicht dein Ernst.«

»Doch.«

»Darum also die Hetze in letzter Zeit. Jim, lass uns von hier verschwinden.«

Parson lächelte schief. »Du vergisst, dass wir keine Pferde haben und auf die nächste Postkutsche angewiesen sind, Honey. Die kommt erst in zwei Tagen.«

»Aber du …«

»Reg dich ab, Sally. Noch bin ich am Leben, und ich gedenke es auch zu bleiben. Wie lange wird es noch dauern, bis er in der Stadt ist?«

Sally kehrte hastig ans Fenster zurück. »Er ist schon da. Eben biegt er in die Southern Road.«

 

 

1. Kapitel – JIM PARSON

 

In jenem Jahr 1850 lagen die Felder, Wiesen und Wälder im nördlichen Illinois bereits Mitte November unter einer dicken Schneedecke. Die Nacht vom 18. auf den 19. war sternenklar. Ein eisiger Wind blies glitzernde dünne Schleier um das alte Farmhaus auf einer Anhöhe über Whitewater. Die Läden waren geschlossen. In den Ritzen schimmerte es gelb.

Ein hungriger Fuchs war vom nahen Wald zur Rückwand des Hühnerstalls herüber geschlichen und suchte schnüffelnd und kratzend nach einer Lücke oder einem morschen Brett. Plötzlich drehte er den Kopf, spitzte die Lauscher und jagte dann mit flachen Sätzen in den Schutz der schneevermummten Fichten zurück.

Der Schrei aus dem Farmhaus wiederholte sich. Es war die Stimme einer Frau, durchdringend, voller Pein. Dann nur mehr ein Röcheln, Keuchen, das in schweres Atmen überging.

»Sie haben es geschafft, Mrs. Parson«, sagte die zweite Frau in dem von einer Kerosinlampe erhellten engen Schlafzimmer zu der schweißgebadet im Bett Liegenden. »Ein Junge, ein kräftiges, hübsches Kerlchen. Sehen Sie nur.«

»Nein, nein! Schaffen Sie’s weg, schaffen Sie’s weg!«

Die Frau aus Whitewater, die das matt zappelnde Bündelchen Mensch sachgerecht in saubere Tücher hüllte, hielt erschrocken inne. »Um Himmels willen, Mrs. Parson, versündigen Sie sich nicht! Sie wissen ja nicht, was Sie reden!«

»Ich will’s nicht sehen! Schaffen Sie’s weg!«

»Beruhigen Sie sich doch. Es ist ja alles vorbei.« Die Hebamme bettete den Kleinen behutsam in ein bereitstehendes Körbchen, das als Wiege dienen sollte. Ihre zuvor so sicheren Hände zitterten jetzt. Sie vermied es, Sarah Parson anzusehen.

»Vorbei?«, keuchte diese und hustete bei dem vergeblichen Versuch verzweifelt zu lachen. »Die Farmarbeit… der Mann, der an der Whiskyflasche hängt… dazu noch ein Kind … Wie soll ich das bloß schaffen!«

»Wenn Bob erst mal seinen Sohn gesehen hat, wird er sich bestimmt bessern, Mrs. Parson.«

Sarah Parson schloss erschöpft die Augen. Ihre verarbeiteten Hände lagen schlaff auf der Decke. »Und wo ist er jetzt?«, murmelte sie. »Sie wissen es so gut wie ich. Er sitzt mit seinen Kumpanen bei O’Hara und lässt sich volllaufen.«

Ein schwaches Quäken kam aus dem Körbchen. Die Frau aus Whitewater hob den neuen Erdenbewohner heraus, setzte sich auf einen Stuhl und während seine Mutter einschlief, wiegte sie ihn mit feuchten Augen an ihrer Brust.

Im Geburtenregister von Whitewater stand: James Milford Parson geb. am 19. November 1850, Eltern Sarah Parson geb. Milford und Robert Parson. Der Junge wuchs in einen tristen Farmalltag hinein. Die Mutter sorgte zwar für Nahrung und Kleidung, ansonsten war er, sobald er laufen konnte, die meiste Zeit sich selbst überlassen. Er konnte sich später an kein freundliches Wort oder ein Lächeln von Sarah Parson erinnern. Als er schon ein wenig anpacken konnte, musste er auf den Feldern und im Stall helfen. Die Parsons besaßen ein altersschwaches Pferd, das gerade noch taugte, den Pflug zu ziehen, eine Milchkuh und ein halbes Dutzend Hühner.

Die Farmarbeit war Jim genauso verhasst wie seinem Vater. Der saß lieber in O’Haras Kneipe oder trieb sich tagelang mit einer alten Kentucky Rifle in den Wäldern herum. Wenn es ihn gelegentlich überkam, einen Zaun auszubessern oder das Dach zu flicken, dann war abzusehen, dass er nach wenigen Stunden alles stehen und liegen ließ und im Schatten der Fichten und Tannen jenseits der Felder verschwand.

Jim bezog zwar häufig Prügel von ihm, aber wenn Bob Parson sich gerade die richtige Menge Fusel einverleibt hatte, erzählt er dem Jungen Geschichten – wahre und erlogene – aus seinem Leben, von denen Jim gar nicht genug hören konnte. Mit zehn durfte Jim seinen Vater auf seinen Jagdstreifzügen begleiten, während Sarah Parson sich bis zum Zusammenbruch auf den Feldern abrackerte. Damit war Jim in seinem Element. Bald kannte er sich mit Fährten und beim Fallenstellen fast so gut aus wie sein »Alter«. Mit elf erlegte er seinen ersten Schwarzbären, und zur Belohnung schenkte ihm Bob ein zweischneidiges Messer mit Perlmuttgriffschalen, fortan Jims kostbarster Schatz, sein Heiligtum.

Die Jagd war keine verachtenswerte Einnahmequelle. Außer O’Hara gab es noch den einen oder anderen Abnehmer für Wildbret in der kleinen Stadt. Die Farm kam indessen immer weiter herab. Jims Mutter war mit fünfunddreißig Jahren bereits eine verbrauchte und verbitterte alte Frau. Die beiden Parson-Männer gingen ihr nach Möglichkeit aus dem Weg.

An einem Morgen als sie gerade wieder zur Jagd aufbrechen wollten, kamen vier Reiter den Hang herauf, bärtige, kräftige Männer, zwei von nicht weit entfernten Farmen, zwei aus der Stadt.

»Hallo, Parson.« Der Sprecher trug den blauen Waffenrock der Nordstaaten Armee über seinem Werktagshemd und zu seiner geflickten Hose. »Wieder mal schwer bewaffnet, eh? Das trifft sich gut.«

Parson, die Rifle in der Armbeuge, kniff die Augen zusammen. »Was meinst du damit, Murphy?«

»Hast du’s noch nicht mitbekommen, Parson? Wir stellen eine Freiwilligen-Kompanie für das Zweite Illinois-Regiment zusammen, um den verdammten Johnny Rebs mal tüchtig aufs Haupt zu schlagen. Da kannst du deine Schießkünste besser anwenden als bei Hasen und Rehen. Na, was sagst du?«

Bob Parson war ein drahtiger, nicht sehr großer Mann mit einem wettergegerbten Gesicht, das sich jetzt in tausend Falten und Fältchen zerlegte als er grinste. »Ich sage dir, Murphy, dass ich auf euren Scheißkrieg pfeife und mir ein Hase oder ein Reh vor meiner Flinte bedeutend einträglicher scheint als ein Kugelloch in der Uniform eines Johnny Reb.«

Die Mienen der Reiter hatten sich schlagartig verfinstert. Ben Murphy, dem die Eisenwarenhandlung in Whitewater gehörte, beugte sich im Sattel vor. »Du willst doch nicht etwa behaupten, Parson, dass du mit diesem verdammten Südstaatler- und Sklavenschinderpack sympathisierst?«

»Ich behaupte lediglich, dass mir meine eigene Haut näher ist als die von irgendeinem Nigger und dass es mir egal ist, ob Abe Lincoln oder Jeff Davis auf dem Präsidentenstuhl im Weißen Haus sitzt, solange ich mir bei O’Hara eine Flasche Whisky kaufen oder mit meinem Jungen hinter einem Bären oder Hirsch her sein kann. Was, Jim?«

»Klar, Pa.« Jim versuchte das Grinsen seines Vaters nachzuahmen.

Murphy richtete sich steif auf. Er warf seinen Begleitern einen bedeutsamen Blick zu. »Wer weiß wie lange du das mit solchen Ansichten noch kannst, Parson.«

Sie drehten ihre Pferde und ritten zur Stadt zurück. Parson spuckte aus. »Lass dich nicht ins Bockshorn jagen, Junge. Wenn du kämpfst, dann für deine eigene Sache, nicht für die Hirngespinste irgendwelcher Idioten.«

»Klar, Pa«, antwortete Jim und spuckte ebenfalls aus.

 

*

 

Knapp eine Woche später klopfte Bob Parson mit zwei frischen Rehkeulen in dem Sack, den er geschultert trug, an O’Haras Hintertür. Der glatzköpfige, stämmige Ire empfing ihn missmutig. Eine Zigarre pappte zwischen seinen Wulstlippen.

»Kein Bedarf mehr, Bob. Tut mir leid.«

»Hab ’nen anstrengenden Tag hinter mir und bin müde. Mach also keine blöden Witze.«

»Seh ich aus als wäre ich zum Spaßen aufgelegt? Der Großteil meiner Gäste ist fort, unterwegs zu den Schlachtfeldern im Osten. Was soll ich mit dem Fleisch?« Parson beäugte ihn misstrauisch. »Hat Ben Murphy dir das eingeflüstert?«

»Ben ist ebenfalls auf dem Weg zum Ruhm«, knurrte O’Hara und paffte geräuschvoll »Und du?«

»Ich kann auch ohne Ruhm leben. Und einer muss hier ja schließlich die Stellung halten bei all den Weibern, von denen bald viele Witwen sein werden.«

Bob Parson nickte verständnisvoll, dann seufzte er. »Gib mir wenigstens eine Flasche Whisky mit auf den Heimweg.«

»Kannst du bezahlen?«

»Schreib’s an.«

O’Haras Miene veränderte sich. »Damit ist’s vorbei. Hast bei mir noch ’ne gehörige Rechnung offen. Und ich brauch das Geld, nachdem die meisten Jungs fort sind, Ich brauch es bald – sagen wir, in zwei Tagen.«

Parson riss die Augen auf. »Du hast sie wohl nicht mehr alle, Mike! Du weißt genau, dass ich kein …«

O’Hara nahm die Zigarre aus dem Mund. »Mrs. Blackwells Milchkuh ist gestern krepiert. Sie ist mit ihrer Stube voller Kinder auf die Milch angewiesen. Ich werde ihr deine Kuh verkaufen, dann sind deine Schulden beglichen, Bob. In zwei Tagen.«

»Das kannst du nicht …«

»In zwei Tagen.«

»Die Hölle soll dich fressen, Mike!« Zähneknirschend wandte Parson sich ab. Er fluchte fortwährend vor sich hin, als er, die beiden Rehkeulen auf der Schulter, den Weg zu seinem Anwesen hinauf stapfte.

Jim kam dem mittlerweile nur mehr Keuchenden ahnungslos entgegen. »Ich will verdammt sein, Pa, wenn du nicht daherkommst wie ein abgewrackter Alter«, grinste er, worauf er prompt eine Ohrfeige kassierte, die ihn fast umwarf.

»Fass mit an, du Nichtsnutz. Und wenn du’s dann noch schaffst, da unten in dem Kaff irgendwo ’ne Flasche Feuerwasser zu stibitzen, dann gibt’s heute Abend ein Festessen: gebratene Rehkeule mit Waldbeeren und Whiskysoße.«

 

*

 

Zwei Tage später war die Milchkuh trotz Sarahs Gezeter und Bobs wüstem Gefluche fort. O’Hara hatte zwei ältere, aber grimmig und entschlossen aussehende Männer mitgebracht, beide mit schwerkalibrigen Hinterladern ausgerüstet. Er selber trug eine doppelläufige alte Steinschlosspistole im speckig glänzenden Gurt. Als Jim mit der langläufigen Kentucky Rifle seines Vaters auf den Hof gekommen war, hatte er von seinem »Alten« eine noch heftigere Ohrfeige als vor zwei Tagen eingefangen, sodass er sich, ohne die Rifle fallen zu lassen, auf den Hosenboden gesetzt hatte.

»Du sollst nur schießen, wenn du sicher bist, dass du hinterher weder gehenkt noch eingebuchtet wirst«, hatte ihm Bob Parson eingeschärft nachdem die anderen fort waren.

In der darauffolgenden Nacht wurde bei O’Hara eingebrochen. Weder O’Hara, der sowieso für seinen tiefen Schlaf bekannt war, noch seine Frau bemerkten etwas. Am Morgen fehlte seine Kneipenkasse, in der sich inzwischen auch der Kaufpreis befand, den Mrs. Blackwell für ihre neue Milchkuh entrichtet hatte.

Ein vor Wut fast platzender O’Hara eilte mit der Pistole fuchtelnd und die gesamte übriggebliebene männliche Einwohnerschaft von Whitewater im Schlepptau zur Parson Farm hinauf. Es war ein kühler Herbstmorgen. Die heraufziehenden dunklen Wolken kündeten Regen an. Mrs. Parson war bereits dabei die Hühner zu füttern. Jim lugte aus einem Fenster, rieb sich den Schlaf aus den Augen und grinste ahnungsvoll.

