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Ich heiße Igor. So ruft mich jedenfalls immer mein Herrchen. Eigentlich bin ich ein bildhübscher Jagdhund, der zu einer Hundeausstellung soll. Mein Herrchen hat mich gebadet und gebürstet, meine Zähne geputzt und die Krallen geschnitten. Und dann sind wir ins Auto gestiegen und los gefahren.
Ich weiß nicht, warum mein Herrchen so aufgeregt ist. Weit und breit befindet sich außer uns kein Fahrzeug auf der Landstraße. Kahle Bäume und Sträucher rasen an uns vorbei. Draußen ist es kalt. Warum öffnet mein Herrchen denn jetzt auch noch das Fenster? Das ist mir gar nicht recht. Die Heizung hat so eine wohlige Wärme im Auto geschaffen, dass mir die Augen zugefallen sind und ich gerade einschlafen wollte. Auf meiner Decke auf der Rückbank habe ich es mir so richtig gemütlich gemacht, aber nun fährt mir der kalte Wind ins Fell.
Mein Herrchen hat einen dunklen Kopf bekommen und jetzt reißt er sich mit einer Hand den Hemdkragen auf. So habe ich ihn ja noch nie erlebt. Er schnappt nach Luft und jetzt beginnt das Auto hin und her zu schlingern. Wo fährt er denn hin? Peng. Wir halten vor einem Gebüsch. Das hat ganz schön geknallt! Ich bin zwischen die Sitze gerutscht und habe mir die rechte Schulter an der Rückenlehne geprellt. Das tut weh. Irgendwie muss ich da wieder hoch kommen.
Mein Herrchen liegt mit dem Kopf auf dem Lenkrad und sagt nichts.
Ich frage mich, warum er nicht weiterfährt. Wir haben es doch eilig zu meiner Ausstellung. Heute will ich wieder den ersten Preis gewinnen, wie schon im letzten Jahr.
Aber mein Herrchen rührt sich nicht. Ich springe neben ihn auf den Beifahrersitz, obwohl ich das eigentlich nicht darf. Aber das ist eine Ausnahme – versprochen!
Ich blicke in sein Gesicht und seine Augen sind offen, aber irgendwie schaut er mich trotzdem nicht an. Dann stupse ich ihn eben mit der Nase an und lecke ihn über die Wangen, obwohl er das sonst gar nicht mag. Aber er rührt sich immer noch nicht. Dann versuche ich es eben mit bellen. Wieso reagiert er bloß nicht?
Plötzlich hält neben uns auf der Straße ein Auto. Ein Mann und eine Frau springen heraus und schauen zu uns herein. Jetzt nimmt der Mann aus seiner Tasche einen kleinen schwarzen Kasten, ich glaube, die Menschen nennen so etwas „Handy“. Er drückt mit den Fingern darauf herum, hält es an sein Ohr und redet ganz aufgeregt. Die Frau zeigt auf die Tür und dann auf mich, der Mann schüttelt seinen Kopf. Ich glaube, sie haben Angst vor mir und machen nicht auf. Dabei kann ich keiner Fliege etwas zu Leide tun.
Nach einer Weile höre ich von weitem einen heulenden Ton, als wenn ein todtrauriger Hund weint. Ich muss ganz einfach mit einstimmen und jetzt sind plötzlich viele Menschen um uns herum. Ein paar Autos stehen auch da und nun wird doch noch unsere Tür geöffnet. Erleichtert springe ich hinaus. Jemand schreit, aber da renne ich schon übers Feld und verstecke mich im Wald. Von weitem beobachte ich, wie sie mein Herrchen aus dem Auto heben, auf eine Trage legen und ihn mit Nadeln pieken. Seltsame Leinen ragen aus seinem Gesicht und seinem Arm. Sie schieben ihn in ein großes Auto und dieses entfernt sich und jault zum Abschied. Und wieder muss ich in den traurigen Gesang einstimmen.
Als alle Menschen fort sind schleiche ich mich wieder zu unserem Auto. Ich umrunde es und schnuppere an den Rädern, den Lampen und an den Türen. Viele fremde Gerüche sind nun daran, aber sonst hat es sich nicht verändert. Die Beifahrertür steht weit offen und ich springe hinein und setze mich auf meine Decke am Rücksitz.
Jetzt könnten wir endlich weiterfahren. Ich muss doch zu meiner Ausstellung. Was ist bloß los? Und wo ist mein Herrchen? Egal, ich warte hier. Er kommt mich sicher gleich holen.

Impressum

Texte: © 2009 Alle Rechte bei Leonore Enzmann. Nachdruck oder Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung der Autorin.
Tag der Veröffentlichung: 04.05.2009

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Aus meinem Buch "Menschen und andere Tiere"

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