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Die Zeremonie

Ich wurde von lauten Stimmen geweckt.

„Kommt schon! Wacht auf, ihr Schlafmützen!“

Genervt schlug ich die Augen auf. Auch mein Bruder Graujunges blinzelte neben mir mit verschlafenem Blick. Durch den Eingang der Kinderstube fielen blassgoldene Sonnenstrahlen.

„Was soll das?!“, murrte nun auch Himmeljunges, als Rosenjunges und Blitzjunges sie mit kräftigem Rütteln weckten.

„Unsere Ernennung zu Schülern!“, antwortete Bienenjunges, der das Treiben seiner Schwestern vom Eingang aus beobachtete. Auch Grasjunges, der jüngste aus dem Wurf stand schon im Gang.

Ich wusste nicht, was ich dazu fühlen sollte. Die vier galten im BlattClan als Störenfriede, doch irgendwie waren sie meine Freunde und ich würde sie im Bau vermissen. Kaum zu glauben, dass wir noch zwei Monde warten mussten, um wieder zu ihnen zu ziehen.

„Kommt schon!“, munterte uns Steinkralle, unsere Mutter, auf. „Auch für euch wird es eine gute Erfahrung sein.“

Wir liefen den vieren hinterher. Gestern erst war Feldschweif zur Kriegerin ernannt worden. Nun würden vier neue Schüler nachkommen. Bald kam auch unsere Zeit.

„Regenjunges! Komm zu uns!“, forderte mich Graujunges auf. Ich nickte und ließ mich zwischen meinen Geschwistern nieder.

„Alle Katzen, die alt genug sind, ihre Beute selbst zu erlegen, fordere ich auf, sich unter der großen Eiche zu einem Clan-Treffen zu versammeln.“

Fuchssterns Ruf hallte klar durch das Lager, auch die letzten Katzen kamen aus den Winkeln hervor. Ich sah zu Aschenhauch und ihren Jungen. Die vier wirkten unglaublich hibbelig.

„Es ist an der Zeit, vier junge Katzen zu Schülern zu ernennen“, begann Fuchsstern die Zeremonie. Ich beobachtete, wie die Krieger näher zusammen rückten. Fuchsstern nannte die Mentoren.

„Moospelz, du wirst der Mentor von Blitzpfote werden. Gebe dein Wissen an deine junge Schülerin weiter.“

„Blitzpfote! Blitzpfote!“, rief der Clan, ich wollte einstimmen, bekam aber etwas in die Lunge und musste heftig husten. Die schwarze Kätzin leckte ihrem Mentor die Schulter, die silbernen Streifen auf ihren Flanken schienen zu leuchten und machten ihrem Namen alle Ehre.

„Rindenpelz, du wirst der Mentor von Rosenpfote sein. Bilde sie so gut aus, wie du selbst ausgebildet wurdest!“

„Rosenpfote! Rosenpfote!“, wiederholte der Clan. Mit stolzen Schritten ging Rindenpelz zu der rot-weiß gescheckten Kätzin und begrüßte sie mit der Nase. Ihre Brüder wurden immer aufgeregter.

„Sturmherz, auch für dich ist die Zeit gekommen, einen Schüler auszubilden. Du wirst Bienenpfotes Mentor sein!“

„Bienenpfote! Bienenpfote!“, fiel ich nun endlich in die Rufe des Clans ein, als ich zusah, wie unser Vater seinen ersten Schüler begrüßte. Grasjunges trat unruhig von einer Pfote auf die andere. Er sah somit fast ein wenig zu jung aus, um schon Schüler zu werden.

„Kieselstein, du hast Dunkelpelz und Adlerpelz zwei großartige Mentoren gehabt. Nun ist deine Zeit gekommen, Graspfote auf denselben Weg zu bringen!“

„Graspfote! Graspfote!“, jubelten wie drei am lautesten im Chor, als der hellbraun gestreifte Kater seine Mentorin begrüßte. Ich wollte den frisch ernannten Schülern gratulieren, stolperte aber über Himmeljunges, die sich ebenso aufrichten wollten. Graujunges sah uns spöttisch an, war aber so klug, kein Wort zu sagen.

Ich kam nicht dazu, den Schülern zu gratulieren. Jemand anderes erregte meine Aufmerksamkeit.

„Eschenlicht?“

Der schwarz-weiße Kater sah auf. „Hallo, Regenjunges.“

Irgendwie spürte ich, was in ihm vorging. „Sei nicht traurig. Vielleicht kannst du der Mentor von einem von uns werden.“

Seine Schnurrhaare zuckten kurz. „Das würde ich gerne. Es wundert mich nur, warum Fuchsstern die jüngsten Krieger auserwählt hat, nur nicht mich.“

Ich sah, was er dachte, als er seine Freunde mit ihren neuen Schülern sah. Eschenlicht war als Hauskätzchen geboren. Die meisten im Clan hatten inzwischen darüber hinweg gesehen, zumal er mit Abstand der beste Jäger war, doch er wurde das Gefühl nicht los, dass er für die meisten immer noch das Hauskätzchen war.

„Sicher“, hörte ich Feldschweif neben mir schnurren. „Wir beide übernehmen zwei von euch.“ An ihren Nestgefährten gewandt sprach die junge Kriegerin weiter. „Ich habe gehört, wie sich Fuchsstern und Aschenhauch unterhalten haben, als ich vor einigen Tagen das Loch in ihrem Bau flickte. Fuchsstern hatte dich wegen der nahenden Blattleere nicht als Mentor auserwählt, da wir jeden Jäger brauchen.“

Blattleere? Ich sah zum strahlend blauen Himmel. Sicher wurden die Büsche bald braun, doch ob das schon so nah lag? Die Blattleere, der Schnee, die Kälte, all das war unter den Clans gefürchteter als feindliche Krieger. Eschenlicht war der einzige Jäger, der bei so einer Witterung drei Mäuse jagte und auch mit drei erlegten Mäusen ins Lager zurückkehrte. Natürlich musste er sein Wissen unbedingt an Schüler weiter geben, doch der Clan ging wie immer vor.

„Danke, Feldschweif“, murmelte der junge Krieger. „Ich werde daran denken. Regenjunges, ich glaube, deine Geschwister warten auf dich.“

Mit einem Nicken verabschiedete ich mich von den beiden Kriegern und tappte zu Himmeljunges und Graujunges.

„Die Schüler sind gerade in den Wald aufgebrochen“, berichtete mir Graujunges. Ein sehnsüchtiger Blick trat in seine Augen. „Zwei Monde sind eine so lange Zeit!“

„Ich bin mir sicher, ihr drei werdet es überleben“, schnurrte Steinkralle neben uns. Soeben hatte sie sich von Aschenhauch verabschiedet, die wieder ihr altes Kriegerdasein aufnahm. „Und wenn es dann erst einmal soweit ist, werdet ihr beide merken, dass…“

Unsere Mutter hielt inne. Ich sah, dass sie misstrauisch schnupperte.

„Was ist?“, fragte Graujunges und recke seine Nase in den Wind. Ich tat es ihm gleich.

Ich erkannte die Gerüche von Flammenschweif, Adlerpelz und Blütennase. Wahrscheinlich kamen die drei von der Morgenpatrouille wieder. Doch da war noch ein anderer Katzengeruch.

„Da kommen Katzen. Aber ich kenne sie nicht.“ Ich sah zu Steinkralle. „Wer ist das?“

„SteppenClan!“, miaute Steinkralle. „Sie müssen von der Patrouille abgefangen worden sein. Aber warum kommen sie in unser Lager? Und…“ Sie prüfte erneut die Luft. „Warum ist Mausstern dabei?“

Boten aus der Steppe

Das Lager hatte sich auf den unerwarteten Besuch vorbereitet. Die Katzen erwarteten die Besucher unruhig, aber mit Neugier. Fuchsstern nahm aufrecht ihre Stellung ein, bis Flammenschweif als erster im Lager eintraf.

Blütennase und Adlerpelz bildeten das Schlusslicht. In ihrer Begleitung befanden sich drei Katzen. Ein großer, brauner Kater in Begleitung einer graubraunen Kätzin gingen voraus. Ein schlanker Kater mit hellbraunem Fell und eine kleine, getigerte Kätzin bildeten das Schlusslicht.

„Wer sind die?“, fragte Himmelpfote spitz.

„Mausstern, der Anführer des SteppenClans, seine Stellvertreterin Falkensturz und der Heiler Dornenblatt mit seiner Schülerin Blattschatten.“ Es war Sturmherz, der sich zu uns gestellt hatte. Neugierig sah ich meinen Vater an. „Aber, was…“

„Das wird sich gleich zeigen. Seid lieber still, wenn die Anführer reden!“

Erschrocken bemerkte ich auch Fuchssterns strengen Blick zu uns. Dennoch wandte sie sich gleich darauf dem Besuch zu.

„Sei gegrüßt, Mausstern. Bitte verzeiht diese unordentliche Begrüßung.“

„Sei auch mir gegrüßt, Fuchsstern.“ Der Kater sprach ruhig, dennoch lag eine unüberhörbare Hektik in seiner Stimme. „Entschuldige, dass wir ohne Erlaubnis in euer Territorium eingedrungen sind, doch wir müssen etwas besprechen, das nicht bis zur nächsten Versammlung warten kann. Allein. Nimm nur noch Goldtupf und Taubenflug mit hinzu.“

Die Heilerinnen hatten sich schon aus der Versammlung hervor geschoben. Neugier und Ratlosigkeit lag auch in ihren Blicken.

Fuchsstern wirkte leicht verunsichert, blieb aber dennoch fest in ihrer Stimme.

„In Ordnung. Eichenblitz!“

Der Zweite Anführer trat zu ihr. „Organisiere du in der Zwischenzeit das Lager. Wenn die andere Patrouille zurückkehrt, sag ihnen, ich möchte nicht gestört werden. Wir besprechen es später gemeinsam.“

Der Krieger nickte. „Ja, Fuchsstern.“

Fuchsstern nickte den Heilerinnen und den SteppenClan-Katzen zu. „Kommt.“ Nacheinander verschwanden die Katzen in ihrem Bau.

Mit verunsichertem Murmeln nahmen die übrigen Katzen im Lager wieder ihre gewohnten Tätigkeiten auf, wir wollten uns ebenfalls umdrehen, doch Sturmherz stellte sich uns entschlossen in den Weg.

„Regenjunges, Himmeljunges, was sollte das?“

Mit großen Augen sah ich ihn an. „Wir haben doch nur…“

„Geredet“, beendete Himmeljunges meinen Satz kleinlaut.

„Während wir Besucher hatten.“

„Naja…ich…“ Mit gingen die Worte aus, verlegen scharrte ich mit den Pfoten in der Erde.

„Besucher, die Fuchsstern in einer, wie es scheint, dringenden Angelegenheit sprechen wollten.“

Himmeljunges senkte den Kopf. „Tut uns leid, Sturmherz.“

„Es kommt nicht mehr vor“, versprach ich ebenfalls.

„Das will ich auch hoffen. Krieger müssen sich auch einmal zurück halten können.“

Himmeljunges sah auf. „Aber…“

„Kein ‚aber’!“, weiß nun auch Steinkralle sie zu Recht. „Ein Krieger muss schweigen können. Das gilt auch für euch. Stellt euch vor, ihr seid in friedlicher Absicht beim SteppenClan zu Besuch und um euch herum tuscheln eine Schar Jungen.“

Mein Pelz kribbelte, mir wurde klar, wie peinlich unser vorheriger Auftritt war.

„Rindenpelz und ich werden Rosenpfote und Bienenpfote auf der nächsten Patrouille den Wald zeigen. Bis nachher.“ Zum Abschied gab er Steinkralle kurz die Zunge und trottete dann zu seinem neuen Schüler, der die Führung schon ungeduldig erwartete.

„Ich würde sagen, ihr seid mit offenen Augen in ein Bienennest gelaufen!“, flüsterte uns Graujunges ins Ohr. „Obwohl es mich wirklich interessieren würde, welche so wichtige Angelegenheit nicht bis zur Großen Versammlung warten kann.“

Automatisch sah ich mich um. Steinkralle hatte Graujunges’ letzten Satz nicht mitbekommen, sie war in ein Gespräch mit Aschenhauch und Blütennase vertieft, sodass sie unsere Unterhaltung nicht mitbekam.

„Aber unauffällig!“, forderte Himmeljunges. „Falls jemand fragt, wir sind auf dem Weg zu Tigerzahn, da er uns eine Geschichte versprochen hat.“

Ich musste über diese einfallsreiche Ausrede unwillkürlich schmunzeln.

Nacheinander drückten wir uns seitlich zwischen die Büsche, die Fuchssterns Bau mit der Kinderstube trennten. Ein kurzes Rascheln, dann waren wir unsichtbar.

Ein belauschtes Gespräch

Ich drückte mich dicht an den Boden. Fuchssterns Bau lag tiefer in der Erde, durch die dichten Zweige konnte ich zwar nicht viel erkennen, doch die Stimmen der Katzen im Bau waren deutlich zu hören.

„Konnten die Patrouillen mit ihnen sprechen?“, hörte ich Fuchsstern fragen. Das Wichtigste schienen wir verpasst zu haben.

„Nein“, hörte ich Mausstern antworten. „Sie sind einfach aufgetaucht. Sobald sie uns gesehen haben, verschwanden diese Katzen. Wir versuchten ihren Spuren zu folgen, doch verloren sie alle.“

„Sie wirkten aber nicht feindselig“, fügte Falkensturz hinzu. „Eher wie eine Art stumme Beobachter. Sobald sie uns sahen, ergriffen sie die Flucht.“

„Besteht die Möglichkeit, dass es normale Einzelläufer waren?“, schlug Goldtupf vor.

„Unwahrscheinlich“, miaute Mausstern. „Einzelläufer laufen uns zufällig über den Weg, wechseln ein paar Worte und verschwinden dann wieder. Diese Katzen schienen nach uns gesucht zu haben.“

„Und gleich wieder zu verschwinden?“, miaute Taubenflug skeptisch.

„Deshalb sind wir gekommen“, miaute Dornenblatt. „Um zu erfahren, ob ihr mehr wisst.“

Fuchsstern schüttelte den Kopf. „Ich werde mich mit den nächsten Patrouillen darüber unterhalten, aber diese Geschichte ist mir noch nicht zu Ohren gekommen.“

„Das solltest du lieber verschieben, bis wir genaueres wissen“, wandte Mausstern ein. „Einige meiner Katzen haben auf diese Fremden äußerst gereizt reagiert. Die Erinnerungen an die Streuner sind zu frisch. Außerdem können wir nicht ausschließen, dass sie unsere Hilfe benötigen.“

Interessiert sah Fuchsstern auf. „Bist du sicher?“

„Ich hatte einen Traum.“ Blattschatten hatte gesprochen. Ihr orange-weiß-getigertes Fell konnte ich durch die Zweige leuchten sehen. „Es waren Katzen, die schattenhaft um mich herum sprangen. Ich konnte sie nicht erkennen, als ich sie rufen wollte, liefen sie vor mir davon. Weder ich noch Dornenblatt wussten diesen Traum zu deuten.“

Goldtupf schüttelte ratlos den Kopf. „Ich habe kein derartiges Zeichen erhalten.“

„Ich auch nicht“, stimmte Taubenflug ihrer Mentorin zu. „Vielleicht betrifft es nur euren Clan.“

„Diese Katzen wurden auch nahe des Hochlandes und der Furt gesehen. Wir vermuten, dass sie auch auf das BlattClan-Territorium zugehalten sind.“

„Bald ist Halbmond“, wies Goldtupf hin. „Wir werden gemeinsam unsere Kriegerahnen um Rat fragen. Auf der Großen Versammlung können wir austauschen, was wir sonst noch herausgefunden haben.“

„Wir sollten dennoch vorsichtig sein“, warnte Mausstern. „Die Streuner sind sicher auch dem BlattClan noch gut im Gedächtnis. Wenn, dann müssen wir diesen Katzen unvoreingenommen gegenüber treten.“

Fuchsstern nickte. „Ich danke euch für diese Information. Eichenblitz werde ich einweihen, doch der Rest des Clans sollte erst später davon erfahren, wenn wir genaueres wissen.“

Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Fremde Katzen auf unserem Territorium! Natürlich hatten wir schon unheilvolle Geschichten über die letzte Streuner-Bande gehört, die uns für einige Zeit in die Berge vertrieben hatte. Ob andere Katzen dies ein zweites Mal versuchen wollten?

„Was ist mit den Katzen vom Zweibeinerort?“, fragte Goldtupf. „Sie haben doch sicher etwas bemerkt. Sie haben uns schon einmal geholfen.“

„Ich werde Sturmherz und Eschenlicht bei Gelegenheit vorbei schicken. Die beiden kennen sich dort am besten aus. Ihnen können wir vertrauen, sie werden bestimmt keine Vorurteile haben.“

„Was ist mit Bienenpfote?“, gab Goldtupf zu Bedenken. „Er ist eine kluge Katze und wird sicher etwas merken.“

„Im nächsten Mond werde ich alle Schüler prüfen und sie gleich danach zur Sternengrotte mitnehmen. Da müsste Sturmherz genug Zeit haben, seinen Auftrag auszuführen, ohne, dass Bienenpfote etwas merkt.“

„Das bedeutet, wir werden auf der Großen Versammlung schweigen?“, vermutete Mausstern richtig.

Ich hielt den Atem an. Graujunges’ Herz schlug so laut, dass ich es hören konnte. Meins war auch nicht viel leiser. Die Handlung da unten zog uns drei völlig in ihren Bann.

„Vorerst, es sei denn, du siehst deinen oder meinen Clan in größter Gefahr“, entschied Fuchsstern. „Ich werde Eichenblitz öfter auf Patrouille schicken und selbst auch öfter mitkommen. Wir halten die Augen offen. Taubenflug, Goldtupf, sobald ihr beim Sammeln der Kräuter etwas Ungewöhnliches bemerkt, sagt mir Bescheid.“

„Ja, Fuchsstern“, stimmten die Heilerinnen synchron zu.

„Was ist, wenn die Katzen Verdacht schöpfen und uns fragen?“, miaute Taubenflug.

„Versucht die Wahrheit zu verbergen so gut es geht, haltet euch aber stets an das Gesetzt der Krieger. Keine Lügen.“

„Ja, Fuchsstern.“

Ich hörte, wie Mausstern Aufstand. Mit einem Mal bog sich raschelnd der Zweig unter mir. Mein Magen fühlte sich an, als würde er mehrere Pfotenbreit nach unten rutschen.

„Ich danke dir für das Gespräch. Wir bleiben in Kontakt!“

Die SteppenClan-Katzen wollten sich gerade zum Gehen wenden, als Graujunges hinter mir den Halt verlor, mein Ast knackend nachgab und Himmeljunges in dem verzweifelten Versuch, uns zu halten, mit in den Bau gerissen wurde.

Lauscherehrenwort

Hart kam ich auf dem Boden des Baus auf. Bevor ich mich aufrappeln konnte, landeten Graujunges und Himmeljunges mit einem gewaltigen Rums auf mir. Ich verlor die Sicht und wurde unangenehm in das Moos gedrückt, bevor meine Geschwister links und rechts neben mir landeten. Mein Rücken schmerzte.

„Was sollte das?!“, zischte ich Graujunges an.

„Ich bin abgerutscht und der blöde Ast ist gebrochen!“, maulte mein Bruder.

„Kater!“, stöhnte Himmeljunges. „Ihr hättet euch nicht so sehr darauf lehnen sollen. Wenn ihr einfach…“

Sie brach ab. Langsam, mit brennender Scham im Pelz sah ich auf, in die Gesichter von sieben, in der Hierarchie weit über uns stehenden Katzen, die uns entgeistert ansahen.

An liebsten wäre ich auf der Stelle im Boden versunken. Über uns klaffte ein riesiges Loch in Fuchssterns Bau, das Mooslager unter uns lag in Fetzen vereilt umher, einige davon hatten Mausstern getroffen und sich in seinem Fell verfangen. Und wir lagen übereinander wie die Beute vom Frischbeutehaufen.

Fuchsstern fand als erste die Sprache wieder.

„Was…im Namen des SternenClan…habt…ist…in euch gefahren?!“

Ich fühlte mich klein wie ein Floh, als wir uns nacheinander aufrichteten und schüchtern zu unserer Anführerin hochsahen, die sich wutentbrannt vor uns aufgebaut hatte.