»Wenn ihr Pa sucht, er ist nicht hier.«

»Wo ist der Mistkerl hin?«, brüllte O’Hara.

»Keine Ahnung.«

Das entsprach der Wahrheit. Was Jim verschwieg war, dass er beim Aufwachen fünf Dollar unter seinem Kopfkissen gefunden hatte. Bob Parson wurde in Whitewater und Umgebung nie mehr gesehen.

 

*

 

Es gab kein Anzeichen dafür, dass Bob Parsons Verschwinden seinem Sohn besonders nahe ging. Seine Mutter bekam ihn jetzt noch seltener zu sehen, und die Nachbarn und Stadtbewohner waren noch mehr darauf bedacht, ihre Lebensmittel, Hühner und Feldfrüchte sicher zu verwahren. Denn Jims Ehrgeiz bestand mittlerweile darin, sich möglichst außer Haus zu verköstigen. Bis nach seinem vierzehnten Geburtstag eine Wandlung eintrat, die alle überraschte – Jim selber am meisten.

Sein Schulbesuch hatte sich bis dahin auf zwei Winterhalbjahre beschränkt. Da Jim ein helles Köpfchen besaß, hatte das genügt, ihm die Grundkenntnisse der Lese-, Schreib- und Rechenkunst beizubringen. Etwas mühsamer war es gewesen, sich den nötigen Respekt unter seinen Mitschülern zu verschaffen. Die Parsons galten in der Stadt und deren Umkreis als Außenseiter, vor denen man auf der Hut sein musste. Und Bobs Ruf als Whiskyvertilger und Schuldenmacher bot Anlass genug, seinen Sohn zu hänseln.

Jim hatte sich die drei bösartigsten Spötter einzeln vorgenommen und ihnen eine Abreibung verpasst, die sie nicht so schnell vergessen würden. Dann allerdings waren sie auf dem Heimweg zu dritt über ihn hergefallen. Jim hatte mehrere Tage lang mit grün und blau verschwollenem Gesicht und schmerzenden Rippen daheim im Bett gelegen. Sarah Parson hatte keinerlei Mitleid gezeigt, was Jim auch gar nicht erwartet hatte.

Er war dann nur mehr mit dem Messer, das sein Vater ihm geschenkt hatte, unterwegs gewesen und er hatte, wenn der Lehrer nicht zur Stelle war, Kunststücke damit vorgeführt, die den hartgesottensten Farmerlümmel davon abhielten, ihn auch nur mehr schief anzusehen. Freunde hatte ihm das keine gebracht. Aber darauf hatte Jim gepfiffen.

Dass er schließlich mit vierzehn freiwillig nochmals die Schulbank drückte, hatte mit Jims erster und einziger wahrer Liebe zu tun. Es begann mit einem plötzlichen, eine halbe Stunde dauernden heftigen Regenguss im Spätherbst. Da es über den östlichen Talhängen bereits wieder aufzuklaren begann, zog es die Kundschaft in Eric Larsens Store vor, erst einmal abzuwarten.

Es waren vier oder fünf Frauen und ein paar Oldtimer von den umliegenden Farmen. Letztere beschauten zwischen den Regalen die neuesten Coltmodelle, obwohl sie selber keinen Bedarf dafür hatten. Auf dem Vorbaudach plätscherte es. Drinnen war es so dämmrig, dass Larsen schon überlegte, ob er eine Lampe anzünden sollte. Denn die Ladies suchten eifrig die Dielen nach einer Münze ab, die Mrs. McPherson beim Einstecken des Wechselgeldes aus der Hand gerutscht war.

Da fiel sein Blick auf Jim Parson. Fröstelnd und durchnässt schob der sich an den Frauen vorbei zur Ladentheke. Larsen, eingedenk schlechter Erfahrung, rief sofort: »Parson, wenn du kein Geld hast, dann verschwinde! Ich verkaufe nicht auf Pump.«

»Ich habe Geld«, erwiderte Jim trotzig und legte ein Fünfzig-Cent-Stück auf die Platte. Das hatte er, nachdem er verdächtig um Mrs. Blackwells Hühnerstall herumgeschlichen war, von der Witwe sozusagen als freiwilliges Lösegeld für ihr Federvieh geschenkt bekommen. Außerdem hatte sie nicht vergessen, dass ihre neue und ergiebige Milchkuh eine ehemalige Parson-Kuh war.

In Larsens Store wurde es schlagartig still, als der Ladenbesitzer laut und betont langsam sagte: »Sieh an, genau fünfzig Cent.« Alle drehten sich dem blonden Jungen zu, und über Jims Kopf hinweg fragte Larsen: »War es nicht eine Fünfzig-Cent-Münze, die Sie vorhin verloren haben, Mrs. McPherson?«

Die Stille vertiefte sich. Auch die alten Männer zwischen den Regalen waren aufmerksam geworden. Jim, kreidebleich, die Zähne zusammengebissen, verharrte reglos.

Da sagte eine ruhige, aber entschieden klingende Frauenstimme: »Ich habe nicht gesehen, dass der Junge sich nach irgendetwas gebückt hat, seit er hereingekommen ist.«

Ruckartig drehten sich die Köpfe in die neue Richtung. Nur Jim starrte noch auf das Geldstück, das zwischen ihm und dem Ladenbesitzer lag. Und wieder die Stimme von vorhin: »Vielleicht sollten Sie die Lampe anzünden, Mr. Larsen, damit wir uns nochmals nach Mrs. McPhersons fünfzig Cent umschauen.«

Nur ein sehr aufmerksamer Zuhörer hätte einen Unterton von Verachtung in dieser gleichbleibend ruhigen Stimme wahrgenommen. Der Vorschlag wurde überflüssig, denn eine andere weibliche Stimme rief: »Sehen Sie nur, Mrs. McPherson, das Geld hat sich in Ihrem Kleidersaum verfangen!«

Verlegenes Lachen folgte. Larsen war rot geworden. »Was willst du?«, fragte er den Jungen barsch.

Wortlos drehte Jim sich ab. Die Frau an der Tür trat lächelnd zur Seite. Sie war jung, trug ein einfaches, aber geschmackvolles Kleid und besaß das ebenmäßigste und schönste Gesicht, das Jim je gesehen hatte. Für ihn eine Erscheinung wie aus einer anderen Welt.

»He, Parson, dein Geld!«

Jim beachtete Larsen nicht mehr. Draußen schüttete es immer noch, aber er spürte es nicht.

 

*

 

Zwei Tage später sah er sie wieder. Er hatte sich entschlossen, die zurückgelassene Münze doch noch in etwas Essbares umzuwandeln und verließ gerade mit einer Dose Kekse Larsens Store. Sie stand im Gespräch mit einer anderen Frau, die ein kleines Mädchen an der Hand hielt, vor Murphys Eisenwarenhandlung. Im nächsten Moment entdeckte Jim einen ehemaligen Kontrahenten aus seiner Schulzeit, der aus einer Seitengasse kam und sich sofort zurückziehen wollte, als er Parson bemerkte.

»Komm her, Tom!«, rief Jim scharf.

Tom zögerte. Dann näherte er sich misstrauisch.

»Wer ist die Frau dort?« Jims Kinn wies die Richtung.

Tom grinste erleichtert. »Lebst du hinterm Mond, Mann? Das ist Miss Beiden, die neue Lehrerin. Der alte Griesgram Watkins hat sich nach Chicago verzogen. Haus geerbt oder sowas.« Er neigte sich vertraulich zu Jim. »Nicht übel, die Puppe, was?« Und als Jim nicht reagierte: »Möchte sie gerne mal ohne den Stoff um sie herum sehen. Was die für Titten …«

Jims Faust klatschte ihm ins Gesicht. Er taumelte gegen die Hausecke. »Bist du verrückt geworden? Was soll das?«

Das wusste Jim selber nicht. Sein abwesender Gesichtsausdruck erschreckte Tom Riley noch mehr. Mit seiner Schimpfkanonade begann er aber vorsichtshalber erst, als er schon weit genug entfernt war.

Eine Woche danach saß Riley auf seinem angestammten Platz in der hintersten Bankreihe im Schulzimmer und traute seinen Augen nicht. Der Unterricht hatte schon begonnen. Vor den Fenstern des flachen Holzgebäudes tanzten die ersten Schneeflocken dieses Winters. Der Kanonenofen bullerte, und Miss Elisabeth Beiden schrieb mit Kreide eine Rechenaufgabe an die Tafel.

Da ging vorsichtig die Tür auf. Jim Parson stand auf der Schwelle. Haltung und Miene verrieten Unsicherheit – aber nur, bis er alle Blicke auf sich gerichtet sah. Da straffte er sich, schloss geräuschvoll die Tür und steuerte mit einem Packen halb zerschlissener Schulbücher unterm Arm den Platz neben Tom Riley an.

»Guten Morgen, Jim.«

Das war dieselbe ruhige und melodische Stimme, die er in Larsens Store gehört hatte. Jim blieb stehen. Röte übergoss sein Gesicht.

»Guten Morgen, Miss Beiden.«

»Es freut mich, dass du dich zum Kommen entschlossen hast.«

»Nur den Winter über, Miss Beiden.«

»Das ist schon in Ordnung so, Jim.« Die junge Lehrerin lächelte. »Ich habe ja gehört, dass du ansonsten ein tüchtiger Jäger und Waldläufer bist, der im Sommer keine Zeit für die Schule hat.«

Alle Altersstufen waren in dem Raum vertreten, und alle, vom Siebenjährigen bis zu den Halbwüchsigen, hielten den Atem an. Auch Jim. Noch nie war über einen Parson in Whitewater ein anerkennendes Wort geäußert worden.

»Setz dich nur, Jim«, sagte die Lehrerin und drehte sich wieder zur Tafel.

Jim setzte sich neben den säuerlich dreinschauenden Tom Riley. »Du weißt, was dir blüht, wenn du mir nicht vorsagst und mich nicht abschreiben lässt«, flüsterte er ihm zu. Tom wusste es.

Von der Stunde an wunderte sich Elisabeth Beiden, wie wenig aufmüpfig die »großen Jungs« in den hinteren Bankreihen auf einmal waren und wie respektvoll sie behandelt wurde. Eine Ahnung beschlich sie zwar, aber erst viel später, nach ihrer Zeit in Whitewater, wurde ihr bewusst, unter welchem Schutz sie gestanden hatte.

Jim berührte es nicht, dass seine Klassenkameraden ihn außerhalb der Schule mieden. Die Mädchen jedoch begannen ihm bewundernde Blicke zuzuwerfen. Und außer der Macht, die er nun insgeheim ausübte, hatte er sich ja zu einem hübschen und kräftigen jungen Mann entwickelt.

 

*

 

Um zehn Uhr vormittags am 12. April 1865 preschte ein Reiter die Hauptstraße von Whitewater entlang. Er schwenkte einen Packen druckfrischer Zeitungen, die er aus der fünfzehn Meilen entfernten Nachbarstadt mitgebracht hatte.

»Wir haben sie geschlagen! Wir haben sie geschlagen!«, brüllte er. Im Nu füllte sich die Straße mit Menschen. Der Mann zügelte seinen schweißbedeckten Braunen. »Vor drei Tagen hat Lee bei Appomatox kapituliert! Wir haben’s geschafft, Leute! Der Süden ist hin, der Krieg vorbei!«

Jubel brach aus, Freudentränen flossen. Miss Beiden hatte die Schulhaustür geöffnet. »Ich glaube, Kinder, ihr geht jetzt am besten nach Hause und feiert mit euren Eltern. Morgen sehen wir uns wieder.«

Sie blieb allein zurück, wischte die Tafel ab und ordnete ihre Bücher auf dem Pult. Draußen lärmte und tobte es. Sie lauschte eine Weile. Dann, mit einem Seufzer der Erleichterung, wandte sie sich zum Gehen. Sie war auf halbem Weg zur Tür, da löste sich Jim Parson seitlich aus dem Schatten.

Ihr Herzschlag stockte, als sie das Messer in Jims Hand sah. Jim bemerkte ihr Erschrecken nicht. Er lächelte. »Bleiben Sie stehen, Miss Beiden, ich will Ihnen nur zeigen …«

Sie sah nur das Messer. Ihre Erstarrung löste sich in einem markdurchdringenden Schrei. Gleichzeitig flirrte etwas an ihrem Kopf vorbei. Mit zitterndem Nachschwingen blieb die schmale Klinge in dem Kreis stecken, den Jim zuvor heimlich mit Kreide an einen Stützpfeiler gezeichnet hatte.

»Um Himmels willen, Miss Beiden, ich wollte doch nur …«

Ein Mann tauchte in der Tür auf. Im Vorbeilaufen hatte er den Schrei gehört. Als er sah, wie Jim das Messer aus dem Pfeiler zog, prallte er zurück und schrie: »Der verdammte Parson-Junge ist mit dem Messer auf die Lehrerin losgegangen!«

Jim duckte sich wie eine in die Enge getriebene Raubkatze. Dann war er mit wenigen Sätzen bei einem Fenster, riss es auf und sprang ins Freie. Der Tumult auf der Straße verlagerte sich zum Schulhaus. Miss Beiden lehnte bleich neben der Tür an der Außenwand.

»Nein, nein, lasst nur! Wahrscheinlich wollte er …«

»Er flieht! Lasst ihn nicht entkommen!«, gellte es.

