Himmelpfote schnappte die Elster im Sprung und landete federnd fast ohne Geräusche auf dem weichen Boden, der schon mit vielen Blumen in voller Blüte stand.
„Guter Fang!“, flüsterte ich ihr zu. Himmelpfote war von uns die beste Jägerin und hatte auf unserem ersten gemeinsamen Ausgang ohne Mentoren schon ihren zweiten Vogel erlegt. Graupfote kehrte gerade mit einem Eichhörnchen zurück. Ich hatte eine dicke Wühlmaus neben Himmelpfotes Buchfinken verbuddelt. Wir waren auf unserer Jagdtour immer näher an die Territoriumsgrenze und den Zweibeinerort geraten. Natürlich war dies keineswegs ein Zufall. Jedoch war unsere Zeit begrenzt, da wir vor Mittag ins Lager zurückkehren mussten und unsere Mentoren keinen Verdacht schöpfen durften.
Der Waldrand kam in Sicht.
„Wollen wir?“, fragte Graujunges zögernd.
„Deswegen sind wir hierher gekommen“, erinnerte Himmeljunges ihn. „Fuchsstern und Eichenblitz haben jedenfalls nichts über eine zweite Vormittagspatrouille in diese Gegend gesagt.“
„Denkst du nicht, dass man zwischen dem ganzen Moos etwas überhören könnte?“, mischte sich mein Pessimismus wieder nach oben.
„Regenpfote, wollen wir Licht ins Dunkle bringen oder die Pfoten still halten?“
„Licht ins Dunkle bringen.“
„Und folgt niemand“, miaute Graupfote, der soeben den Wald nach anderen Katzen untersucht hatte. „Wir haben aber dennoch nicht viel Zeit.“
Geschlossen gingen wir über das freie Feld auf den Zweibeinerort zu.
Ich rümpfte die Nase. „Hier stinkt es nach Monstern! Wie sollen wir da die Spur von Katzen aufnehmen?!“
„Wenn wir dem SternenClan glauben, werden sie unsere Spur aufnehmen“, erinnerte sie Graupfote.
„Bis dahin können wir nicht warten“, erinnerte ich ihn. „Die Kätzin, die wir in den Bergen antrafen, sagte uns, wir würden sie an einem anderen Ort finden.“
„Schaut mal!“ Himmelpfote nickte in Richtung Zweibeinerort. „Ich glaube, das Hauskätzchen dort drüben kommt direkt auf uns zu.“
Ich sah zu der zierlichen Kätzin, deren helles Fell schon von weitem leuchtete ihr helles Fell. Auch von einem anderen Platz sah ich einen braunen Kater mit leicht zerzaustem Pelz auf uns zukommen. Die Katzen wirkten neugierig.
„Hallo“, begrüßte uns der Kater zaghaft, wahrscheinlich ein Einzelläufer. „Seid ihr aus dem Wald? Ich habe euch noch nie zuvor gesehen.“
„Ja. Ich bin Regenpfote. Das sind Himmelpfote und Graupfote“, stellte ich uns vor. „Wir wollten kurz…“
„Uns über die fremden Katzen ausfragen?“, erriet das Hauskätzchen. „Ich habe mich schon gefragt, wann ihr das nächste Mal bei uns vorbei schaut.“ In ihrer Stimme lag etwas Hochnäsiges, als hätte sie das voraus gesehen.
„Wirklich?“, fragte Himmelpfote. „Habt ihr denn etwas herausgefunden?“
„Sonst würden wir doch nicht so auf euch zukommen“, entgegnete der Kater. Er wedelte mit dem Schweif. „Kommt, das wird euch sicher interessieren.“
„Er will immer die Führung übernehmen“, miaute uns die Kätzin zu. „Genau wie ich.“
Ärgerlich zuckte der Kater mit dem Ohr, ließ sich ansonsten jedoch nichts anmerken.
„Schon gut“, miaute Graupfote. „Wir sind schließlich nur Gäste.“
„Gerne.“ Im Lauf drehte er sich erneut zu uns um. „Ich heiße übrigens Flecken. Und das ist Sally.“
Sally und Flecken waren auf unseren Besuch vorbereitet gewesen. Und nicht nur sie. Ein etwas pummeliger, brauner Kater mit weißem Bauchfell gesellte sich bald zu uns.
„Hallo, Sally. Hallo, Flecken. Habt ihr sie gefunden?“
„Fast“, miaute Graupfote. „Wir sind ihnen entgegen gekommen.“ Wir stellten uns der Reihe noch vor.
„Seid gegrüßt. Ich heiße Wumm.“
„Was gibt es denn nun so Neues?“, fragte Himmelpfote dringlich. Mir wurde wieder bewusst, dass wir eigentlich nicht hier sein sollten.
„Dort drüben“, miaute Sally schließlich. „Bei der Scheune sind wir ihnen heute erst begegnet. Ich wusste sofort, dass es die Katzen waren, die ihr gemeint habt.“ Flecken warf ihr einen kurzen, scharfen Blick zu. „Also gut“, gab Sally zu. „Wir wussten es sofort.“
Graupfote hatte die Scheune als Erster erreicht. „Es stimmt. Hier haftet ihr Geruch an.“ Himmelpfote und ich folgten, so schnell wir konnten. „Sie waren anscheinend nur kurz hier und sind dann weiter gezogen.“ Graupfote deutete mit einem Schwanzschnippen in die Richtung der Wiesen.
„Dort werden wir sie nicht mehr einholen“, miaute Himmelpfote niedergeschlagen. „Außerdem dürfen wir uns nicht zu weit vom Wald entfernen.“
Ich drehte mich zu den drei Katzen um. „Wir danken euch sehr für eure Hilfe.“
„Schon in Ordnung“, nickte Wumm freundlich. „Wenn wir was Neues entdecken, sagen wir euch Bescheid. Sollen wir euch noch bis zum Rand begleiten? Wenn man sich hier nicht auskennt, kann man leicht die Orientierung verlieren.“
Wir nickten. „Vielen Dank. Vielleicht haben wir das nächste Mal ein wenig mehr Glück.“
Sally, Flecken und Wumm begleiteten uns noch bis zum Rand des Zweibeinerortes. Von ihnen hörten wir gleich noch viele Geschichten von den Kämpfen gegen die Streuner, bei denen sie und andere Katzen vom Zweibeinerort die Clan-Katzen tatkräftig unterstützt hatten. Mir fiel es fast schwer, mich von den drei Katzen zu verabschieden.
„Wir sind keinen Schritt weiter“, miaute Himmelpfote niedergeschlagen. „Wenn sie nicht bald als ihren Löchern hervor kriechen, werden wir sie nie entdecken.“
„Meint ihr, wir sollten uns noch ein Mal mit Goldtupf und Taubenflug beraten?“, schlug ich vor.
„Sie würden sicher nicht mehr wissen, als wir“, lehnte Graupfote ab. „Sonst hätten sie uns längst informiert.“
„Wartet!“ Himmelpfote blieb wie erstarrt stehen. „Hört ihr das auch?“
Himmelpfote hatte die Richtung zuerst geortet und setzte sich sogleich in Bewegung. Graupfote folgte, ich verfing mich mit dem Fell in einem Ast und trat daher wieder einmal weit in Rückstand. Als ich meine Geschwister stolpernd einholte, waren sie schon längst an Ort und Stelle des Geschehens.
„Graspfote!“, rief Himmelpfote erschrocken und lief zu dem Schüler hinab, der mit schmerzverzerrtem Gesicht auf dem Boden lag. Bienenpfote stand neben seinem Bruder und sah auf, als wir zu ihnen herab stiegen.
„Er ist plötzlich gestürzt“, berichtete Bienenpfote geschockt. „Ich konnte nichts tun…“ Der Schüler zitterte und schien unter Schock zu stehen.
„Ich hole Goldtupf“, miaute Graupfote und war sogleich im Wald verschwunden. Ich ließ mich neben den Brüdern nieder. „Was ist passiert?“
„Er…er jagte ein Eichhörnchen Dann knickte er mit einem Mal um, es ging alles so schnell.“ Bienenpfotes Stimme überschlug sich fast. Himmelpfote unterdessen beugte sich zu Graspfote hinunter. „Graupfote holt Hilfe. Gleich ist alles wieder gut.“
Der Leib des hellbraunen Katers erzitterte. Sein Hinterbein war unnatürlich verdreht. Er jammerte bei der kleinsten Bewegung auf.
„Graspfote, bleib liegen“, miaute ich meinem Freund leise zu. „Bleib ruhig liegen.“
„Es…tut so weht!“, stöhnte Graspfote auf.
Ein lautes Knacken im Gebüsch ließ Bienenpfotes Fell sträuben. Doch es flogen nur einige Spatzen auf. Nicht auszudenken, wenn dies ein ernsthafter Gegner, wie ein Fuchs oder Dachs gewesen wäre…
Es dauerte noch eine quälend lange Zeit, bis Graupfote mit Goldtupf im Schlepptau zurückkehrte, die sich sogleich über den verletzten Schüler beugte.
„Atme tief durch, Graspfote“, beruhigte sie ihn während sie vorsichtig das Bein berührte. Der Kater kreischte schmerzerfüllt auf.
„Verrenkt“, diagnostizierte die Heilerin. „Zum Glück nicht stark. Graspfote, nimm diese Wurzel zwischen die Zähne. Bienenpfote, Himmelpfote, fixiert ihn. Es wird wehtun“, fügte sie noch kurz und ernst an Graspfote gewandt hinzu, der krampfhaft die Augen schloss.
Es war ein kurzer, präziser Tatzendruck, mit dem Goldtupf Graspfotes Bein wieder in die richtige Position zurück brachte. Ein hässliches, haarsträubendes Knacken und ein kurzes Aufjaulen des Katers ertönten, dann entspannte er sich wieder.
„Kannst du es bewegen?“, erkundigte sich die Heilerin vorsichtig. Graspfote streckte vorsichtig das Bein. „Es…tut…weh…aber, es geht“, brachte er gepresst hervor. Bienenpfote stellte sich ihm zur Seite, um ihn zu stützen.
„Er benötigt dringend Mohnsamen“, miaute Goldtupf, während sie den jungen Kater von der anderen Seite stützte.
„Ich weiß, wo welche sind“, bot ich mich an. „Holt ihr die Beute aus unseren Verstecken“, miaute ich Himmelpfote und Graupfote zu, wahrend ich mich auf den Weg machte. Den roten Klatschmohn fand ich nahe dem Waldrand. Ich rupfte hastig mehrere Pflanzen an den Stängeln aus und trug sie zu den anderen, die in der Zeit nicht sehr weit mit dem humpelnden Graspfote vorangekommen waren.
Graspfote schluckte die Samen, die wir vor ihm ausschüttelten, ohne Widerstand, bevor er weiterhumpelte, diesmal mit deutlich weniger Schmerzen.
„Regenpfote, lauf ins Lager voraus und sage Taubenflug Bescheid, sie soll alles für Graspfote vorbereiten.“
Unter gewöhnlichen Umständen hätte der Verletzte protestiert, doch es schien, als würde er Goldtupfs Worte gar nicht hören. Ich lief voraus ins Lager.
„Taubenflug!“ Ohne eine Begrüßung abzuwarten sprintete ich in ihren Bau. Ausgerechnet Vogelpelz befand sich gerade in der Untersuchung.
„Du bist und bleibst ein dummes, kleines, respektloses Junges“, empörte sich die Älteste krächzend. Bevor Taubenflug etwas dazu beitragen konnte, hatte ich schon angefangen, zu sprechen.
„Graspfote hat sich auf der Jagd das Bein verdraht. Goldtupf begleitet ihn zum Lager, du sollst alles vorbereiten!“ Ich schrie die Anweisungen fast heraus.
Schlagartig änderte sich Taubenflugs Meinung. „Rosenpfote holt gerade frisches Moos für die Ältesten. Nimm es ihr ab und bring es mir.“
Die Schülerin war gerade auf dem Weg zum Ältestenbau, als ich sie abfing. „Rosenpfote, warte! Graspfote hat sich verletzt und wir brauchen das Nestmaterial für ihn.“
Ohne auf die empörten Rufe von Buntschweif und Tigerzahn zu achten, die aus der Entfernung die Situation nicht erfassen konnten, machte sie kehrt und trug das Moos zum Heilerbau. Ich nahm ihr einen großen Teil ab, damit es schneller ging. Zusammen mit Taubenflug breiteten wir das Lager aus und betteten dann vorsichtig Graspfote darauf. Auch Vogelpelz half mit, indem sie die zu Recht gelegten Kräuter zu einem Brei zerkaute.
„Der Umschlag wird dir helfen“, miaute Taubenflug. Benommen ließ Graspfote sich zurück fallen.
„Ich hole ihm etwas vom Frischbeutehaufen“, miaute ich und stieß beim Verlassen des Baus mit Blitzpfote zusammen.
„Entschuldigung, Regenpfote. Wie geht es ihm?“
„Es wird ihm bald besser gehen“, beruhigte sie Taubenflug von innen. „Doch dafür braucht euer Bruder Ruhe!“
Graspfotes Geschwister verstanden und gingen geschlossen und schweigend zu Schülerbau. Ich sah Bienenpfote an, dass er sich immer noch Sorgen und Vorwürfe machte.
„Graspfote ist eine starke Katze“, flüsterte ich ihm ins Ohr. „Bald wird er wieder gesund.“
„Danke“, miaute Bienenpfote schwach. Damit wandte ich mich ab, um dem Patienten mit Frischbeute zu versorgen.
„Ich weiß nicht, wie es passiert ist“, hörte ich Graspfote miauen, als ich mit einer dicken Wühlmaus zurückkehrte. „Ich bin gesprungen und dabei irgendwie weggeknickt. Dann spürte ich nur noch den Schmerz.“ Er sprach zu Kieselstein, die die Nachricht sofort ernst genommen hatte. „Ich habe einfach alles falsch gemacht.“
„Es war ein Unfall, Graspfote“, ermunterte ihn seine Mentorin. „Unfälle passieren nun mal. Bald wirst du wieder normal laufen können, das weiß ich.“
Sie sah, dass der junge Schüler immer noch betrübt war. „Aus Fehlern kann man lernen, Graspfote. Wenn du wieder laufen kannst, wird dein Absprung ohne jedes Training sicherer als zuvor sein.“ Sie sah auf, als ich in den Bau kam.
Ich legte die Wühlmaus ab. „Falls du hungrig bist.“
„Danke, Regenpfote“, murmelte Graspfote müde. „Für alles.“
Ich ließ die drei Katzen allein und traf oben auf eine besorgt dreinblickende Aschenhauch.
„Er hat sich das Bein verrenkt, aber er wird wieder laufen können“, gab ich zum zweiten Mal die Nachricht weiter. „Ich glaube, er muss sich erst einmal ausruhen.“
Die Kriegerin nickte. „Danke, Regenpfote. Ich habe einen ziemlichen Schrecken bekommen, als mich die Nachricht ereilte.“
Ich nickte verständnisvoll. „Das haben wir alle.“ Gleich darauf gab ich die Neuigkeiten auch an Graupfote und Himmelpfote weiter, die auf mich zu liefen.
„Das ist ja noch einmal gut gegangen“, seufzte Himmelpfote erleichtert.
„Er wird aber eine Zeit lang nicht trainieren können“, gab Graupfote zu bedenken. „Wie ich Goldtupf kenne, behält sie ihn sicher noch nach der Genesung einige Tage in ihrem Bau.“
Ich wollte etwas erwidern, wurde aber von Fuchssterns Ruf unterbrochen. „Alle Katzen, die alt genug sind, um Beute zu machen, fordere ich auf, sich unter der Eiche zu einem Clan-Treffen zu versammeln.“
Wir gesellten uns neben Bienenpfote, Rosenpfote und Blitzpfote. Bienenpfote hatte seinen apathischen Blick immer noch nicht abgestellt. Graupfote legte ihm freundschaftlich den Schwanz um die Schulter.
„Ihr habt alle sicher schon gehört, was mit Graspfote geschehen ist.“ Damit übergab Fuchsstern mit einem Nicken Goldtupf das Wort.
„Bei näherer Untersuchung musste ich feststellen, dass seine Muskeln überdehnt sind. Er wird sie auch in einigen Tagen kaum noch anspannen können. Graspfote wird sein Training frühestens in einem Mond wieder aufnehmen können, es wird wahrscheinlich aber länger dauern.“ Ein mitleidiger Ausdruck schwebte in ihren Augen, als ihr Blick Bienenpfote streifte. „Dennoch kann ich euch versichern, dass er seine Ausbildung beizeiten wird abschließen können. Auch, wenn das länger dauern wird.“
Mit einem Nicken trat sie wieder zurück in die Reihe.
„Danke, Goldtupf.“ Fuchsstern ergriff wieder das Wort. „Ich habe beschlossen, dass Schüler nicht mehr allein auf Patrouille gehen sollten, sondern immer einen Krieger zur Betreuung in der Nähe haben sollen. Dies ist eine reine Sicherheitsmaßnahme. Ich muss sagen, dass ihr alle sehr klug in dieser Situation reagiert habt.“
Heute Morgen noch hätte mich so ein Lob aus Fuchssterns Mund in emotionale Höhen versetzt, die selbst dem SternenClan fremd gewesen wären, doch nun sausten ihre Worte durch meine Ohren wie Wind. Mit einem Kopfnicken löste Fuchsstern die Versammlung auf. Wir blieben noch bei Bienenpfote sitzen.
„Du brauchst dir wirklich keine Vorwürfe zu machen“, versuchte Blitzpfote noch einmal, ihren Bruder zu erreichen. „Du bist nur eine einfache Katze, nicht der SternenClan. Ich wäre genauso schockiert gewesen, wie du.“
„Ich habe es gesehen“, hauchte Bienenpfote, so leise wie das Rascheln der Eichenblätter über ihm. „Ich habe gesehen, dass die Steine unter ihm locker waren. Doch ich habe zu spät reagiert. Erst als er gestürzt ist, erkannte ich die Gefahr.“
Er war fest davon überzeugt. Er war fest davon überzeugt, dass er Graspfotes Verletzung hätte verhindern können, wenn er besser aufgepasst hätte. Verzweifelt sah ich mich um, bis ich Sturmherz entdeckte. Mit schnellen Schritten lief ich zu ihm. „Bienenpfote macht sich Vorwürfe.“
„Wegen dem Unfall.“ Der graue Krieger hatte ein kurzes, nachdenkliches Gesicht aufgelegt. „Ich werde kurz mit ihm allein reden.“ Als er auf seinen Schüler zuging, erkannten Graupfote, Himmelpfote, Blitzpfote und Rosenpfote seine Absicht sofort und gesellten sich schweigend zu mir. Ich konnte nicht hören, was die beiden Kater besprachen, doch ich wusste, wie gut unser Vater anderen Mut machen konnte. Mir wurde erzählt, wie er es in den Bergen geschafft hatte, den ehemaligen SteppenClan-Anführer Silberstern von der Kapitulation abzuhalten. Welche Überredungskünste er dabei angewandt hatte, konnten wir nur spekulieren. Doch sie schienen auch bei Bienenpfote zu wirken.
„Das Training fällt für euch alle heute aus“, benachrichtigte uns der Krieger mit sanfter Stimme. „Ich denke, ihr braucht ein wenig Zeit, um dies zu verarbeiten.“
Ein wenig Zeit…
Wenn so ein Unfall uns alle sechs schon aus der Bahn werfen konnte, was würde dann das echte Kriegerleben mit uns anstellen?
Bienenpfote wechselte einige kurze Worte mit seinen Schwestern, dann trennten sich die drei von uns und fingen an, sich vorm Schülerbau die Zunge zu geben.