Keiner von uns wusste, was er sagen sollte.

„Es war ein Unfall“, brachte ich schließlich stockend hervor.

„Es war meine Schuld“, unternahm Graujunges den tapferen Versuch, uns alle zu entlasten. „Ich bin ausgerutscht und habe Himmeljunges und Regenjunges mitgerissen. Das mit dem Loch im Bau…“

„Das Loch im Bau interessiert mich nicht!“, knurrte Fuchsstern ärgerlich, in ihren Augen brannte ein Feuer, das mir das blut in den Adern gefrieren ließ. „Wie konntet ihr es wagen, unser Gespräch zu belauschen?!“

Damit traf sie einen wunden Punkt.

„Wir…“ Hilflos sah ich zu meinen Geschwistern.

„…waren…“, brachte Himmeljunges gepresst hervor.

„…neugierig“, stellte Graujunges klar mit dem Blick einer Maus, die den Jäger auf sich zukommen sieht.

Fuchsstern sah uns mit eisigem Blick der Reihe nach an. „Neugierig?“ Ihre Stimme hatte einen eisigen Unterton. „Ihr wart kleine Spione, die ihre Nasen in Angelegenheiten stecken, die zu groß für drei Jungen von vier Monden sind.“

„Soll ich Steinkralle holen?“, bot Taubenflug sich an.

Fuchsstern nickte. „Bitte. Und ihr…“ Wir kauerten uns hin und machten uns so klein wie möglich, als Fuchsstern einen drohenden Schritt auf uns zu machte. „…werdet kein Wort von dem, was ihr hier gehört habt, irgendwo, irgendwann wieder erwähnen. Haben wir uns verstanden?“

Nacheinander nickten wir. „Ja, Fuchsstern.“

„Fall ich dennoch so etwas erfahren sollte, und ich werde es erfahren, werdet ihr drei doch sicher Verständnis dazu haben, wenn ich eure Ernennung zu Schülern um ein, zwei Monde hinaus zögern werde.“

Erschrocken sah ich zu ihr hoch. „Aber…“

„Der Clan benötigt verantwortungsvolle, loyale, ehrliche und gehorsame Katzen und keinen Haufen disziplinloser, mäusehirniger Jungen, die ihre Nase so lange in alles hinein stecken, bis sie von einem Dachs oder Fuchs geschnappt wird.“

Die Strafpredigt wurde von Steinkralle unterbrochen, die mit einem Satz im Bau landete.

„Was habt ihr drei euch dabei gedacht?!“

Fuchsstern mochte uns anfunkeln soviel sie wollte, gegen die wutentbrannte Steinkralle war sie ein harmloses Kätzchen.

Wir duckten uns in das Moos, als Angst, jeden Augenblick einen Krallenhieb über die Ohren zu erhalten.

„Ihr benehmt euch wie…wie kleine Mäuschen! Von Aschenhauchs Jungen hätte ich so etwas noch toleriert, aber von euch… Wie seid ihr überhaupt dort oben hinein gekommen?!“

Wir mussten antworten.

„Zwischen der Kinderstube und diesem Bau gibt es eine Spalte. Ein gutes Versteck.“ Ich hätte Graujunges für die letzte Äußerung einen Krallenhieb verpassen können.

„Dann werde ich Eichenblitz persönlich darum bitten, dieses Loch jungensicher zu machen. Und ihr drei habt für den Rest des Mondes Kinderstubenarrest!“

Mir klappte der Mund auf. „Der ganze Mond?“

„Bis zur großen Versammlung. Dann habt ihr genug Zeit, um über eure Dummheit nachzudenken! Kommt jetzt!“

Mit hängenden Köpfen trotteten wir Steinkralle hinterher in die Kinderstube. Die Blicke der umstehenden Katzen im Lager waren ebenfalls streng, doch nicht wenige ohne Mitleid.

Ausgebrochen

Mitten in der Nacht wachte ich auf.

Unser Arrest dauerte nun schon ganze vier Tage an, es waren noch mindestens zehn weitere bis zum Vollmond, wo Steinkralle unsere Strafe aufheben wollte. Die ganze Zeit über durften wir nur kurz zum Luft schnappen und Essen hinaus, ansonsten mussten wir Tag und Nacht unter Steinkralles strengen Blick in der Kinderstube verweilen, ab und an, befahl sie andere Katzen, auf uns aufzupassen. Einige davon konnten sich gut mit uns unterhalten und taten ein wenig gegen die quälende Langeweile. Um uns abzulenken erzählten wir die Geschichten der Ältesten über die Großen Clans nach oder erfanden eigene. Himmeljunges war begeistert vom TigerClan, Graujunges verehrte den LeopardenClan, ich lag dem LöwenClan zu Füßen. In unseren Geschichten kamen Krieger aus allen drei großen Clans zusammen und gingen auf gefährliche Missionen und Abenteuer. Tigerzahn, dem besten Geschichtenerzähler unter den Ältesten, hätte sich vor Neid das Fell gesträubt, würde er nicht am anderen Ende des Lagers keine Gelegenheit haben, uns zuzuhören. Nicht einmal unsere Frischbeute konnten wir uns aussuchen, die wurde uns immer gebracht. Obwohl wir drei am liebsten Buchfinken, Wühlmäuse und Amseln aßen, bekamen wir immer alles Mögliche, nur nicht unsere Leibspeisen. Ich fragte mich immer wieder, ob dies auch ein Teil von Steinkralles Bestrafung war.

Mit halb leeren Magen war es nicht gut, mitten in der Nacht aufzuwachen.

Ich wusste nicht, wie spät es war, aber Sonnenhoch war noch lange nicht in Sicht.

Und dann waren da noch diese seltsamen Geräusche von draußen.

Ich schloss die Augen und lauschte. Außer dem Schnarchen meiner Geschwister und Steinkralles, dem Rauschen des Windes in den Zweigen und…

Pfotenschritte?!

Mit einem Mal war ich hellwach und lauschte aufgerichtet.

Die Geräusche waren schwach, aber das Rascheln deutlich zu hören.

Für kurze Zeit klangen die Geräusche durch den Wald, dann war es still. Doch ich hatte keine Zweifel.

Dort draußen trieb sich eine Katze herum. Heimlich und ohne das Wissen des Clans. Ein Eindringling? Eine dieser seltsamen Katzen aus dem SteppenClan-Territorium?

Mein Herz schlug höher. Meine Fantasie begann zu arbeiten. Was, wenn wir diese Katze ein für alle Mal fingen und sie zum reden brachten? Dann würden unsere kleinen Ausrutscher am Vortag vergessen sein.

Vorsichtig, um Steinkralle nicht zu wecken, tappte ich zu Himmeljunges hinüber und stieß sie vorsichtig an.

Blinzelnd öffnete Himmeljunges die Augen.

„Was beim…“

„Psst!“ Ich sah sie ernst an. „Da draußen treibt sich jemand herum.“

Sie hielt inne und lauschte. „Du meinst…“

Ich nickte. „Eine dieser mysteriösen Katzen. Mausstern hatte Recht, sie kommen auch zu uns hinüber.“

„Graujunges!“, flüsterte Himmeljunges unserem Bruder ins Ohr. „Wach auf!“

Verschlafen blinzelte Graujunges.

„Da draußen sind Katzen!“

„Na und?“ Er schien wieder einschlafen zu wollen, als er voll und ganz realisierte, was Himmeljunges gesagt hatte. „Katzen? Da draußen?“

„Die Eindringlinge!“, hauchte Himmeljunges. Mit einem Ruck war Graujunges wach.

„Gehen wir sie jagen?“, hauchte er.

Ich stupste ihn freundschaftlich mit der Nase an. „Warum glaubst du, haben wir dich geweckt?“

Graujunges sah kurz prüfend zu Steinkralle.

„In Ordnung, sie schläft!“

Ein heißes Kribbeln zog sich unter meinen Pelz. Der Reiz des Verbotenen lockte uns wie saftige Frischbeute. Allein schon, sich die Gesichter unserer Clan-Gefährten vorzustellen, wenn wir die Eindringlinge ins Lager führten, war dies wert. Bestimmt würde sich Fuchsstern das mit unserer Ernennung zu Schülern noch einmal überlegen.

„Bleibt dicht hintereinander“, befahl Himmeljunges im Flüsterton, während sie aus dem Bau schlich.

„Die Luft ist rein. Wir müssen einen Bogen um den Ältestenbau machen, da ist Mausschweif auf Nachtwache.“

Fest an die Hecken gedrückt schlichen wir vorwärts. Es war fast spielerisch leicht, durch die winzige Lücke in der Hecke zu schlüpfen, die den Nebenausgang des Lagers bildete. Nun konnte unser erstes, richtiges Abenteuer beginnen…

Nachtwanderungen

Der Wald rauschte um uns herum. Der zunehmende Mond und die vielen SternenClan-Krieger am Himmel erhellten uns den Weg zwar nicht sehr, aber dafür konnten wir uns hintereinander vorwärts tasten.

„Hier muss die Katze gewesen sein!“, miaute ich.

Himmeljunges schnupperte. „Stimmt. Hier riecht es nach Katze. Aber den Geruch kenne ich nicht.“

Graujunges überprüfte. „Der SteppenClan hat auch anders gerochen. Aber es riecht nach einer freien Katze. So wie wir, meine ich.“

„Wahrscheinlich ein Einzelläufer“, miaute ich. Meine Pfoten kribbelten. „Könnt ihr erkennen, in welche Richtung die Spur geht?“

„Hier hinten ist sie stärker“, miaute Himmeljunges. Wir folgten dem Rascheln der Farne hinter ihr. Tatsächlich glaubte auch ich nun einen stärkeren Geruch wahrzunehmen.

„Folgen wir der Spur?“, fragte ich?

„Dafür sind wir doch hier!“, bestätigte mir Graujunges. Daraufhin tappten wir hintereinander der Spur hinterher.

 

Es war die reinste Erlebnistour. Meine Ohren nahmen Geräusche war, die jeden Nerv in meinem Körper berührten, jeder Schritt war ein Erlebnis für sich. Wir waren noch nie so weit außerhalb des Lagers gewesen. Überall strömten fremde Gerüche auf mich ein, die ich am liebsten alle erkundet hätte, doch die Spur, die wir verfolgten, war wichtiger.

Mehrere Wurzeln waren uns im Weg, nacheinander kletterten wir hinüber, ich half Graujunges, der sich mit einer Pfote verfangen hatte, beim Abstieg. Der Weg wurde immer unebener, als im Lager. Die Wurzeln, das Unterholz und andere herum liegende Gegenstände und Pflanzen, die ich nicht immer eindeutig definieren konnte, machten ein Vorankommen immer schwieriger. Es dauerte eine lange Zeit, bis wir schließlich auf ebeneres Gelände kamen.

„Diese Katze muss sehr viel Ausdauer haben!“, keuchte Himmeljunges neben mir.

„Es ist auch eine ausgewachsene Katze“, erinnerte ich sie. „Sicher ist das für sie ein Kinderspiel.“

„Was ist das?“, unterbrach uns Graujunges.

Ich spitze die Ohren. Das Geräusch klang hell, doch ich konnte es nicht zuordnen. Wir gingen unseren Ohren nach.

„Der Fluss!“, miaute Himmeljunges aufgeregt. „Wir sind schon am Rande unseres Territoriums angekommen.“

„Die Katze ist hinüber gegangen“, miaute Graujunges.

Irritiert sah ich meinen Bruder an. „Über den Fluss?“

„Über die Trittsteine im Fluss“, erläuterte er und deutete mit dem Kopf auf die vom Wasser umspülten, großen Steine.

„Es sieht schwierig aus, da rüber zu kommen“, musste ich eingestehen.

„Wir sollten uns beeilen!“, zischte Himmeljunges und deutete zum Horizont. Sonnenhoch kündigte sich in einem gelblichen Schimmer an. Wir mussten den Eindringling schnappen, bevor unser Clan uns Ausreißer schnappte.

„Das ist SteppenClan-Territorium!“, warnte uns Graujunges. „Sollten wir wirklich da rüber?“

„Der SteppenClan ist sicher auch froh, wenn diese Katzen geschnappt sind!“

Mit einem Nicken stimmte Graujunges zu. „Hast Recht. Außerdem sind sie ja auch in unser Territorium gegangen, um uns zu warnen.“

„Worauf warten wir dann noch?“

Himmeljunges stellte sich an den Rand des plätschernden Wassers. Sie holte mehrmals Schwung, bevor sie schließlich sprang und auf dem Trittstein im Fluss landete. Mit glücklichem Lächeln drehte sie sich zu uns um. „Nun ihr.“

Graujunges nickte, nahm Stellung ein, sprang und landete sicher neben Himmeljunges auf dem Stein.

„Es ist ganz leicht!“, rief er mir zu. „Komm!“

Mit frischem Mut stellte ich mich an den Rand des Flusses und fixierte den Stein. Mit einem Satz sprang ich.

Diesmal war ich es, der alle mit hinab riss.

Ich verlor auf dem glitschigen Stein den Halt, ruderte kurz mit dem Pfoten in der Luft. Graujunges wollte mich halten, rutschte auf dem Bauch in die Fluten, bei dem hilflosen Versuch, mich festzuhalten, stieß ich aus Versehen Himmeljunges’ Pfoten weg. Gemeinsam landeten wir im tosenden Wasser des Flusses.

Aus dem Fluss gezerrt

Das Wasser umfasste uns. Ich verlor mit einem Schlag zuerst den Kontakt zu meinen Geschwistern, dann die Orientierung im Wasser. Nackte Panik erfasste mich, als die Fluten mich wie ein Stück Holz herum wirbelten.

Ich sah nichts, als ich endlich wieder auftauchte. Mit Prusten und Keuchen schnappte ich nach Luft, verschluckte mich und musste Husten. Sogleich wurde ich wieder unter Wasser gedrückt, die Wassermassen tosten dröhnend in meinen Ohren.

Wild mit den Pfoten um mich schlagend versuchte ich, den Kontakt zur Oberfläche wieder herzustellen. Etwas zerrte mich hinunter, gnadenlos in die tödliche, dunkle Tiefe.

Als sich die Wasser über mir endlich wieder teilten, und ich wieder nach Luft schnappen konnte, hörte ich durch das Spülen von Wasser das Hilfe suchende Miauen meiner Geschwister. Ich hatte keine Zeit, sie zu orten, sondern schlug hilflos mit allen Vieren um mich, um mein Gleichgewicht in der Strömung zu halten. Wieder einmal zerrte mich ein unheilvoller Sog unbarmherzig nach unten. Es war unmöglich, oberhalb der Wasseroberfläche zu bleiben.

Nein! Nein! Ich will nicht ertrinken!

Wir waren doch noch nicht einmal Schüler! Wir waren zu jung, um zum SternenClan zu gehen! Irgendetwas musste doch passieren, damit wir gerettet wurden!

Das Wasser krallte sich in mein Fell und sog mich unbarmherzig in die dunkle Tiefe. Für einen Moment sah ich die Strahlen der Sonne golden im Wasser brechen, silberne Luftblasen aufsteigen, bevor mein Überlebenswille wieder Oberhand gewann.

Alles ging so schnell. Ich wurde herum geschleudert, schrammte gegen Steine, bevor ich daran denken konnte, mich an ihnen festzuhalten, rissen mich die Fluten weiter.

Erneut wurde ich von einer Welle nach unten gedrückt. Wasser drang gewaltsam in meine Lungen, ich wollte husten, musste würgen. Etwas in meinem Kopf schnürte sich zusammen. Ich konnte meine Pfoten nicht mehr bewegen, der Sog der Tiefe hielt mich unbarmherzig im Griff…

Zähne packten mich fest im Genick und rissen mich mit Schwung aus dem Wasser.

 

Ein starker Druck auf der Brust brachte mich zum Husten, ein Schwall von Wasser sprudelte aus meinem Hals hervor. Keuchend drehte ich mich auf die Seite, ich spürte, wie mir eine Katze das Fell gegen den Strick leckte. Unangenehm, aber es wärmte.

Keuchend schaffte ich es, mich auf den Bauch zu legen und blinzelte. Die Welt um mich herum war verschwommen.

„Der hier atmet wieder!“, hörte ich eine Stimme neben mir rufen. Gleich darauf beugte sich die Katze, die mich anscheinend aus dem Fluss gezerrt hatte zu mir hinunter. Ihr Fell troff vor Wasser, ebenso wie meins. „Bleibe ruhig liegen und atme tief durch.“

„Die anderen sind auch wieder stabil“, hörte ich eine andere Stimme, die mir vage bekannt vorkam. Als ich endlich wieder tief durchatmen konnte, wusste ich auch, woher.

Es war Falkensturz, die Zweite Anführerin des SteppenClans.

„Wisst ihr schon, woher sie kommen?“, hörte ich eine dritte Katze rufen.

„Die sind vom BlattClan. Die drei haben bei Maussterns Besuch die Unterhaltung gestört“, erklärte Falkensturz erstaunlich neutral. „Es sind die Jungen von Steinkralle.“

Ich konnte endlich wieder klar sehen, wollte mich aufrichten, doch die Kätzin, die mich aus dem Wasser gezogen hatte, drückte mich sanft wieder zurück.

„Deinen Wurfgefährten geht es gut. Bleibe erst einmal liegen.“

Keuchend sah ich die schneeweiße Kätzin an, die sich über mich beugte. Ich ließ mich auf das Gras zurück fallen und keuchte erschöpft.

Himmeljunges tappte zu mir, sie wurde vorsichtig von einem dunkelgoldbraunen Kater geführt, bis sie sich neben mich hinlegte. Auch Graujunges wurde von Falkensturz zu uns geführt.

„Bleibt erst einmal ruhig liegen. Nicht bewegen. Eure Clan-Gefährten werden bald hier sein.“

Sie sah die Kätzin an, die mich gerettet hatte.

„Bald müsste die Patrouille an der Furt vorbei kommen. Erwarte sie dort Schneeblüte. Kastanienglanz, du kümmerst dich mit mir um die Jungen.“

„Könnt ihr stehen?“, fragte uns der angesprochene Kater umsorgend.

Graujunges richtete sich als Erster auf. Ich versuchte, es ihm nachzumachen, meine Beine knickten aber unter meinem Gewicht zur Seite.

„Bleib liegen! Ich besorge euch ein wenig Moos zum Unterlegen“, miaute Kastanienglanz sanft. Gleich darauf hörte ich etwas reißen. Weiches Moos wurde unter mich gebettet.

Ich drehte mich auf den Bauch und sah mich blinzelnd um. Neben uns rauschte der Fluss.

Himmeljunges hustete neben mir. Ich spürte ihren Kopf an meiner Seite. Schwach drehte ich mich auf den Bauch und leckte ihr übers Ohr.

Wir lagen eine ganze Weile so, bis ich schließlich unseren Clan roch.

Meine Euphorie sank schlagartig, als ich Fuchssterns Ärger roch. Sturmherz, der ebenfalls auf der Patrouille war, war ebenso wütend und besorgt wegen uns und Bienenpfote hörte man schon vom Weiten.

„Wir haben sie noch rechtzeitig hinaus gezogen“, hörte ich Schneeblüte miauen. „Sie sind am Leben, stehen aber unter Schock.“

Ich hob matt den Blick, als die drei Katzen näher kamen. Ich wollte sie rufen, mich entschuldigen, brachte aber nur ein Krächzen zu Stande.

„Bleibt ruhig“, flüsterte unser Vater uns ins Ohr. „Goldtupf besorgt etwas Thymian und kommt gleich.“

Ich konnte seinen Ärger deutlich spüren, doch seine Sorge um uns war stärker. Noch.

„Wir danken euch sehr, dass ihr ihnen geholfen habt“, hörte ich Fuchsstern zu den SteppenClan-Katzen sagen. Auch sie klang erschöpft. Mit war klar, wenn wir erst einmal wieder auf den Pfoten standen, würde für uns bald nachher jedes Gewitter wie der hellste Sonnenschein aussehen.

„Kastanienglanz hatte ihre Hilferufe auf der Patrouille gehört“, hörte ich Falkensturz miauen. „Einige Herzschläge später und wir hätten sie nicht mehr heraus ziehen können.“

Ich stemmte meine Beine in das Moos und richtete mich völlig auf. Goldtupf kam mit einem Stapel Kräuter im Maul über die Trittsteine gesprungen. Wie einfach das nur aussah!

