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Ein stiller Beobachter

Das kleine Mädchen mit dem Weidenkorb und der roten Kappe hüpfte munter und vergnügt über die Waldwiesen. Immer wieder blieb sie stehen, um mit der freien Hand die Blumen zu pflücken, die sie nacheinander in ihrem Weidenkorb zu einem großen, schönen Strauß zusammen steckte. Das Rascheln im Gebüsch bemerkte sie zunächst nicht.

Das Kind blieb kurz stehen, um eine besonders schöne Blume in Augenschein zu nehmen. Sie überlegte so sehr, ob sie sie pflücken oder stehen lassen sollte, dass sie nicht bemerkte, wie hinter ihr zwischen den Sträuchern graues Fell aufblitzte. Das Tier, das das Kind mit der roten Kappe beobachtete, drückte sich fest auf den Boden, behielt sie im Blick, ohne zu blinzeln. Seine rote Zunge fuhr über die Lefzen des halb geöffneten Mauls. Das Tier schlich näher, ohne ein weiteres, verdächtiges Geräusch zu machen. Es spannte alle Muskeln im Körper an, ließ seine großen, weißen Zähne aufblitzen und schnellte aus dem Gebüsch!

Der Jäger

 "Fluffy! Nein! Hör auf! Aus!"

 Rotkäppchen hätte wissen müssen, dass er es mal wieder war. Gerade mal zehn Monate alt und schon der dümmste Wolf aller Zeiten! Der flauschige, zappelnde Welpe hat sich in den Korb verbissen. Er stieß helle Töne aus, die wohl so etwas wie ein Hilferuf sein sollten. Rotkäppchen verdrehte die Augen.

"Du musst die Zähne auseinander machen, Fluffy!" Um es ihm etwas zu verdeutlichen, machte sie den und mehrmals auf und zu, wobei sie jedes Mal ihre Zähne laut aufeinander klappen ließ, doch der kleine Wolf verstand es nicht. Schon hatte er ein Loch in den Korb gerissen und kugelte sich zwischen Blumen und Kuchenstücken auf der Wiese.

Bevor er sich erneut auf irgendetwas stürzen konnte, hatte Rotkäppchen den Korb wieder aufgehoben. Sie baute sich vor Fluffy auf.

"Sieh dir an, was du angestellt hast! Den Kuchen wollte ich meiner Großmutter geben, die stark erkältet im Bett liegt! Und was soll ich ihr jetzt geben!"

Der Welpe legte den Kopf schief und sah sie mit einem Welpenblick an.

"Jetzt schau nicht so. Was machst du eigentlich hier? Musst du nicht bei deinem Rudel sein? Die machen sich bestimmt wieder Sorgen."

Nun sah der kleine Wolf schuldbewusst auf seine Pfoten.

Rotkäppchen wollte noch etwas hinzufügen, doch da hörte sie eine Stimme. Und Schritte. Schwere Schritte.

"Der Jäger!" Sie hob schnell den Korb auf. "Fluffy, verstecke dich! Er darf dich nicht entdeckend!"

Fluffy lief mehrmals aufgeregt im Kreis, raste dann auf den Wald zu, krachte mit dem Kopf gegen einen Baumstamm und verschwand so laut es nur ging, im Gebüsch.

Rotkäppchen ließ ihre flache Hand gegen ihre Stirn klatschen. "Du bist echt der blödeste Wolf, den ich kenne."

 

Der Jäger hielt inne, sein Gewehr im Anschlag. Er hatte etwas gehört.

Das musste einer von ihnen sein! Einer dieser pelzigen Ungeheuer! Diese widerlichen Viecher, die ihn zu jeder Zeit mit ihrem albernen Gejaule nerven, diesem Heulen. Diese Biester, die dafür verantwortlich waren, dass die Anzahl des zu schießenden Wilds stark begrenzt wurde, was wiederum seinem Beruf als Jäger nicht gut kam. Diese Monster mit den scharfen Zähnen, die, obwohl sie seine Einkünfte stark dezimierten, von allen, wie Helden gefeiert werden, nur weil sie zufällig vor einhundert Jahren schon einmal die Wälder hierzulande unsicher gemacht haben.

Der Jäger verzog seine dicken Backen zu einem hämischen Grinsen. Nun hatte er endlich die lang ersehnte Gelegenheit, allen zu beweisen, wie bösartig diese Raubtiere in Wirklichkeit waren! Das Gesetz verbot zwar, eines dieser "ach so seltenen, putzigen Tierchen" zu erlegen, aber er hatte Beziehungen. Wenn er auf Notwehr plädierte, würde ihm jeder glauben.