„Hast du ihm erzählt, wie Silberstern und Himmel, die Bergkatze, die Clans vor Scharfzahn gerettet haben?“, fragte Himmelpfote im Tonfall einer nüchternen Feststellung.
Sturmherz nickte. „Silberstern war damals auch am Boden zerstört, da er sich selbst für den Tod seiner Clan-Gefährten verantwortlich fühlte. Doch gerade diese Reue gab ihm Kraft, seinen Clan zu retten.“ Er sah uns an. „Versucht, Bienenpfote etwas aufzubauen. Er darf sich auf keinen Fall in Schuldgefühle verlieren. Ich habe gesehen, was diese Gedanken aus Silberstern gemacht haben. Helft ihm, damit zu leben.“
Wir nickten schweigend.
„Wir sollten morgen nachsehen, wie es ihm geht“, schlug Graupfote vor.
„Dann fragen wir, ob wir ihn noch auf Patrouille begleiten können“, miaute ich. „Er hat immer erzählt, wie sehr er Grenzgänge mag.“
Mit einem Mal richtete Himmelpfote sich wie vom Blitz getroffen auf. „Fuchssterns Regelung! Wisst ihr, was das bedeutet?“
„Oh, nein“, stöhnte ich. „Wir können nicht mehr ungestört nach den Katzen suchen!“
Wir sahen uns eine Zeit lang bestürzt an.
„Und jetzt?“, fragte Graupfote nach.
„Darüber müssen wir uns mit Goldtupf und Taubenflug beraten“, entschied Himmelpfote.
Gähnend kam ich aus dem Bau und streckte mich ausgiebig im warmen Licht des Sonnenhochs, als ich ihn zum ersten Mal seit vier Tagen aus dem Heilerbau treten sah.
„Du…du kannst ja wieder laufen!“, rief ich freudig überrascht aus.
„ ‚Laufen’ würde ich das nicht nennen“, gab Graspfote matt zurück. „Ich kann immer noch nicht richtig auftreten und darf nicht allzu lange auf einer Stelle stehen bleiben. Goldtupf sagte, das Üben würde meine Muskulatur wieder in Gang bringen. Außerdem tut es kaum noch weh.“
Er ließ sich an der Stelle sinken, das verletzte Bein von sich gestreckt.
„Das ist wundervoll.“ Ich musste an die gestrige Jagdprüfung denken, die seine Geschwister mit Gravur bestanden hatten. Er wäre sicher genauso erfolgreich gewesen, wie sie.
„Es ändert leider nichts an der Tatsache, dass wir vorerst keine alleinigen Streifgänge mehr unternehmen dürfen.“ Ich hörte das Bedauern in seiner Stimme.
„Fuchsstern ist nur in Sorge“, miaute ich.
„Ich glaube, wir haben alle etwas überreagiert. Es war schlussendlich doch nicht so schlimm, wie erwartet.“ Er gähnte kurz, bevor er weiter sprach. „Ich denke, wenn ich wieder völlig gesund bin, werde ich die Jagdlektionen an eurer Seite absolvieren, um nicht zurück zu fallen. Ich bin mehr Kämpfer als Jäger.“
Ich schnurrte. „Das geht mir genauso. Wollen wir unsere Geschwister wecken?“
Graspfote nickte. „Rüttele die Schlafmützen, es ist schon helllichter Tag!“
Ich ging zuerst zu Bienenpfote, Rosenpfote und Blitzpfote hinüber.
„Was ist los?“, murrte Rosenpfote müde, als ich die Geschwister nacheinander wach stupste.
„Graspfote geht es besser!“, miaute ich. „Er ist wieder auf den Beinen.“
Blitzpfote sprang so schnell und unerwartet auf, dass sie mich um ein Haar umgestoßen hätte. Sie verstopften sich gegenseitig den Gang, als sie auf die Lichtung hinaus stürzten. Von dem Lärm wurde Himmelpfote wach.
„Was…“ Sie hielt inne, als sie Graspfotes Geruch wahrnahm.
„Graupfote! Wach auf!“
Graupfote öffnete blinzelnd die Augen.
„Graspfote kann wieder laufen!“
Wir verließen den Schülerbau gemeinsam, und fanden Graspfote schon zwischen den anderen umringt.
„Kieselstein hat meine Ausbildung auf nächsten Mond verschoben, wenn Goldtupf zustimmt. Bis dahin muss ich noch im Heilerbau bleiben.“
„Wir halten dich auf dem Laufenden“, versprach Rosenpfote. „Was ist mit der Großen Versammlung? Die ist doch in wenigen Tagen.“
Die Worte trafen mich wie ein Blitzschlag. Ich sah zu Himmelpfote und Graupfote. Sie verstanden, was das zu bedeuten hatte.
„Wir müssen hier heraus“, flüsterte Graupfote. „Wir müssen sie finden, jetzt oder nie!“
„Es gibt nur noch eine Möglichkeit“, flüsterte uns Goldtupf leise zu. „Ihr müsst eure Mentoren einweihen. Fuchsstern am besten auch.“
„Wie viel weiß sie schon?“, fragte Himmelpfote.
„Wir haben Eichenblitz und ihr erzählt, dass möglicherweise drei Katzen aus dem Clan die Fremden finden würden“, miaute Taubenflug mit einem schuldbewussten Unterton. „Damals waren wir uns um eure Rolle noch nicht sicher.“
„Nicht sicher?“, wiederholte Graupfote erstaunt. „Ihr habt sie…“
„Wir haben sie nicht angelogen, Graupfote“, fuhr Goldtupf dem Schüler streng über den Mund. „Zwischen einer Lüge und einer verschwiegenen Wahrheit besteht ein Unterschied.“ Ihr Gesicht entspannte sich wieder. „Wenn Eichenblitz von der Morgenpatrouille zurück ist, werden wir um eine Audienz beten. Informiert eure Mentoren, es wird Zeit, dass auch sie die Wahrheit erfahren.“
„Ihr seid euch sicher, dass diese drei Schüler gemeint sind?“
Fuchssterns Stimme klang ein wenig ungläubig, als sie abwechselnd uns und Goldtupf und Taubenflug ansah.
Mit einem Nicken übergab Goldtupf uns das Wort.
„Wir hatten Träume“, begann ich zu erklären. „Unsere Namensgeber besuchten uns.“
„Graufell, Himmel und Regen“, erriet Eschenlicht.
„Ja“, bestätigte Himmelpfote. „Alle in derselben Nacht, einer für jeden von uns.“
„Sie haben es euch gesagt“, miaute Eichenblitz kleinlaut. „Ihr seid die Auserwählten, die diese fremden Katzen entdecken werden.“
„Und zwar noch vor der großen Versammlung“, fügte Goldtupf hinzu.
Fuchsstern sah alle in ihrem Bau Anwesenden nacheinander an, bevor sie entschlossen aufstieg. „Winterfrost, Adlerpelz, Eschenlicht, haltet ihr eure Schüler für reif genug, ihre erste Mission anzutreten?“
„Wenn sie sich dies selbst zutrauen, sehe ich nichts, was gegen den Aufbruch ihrer Mission sprechen würde“, miaute Adlerpelz.
„Es wäre ohnehin besser, wenn nur die Auserwählten auf die Mission gehen würden“, stimmte Winterfrost zu.
„Wir haben die Schüler oft gemeinsam trainiert“, miaute Eschenlicht, „wir halten sie alle drei für bereit.“
Graupfote sah mit leuchtenden Augen auf. „Wir drei ganz alleine?“
„Nicht ganz alleine“, machte Fuchsstern unsere Erwartungen zu Nichte. „Eichenblitz wird euch begleiten, um die Ordnung bei euch aufrecht zu erhalten.“
Die Schnurrhaare des Zweiten Anführers zuckten. „Ganz haben wir die drei Rabauken noch nicht vergessen.“
„Ihr müsst wirklich noch heute weg?“
„Auf Wiedersehen, Graspfote“, reagierte Graupfote auf das sehnsüchtige Miauen. „Ich denke, Bienenpfote wird sich schon genug um dich kümmern.“
Der braune Kater nickte. „Ich wünsche euch viel Glück.“
„Einen Moment noch.“ Wir sahen auf, Taubenflug kam mit Fuchsstern auf uns zu. „Ich werde euch begleiten.“
„Wirklich?“, miaute ich überrascht. „Braucht der Clan dich nicht?“
„Wir lassen euch nicht ohne eine Heiler-Katze gehen“, miaute Fuchsstern streng. „Es kann immer passieren, dass sich eine Katze verletzt oder der SternenClan euch weitere Zeichen schickt.“
Ich nickte. „Verstehe. Ich freue mich natürlich, dass du mitkommst, Taubenflug.“
Wir gingen zu Himmelpfote, Graupfote und Eichenblitz waren schon bereit.
„Wenn stimmt, dass wir sie vor der Großen Versammlung finden sollen, haben wir nur noch sechs bis fünf Tage Zeit“, hörte ich den Krieger miauen.
„Umso wichtiger, dass wir bald aufbrechen.“ Taubenflug war schon voller Tatendrang.
Ich sah Steinkralle und Sturmherz auf uns zu kommen. „Einen Moment noch.“
Wir liefen zu unseren Eltern, um uns zu verabschieden.
„Passt gut auf euch auf“, miaute Steinkralle zärtlich. „Und hört auf Eichenblitz und Taubenflug.“
„Das machen wir“, versprach Graupfote.
„Ihr habt noch kurz Zeit, um euch zu verabschieden“, miaute Adlerpelz und deutete auf Bienenpfote, Rosenpfote und Blitzpfote, die am Rand der Lagermitte auf uns warteten.
„Wir würden wirklich gerne mitkommen“, gestand Rosenpfote.
„Das glaube ich euch“, miaute Himmelpfote. „Eure erste Mission wird sicher auch nicht lange dauern.“
„Ihr erzählt uns nachher aber alles, was sich zugetragen hat, oder?“, fragte Bienenpfote misstrauisch.
„Detailgenau“, versprach Graupfote. „Außerdem sind wir in einigen Tagen wieder zurück.“
„Viel Glück“, verabschiedete sich Blitzpfote.
Eichenblitz erschien neben uns. „Seit ihr bereit?“
Gehorsam stellten wir uns gerade in einer Reihe auf. „Bereit, Eichenblitz.“
„Sehr gut. Dann müssen wir nur noch die Reisekräuter schlucken und eurem Abenteuer steht nichts mehr im Wege.“
Mit verkniffenen Mienen traten wir zu den vier Kräuterhäufchen hinüber, die Goldtupf sorgsam für uns zu Recht gelegt hatte. Ein bitterer Geruch ging von ihnen aus.
„Sie sind sicher nicht so schlimm, wie euch immer erzählt wird“, miaute die Heilerin. „Auf der Reise werdet ihr noch dankbar sein.“
Eichenblitz war anscheinend daran gewöhnt, Graupfote schluckte es als erster, ohne eine Miene zu verziehen. Himmelpfote und ich würgten unsere Portionen herunter.
„Das…ist…bitter“, zischte Himmelpfote.
„Nun habt ihr es hinter euch“, miaute Eichenblitz nicht ohne Amüsement. „Kommt, es ist Zeit.“
Ich schluckte die letzten Blätter und wir zogen los.
Wir nahmen den Weg zum Zweibeinerort. Dafür haben wir uns nicht absprechen müssen. Es war einfach so geschehen, ohne Hintergedanken. Eichenblitz akzeptierte unsere Entscheidung ohne ein Wort der Kritik.
Wir trafen keine der Katzen an, fanden aber stattdessen eine Spur, die über das SteppenClan-Territorium verlief.
„Sollten wir ihr wirklich folgen?“, zögerte ich kurz. Automatisch blickte ich dabei zu Eichenblitz.
„Der SteppenClan ist über unsere Operation informiert. Vielleicht könnten sie uns sogar helfen“, miaute der Zweite Anführer. Er prüfte die Luft und sah auf das weite Grasland hinaus. „Soweit ich beurteilen kann, führt die Spur sogar direkt zum Lager. Wenn sie es nicht schon wissen, ist es unsere Pflicht, den SteppenClan zu informieren.“
Himmelpfote sah zu dem Zweiten Anführer auf. „Würde es dir etwas ausmachen, wenn du voraus gehst. Wir kennen uns hier nicht aus.“
„Ich kenne auch nicht unbedingt jeden Winkel, aber wenn das angenehmer für euch ist, übernehme ich gerne die Führung.“ Eichenblitz erhob sich. „Hier in der Nähe befinden sich Trittsteine, über die wir den Fluss gut überqueren können.“
Trittsteine. Ich dachte an das Ereignis an der Furt im Wald, damals, als wir auf der Suche nach den Fremden beinahe ertrunken wären.
„Wir schaffen das schon“, ermunterte mich Graupfote. „Schließlich sind wir jetzt etwas trittsicherer.“
Ich seufzte und folgte ihnen zu den Trittsteinen. Zu meiner Erleichterung ragten sie weit aus dem Wasser, waren nicht allzu nass und glitschig und auch sehr nahe beieinander.
„Schaut einfach zu, wie ich es mache.“
Mit diesen Worten setzte Eichenblitz vom Ufer des Flusses auf den ersten Stein. Ich konnte seine Bewegungen nur aus dem Augenwinkel registrieren, da die Wellen meinen Blick gefangen nahmen. Mein Pelz sträubte sich, als ich glaubte, erneut die kalte Nässe von Wasser zu spüren.
Graupfotes Schwanzspitze legte sich sanft auf meine Schultern.
„Entspann dich, Regenpfote. Ich fürchte mich auch vor dem Fluss, aber wenn wir erst einmal drüben sind, wird die Angst wie weggeblasen sein.“
Graupfote schaffte es wirklich, dass sich meine verkrampfte Muskulatur ein wenig lockerte. Er hatte diese einfühlsame Art zu reden anscheinend von Sturmherz geerbt.
Himmelpfote setzte als Nächste hinüber. Sicher landete sie auf den Steinen und flog geradezu mit wenigen Sätzen an das andere Ufer.
„Gehe du zuerst“, forderte ich Graupfote auf.
Er verneinte. „Du sollst nicht immer als Letzter zurück bleiben.“
Zögerlich trat ich ans Ufer. Die Wellen waren sehr niedrig und plätscherten leise, dennoch schien die Tiefe des Flusses meinen Blick zu verschlingen. Ich bekam meine Pfoten einfach nicht vom Fleck.
Stelle dir vor, du würdest ein Eichhörnchen jagen.
Ich hielt den Atem an, als ich die vertraut-ferne Stimme in meinem Bewusstsein hörte. Mir war, als würde ich Regens Geruch wahrnehmen.
Der Fluss existiert nicht. Das Eichhörnchen sitzt dort auf dem Stein, du musst es nur fangen.
Mit einem Mal verstand ich, worauf mein Onkel hinaus wollte. Der Fluss musste verschwinden.
Vor meinem inneren Auge entstand eine Waldlichtung. Auf einem Stein mitten in der Lichtung saß es. Ein dickes, nichts ahnendes Eichhörnchen.
Ich verfiel in das Jagdkauern und fixierte die Beute Ich atmete tief ein und spannte die Muskeln zum Sprung.
Sicher wie auf der Jagd landete ich auf dem Stein, federte den Schwung ab und setzte zum Nächsten hinaus. Das Wasser existierte mit einem Mal gar nicht mehr, schneller, als ich es verarbeiten konnte, war ich am Ufer.
„Sehr gut, Regenpfote“, miaute Eichenblitz anerkennend.
Danke Regen, dachte ich im Stillen.
Graupfote nahm einen kleinen Anlauf und hopste sicher zu uns ans Ufer. Er schaffte es sogar, dabei fröhlich auszusehen.
„Das ist nicht schwer“, entwarnte er mit glücklichem Unterton.
„Der Geruch führt hier entlang!“, miaute Eichenblitz. Dennoch überließ er uns pflichtbewusst die Führung.
Es dauerte nicht lange, da wehte uns der Geruch einer SteppenClan-Patrouille entgegen.
„Überlasst mir das Reden“, miaute Eichenblitz und erwartete die Patrouille.
Ich schnupperte genauer. Und erkannte einen bekannten Geruch.
„Falkensturz.“
Ich hörte Himmelpfote beim Namen der Zweiten Anführerin seufzen.
„Da müssen wir durch“, miaute Graupfote nur, obwohl auch er vor Scham zu kribbeln schien. Eichenblitz quittierte unsere Unterhaltung mit einem dünnen Schnurren.
Falkensturz wurde von zwei weiteren Katzen begleitet. Ein graubrauner Kater begleitet von einer weiß-gelbbraun getupften Kätzin, eine Schülerin, die nur etwas älter war als wir.
Eichenblitz neigte höflich den Kopf.
„Dann ist Taubenflugs Ahnung also wahr“, ging die Zweite Anführerin gleich auf uns ein. „Dornenblatt hielt es für ratsam, den Clan ebenfalls zu informieren.“
Eichenblitz nickte. „Die Spuren führen über euer Territorium, direkt auf euer Lager zu, Falkensturz. Kannst du uns da weiterhelfen?“
„Nein. Wir sind ebenfalls auf der Suche nach dem Grund der Spuren.“
Nun endlich wandte sie sich uns zu. „Und ausgerechnet diese drei Schüler sollen die Katzen finden?“
Ich versuchte aufrecht zu bleiben, doch das Misstrauen in der Stimme der Zweiten Anführerin traf mich zu Recht.
„So sagt es die Prophezeiung“, antwortete Eichenblitz. „Fuchsstern beauftragte mich, die Schüler zu begleiten. Die Mission ist mit ihren Mentoren abgesprochen.“
„Wir haben ebenfalls Spuren entdeckt“, berichtete Falkensturz. „Nahe unsere Lagers, die viel frischer sind als diese hier.“
Interessiert sah ich auf. Die Fremden schienen geradezu zu verlangen, dass wir ihnen folgten.
„Wir werden euch dorthin begleiten“, bot sich Falkensturz an. „Eine weitere Patrouille ist der Spur hinterher gezogen, doch sie hat den Auftrag, nur bis zur Territoriumsgrenze zu folgen.“
Während sie sprach, hatten wir uns schon in Bewegung gesetzt. Wir folgten den andere wie immer in einem Dreieck. Die gescheckte Schülerin stellte sich neben uns.
„Ist es wahr?“, fragte sie leise, „ihr sollt die Fremden finden?“
„Es stimmt“, miaute Himmelpfote. Mit weit weniger Enthusiasmus fügte sie hinzu. „Genau wie alles andere, was man wahrscheinlich von uns hört.“
Die Kätzin schnurrte leise. „Dann seid ihr drei also von Geburt an entweder ziemlich mutig oder ziemlich verrückt. Wenn man die Sache mit dem Fluss…“
„Wir würden lieber nicht daran erinnert werden“, unterbrach ich sie steif, als die Erinnerung an die eisigen Wellen erneut zurückkehrte.
„In Ordnung“, gab sie nach. „Mein Name ist übrigens Sonnenpfote. Das ist mein Mentor Finkenflug.“
Wir stellten uns ebenfalls vor.
„So eine Suche muss ziemlich aufregend sein“, gab Sonnenpfote zu. „Ich würde euch gerne begleiten. Schade, dass ihr die Große Versammlung verpassen werdet.“
„Die werden wir nicht verpassen.“ Die Worte waren aus meinem Mund, bevor ich wirklich über sie nachdenken konnte. Überrascht sah Sonnenpfote mich an. „Es sind nur fünf Tage bis Vollmond. In der kurzen Zeit wollt ihr die Katzen finden.“
„So sagt es der SternenClan“, miaute Himmelpfote, bedacht darauf, nicht zu viel zu verraten.