„Esst die. Sie helfen euch. Ich untersuche euch derweil auf Blutegel.“

Ich schluckte die Kräuter, während die Heilerin mein Fell durchforstete.

„Geht es ihnen gut?“, hörte ich Bienenpfote besorgt miauen.

„Sie müssen sich nur vom Schock erholen. Wir bringen sie erst einmal in meinen Bau, dann wird sich der Rest zeigen. Könnt ihr laufen?“

Auf wackeligen Beinen erhob ich mich. Ich ließ zu, dass Sturmherz mich über die Trittsteine auf das andere Ufer trug. Alles, was ich jetzt noch wollte, war, nach Hause zu kommen.

Fuchssterns Urteil

Ich wurde vom Rascheln der Kräuter geweckt.

Meine Augen tränten und waren dich angeschwollen, durch die Nase bekam ich keinen Luftzug und musste durch den Mund atmen. Mein Hals kratzte unangenehm. Mir war heiß.

Ich war nicht in der Kinderstube, sondern lag in einer kuscheligen, mit sehr viel Moos gepolsterten Ecke eines größeren Baus. Die Luft schmeckte würzig, soweit ich das beurteilen konnte.

Ich sah mich um. Mein verschwommener Blick richtete sich auf eine gelbbraune Katze, die näher kam.

Kräuter wurden mir unter die Nase geschoben. „Iss die“, forderte mich Goldtupf mit sanfter Stimme auf. Benommen tastete ich nach den Blättern und schluckte sie langsam nacheinander hinunter. Ich wollte etwas sagen, wurde aber von gewaltigem Husten unterbrochen. Ich spuckte Schleim.

„Du hast Grünen Husten, Regenjunges. Du musst dich noch schonen. Himmeljunges hat sich inzwischen erholt, Graujunges schläft sich gleich neben dir gesund.“

Ich sag mich um, bis ich das reingraue Fell meines Bruders sah, der ein oder zwei Katzenlängen, genau konnte ich es nicht erkennen, neben mir friedlich zu schlummern schien.

„Ihr drei werdet auf der Großen Versammlung zur Sprache kommen.“

Ich sah benommen zu der Heilerin hoch. So lange lagen wir schon hier?

„Keine Angst. Taubenflug wird hier bleiben und euch betreuen. Jetzt lehne dich zurück und schlafe.“

Gierig nahm ich einige Schluck aus dem mit Wasser getränkten Moosballen, den Goldtupf mir zuschob und fiel wieder in einen tiefen Schlaf.

 

Ich laufe wieder durch den Wald. Ich folge den Spuren einer fremden Katze, die sich immer wieder vor mir versteckt. Alles ist dunkel, doch hin und wieder leuchten Katzenaugen vor mir auf. Ich höre Schritte neben mir. Rascheln hinter mir. Stimmen vor mir.

Wer seid ihr?, will ich rufen, doch da brechen mehrere Gestalten aus dem Unterholz. Sie fliegen geradezu an mir vorbei, bevor sie sich hinter mir in die Büsche schlagen und verschwinden.

Ich will ihnen hinterher laufen, doch in dem Moment wache ich auf.

 

„Steinkralle?“, krächzte ich schwach. Meine Mutter saß neben mir und sah mich sorgenvoll an.

„Was habt ihr euch nur dabei gedacht? Das ganze Lager stand Kopf, als ihr verschwunden wart. Selbst die Ältesten wollten mitkommen, um nach euch zu suchen.“

„Wir wollten die Eindringlinge fangen“, brachte ich hervor. „Ich habe eine Katze gehört und dachte, es wäre einer von ihnen.“

Steinkralle seufzte. „Das nächste Mal, wenn ihr nachts etwas Seltsames hört, weckt mich und sagt Bescheid, in Ordnung? Aber keine Alleingänge mehr!“

„Ja, Steinkralle“, brachte ich hustend hervor.

Die graue Kätzin erhob sich. Ihr Gesichtsausdruck wurde mit einem Mal ernst. „Des Weiteren sind Fuchsstern und ich uns darüber einig geworden, euch erst mit sieben Monden zu Schülern zu ernennen.“

Ein Kloß bildete sich in meinem Hals. „So lange?“

„Nicht ehe wir uns einig sind, dass euch ein Mentor übernehmen kann, ohne euch drei auf Schritt und Tritt zu observieren!“ Die Strenge in ihrer Stimme ließ mich unwillkürlich zusammen zucken. „Der Clan benötigt Krieger und keine kindischen Fellbälle, die nichts als Unsinn im Kopf haben.“

Ihre Worte trafen mich hart. Natürlich hatten wir uns kindisch angestellt, aber wir wollten doch nur helfen!

Steinkralle hatte sich wieder etwas beruhigt und leckte mir kurz über den Kopf. „Schlafe ein wenig. Bald werdet ihr beide wieder gesund sein!“

Ich ließ mich in das kuschelige Moos fallen. In zwei Monden waren wir alt genug, um endlich Schüler zu werden. Dennoch mussten wir noch einen Mond waren um „vernünftig und erwachsen“ zu werden!

Ich schloss die Augen und träumte davon, mit meinen Geschwistern im Wald zu jagen.

Ältestengeschichten

Graujunges und ich sahen gleichzeitig hoch, als Taubenflug den Bau betrat.

„Dürfen wir nun wieder raus?“, quengelte ich. „Himmeljunges vermisst uns sicher schon!“

Nacheinander fühlte sie unsere Temperatur.

„Ich kann keine Anzeichen von Krankheit bei euch entdecken. Die Katzenminze scheint gewirkt zu haben. Wartet bitte aber noch, bis Goldtupf euch untersucht hat, sie hat weitaus mehr Erfahrung als ich.“

„Wann kommt sie denn?“, verlangte Graujunges gelangweilt zu wissen.

„Bald. Sie muss nur noch Mausschweifs Umzug organisieren.“

Ich sah auf. „Umzug?“

„Sie erwartet Junge. Moospelz ist aus dem Häuschen vor Glück. Es werden mindestens zwei.“

Ich sprang auf. „Werden wir noch mit ihnen spielen können?“

Taubenflug schnurrte belustigt. „Ihr werdet ihr Nestmaterial auswechseln können. Bis dahin seid ihr sicher zu Schülern ernannt.“

Die Heiler-Schülerin tappte kurz in die Kammer im hinteren Teil des Baus, in dem die Kräuter lagerten.

„Ich muss neue Katzenminze holen. Bleibt bitte hier, ich sage Goldtupf Bescheid, dass sie euch so schnell wie möglich untersuchen soll.“

„Danke, Taubenflug“, verabschiedeten wir uns im Chor, als sie den Bau verließ.

„Hast du gehört? Wir bekommen Gesellschaft!“

Ich nickte. Auf der anderen Seite würde in der jungen Königin eine gute Jägerin in der Blattleere fehlen.

Es dauerte noch eine gefühlte Ewigkeit, bis Goldtupf endlich zu uns kam. Himmeljunges wartete schon ungeduldig am Eingang.

Nach reichlicher Begutachtung, nickte die Heilerin schließlich. „In Ordnung, ihr seid wieder gesund. Verlasst aber nicht noch mal das Lager!“

„Bestimmt nicht!“, versprach Graujunges für mich, als wir unsere Schwester vorm Eingang begrüßten.

„Bin ich froh, dass ihr endlich wieder auf den Beinen seid. Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie langweilig es ohne euch war. Die Schüler hatten auch kaum Zeit, zu spielen.“

Tief sog ich die Luft in meine Lungen und reckte mich, froh über die neu gewonnene Freiheit. Graujunges eroberte schon mit hohen Sprüngen das Lager zurück. „Ich hätte trotzdem gerne gewusst, ob wir wirklich einem der Eindringlinge auf der Spur waren“, gestand Himmeljunges neben mir. „Wer weiß, vielleicht suchen diese Katzen nur Hilfe.“

„Dann müssten sie einfach fragen“, miaute ich. „Die Katzen vom Zweibeinerort würden auch zu uns kommen, wenn wir ihnen bei ihren Problemen helfen könnten. Sie haben uns damals auch geholfen.“

Ich rannte direkt in Blitzpfote hinein, die einen Ballen Nestmaterial zu den Ältesten trug.

„Verzeihung, Blitzpfote, ich habe dich nicht gesehen.“

„Keine Ursache“, murmelte die Kätzin durch das Moos. „Ihr könnt ruhig zuschauen, in einigen Monden dürft ihr selbst die Ältesten umsorgen.“

Froh über diese Ablenkung tappten wir der Schülerin hinterher. Buntschweif sah schon freudig zu uns hinüber.

„Das wurde aber Zeit“, knurrte auch Vogelpelz zufrieden, als die Schülerin ihre Arbeit aufnahm.

„Es tut mir leid, dass ihr warten musstet, Moospelz hat nach der Morgenpatrouille eine Jagdstunde eingerichtet.“

„Beruhige dich!“, murmelte Tigerzahn, als die launische Älteste erneut den Mund zum Protestieren öffnete. „Ich weiß noch gut genug, wie stressig das Schülerleben sein kann. Wir sollten den jungen Katzen öfter danken.“ Er sah zu uns hinüber. „Ihr wollt doch sicher wieder eine Geschichte hören, oder?“

Manchmal konnten die Ältesten Gedanken lesen. Der Reihe nach legten wir uns vor ihm hin. Auch Blitzpfote spitzte die Ohren.

„Also, was wollt ihr hören? Eine spannende Geschichte über die großen Clans? Einen meiner alten Schülerstreiche? Die Konflikte zwischen den Clans in der Vergangenheit?“

Wir konnten uns nicht auf Anhieb entscheiden. Jede der Möglichkeiten versprach prickelnde Spannung.

„Gab es schon mal Katzen, die euch spontan im Wald besucht haben? Vor dem Angriff der Streuner, meine ich“, schoss Himmeljunges sogleich mit ihrer Frage heraus. Ich bedachte sie mit einem erschrockenen Blick. Verrate bloß nicht zu viel!

„Immer wieder“, erinnerte sich Tigerzahn. „Ein paar Einzelläufer, die auf der Suche nach einer neuen Heimat waren. Wir haben sie dann in der Regel zum Zweibeinerort gebracht, dort sind alle Katzen willkommen. Die meisten sahen wir nie wieder. Wenige haben sich wirklich für unser Leben im Clan interessiert. Ab und zu haben uns welche Fragen gestellt, aber die sind genauso schnell wieder gegangen, wie gekommen. Einige haben wir ab und zu mal wieder gesehen. Die meisten verschwanden aber wieder.“

„Wir haben uns nicht wirklich um sie gekümmert“, miaute Vogelpelz, sich das Fell putzend. „Einmal haben wir ein Hauskätzchenjunges zurück zu seinen Zweibeinern gebracht. Auch das haben wir nie wieder gesehen.“

„Im Grunde sind diese Katzen alle nicht an uns interessiert“, gähnte Buntschweif. „Sie kommen und gehen wieder. Wie Wolken. Seid ihr sicher, dass ihr von Tigerzahn keine spannenderen Geschichten hören wollt?“

Um keinen Verdacht zu erregen sah ich zu ihm. „Welche Streiche hast du als Schüler angestellt?“

„Davon können wir sicher auch lernen“, miaute Blitzpfote, die mit ihrer Arbeit fertig war und setzte sich neben uns.

Tigerzahn schnurrte belustigt. „Ich wusste, dass ihr dabei hellhörig werdet. Ich hatte mal einen Streit mit einem älteren Schüler aus dem Clan. Er glaubte, uns Jüngere dauernd herum kommandieren zu dürfen. Eines Tages habe ich ihm dann brav ein Stück vom Frischbeutehaufen mitgebracht. Als er dann gemerkt hatte, dass die Maus mit Disteln ausgestopft war, hatte er sich bis zur Kriegerzeremonie von mir ferngehalten.“

Wir sahen uns an. Blitzpfotes Augen leuchteten. „Danke für den Tipp, Tigerzahn.“

„Hey hey!“, warnte der Kater. „Ich warne dich, sich als Strafe einen Mond um die Ältesten zu kümmern, ist ein hoher Preis dafür, besonders, wenn Vogelpelz Flöhe hat.“

Die Kätzin funkelte ihn an. „Was willst du damit sagen?“

„Dass du eine sehr temperamentvolle, willensstarke Katze bist“, schnurrte der alte Tigerkater. Blitzpfote schnurrte. „Danke, das merke ich mir, wenn Rosenpfote mir wieder am Pelz klebt. Einen schönen Tag euch allen noch.“ Damit verließ sie die Gemeinschaft.

„Tigerzahn!“ Die strenge und doch liebevolle Stimme stammte ausgerechnet von Steinkralle. „Setze ihnen keine Flöhe ins Ohr. Ich habe mich gerade von den Streichen von Aschenhauchs Jungen erholt.“

„Mache dir keine Sorgen, Steinkralle. Wir erklären den dreien ausführlich, welche Konsequenzen Dummheiten haben können“, erläuterte Buntschweif. Sie sah nach oben. „Hallo Taubenflug. Siehst du bitte mal nach meiner linken Schulter. Es juckt dort schon seit einiger Zeit.“

„Ich komme gleich!“ Nachdem sie die Kräuter verstaut hatte, begutachtete Taubenflug Buntschweifs Schulter.

„Nur ein kleiner Kratzer, wahrscheinlich ein Dorn im Nestpolster. Ich mache dir einen Kräuterumschlag.“

Die Heilerin wollte sich wieder auf dem Weg zum Bau machen, als ein Schauer sie durchfuhr. Mit gesträubten Pelz blieb die Heilerin auf der Stelle stehen, ihre Augen weit aufgerissen, blickten ins Leere.

„Taubenflug?“, miaute Buntschweif besorgt. Goldtupf, die gerade mit einem neuen Kräutervorrat ins Lager kam, ließ ihre Sammlung fallen und war mit wenigen Sätzen bei ihrer Schülerin.

Mit einem Keuchen fuhr Taubenflug aus der Trance. Verwirrung stand in ihren Augen. Ihre Mentorin war bei ihr.

„War es wichtig?“

Ihre Stimme klang hohl und doch entschlossen, als ihre Schülerin antwortete. „Wir müssen sofort mit Fuchsstern reden!“

Fährten im Wald

Wir erfuhren nicht, was Taubenflug in ihrer Vision gesehen hatte. Dass die Heilerin eine Vision vom SternenClan erhalten hatte, daran zweifelte keine Katze, doch nach einem ausführlichen, vertraulichen Gespräch mit Fuchsstern und Goldtupf kamen die drei Kätzinnen zu dem Entschluss, diesen Umstand vorerst für sich zu behalten, bis der SternenClan nähere Zeichen schicken würde.

Jedenfalls wurde dem Clan das so mitgeteilt. Dennoch wurde ich das Gefühl nicht los, dass im Bau der Anführerin noch andere, geheimnisvollere Dinge zur Sprache kamen, die diese, neuerdings sorgsam geflickten und bewachten Wände, nicht verlassen würden.

Wenige Tage darauf war die Vision fast vergessen. Nicht aber die fremden Katzen.

 

Die Nachricht kursierte im Lager umher, noch bevor Fuchsstern das Clan-Treffen einberufen hatte.

„Wir haben Pfotenspuren und denselben Katzengeruch in der Hochebene entdeckt“, berichtete Winterfrost vor dem Clan. Sie, Dunkelpelz und Flammenschweif waren sofort von der Patrouille aus zurückgekehrt, um Bericht zu erstatten. Am Abend zuvor hatte auch Schattenglanz auf der Jagd Spuren unbekannter Katzen entdeckt, die sich aber nach einiger Zeit auf den Weiden um den Zweibeinerort verloren.

Eichenblitz erhob sich auf ein Nicken Fuchssterns hin. „Wer auch immer diese Katzen sind, wir dürfen sie nicht als Feinde betrachten, solange wir nicht wissen, wer sie sind und woher sie kommen.“

„Woher sollen wir das wissen, wenn wir nicht mit ihnen Kontakt aufnehmen?“, warf Blütennase ein.

Fuchsstern erhob ihre Stimme und erstickte das aufkeimende Gemurmel im Keim. „Ich werde heute noch zur Sternengrotte reisen, um mir mit dem SternenClan die Zunge zu geben. Vielleicht erfahre ich danach mehr. Blitzpfote, Rosenpfote, Bienenpfote und Graspfote werden mitkommen.“

Vom Eingang der Kinderstube aus beobachteten wir, wie sich die vier Schüler voller Vorfreude ansahen. Danach verstreute sich der Clan. Ich dachte an das belauschte Gespräch mit Mausstern. Fuchsstern setzte ihr Vorhaben nun in die Tat um.

„Zuvor werde ich mir die Stellen, wo die Spuren gefunden worden, noch einmal persönlich ansehen. Sturmherz, Eschenlicht, ihr begleitet mich!“

„Sie will sie sicher in ihre Mission einweiten“, flüsterte mir Graujunges zu, obwohl in unserer Nähe ohnehin keine Katze war, die uns belauschen könnte.

Ich würde zu gerne zum Zweibeinerort mitkommen“, miaute Himmeljunges verträumt. „Die Katzen dort würde ich gerne kennen lernen. Sie sind schließlich Freunde der Clans.“

Mit einem Stoß brachte ich sie zum Schweigen. Steinkralle kam auf uns zu.

„Haben sie die Fremden gefunden?“, fragte Graujunges scheinheilig nach, als hätten wir nicht soeben jedes Wort belauscht.

„Es gab Spuren in der Hochebene“, antwortete unsere Mutter knapp. Ihrem Blick entnahm ich, dass sie genau wusste, was wir mit angehört hatten.

Graujunges deutete stumm mit dem Kopf nach draußen. Wir folgten der Richtung und taten, als würden wir ein neues Spiel mit den Steinen im Lager erfinden.

„Vielleicht ist die ganze Aufregung auch umsonst und die Katzen ziehen demnächst weiter, wenn sie gemerkt haben, dass wir hier leben!“, miaute Graujunges, während er die Kiesel nebeneinander anordnete. Er zog eine Linie in den Sand und legte auf die eine Seite einige Blätter.

„Die Steine sind die Hochebene, der Strick ist der Fluss und wo die Blätter sind, ist unsere Territorium.“

Ich sah mir das Modell an. „Könnte zustimmen.“ So ähnlich wurde uns das Gebiet beschrieben.

„Zuerst gab es die Zeichen hier!“, Himmeljunges deutete auf den äußeren Rand des provisorischen SteppenClan-Territoriums. „Kurz darauf ist eine Katze durch den Wald über den Fluss gelaufen. Jetzt wurden bei der Hochebene Spuren entdeckt, doch wenn ich es richtig verstanden habe, entdeckte Schattenglanz gestern auch Fährten auf der anderen Seite des Waldes.“

„Sie müssen sich über unsere Territorien verstreut haben“, analysierte Himmeljunges mit fachmännischem Blick. „Aber allen Anschein nach gehören sie zusammen.“

„Was bedeutet, dass einer von ihnen uns zu allen führen kann, wenn wir ihm folgen“, miaute Graujunges.

„Es muss aber auch einen Grund haben, warum sie sich nicht zeigen. Vielleicht haben sie Angst vor uns“, schlug Himmeljunges vor.

„Aber warum?“, murmelte ich. „Und weshalb kommen sie dann überhaupt so nah an uns heran?“

Graujunges ließ sich zu Boden fallen. „Ich fürchte, dass wird ihr Geheimnis bleiben.“

„Welches Geheimnis?“

Wir wirbelten herum. Aschenhauch hatte sich hinter uns gestellt und sah interessiert und verunsichert auf uns herab. Mit einer Pfote verwischte ich wie beiläufig Graujunges Landschaft.

„Wir stellen uns vor, das Lager wäre verwüstet worden und wir müssten es wieder aufbauen!“, erfand Himmeljunges schnell. „Und gerade überlegen wir fieberhaft, wie unsere Ahnen sich vor so vielen Blattwechseln hier häuslich eingerichtet haben.“

Graujunges und ich nickten synchron zu der Geschichte. Der strenge Blick der Kriegerin erweichte.

