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Für alle Menschen die bei dem Atomangriff am 6.8.1945 ihr Leben verloren haben

Die Rechte der Geschichte liegen ausschließlich bei mir







An diesem Morgen wurde ich schon sehr früh vom surren der Zikaden geweckt. Eine ganze Zeit lag ich da und lauschte diesem Geräusch. Nach einer Weile stand ich auf und sah aus dem Fenster. Die Sonne war grade aufgegangen und der Himmel war strahlend blau. Ich zog meine Arbeitskleidung an, die ich mir am Abend zuvor zurecht gelegt hatte.
Meine Mutter war in der Küche und bereitete das Frühstück für uns zu. Ich begrüßte meine Eltern und nahm meinen Platz gegenüber von meinem Vater ein, der wie gewöhnlich morgens die Zeitung las während er seinen ersten Tee trank. Mein Bruder war zur Zeit nicht bei uns. Er war Soldat und schon seit über einem Jahr nicht mehr hier gewesen. Er kämpfte an der Seite der Deutschen. Wir hatten schon sehr lange nichts von ihm gehört und die Sorge um ihn quälte mich.Ich weiß noch genau wie oft ich mir wünschte, das der Krieg ein Ende fand und Kazuya endlich wieder nach Hause kam.
„Kazumi, nimm bitte diesen Brief mit in die Stadt für mich.“, riss meine Mutter mich aus meinen Gedanken. Wie jeden Morgen packte ich meine Tasche bevor ich los ging. Seit Wochen nahmen wir eine Fischkonserve und einen kleinen Beutel Reis als Proviant mit, da die Gefahr eines Luftangriffes auf Hiroshima bestand. Das Essen sollte als Notfallration für eine Flucht in die Berge dienen, doch glaubte keiner so recht, dass uns das retten könnte. Schon einige Zeit fürchteten wir uns nun vor einem Angriff.
Da ich eine halbe Stunde vor den Männern meinen Dienst in der Bank beginnen musste, war es Zeit mich auf den Weg zu machen. Also verabschiedete ich mich von meinen Eltern und machte mich mit meinem Fahrrad auf den Weg in die Stadt. Wie üblich traf ich mich mit meiner besten Freundin Chiyoko an der Weggabelung und wir fuhren gemeinsam zur Arbeit. Als wir an den Reisfeldern vorbeikamen quakten die Frösche um die Wette. Zu dieser
Hochsommerzeit wurde die Froschplage immer Schlimmer und wir konnten nur hoffen, das sie die Ernte nicht zerstörten und damit das bisschen Nahrung das uns im Augenblick zur Verfügung stand. Da wir nicht sehr weit außerhalb wohnten, kamen wir schon bald in der Stadt an.
Kaum waren wir jedoch an meiner alten Schule vorbei, hörten wir einen lauten Alarm was mittlerweile an der Tagesordnung war. Ich blickte in den Himmel und sah ein großes Flugzeug über uns. Chiyoko und ich beeilten uns, um zu dem nächsten Bunker zu gelangen. Bestimmt eine halbe Stunde kauerten wir uns alle aneinander. Wie jedes Mal sah ich in die angsterfüllten Gesichter der kleinen Kinder. Ein Mädchen zitterte und weinte, also nahm ich es auf den Schoß und versuchte es zu beruhigen. Kurz darauf wurden die Sirenen stumm. Ein Glück, es war wieder nur ein falscher Alarm.
Wir begaben uns wieder auf die Straße und jetzt eilten wir schnell zu der Bank, damit wir den Arbeitsplatz noch säubern konnten, bevor unsere Kollegen kamen. Ich ging in den Abstellraum holte die Putzlappen und
zwei Eimer und füllte diese mit Wasser. Wir waren grade dabei die Arbeitstische zu wischen, als ich ein lautes Motorengeräusch hörte. Ich ging zum Fenster um zu sehen woher dieses Geräusch kam.
Doch alles was ich in diesem Moment sah, war ein grelles riesiges Licht das mich blendete. Wie Magnesium so hell leuchtete es und ich spürte wie meine Haut überall fürchterlich brannte, als stünde ich vor einem heißen Ofen. Ich drehte mich um, hielt die Hände vor mein Gesicht und ließ mich vor dem Fenster zu Boden sinken, so wie wir es oft geübt hatten.
Ich lag vielleicht ein paar Sekunden so auf dem Boden, als ich plötzlich einen ohrenbetäubenden Knall hörte. Chiyoko schrie laut auf und ich spürte wie das Haus erschüttert wurde. Sogleich wurde ich unter Beton und Holz vergraben. In diesem Moment dachte ich das sei das Ende und wartete auf meinen Tod, doch nichts geschah.
