Es kam mit der Morgenpost ein ganz normal aussehendes Paket in braunem Packpapier und verschnürt mit derber Doppelschnur. Es unterschied sich in nichts von den Tausenden anderer Pakete, wie sie die Postboten tagtäglich austragen. Mit diesem aber hatte es eine besondere Bewandtnis – eine ganz besondere.
Es war ohne Absender. Und das machte mich stutzig. Nicht nur, dass ich kein Paket erwartet hatte, ich hatte weder etwas bei einem Verlag oder Versandhaus bestellt, noch konnte ich mir überhaupt vorstellen, wer mir etwas schicken sollte.
Ich war neu in der Stadt. Und ich hatte mir einen anderen Namen zugelegt. Keiner kannte mich hier. Und für die, die mich kannten, war ich spurlos verschwunden. Wer also sollte mir etwas schicken?
Ich stellte das Paket zur Seite und starrte es an. Ich war mir nicht sicher, ob ich es öffnen sollte. Es konnte alles Mögliche darin sein. Vielleicht war es ja ein Irrtum und es gab noch einen anderen Hans-Joachim Conrad in dieser Straße. Die Adresse wurde mit Tinte direkt auf das Packpapier geschrieben. Die Hausnummer war leicht verwischt. Vielleicht sollte sie ursprünglich 4 heißen und nicht 9. Ich würde das überprüfen.
Es gab keinen Hans-Joachim Conrad in Hausnummer 4, und auch in keinem der anderen Häuser. Ich war die ganze Straße hoch und wieder runter gelaufen und hatte an jedes Klingelschild geschaut. Nicht einmal ein ähnlicher Name befand sich auf ihnen.
Das Paket stand auf dem Küchentisch und wartete. Ich holte mir aus dem Kühlschrank ein Bier und zündete mir eine Zigarette an. Tief atmete ich den Rauch ein und wurde etwas ruhiger. Tausend Dinge gingen mir durch den Kopf. Wer konnte wissen, dass ich hier wohne? Und wer konnte überhaupt von meinem neuen Namen wissen und wer ich wirklich bin?
Der Araber, der mir meinen gefälschten Pass überbracht hatte, lag mit dem Gesicht nach unten über Annegret. Ich hatte ihn in die gleiche Grube gelegt, wie sie. Verborgen unter der größten Müllhalde der Stadt, aus der ich stammte. Berge von Unrat, Schrott und Abfällen türmten sich über den Leibern, die in zwei Meter Tiefe ruhten. Der Araber konnte nichts dafür. Er war nur ein Zeuge, der mir gefährlich werden konnte. Ich musste ihn ganz einfach beseitigen. Er kannte meinen neuen Namen und er kannte mein Gesicht. Bei Annegret war das anders. Sie hatte mich betrogen und verraten. Und das nach all den Jahren.
Wir waren ein Team, und zwar ein ausgesprochen gutes. Und ich hatte immer gerecht mit ihr geteilt. Natürlich nicht halbe-halbe. Ich hatte schließlich die ganze Planung, führte die Beutezüge aus und trug das Risiko, falls etwas schief ging. Annegret musste nur die Augen offen halten und mich warnen und das Fluchtauto fahren. Und das klappte über fünf Jahre ausgezeichnet. Sie bekam zwanzig Prozent vom Gewinn und sie war damit zufrieden. Bis sie Bert kennenlernte. Plötzlich brauchte sie mehr Geld. Ich weiß nicht, wo sie diesen unbrauchbaren Hungerleider aufgegabelt hat. Eines Tages stand sie mit ihm vor meiner Tür und verlangte, dass er mitmachen dürfe. Ich war dagegen, denn ich erkannte auf Anhieb, dass er nichts taugte. Er war schwer von Begriff, träge und kraftlos in seinen Bewegungen, aber Annegret stand auf ihn. Wahrscheinlich war die Flasche gut im Bett. Und das ärgerte mich. Wie oft hatte ich Annegret versucht davon zu überzeugen, dass wir nicht nur beruflich, sondern auch privat hervorragend zusammen passen. Aber sie wollte nichts davon wissen. Sie war der Meinung, dienstliches und privates müsse man strengstens trennen, sonst klappe beides nicht. Und jetzt brachte sie diesen Versager an und stieß damit ihre eigenen Vorsätze über den Haufen.
Ich gab ihm eine Aufgabe und ich wusste von vornherein, dass er damit überfordert war. Und natürlich wurde er erwischt. Annegret gab mir die Schuld an seiner Verhaftung. Erst wollte sie die Geschäftsverbindung mit mir ganz abbrechen, aber dann überlegte sie es sich doch noch. Sie brauchte Geld für Berts Kaution.
