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Ich sitze mit Egon, meinem Mann am Küchentisch und halte einen Brief in den Händen.
„Britta heiratet!“
Egon schaut mich stirnrunzelnd an. „Wen?“
„Björn Hansen. Er ist Jurist.“
Ich sehe, wie es hinter Egons Stirn arbeitet. Von einem Björn Hansen hat er noch nie gehört.
„Seit wann kennt sie ihn und wo hat sie ihn kennengelernt?“
„Im Urlaub, auf den Bahamas. Eigentlich schon im Flugzeug. Sie hatten nebeneinander liegende Plätze. Es muss wohl Liebe auf den ersten Blick gewesen sein. Jedenfalls nahmen sie sich dort gleich ein gemeinsames Hotelzimmer.“
Egon schüttelt einige Male seinen Kopf. „Das ging ja schnell.“
„Ja, und es kommt noch besser. Am Abend vor der Heimreise haben sie sich verlobt. Und dann hat sie ihn gleich mit zu sich nach Hause genommen und ihren Eltern vorgestellt.“
Mein Mann schlägt mit der flachen Hand auf den Tisch, dass der Kaffee aus seiner Tasse schwappt und einen braunen, hässlichen Fleck auf der hellblauen Tischdecke hinterlässt.
„Nein!“
„Doch. Erwin und Anna sind aus allen Wolken gefallen. Sie hatten ihr die Reise zum bestandenen Abitur geschenkt. Und dann ist sie so gut wie verheiratet zurück gekommen.“
Egon nimmt einen großen Schluck aus seiner Tasse. „Wie lange ist das jetzt her?“
Ich schaue auf den Brief in meiner Hand. „Acht Wochen.“
„Na, wenn das mal gut geht. Wie alt ist er?“
„Fünfundzwanzig.“
„Und er ist Jurist?“
„Ja, er arbeitet bei seinem Vater in der Kanzlei.“
Ich stehe auf und bringe die leeren Tassen zum Spülbecken. Egon kann es immer noch nicht fassen. Vor Kurzem hat er seine Enkelin noch auf den Knien geschaukelt.
„Na, der alte Herr wird sich gefreut haben. Eine achtzehnjährige Schwiegertochter ohne Beruf. Was macht sie eigentlich jetzt? Studiert sie?“
„Sie ist schwanger!“
Jetzt hält Egon nichts mehr am Tisch. Er springt hoch, sein Stuhl kippt nach hinten und fällt polternd zu Boden. „Ich werde verrückt. Und wie geht es jetzt weiter?“
„Sie heiraten.“
Egon fragt fassungslos: „Was sagen seine Eltern dazu?“
„Er bekommt zur Hochzeit den Bungalow.“
„Wie großzügig! Und wann findet die Hochzeit statt?“
„In zwei Wochen. Hier ist die Einladung.“ Ich halte Egon den Brief unter die Nase und er starrt entsetzt darauf, als hielte ich eine Bombe in der Hand.