Anstatt zu sterben spürte ich wie mein ganzer Körper schmerzte.Durch tausende von Glassplittern, durch zerborstene Möbel und zerfetzte Bücher hindurch versuchte ich mich frei zu graben. So gelangte ich zu einer Bürotüre, die aus den Angeln gerissen, draußen auf dem Korridor lag. Ich rief panisch nach Chiyoko und hörte aus dem Nebenzimmer ein Wimmern und versuchte zu ihr zu gelangen. Nachdem ich sie endlich fand zog ich sie unter den Möbeln heraus. Sie humpelte, aber versicherte mir, dass sie sonst in Ordnung sei. Also stützte ich sie und wir versuchten aus dem Gebäude zu kommen.
Die Decken über uns bogen sich und drohten einzustürzen, also bemühten wir uns so schnell wie möglich einen Ausweg zu finden. Die komplette südliche Gebäudefront war zerstört. Überall waren die Fenster kaputt und wahllos verteilt lagen zerbrochene Möbelstücke. Durch die Haupttür kamen wir nach draußen und ließen uns auf die Eingangstreppe fallen.
Ich blickte mich um und alles was ich sah war ein Meer aus Flammen und nackten verbrannten Menschen und das was von ihnen übrig geblieben war. Diesen Anblick werde ich niemals vergessen. Das, was wir dort sahen war wirklich eine Stadt der Toten. Überall lagen Leichen. Die wenigen Menschen die uns entgegen liefen waren überall verwundet und ihnen hingen Hautfetzen am Körper.
Sie waren vollkommen entstellt und man konnte nur erahnen das es Menschen waren, sie vollkommen schwarz waren und man nur noch ihre Kontur erkennen konnte.
Von überall her hörte man Menschen um Hilfe schreien. Ich war vollkommen geschockt von dem Anblick der sich mir bot. Chioyko und ich sahen uns an und fingen beide augenblicklich an zu weinen, als uns bewusst wurde, was da passiert sein musste. Der lang erwartete Angriff war da, doch das was hier passierte war weitaus schlimmer, als wir es uns jemals ausgemalt hatten.
Der Himmel der noch vor wenigen Minuten blau gestrahlt hatte, war nun schwarz und wir hätten nichts sehen können, wenn nicht die gleißenden Feuerwände gewesen wären.
Mir war so fürchterlich heiß das ich zum Wasser wollte, um mich abzukühlen. Auch Chiyoko sagte die ganze Zeit das sie fürchterlichen Durst habe und das Gefühl habe ihr Körper würde vertrocknen. Mir fiel sofort der Fluss in der nähe ein, wo sich die Brücke befand. Wir schleppten uns mühselig Richtung Fluss, doch hatten wir keine Chance zu dem Wasser zu gelangen.
Das Ufer wimmelte nur so von Menschen die versuchten ins Wasser zu gelangen. Die wenigen Menschen die es schafften mit letzter Kraft in das Flussbett zu kriechen, wurden von anderen erdrückt und ertränkt die ebenso versuchten zum Wasser zu gelangen.
Wir waren so verzweifelt, das wir nicht wussten, was wir tun sollten. Weil wir keine Ahnung hatten was wir tun sollten, machten wir uns auf den Weg Richtung Norden. Wir versuchten uns weiter zu schleppen und nach Hause zu gelangen. Überall kamen verletzte Menschen hervor. Frauen und Kinder die weinten und schrien. Auf meiner rechten Seite stand ein vollkommen zerstörtes Haus von dem nur noch Trümmer über waren. Eine Frau kam aus den Trümmern auf uns zu und flehte uns an ihr zu helfen. Ich setzte Chiyoko ab und folgte der Frau.
Unter einem Dachbalken war ein toter Mann eingeklemmt, vermutlich ihr Mann. Ich hörte aus dem hinteren Teil der Hausruine ein Mädchen weinen. Die Frau zerrte mich in seine Richtung und gemeinsam bemühten wir uns das Kind unter den Vielen Beton- und Holzmassen zu befreien. Grade als wir es geschafft hatten und zurück auf die Straße stolperten, brach der Rest des Gemäuers unter der Last zusammen.
Ich half meiner Freundin wieder auf.
Wir machten uns gemeinsam mit vielen anderen verletzten Menschen auf den Weg, die alle versuchten aus der Stadt zu gelangen. Hinter den Reisfeldern auf einem Bauernhof, brachen wir vor Erschöpfung und Durst zusammen.
Da fing es plötzlich an zu regnen. Die Menschen um mich herum versuchten das Regenwasser mit den Händen aufzufangen und tranken begierig. Auch Chiyoko tat es Ihnen gleich. Doch ich war viel zu erschöpft und hatte keine Kraft mehr mich zu bewegen.

Schwarze dicke Tropfen vielen auf uns herab, als würde der Himmel um die vielen Menschen weinen.

Heute, viele Jahre nach dem 6.August 1945,weiß ich, was uns damals dieses Leid beschert hat. Auch meine Eltern starben während des Bombenangriffs.
Doch auch danach war es für uns noch lange nicht vorbei.
Unsere Familien und Freunde, so viele starben damals an den Folgen der Atombombe.Die Grausamkeit und das volle Ausmaß dessen, was da geschehen war wurde uns erst später bewusst.
Wir halfen damals in den provisorischen Einrichtungen der Krankenhäuser. Ich sah wie die Menschen leiden mussten, während ihre Körper langsam verfaulten. Was die Ursache dafür war, wurde erst viel später bekannt gegeben. Radioaktive Strahlung. Die Menschen starben qualvoll, weil sie zu nah am Einschlagort der Bombe waren, oder weil sie von dem schwarzen Regen tranken. Ich bin dankbar dafür, dass diese Erschöpfung mir damals das Leben gerettet hat. Für meine Freundin Chiyoko gab es allerdings keine Rettung mehr. Sie starb wenige Jahre nach dem Bombenangriff auf Hiroshima an Leukämie. Genauso wie viele andere Menschen.

Zwei Monate nach dem Bombenangriff kehrte mein Bruder Kazuya nach Hause zurück. Wenigstens er war mir noch geblieben, was ich damals nicht zu hoffen gewagt hätte. Der Krieg war vorbei und hatte so viele Opfer gefordert.

Heute ist Hiroshima wieder aufgebaut. Ich habe diese Stadt nie verlassen, zu viele Erinnerungen halten mich hier fest. Jeden Donnerstag sitze ich in dem Restaurant dieses Kaufhauses und trinke einen Tee. Man hat die ganze Stadt von hier oben im Blick. Ich beobachte die Menschen wie sie durch die Straßen eilen. Verliebte Pärchen, kleine Kinder die lachen und spielen. Alle leben unbeschwert und oft frage ich mich dann, ob ich das wirklich alles erlebt habe, denn es erscheint mir alles so weit weg.
Doch jede Nacht träume ich noch von den Menschen am Fluss, den Verletzten und den Hilferufen.

War das alles wirklich nötig gewesen um den Krieg aufzuhalten?


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Tag der Veröffentlichung: 03.08.2010

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