Irrte ich mich, oder hörte ich da Zweifel in ihrer Stimme?
Falkensturz und Finkenflug führten uns schnell zu der anderen Spur. Ich kannte den Geruch der fremden Katzen inzwischen genauso gut, wie den meines eigenen Clans. Daher bemerkte ich die Spur auch sehr schnell.
„Sie wollen, dass wir ihnen folgen“, miaute Graupfote neben mir leise. „Sonst würden wir ihre Spur in hunderten Monden nicht finden.“
Ich richtete meinen Blick wieder geradeaus. Ob sie unsere Begegnung erwarteten? Jetzt, nach all der Zeit? Vielleicht hatten sie ähnliche Erwartungen wie wir.
Sonnenpfote hielt sich immer noch neben uns. Es schien, als würde sie uns bald eine gute Freundin im SteppenClan sein.
„Mausstern war gestern noch zur Sternengrotte gereist, um den SternenClan zu befragen. Ob er etwas herausgefunden hatte, hatte er uns leider nicht erzählt. Wir Schüler haben auch schon versucht, aus Dornenblatt etwas heraus zu holen, aber er schweigt wie ein Grab.“ Sie blinzelte schelmisch. „Wenn es stimmt, dann kann ich die nächste, Große Versammlung kaum abwarten. Zählt ihr auch schon die Tage?“
„Natürlich“, gab Graupfote zurück. „Nur dass wir hoffen, sie würden langsamer vergehen. Schließlich haben wir bei der Sache auch noch etwas zu erledigen.“
„Verstehe. Ich bin sicher, ihr werdet sie bald finden.“
Sonnenpfote sah auf. „Die Patrouille kommt uns entgegen. Sie war anscheinend schon auf dem Weg zum Lager. Meine Geschwister sind auch dabei.“
Ich sah in die angegebene Richtung. Drei Krieger und zwei Schüler liefen uns über das Gras entgegen. Falkensturz war voraus gelaufen, um ihnen die Situation zu schildern. Mir war nicht entgangen, wie sie immer noch misstrauische Blicke zu uns warfen.
„Der hellbraune Kater mit den weißen Vorderpfoten ist Amselpfote, die weiß-braun-gescheckte Kätzin Haselpfote. Die Krieger heißen Federpelz, Weißmond und Nachtstreif.“
Ich beobachtete, wie Falkensturz sich kurz mit der Patrouille unterhielt und uns daraufhin mit der Schwanzspitze zu uns winkte.
„Kommt“, miaute Eichenblitz, wir folgten ihm zu den anderen Katzen.
„Ihr müsst eure Route noch einmal überdenken“, miaute Falkensturz ernst und erteilte mit einem Nickten Nachtstreif das Wort.
„Bei den Wiesen treiben einige große Hunde ihr Unwesen. Wir haben Kaninchenreste dort entdeckt.“
Hunde kannte ich nur aus Geschichten, doch ich beobachtete, wie sich Sonnenpfotes Fell sträubte.
Auch Eichenblitz schien eingeschüchtert zu sein. „Könnt ihr uns sagen, wie viele es sind?“
„Wir schätzen, dass es nicht mehr als vier Hunde sind“, antwortete der Kater, den mir Sonnenpfote unter dem Namen Weißmond vorgestellt hatte, „aber sie hinterlassen riesige Pfotenspuren und die Überreste des Kaninchens weisen auf große Zähne hin.“
„Große Zähne, große Hunde“, hörte ich Eichenblitz miauen.
„Nicht gut“, flüsterte Himmelpfote.
„Wenn wir aber jetzt die Route wechseln, können wir ihre Spur verlieren!“, warf Graupfote so laut ein, dass alle anwesenden Katzen ihn hörten. „Ich denke nicht, dass sie uns ein zweites Mal eine so eindeutige Fährte legen.“
„Er hat Recht“, stimmte Falkensturz meinem Bruder zu. Ihre Stimme hörte sich nüchtern an.
Eichenblitz schüttelte den Kopf. „Ich verstehe dich, Graupfote, aber wenn uns etwas passiert, werden wir sie ohnehin nicht rechtzeitig finden. Ihr müsst besonders auf eure Sicherheit achten.“
Falkensturz ergriff das Wort. „Mit eurer Zustimmung werde ich Mausstern fragen, ob einige unserer Krieger euch begleiten dürfen.“
Wir nickten Eichenblitz ohne zu Zögern zu. Allein schon bei dem Gedanken an die Hunde stand mir das Fell zu Berge.
„Dann werden wir euch jetzt ins Lager führen“, miaute Falkensturz. „Sonnenpfote, gebe Mausstern Bescheid.“
Die Schülerin nickte. „Ja, Falkensturz. Bis später“, verabschiedete sie sich von uns und lief los. Falkensturz wandte sich unterdessen an die Patrouille.
„Amselpfote, Haselpfote, holt bitte Dornenblatt und Blattschatten. Sie sind zum Fluss aufgebrochen, um Kräuter zu holen. Helft ihnen beim Tragen, damit es schneller geht.“
„Ja, Falkensturz.“ Gehorsam nickten die Schüler und liefen los.
Ohne ein weiteres Wort drehten sich die Krieger in Richtung SteppenClan-Lager.
Ohne ein weiteres Wort folgten wir ihnen.
Ich wusste, dass es auch in den Pfoten meiner Wurfgefährten kribbelte.
Das Lager lag in einer windgeschützten, von dichten Buschbarrieren eingerahmten Talsenke in der Steppe. Das Gras um das Lager herum war so hoch, dass wir es erst zu Gesicht bekamen, als wir schon unmittelbar davor standen. Auch der Eingang war so gut zwischen den Ranken getarnt, dass Falkensturz uns erst darauf aufmerksam machen musste.
Mausstern erwartete uns bereits im Lager.
„Seid gegrüßt“, begrüßte er uns, obwohl sein Blick auf meinem Pelz zu brennen schien. „Sonnenpfote hatte schon von der Mission und den Problemen berichtet.“
Eichenblitz neigte höflich den Kopf. „Wir danken dir sehr für den Empfang, Mausstern.“
Inzwischen hatten sich mehrere Blicke auf uns gerichtet. Einige Krieger, die gerade Frischbeute brachten, hielten inne und sahen interessiert zu uns hinüber. Der Zweite Anführer des anderen Clans versprach eine Besonderheit.
„Rotjunges, lass das!“, drang eine scharfe Stimme zu uns hinüber. Der rote Kater hatte sich spielerisch an Graupfotes Schwanzspitze angeschlichen, und wollte zuschlagen, als seine Mutter ihn rief. Die dunkelrote Königin winkte das Junges mit strengem Blick zu ihr.
„Das ist Eichenblitz, der Zweite Anführer des BlattClans, deshalb wirst du dich benehmen. Und ihr auch!“, fügte sie mit Blick auf die anderen beiden Jungen hinzu, die über die Situation ihres Bruders feixten. Ich versuchte, das Déjà-Vu, das mir in dem Moment durch den Kopf schoss, zu unterbinden und lauschte wieder der Unterhaltung von Mausstern und Eichenblitz.
„Sobald Dornenblatt im Lager ist, berufe ich die Versammlung ein. Wir benötigen dabei seinen Rat.“
Ich horchte auf. „Gab es ein Zeichen?“, rutschte es aus Himmelpfote heraus.
„Das werden wir bald sehen“, entgegnete Mausstern mit besonderer Betonung auf das vorletzte Wort.
„Natürlich.“ Verlegen sah Himmelpfote zu Boden. „Verzeihung, Mausstern.“
Kurz darauf kehrten Dornenblatt und Blattschatten zurück. Dornenblatt sah, dass sein Anführer ihn erwartete und legte die Kräuter ab.
„Bringt die Kräuter in meinen Bau. Wir werden sie später ordnen“, wies er die Schüler an und trat mit Blattschatten an seiner Seite zu Mausstern.
„Wir unterhalten uns vorerst in meinem Bau“, miaute der Anführer. Gespannt, was uns nun erwartete folgten wir Mausstern in den Anführerbau.
„Die Hunde haben schon eine Patrouille angegriffen“, erklärte uns Mausstern im Bau. „Vor etwa einem halben Mond. Die Katzen kamen zum Glück nahezu unbeschadet davon.“
„Werden sie der Mission so sehr im Weg stehen?“, fragte ich, nicht dazu in der Lage, die Angst in meiner Stimme zu unterdrücken. Unbewusst sah ich dabei zu Dornenblatt und Blattschatten.
„Wir haben darüber keine Zeichen erhalten“, miaute Dornenblatt. „Aber Hunde sollte man nie unterschätzen.“
„Daher habe ich gedacht, dass ihr die Begleitung einer Heiler-Katze benötigen werdet“, miaute Falkensturz. „Einer unserer Krieger ist ihnen nur knapp davon gekommen.“
Überrascht sah Eichenblitz zu Dornenblatt. „Du wirst uns begleiten?“
„Blattschatten wird euch begleiten“, stellte Dornenblatt klar. Ich sah zu der gelbbraun getigerten Kätzin. Es gab Gerüchte in den Clans, dass sie neben dem SternenClan auch mit Pflanzen zu kommunizieren gedachte, was ich mir keineswegs vorzustellen vermochte.
„Sie weiß genug, um euch beizustehen. Außerdem ist es gut möglich, dass der SternenClan euch weitere Zeichen senden wird.“
„Dann sind wir jetzt zu fünft“, miaute ich überrascht.
„Nicht ganz.“ Mausstern erhob seine Stimme. „Ich möchte euch noch gerne einige Krieger zur Seite stellen. Nicht, weil ich an euren Fähigkeiten zweifle, sondern, weil ihr mehr Katzen benötigt, die Erfahrung in solchen Missionen haben.“
Eichenblitz schien sofort zu verstehen, wen Mausstern meinte. „Sind die beiden für den SteppenClan abkömmlich?“
„Für euch werden sie von großem Nutzen sein. Sie haben in der Sache die beste Erfahrung.“
„Schneeblüte und Kastanienglanz werden mit euch kommen“, klärte uns Falkensturz auf. Die Namen kamen mir bekannt vor, doch ich konnte sie nicht mit Gesichtern verbinden.
„Sie haben damals die Streuner in ihre neue Heimat gebracht“, erklärte uns Falkensturz. Ein kurzes Lächeln umspielte ihre Lippen. „Die Katzen, die mir vor einem halben Blattwechsel geholfen hatten, drei übermütige, verirrte Junge aus dem Fluss zu zerren.“
Und ich hatte mir so sehr gehofft, nie wieder an dieses Dilemma erinnert zu werden.
„Ihr solltet jetzt etwas essen. Dornenblatts Reisekräuter dämmen den Hunger zwar, aber ihr solltet trotzdem gestärkt auf die Reise gehen.“
Mit diesen Worten legte Kastanienglanz das Kaninchen vor uns ab. Er hatte es zuvor selbst erjagt. Zögernd sahen wir auf die Frischbeute.
„Das wäre Beutediebstahl“, sprach Eichenblitz unsere Gedanken aus. „Ihr benötigt eure Frischbeute für eure eigenen Katzen.“
„Ich weiß, dass du nur an das Gesetz der Krieger denkst, Eichenblitz, aber Mausstern hat selbst gebeten, dass ihr noch etwas esst.“
Zögernd sah ich von dem Kaninchen zu dem braunen Krieger. Die SteppenClan-Katzen waren ohnehin drahtige, schmale Katzen, was ihnen das Jagen in den Grasflächen wohl einfacher machte, dennoch hatte ich das Gefühl, dass sie alle etwas mager waren. Und das, obwohl die Blattgrüne nahte. Ob die Hunde sie an der Jagd hinderten?
„Und ihr?“, fragte Eichenblitz, während wir uns doch zögernd an das Kaninchen und die beiden Wühler wagten.
„Wir hatten schon unsere Ration“, miaute Schneeblüte gelassen. „Mit halb vollem Magen kommen wir beide ohnehin schneller voran, als mit einer kürzlichen Mahlzeit.“
Das Kaninchen schmeckte ziemlich zäh, doch es war nahrhaft und würde uns sicher weit bringen. Wir waren kaum fertig, da kam auch schon Blattschatten mit den Reisekräutern.
„Ich hatte meine Ration schon“, miaute die Heilerin, während sie die Kräuter in sechs Haufen verteilte. „Auflecken. Und bitte, ohne ein Gesicht zu verziehen.“
„Die Schüler sind gestern zur Sternengrotte gereist“, erklärte uns Dornenblatt, der sich ebenfalls dazu gesellte. „Und sie haben gejammert, als müssten sie Würmer essen.“
Ich blendete die Bitterkeit der Kräuter aus und aß sie brav auf. Währenddessen verabschiedete sich Dornenblatt von Blattschatten.
„Du hast genug gelernt, um sie zu betreuen. Ihr werdet sicher keine großen Schwierigkeiten haben.“
Ich sah, wie die junge Heilerin nickte. „Danke, Dornenblatt. Es ist nur…“
„Die Aufregung der ersten Reise, die weiter geht als bis zur Sternengrotte, ich weiß.“ Dornenblatt schnurrte leise. „Wenn du erst einmal die Territoriumsgrenze überschritten hast, wird das Unheimliche zu einem großen Abenteuer.“
Ich sah auf. Falkensturz und Mausstern gesellten sich zu uns, anscheinend, um sich ebenfalls zu verabschieden.
„Wir wünschen euch für die Reise alles Gute“, miaute Mausstern. „Möge der SternenClan über euch wachen.“
„Das wird er sicher“, miaute ich leise.
„Graupfote, Rotjunges möchte dir noch etwas mitteilen.“
Graupfote schnurrte amüsiert, als das Junge hervor trat. „Es tut mir leid, dass ich nach deiner Schwanzspitze geschnappt habe, Graupfote“, entschuldigte er sich artig, während Glutflamme, seine Mutter, und seine Geschwister ihm aus der Entfernung zusahen.
Ich sah Graupfote an, dass er am liebsten laut losgelacht hätte.
„Wir waren alle einmal Jungen. Ich verzeihe dir Rotjunges.“
Erleichterung leuchtete in den Augen des Katers auf.
„Danke, Graupfote. Ich suche dich auf der Großen Versammlung in zwei Monden, wenn ich ein Schüler bin.“
„Ich halte nach dir Ausschau.“ Graupfote strich dem Jungen noch liebevoll mit der Schwanzspitze über die Schulter, als Rotjunges wieder zu seinen Geschwistern zurückkehrte.
Falkensturz schnurrte belustigt. „Damit steht eurer Reise nichts mehr im Wege.“
„Danke für eure Hilfe“, miaute Eichenblitz, kurz bevor wir das Lager verließen.
„Hier wurden die Hunde als erstes gesichtet“, miaute Schneeblüte leise, während wir über das weiche Gras der Steppe liefen. Wir hatten den direkten Weg gemieden, da das hohe Schilf um den Bach, der durch das Territorium lief, geradezu darauf wartete, Waldkatzen die weichen Ballen aufzuschneiden. Der Untergrund in der Steppe erschien mir ohnehin viel härter als der Waldboden, doch ich gewöhnte mich allmählich daran. Die Angst vor Hunden machte mir mehr zu schaffen.
„Du brauchst dich nicht zu fürchten.“ Irgendwie hatte Blattschatten gespürt, dass ich Bedenken zu unserer Sicherheit hegte. „Kastanienglanz und Schneeblüte wissen, wie man mit den Viechern umgeht, ich habe es selbst gesehen. Außerdem kann man ihren Geruch auf einhundert Fuchslängen gegen den Wind riechen.“
Instinktiv schnupperte ich. Hundegeruch hatte ich bisher nur aus der Ferne wahrgenommen, wenn Zweibeiner mit ihren Hunden Spazieren gingen, doch ich würde ihn erkennen, so wie den Gestank des Donnerweges.
Von ihnen fehlte jede Spur.
Noch.
Ich sah zum Himmel. Die Nachmittagssonne neigte sich langsam gen Horizont und drohte mit dem nahen Ende des ersten Tages unserer Suche. Nur noch drei Tage!, schoss es mir durch den Kopf. Ein Widerhall von Regens Stimme summte durch meine Gedanken.
Sie werden euch finden.
Wann?, hätte ich beinahe in die Weite geschrieen. Wann werden sie uns endlich finden?
„Denkt ihr dasselbe, wie ich?“, fragte ich stattdessen meine Wurfgefährten.
„Die ganze Zeit über“, antwortete Graupfote. „Wenn sie zur nächsten Großen Versammlung erscheinen wollen, dürften sie eigentlich nicht allzu weit von unserem Territorium entfernt sein.“
„Sie waren die ganze zeit in der Nähe“, berichtigte ihn Himmelpfote. „Wir müssen nur endlich ihre Lager und Verstecke entdeckten, damit…“
Sie wurde von Schneeblüte unterbrochen, die sich schlagartig mit gesträubtem Fell zu uns umdrehte.
„Hunde! Versteckt euch!“
„Sind es viele?“, fragte Eichenblitz gehetzt.
„Die Meute“, entgegnete Schneeblüte zwischen zusammen gebissenen Zähnen. „Ungefähr fünf.“
Blattschatten schien zu wissen, was von ihr verlangt würde.
„Ich bringe die Schüler in Sicherheit. Sucht uns auf, sobald die Gefahr vorbei ist oder wenn ihr verletzt seid.“
Graupfote bezog protestierend Stellung. „Wir können auch kämpfen.“
„Daran zweifle ich nicht“, ging Eichenblitz auf sein Begehren ein. „Gegen Katzen werdet ihr euch sicher zu wehren wissen, aber um es mit Hunden aufzunehmen, braucht man Erfahrung, kein Training.“
Ich sah den Zweiten Anführer an. Wir konnten ihn, Schneeblüte und Kastanienglanz doch nicht im Stich lassen! „Aber…“
„Keine Widerrede! Ihr werdet Blattschatten folgen!“
Damit drehte sich Eichenblitz um und folgte den SteppenClan-Kriegern, um die Hunde abzulenken. Nun hörte ich auch das wütende Gebell, das mir das Nackenfell zu Berge stehen ließ.
„Regenpfote, komm jetzt!“, zischte Blattschatten. Hastig drehte ich mich um. Die Heilerin lief mit schnellen Schritten über die Steppe.
„Nicht weit von hier existiert ein verlassener Fuchsbau. Die Hunde sind zu groß, um dort hinein zu gehen. Wir sind dort erst einmal sicher.“
Größer als Füchse?! Etwas Eisiges schien mit einem Mal in meiner Brust zu stecken, als ich mir diese Biester vorstellen musste. SternenClan, stehe uns bei.
Der Bau war von hohem Gras bedeckt und roch moderig. Blattschatten ließ uns drei zuerst hinein laufen, bevor sie folgte.
„Geht nicht zu tief hinein, ein Schüler ist vor einigen Monden auf der Jagd nach einer Maus dort drinnen stecken geblieben.“
Abrupt bremste Himmelpfote den Lauf, als Blattschatten dies sagte und ging mit uns ein Stück nach vorne.
„Kommen sie näher?“, miaute Graupfote ängstlich.
„Psst!“, zischte die Heilerin. Ich sah, wie sie die Ohren spitzte und lauschte. Wir kamen ihrem Beispiel nach. Nach einiger Zeit glaubte ich, das Scharren von Krallen über den Waldboden zu hören.
Ich sah aus dem Augenwinkel, wie Himmelpfote ihre Muskulatur für einen bevorstehenden Kampf spannte und Blattschatten sich auf einen Angriff vorbereitet hinkauerte. Ich wusste, dass Heiler-Katzen in den Grundlagen des Kämpfens trainiert wurden, aber ob das genug war, um sich gegen Hunde zu verteidigen, zweifelte ich stark an. Kurz entschlossen stellte ich mich an ihre Seite. Die Anweisung zum Rückzug, die ich zuerst erwartete, blieb aus. Die Schritte kamen näher.
