Herbert plante seine Beutezüge penibel genau. Schon Wochen vor dem Einbruch beobachtete er das Haus. Er recherchierte gewissenhaft, wie viele Bewohner darin lebten, kannte die Arbeitszeiten, wusste genau, wann Vater, Mutter und auch die Kinder das Haus verließen, um zur Arbeit, zur Schule, zum Einkauf oder in einen Verein zu gehen. Und natürlich auch, wann sie in der Regel heimkehrten. Er kannte Freunde und deren Besuchszeiten und, was ein ganz wichtiger Umstand war, auch Hunde oder sonstige Bewacher, die im Haus verblieben. Einbruchsichere Schlösser und Alarmanlagen waren kein Problem für ihn, schließlich hatte er jahrelang in einer Sicherheitsfirma gearbeitet und kannte sich mit solchen Dingen bestens aus. Ein unglücklicher Zufall, oder sollte ich vielleicht lieber sagen, die aufgeflogene Affäre mit der Frau des Chefs kostete ihn eines Tages den Job und von da an verdiente er seine Brötchen auf der anderen Seite von Gesetz und Moral.
Herbert arbeitete gewissenhaft, vorsichtig, schnell, leise und sauber. Er hinterließ in den Häusern kein Chaos, verschloss durchsuchte Schränke und Schubladen, stellte verrückte Gegenstände ordentlich an ihren Platz zurück, sodass die heimkehrenden Besitzer erst einmal gar nicht merkten, dass eingebrochen worden war. Wenn dann das Fehlen von Schmuck und Bargeld auffiel, war dieses längst von Hehlern und Geldwäschern durch diverse Kanäle geschleust und verschwunden.
Das ging einige Jahre ganz gut und Herbert genoss sein Leben; jedoch niemals so, dass ihn ein auffälliger Lebenswandel verdächtig gemacht hätte. Er spielte nicht, trank nicht, fuhr einen unauffälligen Mittelklassewagen und ging nur ab und zu ins Bordell. Ein bisschen Spaß musste schließlich sein.
Doch wie lautet ein Sprichwort? Der Krug geht so lange zu Wasser, bis er bricht!
Herbert recherchierte seit Wochen in einem Haus, welches erst vor drei Monaten von einem älteren Ehepaar gekauft und bezogen worden war. Schnell hatte er herausgefunden, dass das vermögende Paar keine Kinder und keinen Hund besaß und täglich pünktlich halb acht Uhr mit ihrem BMW das Haus verließ, um in der dreißig Kilometer entfernten Kreisstatt eine Klinik für Zoo- und Zirkustiere zu betreiben. Gegen achtzehn Uhr kehrte das Paar regelmäßig nach Hause zurück und verließ es dann bis zum nächsten Morgen nicht mehr.
Schon am Tage des Einzugs bewunderte er die kostbaren Möbel, Teppiche, Vasen und schweren Kartons, die von dem riesigen Umzugswagen in das Haus transportiert wurden. Kartons, in denen er Antiquitäten, Bücher, Meißner Porzellan, Gemälde und wertvollen Schmuck vermutete.
Was er zu diesem Zeitpunkt nicht ahnen konnte, in einem der Kartons befand sich sein Verhängnis.
Dieser Karton unterschied sich lediglich durch seine grüne Farbe von den anderen durchweg braunen Kartons. Er wurde besonders vorsichtig getragen und das Paar achtete streng darauf, dass er nicht unter die anderen geriet. Nur kurz wunderte sich Herbert über diesen Sachverhalt, doch vergaß er diesen schnell wieder, denn seine Aufmerksamkeit richtete sich auf einen mittelgroßen Stahltresor, der mit einem Hubwagen von der Ladefläche und hinauf ins Haus transportiert wurde. Mit diesem Tresor und dessen Schloss würde sich Herbert eingehend beschäftigen müssen.