Jim hetzte durch Seitengassen, über Hinterhöfe, scheuchte Hühner auf, wischte durch eine Zaunlücke und verschwand im Dickicht am Ufer des Creeks, nachdem die Siedlung benannt war. Nie wieder wollte er seine Kunstfertigkeit mit dem Messer vorführen – vor allem keiner Frau.

Jim Parson blieb für die Bewohner von Whitewater genauso verschollen wie sein Vater. Aber als Miss Beiden am nächsten Tag vom Schulunterricht in das ebenerdig gelegene Zimmer zurückkam, das sie bei Mrs. Blackwell am Stadtrand gemietet hatte, stand das Fenster zum Garten offen. Auf dem Bett lag eine Lederscheide, aus der der mit Perlmuttschalen ausgelegte Griff eines Messers ragte.

Mit zitternden Händen nahm sie es an sich. Viele Jahre später – sie war bereits Ehefrau und Mutter eines Zwillingspärchens – bewahrte sie es, in ein blaues Seidentuch gewickelt immer noch in einer Lade ihrer Spiegelkommode auf.

 

*

 

An einem frühen Nachmittag in der ersten Maiwoche näherte sich eine müde und abgerissen wirkende Gestalt den Häusern von Greerly am Illinois River. Für die Jahreszeit war es schon ungewöhnlich warm, fast sommerlich. Die von Radgleisen gefurchte Straße war leer. Die meisten Fenster standen offen. Geschirrgeklapper und gedämpfte Stimmen waren zu hören. Aus der offenen dämmrigen Schmiede drang Hammerschlag.

Jim Parson kam vom Fluss herüber, wo er sich Gesicht und Hände gewaschen hatte. Das zottelige blonde Haar hing ihm über den schmutzigen Hemdkragen. Der rechte Ärmel war zerrissen, und die Schuhe sahen nicht danach aus, als würden sie noch etliche Meilen durchhalten. Bei den ersten Zäunen zögerte der Junge argwöhnisch, aber sein knurrender Magen trieb ihn vorwärts.

Ein dünner Mann mit einem über die Mundwinkel herabhängenden Schnurrbart schleppte gerade eine Kiste aus einem Hauseingang zu dem davor abgestellten Karren. Auf dem Schild über der Tür stand in halb verblichenen Buchstaben »Harper’s Generalstore«. Außer dem Schnurrbärtigen war niemand zu sehen. Jim blieb stehen.

»Mr. Harper?«

Der Mann hob mit einer ruckartigen Bewegung, die an einen Raubvogel erinnerte, den Kopf. »Was willst du?«

Jim versuchte sein gewinnendstes Lächeln. »Ich nehme Ihnen gerne jede Arbeit ab, Sir, wenn Sie mir dafür eine Mahlzeit spendieren.«

Der Storebesitzer musterte ihn von Kopf bis Fuß. Währenddessen tauchte schräg hinter ihm ein Mädchen etwa in Jims Alter in der dämmrigen Tür auf. Jim ließ sich nicht ablenken. Trotzdem stellte er nebenbei fest, dass sie mager, farblos und auch sonst ziemlich unansehnlich war.

»Jede Arbeit?«, fragte Harper mit hämischem Unterton.

»Jede Arbeit«, bestätigte Jim.

»Dein Pech nur, dass ich keine habe. Nicht für dich, du Strolch. Und du wirst hier in Greerly auch sonst keinen finden, der dir Arbeit gibt. Wir mögen hier keine Herumtreiber. Verstanden?«

»Ich bin nicht taub, Mann«, erwiderte Jim in verändertem Ton.

Der Storekeeper stockte einen Moment, dann schrie er: »Hau bloß ab! Verschwinde und zwar auf der Stelle!«

»Nur mit der Ruhe, Mann. Die Straße gehört nicht Ihnen.«

Jim zwang sich zu einem Grinsen. Dann schlenderte er nach einem schnellen Blick in Richtung zu dem reglos verharrenden Mädchen die sonnenbeschienene Straße hinab. Schimpfworte und Drohungen folgten ihm. Aber erst als Jim eine Biegung hinter sich hatte und von Harper nicht mehr gesehen werden konnte, verschwand seine vorgetäuschte Lässigkeit. Erschöpft wischte er sich mit dem zerrissenen Ärmel den Schweiß vom Gesicht.

Eine Stunde später lehnte der junge Parson halb schlafend an der Rückwand eines alten Bretterschuppens. Das Rauschen des halb von Bäumen verdeckten Flusses füllte die Stille. Dann näherten sich Schritte. Leichte, unregelmäßig Schritte von jemand, der hinkte. Jim veränderte seine Haltung nicht, öffnete nur ein wenig die Augen.

Die Schritte hielten vor ihm. Er sah den unteren Teil eines grau-blau gemusterten Kleides, einen zierlichen braunen Schuh und einen großen klumpigen, der dem unförmigen Fuß angepasst war. Als er den Kopf hob, schaute er in ein blasses, mageres Gesicht. Eine der üblichen Stoffhauben verbarg die Haare. Die dunklen Augen musterten ihn ängstlich.

»Hallo«, sagte Jim.

Das Mädchen aus dem Store reichte ihm schweigend ein Päckchen. Es waren zwei in altes Zeitungspapier gewickelte Brotscheiben, dick mit Rauchfleisch belegt. Jim griff gierig zu. »Du bist ein Schatz, Honey.« Er hatte bereits einen Bissen im Mund. »Wie heißt du?«

»Eve.«

»Hübscher Name.«

»Ein Name wie tausend andere.« Das klang abweisend.

»Ich bin Jim. Komm, setz dich zu mir, Eve.«

Das Mädchen zögerte. Dann setzte sie sich umständlich neben Jim, die Beine angezogen, dabei versuchte sie ihren unförmigen rechten Fuß unter dem Kleidersaum zu verbergen. Jim tat als bemerkte er es nicht. Er kaute hungrig.

»Ich hab vergessen danke zu sagen. Seit Tagen habe ich nichts Richtiges mehr in den Magen bekommen. Dein Pa ist nicht sehr … sehr …«

»Ich weiß«, sagte Eve leise.

»Du bist sehr mutig, Eve.«

»Ich wollte nicht, dass du hungrig aus Greerly fortgehst.« Sie blickte starr vor sich auf den Boden.

Jim legte vorsichtig seine Linke auf ihr rechtes Knie. Sie erschauerte, hielt einen Moment den Atem an. »Dein Freund kann verdammt stolz auf dich sein, Eve.«

Sie stand sofort auf. »Du weißt genau, dass ich keinen Freund habe.«

»Wieso denn?«, fragte Parson mit vollen Backen.

»Sieh mich doch an.«

»Na und?« Jim schluckte was er im Mund hatte hinunter. »Du siehst aus wie alle anderen Mädchen.« Er überlegte kurz und lächelte. »Nur deine Augen sind viel, viel schöner. Da wo ich herkomme, hatte kein Mädchen so schöne Augen wie du.«

Ihr Gesicht war auf einmal wie von Feuer übergossen.

»Du lügst«, sagte sie leise. Dann heftig: »Du lügst! Du willst mir nur schön tun!«

Sie ballte, den Tränen nahe, die kleinen Hände. Dann entfernte sie sich hastig. Ihre dünne Gestalt bewegte sich mit grotesken Rucken. Jim blickte ihr eine Weile nach, dann widmete er sich wieder seinen Broten.

 

*

 

Es war längst dunkel, als Eve Harper ein Klopfen an der Hintertür hörte. Sie stand noch in der Küche, hielt die Petroleumlampe in der Hand, um damit ins Schlafzimmer zu gehen. Das Klopfen wiederholte sich. Eve trat auf den Korridor und ging dicht an die Türe heran. Sie atmete flach. »Wer ist da?«

»Ich bin’s – Jim.«

»Du bist ja närrisch! Wenn Pa dich sieht …«

»Dein Pa sitzt mit ein paar Freunden im Saloon und lässt sich’s gut gehen, und deine Ma hat sich bei Mrs. Miller einquartiert, die ein Baby erwartet. Nicht schlecht ausgekundschaftet, was?« Ein leises Lachen kam aus der Nacht. »Ich möchte mich ja nur verabschieden, Eve. Und, na ja, vielleicht hast du noch eine Kleinigkeit an Proviant für mich, bevor ich mich auf den Weg mache.«

»Jetzt? Mitten in der Nacht?«

»Der Mond wird bald aufgehen. Das ist die richtige Zeit. Ich hab keinen Cent in der Tasche, um mir was zu kaufen. Komm, Eve, mach auf.«

Das Mädchen kämpfte mit sich. Dann schob sie behutsam den Riegel zurück. Geschmeidig wie eine Katze huschte Jim herein. Sein blondes Haar leuchtete im Schein der Lampe.

»Guten Abend, Eve.«

Ohne Zeit zu verlieren, so zielsicher als wäre er hier zuhause, ging er an ihr vorbei in dem zur Straße liegenden Laden. Eve hatte Mühe, ihm zu folgen.

»Jim, warte doch! Was hast du vor?«

Jim stand schon zwischen den Regalen, Kisten und Fässern. Das wechselnde Spiel von Licht und Schatten geisterte über sie. Jim, in Eile, schaute sich suchend um.

Das Erste, was er grapschte, war ein großes, festes Tuch, in das er Dosen und Schachteln mit Essbarem häufte. Eve stand wie versteinert.

»Das kannst du nicht machen, Jim.«

Der Junge suchte weiter. »Habt ihr denn keine Schuhe? Ich brauche Schuhe oder Stiefel, verdammt nochmal!«

»Wenn du nicht verschwindest, schreie ich!« Eve war den Tränen nahe.

Da fiel Parsons Blick auf die Ladenkasse.

»Nein, Jim!«, schrie das Mädchen als es den Ausdruck gieriger Wildheit auf seinem Gesicht sah.

Jim war schon an der Theke, aber die Kasse war verschlossen. Da half kein Rütteln, kein Fluchen. Eve stellte die Lampe ab, hinkte zu ihm und versuchte ihn wegzuziehen. Jim riss sich los. Er entdeckte einen Hammer, und mit zwei, drei wuchtigen Schlägen hatte er die Kasse aufgebrochen.

»Bitte, Jim, bitte, lass das Geld hier!«, schluchzte Eve.

»He, was ist los da drinnen?«, rief eine raue Stimme auf dem Gehsteig vor dem Haus. »Bist du es, Eve? Ist alles in Ordnung?« Jemand versuchte durch die Ritzen der Läden zu spähen. »Eve, ich bin’s – Abe Baxter. Was ist los?«

Jim stopfe Münzen und Geldscheine in seine Hosentaschen. Mit einem Griff drehte er das Tuch mit den Schachteln und Dosen zu einem Bündel zusammen, schwang es sich auf die Schulter und wollte zur Hintertür. Eve klammerte sich an ihn.

»Tu’s nicht, Jim! Tu’s nicht!«

Parson stieß sie so heftig zurück, dass sie stürzte. Sie weinte hemmungslos. Auf der Straße waren nun mehrere aufgeregte Stimmen zu hören. Ein Mann schrie: »Lauf doch zu Clayton und sag Harper Bescheid, dass bei ihm zu Hause was faul ist!«

Tritte polterten in dem Durchlass zu Harpers Hinterhof. Jim hatte es vorausgesagt: der Mond ging auf, eine silberne Leuchte über den Bäumen am Fluss. Die Männer, die auf Harpers Hinterhof bogen, sahen deutlich eine schlanke Gestalt an Harpers Abtritthäuschen vorbei hetzen. Sie nahmen sofort die Verfolgung auf.

Der Junge lag auf dem Bauch im Gebüsch neben dem Bootssteg und drückte sein Gesicht ins feuchte Gras, damit sein heftiger Atem ihn nicht verriet. Er hatte das Bündel mit dem Proviant auf halber Strecke zum Fluss weggeworfen. Das hatte ihm genügend Vorsprung verschafft, sodass seine Verfolger ihn aus den Augen verloren hatten. Jetzt hörte er ihr Getrampel und Gefluche auf den Stegplanken.

»Mein Boot ist weg!« Das war die raue Stimme, die vor dem Store Alarm geschlagen hatte. »Dieser Mistkerl hat mein Boot geklaut!«

»Dann treibt er den Fluss hinab. Wenn wir Pferde haben und die Biegung bei Blackstones Farm abkürzen, können wir ihn bei der großen Sandbank abfangen.«

»Pferde? Dann müssen wir zu dir, Nat.«

»Ja, zum Teufel, was stehen wir hier dann noch herum?« Das Durcheinander der Stimmen und Tritte entfernte sich in Richtung Greerly. Jim wagte noch immer keine Bewegung. Erst als nur mehr schwache Geräusche aus der Stadt drangen, kroch er aus seiner Deckung. Sein Herzschlag beruhigte sich allmählich.

»Blöde Bande!« Er grinste und spuckte aus.

Jetzt konnte er nur hoffen, dass der Kahn, den er losgebunden und vom Steg zur Flussmitte gestoßen hatte, ihnen nicht vorzeitig vor die Augen kam. Er stand auf und überlegte. Dann ging er vorsichtig zurück, um das Bündel mit den geraubten Lebensmitteln zu suchen. In Greerly war es nun still. Flussabwärts entfernte sich dumpfer Hufschlag, vom Bellen eines Hundes begleitet. Wolken zogen über den Mond. Ein Nachtvogel strich vorbei.