„Dann macht ruhig weiter, solange ihr nicht das Lager umbaut. Es kursieren zurzeit einige wilde Geschichten über euch drei.“

Verlegenheit kribbelte mir im Pelz, obwohl Aschenhauch dies mit einem freundlichen Unterton gesagt hatte. Als die Kätzin gegangen war, atmeten wir auf.

„Das war knapp“, stieß ich hervor.

„Was meint ihr?“, miaute Graujunges, der sich von dem Schrecken schnell erholt hatte. „Wie wird es weiter gehen?“

„Ich weiß nur, dass wir noch fast drei Monde warten müssen, bis wir den Wald auf eigene Pfoten erkunden dürfen“, miaute Himmeljunges niedergeschlagen. „Vorausgesetzt, Fuchsstern lässt nicht doch noch Milde walten.“

„Das müssen wir wirklich abwarten“, stimmte ich ihr zu.

Dachsangriff

Ich konnte beobachten, wie Fuchsstern, Eichenblitz und die Schüler am Morgen zurückkehrten. Fuchssterns Miene sah nachdenklich aus, doch eine Versammlung gab es nicht. Keine Ankündigungen, keine Entschlüsse. Nicht einmal Sturmherz und Eschenlicht verloren ein Wort über ihren Besuch im Zweibeinerort. Außer mit Fuchsstern sprachen sie mit niemandem darüber.

Ich spielte kurz mit dem Gedanken, meinen Vater ganz unauffällig in ein Gespräch zu verwickeln, um etwas heraus zu bekommen, doch verwarf diese Möglichkeit sofort. Bei unseren Aktionen letzten Mond sollten wir lieber nicht wieder herum schnüffeln und Sturmherz würde das sofort merken. Aber bei Eschenlicht hätten wir bestimmt mehr Erfolg.

„Ihr kommt sicher, um mich mit irgendwelchen verrückten Fragen zu löchern“, begrüßte der Krieger uns, als wir scheinheilig bei ihm antanzten.

„Ja, wir…“ Ich stockte kurz, überlegend, wie ich die Frage am besten formulieren sollte. „Wir wollten dich fragen, ob du uns ein wenig über die Katzen vom Zweibeinerort erzählen könntest. Du kommst doch von dort.“

„Die Ältesten haben uns erzählt, wie sehr sie euch im Kampf gegen die Streuner geholfen haben“, fügte Himmeljunges hinzu. Manchmal beneidete ich meine Schwester um ihre blühende Fantasie.

„Ja, sie wurden von den Streunern toleriert und haben uns so als Spione gedient. Bis sie ihnen auf die Schliche gekommen sind. Flecken, ein Einzelläufer, der dort lebt, ist ihnen in die Pfoten gelaufen. Wir konnten ihn zwar noch rechtzeitig da herausholen, aber gleich darauf haben wir beschlossen, dass sie sich auf der Angelegenheit heraus halten sollen. Es wäre zu gefährlich, viele von ihnen waren Hauskätzchen, die in solchem Terrain keine Erfahrung hatten.“

Graujunges sah ihn gespannt an. „Und sie haben euch geholfen? Einfach so? Die Clans begegnen Einzelläufern und Hauskätzchen nicht so oft.“

Eschenlicht schnurrte. „Freundschaft, Graujunges. Euer Vater und ich sind dort aufgewachsen. Sie haben es für die Clans, aber in erster Linie auch für uns beide getan. Wir kannten die meisten Katzen gut. Dennoch haben sie uns in den Tagen mehr als überrascht.“

„Ich würde diese Katzen gerne mal kennen lernen“, miaute Himmeljunges.

„Manchmal treffen wir einige von ihnen auf der Patrouille. Sie kommen nicht oft in den Wald, ab und zu schauen sie nach uns, aber in der Regel bleiben sie unter sich.“

Nun hatten wir seinen Redefluss in Trab gebracht. Es hieß jetzt nachbohren.

„Was gibt es denn dort für Katzen? Ich meine, mehr Hauskätzchen, Einzelläufer… Und wie leben sie miteinander?“

Bevor Eschenlicht auf meine Frage reagieren konnte, erreichten Blütennase und Rennwind keuchend und gehetzt das Lager. Rennwinds warnender Ruf hallte über die Lichtung.

„Ein Dachs! Er kam in den Wald und hält genau auf unser Lager zu!“

 

Mit einem Schlag stand das gesamte Lager auf den Beinen. Es wäre Chaos ausgebrochen, hätte sich Fuchsstern nicht sofort unter der Eiche aufgebaut und Befehle erteilt.

„Bleibt zusammen. Alle versammeln sich vorne, um den Dachs abzulenken, sollte er ins Lager kommen. Eichenblitz, Adlerpelz, Blütennase, ihr begleitet die Ältesten, Goldtupf, Taubenflügel, Steinkralle und ihre Junge in den Wald. Versteckt euch dort, bis ich eine Katze schicke, die euch zurückholt.“

Ohne Aufforderung tappte ich Steinkralle und den auserwählten Kriegern hinterher. Goldtupf und Taubenflug waren schon am Rand des Lagers und erwarteten uns.

„Wartet!“

Sturmherz’ Ruf veranlasste mich dazu, den Kopf in seine Richtung zu drehten. Mein Vater war mit wenigen Sätzen bei Fuchsstern. „Lass mich sie begleiten, Fuchsstern, bitte.“

Die Anführerin warf einen flüchtigen Blick zu Steinkralle, die ihren Gefährten mich großen Augen ansah. Dann nickte sie. „In Ordnung, gehe mit ihnen. Viel Glück!“

„Kommt jetzt!“, miaute Eichenblitz. Wir versammelten uns um den Zweiten Anführer und verließen das Lager.

Hinein in den Wald.

Taubenflugs Vision

„Ihr braucht mich nicht in die Mitte nehmen. Ich mag als sein, schaffe es aber durchaus noch, diesem Mistvieh die Augen auszukratzen.“

„Deshalb müssen wir besonders auf dich aufpassen, Vogelpelz“, stellte Eichenblitz klar und flankierte die alte Kätzin trotz des Protests. Ich beobachtete, wie Blütennase mit ihrem Schwanz liebevoll die Schulter ihrer Tochter streifte.

„Ich weiß, wie du Kieselstein vermisst, doch sie ist eine der besten Kämpferinnen des Clans und wird im Lager benötigt. Ein Dachs wird sie nicht in die Flucht jagen.“

Taubenflug nickte entschlossen, wenn auch nicht ohne Sehnsucht. „Ich weiß. Sie wird zurückkommen.“

Ich fühlte mit der Kätzin mit. Ich würde mich auch verlassen vorkommen, wenn meine Geschwister nicht neben mir stünden.

Ich fuhr zusammen, als mit einem lauten Krächzen einige Krähen aus den Wipfeln flogen und den Himmel empor segelten. Überall schien es zu rascheln. Ich ging unbewusst näher an meine Mutter heran. Beiläufig streifte mich Steinkralle mit ihrer Schwanzspitze. Ich bin bei dir. Sie spürte meine Verunsicherung.

Als Graujunges, Himmeljunges und ich vor einem Mond gemeinsam aufgebrochen waren, war mir der Wald wie ein einziges Abenteuer vorgekommen. Nun war es ein unheimliches Labyrinth aus Bäumen.

 

Als es Mittag wurde, kam immer noch keine Nachricht vom Clan. Wir hatten uns in einer Höhle in der Hochebene verschanzt, um in Sicherheit zu sein. Außer uns dreizehn Katzen war niemand zu sehen. Langsam aber sicher machten wir uns Sorgen.

„Fuchsstern muss bald ein Zeichen senden“, hörte ich Eichenblitz nervös knurren. „Der Clan war seit unserer Reise durch die Berge nicht so lange getrennt. Ich mache mir wirklich Sorgen.“

„Sollen wir vorsichtig losziehen, um zu schauen, ob alles in Ordnung ist?“, schlug Adlerpelz vor. Seine Ohren zuckten nervös. „Möglicherweise finden sie uns nur nicht.“

„Aber nicht alle zusammen!“, warf Steinkralle ein. Ich bemerkte, wie sie schützend ihren Schwanz um uns kringelte.

„Steinkralle hat Recht“, miaute Blütennase. „Dennoch finde ich es nicht gut, wenn wir uns trennen.“ Sie sah in die Runde. „Ihr wisst, welche Probleme dies in den Bergen verursacht hat.“

Eichenblitz sah zu Goldtupf. „Was meinst du dazu?“

Goldtupf sah mit erschöpftem Blick über und hinweg. „Eine Heiler-Katze gehört zu ihrem Clan. Auch ihr seid mein Clan, daher kann ich euch nicht allein lassen.“

Taubenflug, die bisher nichts zu der Diskussion beigetragen hatte, stand mit einem Mal auf und ging zu ihrer Mentorin herüber.

„Kann ich dich kurz sprechen. Allein.“

„Sind es…“

Taubenflug nickte. „Ich hätte da so eine Idee, möchte aber noch vorher wissen, was du dazu sagst.“

Die Heilerin wandte sich an Eichenblitz. „Können wir uns kurz ungestört unterhalten?“

Der Krieger nickte. „Gerne.“

Ich beobachtete, wie die beiden Heilerinnen in die Hochebenen liefen, bis sie außer Hörweite waren. Von der Entfernung konnte ich nur noch beobachten, wie sie miteinander diskutierten. Nun wurde ich auch nervös. Ich hatte Taubenflug noch nie so unruhig gesehen.

„Was ist nur los mit ihr?“, fragte Himmeljunges.

„Es ist sicher ein Zeichen vom SternenClan, das sie nicht zu deuten wusste“, vermutete Steinkralle. „Manchmal sprechen unsere Ahnen so in Rätseln, dass selbst Heiler sie kaum verstehen können. Goldtupf ist hat mehr Erfahrung als Taubenflug, daher kann sie damit sicher besser umgehen.“

„Was auch immer es ist“, miaute Blütennase besorgt, „wenn es ihr solche Sorgen macht, betrifft es uns alle.“

„Du meinst, es steht etwas Schlimmes bevor?“, hakte Sturmherz nach.

„Vielleicht.“

Adlerpelz stimmte seiner Schwester mit einem Nicken zu. „Taubenflug ist keine Katze, die sich leicht aus der Ruhe bringen lässt. Ich habe sie beobachtet, als sie ein Junges war. Sie hat immer klug gehandelt und jeden Schritt sorgsam überlegt.“

Nun sah auch Steinkralle mit unruhigem Blick zu den Heilerinnen. „Meint ihr, es hat etwas mit dem Zeichen zu tun, das sie letzten Mond erhalten hatte?“

„Ich weiß es nicht!“, sagte Eichenblitz. „Aber ich denke, wir werden das gleich erfahren.“

Ich sah auf. Die Heilerinnen kamen wieder. Mit ernsten Gesichtern.

„Eigentlich müssten wir das dem ganzen Clan mitteilen“, miaute Goldtupf. „Aber ihr werdet sicher verstehen, was zu tun sein wird.“

„Was hat der SternenClan gesagt?“, fragte Adlerpelz seine Nichte.

Taubenflug holte tief Luft, bevor sie es aussprach. „Die fremden Katzen. Ich habe nicht herausgefunden, wer sie sind, aber es sieht ganz danach aus, als würden sie unsere Rettung sein.“

 

Alle anwesenden Katzen starrten Taubenflug mit großen Augen an.

„Unsere Rettung?“, wiederholte Buntschweif irritiert.

„Möglicherweise wissen sie noch nicht einmal, wer wir sind“, gab Vogelpelz zu bedenken.

„Wovor sollen sie uns überhaupt retten?“, kam Blütennase auf den Punkt.

„Ich weiß es nicht“, gab Taubenflug zu. „Aber ihr Schicksal ist mit dem unseren verbunden.“ Sie hielt kurz inne, bevor sie weiter erzählte. „Meine Träume waren immer die Gleichen. Ich stand im Wald. Was ich dort machte, weiß ich beim besten Willen nicht. Mit einem Mal fielen alle Blätter von den Bäumen, wie in der Blattleere, doch sie welkten nicht, sondern fielen frisch und grün vom Ast. Bevor sie von einem Windstoß weggeweht werden.“

Ich versuchte, mir die Szene bildlich vorzustellen.

„Der Wald schien tot!“, erzählte Taubenflug weiter. „Doch mit einem Mal kommen die fremden Katzen hervor. Wie, kann ich nicht sagen, doch sobald sie an den Bäumen vorbei gehen, werden sie wieder grün und stehen in voller Pracht neben mir, als wäre nichts gewesen. Doch die Katzen verschwinden. Ich kann nicht einmal beschreiben, wie sie aussahen.“

Es herrschte für einige Zeit Stille.

„Du meinst, die Blätter stehen für den BlattClan. Und sie wachsen erneut, nachdem die fremden Katzen gekommen waren.“

„Das denke ich auch. Aber ich kann mir unmöglich erklären, wovor sie uns bewahren sollen, wenn sie noch nicht einmal Kontakt zu uns aufnehmen.“

Eichenblitz schwieg mit nachdenklicher Miene. „Was denkst du, Goldtupf?“

Die Heilerin sah auf. „Wenn wir sie brauchen, aber sie es nicht über sich bringen, zu uns zu kommen, müssen wir wohl zu ihnen.“

„Jetzt?“, fragte Vogelpelz, nachdem es eine Zeit lang still war.

„Ich sehe keine bessere Gelegenheit.“

Die Suche nach den Fremden

„Wisst ihr überhaupt, wo wir suchen müssen?“, fragte Gaujunges neben mir.

„Ich glaube nicht, dass wir lange suchen müssen!“, antwortete Eichenblitz geduldig auf alle unsere nervenden Fragen. „Sie haben uns so lange beobachtet, ohne von uns entdeckt zu werden. Sie sind sicher ganz in der Nähe und werden früher oder später zu uns kommen.“

Ich fragte mich, woher der braune Krieger diese Sicherheit nahm. Bestimmt seine Erfahrung, oder auch ein besonderes Gefühl.

„Wartet!“ Blütennase war stehen geblieben. „Ich glaube, ich habe etwas gehört. Dort drüben.“

Die Krieger waren stehen geblieben und sahen in die dunklen Büsche. Eichenblitz drehte sich zu Steinkralle um. „Bleib mit den Jungen und den Ältesten hier. Wir schauen nach, was dort ist.“

„Wir wollen mit!“, rutschte es mir heraus, woraufhin ich den strengen Blick meiner Mutter erntete. „Ihr bleibt hier!“

Ich gab nach, ließ mich auf den Boden fallen und sah den Kriegern hinterher, wie sie zwischen den Blättern verschwanden. Mit Rascheln im Fell ließ sich Buntschweif neben uns nieder.

„Ich weiß, wie aufregend die Welt für euch ist, ich war schließlich auch mal ein Junges. Aber es ist besser, wenn ihr in Sicherheit seid. Glaubt mir.“

Dankbar sah ich die schildpattfarbene Älteste an. Doch dieses kribbelnde Gefühl, diese Mischung aus Neugier und Gefahr, der Drang, dem auf den Grund zu gehen, all das ließ sich nicht einfach verdrängen.

Steinkralle sprang mit gesträubtem Fell auf, als sich die Zweige erneut bewegten, entspannte sich aber wieder, als sie ihre Clan-Gefährten hervor kommen sah.

„Habt ihr etwas entdeckt?“

„Spuren von Eichhörnchen und Kanninnchen“, antwortete Adlerpelz. „Aber keine Katze oder ein gefährliches Tier.“

Steinkralle entspannte sich kein wenig. Himmeljunges sah zu ihr auf. Auch ich merkte, dass etwas nicht stimmte.

„Was ist los?“, miaute Sturmherz verunsichert.

„Ich…“ Ihr Nackenfell glättete sich allmählich. „Ich dachte, ich hätte etwas gehört.“

„Es wäre besser, wenn wir dem dennoch auf den Grund gehen“, schlug Goldtupf vor. Eichenblitz nickte. Er, Adlerpelz und Blütennase gingen nacheinander, zum Sprung geduckt in die Richtung, aus der Steinkralle etwas zu hören vorgegeben hatte, und verschwanden schon bald aus meinem Blickfeld. Irgendwo im Wald hörte ich eine Nachtigall singen. Das fröhliche Pfeifen des Vogels war ein starker Gegensatz zu der pochenden Angst, die mich befiel, den Katzen könnte etwas passieren, jeden Augenblick könnte der Dachs aus dem Gebüsch stoßen, die Fänge mit dem Blut der Krieger bespritz, der nun über uns herfiel. Ich fuhr zusammen, als Blütennase schließlich gehetzt aus dem Gebüsch kam.

„Kommt mit! Das müsst ihr euch ansehen!“

Nacheinander folgten wir der Kriegerin in das Unterholz.

 

„Hier waren Katzen. Mindestens zwei“, erklärte Eichenblitz mit Blick auf den Farn. Selbst ich konnte den Katzengeruch daran erkennen.

„Du meinst, es waren die Besucher“, stellte Sturmherz fest.

„Ja, und sie waren erst vor kurzem hier.“

„Worauf warten wir dann noch?“, mischte sich Graujunges ein und erntete einen strengen Blick Steinkralles. Eichenblitz baute sich vor meinem Bruder auf.

Wir unternehmen gar nichts. So alt wie die Spur ist, sind die Katzen sicher schon weg. Wir werden hier bleiben und auf Fuchssterns Nachricht warten. Dann schauen wir, was wir mit der Spur machen, während ihr brav ins Lager zurückkehrt. Habe ich mich deutlich genug ausgedrückt?“

Graujunges senkte eingeschüchtert den Blick. „Ja, Eichenblitz.“

„Also gut. Blütennase, wir gehen ein wenig in Richtung Lager und schauen, ob uns eine Patrouille entgegenkommt. Adlerpelz und Sturmherz bleiben hier. Rührt euch in der Zwischenzeit nur vom Fleck, wenn Gefahr droht.“

Die beiden Krieger nickten. „Ja, Eichenblitz.“

Damit verließen Eichenblitz und Blütennase uns. Wieder hörte ich in der Stille unbeschwertes Vogelgezwitscher.

 

Sturmherz ließ die beiden Wühlmäuse und den Buchfinken vor uns fallen. „Esst, ihr müsst sehr hungrig sein.“ Dankbar nahmen wir die Beute unseres Vaters entgegen. Ich schnappte mir den Finken. Kurze Zeit später kehrte auch Adlerpelz mit einem dicken Kanninnchen für die Ältesten zurück. Buntschweif weckte Tigerzahn, der in der Zwischenzeit eingenickt war.

„Waren Eichenblitz und Blütennase inzwischen hier?“, erkundigte sich Adlerpelz.

Goldtupf schüttelte den Kopf. „Kein Zeichen von ihnen.“

Der Kater seufzte. „Dann dauert das noch. Sollen wir noch für euch etwas jagen?“

„Danke, aber ich habe keinen Appetit!“, lehnte die Heilerin ab. Taubenflug verneinte ebenfalls. Steinkralle sah wortlos in die rauschenden Blätter der Bäume.

„Steinkralle?“, näherte sich Sturmherz mit sanfter Stimme. Blinzelnd fuhr unsere Mutter aus der Trance. „Ich…nein, ich habe keinen Hunger. Besorgt lieber noch etwas für euch selbst.“

Adlerpelz sah kurz zu den beiden, dann nickte er und verschwand erneut im Wald. Sturmherz setzte sich neben seine Gefährtin.

„Du machst dir Sorgen um Rindenpelz, oder?“

Meine Mutter nickte. „Wir beide waren noch nie so lange getrennt. Ich mache mir Sorgen.“

„Er ist eine starke Katze. Er wird uns sicher bald wieder sehen. Vertrau mir.“

„Danke“, miaute Steinkralle, ließ den Blick aber nicht von dem Grün des Waldes ab. Ich sah zu meinen Geschwistern. Himmeljunges stand als Erste auf und setzte sich zwischen unsere Eltern. Graujunges und ich folgten kurz darauf. Sturmherz und Steinkralle kringelten ihre Schwanzspitzen um uns. Ich kuschelte mich in ihr Fell. Ich spürte, wie die Ältesten uns beobachteten, doch es fiel kein Wort. Sie wollten unsere kleine Familienversammlung nicht stören.

Eichenblitz bemerkte die drohende Gefahr als Erster. Mit einem plötzlichen Fauchen sprang der Zweite Anführer auf. Auch die anderen Katzen waren schnell auf den Beinen. Unsere Eltern drängten uns nach hinten und stellten sich schützend vor uns.

