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Das Geschenk

Es lag auf dem Tisch, neben dem herunter gebrannten Adventskranz, halb von zerrissenem Geschenkpapier verborgen. Genau da, wo ich es hingelegt hatte.

Heiligabend war nun vier Tage her, ich habe alles soweit es ging, aufgeräumt und während sich die Leute um mich herum vom Weihnachtsstress erholten und zuversichtlich mit unzähligen unerfüllbaren Vorsätzen aufs neue Jahr blickten, lag dieses eine Geschenk immer noch ungeöffnet auf dem Tisch, auf dem ich es abgestellt hatte.

Öffne es doch einfach. Dann hast du es hinter dir!

Ich setzte mich an den Tisch und zog das Päckchen näher zu mir rüber. Es war ziemlich schwer. Während ich es in die Hand nahm, versuchte ich, keinen weiteren Blick auf den Absender zu werfen. Die unzähligen Male, wo ich diesen Namen wie hypnotisiert angestarrt habe, waren bei Weitem genug.

Die große, rote Schleife des Päckchens winkte einladend zum Öffnen. Ich strich mit den Fingerkuppen über den weichen Stoff. Sollte ich? Sollte ich nicht?

Es ist doch nur ein Geschenk. Ein Weihnachtsgeschenk.

Aber ein Geschenk von...

Nein! Ich schob es entschlossen wieder zurück. Ich durfte nicht einmal an diese Person denken! Nicht nach allem, was passiert ist!

Aber vielleicht ist es auch eine Art Wiedergutmachung. Eine Entschuldigung für das, was vergangen war.

Als ob sich...diese Person...jemals auf diese Weise bei ihr entschuldigen würde!

Ich sollte das Päckchen einfach in die Mülltonne werfen, dann wäre ich das Problem ein für alle Mal los.

Ich stand auf und nahm es entschlossen in die Hand. Ich stellte mir in allen Details vor, wie ich den Deckel der Mülltonne hob, das kleine, hässliche Ding hinein fallen ließ, wo es zwischen Hänchenverpackungen und Bananenschalen einige hübsche Fettflecken abbekommen würde, bevor ich den Deckel zufallen ließe und es somit für immer aus meinem Leben verbannt wäre.

Doch als ich die Haustür öffnen wollte, um zur Mülltonne zu gelangen, konnte ich es nicht.

Werfe das Geschenk doch einfach weg! Dann hast du es erledigt!

Aber wenn es doch nicht war, was ich dachte?

Menschen können sich ändern. Menschen ändern sich ständig. Vielleicht war dies eine dieser Änderungen. Ein positiver Charakterzug. Eine kleine, weihnachtliche Geste.

Bei diesem...Menschen! Nein, das konnte ich mir nicht vorstellen!

Aber warum warf ich dann das Geschenk nicht einfach weg?

Die Antwort war simpel. Weil ich tief in meinem Herzen glaubte, dass in diesem Paket mit der kitschigen, roten Schleife doch noch etwas Ansehnliches verborgen war, das man Weihnachten verschenken konnte, ohne einen Wutanfall herauf zu beschwören.

Ich spürte meine Hand an der Schleife. Mit einem Mal kam die Neugier wieder hervor, dieses kindliche Gefühl, wenn man vor einem Weihnachtsgeschenk sitzt und gespannt ist, welche wundervolle Überraschung die Verpackung wohl beinhaltet. Auch wenn es vom Teufel höchstpersönlich geschickt wurde, war es immer noch ein Geheimnis, das gelüftet werden wollte.

Ich fasste die beiden Bandenden an. Ein kräftiger Ruck würde genügen. Ich könnte immer noch voller Entsetzen aufspringen und die Flucht ergreifen.

Öffne mich!, schien mir das Geschenk zuzuflüstern.

Langsam nahm ich die beiden Schleifenenden zwischen die Finger. Fast wie in Zeitlupe konnte ich beobachten, wie sie langsam auseinander glitten, wie die Schlaufen kleiner wurden und auf den Knoten zugezogen wurden. Ich sah wie sich der Stoff unter dem Zug spannte, bis sich die Schleife schließlich vollständig löste und...

 

MUHAHAHAHAAA!!!

Ich stand mit wild klopfendem Herzen an der Wand, den Stuh habe beim Aufspringen zurück geschleudert. Aus dem Päckchen war eine Plastikpuppe in Weihnachtsmannmantel mit einem roten Dämonengesicht empor geschnellt, deren mechanisches Lachen langsam verklang, während sie auf der Sprungfeder hin und her wippte. Ein Zettel klebte an ihren Händen.

Merry Christmas

Ich atmete tief durch. Ich wusste, dass so etwas Ähnliches passieren würde. Toby würde erkennen, dass ich mich erschrocken habe, so wie ich mich jedes Mal bei seinen dämlichen Weihnachtsgeschenken erschrecke.

"Kleine Brüder sind echt eine Plage", seufze ich und packe das gruselige Weihnachtsspielzeug in den Plastikmüll.

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Tag der Veröffentlichung: 18.12.2014

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