Blattschatten entspannte sich. „Das sind Katzenpfoten. Wir können hervor kommen.“
Ich sah die Heilerin mit einer geschmeidigen Bewegung aufstehen und auf den Ausgang zugehen. Sie wirkte völlig ruhig. Schnell sprang ich auf, in der Befürchtung, sie hätte sich geirrt, doch über die Steppe kam uns Kastanienglanz entgegen.
„Schneeblüte und Eichenblitz locken die Hunde von uns weg. Wir sollen den Weg zum Zweibeinerort einschlagen.“
„Kommt mit!“, miaute Blattschatten. Sie ging voraus, Kastanienglanz bildete die Nachhut.
Ich hielt mich direkt hinter Blattschatten. Irgendwie schien mich die Anwesenheit der hell getigerten Kätzin zu beruhigen. Sie ließ sich nicht so leicht aus der Ruhe bringen, wie die anderen.
„Wir kommen gleich an den Donnerweg“, warnte uns Blattschatten. „Hunde meiden ihn, wenn möglich. Auf der anderen Seite wenden wir uns vom Fluss ab und treffen Eichenblitz und Schneeblüte auf den Feldern.“
„Sie werden dort nicht ankommen!“, warf Kastanienglanz ein. „Als wir uns trennten waren sie auf dem Weg zur Hochebene, um die Hunde abzuschütteln“, fügte der Krieger hinzu.
Blattschatten zögerte. Ich sah, dass sie nicht wusste, was das Beste war.
„Warum laufen wir nicht direkt zu den Feldern und gehen ihnen zur Hochebene entgegen.“
„Uns könnten dort weite Hunde der Meute über den Weg laufen. Das wäre zu riskant“, widersprach Kastanienglanz.
Ein heller Glanz leuchtete in den grünen Augen der Heilerin auf. „Deshalb werden wir die Tunnel nehmen.“
Blattschatten ging uns allen in den dunklen, erdigen Tunnel voraus. Ich musste mich klein machen, um durch den engen Eingang zu kommen. Nach einigen Schritten konnten wir aber wieder aufrecht stehen. In dem Gang war es stockduster.
„Die Tunnel ziehen sich unter das ganze Territorium hindurch“, hörte ich Kastanienglanz erklären. „Wir glauben, dass sie von Maulwürfen gegraben wurden, sind aber nie einem begegnet. Einige von ihnen sind ziemlich gefährlich und eng, es gibt nur wenige, die wir in einem Notfall benutzen können. Ohne einen erfahrenen Krieger an der Seite ist es Schülern untersagt, in die Tunnel zu klettern.“
„Ich müsst keine Angst haben“, fügte Blattschatten von vorne hinzu. „Diesen Tunnel habe ich schon oft benutzt, er ist stabil und ungefährlich.“
Ich entspannte mich wieder. Blattschatten sollte Recht behalten. Schon bald leuchtete uns helles Tageslicht entgegen.
„Wo sind wir?“, fragte Graupfote, als wir uns auf einem weiten Feld voller goldener Ähren wieder fanden.
„Wir haben das Territorium verlassen“, miaute Kastanienglanz erstaunlich ruhig. „Von hier aus können wir über das freie Feld zur Hochebene.“
Der Krieger übernahm die Führung, wir folgten.
„Sie müssen am Rand der Berge sein. Wenn die Hunde sie dort einkesseln, wird es gefährlich.“
Im Stillen fragte ich mich, wie der braune Krieger so gut über die Position unserer Gefährten Bescheid wusste. Im Moment erschien er mir jedoch zu gestresst, um ihn mit solchen Fragen abzulenken.
Das felsige Gelände der Hochebene, die an beide Territorien angrenzte, kam in Sichtweite, das Bellen der Hunde konnte ich hören. Mir sträubte sich das Fell, als ich mir die Biester vorstellen musste. Riesige Tiere mit struppigem Fell, langen, tödlichen Klauen und gigantischen Fängen, die eine Katze mit einem Biss zermalmen könnten. Ich glaubte schon fast, den feurigen Blick aus ihren kleinen, tückischen Augen spüren zu können.
„Sie kommen auf uns zu“, miaute Kastanienglanz. „Schneeblüte muss gespürt haben, dass wir hier sind.“
Blattschatten sah den Krieger an. „Wird sie deine Spur weiterverfolgen können, wenn wir uns zu einem sicheren Ort zurückziehen?“
Kastanienglanz nickte. „Sie müssen dabei aber die Hunde abschütteln können.“
Ich warf einen Blick zu meinen Geschwistern, doch sie sahen genauso ratlos aus, wie ich.
„Wir erklären es euch, wenn wir in Sicherheit sind“, lenkte Blattschatten ab. „Nun kommt.“
Ohne ein weiteres Wort folgten wir den SteppenClan-Katzen zurück über die Felder.
Der holprige Weg machte nicht nur mir das Vorankommen schwieriger. Graupfote stolperte mehrmals, rappelte sich aber jedes Mal mit Himmelpfotes Unterstützung wieder auf.
„Dort hinten kommt ein Donnerweg“, meldete uns Kastanienglanz. „Wenn wir dort hinüber sind, sind wir die Hunde erst einmal los.“
Donnerweg. Das Wort fuhr wie eine Welle eisigen Wassers durch mein Bewusstsein. Ich sah es wieder vor mir. Das Monster, das grelle Licht seiner Augen, der unerschütterliche Lärm der schwarzen Pfoten…
Hundegebell bahnte sich hinter uns an. Unwillkürlich sah ich zurück. Monster oder Hunde?
„Beeilt euch!“, rief Kastanienglanz und steigerte sein Tempo. Ich richtete den Blick wieder nach vorne. Der Fahrtwind blies den unverwechselbaren Gestank der Monster zu mir hinüber.
„Wartet kurz.“
Kastanienglanz war direkt am Donnerweg stehen geblieben und kauerte sich im Gras hin. Er schloss die Augen. Nach einiger Zeit richtete er sich wieder auf.
„Kein Monster in Sicht. Geht rüber, schnell!“
Ohne zu überlegen rannten wir alle fünf über den Donnerweg. Ich atmete erst auf, als wir an der anderen Seite angekommen waren.
„Was jetzt?“, keuchte Graupfote.
„Wir warten auf Eichenblitz und Schneeblüte“, miaute Blattschatten. „Hunde trauen sich meistens nicht über den Donnerweg.“
„Meistens?“, wiederholte Himmelpfote skeptisch, nicht ohne Sorge.
„Sie kommen!“, miaute Kastanienglanz und erstickte so ihre Zweifel. Ich sah auf, konnte die beiden aber erst nach einiger Zeit entdecken. Die Hunde hatten sie anscheinend abgehängt.
Kastanienglanz sprang mit gesträubtem Fell auf. „Wartet!“
Eichenblitz und Schneeblüte blieben abrupt stehen, kurz bevor ein Monster dröhnend an ihnen vorüber donnerte.
„Es ist sicher!“, entwarnte Kastanienglanz nach einiger Zeit der Stille. Die Krieger liefen über den Donnerweg, ohne zu warten.
„Seit ihr in Ordnung?“, miaute Blattschatten, als sie ankamen.
„Wir sind ihnen knapp entkommen“, antwortete Eichenblitz zwischen zusammen gebissenen Zähnen. Ich sah, dass seine Vorderpfote blutete.
„Es…geht schon“, antwortete der Krieger mit zusammen gebissenen Zähnen, als Blattschatten das Maul aufmachte. „Bis…zum sicheren Platz…schaffe ich es.“
„Wir passen auf ihn auf“, versprach Schneeblüte mit einem Blick zu Kastanienglanz, der sich an ihre Seite gesellte. „Bringe du die Schüler in Sicherheit.“
„Kommt!“ Blattschatten machte schnell kehrt, wir folgten. „Aber sobald ihr kommt, untersuche ich dich, Eichenblitz!“, rief sie den dreien noch hinterher.
Ihre letzten Worte wurden von ohrenbetäubendem Hundegebell übertönt.
Die Meute hatte uns entdeckt.
Ich hatte die beiden Krieger schon nach wenigen Schritten aus den Augen verloren. Blattschatten führte uns schnell über das Feld, einen steinigen Abhang hinunter.
„Passt auf, wo ihr hintretet“, warnte uns die Heilerin. Schlitternd erreichten wir den Grund. Der Boden hier war uneben und steinig, Zweibeinergeruch tränkte die Luft.
Wir alle vier blieben kurz stehen, um durchzuatmen.
„Habt ihr…eine Ahnung, wo die anderen sind?“, keuchte Himmelpfote mit gehetztem Blick.
„Sie müssten auf der anderen Seite des Felds sein“, diagnostizierte Blattschatten ruhig. „Wie ich Schneeblüte und Kastanienglanz kenne, werden sie versuchen, die Meute so weit wie möglich von uns fern locken.“
Sie wandte sich an Eichenblitz, der uns auf drei Pfoten mehr schlecht als recht gefolgt war. „Zeig mir die Pfote!“
Mit verkniffenem Gesicht streckte Eichenblitz das Bein vor. „Ich glaube…ich bin auf einen Dorn getreten.“
„Halte still.“ Eichenblitz zischte, als Blattschatten etwas aus seiner Pfote zog.
„Wir brauchen Spinnenweben, um die Blutung zu stoppen.“
Ich sah mich um. „Dort drüben sind welche!“
„Warte, Regenpfote!“ Ich blieb auch Blattschattens Ruf erstarrt stehen.
„Schaue zuerst nach, ob die Hunde in der Nähe sind. Halte dich dicht an den Boden gedrückt.“
Ich nickte. „Werde ich machen.“
Ihren Rat befolgend lugte ich behutsam über die Grasnarbe auf das Feld. Ich konnte keinen Hund entdecken. Zur Vorsicht prüfte ich noch einmal die Luft. Kein Hund. Dicht an den Boden gedrückt schob ich mich über die Schwelle auf das Feld. Ich sah mich um. Die goldenen Ähren umrahmten mich, wie Flammen. Endlich sah ich im Sonnenlicht glitzernde Spinnenweben.
Ein Knacken in der Nähe ließ mich zusammen zucken. Vögel flatterten auf. Ich atmete mehrmals tief durch, dann schlich ich langsam auf die Spinnennetze zu. Mit einer Vorderpfote hob ich die Spinnenweben von den Halmen, die Spinnen verließen ihre Netze hastig. Die Weben zu einem Ball geformt, trug ich sie vorsichtig zurück zum Graben. Noch mehrmals blickte ich mich suchend nach Hunden um, bevor ich meine Ausbeute zu Blattschatten hinunter trug.
„Drücke sie fest auf die Wunde!“, wies diese Eichenblitz an, nachdem sie mir die Spinnenweben abgenommen hatte.
„Hast du Spuren der Hunde entdeckt?“, fragte mich Himmelpfote.
Ich brauchte einige Zeit, um ihre Frage einzuordnen.
„Nichts. Ich habe trotzdem so ein mulmiges Gefühl.“
„Wird es besser?“, fragte Eichenblitz. Immer noch schwang ein leichter Schmerz in seiner Stimme, wenn er auch erleichtert schien.
„Die Blutung ist bald gestillt. Ich kann dir aber erst einen Kräuterumschlag machen, wenn wir in Sicherheit sind.“
Wir fuhren alle zusammen, als Schneeblüte und Kastanienglanz mit einem Mal neben uns in der Kuhle landeten.
„Wir haben sie abgehängt, müssen aber dennoch schnell unsere Position wechseln.“ Kastanienglanz sah Eichenblitz’ Verletzung. „Ist es schlimm.“
„Er ist auf etwas Spitzes getreten“, antwortete Blattschatten. „Tief ist die Wunde aber nicht.“
„Nehmt keine…Rücksicht auf mich!“, verlangte Eichenblitz. „Es ist nur ein Kratzer. Ihr dürft euch nicht wegen mir in Gefahr begeben.“
„Dieser Kratzer kann sich schnell entzünden!“, widersprach Blattschatten. „Wir müssen schnell einen sicheren Ort finden.“
Schneeblüte richtete ihren Blick über den Rand des Grabens. „Nicht weit von hier befindet sich eine Felshöhle. Wir sind eben an ihr vorbei gekommen.“
„Und die Hunde?“, fragte Blattschatten.
„Befinden sich inzwischen wieder irgendwo auf der anderen Seite des Donnerweges.“
Die Heilerin nickte. „Gut. Dann lasst uns keine Zeit verlieren.“
Wir erreichten die Höhle ohne weitere Komplikationen. Eichenblitz hatte den ganzen Weg über tapfer durchgehalten, ließ sich nun aber ächzend auf den Boden gleiten. Die Wunde hatte aufgehört zu bluten.
„Wir brauchen Kräuter. Ampfer und Kerbel helfen bei Wunden am besten. Goldrute kann auch verwendet werden. Ampfer habe ich nicht weit von hier gesehen.“
„Wir können ihn hohlen“, bot sich Himmelpfote mit mitleidigem Blick auf den Zweiten Anführer an.
„Nicht alleine. Ich werde mitkommen.“ Blattschatten drehte sich zu Graupfote und mir um. „Passt auf, dass er seine Pfote ruhig hält und schlagt Alarm, sobald ihr etwas Verdächtiges hört.“
Wir nickten, da hatten sich die beiden Kätzinnen schon auf den Weg gemacht.
Ich sah ihnen eine Weile nach, dann richtete ich den Blick wieder auf die Felder. Von Kastanienglanz und Schneeblüte keine Spur.
„Sind die Hunde weg?“ Eichenblitz’ Schmerzen schienen inzwischen nachgelassen zu haben. Er sah von seinem Platz aus hinaus.
„Keiner in Sicht“, meldete ich vorsichtig, um keine allzu großen Versprechungen zu machen.
Ich sah, wie Eichenblitz sich vorsichtig hinkniete, die verletzte Pfote dabei vor sich ausgestreckt. „Könnt ihr etwas hören? Riechen?“
Ich schloss die Augen und spitzte die Ohren. Graupfote prüfte die Luft. Nichts.
„Keine Spur, Eichenblitz“, meldete Graupfote. Er wandte sich dem Zweiten Anführer zu. „Stimmt etwas nicht?“
Der braune Krieger zögerte. „Schon in Ordnung“, miaute er schließlich. „Ich hatte nur so ein seltsames Gefühl.“
Wir zogen uns wieder von dem Eingang zurück.
„ ‚Seltsames Gefühl’ klingt gar nicht gut“, gestand Graupfote.
„Fühlt sich auch nicht unbedingt gut an.“
„Sollen wir nachschauen?“, schlug ich zögernd vor.
Eichenblitz nickte. „Seid aber vorsichtig.“
Wir traten hinaus ins Freie.
„Sie kommen!“
Graupfote hatte sich als Erster wieder gerafft. Ich war noch Augenblicke lang vom Anblick der riesigen schwarz-braunen Ungeheuer gefangen, die mit Geifer an den Lefzen auf uns zu liefen. Eichenblitz hatte Recht gehabt, mit diesen Feinden konnten wir es nicht aufnehmen.
„Sie werden uns unweigerlich entdecken“, hörte ich Graupfote verzweifelt miauen. Endlich riss ich mich los und sprintete wieder in die Höhle. „Was sollen wir nur tun?“, rief mein Bruder verängstigt.
Eichenblitz schien einen Moment lang mit sich zu kämpfen, bevor er antwortete.
Drei Worte, die uns bis ins Mark erschütterten.
„Lasst mich zurück!“
Wir brachten beide kein Wort heraus. Ich fühlte mich wie erstarrt und ich spürte, dass Graupfote genauso dachte. Wir konnten den Blick nicht von Eichenblitz wenden, der vor uns auf dem spärlichen Moospolster lag. Mehrere Atemzüge verstrichen, wir konnten uns nicht rühren.
„Lauft schon!“, zischte Eichenblitz uns zu. „Und berichtet auch Blattschatten und Himmelpfote, dass sie fliehen sollen.“
Er wollte sich opfern. Für uns.
Und die Mission.
„Das…“ Ich brachte kaum ein Wort hervor. „Das geht nicht.“
„Das ist gegen das Gesetz der Krieger“, hauchte Graupfote neben mir. „Wir dürfen dich nicht im Stich lassen.“
„Wenn ihr…nicht flieht…ist das euer Ende!“, zischte Eichenblitz. „Es ist meine Pflicht, euch zu schützen. Deshalb hat Fuchsstern mich mit euch geschickt!“
Wir starrten den Kater immer noch geistesabwesend an. Das Gebell der Hunde kam näher.
„Sie sind gleich hier.“ Eichenblitz humpelte auf drei Pfoten zum Ausgang. „Lauft“, hauchte er uns zu, bevor er in das goldene Licht der untergehenden Sonne trat.
Das Bellen der Hunde verwandelte sich in ein Knurren. Ich konnte ihre Pfotenschritte hören.
Ich sah in einem letzten verzweifelten Blick zu Graupfote. Seine blauen Augen blickten glasig ins Leere.
Wir mussten uns an das Gesetz der Krieger halten.
Und den Befehlen unseres Zweiten Anführers folgen.
„Wir müssen weg von hier!“ Jedes Wort brannte in meinem Hals wie Feuer.
Langsam nickte Graupfote.
Eichenblitz war schon mehrere Fuchslängen von uns weg gehumpelt. Die Hunde, es waren drei, waren kurz stehen geblieben, um ihre potenzielle Beute zu begutachten. Eine verletzte Katze. Leicht zu erjagen.
Als der Größte der Hunde mit einem Sprung auf Eichenblitz zusetzte, liefen wir los.
Wir liefen bis zum Rand der Felder. Die Sonne war längst nur noch ein roter Strich am Horizont. Ich spürte kaum den Boden unter meinen Pfoten.
Es war schon Nacht, als wir uns endlich am Rand einiger sanfter Hügel wieder fanden.
Blattschatten und Himmelpfote hatten die Suche nach Heilkräutern aufgeben müssen. Sie wurden von Schneeblüte abgeholt. Kastanienglanz stieß als Letzter zu uns.
„Sie haben unsere Spur aufgegeben“, meldete der Kater keuchend. „Die Meute ist abgezogen, ich habe das letzte Feld dreimal kontrolliert. Wir sind sicher.“ Er hielt inne und sah uns der Reihe nach an. „Wo ist Eichenblitz?“
Sofort richteten sich alle Blicke auf Graupfote und mich.
„Wo ist er?“, fragte Himmelpfote erneut. Ich sah sie an. Die Hoffnung in ihren grünen Augen war von der dunklen Ahnung der Wahrheit bedeckt. Ich brachte kein Wort hervor.
Sie verstand mich trotzdem.
„Haben…die Hunde ihn…“
Graupfote nickte. „Ja.“ Seine Stimme klang trocken und rau.
Alle wirkten bestützt.
Niemand brachte ein Wort hervor.
„Seid ihr…sicher?“, miaute Blattschatten.
Ich brachte kein Wort mehr hervor. Mit einem Blick überließ ich Graupfote das Reden. Er konnte das besser als ich.
„Er befahl uns, zu fliehen. Er sagte, mit ihm wären wir so gut wie tot. Wir haben versucht ihn aufzuhalten, aber…da ist er schon hinausgegangen. Die Hunde haben sich auf ihn gestürzt. Wir sind geflohen.“
Mehr brachte er nicht hervor. Graupfote senkte den Kopf. Ich legte meine Schwanzspitze auf seine Schulter. Ich fühlte mich genauso elend wie er.
