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Die ersten Sonnenstrahlen

Die Steppe. Die alte, schöne, windzerzauste Steppe, in der ich aufgewachsen bin. Der Duft des Grases war allgegenwärtig, genauso wie der nach frischen, saftigen Kanninnchen, die die Krieger immer nach Hause brachen.

Das Lager lag in einer windgeschützten Senke, umgeben von schützendem Gestrüpp mit tiefen Löchern, die als Baue für die Katzen dienten. Ich erinnerte mich gut, an den Tag, an dem ich die Kinderstube verlassen hatte. All diese Eindrücke. Alles nahm ich in mich auf. Ich hörte zu, wie die Krieger Schülern Jagdtechniken erklärten, wie die Ältesten über vergangene Kämpfe berichteten und uns Lektionen erteilten. Ich studierte, wie Mausstern, damals noch Mausohr, Patrouillen einteilte und alles gut im Griff hatte. Bis auf einige Grenzkonflikte und Beutediebstähle des BlattClans war alles idyllisch hier. Wir konnten spielen so viel wir wollten. Wir, Laubjunges, Kastanienjunges und ich, alle sagten, dass wir kluge Jungen seien und gute Krieger abgeben würden, so wie unsere Eltern. Erdwurzel war immer stolz auf uns. Alles schien so schön…

Bis die anderen Katzen kamen.

Die Streuner, wie sie später auch genannt wurden.

Die Katzen, denen Laubjunges, der Stärkste und Schnellste von uns Dreien, zum Opfer fiel.

Ich roch immer noch im Schlaf seinen Geruch, sah sein schildpattfarben getupftes Fell und hörte, wie er uns ständig belehrte und alles besser wusste.

Er wäre eine große Katze geworden. Auch in Kastanienpfote und mich wurden unglaubliche Hoffnungen aufgrund unserer schnellen Entwicklung gelegt. Aber Laubjunges war der Beste.

Bis wir ihn im Kampf verloren.

Für immer.

 

Ich fuhr keuchend aus dem Schlaf. Das Bild meines Bruders brannte mir noch einen Augenblick in der Netzhaut, dann war er verschwunden. Nur noch die anderen Katzen waren da. Die Streuner. Sie lagen um uns herum, friedlich schnarchend, erschöpft von der langen Reise. Ein krasser Gegensatz zu denen, die uns vorerst aus unserem Territorium vertrieben haben. Die, denen wir nun eine neue Heimat, ein neues Leben ermöglichten. Weil es der Wille des SternenClans war.

„Er würde uns sicher Mut machen.“

Ich drehte den Kopf und sah Kastanienpfote neben mir liegen, der ebenfalls schlecht schlafen konnte. Der Mond ließ sein braunes Fell, das tagsüber einen dunkelroten Schimmer besaß, matt aussehen, so wie er sich in seinem Innern auch fühlte. So wie wir uns beide fühlten.

Ich sah zum Silbervlies hinauf. „Sicher beobachtet er uns. Er wird uns helfen. Der SternenClan wird uns helfen.“

„Wie die Clans wohl zurechtkommen“, miaute mein Bruder, während er sich langsam aufrichtete. Wir konnten beide nicht schlafen.

„Die Trennung wird wohl schwer sein, aber hoffentlich gibt es bald Frieden. Wenn der BlattClan sich an die Grenzen hält“, fügte ich hinzu. Kastanienpfotes Schnurrhaare zuckten kurz, dann legte er sich wieder hin.

„Ich glaube, ich werde sie vermissen. Besonders Eschenpfote.“

Ich legte den Kopf schief. „Denkst du, er und Kieselpfote werden bald zu Kriegern ernannt?“

„Und die arme Feldpfote ist dann ganz allein im Schülerbau?“, warf er ein.

„Das ist was anderes, als unser leerer Schülerbau“, erinnerte ich ihn. Dann herrschte wieder Schweigen. Wir sahen wieder zu den Sternen hinauf. So nah, und doch unerreichbar.

„Es ist bald Morgengrauen“, miaute mein Bruder. „Denkst du, wir sollten die anderen wecken?“

Es waren nicht mehr ‚die Streuner’. Nur noch ‚die anderen’.