Der Dachs!, dachte ich automatisch. Doch aus dem Wald kam kein Dachs.

Aus dem Wald kamen zwei riesige, feuerrot leuchtende, sehr hungrig und kampflustig aussehende Füchse.

Fuchsjagd

Sie waren riesig!

Krieger, Schüler und Älteste hatten uns oft Füchse beschrieben und von den Kämpfen mit ihnen erzählt. Große, hundeähnliche Tiere mit feuerrotem Fell, einem buschigen Schweif und tödlichen Zähnen. Es waren nicht zu verachtende Gegner für Katzen, gefährliche Raubtiere, bei denen unsereins schnell den Kürzeren ziehen kann. Ich hatte mir oft vorgestellt, wie ich in geraumer Zukunft als Krieger diese Biester zum Kampf aufforderte, mich ihnen stellte und sie reihenweise in die Flucht schlug, um den Clan zu schützen.

Was für naive, weltentfremdete Jungenträume!

„Lauft!“, befahl Steinkralle zischend, während sie sich mit gesträubtem Fell den Füchsen in den Weg stellte. Dennoch waren ihre Augen vor Angst weit aufgerissen. Es war nicht das erste Mal, dass sie einem Fuchs begegnete.

Mit gebleckten Zähnen kamen die Füchse näher, ein gefährliches Blitzen lag in ihren Augen.

Hätte Himmeljunges mich nicht nach hinten gezerrt und zum Fliehen aufgefordert, wäre ich wohl noch ewig vom Anblick der flammenfarbenen Giganten gefesselt gewesen.

Ich drehte mich um und setzte mich in Bewegung. Wir flogen mit einer Schnelligkeit über den holprigen Waldboden, die um ein Haar Schwindelgefühle in mir hervor rief, würde es nicht um Leben und Tod gehen. Selbst die Ältesten neben uns trabten so schnell wie lange nicht mehr. Goldtupf und Taubenflug bildeten die Nachhut, deutlich darauf achtend, dass wir uns nicht im Unterholz verfingen und hängen blieben.

„Ich kenne einen Ort, an dem wir vielleicht sicher sind!“, krächzte Buntschweif im Lauf. „Folgt mir!“

Wir diskutierten nicht, sondern liefen der Ältesten so schnell es möglich war, hinterher. Ich musste meine Krallen fest in den vom Frost hart gefrorenen Waldboden rammen, um nicht abzurutschen. Mehr schlitternd als laufend legten wir den Weg von der Anhöhe aus zurück.

Buntschweif führte uns wieder an den Rand der Hochebene. Ein beißender Gestank stach in meine Nase.

„Was soll das?“, hörte ich Goldtupf rufen. „Du führst uns direkt zum Donnerweg!“

Der Donnerweg. Der breite, graue weg aus rauem Stein, über den die Monster mit ihren Zweibeinern fuhren. Eine Katze würde unter den gewaltigen Pfoten dieser unheimlichen Kolosse zerquetscht werden.

„Das ist der einzige Ort, an dem wir sicher sein könnten, vertraut mir!“

Mein Atem ging pfeifend. Ich war zu sehr damit beschäftigt, mich auf den Pfoten zu halten, als über die Gefahren unseres Fluchtweges nachzudenken. Mir war es egal, wohin wir uns verdrückten, Hauptsache war, dass ich in Sicherheit meine Pfoten ausruhen konnte.

Dann jedoch sah ich den Donnerweg.

Und die Monster, die über ihn hinweg rasten.

Mit einem Ruck blieb ich stehen. Die Monster waren gigantisch, ein Fuchs wirkte gegen sie klein wie eine Maus. Ihre glänzenden, unnatürlichen Farben schienen mich zu blenden, die schwarzen Pfoten rasten Donnernd mit einer irrealen Geschwindigkeit über das rauchgraue Gestein. Ein unglaublicher Gestank verpestete die Luft.

Goldtupf stieß mich fordernd an, ich stolperte unbeholfen vorwärts. Wir sollten doch nicht etwa in die Nähe dieser patrouillierenden Kolosse laufen! Das wäre unser Todesurteil!

„Hier hinein!“, hörte ich Buntschweif rufen. Dicht neben dem stinkenden, dampfenden Donnerweg hatte er hinter einigen Farnen ein Tunnelloch aufgedeckt, gerade so groß, dass sich eine Katze hindurch zwängen konnte, aber viel zu klein für einen Fuchs.

Unsere Rettung!

„Regenjunges! Pass auf!“

Ich hörte Taubenflugs Warnung zu spät. Das Schlupfloch hatte mich so in den Bann gezogen, dass ich die Schlammpfütze am Rand des Donnerweges nicht bemerkt hatte. In der Kurve hatte ich zu viel Schwung, um den Lauf noch ausgleichen zu können.

Ich rutschte aus und verlor das Gleichgewicht. Ich spürte, wie ich den Abhang hinunter rollte, direkt auf das harte Gestein des Donnerweges zu.

Mit einem dröhnenden Brüllen rasten die schwarzen Pfoten eines Monsters auf mich zu.

Der stille Retter

Ich hörte das entsetzte Miauen meiner Geschwister in meinen Ohren wieder hallen, als ich vergeblich versuchte, mich aufzurichten. Sie starrten von der Anhöhe aus auf mich herab, unfähig, rechtzeitig zu mir hinunter zu gelangen und mich aus der Linie des Monsters zu zerren. Das Monster raste unaufhaltsam auf mich zu, ich würde direkt unter seine tödliche schwarze Pfote gelangen…

Ich wollte mich bewegen, doch meine Beine gehorchten mir nicht mehr. Ich wollte meine Augen schließen und still das Ende erwarten, doch meine Lider blieben geöffnet und mein Blick starr auf das glänzende Etwas gerichtet, das mein Todesurteil werden sollte.

Zuerst sah ich nur das Monster, das mit dröhnenden Donnern mich zu zermalmen versuchte.

Die schlanke Gestalt, die sich über den anderen Rand des Donnerweges bewegte, verdrängte ich in der Hektik vollkommen.

Mein erstarrter Körper wurde mit einem harten Stoß herum gerissen, jemand stieß mich so heftig zur Seite, dass ich sekundenlang nur noch funkelnde Lichter sah. Das Monster raste mit einem ohrenbetäubenden Dröhnen an mir vorbei. Ich wäre wahrscheinlich vor Panik aufgesprungen und ihm doch noch unter die Pfoten geraten, hätte mich die Katze über mir nicht fest, mit ruhiger Präzision auf den Boden gedrückt.

Das Monster hinterließ eine stinkende Wolke aus heißer Luft, die mich zum Husten brachte. Ich hörte, wie die Katze, die mich gerettet hatte mit wenigen Sätzen über den Donnerweg sprang und mit einem Rascheln zwischen den Pflanzen verschwand. Nicht einmal ihre Fellfarbe konnte ich registrieren.

„Regenjunges!“

Goldtupf stand plötzlich neben mir, packte mich mit den Zähnen am Nackenfell und zerrte mich über die Grenze des Donnerweges. Ich war schon längst zu groß, um getragen zu werden und meine Hinterbeine schürften unangenehm den grauen Stein, doch immer noch konnte ich kein Glied führen. Mein Herzschlag pochte in meinen Ohren, als wolle er mich taub werden lassen. Ich blinzelte und konnte mich erst wieder regen, als Goldtupf mich im seichten Gras ablegte.

„Was ist mit ihm?“, hörte ich von Weiten Graujunges’ Stimme.

„Er steht unter Schock, ist aber nicht verletzt!“, antwortete die Heilerin, als ich mich benommen wieder aufrichtete. Mit einem sanften Schups lenkte sie mich in das Loch, das Buntschweif als Versteck auserwählt hatte. Ich fiel mehr in das Loch, als dass ich hinein ging. Von innen war der Bau geräumig genug für uns alle.

„Ich habe das Versteck als Schülerin auf einer Patrouille entdeckt“, hörte ich Buntschweif berichten. „Aus irgendeinem Grund habe ich diese Tatsache schnell wieder vergessen. Jetzt ist sie mir wieder eingefallen.“

„Zum Glück!“, antwortete Vogelpelz’ Stimme. „Sonst wären wir jetzt alle Fuchsfutter.“

„Die Katze!“, waren die ersten Worte, die ich hervor brachte.

Ich erntete verwirrte und neugierige Blicke.

„Welche Katze?“, fragte Goldtupf ruhig.

„Das Monster…die fremde Katze…so knapp…“

„Regenjunges, beruhige dich.“ Mit einem sanften Pfotendruck setzte mich die Heilerin auf den Boden. „Atme tief durch. So ist gut. Jetzt erzähle uns, was sich zugetragen hatte. Langsam und der Reihe nach.“

Ich blickte in verstörte und verwirrte Minen. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis ich endlich zusammen hängende Sätze hervor brachte.

„Das…das Monster hätte mich fast zerquetscht. Da…da kam plötzlich eine Katze. Sie hat mich zur Seite gezerrt. Das Monster raste an mir vorbei. Ich…ich konnte mich kaum bewegen.“ Ich bemerkte, wie meine stimme anfing, sich zu überschlagen und hielt schwer atmend inne. Ich schloss die Augen, bevor ich weiter berichtete. „Ich konnte mich nicht bewegen. Ich war…wie erstarrt. Die Katze hat mich gerettet und ist…ist dann verschwunden. Einfach so. Als wäre sie nie da gewesen.“

„Er sagt die Wahrheit“, miaute Taubenflug. „An seinem Fell hängt Katzengeruch. Der Geruch der Fremden.“

„Die fremden Besucher haben Regenjunges gerettet?“, wiederholte Himmeljunges.

Taubenflug nickte. „Und ich habe das Gefühl, es wird nicht mehr lange dauern, bis sie sich uns zeigen.“

Graujunges tappte an meine Seite. „Hast du irgendwas entdeckt, was wichtig sein könnte? Die Fellfarbe oder Größe der Katze?“

„Nein.“ Mein klopfendes Herz hatte sich weitgehend beruhigt, doch in meinem Kopf ging es drunter und drüber. „Ich war viel zu abgelenkt von dem Monster.“

Ich blinzelte in das helle Sonnenlicht. Die Katze hatte mich gerettet, ohne ein Wort zu sagen, ohne mit uns Kontakt aufzunehmen. Warum?

„Wer seid ihr?“, fragte ich in die Weite hinein.

Ich bekam keine Antwort, aber eine Antwort hatte ich wirklich nicht erwartet.

Spurensuche

Die Patrouille fand uns gegen Nachmittag. Es hatte angefangen, zu schneien, als Schattenglanz und Rennwind uns abholten. Goldtupf und Taubenflügel wurden im Lager dringend gebraucht. Zum Glück wurde keine Katze getötet, doch Feldschweif, Mausschweif und Blitzpfote hatten sich tiefe Wunden zugezogen. Die junge Schülerin und ihre Geschwister waren stolz auf ihren ersten richtigen Kampf. Der Dachs hatte sich schnell wieder zurückgezogen, als er im Lager auf zu hohen Widerstand getroffen war, doch dabei hatte er die Schutzwälle stark beschädigt. Als wir völlig übermüdet zurück kamen waren Rosenpfote, Bienenpfote und Graspfote schon eifrig dabei, die großen Löcher zu flicken, einige Krieger, die gerade nicht auf Jagd oder Patrouille waren, halfen ihnen. Die Gelegenheit nutzten wir.

„Psst, Graspfote.“

Der hellbraune Schüler drehte sich um. „Hallo, Regenjunges.“ Er beugte sich ein Stück zu mir hinunter. „Du willst mehr erfahren.“ Es war eine bloße Feststellung.

„Diese Katze hat mir das Leben gerettet“, sagte ich schnell, um sämtlichen Spionage-Gerüchte im Keim zu ersticken. „Ich würde mich gerne bei ihr bedanken.“

Graspfote verhakte einige Ranken miteinander, während er antwortete. „Soweit ich weiß, haben die Krieger am Donnerweg die Spur weiter verfolgt, sie aber bei den Wiesen verloren. Diese Katzen scheinen Meister im Verschwinden sein.“

„Goldtupf meinte, sie würden sich bald zeigen“, sprach ich weiter. Mir war nach einer Unterhaltung zu Mute. „Wenn der richtige Zeitpunkt gekommen sei.“

Graspfote verhakte den letzten Zweig in der Mauer und ging zu mir.

„Goldtupf hat sich noch nie geirrt. Wer auch immer sie sind, sie scheinen uns zu brauchen, sonst würden sie sich nicht so nah an uns heran wagen. Sicher werden sie auch uns bald einen Besuch abstatten.“ Er zog die Moosflechten hervor und begann, sie in die übrig gebliebenen Lücken zu stopfen. „Dann werden wir ohnehin ausführliche Gespräche zu führen. Aber diese Katzen haben auch etwas Gutes.“

Ich sah auf. „Was denn?“

Graspfote drehte sich zu mir um. „Solange die Clans mit ihnen beschäftigt sind, gibt es keine weiteren Konflikte. Obwohl ich zugegeben meinen ersten Kampf kaum erwarten kann.“ Ich beobachtete, wie der Kater seine Krallen in die Erde grub. „Ich habe so lange dafür trainiert. Das Training macht sehr viel Spaß, auch wenn es bei dem Schnee auf der Lichtung nicht einfach ist.“

Der Schüler sah mich kurz an. „Keine Sorge, am Ende des Mondes wird Fuchsstern euch sicher zu Schülern ernennen. Wenn ich das sagen, darf, ich kann es kaum erwarten, wieder mit euch den Bau zu teilen.“

„Ich auch nicht“, miaute ich und zählte im Stillen die Tage ab, die noch bis zu unserer Ernennung warten musste. Etwa ein halber Mond. Die Blattleere würde sicher noch andauern, doch nicht mehr lange. Wenn alles gut ging, würden wir in der Blattfrische unsere Fähigkeiten so weit ausgebaut haben, dass wir erneut versuchen könnten, die Katzen zu finden.

„Bald werdet ihr auch mit auf Patrouille gehen“, antwortete Graspfote auf meine Frage. „Kieselstein hat zugesagt, dass wir euch beim Training assesstieren dürfen. Wir könnten dabei unsere Fähigkeiten ausbauen und selbst dafür trainieren, Mentoren zu werden. Die Krieger meinen, ihr könntet euch mit uns besser verstehen.“

Schüler trainieren Schüler. Interessante Idee.

„Mich würde es freuen“, antwortete ich kurz. Mit einem Nicken verabschiedete ich mich von dem Schüler und ich trottete zurück zu meinen Wurfgefährten, die sich im kalten Sonnenschein der Blattleere die Zunge gaben.

„Mausschweif zieht in die Kinderstube um!“, berichtete Graujunges mit einem Strahlen in den Augen. „Moospelz ist wie aus dem Häuschen, als er hörte, dass er Junge bekommen soll. Wir werden nicht mehr so alleine sein.“

„Wir werden ohnehin bald ausziehen“, miaute Himmeljunges. „Nicht einmal ein halber Mond und wir sind endlich vernünftig genug, um zu Schülern zu werden.“

„Wisst ihr, was das bedeutet!“ Ich senkte die Stimme, als meine Geschwister innehielten und mich interessiert ansahen. „Wir können auf Patrouille gehen. Die Katzen suchen. Die fremden Katzen, meine ich. Ich würde sie zu gerne kennen lernen. Sie sind sicher sehr freundlich.“

„Wird alles die Zukunft zeigen“, miaut Graujunges träge. Er stand auf. „Kommt, Buntschweif und Tigerzahn wollten uns noch einige Tipps geben, was man als frisch ernannter Schüler auf gar keinen Fall tun dürfe.“

Mit einem Satz waren Himmeljunges und ich auf den Pfoten.

„Dann wollen wir mal sehen, was wir auf gar keinen Fall ausprobieren sollten“, miaute Himmeljunges schelmisch. „Ist es schlimmer, als die Anführerin bei einer wichtigen Audienz zu belauschen?“

Graujunges blinzelte. „Ihr kennt doch die Ältesten. Wir sollten uns die Tipps holen, solange Vogelpelz noch schläft.“

Auf leisen Sohlen schlichen wir zum Ältestenbau.

Träume und andere Vorahnungen

„Meint ihr, Buntschweifs Geschichte stimmt?“, miaute Himmeljunges am Abend.

„Die Sache mit dem Eichhörnchen?“, gähnte Graujunges müde.

„Genau die!“

Ich schnurrte, als ich an die Erzählung der Ältesten dachte. Buntschweif war gerade zur Schülerin ernannt worden, als sie sich in den Kopf gesetzt hatte, ein Eichhörnchen zu jagen, um ihren Mentor und die anderen Schüler zu überraschen. Sie hatte es sogar geschafft, das Eichhörnchen auf den ersten Ast des Baumes zu verfolgen, war von dort aber nicht mehr runter gekommen. Es hatte eine ganze Zeit lang gedauert, bis sie den Mut gefunden hatte, sich eng an den Baumstamm gedrückt hinunter zu lassen und im rechten Augenblick herab zu springen. Leider landete sie dabei nicht sicher auf dem Waldboden, sondern auf dem Rücken eines Kriegers, der gerade ahnungslos von einer Jagdpatrouille zurückgekehrt war.

„Merkt euch das“, hatte Buntschweif gepredigt. „Wenn ihr auf einem Baum festsitzt, springt niemals hinab, ohne euch zu vergewissern, dass keine Katze unter euch ist. Das könnte zum Schluss der Ausbildung entscheidend sein, ob ihr zu Kriegern ernannt werdet oder nicht!“

Ich ließ mich in das weiche Moos fallen. „Kommt, wir schlafen. Steinkralle und Mausschweif, die vor wenigen Tagen erst in die Kinderstube umgezogen war, schlummerten schon friedlich nebeneinander. Moospelz, Mausschweifs Gefährte, war ganz aus dem Häuschen gewesen, als er erfuhr, dass sie Junge erwartete. Ich dachte automatisch an mehrere, winzige Fellknäuel und bedauerte fast, dass wir keine Gelegenheit mehr haben werden, mit ihnen zu spielen.

In wenigen Tagen würden wir zu Schülern ernannt. Endlich!

Ich schloss die Augen und träumte.

 

Die Maus ist mir geradezu in die Pfoten gelaufen. Ich bin der Erste, der diesen Fang gemacht hat.

„Gratuliere, Regenpfote“, miauen mehrere Katzen um mich herum. „Du machst die meisten Fortschritte.“

Mit stolzgeschwellter Brust nehme ich meine Beute und trage sie mit der Patrouille ins Lager zurück. Endlich sind meine Beine lang genug, dass ich nicht über jede noch so winzige Wurzel stolpern muss. Endlich…

Mit einem Mal sind da diese Lichter. Das donnernde Monster, das auf mich zurast. Ich bin wie erstarrt, kann mich nicht bewegen. Das Einzige, was ich noch wahrnehme, ist die dunkle Silhouette einer Katze, die sich gegen das grelle Licht abzeichnet.

 

Mit einem Ruck wachte ich auf. Und befand mich weder in der Kinderstube noch an irgendeinem anderen Platz im Lager.

Es war der Fluss, der vor mir dahin plätscherte, nun in der Blattleere einige Eisschollen vor sich hin trieb. Die Steppe war unter einer weißen Schneedecke verborgen. Dennoch erkannte ich sie auf Anhieb wieder. In meinem Kopf kreiste eine andere Frage.

Wie war ich hierher gekommen?

Etwas war anders. Die Gegend schien auf seltsame Weise zu leuchten, als würden winzig kleine Sterne auf allen Pflanzen und Steinen um mich herum liegen. Ich blinzelte mehrmals. Träumte ich etwa?

Ich sah mich um. Hinter mir der rauschende Wald unter funkelndem Sternenlicht. Kein Donnerweg, kein Monster, keine fremde Katze. Was war nun Traum, was Wirklichkeit?

„Ist hier jemand?“, fragte ich laut in den Wald. Meine Stimme zitterte nicht, klang aber etwas zu hoch. Nervosität?