Der Jäger horchte. Neben dem grässlichen Quieken dieser Kreatur hörte er auch etwas anderes. Ein hoher, melodischer Klang.

Die Stimme eines Kindes.

Sein Herz schlug schneller. Er musste etwas unternehmen! Er musste dieses unschuldige, hilflose Kind aus den Klauen der Bestie befreien!

Er fasste seine Waffe fester und stürmte mit einem Tarzanschrei auf die Wiese zu.

 

"Wo ist er?"

Rotkäppchen starrte den Jäger wortlos an. Jeder wusste, dass er ein wenig verrückt war, aber das hier war...unerwartet.

"Wen...meinen Sie?", fragte Rotkäppchen etwas schüchtern nach, in der Hoffnung, dass Fluffy schlau genug war, sich aus dem Staub gemacht zu haben.

"Die Bestie! Das Grauen des Waldes! Isegrim!" Bei jedem Wort richtete der Jäger seinen Gewehrlauf in eine andere Richtung.

Rotkäppchen war verwirrt. "Verzeihen Sie bitte, Herr Jäger, aber ich habe hier keine Bestie gesehen."

"Natürlich hast du das nicht, Rotkäppchen. Sonst würdest du auch nicht so gesund und munter sein!"

Rotkäppchen war sich nun sicher, dass der Jäger nicht mehr alle Tassen im Schrank hatte.

"Ähm...wie sieht denn das Ungeheuer aus?" Ob so ein furchterregendes Wesen wirklich hier lebte?

"Es ist groß, geradezu riesig, hat struppiges, schwarzbraunes Fell, glühende Augen und messerscharfe Krallen, die lieben gerne kleine Kinder zerfetzen!" Der Jäger starrte mit seinem Gewehr in den Wald. "Und es schlägt immer zu, wenn man es am wenigsten erwartet!"

Also gut, er kann schon mal nicht Fluffy oder einen anderen Wolf meinen!

"Also, gib auf dich Acht, Rotkäppchen! Hier treiben sich wilde Gestalten herum!" Mit diesen Worten und einem wachsamen Habichtsblick verschwand der Jäger rückwärts durch die Büsche.

Rotkäppchen zuckte mit den Schultern. Sie musste weiter zu ihrer Großmutter.

Vermisster Welpe

Sie suchten ihn schon den ganzen Tag.

Ein Jährling war bei den anderen Welpen geblieben, um zu verhindern, dass sie ebenfalls Reißaus nahmen, während sich die anderen aufgeteilt haben, um den Verschwundenen schneller zu finden. Immer wieder riefen sie ihren Welpen, jedoch ohne Erfolg.

Die Wolfseltern waren sich inzwischen sicher, dass ihr Sohn sie ärgern wollte. Er war ausgerissen, um sein eigenes Abenteuer zu erleben, weil er gereizt war, dass er alleine nicht aus der Höhle raus durfte. Ganz einfach Welpenlogik.

Schließlich durchströmte ein Schwall an Erleichterung den Vater, als er die Duftspur seines Sohnes an einem Farn entdeckte. Mit kurzem Bellen rief er die anderen Wölfe zu sich.

Fluffy war in die Nähe einer Menschenhütte gezogen. Er hatte sich diesesmal wirklich etwas Verrücktes in den Kopf gesetzt.

Die Suche würde sich wohl noch eine ganze Zeit lang hinziehen!

Eine einsame Großmutter

Die alte Frau saß in ihrem Bett und polierte ihr Florett.

Sie hätte die Waffe auch im Stehen poliert, doch wegen dieser dummen Erkältung war sie leider an die Decken und Kissen ihres Bettes gefesselt und musste ihre Putzarbeit nach dort verlegen. 

Während sie mit dem Poliertuch langsam über die schlanke Klinge fuhr, versank sie in Träumen von den Fechtmeisterschaften, die sie in Serie gewonnen hatte. Die Medaillen hingen alle geordnet und glänzend an der Wand, direkt neben den beiden Fechtwaffen, die sich an der Wand kreuzten. Nun hing dort nur noch eine, da die andere sich wie gesagt gerade in der Reinigung befand.