Und wir landeten einen besonders großen Coup. Diesmal hatte es sich richtig gelohnt. Siebenhundertfünfzigtausend Euro warteten im Schließfach auf die Geldwäsche. Die nötige Connection hatte ich, Araber, Türken, Russen. Meine Verbindungen ins Ausland hatten sich über Jahre gefestigt, es war überhaupt kein Problem für mich, eine solche Summe in kleineren Beträgen Freunden mitzugeben und im Ausland auf verschiedene Geschäftskonten zu verteilen.
Annegret sah das anders. Als ich die ersten drei Verteiler zum Schließfach bestellte, war dieses leer. Erst konnte ich mir nicht erklären, wie sie an den Schlüssel gelangt war, aber dann fiel mir unsere kleine Party ein. Annegret hatte Geburtstag und lud ein paar Freunde ein, auch mich. Sie wusste, dass ich den Schlüssel immer am Mann trug. Wir tranken an diesem Abend ungewöhnlich viel, denn die Stimmung war ausgelassen und Annegret schien sich nun doch eines besseren besonnen zu haben und wurde für mich zugänglich. Wir tanzten zu ihrer neuesten Schmuserock-CD, sie drückte ihren herrlichen Körper in diesem erotisch ausgeschnittenen Kleid an mich und dann saugten sich ihre Lippen an meinem Hals fest. Siedendheiß stieg es in mir empor und ich tanzte mit ihr ins Schlafzimmer. Wie Besessene fielen wir übereinander her und ich könnte mich heute noch ohrfeigen, dass ich so auf ihren perfiden Plan hereingefallen bin.
Ich muss nach dem Orgasmus eingeschlafen sein. Als ich erwachte, war es früher Morgen, die Gäste waren weg, die Wohnung war aufgeräumt und auf dem Couchtisch im Wohnzimmer standen frisch gebrühter Kaffee und knusprige Brötchen. Auf einen Zettel stand in ihrer ungelenken Kinderschrift: „Vielen Dank für alles.“
Mein Kopf war alles andere als klar und so stellte ich mich erst mal unter die Dusche. Beim anziehen überprüfte ich gewohnheitsmäßig meine Taschen. Der Schließfachschlüssel war da. Ich frühstückte und fuhr dann in meine Wohnung.
Als sich Annegret den ganzen Tag nicht bei mir meldete, versuchte ich sie zu erreichen. Sie ging nicht ans Telefon. Nun wurde ich doch unruhig. Ich musste mich schnellstens um mein Geld kümmern. Von einer beängstigenden Vorahnung getrieben, bestellte ich meine Kontaktpersonen zum Bahnhof und dann stand ich vor dem leeren Schließfach. Annegret war schneller als ich.
Ich rief im Gefängnis an. Bert schmorte immer noch in seiner Zelle. Sie hatte keine Kaution für ihn hinterlegt.
Von einer Nachbarin erfuhr ich, dass Annegret vor einer halben Stunde mit einem Koffer in ein Taxi einsteigen wäre. Sie hörte noch, wie sie zum Fahrer sagte: „Zum Flughafen“.
Ich stürzte zu meinem Auto und fuhr ihr nach. Im Flughafengebäude stellte ich fest, dass der nächste Flieger erst in einer Stunde startete und sah mich um. Über einer Rückenlehne sah ich dann ihren Blondschopf herausragen. Ich trat von hinten an sie heran und flüsterte, sie solle aufstehen und mitkommen, ohne einen Ton von sich zu geben. Steif wie ein Stock erhob sie sich. Zu Tode erschrocken drehte sie sich um. Dann öffnete sich ihr Mund. Ich sah sie durchdringend an.
„Wenn du jetzt schreist, tu ich es gleich hier. Ich habe nichts zu verlieren. Komm mit.“
Sie lief wie in Trance neben mir her, ihren Koffer in der Hand. Sie trug schwer an ihm, es waren keine leichten Kleider darin. In ihm befand sich mein Geld. Ich sagte: „Warum, nach dieser Nacht?“
Sie antwortete: „Ich werde dich verlassen.“ Das war ihr Todesurteil.
Ich öffnete das Paket auf meinem Küchentisch. Fein säuberlich verpackt lagen darin zwei Paar Schuhe; die, welche Annegret an jenem Tage trug und die Schuhe des Arabers, der mir meinen Ausweis gebracht hatte.
Auf einem Zettel stand in Druckbuchstaben:
ICH WEIß WER DU BIST!
Texte: © 2009 Alle Rechte bei Leonore Enzmann. Nachdruck oder Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung der Autorin.
Tag der Veröffentlichung: 05.06.2009
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Aus meinem Buch: Menschen und andere Tiere