Jim fand das Bündel neben seiner Spur zwischen kniehohen Stauden. Es war halb aufgegangen, aber der Junge hatte es im Nu wieder zusammengeknotet und auf die Schulter geschwungen. Als die Sonne aufging, hatte er bereits mehrere Meilen zurückgelegt. Das Plätschern einer Quelle lud ihn schließlich zur Rast. Es war ein geschütztes, von den ersten Sonnenstrahlen gewärmtes Plätzchen.

Auf einmal wurde ihm bewusst, wie hungrig er war. Er öffnete das Bündel gerade so weit, dass er hineingreifen konnte – und erlebte den Schock seines Lebens. Etwas bewegte sich gleitend zwischen seinen Fingern, dann spürte er auch schon einen stechenden Schmerz am rechten Handballen.

Parson schrie. Das Tuchbündel fiel vollends auseinander, und eine Schlange glitt blitzschnell heraus und verschwand unter den Sträuchern neben der Quelle. Taumelnd, mit entsetzt aufgerissenen Augen, kam der Junge hoch. Alle Farbe war aus seinem Gesicht gewichen.

»Ich werde sterben, ich werde sterben«, stammelte er.

Die Bissmale waren deutlich zu sehen. Seine Hand rötete sich. Hilfesuchend schaute er sich um. Aber weit und breit gab es kein Anzeichen von menschlichem Leben, nur Waldstreifen und Wiesenflächen, auf denen es weiß und gelb blühte.

Von Jims sonstiger Kaltblütigkeit war nichts mehr vorhanden. Ohne recht zu wissen, was er tat, tauchte er die verletzte Hand ins kühle Wasser. Er wartete darauf, dass der Schmerz sich ausbreitete, dass ihm schwindlig wurde, aber nur sein Herz pochte wild vor Aufregung. Schließlich raffte er sich auf und schleppte sich aufs Geratewohl weiter. Tuch, Dosen und Schachteln ließ er liegen.

Nach einer Weile roch er Rauch. Sein altes Misstrauen erwachte. Doch die Angst trieb ihn weiter. Er hatte ja nicht mal ein Messer, um die Bisswunde aufzuschneiden, damit mit dem Blut das Gift herauskam.

Auf einer Lichtung saßen drei Männer an einem matt glosenden Feuer. Sie trugen verschmutzte und zerschlissene blaue Uniformen. Einem fehlte der linke Unterarm. Um den Kopf seines Nebenmannes war ein dicker Verband geschlungen. Sie sahen Jim im selben Moment wie er sie und griffen sofort zu den neben ihnen liegenden Waffen.

Der mit dem Kopfverband hatte noch eine gebratene Truthahnkeule zwischen den Zähnen.

Es waren ehemalige Unionssoldaten auf dem Weg zu ihrer Heimatstadt. Der Einarmige besah sich Jims Verletzung. Dann musterte er Jims bleiches, schweißüberströmtes Gesicht. »Wir werden dich beerben, Junge. Wie viel Geld hast du bei dir?«

Jims Knie wurden weich. Da sah er das amüsierte Glitzern in den Augen des Mannes. Heftig zog er seine Hand zurück. Gleichzeitig wurde er feuerrot.

»O verdammt! Ich hätt’s wissen müssen. Wahrscheinlich war’s nur eine harmlose Strumpfbandnatter, die in mein Bündel gekrochen ist als ich es kurz mal verlor.«

»Du sagst es, Freund.« Die drei brachen in Gelächter aus. »Komm, setz dich. Es ist noch genug übrig, um deinen Magen zu füllen. Kannst dich uns anschließen, wenn du willst.«

 

*

 

Die Wälder jenseits des Mississippi leuchteten in den Brandfarben des beginnenden Herbstes. Auf dieser Seite des großen Stroms standen lediglich einige lichte Baumreihen, und davor dehnten sich schlammverkrustete und mit Unkraut und Stauden bedeckte Felder. Nur da und dort hatten ein paar kümmerliche Maispflanzen überlebt, aber niemand hatte sie geerntet.

Am Fuß der Anhöhe, von der Jim Parson das Land betrachtete, duckten sich die Gebäude einer kleinen Farm. Das Wohnhaus war aus massiven Balken gezimmert und mit Schindeln gedeckt, Schuppen, Stall und Scheune aus Brettern zusammengenagelt Jedoch stabil und sturmfest – im Gegensatz zur Parson Farm im nördlichen Illinois. Die Umzäunungen und Pferche waren allerdings leer, und vor allem die angrenzenden Felder vermittelten ein Bild der Trostlosigkeit.

Die Axtschläge, die Jim schon vor einer Weile gehört hatte, waren verstummt. Eine Frau stand bei dem Hackklotz neben der Scheune und blickte zu ihm herauf. Auf die Entfernung erkannte Jim nur, dass sie feuerrotes Haar besaß. Er schob die Hände in die Hosentaschen und schlenderte pfeifend den grasbewachsenen Hang hinab.

Einen Moment schien es als wollte sich die Frau ins Haus zurückziehen, aber dann blieb sie, wo sie war, die Hände fest um den Axtstiel geschlossen. Jim schätzte sie auf etwa dreißig, eine stämmige Person mit einem etwas derben, jedoch nicht unschönem Gesicht und grünen wachsamen Augen. Die Ärmel hatte sie hochgekrempelt.

Parson kannte mittlerweile die Wirkung, die sein Lächeln und seine strahlend blauen Augen auf Mädchen und junge Frauen ausübte. Außerdem hatte er sich mit dem Geld aus Harpers Store neu eingekleidet. Auch wenn das schon eine Weile her war und Jacke und Hose die unverkennbaren Spuren mancher Nächte in Heuschobern und im Freien aufwiesen, sah er doch nicht so abgerissen aus wie damals im Frühling. Nur war sein Gesicht noch scharfliniger geworden.

»Guten Tag, Madam.« Er nahm die Hände aus den Hosentaschen und wischte sich eine blonde Strähne aus der Stirn. »Wetten, dass ich mit dem Stapel Kloben da fertig werde, ehe die Sonne untergeht?«

Die Rothaarige musterte ihn von Kopf bis Fuß. »Angeber. Die Wette verlierst du.«

»Es käme auf einen Versuch an«, lächelte Jim. »Ihr Einsatz: eine Mahlzeit für mich und ein Nachtlager in der Scheune. Meiner: einen zusätzlichen Tag Arbeit nur für Kost und Logis.«

»Gerissener Kerl.« Aber die Frau lachte.

»Vorausgesetzt, Ihr Mann hat nichts dagegen«, fügte Jim wie beiläufig hinzu.

»Bestimmt nicht.« Ihre Miene verdüsterte sich. »Ich konnte Will nämlich nicht davon abhalten, seine Haut für Abe Lincoln zu Markte zu tragen. Hast du von Gettysburg gehört?«

Jim schüttelte den Kopf.

»Dann kommst du von der Rückseite des Mondes. Drei Tage lang haben sie dort gegen die Rebellen gekämpft, auch gesiegt. Aber es muss die Hölle gewesen sein. Will hat mit seinem Leben bezahlt.«

»Tut mir leid, Madam.«

»Spar dir das. Du weißt doch jetzt, was du wissen wolltest. Aber ich sage dir, ich kann recht gut alleine auf mich aufpassen.«

»Daran zweifle ich nicht, Madam. Wie steht’s nun mit der Wette? Je länger wir reden, umso weniger Zeit bleibt mir…«

Die Frau lachte wieder. »Du siehst eher danach aus, als könntest du es nicht erwarten, an etwas Essbares zu gelangen. Also komm erst mal rein und stärke dich. Viel ist ja nicht mehr vorhanden, das sag ich dir gleich.« Sie hieb die Axt in den Hackklotz, wischte die Hände am Kleid ab und ging voran. »Hab auch nicht vor, zu bleiben. Du hast ja die Felder gesehen. Eine Überschwemmung nach der anderen. In diesem Jahr war’s noch schlimmer als sonst. Hab nie kapiert, wieso Will sich ausgerechnet diese verdammte Niederung als Farmland ausgesucht hat.«

Sie betrat vor Jim das Haus. Auch hier entdeckte der Junge keine Ähnlichkeit mit der Parson-Farm. Die Möbel waren einfach, aber solide, der Fußboden sauber, Geschirr, Geräte und Lebensmittel ordentlich in Regalen und Schränken verstaut. Als Jim sich an den Tisch setzte, sah er ein Gewehr über dem Türbalken. Es war ein Ballard-Hinterlader, erkannte er fachmännisch.

»Der Rest von Mittag«, sagte die Frau und füllte einen Teller mit Bohneneintopf, den sie über der Herdglut warm gehalten hatte. Dazu gab es altbackenes Brot. Doch das störte Parson nicht, heißhungrig wie er war.

»Fleisch ist Mangelware. Musste mein ganzes Viehzeug droben in Baxterville verkaufen, um dieses Jahr über die Runden zu kommen. Mehl, Kaffee, Salz, Zucker, Kleidung – alles kostet Geld. Zum Glück haben sie mir die Steuer erlassen. Ein schwacher Trost für Wills Heldentod. Aber vor dem Winter will ich noch hinüber nach St. Louis und von da in den Westen. Da liegt die Zukunft sagen alle. Und was hast du vor?«

»Weiß nicht.« Jim war ausgiebig mit seiner Mahlzeit beschäftigt. Außerdem merkte er jetzt erst wie müde er war.

»Wieso erzähl ich dir das eigentlich alles?« Die Farmersfrau schüttelte den Kopf. »Muss wohl daran liegen, dass hier selten jemand vorbeikommt. Wie heißt du übrigens?«

Jim nannte seinen Namen.

»Ich bin Laura Higgins.« Sie saß ihm gegenüber und legte nun den Kopf schief. »Sind sie hinter dir her?«

»Seh ich vielleicht so aus?«, tat Jim entrüstet.

»Sicher.« Laura lachte. »Du wirst Durst haben. Ich kann mit frischem Quellwasser dienen.«

Sie nahm einen Eimer und ging nach draußen. Als sie zurückkam, saß der Junge immer noch am Tisch, aber sein Kopf ruhte auf dem auf der Tischplatte liegenden Unterarm. Er war eingeschlafen.

Mitten in der Nacht wachte Parson auf. Er war sofort zum Aufspringen bereit, darauf gefasst, die Flucht ergreifen zu müssen. Dann erinnerte er sich an alles. Es war stockdunkel. Aber er spürte, dass er auf einer Strohmatratze lag. Neben ihm war die Balkenwand des Farmhauses.

Hinter der Tür zum einzigen Nebenraum hörte er ein leises Schnarchen. Da grinste Jim, seufzte erleichtert, drehte sich auf die Seite und schlief weiter.

 

*

 

Der Morgen war kühl und feucht, der Himmel wolkenverhangen. Diesiges Licht sickerte ins Farmhaus. Laura Higgins stand in einem knöchellangen baumwollenen Nachthemd in der Tür ihres Schlafraums und ballte vor Erbitterung die Hände. Das Nachtlager, das sie Jim an der Wand bereitet hatte, war leer, das Gewehr überm Türbalken fort.

»Wie konnte ich bloß so blöd sein und dem Kerl trauen.«

Sie wusch sich, kleidete sich an und ging nach draußen. Die Axt steckte noch genauso wie gestern im Hackklotz. Sie versuchte ihre Wut an den restlichen Kloben abzureagieren. Zwischendurch glaubte sie einmal in weiter Entfernung einen Schuss zu höre. Mittags kochte sie lustlos eine dürftige Mahlzeit.

Sie stand noch am Herd, da sah sie durchs Fenster den Jungen über den Hof kommen. Er hatte die Ballard geschultert und hielt einen toten Truthahn unterm Arm. Er hatte es geschafft, ihm den Kopf wegzuschießen, sonst wäre bei dem Kaliber der Waffe von dem Tier nicht viel übriggeblieben. Laura konnte wieder lachen.

»Das gibt ein Fest beute Abend. Du bist ein Teufelskerl!«

»Schlechte Jagdgegend hier«, sagte Jim. »Kaum Wild.«

»Ein Großteil der Wälder wurde abgeholzt, um Farmland zu schaffen. Für Will blieb allerdings nur diese verfluchte Niederung übrig.«

»Wird’s trotzdem wieder versuchen«, erklärte Parson. »Liegt mir besser als Farmarbeit.«

In den vergangenen Monaten hatte er sich auch als Schmiedegehilfe und als Helfer in einem Mietstall über Wasser gehalten und dabei den Umgang mit Pferden gelernt, auch mit deren Besitzern. Sein geheimes Ziel war, bald selber ein Pferd zu haben. Denn vom Sattel aus würde die Welt und das Leben sich um einiges ändern, fand er.

Das Mittagessen fiel nun aus. Dafür wurde es für beide ein opulentes Nachtmahl. Laura brachte sogar eine halbvolle Flasche Brandy aus einem versteckten Winkel zum Vorschein.

In der Nacht kam Sturm auf, der die Wolken vertrieb. Kreidiges Mondlicht übergoss die Gebäude. Das Feuer im Herd war erloschen. Kälte breitete sich aus. Das Knarren der Tür weckte Laura um Mitternacht. Eine schmale Bahn Mondlicht fiel durch die Luke über ihrem Bett auf die reglose Gestalt im Türrahmen.