Besuch bekamen die Eheleute nur sonntags zur Kaffeezeit. Da erschienen in ihren dicken Limousinen zigarrerauchende geschniegelte Herren mit ihren perlenbehängten Damen, um sich nach genau anderthalb Stunden wieder zu verabschieden und das mit einer Regelmäßigkeit, dass man den Mondkalender danach stellen könnte.
Freitagabend um achtzehn Uhr und dreißig Minuten brachte ein Lieferservice die bestellten Lebensmittel und um achtzehn Uhr und fünfundvierzig Minuten ein anderer Kleintransporter noch einen weiteren Karton mit unbekanntem Inhalt.
Ansonsten gab es keinerlei Auffälligkeiten oder Unterbrechungen im geregelten Alltag des Paares.
Nach zwölf Wochen hatte Herbert alle nötigen Informationen gesammelt, die er für einen professionellen Einbruch in diesem, nur durch eine einfache Alarmanlage der Firma Securitas gesicherten Einfamilienhaus brauchte. Der Tresor stand im oberen Stockwerk im Schlafzimmer des Ehepaars und besaß ein Zahlenschloss, dessen Kombination er mithilfe seines Stethoskops leicht entriegeln konnte.
Da sich an das Einfamilienhaus ein kleines Wäldchen anschloss, bot es einen idealen Standort für Herberts Vorhaben. So konnte er von hinten an das Haus heran fahren, ohne von der Straßenseite aus von Nachbarn beobachtet zu werden. Er stieg über die Mauer des Anwesens, durchquerte mit wenigen Schritten den Garten und war schon an der Hinterpforte, die sich bereits nach drei Minuten mithilfe seines Sicherheitsschlüsselsatzes öffnen ließ. Da erstaunlicherweise kein Alarm losging, was Herbert für übertrieben leichtsinnig hielt, ging er kopfschüttelnd weiter durch einen schmalen Gang. „Kein Alarm und kein Wachhund für so ein Haus“ dachte er noch, dann stieg er eine kleine Treppe nach oben, die in einem verwinkelten Flur endete. Es war ziemlich dunkel in diesem Flur, da alle abgehenden Türen geschlossen waren und sich kein Fenster auf dieser Ebene befand. Herbert zog eine Taschenlampe aus der Innentasche seines Jacketts und knipste sie an. Er öffnete vorsichtig die erste Tür und spähte in einen großen, schummrigen Raum, der einem botanischen Garten glich. Er war mit exotischen Pflanzen voll gestopft, zwischen deren Blättern es raschelte und aus etlichen Vogelkehlen trillernde Stimmen erklangen. In den Boden war ein riesiges Wasserbassin eingelassen. Er versuchte zu erkennen, ob sich Fische im Wasser befanden, konnte aber vor Schwimmpflanzen nichts sehen. In diesem Moment nahm er aus den Augenwinkeln eine Bewegung wahr, die ihm das Blut in den Adern gefrieren ließ.
Als das von der Polizei benachrichtigte Ehepaar nach Hause kam, wurde es von aufgeregten Nachbarn empfangen, die von einem lang gezogenen Hilfeschrei berichteten und daraufhin die Polizei alarmierten. Herberts Wagen wurde dann auch schnell sichergestellt und der Halter ermittelt. Beim Eintritt ins Haus bot sich ein merkwürdiger Anblick. In der Flurecke lag das Haustier, welches unförmig vollgefressen einen äußerst müden Eindruck machte. Es war eine sechs Meter lange Anakonda, die das Paar einem Zoo, der wegen finanziellen Problemen schließen musste, abgekauft hatte.
Es war Freitag, der Tag der Fütterung. Der Kleintransporter mit dem Futter wurde für diesen Tag abbestellt.
Texte: © Leonore Enzmann
Tag der Veröffentlichung: 02.12.2009
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Für alle, die sich nicht für einen Hund als Wächter entscheiden möchten