In der Traumstadt ist ein Lächeln stehn geblieben;
niemand weiß, wem es gehört.
Und ein Polizist hat es schon dreimal aufgeschrieben,
weil es den Verkehr, dort wo es stehn geblieben, stört.
Und das Lächeln weiß auch nicht, wem es gegolten;
immer müder lächelnd steht es da,
kaum beachtet, und gescholten
und geschubst und weggedrängt, wenn ja.
Langsam schleicht es sich von hinnen;
doch auf einmal wird es licht verklärt;
und dann geht es ganz nach innen -
und du weißt, wem es gegolten und gehört.
In den Gassen einer Traumstadt,
einer Traumstadt in der Morgenschlummerzone,
höre ich zuweil' auf einem Jazzbandkakophone
(das zur Unterstützung einen Militärkapellenschellenbaum hat)
schrill gewiehert und gescheppert einen grellen Gassenhauer.
Alle Traumstadtbürger fassen Schauer,
doch mich nie.
Denn ich weiß, daß diese Gassenhauermelodie
jedesmal sich aus den Gassen
auf den Mozartplatz verirrt,
dorten kleinlaut wird und jäh verklirrt
in verwirrt unmöglichen 6/7 Takten unversehens
an dem Denkmal Wolfgang Amadeens.
In der Traumstadt wohnt seit Januar
ein neuer Schneider,
der für drei bis dreißig Dollar alte Kleider
(Hosen, Regenmäntel, Haveläcke
und, wenn es gewünscht, auch Fräcke)
herleiht an die Leute,
die das Straßenbild verschandeln,
wenn sie nachts im Traume nackend
durch die Traumstadt wandeln.
Durch die Traumstadt geht ein Engel;
geht mit weißem Hemd und Flügeln,
geht ein Engel durch die Traumstadt,
und mit einem Lilienstengel
als Spazierstock geht der Engel
und er bringt hier in der Traumstadt
sein Reservehemd zum Bügeln.
Weiter soll er nichts, der Engel;
nur sein Hemd zum Bügeln tragen
soll der Engel in der Traumstadt;
was es kostet, soll der Engel
sich im Traumstadtkirchensprengel
vom Kaplan, der dies geträumt hat,
geben lassen und soll sagen:
"Einen schönen Gruß von Käthchen,
der Kaplan würd' sie scho kenna:
Heilige der Wäschermädchen."
Vor dem Schlafgemach der Gräfin Ete la Peutete
steht ein riesenhafter Neger,
und er spielt auf einer
sonderbar geformten Schnabelflöte
Schnabelflöten-Wiegenlieder von Max Reger.
Und die Fremden,
welche durch die Traumstadt reisen,
fragen sich verwundert, was des Negers Tun bedeutet,
wenn der Schwarze, bald mit lauten Tönen,
bald mit leisen,
flötend vor dem Schlafgemach der Gräfin
auf und nieder schreitet.
Sei's den Fremden mitgeteilt:
Der Neger muß geträumten Schlangen,
die der Gräfin Ete la Peutete Schlummer stören -
daß es ihnen nicht gelinge,
in die Kemenate zu gelangen -
muß der Neger sie, die Schlangen,
mit dem Flötensang beschwören.
Und die Gräfin Ete la Peutete träumt zufolgedessen
statt von Schlangen von dem Schlangenbändiger,
hingegeben, selig, namenlos und selbstvergessen,
und wahrscheinlich noch viel unanständiger.
Ich mußte früher schon
immer nach dem Munde reden,
wie man so sagt,
,anderen nach dem Schnabel'.
"Sehr wohl- sehr wohl"
war meine ständige Vokabel
bei allen und bei jeden.
Es war mir anerzogen worden bei Hofe.
Ich war Großherzogliche Kammerzofe
bei Ihrer Durchlaucht, der Fürstin.
Sie behandelte mich
je nach der seelischen Verfassung,
in der sie sich grade befand,
teils mit huldvoller Herunterlassung,
teils mit der flachen Hand.
Manchmal hä tte ich sie vergiften mögen
mit doppelschwefelsaurem Vitriol,
aber: "Sehr wohl Euer Durchlaucht,
sehr wohl - sehr wohl."
Jetzt bin' ch de Lora bei eenen Brofessr
und gäht es mr hier bedeutend viel bessr.
Ich kann räd'n wie mr der Schnabel gewachsen als gelähr'ger Babagei in Sachsen.