»Mir ist kalt«, sagte Jim mit heiserer Stimme.

»Kein Wunder, da du nichts anhast.« Laura hatte sich auf die Ellenbogen gestützt und ließ sich nun zurücksinken. »Komm her, ich werd’ dich wärmen.«

 

*

 

Der Sturm dauerte zwei Tage und Nächte. Jim und die Frau verließen das Haus nur, um Wasser von der Quelle zu holen und das Abtritthäuschen hinter dem Schuppen aufzusuchen. Beide waren unersättlich. Am dritten Tag regte sich kein Lüftchen mehr. Der Himmel zeigte sein strahlendstes Blau. Jim nahm das Gewehr vom Türbalken, steckte Munition ein und ging wieder auf die Jagd.

Er blieb zwei Tage fort. Dann kam er am frühen Vormittag auf einem aus Planken und Brettern zusammengebasteltem Floß, wie es die Kinder und Jugendlichen droben in Baxterville zum Abenteuerspielen benutzten, den Fluss herunter. Ein Schaufelraddampfer rauschte an ihm vorbei. Von den Passagieren war auf den Decks so zeitig am Tag noch nichts zu sehen.

Etwa auf gleicher Höhe mit der Higgins-Farm fand Jim eine vom Ufer in den Fluss ragende Kiesbank, auf die er mit seinem behelfsmäßigen Ruder zusteuerte und sein Gefährt auflaufen ließ. Der Himmel war wieder einmal bedeckt. An den Bäumen hingen nur mehr spärliche Laubbüschel. Es roch nach Moder und Schlamm und baldigem Regen.

Parson wölbte die Hände trichterförmig vorm Mund. »He, Laura, komm her und schau, was ich mitgebracht habe!«

»Bist du es, Jim?«, schallte es von der Farm herüber.

»Wer sonst! Komm endlich und beeil dich! Nimm die Schubkarre mit!«

Es dauerte nicht lange, da leuchtete Laura Higgins rote ungebändigte Haarpracht über dem Trampelpfad zwischen den verunkrauteten Feldern. Zwischen den Uferbäumen, dicht am Wasser, stellte sie die Schubkarre ab.

»Du musst ganz und gar verrückt geworden sein!«, stieß sie hervor. Auf dem Floß lag, mit Stricken festgeschnürt, die Hälfte eines erst kürzlich geschlachteten Schweins. Das Ballard-Gewehr hatte der Junge sich an einem Riemen umgehängt, damit es auf dem Floß nicht nass wurde. »Was glaubst du, wie lange es dauert, bis der Sheriff mit seinen Leuten hier ist?«

»Keine Bange«, grinste Jim. »Niemand hat mich gesehen, und auf dem Ol´ Man River gibt’s keine Spuren. Wenn sie suchen, dann an Land. Es heißt, da droben hat sich in letzter Zeit eine Bande streunender ehemaliger Niggersklaven herumgetrieben. Pack jetzt mit an, damit wir die Sau umladen.«

Will Higgins Witwe bewies ihre Kraft, indem sie die Karre samt Ladung ohne sichtbare Anstrengung vor sich herschob. Jim folgte mit dem Gewehr in der Armbeuge.

»Damit haben wir den Winter über genügend zu essen.«

»Du – nicht wir. Ich werd’ dir sagen, wie du das am besten einpökelst.«

»Was soll das heißen?«

»Das heißt, dass ich dann schon längst in St. Louis bin.«

Nun kam auch Parson unter den Bäumen hervor und sah den Planwagen, der auf dem Farmhof stand. Ein bärtiger Mann schleppte eine Kiste aus dem Haus und hievte sie über die heruntergelassene Heckklappe auf das Fahrzeug.

»Das ist Tom«, sagte Laura über die Schulter. »Er reist seit Jahren als Händler kreuz und quer durchs Land. Auf seinem Wagen findest du von der Medizinflasche über den Kochtopf bis hin zur Baumsäge alles, was man hier draußen zum Leben braucht. Zweimal im Jahr kommt er auch hierher, und da haben wir im letzten Frühjahr vereinbart, den Winter in St. Louis zu verbringen und uns dann in den Westen aufzumachen. Neues Farm- und Ranchland, Indianerland. Was glaubst du, was da zu verdienen ist!«

Sie waren auf dem Hof angelangt. Parson blieb stehen und starrte die rothaarige Frau ungläubig an. »Du hast also die ganze Zeit auf ihn gewartet.«

»Aber ja. Ich war mir nur nicht sicher, dass er auch kommen würde.«

Jim starrte sie unverwandt an. Währenddessen kam der Bärtige mit einer weiteren Kiste aus dem Haus. Er musterte den Jungen aus zusammengekniffenen Augen.

Laura sage: »Ich lasse dir genügend Mehl, Salz, Kaffee – und was sonst noch nötig ist – da. Brennholz brauchst du ja nur zu hacken. Was willst du mehr? Die Farm bleibt auf dem Papier aber nach wie vor mein Eigentum. Für alle Fälle«, fügte sie mit einem kurzen Lachen hinzu.

»Aber das Gewehr gehört dir, Laura«, brummte Tom und wies auf die Ballard.

Sofort packte Jim die Waffe fester. Laura zögerte, als sie den Ausdruck in Jims Augen sah.

»Ich schenk’s ihm. Er ist der geborene Jäger. Lass uns die Pferde anschirren. Dann helfe ich dir, das Schwein ins Haus zu bringen, Jim.«

»Zum Teufel damit! Ich hasse Pökelfleisch. Und zum Teufel auch mit euch beiden!«

Jim marschierte mit dem Gewehr den Hang hinauf. Er kam auch nicht zurück, als es leicht zu nieseln begann. Erst als Hufgetrappel und Räderknirschen sich längst in Richtung Baxterville entfernt hatten, nahm er mit steinerner Miene Besitz von Laura Higgins Farm.

 

*

 

Einige Wochen später. Jim hatte die Läden dicht gemacht und genug Feuerholz im Haus gestapelt. Schneeflocken umwirbelten die Farm. Im Herd knackte und prasselte es leise. Es war Schlafenszeit. Jim erhob sich gähnend und ging zu dem Matratzenlager, das er sich – wie es Laura damals getan hatte – an der Wand bereitet hatte. Erstens war es hier drinnen wärmer als im Nebenraum, zweitens hatte Lauras Partner sich nicht gescheut, das Bett zu zerlegen und auf den Wagen zu verfrachten.

Jim wollte eben seine Stiefel ausziehen, da hörte er das Wiehern. Es war dicht vor der Tür. Er war sofort hellwach, griff sich die Ballard und hielt ein Ohr an die Bohlen. Jetzt ein Schnauben, dazu ein Geräusch, das er nicht definieren konnte. Jim schob den Riegel weg, wartete noch einen Moment, öffnete dann jäh und ließ sich, das Gewehr zum Schuss bereit, auf ein Knie sinken.

Das Pferd stand nur drei Schritte vor ihm, ein schweiß- und schneenasser Brauner mit Schaum vor den Nüstern. Neben ihm eine hagere Gestalt, die sich mit beiden Händen krampfhaft am Sattelhorn festhielt. Der Mann trug die graue Uniform der ehemaligen Südstaaten-Armee. Das Licht aus dem Farmhaus traf ein unrasiertes, hohlwangiges Gesicht. Der Fremde lallte irgendetwas.

Zuerst glaubte Jim einen Betrunkenen vor sich zu haben. Dann sah er den großen dunklen Fleck auf seiner Brust. Das war kein Schneewasser, sondern Blut. Jim stellte das Gewehr weg und kam gerade noch zurecht, den Zusammensackenden aufzufangen. Das Pferd stampfte und schnaubte nervös. Jim, inzwischen sechzehn Jahre alt und so kräftig wie nur irgendein Mann, schleppte den Verwundeten hinein und bettete ihn auf sein eigenes Lager.

Dann war er geistesgegenwärtig genug, hinauszulaufen und das Pferd am Haltegeländer neben der Tür festzubinden. Aber es war sowieso zu erschöpft, um sich davonzumachen. Vorsichtig knöpfte Parson dem Mann den Uniformrock auf und schob das mit Blut vollgesogene Hemd hoch. Die Wunde sah schlimm aus. Die Kugel steckte tief. Unmöglich, sie mit einem Messer herauszuholen.

Jim konnte lediglich das Einschussloch säubern und die von Neuem einsetzende Blutung mit einem festen Verband stoppen. Er benutzte dazu Streifen von einem zerrissenen Rock, den Laura zurückgelassen hatte. Der Soldat stöhnte und keuchte, kam aber nicht richtig zu sich.

Anschließend brachte der Junge den Braunen in die Scheune. Da gab es noch genug Heu für etliche Tage. Jim nahm dem Tier Sattel und Zaumzeug ab, rieb es trocken und klopfte ihm beruhigend den Hals. Festbinden musste er es nicht. Es genügte, dass er das Scheunentor sorgfältig schloss Mit den prallen Satteltaschen kehrte er ins Haus zurück.

Der Verwundete hatte sich aufgesetzt und zielte mit seinem Armeerevolver auf ihn. Jim verwünschte sich, weil er das Koppel mit der Waffe unbeachtet neben der Matratze liegen gelassen hatte. Der matt schimmernde Lauf wackelte leicht, aber die Entfernung war zu kurz, dass der Mann danebenschießen würde.

»Hast es also. Denkst, du kannst es behalten. Aber es gehört mir. Hab zwei Blaurock-Banditen dafür umgelegt, ehe ich selber ’ne Kugel einfing. Leg auch dich um, wenn du versuchst, es mir wegzunehmen. Bist ebenfalls ein verdammter Yankee, was?«

»Und du ein verdammtes Arschloch! Wer soll dir denn helfen, wenn du mich über den Haufen schießt? Du wirst krepieren.«

»Noch lange nicht.« Der Südstaatler grinste irr. »Wir Jungs aus Carolina sind zäh wie Büffelleder. Also, her damit!«

Parson warf die Satteltaschen vor ihm auf den Boden. Er hatte die Laschen nicht mehr zugeschnallt, nachdem er den Inhalt begutachtet hatte. Mehrere Geldscheinbündel rutschten heraus.

»Dein Geld?«, höhnte Jim zweifelnd.

»Die Soldkasse meines Regiments.« Dem Mann lief vor Anstrengung Schweiß übers Gesicht. Doch der Revolver blieb auf Parson gerichtet. »Die Blauröcke haben sie uns weggeschnappt, meine Kameraden erschossen. Danach setzten sich die Hundesöhne von ihrer eigenen Einheit ab und verdufteten mit dem Zaster. Kannst stolz auf eure beschissene Farbe sein!«

»Meine Farbe? Ich würde lieber nackt rumlaufen als ’ne blaue oder graue Uniform anziehen.«

»Umso schlimmer. Keine Ehre im Leib.« Der Soldat keuchte. Jim konnte nur hoffen, dass er nicht doch noch abdrückte, ehe er unweigerlich wieder das Bewusstsein verlor. »Bin den Kerlen gefolgt, immer selber auf der Hut, um von den Yankees nicht erwischt zu werden. Haben es sich in einem verlassenen Holzfäller-Camp am Ohio gemütlich gemacht. Dort hab ich sie überrumpelt.«

»Weißt du eigentlich, wie lange der Krieg schon vorbei ist?«, fragte Jim. »Ein halbes Jahr, Mann.«

»Nicht für mich. Hab nur zurückgeholt, was dem Süden zusteht. Der Rest der Bande hat meine Spur verloren. Nachdem es geschneit hat, werden die Schufte sie auch nicht wiederfinden. Jetzt ist es mein Geld.«

»Du bist ja noch blöder als die Kerle, die du ins Jenseits befördert hast. Das ist doch nicht zu fassen.« Jim schüttelte ungläubig den Kopf. Er vergaß sogar für einige Augenblicke die Gefahr, in der er sich befand. »Habt ihr denn alle nicht mitbekommen, dass der Süden den Krieg verloren hat?«

»Es ist mein Geld«, wiederholte der Hagere hartnäckig. Er konnte kaum mehr sprechen. Die Hand mit der Waffe ruckte verdächtig. »Mein Geld.«

»Südstaaten-Geld, du Hornochse!«, schrie Jim ihn an. »Es taugt gerade noch dazu, den Ofen anzuheizen oder dir den Hintern abzuwischen. Verstehst du denn nicht? Es ist ungefähr so viel wert wie ein Fliegendreck. Und dafür hast du dir den Tod eingehandelt …«

Es erübrigte sich, dass er sich weiter ereiferte. Der Südstaatler war seitlich weggekippt. Kopfschüttelnd verstaute Jim den Revolver in seinem eigenen Gürtel und ließ das Geld liegen, wo es war. Dann ging er hinüber in die Scheune, um das Pferd zu tränken. Es schneite noch immer. Jim sank bis halb zu den Knien ein.

Als er wieder ins Haus trat, dachte er, der Fremde wäre tot – so aschfahl und reglos lag er da. Nach einer Weile begannen jedoch die Lider des Mannes zu flattern. Er öffnete die Augen.

»Wasser«, flüsterte er.

Parson füllte einen Becher aus dem Eimer neben der Tür. Der Verwundete trank gierig. Jim stützte ihn.

»Bist ein guter Junge«, murmelte der andere. »Werd’ dich mitnehmen. Das Geld reicht für uns beide. Wir reiten nach St. Louis hinauf und von dort in den Westen. Da liegt die Zukunft. Neues Farmland, neue Ranches …«

»Kommt mir bekannt vor«, meinte Jim.