„Gerne. Klaue und Fang kannst du ruhig etwas härter anfassen.“

„Mit Vergnügen“, miaute Kastanienpfote grimmig und ging zu den schlafenden Katzen hinüber.

Ich blickte zu den Sternen. Die ersten Sonnenstrahlen leuchteten am Horizont auf.

„Na dann los“, miaute ich mir selbst zu und begann den heutigen Tag.

Die Suche

„Wir kommen unweigerlich an einem Zweibeinerort vorbei.“ Der Kater, den wir zur Erkundung vorausgeschickt hatten, kam keuchend zurück. Ich hatte ihn zuvor noch nicht gesehen, oder er war mir nicht aufgefallen, was bei seiner schlaksigen Gestalt und dem weißen, schwarz gepunkteten Fell sehr erstaunlich war. „Vielleicht können wir dort erst einmal eine Pause machen und etwas essen.“

„Pause?“, fragte ich verständnislos, dann fielen mir die Lebensgewohnheiten dieser Katzen wieder ein. „Oh, natürlich. Vielleicht gibt es dort ein ruhiges Plätzchen.“

Kastanienpfote rümpfte nur die Nase, ohne einen weiteren Kommentar abzugeben.

„Ich sage es den anderen“, erklärte sich der Kater bereit und verschwand.

„Ich hoffe, der Zweibeinerort ist nicht so verdreckt wie unser es an manchen Stellen war“, murmelte mein Bruder missmutig.

„Ihnen wird dies wenig ausmachen. Und wir werden es schon ein zweites Mal überleben.“

„In Ordnung, aber wenn auch nur eine Ratte es wagt, ihre Schnurrhaarspitze zu zeigen…“

„Ich denke, wir halten dort nach einem angenehmeren Ort Ausschau. Lass uns zuerst diese Möglichkeit nutzen.“ Ich sah zu dem rot umrahmten Horizont herüber. In der Richtung lag unsere Heimat. Der Gedanke an die Steppe, in der wir beide unsere Jungenzeit verbracht haben, bohrte sich wie ein Stich in meine Brust. Das alles lag so nah, und doch so fern…

„Schneepfote!“

Überrascht registrierte ich, wie ich ans Ende der Reisenden gerutscht war. Ich ließ von meinen Tagträumen ab und folgte Kastanienpfotes Ruf an die Spitze. In Kürze erreichten wir den Rand des Zweibeinerortes. Erneut wandte ich mich an den gefleckten Kater.

„Hast du irgendeine Stelle entdeckt, an der wir die Nacht verbringen können?“

Seine Schnurrhaare zuckten, als er antwortete. „Hinter einigen Nestern gibt es eine große Zweibeinerhöhle. Das Tor dazu steht offen. Für uns alle wäre genug Platz dort.“

Ich nickte, obwohl ich mir darunter nicht viel vorstellen konnte. „Danke, führst du die anderen dorthin?“

„Gerne.“ Mit ausgestrecktem Schwanz lief der Kater an die Spitze zu seinen Nestkameraden und fing an, ihnen von unserem Nachtlager zu erzählen. Mit gemischten Gefühlen sah ich ihm nach. Er benahm sich fast wie ein frisch ernannter Clan-Schüler, der schon am ersten Tag besonders gut anfing, zu lernen, um seinen Mentor stolz zu machen. Die anderen Katzen folgten ihm teilnahmslos, wahrscheinlich, um sicht schnell ausruhen zu können. Es überraschte mich immer noch, wie schnell sie ermüdeten. Bestimmt mussten einige von ihnen immer noch mit dem Erscheinen des SternenClans ringen, an den sie bis vor kurzem im Traum nicht geglaubt hätten.

Ich spürte, wie meine Ohren nervös zuckten, als ich sie vorbeiziehen ließ, um Kastanienpfote abzuwarten, der die Anwesenden durchzählte.

„Du machst dir Sorgen“, stellte er fest, als er mich einholte und wir gemeinsam weiter zogen.