„Du brauchst keine Angst zu haben, Regenjunges.“

Die Stimme klang kraftvoll, aber ebenso sanft und freundlich. Ich drehte mich um, um den Sprecher zu finden. Ein junger, grauer Kater stand dicht neben mir, erst jetzt konnte ich seinen Geruch wahrnehmen. Ich kannte diese Katze nicht, doch er kam mir vage bekannt vor. Ein vertrauter Glanz trat in seine Augen. „Ich habe lange darauf gewartet, dich endlich kennen zu lernen.“

Ich sah mir den Kater genauer an. Er war noch ein Junges, er hatte sich also schon als Junges dem SternenClan angeschlossen. Der Kater hatte kein langes Leben gehabt. Mit einem Mal wurde mir klar, an wen er mich erinnerte.

„Regen?“ Ich sah ihn näher an. „Du bist es. Du bist Regen! Mein Onkel!“

Onkel? Das Wort klang seltsam, Regen schien jünger als ich, doch er war es, Sturmherz hatte uns oft genug die Geschichte meines Namensgebers erzählt. Mir wurde klar, dass er allerdings innerlich schon lange kein Junges war.

Mit einem Schlag wurde mir klar, womit ich es zu tun hatte. Ich redete mit der Seele einer längst verstorbenen Katze, wie ein Heiler mit dem SternenClan. Lebte dieser Kater auch im SternenClan? Und warum suchte er mich auf? Doch nicht nur wegen meiner Namensähnlichkeit!

„Ich sehe, du kannst Zusammenhänge erkennen.“

Ich blinzelte, bis mir klar wurde, dass er auf meine unausgesprochenen Gedanken geantwortet hatte.

„Es wird etwas geschehen. Die Katzen, die ihr sucht, haben euch zuerst gesucht. Sie sind sich nur nicht sicher, ob sie die Richtigen gefunden haben.“

„Was soll das heißen?“

„Sie werden euch finden, Regenjunges. Nicht in einigen Tagen, aber bald. Sehr bald.“

Seine Stimme verklang, während er sprach. Vor meinen Augen löste sich die Gestalt Regens auf.

Keuchend wachte ich auf.

 

Graujunges und Himmeljunges sahen mich mit großen Augen an.

„Hast du…“, begann Himmeljunges.

Ich nickte. „Es war Regen. Sturmherz’ Bruder.“

Ich sah, dass sie nicht stark überrascht werden. Also bestätigte sich mein Verdacht.

„Graufell, der vorherige Zweite Anführer“, entgegnete Graujunges, den Blick in die Ferne gerichtet.

„Himmel unter der Morgenröte, die Katze aus den Bergen, die ihr Leben für die Clans geopfert hatte“, hauchte Himmeljunges mit fragendem Blick. „Warum suchen uns diese Katzen auf?“

Sie werden euch  finden.

„Die fremden Katzen!“, sprach Graujunges meine Gedanken aus. „Sie suchen uns. Uns drei! Wir müssen sie mit den Clans bekannt machen!“

Aufklärung

„Halte die Pfote still.“

„Und das tut…“

„Das tut sicher nicht weh, Rosenpfote. Und eine Kriegerin muss ganz andere Schmerzen aushalten.“

Mit einem geübten Griff zog Taubenflug den Dorn, der tief im Ballen der Schülerin gesteckt hatte, heraus. Rosenpfote zuckte kurz, ihr gestreiftes Fell sträubte sich für einen Augenblick, dann entspannte sie sich wieder.

„Das war es?“

„Ich mache dir noch einen Kräuterwickel. Wenn es nachher noch wehtut, kommst du zurück. Lecke die Pfote mehrmals gründlich, auch wenn du meinst, dass sie schon verheilt ist.“

Rosenpfote nickte. „Danke, Taubenflug“, miaute sie, als die Heiler-Schülerin ihr die Kräuterpaste aufdrückte. „Rindenpelz sagte, ich dürfe heute nicht mehr beim Training mitmachen.“

„Und da hat er absolut Recht. Auch einen Dorn sollte man nicht unterschätzen.“

„Aber die anderen stellen eine Grenzpatrouille nach und üben einen Angriff.“

Taubenflug seufzte. „Rindenpelz wird es sicher für dich wiederholen, bis du es auch kannst. Aber was deine Gesundheit angeht, hat er absolut Recht. Der Dorn steckte sehr tief.“

Die schildpattfarbene Kätzin sah die Heilerin enttäuscht an, ging aber ohne ein weiteres Wort. Taubenflug wandte sich an uns. „Wie kann ich euch helfen? Ich hoffe, Mausschweif geht es gut.“

Ich nickte. „Sie fühlt sich gut ein. Wir sind wegen etwas anderem hier.“

„Das Zeichen“, miaute Graujunges.

„Vor wenigen Monden“, fasste Himmeljunges zusammen. „Es hatte mit uns zu tun, nicht wahr?“

Taubenflug beugte sich zu uns hinunter. „Ich warte noch, bis Goldtupf mit Tigerzahns Gelenkschmerzen fertig ist. Dann klären wir euch beide zusammen auf. Aber allein. Nur wir fünf, verstanden?“

Wir nickten synchron und warteten im Heilerbau auf Goldtupf.

 

„Ich hätte wissen müssen, dass ihr es früher oder später herausfinden würdet.“ Goldtupf sah uns der Reihe nach an. „Ich wollte eigentlich warten, bis ihr zu Schülern ernannt seid, um euch dies zu erzählen, aber bis dahin ist es noch nicht viel Zeit.“

„Was herausfinden?“, fragte Himmeljunges mit zitternder Stimme.

„Es gab eine Prophezeiung“, antwortete Taubenflug anstelle ihrer Mentorin. „Damals, als ich diese Vision hatte, kam sie mir. Blattschatten vom SteppenClan hatte dieselbe. Wir tauschten uns darüber an Halbmond aus.“

Ich erinnerte mich. „Die Blätter, die welkten, bis die fremden Katzen kamen?“

„Das war nur die halbe Wahrheit. Wir hatten noch weitere Träume.“

„Und wir kamen darin vor?“, vermutete Graujunges schüchtern.

„Wir wissen nicht, in welchem Zusammenhang, doch die Katzen kehrten in unseren Träumen zurück. An ihrer Spitze liefen drei Katzenjunge.“

Ich schwieg und sah meine Geschwister an. Graujunges fand als Erster von uns die Sprache wieder. „Ihr seid sicher, dass wir das waren?“

„Es war zu der Zeit, in der ihr drei eigentlich zu Schülern ernannt werden sollten“, erläuterte Goldtupf uns. „Aschenhauch hat vier Junge und Mausschweif wird allen Anschein nach auch so viele bekommen, oder mehr. In meinem Traum waren es drei. Ihr seid die einzigen, die in Frage kommen.“

„Aber…“ Graujunges’ Schwanzspitze zuckte nervös. „Was erwartet der SternenClan von uns? Sollen wir die Besucher finden und den Kontakt herstellen?“

„Wir wissen es nicht!“, miaute Goldtupf. „Ihr müsst aber noch etwas wissen. Bis auf Dornenblatt, Blattschatten und uns beiden weiß keine Katze von dieser Prophezeiung. Wir haben ihnen versprochen, uns über eure Entwicklung auszutauschen. Dies könnte beide Clans betreffen.“

Automatisch rückten wir drei näher zusammen. Was sollte das heißen? Wieso konnte die Prophezeiung nicht einen erfahrenen Krieger treffen? Wieso uns drei?

„Ihr werdet diese Katzen finden. So sagt es der SternenClan“, miaute Taubenflug. „Aber dennoch muss ich euch um eines bitten. Als Heilerin, Clan-Gefährtin und Freundin.“

Wir sahen sie offen an.

„Begebt euch nicht in Gefahr.“

„Keine Sorge, Taubenflug“, miaute Graujunges stellvertretend für uns alle. „Wir halten die Augen offen und die Pfoten still.“

„Eins noch“, unterbrach uns Goldtupf, als wir uns zum Gehen umwandten.

„Falls ihr irgendetwas herausfindet, auch wenn ihr es für unwichtig haltet, sagt mir oder Taubenflug umgehend Bescheid.“

„Das werden wir, Goldtupf.“ Mit dem Versprechen verließen wir den Bau.

Die Ernennung

„Regenjunges, wache auf!“

Himmeljunges stieß mich so hart an, dass ich mit einem Keuchen aus dem Schlaf führ.

„Wie könnt ihr beide nur an so einem Tag verschlafen?! Graujunges, komm hoch! Es ist so weit!“

Mit einem Ruck wachte ich auf. Steinkralle schlug neben uns schläfrig die Augen auf.

„Eure Ernennung wird noch warten, bis alle Katzen wach sind, Himmeljunges. Und bitte wecke Mausschweif noch nicht. In den ersten Wochen, in denen eine Königin Junge erwartet, benötigt sie jede ruhige Minute.“

„Ja, Steinkralle“, miauten wir gehorsam der Reihe nach und verließen die Kinderstube. Ein lautes Rascheln aus dem Schülerbau erregte unsere Aufmerksamkeit.

„Hallo“, begrüßte uns Bienenpfote, der mit zerzaustem Fell aus dem Bau hervor lugte. „Wir erweitern gerade den Schülerbau, damit für uns sieben genug Platz ist. Graspfote baut die Außenwände aus und Blitzpfote und Rosenpfote besorgen frisches Moos für uns alle.“

Sein Bruder erschien mit wirrem Kopffell neben ihm. „Wollt ihr mal reinkommen? Dann könnt ihr euch schon eingewöhnen.“

„Ich weiß nicht“, zögerte Graujunges, schüchtern zu uns blickend. „Noch sind wir keine Schüler.“

„Das interessiert doch keine Katze. Komm rein.“

Niemand schien uns zu bemerken, als wir in den Schülerbau schlüpften. Er war warm und geräumig, das Moos roch frisch.

„Hier ist eure Ecke“, miaute Bienenpfote und deutete auf eine frisch ausgepolsterte Moosunterlage, auf der wir drei nebeneinander sehr gut schlafen könnten.

„Wir haben euch extra so deponiert, dass keine Katze eine andere behindert, wenn sie aus dem Bau möchte, liegt niemand im Weg.“

„Das ist toll!“, miaute ich. „Danke, dass ihr euch so um uns kümmert.“

„Das machen wir doch gerne“, schnurrte Graspfote. Pfoten scharrten hinter uns. Rosenpfote kam mit einem Moosballen im Maul hinein, Blitzpfote folgte mit Zweigen.

„Damit stabilisieren wir die Wände!“, miaute die gestreifte Schülerin. „Wir mussten den Busch etwas zur Seite drücken.“

Rosenpfote ordnete unterdessen das Moos. „Gefällt es euch?“

„Sehr“, miaute Himmeljunges. „Aber, wir könnten das auch allein machen.“

Rosenpfote zog sich Blätter aus dem gescheckten Fell. „Demnächst macht ihr das auch alleine. Wenn ihr Schüler seid.“

„Ich glaube, eure Ernennung wird bald stattfinden!“, sagte Bienenpfote. „Ich habe Pfotenschritte gehört. Kommt!“

Ungesehen schlüpften wir aus dem Bau und gesellten uns zu Steinkralle, die soeben aus der Kinderstube kam.

„Steht aufrecht und macht euren besten Eindruck“, miaute sie uns zu, als wir uns in einer Reihe neben ihr aufstellten.

„Alle Katzen, die alt genug sind, um Beute zu machen, fordere ich auf, sich unter der großen Eiche zu einem Clan-Treffen zu versammeln.“

Als Fuchssterns Ruf durch das Lager hallte, waren wir schon neben der Eiche aufgestellt, deren immer noch blattleere Äste im Wind schaukelten. Ihre kleinen, braunen Knospen hatten sich noch nicht zu Blättern entfaltet und hier und dort lag noch ein wenig Schnee.

„Es ist an der Zeit, drei junge Katzen zu Schülern unseres Clans zu ernennen“, eröffnete Fuchsstern die Versammlung. Ich begegnete Sturmherz’ Blick. Stolz lag darin. Bienenpfote saß neben seinem Mentor und funkelte uns schelmisch an.

„Adlerpelz“, rief Fuchsstern den ersten Mentoren auf. „Du hattest Kieselstein sehr gut ausgebildet, nun lass dieselbe Ausbildung Graupfote genießen.“

Hoch erhobenen Hauptes trat Graupfote hervor und begrüßte seinen Mentor mit der Nase.

„Graupfote! Graupfote!“, rief der Clan, ich fiel mit ein.

Fuchsstern fuhr fort: „Winterfrost, auch du hast dich oft bewährt. Gib dein Wissen an Himmelpfote weiter.“

„Himmelpfote! Himmelpfote!“, rief der Clan wie mit einer Stimme, als Winterfrost sie begrüßte. Mein Pelz kribbelte. Nun war ich dran!

„Eschenlicht, du hast dem Clan viele Blattwechsel lang treu gedient, gebe nun diese Eigenschaften an Regenpfote weiter.“

Mit einem Sprung stand ich neben meinem Freund und Mentor und begrüßte ihn.

„Regenpfote! Regenpfote!“, jubelte der Clan mir zu.

„Ich wusste, dass du noch einmal Mentor werden wirst!“, flüsterte ich Eschenlicht inmitten des Tumultes zu.

„Später ist besser als nie, nicht wahr?“, schnurrte er mir zu. „Aber aus dir mache ich noch einen ausgezeichneten Krieger.“

Wenn du wüsstest, wie wichtig das für mich ist!

Der erste Gang durchs Territorium

„Wo fangen wir an? Gehen wir zuerst zum Zweibeinerort? Da war ich noch nicht! Oder zeigst du mir gleich die wichtigsten Jagdstellen?“

„Zuerst“, unterbrach Eschenlicht meine pausenlos aufeinander folgenden Sätze, „zeige ich dir die Stellen, an denen es das beste Nestmaterial gibt.“

Ich blieb erstarrt stehen. „Was?“

„Die wichtigste Aufgabe eines Schülers ist es, sich um die Ältesten zu kümmern. Dazu gehört auch täglich das Moos in ihren Nestern auszuwechseln. Das muss ich dir doch nicht erzählen.“

„Nein, aber…ich hätte gedacht…“

Eschenlicht erriet meine Gedanken. „Dass ich dir sogleich das Jagen beibringe, damit du schon morgen den Wald unsicher machen kannst.“

Ich hätte meinen Wunsch etwas anders formuliert, aber Eschenlicht traf mich damit am rechten Fleck.

„Heute Nachmittag legen wir die erste Jagdlektion ein. Aber vorher zeige ich dir das Territorium.“

„In Ordnung“, miaute ich gehorsam und musste sogleich im Eiltempo hinter Eschenlicht herlaufen. Er drosselte das Tempo nur so weit, dass ich mitkam, aber schonend war der Sprint keineswegs.

Ausdauer!

Der Weg führte uns in eine Richtung, die ich zuvor noch nie betreten hatte. Die Bäume wurden lichter, standen weiter auseinander, der Mischwald ging in einen reinen Laubwald über, durch dessen immer noch blattlose Äste goldene Sonnenstrahlen brachen. Schon von Weiten sah ich grüne Wiesen durch die Stämme der Bäume hervor schauen. Seltsam geformte Klötze ragten dahinter hervor.

„Was ist das?“, fragte ich, als wir schließlich am Waldrand stehen geblieben sind.

„Der Zweibeinerort“, antwortete Eschenlicht knapp.

„Dort, wo ihr während des Kampfes gegen die Streuner Zuflucht gefunden habt?“

Mein Mentor nickte. Ich sah zu den grauen Klötzen.

„Und dort wohnen wirklich Katzen?“

„Zum größten Teil Hauskätzchen und Einzelläufer. Sie kommen nicht oft hierher, aber du wirst sie erkennen, wenn du einem von ihnen begegnest. Sei freundlich zu ihnen, diesen Katzen verdanken wir sehr viel.“

Ich nickte. „Ich habe die Geschichten gehört. Sie waren eure Spione, richtig?“

„Unsere Verbündeten. Manche von ihnen kommen ab und zu in den Wald, um zu sehen, wie es um uns steht.“ Eschenlicht sah noch einen Augenblick zum Zweibeinerort hinüber, dann wandte er sich um. „Hier findest du das meiste Moos zum Auspolstern der Nester.“

Ich ging auf die großen Eichen zu. Das Moos war größtenteils am Stamm festgefroren, es schien schwierig, es herunter zu schneiden.

„Es gibt noch andere Plätze“, beruhigte mich Eschenlicht. „Wenn die Blattfrische kommt, taut der Frost und es ist leichter, das Moos herunter zu nehmen.“

Ich probierte es kurz aus, benötigte aber enorm viel Kraft, um das gefrorene Moos zu lockern.

„In der Blattleere ist wohl alles schwieriger, oder?“

„Es ist die härteste Zeit des Waldes. Eigentlich solltest du froh sein, während der Blattleere zum Schüler ernannt worden zu sein.“

„Wirklich?“

„Ja, zu der Zeit lernt man schneller“, scherzte Eschenlicht.

Ich seufzte, eigentlich hätte ich eine ermutigendere Antwort erwartet.

„Gehen wir jetzt zur Clan-Grenze?“, fragte ich stattdessen.

„Ich denke, du weißt, wo wir langgehen müssen, um dorthin zu kommen.“

Ich ignorierte den Seitenhieb und versuchte stattdessen, mich an den Weg zu erinnern, den wir damals eingeschlagen hatten, als wir die fremde Katze verfolgten.

„Da lang?“, miaute ich unsicher und deutete in die angegebene Richtung.

„Genau. Du hast ein gutes Gedächtnis.“

Wir schlugen den Weg Richtung Grenze ein.

 

„Ist es eigentlich erlaubt, Fische aus dem Fluss zu fangen?“, fragte ich, als ich die silbernen Körper unter dem klaren Wasser schimmern sah.

„Wenn du sie in die Pfoten bekommst. Ich glaube, einige Krieger aus dem SteppenClan kennen Techniken für den Fischfang. Du kannst sie auf der Großen Versammlung freundlich fragen, vielleicht bekommst du etwas heraus.“

Die Große Versammlung. Der Ausdruck klang wie Vogelzwitschern in meinen Ohren. Ich sah zum Himmel. Es war noch nicht einmal Halbmond. Bis zu unserer ersten großen Versammlung wird es noch einige Zeit dauern.

„Aber wenn du mich fragst, Mäuse schmecken besser als Fisch.“

Überrascht sah ich Eschenlicht an. „Hast du schon mal welchen erwischt?“

„In den Bergen lief ein Bach durch unser Territorium, da die Beute sonst sehr rar war, war dies eine gute Gelegenheit. Du darfst nur nicht hinein fallen, ein Fluss…“

„Schon gut“, unterbrach ich ihn, als unangenehme Erinnerungen an mit Wasser voll gesogenes Fell und dunkle Wellen in mir hochstiegen. „Ich bleib auf dem Land.“

„Wäre auch besser so“, schnurrte Eschenlicht. „Riechst du den SteppenClan-Geruch?“

Ich zog tief die Luft durch die Nase. Es dauerte einen Augenblick, bis ich die Duftnote wahrnahm.

„Das ist er. Ich erkenne ihn wieder.“

„Sehr gut. Kannst du noch mehr erkennen?“

„Der Geruch ist ungefähr von gestern. Sie müssen mit der Patrouille noch nicht herum gekommen sein.“

Ich kniff die Augen zusammen und sah auf die Steppe hinüber, die noch teilweise mit dicken Schneeflächen bedeckt war. „Ich glaube, dort hinten kommen Katzen“, miaute ich, als sich etwas bewegte.

„Die Morgenpatrouille. Die Grenze muss regelmäßig kontrolliert werden, um zu vergewissern, dass die Clans auf ihrer Seite bleiben.“

Ich nickte und deutete mit dem Kopf weiter in unsere Laufrichtung. „Geht es dort zur Hochebene?“

„Genau. Das ist ein guter Ort, um Kanninnchen zu jagen, aber die sind ziemlich schnell. Ich zeige dir erst einmal die anderen wichtigen Plätze im Wald.“

Ich folgte Eschenlicht wieder in das Unterholz. Mit der Zeit wurde ich schneller und sicherer. Auch machten meine Pfotenschritte nicht mehr allzu viele Geräusche.

„Hier sind die Mäusehöhlen“, stellte mir Eschenlicht die kleine Lichtung vor, auf der mir ein Geruch entgegen schwebte, der mir das Wasser im Maul zusammenlaufen ließ.