„Schau mal, die haben den Bungalow ja toll eingerichtet. Alles neue Möbel und nur vom Feinsten. Die Küche, hochmodern, mit Ultraschallherd, Mikrowelle, Infrarotgrill. Die riesige Kühl- und Gefrierkombination, der Geschirrspüler, alles aus Edelstahl.“ Ich stehe mit Egon mitten im Raum und drehe mich wie ein Kreisel.
„Spürst du das auch? Es ist ganz warm an den Füßen.“
„Fußbodenheizung“
„Ich mag gar nicht in die anderen Räume schauen. Man könnte vor Neid erblassen. Schon der Teppich im Flur ist ein Vermögen wert.“
„Komm, lass uns raus gehen. Die Feier findet im Garten statt. Sie haben Glück mit dem Wetter.“
Wir verlassen den Bungalow, ohne uns weiter umzuse-hen.
„Ja, es ist ein herrlicher Tag. Für Anfang Oktober der reinste Hochsommer. He, schau dir das an. Haben die aufgetafelt! Hast du schon mal so lange Tische gesehen? Wer soll das alles essen?“
„Wart ab, wer alles kommt. Ich wette, die Meisten kennst du nicht einmal dem Namen nach. Es ist doch immer so bei solchen Festen. Man glaubt gar nicht, wie viele Ver-wandte man hat. Wer ist das dort zum Beispiel? Kennst du die Beiden, die da einher stolzieren, als wären sie das Brautpaar? Er sieht in dem Frack aus wie ein Pinguin und sie mit diesem riesigen Hut wie ein Pfau, der sein Rad an der falschen Stelle schlägt.“
Ein echt ulkiges Pärchen trippelt über den Rasen auf die Tische zu. Sie wirft den Anwesenden kokette Blicke zu.
„Ja, das sind Onkel Berthold und Tante Irene. Sie sind beide Statisten am Theater. Ich denke, sie werden wieder einmal den Fundus geplündert haben. Sie hatten noch nie zwei mal dasselbe zu einer Feier an. Voriges Jahr, zu Helmuts achtzigstem Geburtstag, du kannst dich doch sicher daran erinnern, da hatte sie diesen pompösen Reifrock an, mit dem sie nicht durch die Tischreihen ge-passt hat. Überall stieß sie an und wischte damit das Geschirr zu Boden. Aber sie musste sich unbedingt durch jede Lücke zwängen, damit sie auch jeder bewundern konnte.“
Egon lachte schelmisch vor sich hin.
„Ja stimmt. Ich kann mich noch gut daran erinnern. Berthold hatte an dem Abend einen solchen Schwips, dass er sich nicht mehr auf den Beinen halten konnte. Er fiel ihr in die Arme, hielt sich an ihrem Rock fest und dieser ging mit einem fürchterlichen Ratschen samt Berthold zu Boden. Irene stand in Tanga und Strapsen da, schrie fürchterlich und alle haben sich gebogen vor lachen.
Irene hat dann drei Wochen nicht mehr mit ihrem Mann gesprochen und sich bei niemandem von der Verwandtschaft blicken lassen. Aber ewig hält sie das nicht durch. Dazu ist sie viel zu sehr darauf versessen, im Mittelpunkt zu stehen.“
Ich drehe mich um und sehe ein paar Neuankömmlinge. „Wer sind die denn? Ich stoße Egon mit dem Ellbogen in die Seite und er folgt meinem Blick. „Ach, das ist Heinrich. Wie soll ich dir diese Verwandtschaft erklären? Er ist der Sohn von Urgroßvaters Neffen. Frag mich nicht, wie sich das nennt. Jedenfalls hat er seine Frau und die neugeborenen Zwillinge mitgebracht. Na das kann ja heiter werden.“
„Und die Beiden?“ Ich zeige verstohlen mit dem Finger auf zwei Männer, wie sie nicht unterschiedlicher sein können.
„Das sind der lange und der kurze Steffen, die unzertrennlichen Cousins. Und da kommt ja auch Luise mit ihrer Urgroßmutter. Schau mal, wer da am Gartentor steht und sich mit Brittas Schwester unterhält.“
„Wer ist denn das nun wieder?“ Ich sehe einen wirklich attraktiven jungen Mann, den Conny mit ihren Blicken fast verschlingt.
„Das ist Emanuel, ein Ururenkel von Luther.“
Ich schaue Egon zweifelnd an. „Wie kommt denn der in diese Familie?“
„Na, wie wohl? Irgendjemand seiner Vorfahren hat hier eingeheiratet. Schau mal, wie sie ihn anhimmelt. Vielleicht gibt es ja bald noch eine Hochzeit.“
„Dass du dir diese Namen alle merken kannst!“ Ich bin wirklich beeindruckt.
„Schau, lass uns zu den anderen gehen. Die Schlacht am kalten Buffet beginnt.“
Egon rennt schon los. „Ich hole mir erst mal ein Bier. Die haben da hinten ein riesiges Fass aufgebaut. Mein Schwager zapft sich auch gerade eins. Soll ich dir eins mitbringen?“
„Nein danke. Ich trinke lieber Wein!“
Mit einem vollen Glas Rotwein und einem kleinen Tablett, auf das ich mir verschiedene Köstlichkeiten gestapelt habe, zwinge ich mich an vornehmen Gewändern und Fracks vorbei, aus welchen tentakelartig Arme mit fetttriefenden Händen über der Festtafel rudern. Hühnerbeinchen, kaviargefüllte Eier, Lachsschnittchen, Käsecroissonts und Würstchen verschwinden in kauenden Gesichtern. Hier und da fällt ein anerkennendes Wort, dazwischen Schmatzen, Rülpsen, das Rascheln von Servietten und Klappern von Tellern. Egon balanciert einen riesigen Salatteller und zwei Gläser Sekt auf einem Tablett. „Hier Lotte, stoße erstmal mit dem Brautpaar an!“
Erst jetzt sehe ich, dass Britta und Björn hinter meinem Mann herlaufen, um sich bei mir überschwänglich für das Hochzeitsgeschenk zu bedanken. Ich hatte ihnen eine Erstausstattung fürs Baby überreicht. Wir stoßen auf eine lange, glückliche Zukunft an und leeren die Gläser auf einen Zug. Schon sind die Beiden wieder verschwunden.
„Schau mal, wie sich Else und Trude über die Torten hermachen.“
Meine Schwestern tragen schon eine gigantische Leibesfülle zur Schau, aber das hält sie nicht davon ab, sich noch mehrere Zentimeter Sahne auf ihren Kuchen zu häufen.
Tessa, die Tochter von Onkel Bertholds Cousine türmt auf ihren Teller einen riesigen Berg Eiscreme. Na, wenn der mal nicht schlecht wird!
Rudi, der Vater von Björn, macht mit einem Tablett die Runde, auf dem mindestens 30 Kognakgläser stehen. Zur Verdauung genau das Richtige.
Langsam aber sicher macht sich bei einigen Gästen eine wohlige Mattigkeit breit. Hosenknöpfe werden geöffnet. Das Fass Bier ist leer und man wendet sich hochprozen-tigen Getränken zu; die Damen dem Wein und dem Sekt, die Herren dem Kognak und dem Whisky. Brazilzigarren werden gereicht.
Ein mehrstimmiger Aufschrei. Tessa rennt durch die Rei-hen der Seidenblusen und langen Röcke und übergibt sich fontänenartig auf dieselben. Großer Tumult entsteht, mit Geschrei und Gezeter drängen die so beschmutzten Damen zur Toilette im Bungalow.
„Komm Egon, mir reicht’s. Fahren wir nach Hause.“

Nach drei Tagen lassen meine Kopf- und Magenschmerzen nach.
Ich sitze mit Egon, meinem Mann am Küchentisch und halte einen Brief in den Händen.
„Conny und Emanuel heiraten!“

Impressum

Texte: © 2009 Alle Rechte bei Leonore Enzmann. Nachdruck oder Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung der Autorin. Coverbild:www.pixelio.de
Tag der Veröffentlichung: 02.05.2009

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