Die Besitzerin dieser beiden Prachtexemplare langweilte sich. Sie erinnerte sich noch gut daran, wie sie in ihrer Jugend einen Gegner nach dem anderen entwaffnet hatte, wie stolz ihre Eltern waren, eine so engagierte Sportlerin als Tochter zu haben, wie ihr schon verstorbener Ehemann immer mit einem eisernen Brustpanzer geschlafen hat, weil er fürchtete, dass sie schlafwandeln und ihn erstechen könnte, wie sie letzte Woche während eines bewaffneten Banküberfalls den Kriminellen mit einem Regenschirm entwaffnet hatte und dafür in die Zeitung gekommen war...

...ach, was waren das nur für Zeiten!

Ihre Gedanken wurden von einem heftigen Niesen unterbrochen. Diese Erkältung würde ihr noch sämtliche Nerven rauben! Man konnte nicht einmal in Ruhe träumen!

 Ein plötzliches Geräusch ließ die Frau aufhorchen. Ob das ihre Enkelin Rotkäppchen war? Sie wollte sie besuchen und ihr Kuchen vorbei bringen. Die Großmutter hatte noch versucht, ihre Enkeltochter dazu zu überreden, noch eine Flasche Wein mitzunehmen, diese hatte ihr aber mit einem umfangreichen Vortrag über die negativen Auswirkungen von Alkohol den Appetit verdorben.

Die Tür ging auf.

Doch es war nicht Rotkäppchen.

Tumult im Haus

Fluffy starrte mit großen Augen in den Raum.

Seine Zunge hing ihm seitlich aus dem Maul, er hechelte. Mit großen Augen starrte er auf das menschliche Wesen, das im Nachthemd mit einem frisch polierten Florett vor ihm stand.

Die Großmutter hatte einen Einbrecher erwartet. Doch als sie nun das Tier auf der Schwelle sah, steckte sie ihre Waffe sofort zurück.

"Na, wer bist du denn?"

Der kleine Wolf starrte sie an, ohne zu antworten, schließlich konnte er nicht mal reden. Die alte Frau kniete sich vor dem Welpen hin. "Suchst du deine Mama? Du hast sie sicher verloren, oder?"

Der Welpe blinzelte ein paar Mal.

In den Augen der Großmutter blitzte Erkenntnis auf. "Natürlich. Du bist der kleine Wolf, der meiner Enkelin immer hinter läuft. Du hast sicher gedacht, sie hier zu finden, nicht wahr?"

Das Tier sah sie immer noch an, doch schließlich schloss es das Maul wieder.

"Ja, Rotkäppchen ist noch nicht da, aber ich glaube, sie müsste bald auftauchen. Fluffy war dein Name, richtig?"

Fluffy legte den Kopf schief.

Die alte Frau wollte noch etwas sagen, da hörte sie Schritte.

"Das muss Rotkäppchen sein. Musst du denn nicht zurück zu deiner Familie? Die machen sich sicher Sorgen um dich."

Fluffy schnupperte. Zuerst trat er mit den Pfoten unruhig auf der Stelle. Dann legte er die Ohren an.

"Na, was hast du denn, mein Kleiner?"

Mit einem Jaulen floh der Wolfswelpe aus der Tür.

Die alte Frau blieb einen Moment verwirrt stehen. Wölfe waren wirklich seltsame Tiere.

Da hörte sie schwere Schritte. Zu schwer um von ihrer zierlichen, kleinen Enkelin zu stammen.

 

"War er hier?"

"Wer?" Der Jäger sah die Großmutter, die sich wieder in ihr Bett eingemummelt hat. In ihrer Hand schien sie einen frisch polierten Metallgegenstand zu halten.

"Das Monster!", zischte der Jäger mit angehaltenem Atem und sah sich mit seinen Habichtsaugen um. "Ich dachte, ich hätte einen Schatten hinein laufen sehen."

Die alte Dame im Bett sah den Fremden skeptisch an. "Das einzige Monster hier steht mit einer Schrotflinte in der Tür. Also verlassen Sie bitte sofort mein Haus!"

Der Jäger hatte sie nicht gehört, oder tat zumindest so.

"Die Bestie war hier. Genau hier! Dies ist meine Gelegenheit, sie ein für alle Mal auszuschalten."

"Fühlen Sie sich nicht wohl? Vielleicht sollten Sie zu einem Arzt gehen." Der Mann machte einen relativ verstörten Eindruck. Als würde er sich verfolgt fühlen.

"Er muss hier irgendwo sein..."