„Es war nicht eure Schuld“, miaute Schneeblüte sanft. „Er hat seine Entscheidung selbst gefällt.“
Ich wandte mich von den anderen ab und legte mich an der windgeschützten Seite des Hügels hin. Himmelpfote und Graupfote folgten mir.
Schneeblüte, Kastanienglanz und Blattschatten sahen uns noch eine Zeit lang nachdenklich an, dann wandten sie sich ab und ließen uns mit unseren Gedanken allein.
„Niemand hätte den Angriff der Hunde voraus sagen können. Es war einfach Pech!“, miaute Himmelpfote, nachdem ich zum morgendlichen Gruß nur ein müdes Gähnen hervor gebracht hatte. Graupfote sagte nichts, sondern starrte blicklos in die Dunkelheit.
„Pech?“, wiederholte ich tonlos.
„Ja!“ Himmelpfote wurde etwas ruhiger, wirkte aber immer noch nervös und angespannt. „Es war ein schlimmes, grausames Unglück.“
„Wir konnten ihn nicht einmal begraben“, hauchte Graupfote neben mir. Verzweifelt sah Himmelpfote zwischen uns hin und her. „Ich trauere genauso um Eichenblitz, wie ihr. Er war ein großer Krieger, ein Vorbild für uns alle. Aber…WIR KÖNNEN DAS NICHT UNGESCHEHEN MACHEN!“
Ihr plötzlicher Ausruf ließ mich zusammen fahren. Himmelpfotes graublaues Fell hatte sich gesträubt, ihre Augen funkelten verzweifelt. „Wir haben eine Aufgabe zu erfüllen. Wir drei! Glaubt ihr, Himmel, Graufell oder Regen hätte uns diese Mission zugeteilt, damit wir aufgeben?!“
Mit einem Mal sprang Graupfote auf. Er bleckte die Zähne, die im Licht des zunehmenden Mondes blitzten.
„Du warst nicht dabei!“
Ich starrte meinen Bruder entsetzt an. Noch nie hatte ich Graupfote so wütend erlebt.
„Du hast nicht gesehen, wie die Hunde sich auf ihn gestürzt haben. Er war hilflos! Wie sollen wir diese Aufgabe erfüllen, wenn wir nicht einmal unsere eigenen Clan-Gefährten schützen können?“
Verzweiflung glänzte in Himmelpfotes Augen.
„Eichenblitz ist sicher nicht gestorben, damit ihr euch Vorwürfe macht. Er war eine große Katze, wir können in seine Pfotenspuren treten, wenn…“
„Ich werde nicht in irgendjemandes Pfotenspuren treten“, miaute ich abwesend, obwohl ich mir sicher war, dass meine Geschwister mir nicht zuhörten.
„Wir können uns doch nicht einfach ein Beispiel an ihm nehmen!“, zischte Graupfote zurück.
„Nicht auf dem Weg!“ Himmelpfote ging einen Schritt zurück. „Ich will dich doch gar nicht…Graupfote, du bist mein Bruder, ich weiß, was mit dir los ist. Aber deshalb dürfen wir nicht…“
„Hört auf!!!“
Meine Stimme hörte sich schrill und unnatürlich hoch an, doch sie verfehlte ihre Wirkung nicht. Erstarrt sahen Himmelpfote und Graupfote zu mir hinüber.
„Streiten bringt doch jetzt nichts! Wir haben eine Aufgabe zu erfüllen! Übermorgen ist die Große Versammlung, euer Streit lässt die Zeit auch nicht langsamer vergehen.“ Mein Atem ging flach und gehetzt. „Erinnert ihr euch noch, wie wir als Junge aufgebrochen sind, um die Katzen zu suchen? Damals waren wir uns ohne Diskussionen einig. Wir waren eine Gemeinschaft! Unerschütterlich, selbst als wir wegen der Aktion großen Ärger bekommen haben, haben wir nicht aufgehört. Wir haben nicht geredet, wir haben gehandelt! Wir waren einer Meinung, wir haben uns gegenseitig unterstütz. Wir haben nicht aufgegeben, als es schwierig wurde. Und das werden wir heute auch nicht!“
Graupfote sah verlegen zu Boden, Himmelpfote wich meinem Blick aus.
„Wir sind nicht nur Gefährten, wir sind Geschwister“, fügte ich leiser hinzu. „Der SternenClan hat uns dafür auserwählt, wollt ihr ihnen zeigen, dass wir unfähig sind?“
Ich hielt es nicht länger aus. Ich wirbelte herum und lief über das im Nachtwind wogende Gras der Wiesen davon.
Regenpfote, warte!
Ich blendete die Stimme in meinem Kopf aus, ebenso die Schritte und die Wärme einer mir folgenden Katze, die ich nicht sehen konnte.
Du hast keine Ahnung! Ich mag zwar deinen Namen tragen, aber ich bin nicht wie du! Du, Graufell, Himmel unter der Morgenröte. Ihr seid euch nie begegnet! Warum glaubt ausgerechnet ihr drei, Einfluss auf unser Leben nehmen zu können?!
Mir war klar, dass Regen diese Gedanken mitbekam. Ich wollte, dass er sie mitbekam.
Und ich wollte allein sein.
Allein mit diesem unangenehm nagenden Gefühl der Schuld.
Schritte hörte ich hinter mir. Wütend fuhr ich herum.
„Ich sagte, ich will…“ Mitten im Satz hielt ich inne. Kastanienglanz trat aus dem Schatten der Hügel.
„Entschuldigung“, stammelte ich unbeholfen. „Ich dachte…“
Mitten im Satz brach ich ab und wandte mich um. Wem war ich hier noch Rechenschaft schuldig?
„Ich möchte nur kurz mit dir reden“, miaute Kastanienglanz sanft und setzte sich neben mich. Ich gab es ungern zu, aber seine Gesellschaft tat mir gut.
„Du hast das eben mitbekommen.“
„Ihr wart kaum zu überhören.“
Ich ließ den Kopf sinken. „Das war mäusehirnig.“
„Hör bitte auf, dir Vorwürfe zu machen.“ Kastanienglanz legte sanft seinen Schwanz um mich. „Du hast bemerkt, was auf der Flucht geschehen ist.“
Ich wusste zunächst nicht, was er meinte. „Du wusstest, wo sich Schneeblüte und Eichenblitz aufgehalten haben. Ich habe mich schon gewundert…“
„Ich weiß. Ich denke, es ist Zeit, dir das zu erklären.“
Ich sah zu dem SteppenClan-Krieger auf.
„Schneeblüte ist meine Schwester. Seitdem wir Jungen waren, hatten wir eine spezielle Bindung.“
„Eine Bindung?“, wiederholte ich verwirrt.
„Es mag etwas seltsam klingen, aber wir wussten immer, was der andere im Moment dachte, was er fühlte, was er tat oder tun würde. Wir konnten Gespräche führen, in denen nur einer von uns redete, oder uns auch einfach nur durch Blicke verständigen. Was natürlich nicht heißt, dass wir immer einer Meinung waren.“
Ich blinzelte verwirrt.
„Ihr…hattet eine gedankliche Verbindung?“
Mit einem Mal fügte sich alles zusammen. „Deshalb hat Fuchsstern euch auserwählt. Deshalb trennt ihr euch ständig, da ihr so alles überwachen könnt.“
Kastanienglanz schnurrte. „Sehr gut kombiniert, Regenpfote.“ Er schwieg einen Moment, bevor er weiter erzählte. „Damals, als wir euch drei aus dem Fluss gezogen haben, habt ihr mich sehr an uns erinnert, als wir noch Junge waren.“
„Ihr habt doch nicht etwa auch…“
„Nein, nein. Wir hatten viele Flöhe im Kopf, aber nicht mehr, als andere Jungen in unserem Alter. Ich möchte mich ungern brüsten, aber wir drei waren die Hoffnung des ganzen Clans.“
Ich horchte auf. „Drei?“
Etwas Schwerfälliges lag in Kastanienglanz’ Stimme, als er weiter sprach.
„Wir waren noch Junge, als der Kampf gegen die Streuner begann. Unser Bruder Laubjunges, er war immer der Größte und Stärkste von uns. Er war klug und schnell. Der geborene Krieger, in den Augen unserer Mutter. Wir haben ihn während der Kämpfe aus den Augen verloren. Als er…als er starb, wussten wir es sofort. Von dem Moment an haben wir diese Bindung zwischen uns entdeckt.“
Etwas traf ich in der Brust. Mitleid überflutete mich.
„Wir wissen nicht, ob wir schon immer so verbunden waren, oder es nur ab dem Zeitpunkt entstanden ist, aber wir sind froh, dass wir diese Zusammengehörigkeit besitzen. Uns konnte nichts auseinander bringen.“
Ich nickte langsam. „Ich verstehe.“
„Ihr drei seid Geschwister. Es ist nicht einfach, schon so jung mit einer solchen Verantwortung aufzuwachsen, doch zusammen könnt ihr drei es schaffen. Ihr könnt ein Team sein.“
Ich sah auf.
„Danke.“ Mehr brachte ich nicht hervor. So viele ungesagte Worte schwebten in dem Moment zwischen uns.
Ein Rascheln ließ mich herum fahren. Schneeblüte näherte sich uns, mit Himmelpfote und Graupfote im Schlepptau. Ich sah in ihren Augen, was sie zu sagen hatten.
„Ich glaube, ihr drei habt ein wenig zu besprechen“, miaute Schneeblüte leise. Die Geschwister verschwanden gemeinsam hinter den Hügeln.
Himmelpfote brachte als Erste einen Satz heraus.
„Wie gehen wir weiter vor?“
Als ich die Augen aufschlug kam es über mich, wie eine Welle eisig kalten Wassers: Es war der letzte Tag vor der Großen Versammlung. Die letzte Chance, die Prophezeiung zu erfüllen. Ich rappelte mich auf. Himmelpfote und Graupfote schlummerten noch friedlich neben mir, weit entfernt von den Sorgen der Welt.
Die ersten gelblichen Strahlen des Sonnenhochs brachten die grünen Wiesen vor mir zum glänzen. Ich ließ meinen Blick über die Landschaft schweifen. Wo seid ihr? Am liebsten hätte ich die Frage laut hinaus geschrieen, wollte aber die anderen nicht wecken. Blattschatten und Kastanienglanz schliefen noch, Schneeblüte, die die Nachtwache übernommen hatte nickte mir freundlich zu, um die anderen nicht zu wecken.
Ich erwiderte ihren Gruß kurz, streckte mich und ging langsam zum anderen Ende unseres provisorischen Lagers.
Regen, wo bist du?
Erfolglos hatte ich beim Einschlafen gehofft, meinen Namenspatron wieder zu sehen, um aus ihm den letzten Hinweis für unsere Suche heraus zu bekommen. Doch meine Träume waren genauso lehr wie der wolkenlose Himmel über mir.
Ich schloss fest die Augen und wünschte mich Monde zurück, als wir noch Junge waren, ohne diese Zeichen, diese Träume, diese Spuren. Ohne jede Verantwortung. Einfach drei ganz normale Katzen, wie alle anderen um uns herum auch.
„Du kannst die Zeit nicht zurück drehen.“
Ich blickte auf. Wir befanden uns wieder in der Talsenke, wo morgen die Große Versammlung stattfinden sollte. Regens grau-getigertes Fell glitzerte silbern im Schein der aufgehenden Sonne.
„Ich weiß“, murmelte ich, nicht in der Lage, meine Mutlosigkeit zu verbergen. „Wir wissen einfach nicht weiter“, sprach ich schließlich meine Verzweiflung aus. „Wir haben uns gestritten! Himmelpfote und Graupfote waren kurz davor, sich ans Fell zu springen. So etwas ist uns nie zuvor passiert!“
Regen setzte sich einfach hin. Er würde mir zuhören. Endlich konnte ich all diese Sorgen rauslassen.
„Was…wenn ihr euch geirrt habt! Wenn wir nicht die Auserwählten sind! Wir wissen noch nicht einmal, wer diese Katzen überhaupt sind. Wie sollen wir sie nur finden?“
Statt eine Antwort zu geben lenkte Regen das Gespräch in eine andere Richtung. „Erinnerst du dich an unser erstes Treffen?“
Stumm nickte ich. Die Prophezeiung. Wie sollte ich das vergessen?
„Dann weist du sicher noch, was ich dir über diese Katzen gesagt habe.“
Sie werden euch finden.
Mit einem Mal wurde mir alles klar. Wir hatten die ganze Zeit über in die falsche Richtung ermittelt. Es war unsere Aufgabe, die Katzen mit den Clans bekannt zu machen. Aber nicht, sie zu finden. Das übernahmen sie schon selbst.
„Sie werden uns finden“, hauchte ich zu mir selbst. „Aber…wann?“
Regen löste sich langsam im Nebel auf, als er sprach. „Sie sind auf dem Weg. Ihr müsst nur den Treffpunkt finden.“
„Treffpunkt?“ Der Nebel rückte näher. Ich sprang auf. „Regen! Warte! Wo liegt dieser Treffpunkt?“
„Kehrt zum Anfang zurück.“ Damit verschwand er in Nebel.
Zum Anfang?
Mit einem Ruck wachte ich auf. Der Anfang. Was meinte er damit? Doch nicht etwa das Lager, oder den Talkessel! Welcher Anfang?
Ich sah mich um. Kastanienglanz und Blattschatten waren ebenfalls erwacht.
Kehrt an den Anfang zurück.
Ich kam nicht weiter. Ich benötigte Hilfe.
„Was ist los mit dir?“
Graupfote riss mich aus den Gedanken. Er sah mich nachdenklich an. „Hast du ein Zeichen bekommen?“
„Kehrt zum Anfang zurück“, wiederholte ich Regens Worte.
„Wie bitte?“, miaute Himmelpfote
„Die Prophezeiung lautete, dass sie uns finden werden. Wir müssen nur zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein“, wiederholte ich Regens Botschaft. „Regen sagte, wir bräuchten einen Treffpunkt. ‚Kehrt zum Anfang zurück.’ Das waren seine Worte.“
„Zum Anfang?“, miaute Graupfote nachdenklich.
„Ich weiß nicht, was damit gemeint ist“, gestand ich ihnen.
Himmelpfote und Graupfote schüttelten ebenfalls die Köpfe.
„Gibt es Probleme?“
Blattschatten hatte uns beobachtet.
„Kehrt zum Anfang zurück“, wiederholte Himmelpfote. „Das ist unser einziger Anhaltspunkt, um den Ort zu finden, an dem die Katzen uns finden könnten.“
Die Heilerin schien zu überlegen. „Der Anfang.“ Mit einem Mal schien sie einen Geistesblitz zu haben.
„Natürlich. Der Anfang!“ Sie sprang auf. „Kastanienglanz! Schneeblüte!“
Die beiden Krieger kamen wie gerufen.
„Was ist los?“, fragte Schneeblüte.
„Ich weiß, wo die Katzen sind.“
„Als die ersten Spuren entdeckt worden, hatte ich einen Traum.“ Blattschatten sprach, während wir ihr über die weiten Felder folgten. „Ich wusste damals noch nicht, was er bedeuten sollte. Auch Dornenblatt konnte meinen Traum nicht deuten. Wir beide sind noch am nächsten Tag zur Sternengrotte gereist, doch wir haben keine klarere Antwort erhalten. Kurz darauf hat Mausstern sich für das Treffen im BlattClan-Lager entschieden.“
„Was hast du im Traum nun gesehen?“, fragte Kastanienglanz, der Blattschatten flankierte.
„Ein Tal. In ihm lag ein runder See. Wir kannten diesen Ort nicht, deshalb wussten wir auch nicht, was wir mit dieser Gewissheit tun sollten.“
„Aber wo liegt dieses Tal?“, fragte Schneeblüte.
„Ich weiß es nicht genau“, gestand Blattschatten. „Aber ich habe einen Verdacht…“
„Einen Verdacht?“, wiederholte Kastanienglanz verwirrt.
„Erinnert ihr euch noch an Timmy?“
Ich sah die Heilerin verwirrt an. „Wer ist Timmy?“
„Ein Einzelläufer, der einmal durch unser Territorium gestreunt ist“, erklärte Kastanienglanz. „Er war auf dem Weg zu Freunden auf den Wiesen. Wir haben Blattschatten auf einer Patrouille beim Kräutersammeln begleitet.“
„Und habt euch mit ihn unterhalten?“, fragte Graupfote.
„Eigentlich war es eher umgekehrt“, gestand Schneeblüte. „Er sagte, er wolle Freunde im Zweibeinerort besuchen, wir haben ihn bis dahin begleitet. Den ganzen Weg über hat er uns Geschichten über seine Reisen erzählt. Er war sehr freundlich, aber zugehört haben wir ihm kaum.“
„Das Tal mit dem See kam in seinen Geschichten vor“, fügte Blattschatten hinzu. „Jetzt ist es mir wieder eingefallen. Der See liegt hinter den Wiesen, in der Nähe des Zweibeinerortes. Von dort aus kommt man gut zu unseren Territorien. Eigentlich hätte ich früher darauf kommen können, dass dort ein gutes Lager für sie wäre.“
„Man hätte erst darauf kommen müssen, dass Timmys Gerede überhaupt nützlich sein könnte“, fügte Kastanienglanz hinzu.
„Hinter dem Zweibeinerort.“ Himmelpfote sah mit einem Mal auf. „Vielleicht können uns die Katzen vom Zweibeinerort dorthin führen. Sie sind sehr hilfsbereit.“
Ich stieß sie leicht mit der Schwanzspritze an.
„Sie haben euch doch schließlich auch beim Kampf gegen die Streuner geholfen“, fügte Himmelpfote hinzu, mir einen entschuldigenden Blick zuwerfend.
„Das hatten wir vor“, miaute Kastanienglanz.
Die Steppe neigte sich dem Ende zu.
Der Zweibeinerort war, wie ich ihn in Erinnerung hatte. Dicke, hohe Baue, spärliche pflanzliche Bewachsung und eine Wolke verschiedenster, nicht immer angenehmer Gerüche, die einen umgaben. Darunter auch der beißende Gestank von Monstern.
„Keine Sorge, Monster fahren in diesem Teil des Zweibeinerortes selten umher“, beruhigte mich Blattschatten, als ich sie darauf angesprochen hatte. „Und wenn, dann hört man sie schon lange, bevor sie in Sichtweite kommen. Hier gibt es genug Winkel, um sich zu verstecken.“
Ich zog es vor, ihren Worten einfach blind Glauben zu schenken. Dennoch bereitete mir der harte, graue Stein, der den Untergrund des Zweibeinerortes bildete, immer noch Unbehagen.
„Ich glaube, wir werden vor Sonnenfall nicht hier heraus kommen“, miaute mir Graufell mit einem Blick auf den rotgoldenen Himmel zu. Die untergehende Sonne konnten wir zwischen den Zweibeinerbauen nicht sehen.
„Hier würde ich ohnehin nicht schlafen können, da können wir unsere Reise noch bis zum Ende fortsetzen.“
Verständnisvoll sah er mich an. „Die Monster?“
Ich nickte stumm. Hier konnte ich nicht darauf wetten, dass eine Katze uns beobachtete und, wenn nötig, mich im letzten Moment zur Seite ziehen würde.