»Wir gründen ’ne Frachtlinie … oder noch besser, wir machen ’nen Saloon auf… wir werden uns …« Seine Worte verloren sich ins Unverständliche. Er schwitzte und fieberte.

Laura hatte einen Vorrat getrockneter Kräuter dagelassen, und Parson kochte einen Sud davon. Es gelang ihm jedoch kaum, dem Mann etwas einzuflößen. Der fantasierte jetzt von einer Helen, die Augen wie ein Reh besaß, von rauchenden Trümmern und einem General Sherman, den der Teufel holen sollte.

Am Morgen hatte es zu schneien aufgehört. Der Junge sah nach dem Pferd. Es wirkte ausgeruht. Während Jim es abermals tränkte, fragte er sich, was ihn eigentlich daran hinderte, noch in derselben Stunde aufzubrechen und, bevor alle Straßen und Wege unpassierbar geworden waren, nach Süden zu reiten. Ein Pferd, ein Gewehr, ein Revolver, dazu Proviant für eine Woche – das sollte genügen um Memphis zu erreichen. Irgendwas würde sich dort schon finden. Doch Jim blieb.

Der Carolina-Mann war wirklich zäh. Er lebte noch zwei Tage. In der Nacht darauf hörte Jim, der auf ein paar alten Decken ruhte, ihn etwas rufen, und als er den Docht der Kerosin-Lampe höher drehte, sah er ihn neben der Matratze mit dem Gesicht nach unten auf dem Boden liegen. Er atmete nicht mehr.

Parson bettete ihn wieder auf das Lager. Dann zog er seine Stiefel an und einen dicken Mantel, der einmal Will Higgins gehört hatte. Die Satteltaschen des Toten füllte er mit den restlichen Lebensmitteln. Für das Gewehr besaß er noch zwei Schuss. Der Revolver hatte drei geladene Kammern. Das musste reichen. Jim Parson hatte noch nie einen Mann getötet. Aber er würde nicht zögern es zu tun, wenn es seiner Ansicht nach erforderlich war.

Es sollte noch drei Jahre dauern, bis es dazu kam.

 

*

 

Drei Jahre – 1865 bis 1868: Der Schienenstrang der Union Pacific schob sich unaufhaltsam über die Nebraska-Prärie in die Täler der Rocky Mountains, begleitet von Camps und Zeltstädten, die beinahe stundenschnell aus dem Boden wuchsen und wieder verschwanden, wenn die Trupps der Planierer, Schwellen- und Schienenleger über den Horizont davonzogen. Von Süden, Texas, trotteten tausende und aber tausende Longhorn- Rinder über ausgedörrte oder regengepeitschte Ebenen, durch staubtrockene oder Hochwasser führende Flussbette zu den neuen Verladestationen in Kansas. Wettergegerbte Reiter, die sechzehn Stunden und mehr im Sattel aushielten, trieben sie.

Den Flussläufen und alten Wagentrails folgten Kolonnen in blauen Uniformen, um die Besatzungen der Forts im Westen zu verstärken und neue zu errichten. Verträge wurden mit den roten Söhnen des Landes, den eigentlichen Herren, geschlossen und gebrochen. Kriegstrommeln dröhnten. Das große Büffelsterben begann. Und immer weiter schwappte die Menschenflut aus dem Osten über den Old Man River: Siedler, Geschäftsleute, Handwerker, Städtegründer, Glücksritter, Heimatlose, Gesetzesflüchtige.

Einer unter den Vielen war James Milford Parson. Monatelang ritt er als Büffeljäger für die Union Pacific. Aber da gab es kein Fährtenlesen, kein Anschleichen, kein Lauern auf den Augenblick zum wohlgezielten Schuss wie damals daheim in Illinois. Die Bisons waren Jim egal. Doch diese simple Schlächterei mochte für Bill Cody taugen, der damit zu Ruhm gelangte, nicht für ihn. Danach Frachtfahrer. Das war allerdings kein Satteljob, und er hatte ja erfahren, dass ein Reiter schneller, freier und unabhängiger war als alle anderen. Zwischendurch versuchte er sich deshalb als Kurierreiter, zuletzt auch als Pokerspieler, jedoch mit ziemlich mäßigem Erfolg.

Als er schließlich im Spätsommer 1868 nach Sedalia kam, besaß er außer seinem Pferd ein neues Winchester-Repetiergewehr, einen Remington-Revolver, einen gut sitzenden Anzug und fünfundzwanzig Dollar. Das war nicht gerade ein überwältigender Unterschied zu seiner Ankunft damals in Memphis. Aber Jim war jung. Das Leben lag mit allen Möglichkeiten, so schien es, noch vor ihm. Nur – die Weichen waren schon gestellt.

 

*

 

Sedalia 12. September 1868. Die neuen Rinderstädte an der Kansas-Bahn hatten der Stadt in Missouri längst den Rang abgelaufen. Bereits vor dem Krieg, in den späten 50er Jahren, waren Texas-Herden hierher getrieben worden. Damals war Sedalia aufgeblüht. Für die Durchreisenden nach Westen hatte es sich aber immer noch eine gewisse Anziehungskraft bewahrt. Viehaufkäufer, Handelsvertreter, Landmakler, Spieler und Abenteurer, die zu den Rinder- und Eisenbahnstädten in Kansas unterwegs waren, legten hier gerne eine Rast von zwei, drei Tagen ein. Außerdem gab es auch noch das inzwischen dicht besiedelte Umland. Die Saloons, Spielhallen und Boarding Houses entlang der Eleven Horses Street waren nach wie vor von Frühling bis Herbst gut besucht.

An jenem Septemberabend fauchte ein verfrühter Herbststurm, der Sturzbäche von Regengüssen vor sich her peitschte, durch die Straßen und Gassen der Stadt. Im Crazy Dog Saloon herrschte zwar nicht der übliche Hochbetrieb, aber die Hälfte der Tische waren immerhin besetzt. An der Theke lungerten einige durstige Gestalten. Das Hauptaugenmerk aller galt jedoch dem Spieltisch unter dem großen Kristallleuchter.

Von der Pokerrunde dort hatten bereits zwei ihren Platz geräumt. Ein dicklicher Whiskyvertreter mit Vollmondgesicht und Stirnglatze passte eben und legte die Karten weg. Blieben noch ein magerer, grauhaariger Mann, der eine Brille mit runden, drahtgefassten Gläsern trug, ein schwer gebauter, rotgesichtiger Mann mit Backenbart und – am bemerkenswertesten – eine Frau.

Sie war etwa Mitte zwanzig, besaß ein ungewöhnlich hübsches, beim Spiel ausdrucksloses Gesicht, brünettes Haar und blaugrüne Augen von seltener Intensität. Das meergrüne Kleid betonte ihre hinreißende Figur. Von Anfang an war sie der Blickfang aller Männer im Crazy Dog gewesen. Eben hatte sie ihre Karten aufgedeckt.

»Full House.«

Es waren drei Damen und zweimal die Zehn. Ein Zuschauerkreis hatte sich versammelt, nachdem der Stapel aus Münzen und Geldscheinen in der Tischmitte immer höher geworden war. Viertausend Dollar, eine horrende Summe in jener Zeit.

Die Worte hingen noch im Raum. Alle waren verstummt. Achselzuckend schob der Grauhaarige sein Blatt zusammen und warf es hin. Der Massige dagegen hielt seine fleischige Rechte schützend über den Pott.

»Könnte es sein, Miss Randall, dass eine Dame zu viel im Spiel ist? Die Pik Lady, die Sie da präsentieren, müsste eigentlich …«

Die Frau war, als er zu sprechen begann, etwas blass geworden. Der Whiskyvertreter verschwand so hastig vom Spieltisch, dass sein Stuhl umkippte, und der grauhaarige Brillenträger schob seine Sitzgelegenheit etwas zurück, ohne jedoch aufzustehen.

Eine kühle Stimme unterbrach den Massigen: »Könnte nicht sein, Mister. Hab nämlich genau aufgepasst. Sie irren sich.«

Gleich anfangs waren die Zuschauer zurückgewichen, nur einer nicht. Er stand schräg hinter der Spielerin, ein junger, kräftiger Mann. Sein sonnengebräuntes Gesicht war gut geschnitten, die über die Ohren reichenden Haare strohblond.

Die Frau hatte sich versteift, schaute sich jedoch nicht um. Langsam zog der Massige seine Hand zurück.

»Halt dich da besser raus, Junge. Das könnte sonst für dich ins Auge gehen.«

»In Ihres vielleicht. Lassen Sie nur ja die Pfoten vom Geld!«, erwiderte Jim Parson scharf.

Dann sahen alle, dass der Massige unter seinen vorne offenen Rock griff. Im nächsten Moment hielt Parson seinen Remington Revolver und schoss. Der wuchtige Einschlag stieß den Mann samt Stuhl hintenüber.

»O verdammt!«, erklang es nach ein paar Sekunden Stille irgendwo im Saloon. Gleich darauf beugten sich mehrere Männer über den Getroffenen. Dieser röchelte, Blut lief aus seinem Mund, seine Glieder zuckten. Dann lag er still.

»Nichts mehr zu machen«, sagte jemand. »Bringen wir ihn zu Sanders.«

Inzwischen hatte sich die Frau mit unverändert ausdrucksloser Miene vorgebeugt und Münzen und Dollarnoten in einer geblümten Stofftasche verstaut. Nun erhob sie sich und drehte sich ihrem Helfer zu. Jim hielt noch den Sechsschüsser. Seine Wangen waren fahl, sein Blick starr auf den Toten gerichtet.

Die Frau berührte seinen Arm. »Kommen Sie. Ich glaube, wir beide können jetzt einen Drink vertragen.«

Jim schob die Waffe in die Halfter unter der Jacke und folgte ihr zur Theke. Wortlos füllte der Keeper zwei Gläser. Die Spielerin lächelte.

»Auf Ihr Wohl, mein Freund.«

Parson war noch halb benommen. In seinem Magen rumorte es. Erst nachdem er getrunken hatte, wurde ihm besser. Währenddessen hängten einige Männer die Tür zu einem Nebenraum aus, legten den Toten darauf und trugen ihn hinaus. Der Sturm jagte einen Regenschwall in den Saloon.

Die blaugrünen Augen musterten Parson. »Wie darf ich Sie nennen, mein Freund?«

»Jim.«

»Ich bin Lucille. Noch einen Drink für den jungen Mann und mich, Keeper – auf meine Rechnung.« Und nachdem der Barmann sich zurückgezogen hatte: »Warum haben Sie sich eingemischt, Jim?«

»Nun, die Hälfte von dem Geld in Ihrer Tasche ist schon ein gewisses Risiko wert, Lucille. Sie haben mit der Pik Dame ebenfalls einiges riskiert. Beinahe wär’s schiefgelaufen.«

Die blaugrünen Augen verengten sich. »Schade. Ein mieser kleiner Erpresser also.«

Jim wurde rot. »Sie verstehen mich falsch. Ich hab an eine Partnerschaft gedacht. Glauben Sie nicht auch, dass Sie, nachdem was vorgefallen ist, einen Beschützer brauchen?«

Jetzt wirkte die Frau amüsiert.

»Sie hat schon einen«, sagte der Grauhaarige. Er war unbemerkt neben Parson getreten. »Ich bin nämlich auch ziemlich fix mit der Kanone. Aber nur wenn’s sein muss.« Er lächelte spöttisch. »Diesmal musste es nicht sein. Sie haben sich umsonst angestrengt, mein Junge. Nehmen wir an, es gab tatsächlich eine zweite Pik Lady in dem Spiel. Dann können wir aber auch annehmen, dass ich sie rechtzeitig habe verschwinden lassen. Joe Atkins hätte ziemlich alt ausgesehen, wenn es um Beweise gegangen wäre.«

Jim schluckte schwer. »Mist!«

»Und was für einer!«, lächelte sein Gegenüber. »Atkins war nämlich unbewaffnet. Wissen Sie, was er unter seinem Rock hervorholen wollte? Sein Deputy-Abzeichen. Er trägt es am Spieltisch immer in der Hemdbrusttasche.«

Jim starrte ihn betroffen an.

»Und das ist noch nicht alles«, redete Lucilles Begleiter gelassen weiter. »Atkins’ Bruder ist der Marshal von Sedalia. Ein Eisenfresser, der Sie mit Haut und Haaren verschlingen wird, wenn er Sie erwischt. Sehen Sie die Jungs dort bei der Tür? Die werden dafür sorgen, dass Sie den Saloon nicht verlassen, bevor er hier ist. Kann vielleicht ’ne Weile dauern, da er um diese Zeit schwer bei der Schwarzen Lilly beschäftigt ist.«

»Zeit genug, unserem Freund hier eine Chance zu verschaffen«, meinte die Frau ruhig.

»Er hat sich diese Suppe selber eingebrockt.«

»Trotzdem. Es wäre doch schade um ihn – so jung, so hübsch, so verteufelt schnell mit dem Schießeisen. Wenn ich dich nicht hätte, Hank, könnte ich mich glatt in ihn verlieben.«

Jim war überzeugt, dass sie sich über ihn lustig machte.

Hank blickte ihn prüfend an.