Dr. Enzian und ein gewisser Dr. Kirsch
gehen jeden Herbst, trotz ihrer Jahre -
(Dr. Enzian ist sechzig,
Dr. Kirsch hat auch schon graue Haare)
- gehen jeden Herbst
(auch wenn das Zipperlein sie plagt)
immer noch auf Schürzenjagd.
Wenn beim Herbstsaisonschlußausverkauf
die Preise stürzen,
jagen Dr. Enzian und Dr. Kirsch nach Schürzen.
Witwe Winter und Elisabeth (von Dr. Kirsch die Magd)
finden dann zum Weihnachtsfeste unter ihren Gaben
als »Geschenk« die Beute dieser Schürzenjagd.
(Welche sie, als Deputat,
auch ohne Weihnachtsfest zu hätten haben.)
Dr. Enzian erzählte mir, er habe
- aber nur im Traum - die Gabe,
alles das, was Tiere miteinander reden,
zu verstehen, so wie Adam einst im Garten Eden.
Beispielsweise habe er vergangne Nacht
um ein Uhr eine Wanze
deutlich sagen hören: "Heute gehe ich aufs Ganze!"
Und dann sei er aufgewacht,
habe Licht gemacht,
und dann habe er den Rest der Nacht
(mindestens bis viertel über drei)
angestrengt darüber nachgedacht,
was bei Wanzen wohl das ,Ganze' sei.
Und er sagte noch, daß Anatol und Witwe Winter nichts davon erfahren dürften,
weil sowohl sein Diener als auch seine Köchin niemals tiefer schürften;
außerdem, wenn Witwe Winter
das geringste über Wanzen in der Wohnung
würde hören,
müßte sie mit Recht, weil keine Wanzen in der Wohnung wären, aufbegehren.
Dr. Enzian
füttert Lachtauben
mit Weintrauben
in dem Glauben
oder vielmehr Wahn,
daß durch Diät
mit Weintrauben
den Lachtauben
das Lachen vergeht.
Falls die Versuche gelingen,
will er probieren,
mit Kichererbsen den Tieren
das Lachen wieder beizubringen.
Was er sich von dem Ganzen verspricht,
verrät er Laien nicht.
Dr. Enzian besitzt ein außerordentliches Feingefühl
für Entlarvung durch das Mienenspiel,
und er liest, unglaublich, aber wahr,
sogar
aus den Mienen,
was die Leute monatlich verdienen.
Nur bei seiner eignen Köchin, Witwe Winter,
kommt er nie so recht dahinter.
Ich bin und bleibe das Knabenkraut;
und wenn es ein Mädchenkraut gäbe -
(und wär' s mit den schönsten Perlen betaut) -
ich bin und bleibe das Knabenkraut,
ein ewig junger Ephebe ...
Ich bin der Rhabarber;
außer in Medizinen
und als Kompott
verwendet man mich bei Aufruhr und Komplott
auf den Bühnen
als Gemurmel der kochenden Volksseele
in der Kehle
der Komparserie.
In Kritiken erwähnt wurde ich,
soweit ich weiß, noch nie.
Achten Sie bitte auf mich,
wenn Sie das nächste Mal ins Theater gehen.
Rhabarber- Rhabarber- Rhabarber- Rhabarber - -
auf Wiedersehen!
Ich lebe in einem Land,
in das ich nicht gehöre,
ich wohne in einer Wohnung,
in der ich störe.
Ich stecke in einem Anzug,
in den ich nicht passe,
ich habe einen Leib,
den ich bereits verlasse;
ich trage einen Hut,
der mir zu weit ist,
ich habe ein Herz,
das zu eng zuzweit ist - -
Addio!
September ist der schönste Mond zum Sterben.
Die Ernte ist nun eingebracht.
Die Spechte noch nach müden Borkenkäfern kerben,
die aber wittern schon die lange Winternacht.
Die Wälder sich ganz mählich färben;
im Norden warten schon die herben Oktoberlüfte,
eh' sie bitter gerben.
Dies sagt ein alter Mann, der allzu oft gewacht
und über allzuvieles nachgedacht:
September ist der schönste Mond zum Sterben.
Texte: ausgewählt mit Einverständnis von Hans Althaus
aus den Büchern:
In der Traumstadt, Dr. Enzia, Flower Tales, Seelenwandertouren, Wir sanften Irren
Tag der Veröffentlichung: 24.05.2009
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
gewidmet dem Neffen PPAs
Hans Althaus