„Der beliebteste Jagdplatz im Wald.“

„Sein Ruf eilt ihm voraus. In der Blattleere wirst du aber nicht viel fangen, da bleiben die Mäuse tief in ihren Höhlen. Im tieferen Wald triffst du eher auf Beute.“

Der Wind drehte. Ein würziger Geruch stieg mir in die Nase. „Sind das…“

„…die Kräuterwiesen. Wenn du dich besser auskennst, nehmen Goldtupf und Taubenflug die Schüler gerne als Helfer beim Sammeln mit. Besonders in der Blattleere.“

Ich nickte. Aus den beiden würde ich allzu gerne noch mehr über die rätselhafte Prophezeiung herausholen. So etwas wäre eine gute Gelegenheit.

„Und jetzt?“

„Jetzt zeige ich dir die Lichtung, auf der wir die anderen Schüler zum Training treffen.“

Bei dem Wort „Training“, horchte ich auf und war wieder völliger Aufmerksamkeit.

Kampftraining

Winterfrost und Himmelpfote waren schon da, als wir ankamen. Meine Schwester erwartete uns schon ungeduldig.

„Habt ihr Adlerpelz und Graupfote schon gesehen?“, erkundigte sich Winterfrost. „Wir wollten zusammen anfangen.“

„Noch nicht“, antwortete Eschenlicht. „Aber sie werden bald kommen.“

„Hast du Spuren entdeckt?“, raunte mir Himmelpfote zu.

Ich schüttelte den Kopf. „Ging alles zu schnell. Ich versuche das ein zweites Mal, wenn wir das erste Mal auf Patrouille gehen.“

„Himmel sagte mir, sie würden uns finden“, erinnerte mich meine Schwester. „Glaubst du, es ist falsch, nach ihnen zu suchen?“

Ich hielt inne. Darüber hatte ich noch nicht nachgedacht. Doch sie schienen ohnehin besser über uns Bescheid zu wissen, als wir über sie. Warum sollten wir dem Schicksal also nicht ein wenig auf die Sprünge helfen dürfen?

Meine Gedanken wurden von Adlerpelz und Graupfote unterbrochen, die sich zu uns gesellten. Bevor Graupfote uns seine Frage stellen konnte, schüttelten wir den Kopf.

„Ich habe auch niemanden entdeckt“, gestand unser Bruder. „Aber wir sind am Donnerweg auf Katzenspuren gestoßen. Am Fluss, wo früher die Zweibeinerbrücke war. Die Zweibeiner haben angefangen, sie wieder aufzubauen, dort sind massenhaft Monster. Wir haben die Spur in dem Chaos verloren.“

„Über eure Erfahrungen könnt ihr euch später austauschen“, hörte ich Winterfrosts strenge Stimme. Gehorsam wandten wir uns um und sahen unsere Mentoren mit Interesse auf unsere erste Trainingsstunde an.

„Womit fangen wir an?“, schoss es aus mir heraus, erwartend, dass die Krieger uns sogleich spektakuläre Kampftricks zeigen würden.

„Das Verhalten in einer Grenzpatrouille“, eröffnete Adlerpelz das Thema.

Wir waren nicht in der Lage, unsere Enttäuschung zu verbergen, doch dies schien die drei Krieger auch nicht sonderlich zu überraschen.

„Ich dachte…“, fing Himmelpfote kleinlaut an, schwieg dann aber.

„Nicht alle Konflikte müssen mit Zähnen und Krallen gelöst werden“, belehrte uns Eschenlicht. „Verhandlungen sind immer die erste Lösung. Was würdet ihr tun, wenn eine Katze die Grenze übertritt und ihr gerade auf Patrouille seid und dies beobachtet?“

„Sie verjagen?“, schlug Graupfote vor.

„Das ist erst der zweite Schritt. Stellt euch vor, Dornenblatt käme über die Grenze, da er ein Heilkraut benötigt, das im SteppenClan-Territorium nicht vorhanden ist und uns bitten möchte, es ihm zur Verfügung zu stellen.“

„Woher wissen wir das?“ Gleich darauf merkte ich selbst, wie unüberlegt dumm meine Frage war. „Ähm…nachfragen natürlich!“

Eschenlicht nickte zufrieden. „Genau.“

„Und wenn die Katze keinen vernünftigen Grund angibt, dürfen wir sie verjagen!“, erkannte Graupfote mit einem hohen Anteil an Vorfreude.

„Oder Hilfe holen, wenn sie euch überlegen ist“, fügte Adlerpelz mit ernster Stimme hinzu.

Graupfote nickte. „Ich verstehe. Die Sicherheit geht vor.“

„Und der Clan?“, fragte Himmelpfote.

„Es wird dem Clan nicht viel nützen, wenn seine Kämpfer verletzt sind, ehe sie Hilfe holen konnten“, belehrte sie Winterfrost. „Deswegen gehen immer mehrere Katzen auf Patrouille, damit ein Bode im Falle eines Konfliktes Verstärkung holen kann.“

Wir nickten nacheinander, um zu zeigen, dass wir die Information verstanden haben.

„Fangen wir jetzt an?“, fragte Graujunges aufgeregt.

Adlerpelz nickte seinem Schüler zu. „Jetzt fangen wir an.“

 

„…bei einem geraden Sprung, der auf die Kehle gezielt ist, weichst du zur Seite aus und schlägst den Angreifer mit den Vorderpfoten von dir weg.“

Es hörte sich viel einfacher an, als es tatsächlich auszuführen war. Eschenlicht lief zwar vergleichsweise langsam auf mich zu, doch schaffte es immer wieder, mich zu streifen. Ein ernsthafter Angriff hätte mich sicher von den Pfoten gerissen.

Auch diesmal erwartete ich Eschenlichts Attacke zu früh, er konnte die Richtung ändern und warf mich ohne Schwierigkeiten von den Pfoten.

„Achte auf deinen Gegner, Regenpfote, denn er achtet auch auf dich.“

Er wartete, bis ich wieder aufgestanden war. Ich warf meinen Geschwistern möglichst unauffällige Blicke zu, um ihren Fortschritt zu begutachten. Sie trainierten direkt neben uns auf der Lichtung. Graupfote übte schon einen weiteren Trick bei dem er Adlerpelz’ Angriff von der Seite abwehrte, während es Himmelpfote zum ersten Mal gelang, Winterfrost – wenn auch nur kurz – auf den Rücken zu drehen.

„Das lerne ich nie!“, stöhnte ich innerlich auf.

„Bleibe ruhig. Es ist dein erster Tag als Schüler, du hast noch alle Zeit der Welt zum Üben.“

Ich hätte Eschenlicht für diese unerschütterliche Geduld die Zunge geben können, doch zog es vor, erneut die Kampfhaltung einzunehmen, um ihm zu signalisieren, dass ich bereit war.

„Versuche zuerst, abzuschätzen, wie ich mich bewege und wohin ich ziele. Versetze dich in deinen Gegner hinein. Dann bist du ihm im Kampf um den entscheidenden Schritt voraus.“

Ich machte mich bereit, als Eschenlicht sich zum Sprung duckte. Genau auf seine Bewegungen achten, versuchte ich zu bestimmen, wann er bei mir sein würde. Meine Pfote schoss im rechten Augenblick vor und stieß ihn zur Seite. In derselben Bewegung fuhr ich herum als Eschenlicht hinter mir landete.

„Sehr gut, Regenpfote. Das machen wir gleich noch mal!“

Er schnellte erneut auf mich zu, diesmal hektischer, in einer fließenden Bewegung, der ich nur knapp ausweichen konnte. Ich drehte mich beim Ausfallschritt in Windeseile herum. Mein Herz raste, doch ich hatte es geschafft, den simulierten Angriff meines Mentors abzuwehren!

„Solltest du den Angriff nicht abwehren können, drehst du dich auf den Rücken oder drückst dich auf den Boden, um drunter durch zu tauchen.“

Kaum hatte er diesen Satz gesprochen, schnellte Eschenlicht ein weiteres Mal auf mich zu. Ich warf mich flach auf den Boden, spürte meinen Mentor über mich hinweg segeln und rappelte mich mit einem Satz wieder auf. Eschenlicht ging gleich zur nächsten Lektion über.

„Wenn der Angriff zu flach kommt, rollst du dich auf den Rücken und nutzt den Schwung der anderen Katze, um sie mit den Hinterbeinen über dich hinweg zu schleudern.“

Ich sah ihn kaum auf mich zuschnellen, doch seine Anweisungen hatten sich eingeprägt. Instinktiv befolgte ich sie und katapultierte den Krieger über meinen Kopf in die Luft.

Er vollführte eine gekonnte Drehung und landete sicher auf allen Vieren. Ich spitzte meine Ohren in der richtigen Erwartung, die nächste Anweisung zu bekommen.

„Sollte dein Gegner schwerer sein als du, stößt du dich mit den Hinterbeinen senkrecht in die Luft ab und landest auf seinem Rücken.“

Mein Herzschlag hatte sich wieder beruhigt. Ich konnte mir bildlich vorstellen, was zu tun war, als Eschenlicht erneut zum Angriff überging. Ich fixierte einen Punkt an seiner Schulter und schoss in die Höhe. Zielsicher landete ich auf den Schultern meines Mentors, brachte ihn mit Schwung zu Fall und drückte den Kater tief in das weiche Gras.

Als ich ihn losließ wurde mir mit einem Mal bewusst, dass meine Geschwister das Training abgebrochen hatten. Auch Winterfrost und Adlerpelz sahen mit bewundernden Minen zu uns herüber.

Ich wusste warum.

Ich hatte soeben nacheinander vier schwere Kampftechniken angewandt, die ich nur durch eine hastige Erklärung meines Mentors kennen gelernt hatte. Dennoch hatte jede einzelne funktioniert.

„Was…wie hast du das gemacht?“

„Das, Regenpfote, warst alles du. Ich habe dir jediglich gesagt, was du machen sollst. Beigebracht hast du es dir selbst.“

Ungläubig sah ich auf meine Pfoten. „So schnell geht das?“

„Bei einigen Katzen schon.“

Es war Adlerpelz, der gesprochen hatte. „Dunkelpelz hatte Kieselstein damals auf ähnliche Weise ausgebildet. Sie ist die geborene Kämpferin. Also konnte sie ihre Fähigkeiten am besten bei richtiger Verteidigung als harmlosen Trockenübungen entfalten.“

„Kannst du das mit mir auch versuchen, Adlerpelz?“, fragte Graupfote mit leuchtenden Augen.

Der Kater nickte. „Wir fangen gleich an.“

Ich sah zu Eschenlicht. „Machen wir weiter?“

Zu meiner Enttäuschung schüttelte der schwarz-weiße Kater den Kopf. „Du hast für heute genug gelernt, was das Kämpfen anbelangt. Aber du hast doch sicher nichts gegen einen kleinen Jagdausflug!“

„Sicher nicht!“, schnurrte ich und folgte Eschenlicht in den Wald.

Die Entdeckung auf der Hochebene

Dicht an den Boden gedrückt folgte ich dem Geruch der Maus über den Waldboden. Ich sah die leeren Äste bewegen, hörte das Rascheln im Gras. Immer noch bot der Wald wenig Deckung, doch das war kein Argument dafür, das Jagen aufzugeben. Ich war nur noch wenige Mäuselängen von der Beute entfernt…

Mit hohem Piepen trat die Maus die Flucht an. Ärgerlich sah ich ihr hinterher.

„Wie hat sie mich bemerkt?“

„Wahrscheinlich hat sie das Raschelnd deines Fells gehört“, miaute Eschenlicht, der sich zu mir gesellte.

„Aber ich habe die Pfoten doch genauso aufgesetzt, wie du es mir gezeigt hast. Und du hast den Vogel schließlich auch gefangen.“

„Es war einfach Pech. Jeder Jäger muss damit leben“, versuchte mich Eschenlicht zu beruhigen. „Ich denke, deine Begabung liegt ohnehin mehr beim Kampf. Du benötigst einfach etwas mehr Übung.“

Immer noch sah ich der Maus enttäuscht nach. „Was schlägst du vor?“

„Stelle dir vor, die Beute sei eine Katze, die in das Territorium eingedrungen ist und die du fangen musst, damit sie dir erzählt, was sie hier zu suchen hatte. Vielleicht fällt dir das leichter.“

Ich konnte meine Missbilligung nicht verbergen. „Ist das auch ein alter Schülertrick?“

„Nicht ganz. Während der Kämpfe mit den Streunern habe ich mir vorgestellt, sie wären Mäuse, mit denen ich ganz leicht umgehen konnte. Damals war ich noch viel besser im Jagen als im Kämpfen. Du musst es nur umgekehrt machen. Möglicherweise hilft es dir bei der Jagd.“

Den Ratschlag befolgend schloss ich die Augen und prüfte die Luft. Wir befanden uns nahe der Hochebene, wo es viele Wühlmäuse gab. Schon bald stieg mir der Geruch einer Wühlmaus in die Nase.

Sehe sie als Eindringling, raunte ich mir selbst zu.

Als was für ein Eindringling?, antwortete die Stimme in meinem Kopf. Automatisch dachte ich an die Katze, die mir das Leben gerettet hatte. Ich würde sie so gerne wieder treffen…

Mit energischem Kopfschütteln verscheuchte ich diese Gedanken. Für den Moment musste ich mich vollkommen auf die Jagd konzentrieren.

Ich verfiel konzentriert in die Lauerstellung. Es dauerte einige Zeit, bis ich die Beute geortet hatte. Das Gewicht auf alle vier Pfoten verteilt bewegte ich mich langsam vorwärts.

Die Maus bemerkte mich nicht. Sie raschelte kaum, als sie durch die frischen Grassprösslinge kroch. In der Luft schienen meine Pfoten zu zittern, so sehr bemühte ich mich, keine Geräusche zu machen. Ich senkte meinen Atem, bis ich ihn selbst kaum noch hörte. Nun sah ich auch das Fell der Wühlmaus. Das Wasser lief mir im Maul zusammen. Es war nicht mehr weit…

Etwas in mir sagte, dass es der richtige Zeitpunkt zum Zuschlagen war. Mit einem Sprung war ich über der Wühlmaus und ließ meine Vorderpfoten herab fahren, wie Eschenlicht es mir erklärt hatte. Es brauchte einen gezielten Biss ins Genick, mehr nicht.

Ich hatte meinen ersten Fang gemacht.

„Sehr gut, Regenpfote“, miaute Eschenlicht hinter mir. Ich hatte kaum bemerkt, wie er mir gefolgt war. „Du hast alles richtig gemacht. Mit der Einstellung wirst du schon bald ein ausgezeichneter Jäger.“

Etwas in mir verriet, dass er dies sagte, um meine vorausgegangenen Zweifel völlig aus der Welt zu tilgen.

Wir verscharrten den Fang und zogen weiter.

„Auf der Hochebene treiben sich zu dieser Zeit sehr viele Kanninchen herum. Es ist nicht leicht, sie zu fangen, aber sie bieten dem Clan viel Nahrung.“

Ich spürte, wie der Weg anstieg. Schon bald verschwanden die Bäume um uns herum und ein kühler Wind blies mir durch das Fell. Das Gelände war steinig und mit niedrigem Gras bewachsen. Ich wusste, dass es hier zur Sternengrotte und zum Tal ging, in dem die Große Versammlung stattfand. Instinktiv sah ich bei dem Gedanken zum Himmel. Es war noch eine Ewigkeit bis zu unserer ersten großen Versammlung!

Ein unbekannter Geruch stieg mir in die Nase. Ich schnupperte genauer.

„Ist das ein Kanninchen?“

„Nein, das sind Eidechsen. Nicht sehr schmackhaft, aber leicht zu jagen. Von Kanninchen scheint hier keine Spur zu bestehen.“

Die aufkeimende Enttäuschung wurde durch eine andere Entdeckung unterdrückt. Auch Eschenlicht richtete die Nase in die Luft und schnupperte interessiert.

„Das…das sind sie!“, miaute ich. „Das sind die fremden Katzen!“

Eschenlicht verlor keine überschüssigen Worte. „Komm. Vielleicht finden wir sie dieses Mal.“

Heiße Fährte

Wir folgten der Spur weiter über die Hochebene, auf die Berge zu. Sie schien zielstrebig geradeaus zu verlaufen. Als wolle die Katze uns in eine bestimmte Richtung führen.

„Die Katze wollte, dass wir ihr folgen“, miaute Eschenlicht nach einiger Zeit. „Sie hat einige Markierungen hinterlassen. Das scheint ein voraus geplantes Treffen zu sein.“

„Gehen wir darauf ein?“, fragte ich meinen Mentor.

„Ich denke, wir haben keine andere Wahl.“

„Eschenlicht.“ Ich blieb stehen. Die Zweifel, die ich bisher erfolgreich unterdrückt hatte, kehrten sich langsam nach oben. „Was, wenn das eine Falle ist. Wenn sich der SternenClan geirrt hat und die Katzen doch nicht aus friedlicher Absicht hier sind?“

„Dann hätten sie uns schon längst überfallen.“ Eschenlicht sah mich ernst an. „Ich habe die Streuner erlebt. Keine Katze hätte mit ihnen gerechnet, bis sie die Clans aus ihren Lagern vertrieben haben. So gehen feindlich gesinnte Kämpfer vor. Das hier sieht eher nach einer vorsichtigen Kontaktaufnahme aus.“

Ich sagte nichts weiter und folgte meinem Mentor schweigend. Der Weg stieg langsam, aber merklich an. Auch der Luftzug wurde kühler, weniger Pflanzen wuchsen in der Gegend.

„Der Felsenkessel“, miaute Eschenlicht mit einem Mal. „Die Katze führt uns zu dem Ort der Großen Versammlung.“

„Aber…“ Mein Kopf arbeitete. „Dann…dann muss sie doch sicher mit uns reden wollen. Sie haben uns so lange beobachtet, sie müssen sicher wissen, dass dort kein Blut vergossen werden darf!“

„Du meinst also, sie ließen sich die ganze Zeit aus Angst vor einem Kampf nicht blicken?“

„Es ist logisch“, miaute ich. „Weshalb sollten sie sonst so einen Bogen um uns machen, wenn sie die ganze Zeit nach uns suchen?“

„Es ist alles Spekulation“, wies Eschenlicht die Aussage plötzlich ab. „Wir brauchen Gewissheit. Und die finden wir im Felsenkessel.“

Wir steigerten das Tempo.

 

Mein Herz klopfte, als wir die ansteigenden Felsen erreichten. Der Ort der Großen Versammlung hatte immer als ein geheimnis- und machtvoller Platz in meinen Träumen herum gespukt. Ein Ort, der aus Sternenlicht zu bestehen schien. So wurde er uns immer beschrieben.

Ich war ein wenig enttäuscht, als ich das Tal nun erblickte. Sicher würden die zerklüfteten, grauen Felsen im Mondschein anders aussehen und auch das Gras, das schon an mehreren Stellen herausgezupft und löcherig war, würde unter den vielen Katzen nicht auffallen. Doch wenn ich den Felsenkessel so sah, konnte ich mir kaum vorstellen, dass dies der Ort war, von dem die Katzen immer so schwärmten. Wenige Pfotenlängen vom SternenClan entfernt war jedenfalls keine treffende Beschreibung für das zerrupfte Tal.

„Gehe du auf die Seite und suche sie gründlich ab“, miaute Eschenlicht, ungeachtet meiner Enttäuschung. „Ich suche auf der Anderen.“

Ich versuchte, meine Enttäuschung vor meinem Mentor zu verbergen und lief über die Fläche. Dabei ging ich an dem Findling in der Mitte vorbei, auf dem die Anführer während der Versammlung stehen und debattieren würden. Ich versuchte, mir Fuchsstern und Mausstern dort oben im Glanz des Vollmondes vorzustellen, als ich an dem Stein vorbei lief.

Nach wenigen Augenblicken trafen wir uns wieder bei diesem Stein.

„Hast du etwas entdeckt?“

„Nein, Eschenlicht“, miaute ich enttäuscht und sah mich um. Aus irgendeinem Grund hatte ich erwartet, dass uns die Katze, der wir gefolgt waren, mitten auf den Stein erwarten würde. Anscheinend wollte unser Besucher uns aber besonders fordern.

„Das kann nicht sein!“ Störrisch trieb ich meine Krallen in dem weichen Boden. „Eine Katze kann nicht spurlos verschwinden. Sie muss hier sein! Sie hat uns doch sicher nicht hierher geführt, nur um uns zu verhöhnen!“

Eschenlicht erstarrte. Auch ich witterte es. Der Geruch der fremden Katze.