„Hey!“ Ich blieb stehen, als ich diesen Ruf hörte. Auch die anderen drehten sich um. Eine rotbraune, weiß-gefleckte Kätzin mit zerzaustem, langem Fell kam aus einem Seitengang auf uns zu. „Ihr gehört doch zu den Katzen aus dem Wald, oder?“
Blattschatten übernahm das Wort. „Das stimmt. Wie müssen den Zweibeinerort überqueren, um jemanden zu finden. Wir suchen eine Gruppe von Katzen, die sich in einem Tal hinter dem Zweibeinerort nieder gelassen haben.“
Die Kätzin, wahrscheinlich eine Einzelläuferin, sah uns kurz nachdenklich an. „Von dem Tal habe ich gehört, aber ich wüsste nicht, dass dort Katzen leben. Wenn ihr wollt, kann ich euch dort hinführen, ich kenne einige Abkürzungen.“
Erleichtert nickte Blattschatten. „Danke. Das ist uns wirklich sehr wichtig.“
„Ich helfe gerne. Man nennt mich Minni.“
Wir nannten Minni unsere Namen, während sie die Führung übernahm. Zu meiner Erleichterung führte sie uns von dem engen Donnerweg hinunter in einen mit Gras und Moos bewachsenen Seitenweg, an den einige Zweibeinerbaue grenzten. Der Wind wehte mir den Duft von Erde uns Gras entgegen.
Wir hatten bald den Anfang erreicht.
Ich prüfte die Luft sorgfältig.
„Hier ist der Duft!“ Himmelpfote hatte den phantomartigen Katzengeruch als erste erkannt. Sofort liefen wir zu ihr. Die Spur war schal und verlor sich zwischen den geknickten Grashalmen.
„Sie werden uns aufsuchen“, erinnerte ich meine Schwester. „Und zwar im Tal.“
„Ja.“ Sie leckte sich verlegen über die Brust. „Entschuldigung. Es ist mit mir durchgegangen.“
Wir gingen zu den SteppenClan-Katzen zurück, die auf uns warteten.
„Falscher Alarm“, entwarnte Himmelpfote. „Wir können weiter.“
Wir setzten uns erneut in Bewegung. Ich ließ meinen Blick über die Landschaft streifen.
„Wenn ich Minnis Beschreibung richtig verstanden habe, bewegen wir uns unmittelbar auf die Talsenke zu.“ Ich sah zu Blattschatten. „Kommt dir die Gegend aus deinem Traum bekannt vor?“
„Nicht direkt“, wich die Heilerin meiner Frage zunächst aus. „Aber sie kommt mir…vertraut vor.“
„Ein gutes Zeichen?“
„Für unsere Mission sicher“, antwortete Blattschatten. „Dennoch werde ich das Gefühl nicht los, dass hier etwas Gefährliches lauert.“
Ich schluckte. Warum nur mussten Heiler-Katzen immer solch düstere Zukunftsvisionen von sich geben?!
Ich holte zu meinen Wurfgefährten auf.
„Blattschatten hat ein schlechtes Gefühl.“
„Oh je“, miaute Himmelpfote.
„Haltet die Augen offen“, riet ich ihnen. Als ich zu Kastanienglanz und Schneeblüte tappte, nickten diese mir schon wissend zu.
„Wir wissen schon“, miaute Schneeblüte. „Ich komme mit zu euch nach vorne. Kastanienglanz hält uns den Rücken frei.“
Ich nickte und setzte mich gehorsam wieder an die Spitze der Patrouille. Langsam wurden mir die Fähigkeiten der beiden Krieger unheimlich.
„Prüft die Luft nach verdächtigen Gerüchen“, befahl uns Schneeblüte. Ich fing an, durch die Nase zu atmen, damit mir nichts entgehen würde. Zusätzlich spitzte ich die Ohren.
Ich hörte das Rauschen des Windes im hohen Gras. Gerüche verschiedener Pflanzen drangen zu mir. Ich roch die Note von Wühlmäusen und Kaninchen, glaubte, Eidechsen und Schlangen wahrzunehmen. Irgendwo darunter mischte sich der charakteristische Katzengeruch, dem wir so lange gefolgt waren. Ich roch Vögel, die über mir durch die Luft segelten. Eine schale Mäusespur kreuzte unseren Weg, sie wurde von Katzengeruch begleitet. Instinktiv schnupperte ich weiter nach der Katze…und entdeckte einen anderen Geruch.
Regen?
„Ich rieche Graufell“, miaute Graupfote. „Könnt ihr Himmel und Regen wahrnehmen.“
Himmelpfote und ich nickten.
„Sie wollen uns irgendetwas mitteilen“, schloss ich daraus hervor. „Aber was?“
„Ich glaube, Blattschatten hat Recht mit ihrer Vermutung“, murmelte Graupfote. „Ich habe auch kein gutes Gefühl.“
„Wir müssen Kontakt zu unseren Namenspaten aufnehmen“, schlug Himmelpfote vor. „Sofort. Nur sie können uns sagen, was zu tun ist.“
„Wir dürfen uns nicht zerstreuen“, widersprach ich. „Was, wenn wir uns nicht wieder finden.“
„Gibt es Probleme?“, fragte Schneeblüte, die wieder zu uns zurückgekehrt war.
„Wir sind in Gefahr“, miaute Graupfote. „Wir alle.“
Mit einem Mal stürzte Blattschatten mit gesträubtem Fell aus dem Gras. „Füchse! Es sind zwei! Sie kommen direkt auf uns zu!“
Mein Pelz sträubte sich. Ich dachte an die Füchse zurück, die uns damals, als wir noch Junge waren, verfolgt hatten. Damals hatten wir eine ganze Patrouille Krieger bei uns.
„Wie viele?“, fragte Schneeblüte.
„Mindestens drei. Die Blattleere scheint sie ziemlich erwischt zu haben, sie scheinen hungrig zu sein.“ Blattschatten schüttelte sich. „Sie kommen auf uns zu. Ich hatte mich bei meinen Visionen noch nie geirrt!“
„Wir müssen zusammen bleiben!“, miaute Kastanienglanz. „Alleine können wir gegen Füchse nicht bestehen.“
Mit einem schmerzhaften Stich wünschte ich mir Eichenblitz zurück. Der starke Krieger wäre uns hier sicher eine enorme Hilfe gewesen.
„Hier entlang!“, miaute Schneeblüte. Wir folgten ihr, Kastanienglanz bildete die Nachhut. Ich stolperte, Blattschatten fing mich auf. Ohne eine Gelegenheit, mich zu bedanken lief ich weiter.
„Wir sind zu langsam!“, hörte ich Blattschatten miauen. „So kesseln sie uns ein. Wir müssen uns aufteilen!“
„Wir können dich und die Schüler nicht im Stich lassen!“, widersprach Schneeblüte.
„Nein, aber ihr könnt die Füchse ablenken. Allein seid ihr schnell genug um ihnen zu entkommen. So haben wir alle eine Chance…“
„Die Katzen!“, rief ich aus. Ich brachte die Worte nur mühsam hervor, da der Sprint mir den Atem raubte. „Sie können uns helfen!“
„Wir wissen nicht, ob sie kämpfen können“, gab Kastanienglanz zu bedenken.
„Sie sind unsere letzte Hoffnung“, ergriff Graupfote für mich Partei. „Sie werden sich nur uns dreien offenbaren. Ihr müsst die Füchse ablenken.“
„Ich höre einen Bach“, fügte Himmelpfote hinzu. „Dort könnt ihr eure Spur verwischen. Das Tal finden wir drei alleine.“
Ich hatte das Gefühl, dass Schneeblüte und Kastanienglanz noch etwas einwenden wollten, doch Blattschatten kam ihnen zuvor. „Machen wir es. Es ist unsere letzte Chance.“
Schneeblüte erteilte die Befehle. „Blattschatten, du läufst zum Bach, wenn ich das Zeichen gebe und bringst dich in Sicherheit. Kastanienglanz und ich versuchen, die Füchse wegzulocken. Graupfote, Regenpfote, Himmelpfote, ihr lauft zum Tal.“
Wir nickten, um zu zeigen, dass wir den Plan verstanden hatten.
„Jetzt!“, gab Schneeblüte das Zeichen. Sie und Kastanienglanz stoppten den Lauf und drehten sich mit ausgefahrenen Krallen um.
„Möge der SternenClan auf euren Wegen wandeln“, wünschte uns Blattschatten, bevor sie abbog und zwischen den Halmen verschwand. Die Sorge um die drei Katzen bohrte sich mir tief ins Herz, doch ich zwang mich, den Blick geradeaus zu richten.
„Woher wissen wir, dass wir den richtigen Weg einschlagen?“, keuchte Graupfote.
„Immer der Nase nach“, lautete Himmelpfotes Antwort. Ich zog die Luft durch die Nasenlöcher. Regens Geruch stach mir sofort in die Nase, neben dem von zwei anderen Katzen, die ich nicht kannte. Waren das Graufell und Himmel unter der Morgenröte?
Sie waren es, das spürte ich. Sie führten uns.
Der Weg wurde steiniger, als ich ein lautes Bellen hinter mir wahrnahm.
Es waren keine Hunde.
„Einer muss uns eingeholt haben“, zischte Graupfote.
„Wir folgen unseren Namensgebern!“, kommandierte ich. Etwas sagte mir, dass es richtig war.
Das Gras lichtete sich allmählich. Ich glaubte, in der Ferne eine Talsenke zu erkennen.
„Dort, das muss sie sein.“
Wir steigerten unser Tempo, als mit einem Mal ein fast hundsgroßer, feuerroter Fuchs vor uns auftauchte und uns den Weg abschnitt.
Wir drei blieben wie erstarrt stehen. Ich fuhr meine Krallen aus, sträubte mein Fell und bleckte fauchend die Zähne. Meine Wurfgefährten taten es mir nach, doch ich sah, dass in ihnen dieselbe Furcht wütete. War dieser Fuchs an Schneeblüte und Kastanienglanz vorbei gekommen? Oder, noch schlimmer, hatte er sie getötet? War der andere ebenfalls in der Nähe?
Als der Fuchs auf uns zusprang, wichen wir zur Seite, stoben auseinander. Ich spürte seinen Körper an mir vorbei zischen, als ich mich wieder aufrichtete. Schneeweiße Zähne blitzten vor mir auf.
Ich schlug zu. Meine Krallen hinterließen rote Kratzer auf seiner schwarzen Schnauze, doch behinderten den Fuchs nicht im Geringsten. Im Gegenteil, die kleine Verletzung schien ihn noch wütender zu machen.
Mit einem zornigen Knurren fixierten sich die brennenden Augen des Fuchses auf mich. Ich dachte nicht weiter nach, versuchte nicht einmal, zu kämpfen. Ich machte instinktiv kehrt und rannte los. Grashalme knackten unter den Pfoten des Fuchses, als er mir folgte. Er würde mich einholen, wenn ich nicht schnell…
Ein helles, schrilles Miauen hinter mir ließ mich herum fahren. Himmelpfote hatte sich von hinten an den Fuchs geworfen und sich mit den Krallen in seinem Rückenfell verhakt. Graupfote attackierte das Hinterbein des Fuchses, der sich verwirrt umwandte.
Ich blieb im Lauf stehen und machte kehrt. Es mochte verrückt sein, dass wir, drei nicht einmal halb ausgebildete Schüler, uns gegen einen Fuchs wandten, doch wir taten es, ohne zu überlegen. Instinktiv zielte ich auf den Hals des Angreifers, doch das rote Fell war so dicht, dass ich zunächst keinen Ansatz fand. Ich sprang erneut hoch und bekam diesmal sein Genick zu fassen.
Fauchend schnappte der Fuchs nach mir, im letzten Moment zog ich meine Beine zur Seite, damit sie nicht zwischen die Fänge gerieten.
Mein Gewicht ließ den Fuchs straucheln. Blutstropfen spritzten ins Gras, als ich absprang und der Fuchs hinfiel. Ohne ein Zeichen fingen wir drei an, zu laufen.
„Wir müssen eine andere Strecke nehmen, um ihn abzuhängen“, keuchte Himmelpfote im Lauf.
„Dort drüben sind Dornenbüsche!“, keuchte Graupfote. „Wenn wir dort hindurch schlüpfen, wird das den Fuchs sicher aufhalten!“
Sein Vorschlag wurde angenommen. Ich hörte das Hecheln des Fuchses hinter mir, als ich mich hinter meinen Geschwistern durch einen engen Spalt ins Gebüsch zwängte.
Wir krabbelten weiter in den Busch hinein, bis wir feststeckten.
„Ist er noch da draußen?“, keuchte Graupfote.
Ich spähte durch die Blätter und Zweige des Busches. Rotes Fell blitzte auf.
„Ich glaube, er wartet, dass wir hinaus kommen“, hauchte ich.
„Gibt es hier einen Hinterausgang?“ Das erste Mal glaubte ich, echte Panik in Graupfotes Stimme zu hören.
„Wir müssen…“, setzte Himmelpfote an, doch ein plötzliches Knacken ließ sie schaudernd innehalten. Der Fuchs hatte eine der schützenden Dornenranken zur Seite geknickt. Er kam langsam voran, würde uns aber bald als nette Häppchen Frischbeute verspeisen können.
Ich sah zu meinen Geschwistern. „Es gibt nur noch einen Weg.“
Sie verstanden. Himmelpfote nickte. „Wir schaffen das.“
Graupfote sah auf. „Auf und durch!“
Wir schlossen fest die Augen und brachen durch die hintere Dornenwand.
Kurz darauf verloren wir den Kontakt zum Boden und fielen in die Tiefe.
Ein stechender Schmerz bohrte sich von meiner Vorderpfote hinauf in die Schulter, als ich vergeblich versuchte, mich auf dem Boden abzustützen. Ich verlor den Halt und landete unsanft im steinigen Untergrund. Scharfe Steine schrammten über mich, als ich mich noch mal überschlug. Etwas stieß hart gegen meinen Kopf. Grelle Lichter flammten vor meinen Augen auf. Ich hatte die Orientierung verloren, Staub war mir in Nase und Ohren gedrungen und machte so jede Wahrnehmung unmöglich. Ich musste husten. Wo war ich? Wo waren Himmelpfote und Graupfote?
Ich blinzelte vorsichtig. Alles schien verschwommen. Die Luft flimmerte vor meinen Augen. Ich nahm einen blauen Himmel wahr. Ein verschwommener, roter Fleck wanderte durch mein Sichtfeld.
Der Fuchs!
Ich wollte mich aufrichten, doch der Sturz schien mir alle Kraft genommen zu haben. Ich hörte gedämpft, wie Krallen über den Boden scharrten.
Was würde jetzt passierten? Würde der Fuchs uns töten?
Nein! Das durfte nicht geschehen! Wo waren die fremden Katzen, die uns hier antreffen sollten? Sie mussten uns helfen!
Der Atem des Fuchses kam näher. Er ging zu mir hinüber.
Ich fing an, am ganzen Körper zu zittern. Sollte das wirklich das Ende unserer langen Suche sein?
Mit größter Anstrengung öffnete ich die Augen. Der Fuchs stand über mir, das Maul leicht geöffnet, die weißen Zähne blitzten.
Wartete er etwa, bevor er zuschlagen konnte? Ich war doch leichte Beute für ihn! Oder wollte er mich zappeln lassen?
Ich sah, wie sich das Fell des Fuchses sträubte, er fing an, drohend zu knurren, ein kehliges, tiefes Geräusch, das mir einen Schauer über den Rücken jagte.
Er meinte nicht mich.
Der Fuchs hatte Ohren und Augen auf einen Punkt, oder ein Tier, hinter mir gerichtet. Mit großen Schritten ging er um mich herum, wie ein Jäger, der seine sichere Beute verteidigte. Die ganze Zeit ließ er seinen Blick auf dem einen Punkt ruhen.
Ich blinzelte und sah irritiert zu meinem Fein auf. Seine tückischen Augen huschten gehetzt hin und her, als könne er die Bedrohung, die sich vor ihm aufbaute, nicht wahrhaben.
Mit einem Mal sprangen sie auf ihn zu.
Es waren Katzen. Den Geruch erkannte ich selbst durch die dicke Schicht an Staub, die meine Nase verstopfte, wieder. Sie waren es. Sie hatten uns gefunden.
Und sie waren dabei, uns zu retten.
Ich sah, wie eine verschwommene, helle Katzengestalt den Fuchs in die Flanke fiel, während eine andere ihn mit harten Pfotenschlägen zurück drängte.
Mir wurde die Sicht versperrt. Zwei Katzen packten mich vorsichtig am Fell und hoben mich an. Sie wollten mich in Sicherheit bringen.
Ich sah zu den kämpfenden Katzen hin. Ihre Bewegungen verschwammen vor meinen Augen und die Welt versank in einer verschwommenen, schwarzen Dunkelheit.
Ich blinzelte. Über mir war rauer, grauer Felsstein. Ich lag auf frischem, duftendem Moos, mein Fell war gründlich von Schmutz gereinigt worden. Meine Muskulatur fühlte sich verspannt an, als ich den Kopf hob, um mich umzusehen. Ich hatte zahlreiche Schrammen in den Flanken, doch sie schienen gut versorgt und schmerzten nicht mehr. Schwacher Kräutergeruch drang zu mir hinüber.
Ich wollte nach meinen Geschwistern rufen, doch ein raues Gefühl im Rachen ließ meine Worte im Keim ersterben.
„Trink das.“
Der Geruch einer fremden Katze strömte mir in die Nase. Ein mit Wasser getränkter Moosball wurde mir zugeschoben. Ich leckte gierig die Wassertropfen auf.
Ich blinzelte. Ein sandfarbener Kater mit weißen Pfoten stand vor mir.
„Keine Sorge. Du hast keine Infektionen und die Verletzungen heilen schnell. Deinen Geschwistern geht es auch schon besser.“
Ich sah auf. „W…woher…?“
„Himmelpfote ist aufgewacht. Sie hat uns erzählt, was vorgefallen war. Ich werde sie gleich zu euch schicken, sobald Graupfote aufgewacht ist. Sie wird euch alles erklären.“
Erklären? Alles über diese Katzen?
Ich wollte dem Kater noch etwas hinterher rufen, doch da war er schon weg.
Vorsichtig erhob ich mich. Ich stand noch etwas wackelig auf den Beinen.
Graupfote schlummerte neben mir, den Kopf auf die Pfoten gelegt. Er blinzelte, als ich mich näherte.
„Wo…wo sind wir?“
Ich legte mich neben ihn. „Die Katzen. Sie haben uns gerettet. Einer von ihnen war gerade hier und hat sich nach uns erkundigt.“
Mit einem Mal war Graupfote hellwach. „Wir müssen sofort zu ihnen und…“
„Warte.“ Ich drückte ihn mit einer Pfote wieder zu Boden. „Bleib ruhig. Nichts überstürzen.“
„Wo…wo sind sie?“
„Sie lassen uns für einen Moment alleine. Bis wir wieder zu Kräften gekommen sind.“
Langsam richtete sich Graupfote in eine sitzende Position. „Hast du schon mit ihnen gesprochen?“
„Nicht viel, aber…ich habe da so einen Verdacht…“
„Wie geht es euch?“
Das war Himmelpfote. Geschmeidig glitt sie durch den Eingang des Baus und begrüßte uns mit den Nasen.
„Schon gut. Wir sind wieder in Ordnung“, miaute Graupfote nüchtern. „Sicher ist doch, dass wir sie gefunden haben. Hast du schon etwas herausgefunden?“
Himmelpfote ging feierlich einen Schritt zurück. „Ihr werdet nie glauben, wo wir hier sind.“
Mit einem Mal fügte sich alles zusammen. Die Jagdbeute in den Wiesen. Die Kämpfer, die sich todesmutig auf den Fuchs gestürzt hatten, ihre Kampfzüge. Die Kräuter, mit denen wir versorgt wurden. Ihr schüchternes, aber dennoch offenes Interesse an uns. Und das Vorhaben, ausgerechnet zur Großen Versammlung das Geheimnis zu lüften.
Himmelpfote nickte. Sie wusste, was ich dachte. Graupfote sah uns beide mit großen Augen an.
