Akira lief etwas schneller und bog um die Ecke. Sie stockte. Folgte er ihr noch? Oder hatte sie es geschafft? Sie traute sich nicht, zurück zu sehen. Plötzlich, wie aus dem Nichts, stand er vor ihr. Sein Atem prickelte auf ihrer Haut und sie hielt die Luft an. Dann kam er näher, langsam aber bestimmt. Akira schrie auf, als seine warmen Zähne in ihre Haut drangen. Er hielt ihr den Mund zu. Sie schloss die Augen und hoffte, es würde bald vorbei sein...
Einige Jahre später...
Akira zog ihre Jacke über und steckte die Schlüssel in eine Tasche. Sie warf noch einen letzten Blick in die verlassene Wohnung und sah aus dem Fenster auf die Straße. Langsam zogen dort einige Autos vorbei. Ihre Augen weiteten sich kurz, als ein blauer Porsche vor dem Haus hielt. Schnell stopfte sie noch ein paar Sachen in die Tasche und nahm sie in die Hand. Akira seufzte hörbar. Sie wollte das nicht tun, nie wieder. Jahr für Jahr musste sie immer um die gleiche Zeit mit ihm wegfahren. In die Wälder von Hell's County genauergesagt. Dort trafen sie dann auf die anderen. Das es überhaupt mehrere ihrer Art gab, war schon erstaunlich. So eine abscheuliche Bestie zu sein, dass hatte eigentlich niemand verdient. Aber sie waren es eben. Niemand konnte ihnen helfen oder sie gar heilen, dass war unmöglich. Es ging sogar soweit, dass jedes Jahr neue Mitglieder dazu kamen. Akira machte diese Erkenntnis angst. Der Porsche hupte, was sie aus ihren Gedanken riss. Schnell zog sie die Tasche mit sich und schloss die Tür hinter sich ab. " bis zum Winter ", schnaubte sie leise und strich über die alte, knarrende und kaum noch schließende Tür ihrer Wohnung. Zum letzten mal für diesen Sommer stapfte sie durch das Treppenhaus. Es war verschmiert und dunkel. Überall waren Graffities an die Wände gesprüht, aber das störte Akira nicht. Sie verbrachte sowieso nur die kalten Tage hier, da musste sie kaum hindurch. Als sie an der Haustür ankam, atmete sie kurz durch und schloss die Augen. Sie öffnete sie wieder und trat nach draußen. Für einen kurzen Moment sog sie die frische Luft ein, doch dann sprang sie schon ins Auto. " Wo zum Teufel warst du? " " na das ist ja eine nette Begrüßung ", zischte sie und musterte Jaro argwöhnisch. Er hatte sich nicht verändert, aber das tat er ja nie. Seine blauen Augen blitzten unter den blonden Haaren hervor. Er lachte. Die spitzen Zähne kamen zum Vorschein. Akira sah weg. Warum musste er sich so offen zeigen? Hatte er keine Angst vor den Menschen? Fehlte nur noch, dass er seine Ohren offen zeigte und seine Ärmel hochkrempelte, damit man das Fell sah. Akira merkte, dass sie schon wieder so sauer reagierte. " Das war doch keine Absicht! Hey, sei nicht gleich wieder genervt. Aber wir sind dieses Jahr wirklich spät dran ", während er sprach, beobachtete er ihre Reaktion genau. Sie nickte nur leicht." Tut mir leid, du weißt doch, wie aufgeregt ich immer bin. " Jaro fuhr in vollem Tempo los. Er raste über die Straßen, aber niemand schien ihn wahrzunehmen. Das war auch eines der Dinge, die Akira so störte an ihrem Bestien-dasein. Das die sterblichen sie in ihrer Menschengestalt nicht sehen konnten. Es machte sie wütend, dass sie nur als " reißende Bestien " in Zeitungen und Büchern vorkamen. Natürlich jagten sie das Vieh der Bauern, aber nur um zu überleben. Menschen passten nicht in ihr Beuteschema. Nur die wenigsten Werwölfe machten Sterbliche zu ihren Opfern und das auch nur, wenn eine der " Bestien " durch Menschenhand gestorben war. Die Werwolfjagd war mittlerweile schon Tradition und eine Art Fest geworden. Akira bemerkte, dass sie Jaro immer noch anstarrte und wandte ihren Blick ab. Draußen flogen die Autos nur so an ihnen vorbei. Jaro war es immer wichtig, pünktlich zu sein. Er hasste es, der Rudelführer zu sein, aber trotzdem als letztes zu erscheinen. In dem Moment trat er das Gaspedal durch und Akira wurde unsanft durchgerüttelt. Nach einiger Zeit wurde es Akira langweilig. Die Fahrt war immer endlos. Ihr kam es vor wie einige Tage, obwohl es bei Jaros Tempo nur ein paar Stunden waren. " Sind dieses Jahr viele Neulinge dabei? " , fragte sie, gespannt auf Jaros antwort. Er nickte. " Ziemlich viele, mehr als die letzten Jahre. Es hat viele Werwolfmorde gegeben, also mussten auch viele Neue rekrutiert werden ", er lächelte leicht, als er ihren Blick sah. Sie mochte keine Neuankömmlinge. Es war sowieso schon ein Risiko, allein mit dem Rudel durch den Wald zu streifen und Nahrung zu finden. Dann noch die Jäger im Nacken und die Neuen, die noch von nichts eine Ahnung hatten. Akira zuckte genervt mit den Schultern und stöhnte: " und wir bekommen sie wieder in unsere Gruppe, oder? " Sie hoffte innerlich, dass Jaro "Nein" sagen würde. Aber er tat es nicht. Sie seufzte innerlich und stützte ihren Arm ab. Das Rudel war in fünf große Gruppen eingeteilt, die einzeln auf die Suche nach Nahrung gingen, den gesamten Sommer lang waren sie unterwegs und blieben immer zusammen. Sie mussten sich gegenseitig beschützen. Aber Jaro war einfach zu gutmütig, er konnte nicht nein sagen und so bekamen sie jedes mal die Anfänger in ihre Gruppe. Letztes Jahr hatten sie nicht viel zu fressen gefunden und hatten so fast den halben Sommer gehungert. Nur wegen dieser Neulinge. Akira dachte darüber nach, ob sie sich wohl dieses Jahr beherrschen könnte, im letzten nämlich wurde sie so aggressiv, dass sie fast einen der jungen Wölfe angegriffen hätte. Das durfte nicht passieren, denn sonst wurde sie vom Rudel verstoßen und allein durch den Sommer zu kommen, dass ist unmöglich für einen einzigen ihrer Art. Die Fahrt zog sich lange hin. Akira summte leicht zu einem Song im Radio mit. Jaro lächelte und drehte ihn lauter. Er mochte es, wenn Akira sang. Sie hatte so eine liebliche, beruhigende Stimme. Seit er sie verwandelt hatte, hielt sie meist abstand von ihm. Er war ihr nicht geheuer und die Tatsache, das er Rudelführer war, trug auch nicht gerade dazu bei, dass sie ihn mehr akzeptierte. Der Anführer eines Werwolfrudels war meist erbarmunslos und kaltblütig. Doch wenn man Jaro länger kannte, dann merkte man, wie sensibel er eigentlich war. Akira schätzte das an ihm und hatte mittlerweile nicht mehr so viel angst wie anfangs, als er sie gebissen hatte. Sie strich sanft über die Narbe an ihrem Hals. Sie zuckte zusammen, als Jaro sie am Arm berührte. " Alles gut bei dir? ", er musterte sie besorgt. " Ja, ja ich war nur .... in Gedanken ", antwortete sie immer noch etwas geschockt. Sorgenvoll sah er zu ihr rüber. Es gefiel ihm nicht, dass sie so an der Vergangenheit hing. Sie sollte sie vergessen, ihr neues Leben lieben und nicht einen Gedanken an diese abscheuliche Zeit verschwenden. Akira erinnerte sich nicht mehr an die Zeit vor dem Biss. Das war bei allen Werwölfen so, keiner kannte seine Familie und sie kannten Akira auch nicht mehr, ab dem Zeitpunkt an dem sie verwandelt wurde. Wie auch? Sie konnten sie ja nicht sehen. Akira verabscheute was sie war. Mit jeder Fähigkeit die sie dazu bekommen hatte, wuchs ihr Hass, aber nicht auf Jaro oder auf einen anderen Werwolf, sondern auf sich selbst. Sie hätte besser auf sich achten müssen und nicht einfach so alleine in jener Nacht herumschleichen sollen. Laut Jaros erzählungen, war ihre Kindheit nicht gut verlaufen. Ihr Vater hatte getrunken und die Mutter war wehrlos gewesen. Ihre acht Geschwister und sie waren oft ganz allein. Sie war abgehauen in dieser Nacht und da hatte Jaro sie erlösen wollen. Er konnte ja nicht wissen, dass es für sie eher ein Fluch sein sollte, ihr Dasein bis ins unendliche als Werwolf zu fristen, als bei ihren Eltern und Geschwistern zu leben. Akira hauchte gegen die Autoscheibe und malte einen kleinen Wolf hinein. Dann sah sie raus. Die unterschiedlichen Landschaften faszinierten sie schon immer. Berge, Wiesen, Flüsse, Wälder, alles zog an ihr vorbei. Sie beobachtete einige Vögel, die vorbei flogen. Jaro blickte sie immer noch besorgt an, wenn er gerade nicht auf den Verkehr achtete. Akira dachte an die Ferienhütte mitten in den Wäldern, die sie ansteuerten. Sie konnte sich kaum noch daran erinnern, aber trotzdem freute sie sich sehr darauf. Sie mochte auch die anderen Werwölfe. Allerdings fände sie es schöner, sich einfach nur mit ihnen zu treffen, sie hätte ruhig auf das jagen in den Gruppen verzichten können. Es störte sie nicht, dass sie in ihrer Wolfsgestalt in erscheinung trat, oder das sie mit anderen Wölfen Tiere tötete. Die Menschen waren ihr Problem. Sie gingen jedes Jahr auf die Suche nach den Werwölfen und fingen sie. Sie forschten erst an ihnen und wenn sie fertig waren, dann wurden sie zu Trophen an den Wänden der Reichen gemacht. Akira hatte eine unglaubliche Wut auf sie. Niemand konnte etwas dafür, wenn er in einen Werwolf verwandelt wurde. Es war ja nicht so, als würden sie das freiwillig machen. Wer würde sich denn in den Hals beißen lassen, nur um einige Wochen später als haariges Monster sein Unwesen zu treiben? Unsterblich zu sein, machte das ganze auch nicht gerade besser. Akira wusste kaum mehr, welches Jahr sie schrieben. Sie hatte großes Glück gehabt, dass Jaro einen " être cher " kannte, so nannten sie die Werwölfe, die von Menschen gesehen wurden. Sie mussten sich nicht im Sommer verwandeln, sondern konnten es kontrollieren. Wenn sie wollten, dann unterdrückten sie es auch ganz. Es waren die einzigen, die Menschen und Werwölfe sehen konnten. So hatten sie natürlich einen guten Kontakt zur Außenwelt und verkauften meist Wohnungen oder Autos an Werwölfe. Akira hatte eben von genau so einem ihre Wohnung bekommen. Sie war dankbar dafür, denn die einzige andere Option, wäre ein leben unter der Brücke gewesen.
Texte: Alicia W.
Tag der Veröffentlichung: 30.04.2012
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