„Das weht von den Felsen herunter!“ Ich sah nach oben, konnte aber niemanden entdecken. „Wie soll eine Katze dort hinauf kommen?“

Etwas leuchtete in Eschenlichts Augen auf. „Natürlich! Der Tunnel!“

 

„Tunnel? Welcher Tunnel?“, fragte ich, als Eschenlicht sich zu dem Eingang umdrehte.

„Regenpfote, du wirst nun etwas erfahren, wovon außer mir nur noch vier andere Katzen im BlattClan Kenntnis haben.“

Ich spitze die Ohren. „Wirklich? Was denn?“

Eschenlicht blieb mitten in der Schlucht, die zum Tal führte, stehen und schob einige Farne zur Seite. „Dieser Tunnel! Er führt zu einer Felsnase über dem Tal. Rennwind hatte ihn einst mehr zufällig auf ihrer ersten Großen Versammlung als Schülerin entdeckt. Dein Vater hatte sich einst heimlich dort hinauf geschlichen, weil Goldtupf ihm wegen einer Verletzung auf Patrouille eine Schonungsfrist im Lager verdonnert hatte. Steinkralle hatte ihn dabei unterstütz, unentdeckt zu bleiben.“

Ich musste schnurren. Das hätte ich meinen Eltern nicht zugetraut.

„Und wer ist die vierte Katze, die davon weiß?“

„Tigerzahn. Er hat Sturmherz dabei erwischt, wie er sich hinaus schleichen wollte, hat ihn aber unter der Abmachung gedeckt, später einen genauesten Bericht zu erhalten.“

Während er dies erklärte, erklomm Eschenlicht den Tunnel und verschwand in einer geschmeidigen Bewegung darin. Ich zog mich ächzend hoch und folgte ihm so gut es ging.

„Das war doch noch bevor du in den Clan kamst!“

„Steinkralle hatte sich aus Versehen vor mir verplappert. Als junge Katze lag ihr Herz auf der Zunge. Ich stattdessen konnte bis jetzt schweigen.“

Ich schüttelte mich. Schlamm und kleine Steinchen verklebten und kratzten in meinem Fell. Schon bald konnte ich nichts mehr sehen, richtete mich nur noch nach Eschenlichts Schwanzspitze. Als endlich die ersten Lichtschimmer zu uns fielen, hatte ich mich schon so an die Dunkelheit gewöhnt, dass sie schmerzhaft in den Augen stachen.

Wir standen auf einem Felsvorsprung. Von hier aus sah die Lichtung seltsam klein aus. Bei der Großen Versammlung musste mein Vater sicher einen sehr guten Überblick gehabt haben. Ich nahm die Witterung auf. Die Spur der unbekannten Katze wurde stärker. Wir kletterten die Felswand hinter uns hinauf. Ein kühler Wind ließ mich frösteln, als wir die rauen Felsen auf der Spitze des Berges erreichten.

„Sie ist hier irgendwo“, miaute Eschenlicht und ließ seinen Blick über das graue Felsland schweifen. „Hier gibt es viele Verstecke. Ich kenne diese Gegend noch von dem Leben in den Bergen. Von hier aus haben wir immer die Streuner ausspioniert.“ Der schwarz-weiße Kater hielt einen Augenblick inne. Dann sprach er leiser, wie zu sich selbst. „Warum führt diese Katze uns hierher?“

Entschlossen sah ich zu den Felsen. „Der einzige Weg, dies heraus zu finden, liegt vor uns.“

Das alte Berglager

Eschenlicht kannte sich nach all der Zeit noch in den Bergen aus, wie in seinem zweiten zu Hause. Für mich sahen diese grauen Felsen alle gleich aus, ich musste mich völlig nach meinem Mentor richten.

„Ich glaube, der Geruch führt uns dort entlang.“ Ich deutete in ein steiniges Tal hinab. Mir entging nicht, wie Eschenlicht zögerte. „Was ist los?“

„Dort unten hatten wir unser Lager. Damals befanden sich dort Bergwiesen und ein kleiner Bach.“

Ich sah auf das wellenförmige, graue Gestein herab und versuchte dieses Bild mit den Geschichten zu vereinbaren, die mir erzählt wurden.

„Sicher ist daran der brennende Berg Schuld.“ Eschenlicht deutete mit einem Kopfnicken auf den größten Berg in der Kette hinter dem Tal. „Damals spuckte er flüssiges Feuer. Wir sind im letzten Moment mit dem Leben davon gekommen.“

Ich sah auf das dunkle Gestein unter mir herab. Das flüssige Feuer des brennenden Berges schien allen Pflanzen, die dort nach den Berichten einmal gewuchert haben sollen, unter sich begraben zu haben. Ein normales Leben für Katzen wäre kaum noch möglich.

„Warum dieser Ort?“, miaute Eschenlicht. „Warum führen sie uns ausgerechnet hierher?“

Ich spürte, was er dachte. „Wenn das mit Hintergrund gewählt wurde, wissen sie mehr über uns, als wir bisher angenommen hatten.“

„Wenn das mit Hintergrund gewählt wurde, gibt es nur noch einen Ort, an dem sie sich befinden könnten.“ Eschenlicht deutete mit dem Kopf auf eine kleine Höhlenöffnung im Gestein. „Unser altes Berglager.“

 

Die Höhle war teilweise eingestürzt und verschüttet, doch immer noch führten hohe Gänge zwischen die Felsen hindurch. Wir mussten über haufenweise Geröll hinweg steigen, doch kamen ansonsten gut voran. Durch einzelne Löcher in der Höhlendecke strahlte das goldene Nachmittagslicht.

Ich ging Eschenlicht hinterher, bis wir an das Ende der Höhle kamen.

„Der Geruch ist frisch. Hier müssen noch andere Gänge sein, die wir übersehen haben“, miaute der Kater und sah sich um. Ich tat es ihm gleich und blickte ebenfalls über die zerklüfteten Steine. „Ihr habt etwa vier oder fünf Monde hier verbracht, wenn ich die Geschichten richtig verstanden habe.“

„Sechs Monde ungefähr“, berichtigte mich Eschenlicht. „Und in der Zeit danach scheint sich einiges verändert zu haben.“

„Es wachsen aber nicht neue Höhlen in das Gestein“, wies ich ihn hin. „Hier muss es Schlupfwinkel geben, die ihr entweder übersehen habt, oder erst nach dem Ausbruch des Feuerberges entstanden sind.“

Eschenlicht nickte. „Wir gehen die Höhle noch einmal ab. Achte auf Spuren am Fels, Gerüche oder Kratzer.“

Ich nickte und widmete mich der angewiesenen Aufgabe. Die Felsen schienen von den Witterungen der Berge tief gezeichnet zu sein. Mir fielen Spalten auf, die durch vereisten Tau hinein gesprengt wurden. Das Gestein schien ziemlich spröde, die Clans hatten auf jeden Fall Glück, dass die Höhle nicht schon während ihres Aufenthaltes wegen irgendeiner Katastrophe in sich zusammen gestürzt war.

„Regenpfote! Ich habe hier eine Spur!“

Ich horchte auf und trabte zu Eschenlicht, der gerade dabei war, einige große Steine aus dem Weg zu schieben. „Diese Steine wurden hier absichtlich platziert, um den Tunnel zu verdecken.“

Ein tiefes, dunkles Loch kam hinter dem Haufen zum Vorschein. Ich sah in den herab führenden Tunnel.

„Warum sollten sie den Tunnel verdecken, wenn sie uns ohnehin hierher geführt haben?“, stellte ich wieder eine meiner vielen Fragen, seit wir zu dieser Patrouille aufgebrochen waren.

„Vielleicht wollten sie unsere Fähigkeiten testen, um einschätzen zu können, mit wem sie sich einlassen.“

Ich schnupperte an dem Tunnel. Katzengeruch drang zu mir hoch.

„Halte Kopf und Schwanz im Tunnel unten, taste dich langsam vorwärts und rufe, wenn du mich nicht mehr wahrnimmst.“

Ich nickte zu Eschenlichts Anweisungen und verschwand hinter ihm in dem dunklen, engen Loch.

Neu entdeckte Gänge

Der Weg stieg an. Anscheinend führte er einen der Berge hinauf, bis zur Spitze. Wenn hier einst Steine im Weg gelegen hatten, dann waren sie sorgsam entfernt worden. Der Tunnel selbst war katzengerecht zu Recht gestutzt und weit genug geöffnet. Er war wohl schon öfter benutz worden.

„Eschenlicht, es sieht so aus, als ob wir auf dem Weg zu ihrem Lager wären.“

„Oder einem Treffpunkt für sie. Wir werden es herausfinden.“

Diesmal stach das wiederkehrende Licht der Sonne nicht allzu sehr in meinen Augen, obwohl es hier in den Bergen heller und kälter wirkte. Ich sah mich um. Wir standen in einem von spitzen Felsen umgebenen Krater. Hier wuchs ein wenig Gras. Von weitem erkannte ich dunkle Löcher in den Felsen. Anscheinend ihre Höhlen.

Durch den Krater liefen feine Rillen auf das Loch zu, durch das wir gekommen waren. Anscheinend war der Tunnel auch ein Abfluss für das Regenwasser, was sich hier sonst angesammelt hätte. Ich sah auf dem ersten Blick, dass diese Rillen mit einigen Steinen nachgebessert wurden.

„Sie haben sich anscheinend viel Mühe mit dem Lager gegeben“, sprach Eschenlicht meine Gedanken aus. „Als wollten sie für immer hier bleiben.“

„Weshalb suchten sie dann so oft unseren Wald auf?“, miaute ich skeptisch.

„Das könnten sie uns am besten selbst sagen. Vielleicht befinden sich einige Katzen in den Höhlen.“

Ich nickte. „Ich übernehme diese Seite.“ Wir trennten uns erneut und gingen die Höhlen nacheinander ab.

 

Ein Geruch ließ mich innehalten. Es war der Geruch der fremden Katzen, löste aber speziellere Erinnerungen in mir aus. Ich übersprang die nächsten zwei Löcher und schnupperte an dem letzten Höhleneingang. Ich kannte diesen Geruch…

„Eschenlicht! Ich habe etwas entdeckt!“

Oder jemanden wieder entdeckt.

„Irgendwelche Spuren?“, fragte er, da er meine Aufregung zu spüren schien.

„Die Katze. Die Katze, die mich damals als Junges vor dem Monster gerettet hat. Ihr Geruch ist hier am Fels!“

Eschenlicht schnupperte an den Steinen. „Bist du sicher?“

„Den Geruch würde ich unter tausenden wieder erkennen.“ Mein Herzschlag pochte wie Donner in meinen Ohren. Nun endlich konnte ich der Katze begegnen, der ich mein Leben verdankte. Ohne auf weitere Anweisungen zu warten, schlüpfte ich in den Tunnel. Eschenlicht kroch mir hinterher.

Der Gang, durch den wir gekommen waren, war nicht der einzige Ausgang, den das Lager hatte. Dieser Tunnel führte steil herab, bis wir in einer breiten Felsschlucht landeten.

„All diese Orte haben wir damals nicht gefunden, obwohl wir einen halben Blattwechsel in den Bergen verbracht hatten“, meinte Eschenlicht respektvoll. „Diese Katzen müssen Meister der Anpassung sein.“

Ich spürte, dass wir beobachtet wurden. Dies war die erste Begegnung der Clans mit den fremden Katzen.

Ich drehte mich um meine Achse, die Felsen inspizierend, nach einem verräterischen Zeichen Ausschau haltend.

„Regenpfote?“ Eschenlicht sah zu mir herüber. „Hast du etwas entdeckt?“

„Hier ist noch eine Katze.“

Ich folgte mit dem Blick dem Geruch auf einen Felsvorsprung, auf dem sich gegen die goldenen Sonnenstrahlen eine Katzensilhouette abzeichnete.

Eine klare Stimme sprach zu uns. „Wir haben auf euch gewartet.“

Die erste Begegnung

Mein Herz pochte, als ich mich umdrehte. Ich erkannte den Geruch sofort wieder.

„Du…du warst die Katze, die mich vor dem Monster gerettet hat!“

Mehr brachte ich nicht hervor, als ich dieses mysteriöse Phantom endlich vor mir sah.

Das goldbraune Fell der Kätzin glänzte im Licht der Abendsonne. Gleich fielen mir ihre hellbraunen Augen auf, die ausdruckslos auf uns herab sahen. Die weiße Schwanzspitze wedelte leicht hin und her, schien mit der Luft zu spielen.

„Ich erkenne dich wieder“, miaute die Kätzin mit ihrer ungewöhnlich hellen Stimme. „Du warst mit zwei anderen Jungen und einigen Kriegern unterwegs, als du auf den Donnerweg gestolpert bis.“

„Ja, ich…“

Bevor ich etwas sagen konnte, hatte Eschenlichts Misstrauen Überhand gewonnen.

„Ihr scheint euch gut in unserem Leben auszukennen“, sprach er die fremde Kätzin dennoch freundlich an, auch wenn ich sein Unbehagen spüren konnte. „Ihr habt uns schon länger beobachtet, habe ich Recht?“

„Wie kommst du darauf?“, entgegnete die Kätzin ruhig.

„Dieser Ort ist mit bedacht gewählt worden! Wir hatten selbst hier in der Nähe unser Lager.“ Eschenlicht deutete mit einem Kopfnicken in die Richtung des zerstörten Tals. „Schon vor einigen Monden wurden eure Spuren auf unseren Territorien gefunden. Den Tunnel, den ihr aus dem Wald heraus genommen habt, kennen nur sehr wenige Katzen. Und du weißt, was Krieger sind.“

Dem letzten Satz verlieh seine Stimme mehr Nachdruck. Dennoch blieb die Fremde ungerührt.

„Euer Misstrauen ist verständlich. Es war nicht richtig von uns, euch so lange auszuspionieren, wir konnten aber kein Risiko eingehen.“ Ich sah, wie ihr Blick kurz an mir haften blieb. Dann sah sie wieder zu Eschenlicht. „Ich hätte eher erwartet, eure Anführer anzutreffen und nicht nur einen Krieger und seinen Schüler.“

„Die Spuren waren also wirklich kein Zufall. Und auch nicht die Wahl des Ortes.“ Ich sagte diese Worte mehr zu mir selbst, dennoch reagierte die Fremde darauf.

„Wir haben beide Territorien aufgesucht. Wir benötigen nämlich beide Clans, um endgültig aus dem Schatten zu treten. Das wird die erste Begegnung sein.“

„Ich könnte meiner Anführerin berichten, was wir entdeckt haben. Dann kämen wir gemeinsam zu diesem Treffpunkt zurück“, schlug Eschenlicht vor.

„Dann werdet ihr mich hier nichts mehr antreffen.“ Ihre Worte erzeugten Verwirrung in uns.

„Aber, wieso…“, begann Eschenlicht seine Frage.

„Es war ein Test. Wir wollten sehen, ob eure Fähigkeiten wirklich dem entsprechen, was wir gehört hatten. Deshalb dieses Versteckspiel.“

Mein Kopf schwirrte. „Aber, was sucht ihr bei uns? Und wo sind deine Gefährten?“

Wieder erhielten wir ein Rätsel als Antwort. „Dies ist die Zeit der Begegnung, junger Schüler, nicht die Zeit der Fragen.“ Mit einem geschmeidigen Satz erklomm die fremde Kätzin den Felsvorsprung, von dem sie uns beobachtet hatte. „Die Zeit der Fragen wird kommen. Wenn ihr das nächste Mal in Frieden beisammen seid.“

„Warte!“, rief Eschenlicht schnell, doch die Kätzin war schon spurlos, wie ein Hauch in der Luft zwischen den Felsen verschwunden.

 

„Das war alles? Diese Katze hatte euch nicht einmal ihren Namen genannt?“

„Nein, Fuchsstern“, schloss Eschenlicht seinen Bericht ab. Ich unterdrückte ein Gähnen. Die Sonne war längst untergegangen, dennoch hielt ich tapfer dem Lagerbericht stand.

„Wenn ihr das nächste Mal in Frieden beisammen seid“, wiederholte mein Mentor. „Das war ihre Botschaft.“

„Sie kann damit nur die große Versammlung gemeint haben“, miaute Eichenblitz. „Sollen wir den SteppenClan in Kenntnis setzen?“

„Ich werde morgen eine Patrouille zusammen stellen“, ging Fuchsstern auf diesen Vorschlag ein. „Du wirst Mausstern die Nachricht überbringen, Eichenblitz.“

Der Zweite Anführer nickte gehorsam. „Ja, Fuchsstern.“

Die rote Kätzin wandte sich wieder an uns. „Ihr beide solltet euch jetzt schlafen legen. Besonders du, Regenpfote. Morgen werde ich den Rest des Clans davon in Kenntnis setzen. Auf der nächsten Versammlung werden wir dann mehr erfahren.“

Wir nickten. Meine Frage konnte ich mir nicht verkneifen.

„Darf ich schon vorher darüber reden?“

„Du möchtest dich mit deinen Geschwistern beraten“, analysierte Fuchsstern. „Natürlich, aber quatscht nicht die ganze Nacht durch, ihr benötigt morgen noch eure Kräfte.“

 

Im Schülerbau wurde ich schon sehnsüchtig erwartet.

„Wo habt ihr nur die ganze Zeit gesteckt?“, lautete Graupfotes Begrüßung.

Ich ließ mich zwischen den beiden in das Moos fallen. „Ihr werdet nie glauben, was Eschenlicht und ich entdeckt haben!“

„Erzähle!“, forderte mich Himmelpfote im Flüsterton auf. Graspfote, Bienenpfote, Blitzpfote und Rosenpfote hatten sich anscheinend keine zu großen Sorgen um mich gemacht, sondern schlummerten schon friedlich nebeneinander.

„Ihr kennt doch die Geschichten von dem Lager in den Bergen? Dort haben wir die Katze getroffen, die mir damals das Leben gerettet hatte!“

Meine Geschwister hielten hörbar die Luft an.

„Habt ihr auch etwas über die anderen herausgefunden?“, fragte Himmelpfote schließlich, als ich so detailliert wie möglich die Begegnung geschildert hatte.

„Nein. Aber auf der nächsten Großen Versammlung werden wir alle mehr erfahren.“

„Wir müssen dennoch morgen mit Goldtupf und Taubenflug reden!“, erinnerte uns Graupfote.

Ich gähnte müde. „Morgen“, stimmte ich ihm zu und war schon tief in meinen Träumen versunken.

Drei Katzen

Ich fand mich im Versammlungstal wieder.

Allein.

Fast allein.

„Regen?“, rief ich nach meinem Onkel und Namenspatron.

„Du hast es geschafft?“, hörte ich seine helle, klare Jungenstimme neben mir. „Der erste Kontakt ist hergestellt. Der Rest wird nicht mehr so schwer für euch sein.“

„Die Große Versammlung“, rief ich heraus. „Sie werden sich uns auf der nächsten großen Versammlung offenbaren.“

„Ich weiß. Ich habe euch beobachtet.“

„Aber…“ Ich zögerte kurz. „Himmelpfote und Graupfote haben dieselben Prophezeiungen gehabt, wie ich. Taubenflug sah drei Katzen in ihrer Vision. Aber bisher haben sie nur mich gefunden.“

„Du und Eschenlicht habt sie gefunden“, berichtigte Regen mich. „Ihr müsst zu dritt unterwegs sein, um den Kontakt wirklich herstellen zu können.“

Ich erkannte, was er meinte. „Wenn sich die Prophezeiung wirklich erfüllen solle, dann müssen wir sie erneut finden. Nur wir drei.“

„Ganz genau. Und das noch vor der nächsten großen Versammlung in einem halben Mond.“

 

Wir waren mitten in der Nacht still nebeneinander aufgewacht.

„Was soll das bedeuten?“, miaute Himmelpfote mit runden Augen.

Graupfote war schon aufgestanden. „Die Antwort liegt dort draußen. Jenseits des Waldes. Und wir werden sie finden.“

Impressum

Texte: Alle Rechte bei mir und Erin Hunter.
Tag der Veröffentlichung: 24.02.2014

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
An alle, die die ersten fünf Bücher hinter sich gebracht haben. Ihr seid die Besten!

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