Die Großmutter wollte noch etwas sagen, als die Tür ein weiteres Mal aufging.

 

"Guten Tag, Großmutter..." Rotkäppchen wollte noch etwas hinzufügen, als sie den Jäger sah. "Guten Tag", sagte ihr Mund. Ihre Augen sagten: "Was macht der Verrückte denn hier?"

"Psst!" Der Jäger drehte sich langsam im Kreis. "Das Biest muss hier noch irgendwo sein."

Rotkäppchens Augen weiteten sich, als sie im Fenster hinter dem Jäger graues Fell aufblitzen sah. Dieser dämliche Wolf war doch nicht etwa...

Mit einer hastigen Handbewegung versuchte sie, ihren tierischen Freund dazu zu bringen, sich zu ducken, was lediglich den Erfolg aufwies, dass er sich weiter hinaus beugte.

"Ich wiederhole mich nur ungern." Großmutters Stimme hörte sich wütend an, was kein gutes Zeichen war, "verlassen Sie sofort mein Haus!"

In dem Moment entdeckte der Jäger seine Bestie.

 

Das Monster im Spiegel

"Fluffy, duck dich!"

Wollte Rotkäppchen rufen. Doch um diese Warnung auszusprechen, geschahen zu viele Dinge auf einmal.

Der Jäger wirbelte mit seinem Gewehr herum, wobei der Lauf mehrere von Großmutters Medaillen umriss. Großmutter war, was ihre Medaillen anging, sehr empfindlich, also zückte sie das Florett, das sie soeben noch poliert hatte und entwaffnete den Jäger mit einem gezielten Stich. Das Gewehr fiel scheppernd zu Boden und der entwaffnete Mann spürte die Spitze von Großmutters Florett an seinem Hals.

"Jetzt reicht's aber, junger Mann!", zischte diese ihn mit zusammen gebissenen Zähnen an. Rotkäppchen ging einen Schritt zurück und drückte ihrer Großmutter die Daumen. Fluffy glotzte auf die Szene wie...wie ein Wolfswelpe eben.

Dem Jäger schlotterten die Knie. Auch wenn die Großmutter eine vom Schnupfen gerötete Nase hatte, hörten sich ihre Worte bedrohlich an. "Ich bin schon mit ganz anderen Großmäulern fertig geworden. Verlassen Sie jetzt mein Haus!"

Der Jäger wirkte verwirrt. Er schien nicht zu verstehen, wieso seine aufopferungsvolle Hilfsbereitschaft ihm derartig gedankt wurde. "Aber...das Monster...es ist da draußen!"

Rotkäppchen trat einen weiteren Schritt zurück. Sie war zwar gespannt darauf, wie ihre Großmutter reagieren würde, dennoch hatte sie gelernt, vor ihren Fechtkünsten Respekt zu haben.

"Da draußen ist ein kleines Wolfsbaby, das nicht einmal richtig zubeißen kann! Wenn Sie eine derartige Angst vor diesem Fellball haben, können Sie auch gleich vor Ihrem eigenen Schatten davon laufen!"

In ihren Worten lag ein Tonfall, dem man einfach nachkommen musste. Rotkäppchen musste lächeln. Ihre Großmutter war eine starke Frau. Somit ließen ihre nächsten Worte jedem Hörer einen Schauer über den Rücken laufen, selbst dem kleinen Wolf vorm Fenster, der kein Wort verstand.

"Das einzige Monster hier im Raum sind Sie, werter Herr!" Die Großmutter verstärkte den Druck ihrer Florettspitze ein wenig. "Drehen Sie sich um!"

Der Jäger schluckte. Er konnte nicht anders, als der Aufforderung nachzukommen. Er folgte dem Druck, den die alte Dame mit ihrer Waffe vorgab, bis er in einen großen Wandspiegel blickte.

"Dort sehen Sie Ihre viel gesuchte Bestie, junger Mann! Eine der Schlimmsten, die jemals auf dieser Erde gewandelt sind. Ein Vertreter des gefährlichsten Raubtiers aller Zeiten. Der einzigen Spezies, die grundlos töten kann und gleichzeitig andere Arten als böse und gefährlich einstuft, die nicht grundlos töten. Die einzige Spezies, die sich für intelligent hält und gleichzeitig so viele unintelligente Dinge tut, wie kein anderes Lebewesen. Wenn Sie mit diesem Monster fertig geworden sind, können Sie sich den anderen zuwenden. Und nun verlassen Sie mein Haus und kommen Sie nie wieder zurück!"