„Sie sind ein Clan“, hauchte ich. „Ein ganzer Clan.“
Himmelpfote nickte. „Sie nennen sich den WiesenClan.“
„Der Kater, der uns versorgt hat, ist Spatzenfeld, der Heiler des Clans.“ Himmelpfote erzählte uns das, als wir aus dem Bau heraus gingen. „Dort drüben ist der Kriegerbau, da leben die Schüler und ganz hinten die Königinnen. Der Bau von Eisstern, dem Anführer, ist dort drüben.“
Ich sah mich mit großen Augen um. Krieger brachten Frischbeute zu einem Haufen in der Mitte, zwei Älteste sonnten sich auf einem Baumstamm vor ihrem Bau. Hinten mäßigte eine Königin ihre Jungen zur Ruhe, da sie mit Steinen geworfen und dabei einen Schüler getroffen hatte. Spatzenfeld sah sich kurz seine Pfote an und nickte dann erleichtert. Der Kater lief munter zurück zu seinem Bau.
„Ich fühle mich hier…“ Mehr brachte ich nicht hervor.
„Zu Hause und doch in der Fremde?“ Graupfote hatte wie immer meine Gefühle erraten.
„Warum haben sie sich nicht früher gemeldet?“, fragte Himmelpfote.
„Das werdet ihr gleich herausfinden.“
Wir sahen auf. Die braungoldene Kätzin, die mich vor dem Monster gerettet hatte und der Eschenlicht und ich später in den Bergen begegnet waren, kam auf uns zu. Grüßend, fast schon respektvoll neigte sie den Kopf.
„Ihr müsst sicher viele Fragen haben. Mein Name ist Sonnenwind, ich bin die Zweite Anführerin des WiesenClans.“
Ich ließ den Blick wieder über das Lager streifen. WiesenClan. Sie lebten wie wir. Sie waren wie wir.
Und dennoch waren wir Fremde.
„Weshalb erst jetzt?“, fragte Himmelpfote.
„Warum habt ihr euch versteckt?“, miaute Graupfote.
„Und wieso braucht ihr uns?“, verlangte ich nüchtern zu wissen.
„Das ist…“ Sonnenwind wurde von einem traditionellen, klaren Ruf unterbrochen.
„Alle Katzen, die alt genug sind, um Beute zu machen, fordere ich auf, sich unter dem großen Felsen zu einem Clan-Treffen zu versammeln.“
Kein Zweifel, sie waren ein Clan, genauso wie wir.
Ich sah zu dem weißblauen Kater, der den Clan zusammen gerufen hatte. Seine blauen Augen sahen zu uns hinüber. Irrte ich mich, oder schimmerte Hoffnung in ihnen.
„Kommt“, miaute Sonnenwind. „Ihr werdet gleich der Mittelpunkt sein.“
Ich hob den Kopf und schritt erwartungsvoll dem entgegen, was folgen würde.
Uns wurde Platz gemacht.
„Sie sind gekommen, wie der SternenClan es voraus gesagt hatte“, hörte ich Sonnenwind feierlich miauen. „Regenpfote, Graupfote und Himmelpfote aus dem BlattClan.“
Unsere Namen lösten erstauntes, überraschtes, freudiges, aber auch misstrauisches Gemurmel aus. Die beiden Jungen, die vorhin noch mit dem Stein gespielt hatten, drängten sich nach vorne, um uns genauer zu beobachten.
„Ihr seid noch Schüler!“, quiekte das kleinere der Jungen, eine schwarz-braun gescheckte Kätzin. Ihre Mutter mahnte sie zur Ruhe.
„Buchenjunges, sei still. Gehe mit Weidenjunges zurück.“
Wider Willen nahm sie ihren Bruder, dessen dunkelbraunes Fell vor Aufregung gesträubt war, mit nach hinten.
Hier war wirklich alles, wie in einem Clan.
Der dritte Clan in dieser Gegend.
„Ich muss zugeben, dass ich nicht mit Schülern gerechnet hätte, als uns das Zeichen vom SternenClan erreichte“, räumte Eisstern ein. Ich sah zu ihm auf. In den hellblauen Augen des Anführers spiegelte sich sowohl Interesse, als auch eine etwas zurückgenommene Verwunderung, wahrscheinlich unseres Alters wegen. „Bitte korrigiert mich, wenn ich etwas falsch nenne. Ihr lebt in diesem Wald in zwei Clans, dem BlattClan und dem SteppenClan. Der Fluss zwischen euren Territorien ist die Grenze. In den Bergen, die an der Hochebene grenzen, befinden sich das Tal, wo ihr jeden Vollmond eine Große Versammlung abhaltet und die Sternengrotte, der Ort, an dem sich die Heiler-Katzen mit dem SternenClan die Zunge geben. Ihr schickt regelmäßig Patrouillen zu der Grenze, um die Sicherheit zu gewährleisten. Dennoch scheint eure Rivalität sehr milde auszufallen. Etwas verbindet Katzen aus den beiden Clans, deshalb seid ihr auch mit Kriegern des SteppenClans gekommen.“
Die Erwähnung unserer SteppenClan-Freunde versetzte mir einen Stich ins Herz. Ob es ihnen gut ging?
„Eure Beobachtungen treffen in allen Punkten zu, Eisstern“, hörte ich Graupfote antworten. „Die Clans sind Rivalen, doch vor etwa zwei Blattwechseln wurden wir kurzzeitig von Streunern aus unserem Territorium vertrieben. Die Clans hatten sich in den Bergen einquartiert und konnten die Territorien zurück erobern. Das war vor unserer Geburt, unsere Eltern waren noch Schüler, als der Krieg begann. Seit dem sind sich die Clans näher als zuvor.“
Ich konnte meine Frage nicht länger zurück halten. „Verzeihe diesen Themenwechsel, Eisstern. Wir sind mit zwei Kriegern und der Heiler-Schülerin des SteppenClans gereist, doch wir wurden auf den Wiesen von ihnen getrennt. Sind die Katzen in der Zwischenzeit wieder aufgetaucht?“
Ich sah mich um, als ein rot-hellbraun gescheckter Kater hervortrat.
„Wir haben ihre Spuren auf der Patrouille am Bach verloren. Sie sind zu den Weiden gezogen. Doch das Gebiet gilt als ziemlich sicher. Wir halten selbstverständlich nach ihnen Ausschau.“
Eisstern nickte dem Krieger zu. „Danke, Herbstblatt. Ich werde gleich noch eine weitere Patrouille losschicken, die die Weiden untersucht. Doch zuvor müsst ihr mir sagen, wie viel ihr von der Prophezeiung wisst.“
Himmelpfote übernahm das Reden. „Taubenflug, die Heiler-Schülerin unseres Clans hatte eine Vision, die uns drei an der Spitze von vielen Katzen zeigte. Kurz darauf wurden wir alle von unterschiedlichen SternenClan-Katzen aufgesucht, die uns die Aufgabe überbrachten, euch zu finden. Alle drei waren Katzen, die im Leben unserer Eltern und dem Krieg gegen die Streuner eine große Rolle gespielt hatten. Wir wurden nach ihnen benannt. Regenpfotes Namenspate war der verstorbene Bruder unseres Vaters, Graupfote trägt den Namen eines ehemaligen Zweiten Anführers unseres Clans und ich wurde nach einer Bergkätzin benannt, die die Clans beim Leben in den Bergen unterstützt hatte.“
„Diese Katzen haben euch die Aufgabe gegeben, uns zu suchen?“, fragte Eisstern verwundert nach.
Wir bejahten die Frage. „Sie sagten, es wäre unsere Bestimmung“, fügte ich noch hinzu.
Eisstern schien einen Moment zu überlegen. Spatzenfeld trat hervor. Mit einem Nicken erteilte sein Anführer ihm das Wort.
„Wir wussten, dass Katzen aus den Clans zu uns kommen würden“, erklärte uns der Heiler. „Wir wussten nicht, wann, wir wussten nicht wer und wie viele. Aber soviel wussten wir.“ Er machte eine Pause, bevor er weiter sprach. „Wir waren…lange auf der Suche nach unserer neuen Heimat, nach anderen Clans. Mit dem Ziel unserer Reise hat sich eine langer, sehr alter Kreis geschlossen.“ Er sah auf. Etwas Trauriges, Verträumtes schien in den Augen des Katers zu schimmern.
„Der Clan kennt die Geschichte“, miaute Eisstern sanft. „Ich denke, es ist für euch angenehmer, wenn wir das im kleinen Kreis in meinem Bau besprechen. Sonnenwind, Spatzenfeld, holt bitte die Ältesten mit dazu. Sie können die Geschichte am besten erklären.“
Zu der kleinen Versammlung in Eissterns Bau gesellten sich nacheinander die drei Ältesten des Clans. Windhauch, eine schlanke Kätzin mit dunkelgrauem, zerzausen Fell war die erste, kurz darauf folgte Felszahn, eine Kätzin mit dunkelgrau-weiß getigertem Fell, die sich als Windhauchs Schwester vorstellte. Der letzte Älteste, ein weißer, dürrer Kater mit braunen Sprenkeln, musste von Spatzenfeld gestützt werden.
„Ist das so gemütlich, Kaninchenwolke?“, erkundigte sich der Heiler nach dessen Wohlergehen.
„Ich stehe mit einer Pfote im SternenClan, Spatzenfeld. Da interessiert es mich herzlich wenig, ob ich es gemütlich habe.“ Er drehte den Kopf in unsere Richtung. „Und ihr seid die Auserwählten?“
„Guten Tag, Kaninchenwolke“, begrüßten wir auch ihn, wie wir es zuvor mit den anderen gemacht haben.
Der Kater richtete den Blick auf uns. Seine Augen wirkten trüb und milchig. Ich fragte mich, ob er uns überhaupt sehen konnte.
„Kommt näher, ihr drei. Meine Augen kann man als blind bezeichnen und meine Nase ist auch nicht mehr die Beste. Ich möchte euch etwas näher kennen lernen, wenn ihr wirklich die seid, für die wir euch halten.“
Wir folgten der Bitte des alten Katers und setzten uns zu ihm. Er roch an uns.
„Wahrlich, ihr riecht wie richtige Clan-Katzen. Sogar ein wenig nach Wald. Wir hatten auch im Wald gelebt, bevor wir uns auf die Wiesen begeben haben.“ Er hustete leicht.
„Sollen wir ihnen die Geschichte erzählen, Eisstern?“, fragte Windhauch ihren Anführer. Ihre Stimme hörte sich für ihr Alter erstaunlich jung an.
„Deshalb seid ihr hier. Ihr drei wart dabei.“ Mit einem Nicken erteilte der Anführer den Ältesten das Wort.
„Weit entfernt von hier, lebten wir einst so wie ihr“, miaute Feldzahn mit leiser Stimme. „Wir lebten in zwei Clans in aneinander grenzenden Territorien. Das war nicht immer einfach, aber es war unser Leben.“
Wir nickten. Sie hatten genauso gelebt wie wir.
„Was ist mit dem zweiten Clan passiert?“, fragte Himmelpfote.
„Der FelsenClan“, miaute Windhauch, „war unser Geburtsclan. Wir beide waren noch Jungen, als er ausgelöscht wurde.“
Mir stockte der Atem. Ausgelöscht? Ein ganzer Clan?!
„Es war zwischen Blattfall und Blattleere“, erinnerte sich die zerzauste Kätzin. „In unserem Teil des Territoriums kam es zu einem plötzlichen Brand. Nur mit Hilfe des WiesenClans konnten wir überleben, doch im Brand starben alle Ältesten, Jungen und die meisten unserer Krieger. Auch unsere Schwester und unser Bruder waren unter den Toten. Wir wurden erst am vorherigen Tag zu Schülern ernannt.“
Ich sah eine tiefe Traurigkeit in ihren Augen. Kurz musste ich an Schneeblüte und Kastanienglanz denken. Auch sie hatten einen Bruder verloren.
„Wir waren nur wenige, als der WiesenClan uns aufsammelte“, fuhr die Kätzin fort. „Die meisten der Katzen starben noch an den Krankheiten, die die plötzliche, harte Blattleere mit sich brachte, darunter auch unsere Heilerin. Wir waren nur noch sehr wenige, zu wenige um als wirklicher Clan zu gelten. Als dann noch Hasenstern, unsere Anführerin, ihr letztes Leben verlor, schienen wir gänzlich am Rande der Auslöschung zu stehen.“
Kaninchenwolke fuhr mit rauer Stimme fort. „Ich stand damals kurz vorm Abschluss meiner Ausbildung im WiesenClan. Den FelsenClan konnte man schon damals kaum noch als Clan bezeichnen. Schließlich schlossen sich die letzten Katzen des FelsenClans dem WiesenClan an. Alleine hätten sie sich früher oder später als Einzelläufer in alle Windrichtungen verstreut.“
„Ein Clan“, miaute Graupfote. „Ein einzelner Clan ohne Grenzen zu einem rivalisierenden Clan. Das kann ich mir kaum vorstellen.“
„Genau das ist auch der Punkt gewesen“, krächzte Kaninchenwolke. „Die folgenden Generationen wuchsen ohne diese Konkurrenz auf, immer wieder geriet das Gesetz der Krieger in den Hintergrund. Ich weiß nicht, wie wir es geschafft hatten, bis jetzt an unseren Traditionen festzuhalten, doch spätestens wenn wir Ältesten uns dem SternenClan anschließen werden die ersten Katzen anfangen, das Clanleben zu vergessen, wie es mit Grenzen und Rivalen ist.“
Mit einem Mal verstand ich es. Alles. Auch meine Geschwister sahen klarer, das spürte ich.
„Ihr wollt euch hier niederlassen“, miaute Graupfote. „Euch als dritter Clan zu uns gesellen. Damit eure Werte nicht verloren gehen.“
Diesmal war es Eisstern, der antwortete. „Genau, Graupfote, doch dafür brauchen wir eure Hilfe.“
„Wir sollen euch mit unseren Clans bekannt machen“, miaute Graupfote. „Morgen auf der Großen Versammlung.“
„Aber…“ Ich sah zu Eisstern. „Wofür braucht ihr uns dabei?“
„Weil wir die Sache glaubhaft vermitteln können“, miaute Himmelpfote. „Stell dir vor, auf einer normalen Großen Versammlung tauchen aus dem Nichts eine Horde fremder Katzen auf, von denen du weißt, dass sie mondelang die Territorien ausgekundschaftet haben und behaupten, sie seien ein Clan auf der Suche nach gleich gesinnter Gesellschaft. Was würdest du denken?“
„Dass es nur Hochstapler sind, die an unsere Beute wollen“, gab ich zu.
„Ganz genau. Und du weißt, dass vielen Kriegern die Sache mit den Streunern zu tief im Mark liegt. Wenn sie keinen glaubhaften Beweis für die Geschichte des WiesenClans finden, können diese Katzen gleich wegziehen.“
Ich sah zu Eisstern und Sonnenwind. „Das hätte ich nie für möglich gehalten. Dass es außer uns noch andere Clans gibt.“
„Genau deshalb sind wir auf euch angewiesen.“ Eisstern wirkte plötzlich hilflos, erschöpft. „Hiermit bitte ich, Eisstern, Anführer des WiesenClans, euch drei Schüler des BlattClans inständig, bei eurem und dem SteppenClan für uns auszusagen und ein gutes Wort einzulegen. Ich weiß nicht, ob eure Anführer uns sonst Glauben schenken.“
„Wir werden euch helfen“, versprach Graupfote feierlich für uns drei. „Wir werden euch morgen zur Großen Versammlung begleiten und mit Fuchsstern und Mausstern reden. Ich kann nicht versprechen, dass beide zustimmen werden, doch wir werden uns so gut es möglich ist für uns einsetzen.“
„Ich wisst gar nicht, wie viel uns das bedeutet.“ Eisstern schien unglaublich erleichtert zu sein. „Vielen Dank, ihr drei.“ Er stand auf. „Ich werde gleich eine Versammlung einberufen um das dem Clan zu erzählen.“
„Eisstern. Warte noch einen Moment.“ Es war Kaninchenwolke, der krächzend seine Stimme erhob.
„Sprich, Kaninchenwolke“, miaute der Anführer höflich.
„Ich möchte dich bitten, mich auf die Große Versammlung morgen mitzunehmen.“
Die Bitte des Ältesten löste Überraschung aus. Spatzenfeld sprang auf die Pfoten. „Kaninchenwolke, dein Husten kann jederzeit zurückkehren. Es wäre gerade für dich eine weite Reise. Ich kann dir nicht versichern, dass…“
„Ich sie überleben werde?“ Der Kater betonte das Wort ‚überleben’ so gut wie gar nicht. „Spatzenfeld, ich bin dir unendlich dankbar für alles, was du für mich getan hast. Doch wir beide wissen, dass ich nicht mehr erleben werde, wie der Mond das nächste Mal vom Silbervlies verschwindet.“ Mit einem Mal war etwas Feierliches in der dünnen Stimme des Ältesten. „Einmal möchte ich diese beiden Clans sehen, einmal wieder auf einer Großen Versammlung ein. Dies ist mein letzter Wunsch, die letzte Etappe meiner Reise. Danach weiß ich, dass ich in Frieden zum SternenClan ziehen kann.“
Dieser Wunsch berührte mich ungemein. Ich sah zu Eisstern und Spatzenfeld, in der Hoffnung, dass beide zustimmen würden. Eisstern schnurrte verständnisvoll und neigte den Kopf. „Du warst ein großer Krieger, Kaninchenwolke, der sich mit viel Geduld und Nachsicht um die Ausbildung seines Schülers gekümmert hatte, der in seiner Jugend nichts als Flöhe im Hirn besaß. Dir verdankt dieser Schüler alle Eigenschaften, die ihn dank deines Trainings in diesen Bau gebracht haben. Wie könnte ich dir, meinem treuen Mentor, diesen Wunsch abschlagen?“
Kaninchenwolke schien belustigt schnurren zu wollen, hustete jedoch kurz. „Manche Flöhe wird man wohl nie austreiben können. Ich danke dir für diesen Treuebeweis, Eisstern.“
„War Eisstern wirklich so ein Flohkopf als Schüler?“, fragte ich Kaninchenwolke, den wir zum Ältestenbau begleitet hatten.
„Glaubt mir, ihr drei, ihr könnt anstellen, was ihr wollt, es gab einen Schüler, der hat alles in den Schatten gestellt. Und der sitzt nun dort drinnen.“ Kaninchenwolke schnurrte kurz. „Wenige Monde nachdem Eisblitz zum Krieger ernannt wurde, kam ich in den Ältestenbau. Man könnte meinen, er hätte mir den Rest gegeben. Aber jeder jungen Katze kann man mit genügend Strenge die Flausen austreiben.“
„Erzähle das mal unserer Anführerin“, miaute Himmelpfote. „Sie würde dich ohne zu zögern auf uns loslassen.“
„Habt ihr schon einmal einen halben Bau eingerissen, weil ihr euch zwischen den Zweigen versteckt habt?“ Wir wichen seinem Blick verlegen aus. „Sehr gut“, entgegnete Kaninchenwolke daraufhin. „Eispfote hatte damals den ganzen Schülerbau demoliert, weil er sich vor der Morgenpatrouille drücken wollte. Das hat er dann auch geschafft, da ich darauf bestanden habe, dass er den Bau noch am selben Morgen wieder herrichten wird.“
Die Geschichte heiterte uns drei ungemein auf.
„Und soll ich euch was sagen? Nachher sah er besser aus als vorher.“
Kaninchenwolke legte sich auf das Moos im Ältestenbau. „Ich halte ein kleines Nickerchen. Ihr könnt ruhig umher gehen und die anderen Katzen mit Fragen nerven. Sie werden euch sicher alles beantworten und euch dann ebenfalls mit ihren Fragen nerven.“
„Schlaf gut, Kaninchenwolke“, wünschte ihm Himmelpfote, während wir den Bau verließen.