»Wo steht Ihr Pferd?«

»Im Stall nebenan.«

»Sie werden keine Zeit haben, irgendetwas mitzunehmen. Lucille wird jetzt mit Ihnen nach oben gehen. Da hat sie ihr Zimmer. Ich werde verhindern, dass euch jemand folgt. Unter dem Fenster ist ein Anbaudach.«

»Verstehe.«

»Sie werden reiten müssen wie der Teufel. Ned Atkins wird sich nämlich ’nen Dreck darum scheren wie weit seine Befugnisse außerhalb der Stadt reichen. Also, schwirrt ab, bevor es zu spät ist.« Er hob eine Hand. »Die Tasche lass hier, Lucille. Wir wollen diesen jungen, hübschen, revolverschnellen Mann nicht in Versuchung fuhren.«

Lächelnd schob er die rechte Hand unter die Jacke – und da steckte bestimmt kein Deputy Abzeichen, sondern ein geladener Colt.

 

*

 

In den ersten Stunden seiner Flucht sah Jim immer wieder den röchelnd am Boden Liegenden, dem das Blut aus dem Mund lief. Dann galten seine Gedanken nur mehr den Verfolgern. Drüben an der im Bau befindlichen UP-Strecke hatte er ja schon genug Tote und Schwerverletzte in den wilden und häufig gesetzlosen Camps gesehen. Er selber hatte sich allerdings in keine dieser tödlichen Schießereien hineinziehen lassen.

Parson floh nach Süden. In den wald- und flussreichen Tälern der Ozarks hoffte er seine Jäger abzuschütteln. Doch am zweiten Tag begann sein Brauner zu lahmen. Er hatte Atkins und dessen Freunde noch nicht zu Gesicht bekommen, bezweifelte aber nicht, dass sie nach wie vor hinter ihm her waren. Das Wetter hatte sich gebessert, doch die Erde war noch vom Regen aufgeweicht und jeder Hufabdruck deutlich Zusehen.

Parson war nicht zimperlich, wenn er zwischen seinem Leben und dem Zustand seines Pferdes wählen musste. Rücksichtslos trieb er den Wallach voran. Bis er einsah, dass er so nur seinen Verfolgern half. Denn der Braune war nahe am Zusammenbrechen. Da nahm Jim ihm Zaumzeug und Sattel ab, versteckte beides im Dickicht einer Uferböschung und versuchte seine Spur in dem Creek, der sich durch ein Labyrinth von Hügeln wand, unkenntlich zu machen.

Alles was er jetzt noch besaß, waren sein Remington und eine Handvoll Münzen und Geldscheine, wenn es hochkam – insgesamt zwölf Dollar. Er musste unbedingt ein frisches Pferd haben, sonst würde er entweder hängen oder im Kugelhagel sterben. Und wie hatte Lucille Randall gesagt? »Es wäre schade um ihn – so jung, so …«

 

*

 

Es ging schon auf Mitternacht zu, und seit einer Stunde wartete Jim Parson darauf, dass in dem klobig gezimmerten Gebäude unter ihm die Lampe gelöscht wurde. Die Fenster waren mit Sackleinwand verhängt, sodass nicht zu erkennen war, was drinnen vorging. Es gab einen zum Hof offenen Anbau, einen Brunnen und mehrere Umzäunungen. In einer tummelten sich vier Pferde. Sie wirkten unruhig, aber Parson konnte sich nicht vorstellen, dass sie auf die Entfernung Witterung von ihm aufgenommen hatten. Möglicherweise trieb sich irgendein Raubtier in der Nähe herum.

Es war windstill. Wolken zogen gemächlich am Nachthimmel dahin. Sobald der Mond zwischen ihnen erschien, füllte silbrige Helligkeit die schüsselförmige Senke. Jim lag unter einem Cottonwoodstrauch auf einem langgestreckten Hügelkamm. Allmählich verlor er die Geduld. Außer einem Schnauben, das manchmal zu ihm drang, war kein Laut zu hören. In dem mit Grassoden gedeckten Blockhaus rührte sich nichts.

Seine Verfolger hatte Jim noch immer nicht gesehen, aber kurz vor Sonnenuntergang hatte er, in einem von Schilf gesäumten Graben kauernd, Rufe und Hufschlag gehört. Er hoffte, dass sie die Suche nach ihm erst bei Tagesanbruch fortsetzen würden. Bis dahin musste er auf dem Rücken eines der vier Pferde dort unten so viele Meilen wie nur möglich zurückgelegt haben.

Wieder lag samtene Schwärze auf den Hängen. Schnell richtete Parson sich auf und lief mit dem Sechsschüsser in der Rechten geduckt hinab. Ein lang gestreckter Schatten huschte seitlich an ihm vorbei, wahrscheinlich das Tier, das die Pferde beunruhigt hatte. Er schaffte es gerade noch bis zu einem der Korrals, dann lagen Hof und Blockhaus wieder in kalkigem Licht.

Jim presste sich neben den Querstangen an die Erde. Bevor er sich ein Pferd schnappte, brauchte er Sattel, Zaumzeug und Lasso. Er wartete auf die nächste Finsternis und spurtete sofort los, als es soweit war.

Da war der Anbau, drinnen so dunkel, dass er nur tastend die Bretterwände absuchen konnte. Alles war da: Seile, Sättel, Zaumzeug – ordentlich an Haken und Stangen aufgereiht. Er halfterte die Waffe und lauschte zum Haus hinüber, dann hob er den nächstbesten Sattel herab. Im selben Moment spürte er die Doppelmündung einer Schrotflinte auf seinen Rippen.

»Das war’s, Mister.«

Nach dem ersten Schreck ließ die Stimme ihn hoffen. Denn es war die Stimme einer jungen Frau.

»Seien Sie bloß vorsichtig, Madam. So ein Kracher geht verdammt schnell los.«

»Kein großer Unterschied ob Sie erschossen oder gehängt werden – wie es einem Pferdedieb nun mal zusteht. Los, Sattel fallen lassen und dann ins Licht!«

Parson gehorchte. Der Mond brachte sein ramponiertes Äußeres nicht gerade vorteilhaft zur Geltung.

»Sie scheinen ja nicht gerade mit einer Glückssträhne behaftet zu sein, Mister.«

Die Frau hatte ihn mit der Shotgun im Anschlag umrundet. Sie war tatsächlich ziemlich jung, kaum älter als er, längst nicht so hinreißend wie die Spielerin im Crazy Dog, aber drall und fest, mit einem breiten Mund und weit auseinander stehenden Augen. Das sah nicht übel aus, fand Jim.

Er lächelte. »Hören Sie, Madam, ich stecke ziemlich in der Klemme. Ich werde das Pferd bezahlen …«

»So siehst du aus, Mann.« Ihr Ton hatte sich geändert, nachdem sie ihn eingehend gemustert hatte. »Und nenn’ mich nicht Madam. Sehe ich vielleicht wie eine Lady aus? Ich heiße Rosie. Rosie Landusky, wenn du es genau wissen willst. Und du?«

Jim nannte seinen Namen. Ehe er etwas hinzufügen konnte, deutete sie auf das Blockhaus. »Hinein mit dir!«

Jim zögerte.

»Keine Angst, Brent ist nicht da. Wird mit seinen Leuten erst morgen zurückkommen. Ich hab hier draußen auf den Wolf gelauert, der seit einigen Nächten um die Ranch herumschleicht. Stattdessen bist du mir vor die Flinte geraten.«

»Da hat der Wolf aber Glück gehabt.«

»Zumindest wäre er nicht gehängt worden. Los jetzt! Siehst aus als könntest du auch einen Schluck vertragen – wie ich.«

Parson wurde es schon etwas leichter, obwohl die Waffe noch immer auf ihn gerichtet war. Drinnen gab es mehrere Schlafstellen entlang der Balkenwände. Ansonsten war der Raum äußerst einfach möbliert. Zwei entgegengesetzte Türen führten in schmale Nebenzimmer. Rosie hielt die Flinte lässig in der Armbeuge.

»Also, wer ist hinter dir her?«

Jim hatte schnell gemerkt, dass er hier keiner so genannten ehrbaren Farmers- oder Ranchersfrau gegenüberstand. Ebenso, dass das hier keine Ranch im üblichen Sinne war. Weit und breit gab es keine richtigen Weideplätze, und die Schlafstätten an den Wänden waren gewiss nur für vorübergehende Unterkunft gedacht. Er entschloss sich zur Wahrheit.

»Der Marshal von Sedalia.«

Rosie hatte inzwischen eine Flasche vom Wandregal genommen und an den Mund gesetzt. Jetzt verschluckte sie sich.

»Atkins? Du liebe Zeit!«

»Ich hab ihn abgehängt.«

»Hoffentlich. Dieser Kotzbrocken ist zu allem fähig. Was hast du angestellt?«

»Seinen Bruder erschossen »

Die Frau starrte ihn ungläubig an. »Dann kannst du gleich dein Testament machen.«

»Scheinst ihn gut zu kennen.«

»Und ob! Der Bastard hat sich gemeinsam mit seinem Bruder halb Sedalia unter den Nagel gerissen. Genaugenommen die Lokale und Spielhallen in der Eleven Horses Street. Gewinnbeteiligungen, Steuern, sonstige Abgaben. Verstehst du?«

Jim verstand. Nun wusste er auch wieso ein Deputy Marshal bei einem Viertausend Dollar-Einsatz mithalten konnte.

»Ned Atkins hat dafür gesorgt, dass ich Sedalia verlassen musste. Hab dort bei der Schwarzen Lilly gearbeitet und seine besonderen Spielchen, die er da veranstaltet hat, nicht mitgemacht. War ziemlich sauer, der geile Bock. Da hat mich Brent Landusky aufgegabelt und hierher verschleppt.«

»Bist du seine Frau?«

»So ungefähr. Ich trag jedenfalls seinen Namen.«

Jim hatte sich bereits gesetzt. Sie hatte ihm eine Flasche hingestellt und brachte ihm ein Stück kalten Braten und einen Maisfladen. Die Flinte lehnte an der Wand. Von Hängen und Erschießen keine Rede mehr.

»Wenn ich gewusst hätte, was mich hier erwartet, hätte ich den nächsten Zug zu den UP-Camps genommen«, sagte Rosie.

»So schlimm?«, fragte Jim kauend.

»Schau dich doch um. Weltabgeschiedener geht’s nicht. Keine Gesellschaft, keine Feiern, keine neuen Kleider, nur Arbeit und immer allein, warten bis Brent mit seiner Mannschaft für ein paar Tage auftaucht, dann wieder derselbe Trott. Zum Auf- und Davonlaufen.«

»Warum tust du’s nicht?«

»Was?«

»Davonlaufen.«

»Mit dir vielleicht?«, fragte sie spöttisch.

»Warum nicht?« Jim zog sie dicht zu sich heran. »Du gefällst mir. Wir beide würden bestimmt…«

»Du willst nur umsonst zu einem Pferd kommen. Ich kenne Kerle wie dich.«

»Ich will noch ’ne Menge mehr – und du auch«, sagte Parson heiser. Er drückte sie auf seine Knie, hielt sie fest und presste seine Lippen auf ihren Mund. Sie wehrte sich nicht. Stattdessen schlang sie die Arme um seinen Hals und erwiderte leidenschaftlich seinen Kuss.

 

*

 

Sie hatten weder Hufschlag noch Schritte gehört. Rosie hatte vor Erregung zu stöhnen angefangen, und Jim hatte das Aufgebot aus Sedalia glatt vergessen. Seine Jacke und sein Revolvergurt samt Waffe lagen auf dem Boden. Das Paar, völlig entflammt, war immer noch am Tisch.

Da flog plötzlich die Tür auf. Ein großer breitschultriger Mann stand mit schussbereitem Colt auf der Schwelle. Zu Hemd und Hose trug er eine schenkellange, fransenverzierte Wildlederjacke und hochschaftige Stiefel, dazu ein schweißgetränktes Halstuch. Auch die Strähne in seiner Stirn war schweißverklebt. Eine dunkelrote Narbe lief quer über sein Gesicht. Seine Augen sprühten vor Wut.

»Du elende Schlampe! Kaum ist man ein paar Tage fort, treibst du’s mit einem Kerl! Ich hätt’s wissen müssen, Hure bleibt Hure, egal wohin man sie verpflanzt.«

Die Waffe auf beide gerichtet, schloss er hinter sich die Tür.

»Hallo, Landusky«, sagte Jim lahm und knöpfte seine Hose zu.

Rosie war entsetzt an die Wand zurückgewichen. »Brent, ich … es ist alles ganz anders … er hat mich gezwungen …«

»Dich und zwingen? Aber warte nur bis wir miteinander abrechnen. Bin ein bisschen zu früh gekommen, was? Wer ist der Bursche?«

»Atkins ist hinter ihm her.« Rosies zitternden Händen gelang es nicht die Bluse zu schließen.

Der Narbige stutzte. »Der Sternträger von Sedalia?«

»Er hat seinen Bruder erschossen«, keuchte die Frau. Indessen wartete Parson verzweifelt auf eine Chance. Aber Landusky brauchte nur den Finger zu krümmen. Auf die knappe Distanz konnte er gar nicht danebenschießen.