Die Rede hatte ihn getroffen. Sie hatte ihn tief getroffen. Mit steifen Schritten drehte sich der Jäger um und verließ das Haus. Seine Schrotflinte fand an diesem Tag einen Platz in der Trophäensammlung von Rotkäppchens Großmutter.

 

Wolfsfamilie

Fluffy hatte kaum etwas von den Vorgängen zwischen den Menschen in dem Haus verstanden, dennoch hatte er realisiert, dass er soeben in ein großes Abenteuer verwickelt worden war, das er wahrscheinlich nie wieder erleben würde. Sein kleines Wolfsherz tat einen freudigen Hüpfer. All diese Aufregung, all diese Erlebnisse, er würde sicher noch nächtelang davon träumen. Er nahm sich vor, Rotkäppchen öfter aufzulauern. Mit ihr konnte man die tollsten Sachen erleben!

Der Welpe wollte sich wieder voller Neugier ins Haus der alten Menschenfrau begeben, als er die strengen, zornigen Blicke auf seinem Pelz spürte, die ihm vom Wald aus zugeworfen wurden. Mit angelegten Ohren und eingekniffener Rute drehte er sich um und sah schüchtern zu seinen erwachsenen Rudelmitgliedern hoch. Allein ihr Blick reichte aus, um jegliche Euphorie in Luft auflösen zu lassen. Mit hängenden Ohren tappte der Welpe zu ihnen, um sich von seinen Eltern in die Mitte nehmen zu lassen. Währenddessen stolperte er über jeden Ast und jeden Stein auf dem Weg, über den ein Welpe wie er nur stolpern konnte.

Rotkäppchen war nicht die Einzige, die ihn für den blödesten Wolf weit und breit hielt. Es würde seinen Rudelgefährten für immer ein Rätsel bleiben, wie sich ein vernünftiges Tier im Vollbesitz seiner geistigen Fähigkeiten nur in die Nähe eines Menschenhauses wagen kann! Sie würden ihm noch einmal eine lange Unterrichtsstunde über Beobachtung und Vorsicht halten müssen!

Freundschaft

 "Fluffy ist vielleicht der blödeste Wolf der Welt", erzählte Rotkäppchen ihrer Großmutter, "aber ich glaube, er ist auf gewisse Weise doch schlauer als manche Menschen."

Ihre Großmutter lud ihr, während sie redete, noch ein großes Stück Kuchen auf den Teller. "Auf eine gewisse Weise werden Tiere immer klüger sein, als wir Menschen. Sie scheinen einfach etwas zu wissen, was wir schon lange vergessen haben."

Großmutter lächelte, als sie diese Worte hörte. "Ja, das tun sie sicher. Du darfst aber nicht vergessen, dass Fluffy noch ein Welpe ist. Tierkinder benehmen sich manchmal etwas seltsam. Genauso wie Menschenkinder müssen sie erst lernen, was normales Verhalten ist, und was nicht."

Rotkäppchen ertappte sich, wie sie zum Fenster in den Wald hinaus blickte. "Normalerweise gehen Wölfe Menschen aus dem Weg, stimmt es, Großmutter?"

Großmutter lächelte. "Wölfe und Menschen sind sich in vielen Dingen sehr ähnlich, aber trotzdem werden sie immer anders sein, als wir. Sie leben im Wald, wir in Häusern. Sie jagen ihr Essen, wir kaufen es im Supermarkt. Aber eins werden Menschen und Tiere immer teilen. Es ist tief in uns drinnen." Damit legte Großmutter ihre Hand auf die Stelle, wo ihr Herz lag.

Rotkäppchen sah zu ihr. "Meinst, du, ich und Fluffy könnten für immer Freunde bleiben?"

"Ihr könnt euch vielleicht nicht ewig um Weidenkörbe streiten", sagte Großmutter mit einem Lächeln auf dem Gesicht, "aber etwas in euch wird euch beide immer verbinden. Und ich bin sicher, wenn Fluffy eines Tages älter, vernünftiger und klüger ist, wird er froh sein, eine Freundin, wie dich gehabt zu haben."

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 29.12.2014

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Dieses Buch widme ich allen, die Fluffy und seine Artgenossen genauso sehr lieben, wie ich und hoffen, dass auch bald mehr Menschen ihre Vorurteile überwinden werden. Und natürlich auch allen, die das Lesen lieben.

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