„Was werden die anderen wohl sagen, wenn wir mit dem ganzen Clan auftauchen?“, miaute Graupfote leise.
„Das frage ich mich auch die ganze Zeit“, gab Himmelpfote zu. „Ich konnte es am Anfang auch nicht glauben. Was denkst du, Regenpfote?“
„Was?“ Mir war nur unterbewusst klar, über was die beiden geredet hatten. „Tut mir leid. Ich muss die ganze Zeit an Kastanienglanz, Schneeblüte und Blattschatten denken. Ob es ihnen gut geht?“
„Sollen wir Eisstern fragen, ob wir nach ihnen suchen dürfen?“, schlug Graupfote vor. „Wir haben nur mit ihrer Hilfe das Lager entdeckt, da müssen wir sie zurückholen!“
Ich nickte. „Ich frage gleich, ob…“ Mitten im Satz hielt ich inne. Ein Geruch lag in der Luft. Ein mir bekannter Geruch.
„Was ist das?“
Himmelpfote und Graupfote schienen nichts zu entdecken. „Was meinst du?“, fragte Himmelpfote besorgt.
„Riecht ihr das nicht? Das sind…“
„Hunde!“ Eine schwarze Kriegerin, deren Namen ich nicht kannte, stürmte in das Lager. Blut troff von einem klaffenden Schnitt in ihrer Flanke. „Die Meute! Sie…sie sind auf dem Weg hierher!“
Das Lager war im Aufruhr. Katzen rannten Hals über Kopf aus ihren Bauen, Rufe hallten über die Lichtung. Es wäre das reinste Chaos ausgebrochen, hätte Eisstern sich nicht auf den Stein gestellt.
„Ruhe!“ Sein Ruf ließ jede Bewegung erstarren.
„Wir bleiben alle im Lager. Spatzenfeld, kümmere dich um Schwarzfell. Wir werden ohne Hektik das Lager verlassen. Bei den Weiden finden wir einen Unterschlupf. Sammelt euch ruhig. Sonnenwind, schaue nach, ob alle Katzen hier sind.“
„Das geht nicht gut!“
Alle drehten sich mit einem Mal zu mir um. Ich hatte mir die Worte nicht verkneifen können. Es ging um die Sicherheit dieses Clans!
„Wenn es mehrere Hunde sind, werden sie uns einkesseln. Wir müssen sie mit mehreren Patrouillen auseinander treiben und dann auf jeden einzelnen losgehen!“
Ich verschwendete keinen Gedanken daran, dass ich mich zu vorlaut verhalten hatte. Es war die einzige Möglichkeit zu entkommen.
Eisstern sah uns lange an. Ich blickte zu ihm zurück, hoffend, dass er meinen Vorschlag ernst nahm.
Sein Nicken schien eine Ewigkeit zu dauern.
„Ich teile die Patrouillen ein!“
Wir hatten darauf bestanden, mitzukommen. Dennoch ließ Eisstern uns drei nicht alleine ziehen. Wir wurden von dem Krieger Käferflug und seiner Schülerin Roggenpfote begleitet.
„Wir werden kein unnötiges Risiko eingehen“, stellte Käferflug im Lauf klar. Wir folgten ihm und Roggenpfote geduckt durch das Gras. „Sobald sie unsere Spur aufgenommen haben, fliehen wir.“ Das dunkle, bläulich schimmernde Fell des Katers glänzte im Sonnenlicht. Wir folgten ihm wie angewiesen hintereinander. Dies hielt Roggenpfote nicht davon ab, ein Gespräch mit uns zu beginnen.
„Ich habe euer Territorium gesehen. Auf den Erkundungspatrouillen.“ Aus dem Augenwinkel sah ich ihre braunen Augen interessiert leuchten. „Ich habe selten einen so dichten Wald gesehen. Auf der Reise sind wir einmal an einem Wald vorbei gekommen, doch der war ziemlich klein. Die Steppe gleicht unserem Territorium, doch euer Wald ist ganz anders.“
„Er ist unser zu Hause“, hörte ich Graupfote zögernd erwidern. „Für uns ist er normal.“
„Hier ist Katzengeruch“, hörte ich Käferflug miauen.
Ich lief den Krieger mit schnellen Schritten zur Seite und untersuchte die Stelle. „Das ist Kastanienglanz.“
Himmelpfote sah auf. „Sind Schneeblüte und Blattschatten auch dabei?“
Ich schnupperte. Nichts. „Ich kann sie nicht entdecken.“ Ich versuchte, die Panik in meiner Stimme zu unterdrücken. „Himmelpfote, deine Nase ist besser. Riechst du etwas?“
Meine Schwester schnupperte an dem Gras. Sie schüttelte den Kopf. „Wahrscheinlich haben die Hunde sie getrennt. Du weißt doch, wie Kastanienglanz und Schneeblüte fühlen.“
Ich nickte.
„Die Spur führt vom Bach weg.“ Käferflug hatte schnell die Richtung ermittelt. „Er muss wieder in die Wiesen gelaufen sein. Wenn wir Glück haben, läuft die Patrouille ihm über den Weg.“
„Keine Sorge“, miaute uns Roggenpfote ins Ohr. „Das Gebiet kenne ich, da lauern so viele Gefahren wie Igel auf Bäumen.“
Ich zuckte zusammen, als im Hintergrund lautes Hundegebell ertönte. Ob die Patrouillen, die Eisstern eingeteilt hatte, mit ihrem Auftrag gut zu Recht kamen?
„Komm schon!“ Graupfote stieß mich an. „Diese Katzen wisse, was sie tun. Wir haben eine Mission zu erledigen.“
Ich folgte ihnen. Dennoch ließ mich die Sorge um die Patrouillen nicht los.
„Wartet!“ Käferflug war mitten im Lauf stehen geblieben, sein blaugraues Fell sträubte sich. Auch Roggenpfote wirkte verunsichert. Ich prüfte die Luft, konnte jedoch auf Anhieb nichts Verdächtiges entdecken.
„Was ist los?“, fragte Himmelpfote mit ängstlichem Unterton.
„Seine Spur ist weg. Einfach so.“
Irritiert prüfte ich die Luft. Von Kastanienglanz war nichts mehr zu riechen. Eine Katze konnte doch nicht einfach so verschwinden!
„Der Tunnel!“, miaute Roggenpfote. Hinter hohen Farnen brachte sie ein dunkles Loch zum Vorschein. „Hier muss er hinein gegangen sein.“
„Das kann nur bedeuten, dass er in Gefahr war“, miaute Graupfote. „Tunnel sind immer die letzte Möglichkeit.“
„Aber weshalb?“, miaute ich.
„Die Hunde.“ Käferflug sah in den Wind. „Sie müssen ihn bis hierher gehetzt haben.“
Ich sah wieder zum Tunneleingang. „Dann müssen wir hinterher.“
„Nein!“, widersprach Käferflug. „Ich weiß, wo dieser Tunnel hinführt. Über Land sind wir schneller. Vielleicht erwischen wir ihn noch. Kommt.“
Überraschend machte der Krieger kehrt in Richtung Grenze. „Unter der Erde macht der Tunnel einen Bogen. Er führt über viele Ecken. Es dauert sehr lange, bis man da wieder hinaus kommt.“
Ich wollte ihn fragen, woher er das wisse, wenn Katzen den Tunnel nur im Notfall nutzten, doch Roggenpfote beantwortete diese Frage zuvor.
„Eine spezielle Patrouille hat diesen Tunnel untersucht, da sich dort drinnen viele Mäuse aufhalten. Zum Jagen wurde er trotzdem nicht freigegeben.“
Ich hatte kaum Konzentration genug, um ihrem Bericht zu folgen. Wir liefen weiter über die Wiese, immer hinter Käferflug hinterher. Immer noch hörte man Hundegebell in der Ferne, wenn auch sehr leise.
„Dort drüben endet der Tunnel.“ Käferflug deutete mit einem Kopfnicken auf einen kleinen Hügel in der Landschaft. „Am besten nehmt ihr drei ihn in Empfang.“
„Er kommt hinaus!“, miaute Graupfote.
Wir liefen Kastanienglanz entgegen. Sein Fell starrte vor Dreck, er wirkte erschöpft und müde. Gehetzt und mit gesträubten Fell drehte er sich um, als wir seinen Namen riefen.
„Da seid ihr ja!“ Er schien nicht verletzt zu sein, denn er näherte sich uns mit der alten Geschmeidigkeit. „Die Hunde haben uns getrennt. Der Tunnel war die letzte Hoffnung. Ich habe schon gedacht, ich komme da nie mehr hinaus.“ Blinzelnd sah Kastanienglanz sich um. Sein Blick fiel auf Käferflug und Roggenpfote.
„Wir haben die drei begleitet, um euch zu suchen“, erklärte Käferflug, während er näher kam.
„Seid gegrüßt.“ Höflich nickte Kastanienglanz. „Dann müsst ihr zwei zu den Katzen gehören, die uns seit Monden in Atem halten.“
Ich konnte ein Schnurren nicht unterdrücken. „Wenn du wüsstest, Kastanienglanz. Wenn du wüsstest.“
„Ein Clan!“ Die Nachricht warf den Krieger genauso von den Pfoten, wie uns. „Ihr seid ein richtiger Clan!“
„Der WiesenClan“, erklärte Käferflug. „Wir wollten uns euch schon früher zeigen, doch zuvor mussten wir sicher gehen, dass ihr auch die seid, für die wir euch hielten.“
Blinzelnd sah Kastanienglanz zu uns.
„Es stimmt“, bestätigte Himmelpfote. „Nach der Prophezeiung ist es unsere Aufgabe, sie mit den Clans bekannt zu machen.“
„Ein dritter Clan. Darauf wären wir im Traum nicht gekommen.“
„Kastanienglanz!“ Ich versuchte, den Krieger von der Situation abzulenken. „Die Hunde treiben sich weiter hier herum. Weißt du, wo sich Schneeblüte und Blattschatten aufhalten?“
Der Krieger schloss für einen Augenblick die Augen, schien in sich zu gehen. Käferflug sah uns der Reihe nach fragend an, störte Kastanienglanz’ Ruhe jedoch nicht. Er schlug seine grünen Augen wieder auf.
„Sie bewegen sich auf die BlattClan-Grenze in der Nähe des Zweibeinerortes zu.“
Ohne ein weiteres Wort zu verlieren liefen wir sechs in geschlossener Formation los.
Kastanienglanz hatte mit seiner Prognose Recht. Es waren drei Hunde, die sich in der Nähe des Waldrandes auf den Hügeln hinter dem Zweibeinerort aufhielten. Nun konnte ich auch die beiden Kätzinnen riechen. Kastanienglanz erteilte die Befehle.
„Regenpfote, Himmelpfote, ihr übernimmt den kleinsten der Hunde an der Seite. Roggenpfote, Käferflug, ihr lenkt den in der Mitte ab. Graupfote, wir beide schnappen uns den dritten. Passt auf, dass euch nichts passiert.“
Wir trennten uns und griffen die Hunde von drei Fronten an.
„Versuch, ihm auf den Rücken zu springen. Ich bearbeite seine Schnauze“, miaute mir Graupfote zu. Ich nickte. Der dicke, untersetzte Hund kläffte uns an.
Ich sprang. Seinen Rücken traf ich nicht ganz, ich krallte mich in die Schulter fest und biss ihm ins Genick. Als Graupfote ihn mit harten Krallenschwingern taktierte, heulte er schmerzerfüllt auf. Er fuhr so schnell herum, dass ich den Halt verlor. Mich überschlagend landete ich im Gras. Mit lautem Kläffen ging der Hund auf den sich zurück ziehenden Graupfote los, als ihm ein weißer Blitz in die Flanke fuhr.
Schneeblüte!
Ihr Angriff krachte ihm in die Seite und brachte ihn kurzfristig zum Schwanken, war aber nicht effektiv genug, ihn von den Pfoten zu reißen.
„Haltet Abstand und greift blitzartig an“, rief die Kriegerin uns zu. „Blattschatten! Lauf zum BlattClan-Lager!“
Ich sah, wie sich die Heilerin aus dem Gras erhob und im Wald verschwand. Ich schluckte. Ob sie schnell genug sein würde?
Schneeblüte stieß erneut zu, der dickliche Hund jaulte auf, als sie seine Schulter zerkratzte. Bevor sein breites Maul nach ihr schnappen konnte, hatte ich mich an sein Hinterbein gewagt und zerrte daran. Der Hund blieb standhaft stehen und schüttelte uns mit einer hektischen Bewegung wieder ab. Ich brachte mich mit einem Hechtsprung außer Reichweite seiner scharfen Zähne. Das Biest setzte nach. Mit einem Mal drehte sich auch der größere Hund, mit dem Himmelpfote und Kastanienglanz kämpften, zu mir um.
Seine Zähne schnappten ins Leere, ich rollte mich unter dem Angriff weg, kam wieder auf die Beine. Himmelpfote und Graupfote stellten sich an meine Seite, als sich mit einem Mal alle drei Hunde auf uns fixierten.
Wir waren wieder ein eingespieltes Team.
Ein eingespieltes Team am Rande des Todes.
Kastanienglanz, Schneeblüte, Käferflug und Roggenpfote versuchten, die Hunde von der anderen Seite abzulenken, da hatte der Größte von ihnen schon angegriffen. Seine Bewegung nahm ich nur als verschwommenen Schatten wahr, der über mir den Himmel verdunkelte.
Mit einem wilden Miauen flog eine Katze über mich hinweg und landete mit allen ausgefahrenen Krallen direkt auf dem Kopf des Hundes, er erschrocken aufjaulte. Ich schnappte nach Luft.
„Eschenlicht!“
Blattschatten musste auf eine Patrouille getroffen sein, denn sogleich kamen Adlerpelz und Winterfrost aus dem Schatten gesprungen und umringten die Hunde.
„Ihr müsst in den Wald!“, rief Adlerpelz den anderen Katzen zu. „Im Unterholz werden sie uns schwer folgen können!“
Roggenpfote und Käferflug ließen als erste von ihren Kämpfen ab. Kastanienglanz hieb dem kleinsten Hund noch einmal wütend über die Schnauze, dann folgte auch er. Schneeblüte und Eschenlicht stießen uns im Vorbeigehen an.
„Kommt! Schnell!“
Wir liefen unseren Mentoren hinterher. Schon bald erreichten wir die rettenden Bäume.
„Goldtupf hatte ein Zeichen bekommen, dass ihr in Gefahr seid“, erklärte uns Adlerpelz im Lauf. „Wir sind sofort aufgebrochen. Es war pures Glück, dass wir im rechten Augenblick Blattschatten begegnet sind.
Ich sah Blattschatten zusammen mit Goldtupf und Taubenflug auf uns warten. Sie schien in Sicherheit zu sein. Goldtupf und Taubenflug sprangen auf, als sie uns sahen.
„Ihr seid in Sicherheit!“, miaute Goldtupf. „Dann habt ihr es geschafft!“
„Ist jemand verletzt?“, fragte Taubenflug.
Käferflug hatte einige Kratzer abbekommen, keiner davon schien aber gefährlich zu sein. Roggenpfote humpelte leicht und über Himmelpfotes Vorderbein verlief eine leichte Blutspur. Uns allen tat etwas weh, doch wir lebten.
Im Gegensatz zu Eichenblitz.
Ich sah auf. „Goldtupf, wir…“
„Erklärt uns alles im Lager“, miaute die Heilerin. „Kommt mit, ihr alle. Ihr beide besonders.“ Damit meinte sie Käferflug und Roggenpfote.
Wir kehrten geschlossen ins Lager zurück. Roggenpfote kam aus dem Staunen nicht heraus.
„Hier sind so viele Bäume. Es ist so seltsam kühl hier. Und diese ganzen Pflanzen! Verliert man da nicht die Orientierung?“
„Nicht, wenn man sich auskennt“, schnurrte ich, froh, wieder zu Hause zu sein. Ich roch schon das Lager.
„Der WiesenClan“, miaute Fuchsstern, als wir ihnen die Geschichte erzählten. Sie sah außerdem zu Käferflug und Roggenpfote, die mit in den Anführerbau gekommen waren. Ich konnte den Blick in ihren Augen nicht deuten. „Ich hatte schon so einen Verdacht, als die ersten Spuren auftauchten. Aber es schien so abwegig, dass ich ihn zunächst für mich behalten habe.“ Sie sah hinauf zum Vollmond. „Stimmt es noch, dass ihr zur Großen Versammlung erschienen wollt?“
Käferflug nickte. „Ja, Fuchsstern. Mein Clan muss längst aufgebrochen sein.“
Es dämmerte bereits. Auf der Lichtung herrschte Stille. Unsere Geschichte hatte selbst in den älteren Kriegern Gefühle ausgelöst, von denen sie bisher nur geträumt haben.
„Wir werden euch zur Großen Versammlung mitnehmen. Es wird Zeit, dass auch der SteppenClan davon erfährt.“ Sie sah zu Himmelpfote, Graupfote und mir. „Ihr dürft natürlich auch nicht fehlen. Ohne euch hätte ich diese Geschichte nie geglaubt.“
Wir nickten, brachten aber kein Wort hervor. Als Fuchsstern aufstand, wurde mir mit einem Schlag bewusst, wie alt die Kätzin wirkte.
„Eichenblitz’ Tod trifft mich hart. Es ist längst an der Zeit, einen neuen Stellvertreter zu erwählen.“ Sie sah lange Zeit über die Krieger hinweg. „Schattenglanz, du hast dem Clan viele Monde lang gedient. Du wirst die neue Zweite Anführerin des BlattClans werden!“
„Schattenglanz! Schattenglanz!“ Ich fiel erst spät in den Ruf ein. Mit einem Nicken nahm die Kriegerin die Wahl an.
Fuchsstern stand auf. „Nun ist es an der Zeit, zur Großen Versammlung zu gehen.“
Wir brachen auf. Ich war unglaublich erschöpft, doch das Spektakel im Tal würde ich mir dennoch nicht entgehen lassen.
„Hey, wartet!“ Es war Rosenpfote, die uns rief. Ihre Geschwister begleiteten sie. Sogar Graspfote.
„Ihr müsst uns nachher noch alles bis in die Kleinigkeiten erzählen“, verlangte Bienenpfote, der nicht von der Seite seines Bruders wich.
Ich nickte. „Natürlich. Geht es dir wieder besser, Graspfote?“
„Ich kann wieder normal laufen“, miaute der hellbraune Kater glücklich. „Allerdings stehe ich im Training weit hinterher. In einem halben Mond fange ich wieder mit dem Kampftraining an, die Jagd wird schon morgen fortgesetzt.“
„Gratuliere“, miaute Graupfote. Mir entging auch das Mitleid in seiner Stimme nicht. Graspfote würde nicht zusammen mit seinen Wurfgefährten ernannt werden.
„Kommt jetzt.“ Der Kater ging voraus. Sein Auftritt war wirklich tadellos. „Wir dürfen die Begegnung schließlich nicht verpassen.“
Während wir uns auf dem Weg machten, breitete sich in meiner Brust ein mulmiges Gefühl aus. Die Sache war noch nicht zu Ende. Noch lange nicht. Was auch immer geschehen würde, es würde große Auswirkungen auf das Leben in allen drei Clans haben. Und irgendwo tief in mir regte sich eine dunkle Vorahnung, die sich wie ein Schatten über den Vollmond zu ziehen schien…
Texte: Alle Rechte bei mir und Erin Hunter.
Tag der Veröffentlichung: 30.03.2014
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