Landuskys Miene hellte sich für einen Moment auf. »Jetzt kapier’ ich alles. Atkins sucht die Gegend gar nicht nach uns und Prestons Pferden ab. Hab mich schon gefragt, was er hier im Süden mit seiner Meute will. Sitzt ja sonst nur in Sedalia wie ein fetter Kater vor dem Mauseloch. Alles was außerhalb passiert, geht ihn nichts an. Seinen Bruder erschossen? Das trifft sich gut. Ich schätze, in knapp ’ner Stunde haben wir ihn hier.«

Jims Gedanken rotierten. Er hatte das Messer neben dem Rest des Bratens nicht vergessen, das jenem ähnelte, das Bob Parson ihm vor Jahren geschenkt hatte. Das änderte jedoch nichts an Landuskys Finger am Abzug. Er versuchte Zeit zu gewinnen.

»Atkins? Jetzt mitten in der Nacht?«

»Du warst zu beschäftigt, mein Junge, um mitzubekommen, dass die Wolken abgezogen sind«, grinste Landusky gehässig. »Draußen ist es seit ’ner halben Stunde so hell, dass du Zeitung lesen könntest. Jede Fährte deutlich erkennbar. So ’ne Chance lässt Atkins sich nicht entgehen. Der hat bestimmt Reservegäule dabei und gönnt sich keine Rast. Ein hartgesottener Bastard. Bestimmt hartgesottener als du.«

Auch Rosie war auf Zeit aus. »Wo sind deine Leute, Brent?«

»Hab sie mit den geklauten Pferden zur Schlucht am Osage Lake geschickt. Brauch sie nicht, um mit dem Kerl da und dir fertig zu werden.«

»Und mit Atkins?«, warf Jim ein.

Er hatte sich am Tisch etwas seitwärts bewegt. Das Messer befand sich nun zumindest in seiner Griffweite. Seit damals in Whitewater hatte er allerdings seine Fähigkeiten mit der Klinge nicht mehr ausprobiert. Landusky ließ ihn nicht aus den Augen.

»Die Pferde werden Atkins nicht interessieren. Er will nur deinen Skalp. Und den werd’ ich ihm liefern. Danach kommst du dran, Schlampe.«

»Brent, ich bitte dich, glaub mir…«

In der Feme fiel ein Schuss, gleich darauf noch einer. Parson wartete nicht erst, wie Landusky reagierte. Er schnappte sich das Messer, ließ sich fallen und schleuderte es, auf dem Rücken liegend.

Das ohrenbetäubende Dröhnen von Landuskys Colt füllte den Raum. Nur den Bruchteil einer Sekunde war der Narbige abgelenkt gewesen. Seine Kugel schrammte die Tischplatte. Dann, statt nochmals abzudrücken, ließ er die Waffe fallen und langte mit beiden Händen an seinen Hals. Der Griff des Messers ragte zwischen seinen Fingern hervor. Er taumelte rückwärts gegen die Tür und rutschte an ihr nieder.

Rosie wollte schreien, brachte aber keinen Ton heraus. Im Nu war Jim auf den Beinen, packte Jacke und Waffengurt und schrie: »Atkins und Brents Leute sind aneinander geraten. Nimm alles Geld mit und komm!«

Wieder wehte das Knallen von Schüssen über die Hügel.

»Mörder! Du verdammter Mörder hast ihn umgebracht!«, kreischte Rosie. Dann schluchzend: »Brent, Brent! Es tut mir so leid, Brent!«

Jim packte sie am Arm. »Bist du wahnsinnig? Wo ist das Geld?«

»Hier ist kein Geld.«

»Du lügst!« Parson rüttelte sie. Er war drauf und dran, sie ins Gesicht zu schlagen.

»Hier ist kein Geld!«, wiederholte sie schrill. »Brent hat immer alles versoffen und verspielt. Die neuen Pferde sind noch nicht verkauft.«

Sie riss sich los, stürzte an ihm vorbei und versuchte wie von Sinnen Landuskys Sechsschüsser zu erwischen. Parson kam ihr zuvor.

»Ich hoffe, Atkins kriegt dich doch noch!«, schrie sie.

Jim zerrte den Toten von der Tür weg. Es war nur mehr eine Frage von Minuten, bis er ein Pferd aus dem Korral geholt, es gesattelt und gezäumt hatte und davon ritt. Die Frau in der vom Lampenschein erhellten Blockhaustür schrie ihm Flüche und Verwünschungen nach. Doch für dergleichen war Jim Parson schon seit langem taub.

 

*

 

Ein trockener Wind strich über die von der Sommerhitze verbrannte Prärie. Hier, südlich vom Arkansas River, glühte die Sonne auch Ende September noch mit ungebrochener Kraft. Bodenwellen und Senken durchzogen die scheinbar endlose Ebene. Immer wieder verlor Jim Parson den weit vorausfahrenden Wagen aus den Augen, blieb aber in gleichbleibendem Abstand hinter ihm.

Das Fahrzeug, ein leichter, von zwei Pferden gezogener Ranchwagen, an dem ein drittes Pferd festgeleint war, folgte dem Chisholm Trail südwärts. Zuerst hatte Jim geglaubt, dass es sich um mehrere von einem Herdentrieb heimkehrende Texaner handelte. Als er dann einmal dichter aufgeholt hatte, hatte er festgestellt, dass nur ein einzelner Mann das Gespann lenkte.

Dies hier war Indianerland. Der junge Parson hatte bisher wenig Erfahrungen mit den Ureinwohnern des Kontinents gesammelt. Als Büffeljäger bei der UP hatte er von Überfällen der Cheyennes auf Bautrupps gehört, die federgeschmückten Reiter selber aber nur einzeln oder in kleinen Trupps aus der Feme gesehen. Die paar Rothäute, die sich in den Städten herumtrieben, zählten für ihn nicht, und die Osages, bei denen er vor etlichen Tagen Landuskys Colt gegen etwas Proviant, ein Messer und zwei alte Decken eingetauscht hatte, waren friedliche Leute gewesen.

Nun befand er sich aber weit weg von Forts und Siedlungen im Kiowa- oder Comanche-Gebiet. Da war es vielleicht ratsamer, einen anderen Weißen, wer es auch sein mochte, in der Nähe zu wissen. Andererseits galt er seit seiner Flucht aus Sedalia als Mörder und Gesetzloser. Der Mann dort vorne auf dem Wagen konnte möglicherweise schon seinen Steckbrief gesehen haben.

Erst Jahre später traf Parson einen ehemaligen Landusky-Reiter zufällig in einem Saloon in Colorado. Von ihm erfuhr er, dass Ned Atkins bei dem Schusswechsel mit den Pferdedieben gleich als Erster aus dem Sattel gekippt war – tot. Landuskys Rudel hatte damals sofort das Feuer eröffnet, überzeugt, dass die Sedalia-Männer ihnen an den Kragen wollten. Hinterher gab es keinen Steckbrief und keine Jagd auf Jim Parson mehr.

Jetzt war es Spätnachmittag, und Jim hielt Ausschau nach einem geeigneten Lagerplatz für die Nacht. Doch nirgends lockte eine Buschgruppe, wo vielleicht eine Quelle sprudelte. Das Land war so trocken und leer, dass Jim die Erinnerung an die Wälder im nördlichen Illinois fast für ein Traumgespinst hielt.

Die Hufe seines Schecken stampften auf harter, von unzähligen Rinderhufen beziehungsweise -klauen geplätteter Erde. So spät im Jahr würde kaum mehr eine Treibherde den Trail heraufkommen. Jedenfalls kündigte keine Staubwolke überm Horizont eine solche an. Dafür tauchte der Wagen, den Parson eine Weile nicht mehr gesehen hatte, wieder in seinem Blickfeld auf.

Das hochrädrige Fahrzeug hielt, und der Mann auf dem Bock war nicht mehr allein. Drei bronzehäutige Reiter, nur mit Lendenschurz, Leggins und Mokassins bekleidet, hatten ihn eingekreist. Ihr rabenschwarzes Haar war zu Zöpfen geflochten. Einem hing eine darin befestigte Adlerfeder auf die rechte Schulter. Er war es, der den Wagenlenker mit einer federgeschmückten Lanze bedrohte.

Jims erste Überlegung war, den Schecken zu wenden und sich in Deckung der Bodenwelle nach Westen abzusetzen. Dann sah er, dass die Indianer keine Feuerwaffen besaßen. Die Gefährten des Lanzenmannes hielten lediglich Bogen, und die Pfeile steckten noch in den Köchern auf ihren Rücken – so sicher fühlten sie sich. Die Messer an ihren Gürteln rechnete Jim nicht.

Sein Remington enthielt fünf Schuss. Rasch lud er auch die sechste Kammer, schob die Waffe aber wieder in die Halfter. Dann ritt er ohne weiter nachzudenken, allerdings mit zusammengebissenen Zähnen und einem Schweißrinnsal zwischen den Schulterblättern, den langgestreckten Hand hinab. Dabei versuchte er möglichst selbstsicher auszusehen.

Das Trio entdeckte ihn sofort. Da er keine Waffe hielt, blieben auch die Pfeile in den Köchern. Einer brachte jedoch einen Tomahawk zum Vorschein, den Jim bisher nicht bemerkt hatte. Die Lanze des Anführers zielte unverändert auf den Wagenbesitzer.

Der hatte halb den Kopf gedreht und traute offenbar seinen Augen nicht, als Jim gemächlich herankam. Jim schätzte ihn auf etwas über fünfzig. Ein grimmiges, wettergegerbtes Gesicht mit grauem Schnauzbart, graue durchdringende Augen, die Gestalt untersetzt und kräftig.

Er trug ein weißes, schweißfleckiges Hemd zum braunen Anzug. Eine neue Winchester, Modell 66, lag über seinen Knien. Die Lanze hielt ihn davon ab, sie anzuheben.

»Seien Sie bloß vorsichtig, Mann!«, rief er Jim zu. »Das sind Kiowas. Junge Krieger auf dem ersten Beutezug. Unberechenbar. Sie wollen meine Pferde.«

Der Anführer stieß ein paar bellend klingende Kehllaute hervor, und der Schnauzbärtige schwieg. Parson fühlte sich jetzt noch weniger wohl in seiner Haut. Aber nun gab’s kein Zurück mehr. Immerhin waren die drei Kiowas von seinem Auftauchen sichtlich beeindruckt. Hastig wechselten sie einige Worte. Dann war Jim heran und lächelte in drei finstere braune Gesichter.

»Schluss der Vorstellung. Verschwindet, Jungs.«

»Die verstehen Sie nicht«, sagte der Schnauzbärtige gepresst. »Passen Sie auf den mit dem Tomahawk auf. Die legen Sie um, bevor Sie drei …«

»Können Sie sich mit ihnen verständigen?«

»So ungefähr.«

»Dann sagen Sie den Kerlen, dass sie abhauen sollen. Sagen Sie ihnen, ich bin ein gefährlicher Mann, und in meinem Schießeisen stecken zwei Kugeln für jeden von ihnen. Los, sagen Sie es ihnen!«

Später auf der Circle B-Ranch wenn John Bailey und Jim Parson davon erzählten, brachen sie hinterher jedes Mal in schallendes Gelächter aus. Jetzt wäre beiden ein Lachen in der Kehle stecken geblieben. Der Wagenbesitzer zögerte, dann übersetzte er.

Offenbar beherrschte er den Kiowa Dialekt recht gut, denn der Anführer reagierte auf Jims Drohung sofort mit wütend aufblitzenden Augen. Gleichzeitig schwang er die Lanze herum.

Ebenso schnell zog Parson und schoss. Die Lanze splitterte. Ein mehrstimmiger Überraschungsschrei gellte. Der Mann auf dem Ranchwagen war starr vor Verblüffung. Jims Revolver zielte auf den Kiowa.

»Wenn du weitermachen willst, Freundchen – bitte.«

Diesmal brauchten die Krieger keine Übersetzung. Alle drei rissen wie auf Kommando ihre Ponies herum. Wenig später war nur mehr eine Staubwolke von ihnen zu sehen.

Eine Weile blickten die beiden Männer den Davongaloppierenden nach, dann trocknete der Schnauzbärtige mit einem großen Taschentuch den Schweiß auf seiner Stirn.

»So was hab ich noch nicht erlebt.«

»Ich auch nicht«, pflichtete Jim ihm bei.

»So was von Schuss. Bei der Schnelligkeit.« Der Mann schüttelte den Kopf. »Fast so als hätten Sie gar nicht gezielt.«

»Hab ich auch nicht.«

Beide stutzten. Die eben ausgesprochene Tatsache wurde Parson jetzt erst richtig bewusst.

»Ein Zufallstreffer!«, platzte der andere heraus.

Sie sahen sich ein paar Sekunden schweigend an, dann brachen sie in jenes später auf der Circle B Ranch so bekannte Gelächter aus.

»Ich bin John Bailey.« Der Ältere reichte Jim die Hand. Dieser stellte sich ebenfalls vor.

Baileys Miene spannte sich misstrauisch. »Ich sehe Sie seit zwei Tagen hinter mir.«

Jim reagierte mit einem Achselzucken. »Ich wusste nicht, woran ich war.«

»Ich auch nicht. Warum haben Sie mir geholfen?«

Jim grinste. »Sie sehen nach Geld aus.«

Der Lauf der Winchester hob sich sofort.

»Ich hab genau zweihundertzwanzig Dollar bei mir. Du kannst es ja mal versuchen.« Das war jetzt ein ganz anderer Ton.

Jim blieb ruhig. »Ich dachte eher daran, dass Sie vielleicht ein Mann sind, der

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 06.02.2022
ISBN: 978-3-7554-0717-1

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /