Bunt und Schön und Einzigartig.
«Nein.»
Ich stand da. Blinzelte. Verstand nicht, was er meinte.
Für einen Moment, einer viel zu kurzen Sekunde aus Hoffnung und Angst, glaubte ich tatsächlich, mich verhört zu haben. Er durfte das nicht sagen. Niemals. Oh Gott bitte, niemals!
«Was meinst du?» Ich hatte versucht stark zu klingen – hatte es wirklich versucht, mit all meiner Willenskraft und Macht und diesen Dingen, die ich nie gehabt hatte. Wen wollte ich auf den Arm nehmen? Meine Stimme war niemals stark genug gewesen, um auch nur ansatzweise selbstbewusst zu klingen.
Er biss sich auf die Lippe. Die Offensichtlichkeit seines Unbehagens machte die ganze Situation noch surrealer, noch viel, viel schlimmer – viel, viel wahrer.
«Nein. Ich will nicht mit dir gehen.» Er klang selbstbewusst und mitleidig. Stolz und trotzdem bedauernd. Er klang perfekt. Wie alle anderen. Nur ich nicht. Immer ich.
Es gab nur noch eins zu sagen – ein kleines Wort, das ich schon so oft lügen musste – immer wieder, wenn die so kurze, aber schöne Zeit meines Lebens endete, um Einsamkeit und Bitternis Platz zu machen. Ich musste es sagen, immer, wenn jemand sich wieder gegen mich entschied. Dennoch konnte ich es nicht. Nicht jetzt. Nicht sofort.
«Aber wir gehen doch schon miteinander», sagte ich also, dumm wie ich war, und zwang sogar ein beinahe überzeugendes Lächeln auf mein Gesicht. Ich konnte sehen, wie sich seine Augenbrauen in Irritation zusammenzogen, wie sich sein Bild von mir veränderte, als er dachte, ich hätte ihn wirklich nicht verstanden.
Ich war die Schlaue. Die Berechnende. Die Verstehende.
Niemals die Naive.
«Ja», meinte er langsam, plötzlich mit einem Kleinkind redend, anstatt mit der Person, die er für Monate wunderschön und einzigartig genannt hatte. Denn diese Monate waren vorbei, für immer, und würden niemals wieder zurückkehren. Das Kleinkind würde niemals mehr wunderschön und einzigartig sein, weil Kleinkinder das einfach nicht waren. «Ich möchte das beenden.»
«Was meinst du?»
«Beenden. Ich mache Schluss. Ich will nicht mehr mit dir zusammen sein.» Sein Tonfall hatte sich verändert – er war von irritiert und bedauernd zu genervt und wütend geschwungen. Jeder in seiner Situation hätte so reagiert; ich handelte absolut nervenaufreibend und unverzeihlich. Ich sollte ich selbst sein.
Dumm nur, dass ich das nicht sein wollte. Nicht allein.
Jetzt, in diesem Moment aufgesetzter Naivität, war ich nicht ganz so einsam, wie ich es in wenigen Minuten sein würde. Jetzt stand er noch bei mir – er sah mich an und hatte keine Möglichkeit mich zu ignorieren. Es war, als würde ich meiner kleinen, glücklichen Seifenblase beim Fallen zusehen und ihre Schönheit in mir aufsaugen, bevor sie den Boden erreichte. Denn jede meiner Seifenblasen würde den Boden erreichen.
Ich hätte alles dafür gegeben, sie für immer in der Luft zu halten.
«Warum?», fragte ich, immer noch lächelnd, immer noch spielend, immer noch hinauszögernd. Immer noch nicht allein.
Er schnaubte, verlor jegliche Traurigkeit und wohl jede Zuneigung, die er je für mich empfunden hatte. «Meine Fresse, du warst doch sonst nicht so blöd! Ich mag dich einfach nicht mehr, hast du das jetzt verstanden? Ich will endlich wieder frei sein! Du klammerst zu sehr, willst immer bei mir sein, lässt mich niemals allein!»
Ich schluckte. Ich konnte beinahe hören, wie meine Zeit vertickte, wie die letzte gnädige Sekunde verstrich und ich in die Realität zurückgeschickt wurde. Und wie immer wusste ich nicht, was ich damit anfangen sollte.
Realität war real. Real war das Gegenteil von einfach.
Es sollte nur ein einziges Mal einfach sein.
«Oh. Ach so.» Mein Lächeln war in dem Moment erloschen, in dem ich aufgab, es hinauszuzögern. Es machte keinen Sinn mehr.
Ich blinzelte einmal, schaffte es wie immer, meine Tränen zu unterdrücken und lächelte ihn jetzt ehrlich an. Traurig. Nur für einen Moment, bevor ich wieder spielen würde.
Er war ein weiteres Mal verwirrt. «Was?»
Ich kicherte und fand, dass es ein wenig hysterisch klang. Seltsam. Bis jetzt hatte ich noch nie gekichert, wenn es vorbei war. Das brachte mich wieder zum Lächeln. Er hatte jetzt auch etwas – ein erstes Mal, das nur ihm gehörte.
Die Erinnerung an ihn wiegte. Sie blieb. Weil ich ihn liebte, und, weil er es wert war. Weil er es immer wert sein würde. Genauso, wie die anderen.
«Es ist okay.»
Es war eine Halblüge, aber keine Halbwahrheit. Ich war nicht okay. Ich konnte mich nicht daran erinnern, okay gewesen zu sein. Ich war nur glücklich, dass ich glücklich sein durfte und dass es eine Seifenblase zum Fallen gab.
Er lächelte auch, sah nicht, wie meine Seifenblase zerplatzte und meine Augen brannten, sah nur, dass ich wieder die Alte war – die, die ich vor ihm gewesen war.
Die Belächelnde. Die Verzeihende. Die Befreundete.
Niemals die Traurige.
Als er ging, wusste ich, dass ich nicht zögern durfte und deshalb zögerte ich nicht. Als mich die anderen ansahen, wusste ich, dass ich lächeln musste und deshalb lächelte ich. Als ich die Cafeteria erreichte, wusste ich, dass ich essen musste und deshalb aß ich. Als mich meine Freunde sahen und lachten, wusste ich, dass ich spielen musste und deshalb spielte ich.
Denn ich war die unschlagbar Schlaue, unbrechbar Berechnende, Allesverstehende, immerzu Lächelnde, allen Verzeihende und zeitlos Befreundete.
Ich war niemals die Einsame.
Zerplatzt. Gebrochen. Durchsichtig.
Tag der Veröffentlichung: 24.05.2013
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Dem Jungen, der es wert ist, geliebt zu werden.
Dem Mädchen, das allein auf die Liebe wartet.