„Das ist alles viel zu einfach.“ Ich ertappte mich dabei, wie mein Blick nach Klaue suchte, der uns während der Kämpfe im Wald stärker als die meisten Anderen in Atem gehalten hatte. „Ich habe erwartet, dass sie sich schon am ersten Tag sträuben werden. Dass einige uns verlassen, um ein eigenes zu Hause zu suchen. Aber nicht, dass sie alle so brav hinterdrein trotten wie Junge.“

Ein nervöses Schwanzzucken Kastanienpfotes verriet mir, dass er sich schon mit denselben Gedanken beschäftigt hatte. Ich kannte ihn gut genug, dass ich ahnte, was er antworten würde, noch bevor er sprach. „Dann sollten wir die friedlichen Tage genießen und uns möglichst nahe an unser Ziel begeben.“

 

Wir hatten uns für einen verwilderten Zweibeinergarten entschieden. Wenn in dem verwitterten Bau überhaupt noch Zweibeiner wohnten, so ignorierten sie uns entweder oder bemerkten noch nicht einmal unsere Anwesenheit. Ich sah drei Katzen, die das schiefe Dach des Baus erklommen und sich dort ruhig zusammen rollten. Die meisten anderen kuschelten sich am Zaun zusammen, oder suchten sich Höhlen in den wuchernden Büschen. Kastanienpfote und ich trugen ein wenig Moos herbei und bauten uns zwischen den breiten Wurzeln eines Baumes ein Nest. Einschlafen konnten wir beide dennoch nicht.

„Ich glaube, sie sind einfach nur fertig mit den Nerven“, murmelte Kastanienpfote mit Blick auf unsere Schützlinge. „Es erscheint einem ja nicht jeder Tag der SternenClan.“

Meine Ohren zuckten nervös. „Findest du nicht, dass sie sich ein wenig zu ruhig benehmen.“ Instinktiv blickte ich zu Fang, von der ich den meisten Widerstand erwartet hätte. Die Kätzin verscheuchte halbherzig ein Insekt mit dem Schwanz, bevor sie sich wieder zur Ruhe legte. Sie war eine unserer ernstesten Gegnerinnen gewesen.

„Was sollten sie schon planen?“, gab mein Bruder zu bedenken. „Schließlich sind sie auf uns angewiesen. Und weit kann es nicht mehr sein.“

Ich seufzte, während ich mich an seine Schulter lehnte und wir anfingen, uns die Zunge zu geben. Ich musste an Erdwurzel, unsere Mutter denken. Wie es ihr wohl ging? Ob sich Mausstern als Anführer gut machte? Bei dem Gedanken an ihn musste ich unwillkürlich mit den Schnurrhaaren zucken. Als Verbündeter war er unabkömmlich, aber es würde nur eine Frage der Zeit sein, bis er den BlattClan zur Verzweiflung brachte. Unwillkürlich musste ich bei dem Gedanken schmunzeln, als ich mir vorstellte, wie unsere Freunde aus dem BlattClan ihm schon jetzt sämtliche Flöhe des Waldes in den Pelz wünschten. Falkensturz würde ihm da mit Kräften unterstützen. Bestimmt gab es schon wieder einige verwickelte Grenz- und Beuteunstimmigkeiten. Weißmond hatte uns vor dem Angriff oft die Ohren davon voll gejammert, dass erneut BlattClan-Katzen auf der falschen Seite der Grenze beobachtet wurden und von uns das Gleiche behaupten würden. Ich musste daran denken, wie Laubjunges uns im Spiel immer als BlattClan-Krieger heraus gefordert hatte.

In den heilen Bildern aus unserer gemeinsamen Kindheit versunken, fiel ich in einen tiefen Schlaf.

 

„Ihr seid zwei BlattClan-Krieger, die die Furt überschritten haben, und ich bin der Anführer des SteppenClans, der euch dabei beobachtet!“

Kichernd nehmen wir den Spielvorschlag an und stolzieren hoch erhobenen Hauptes über die kleine Fläche unserer Spielecke vor der Kinderstube.

„Wir müssen ganz leise sein“, flüstert Kastanienjunges mir zu. „Sonst werden wir noch vom SteppenClan erwischt, bevor wir Beute machen können.“

Laubjunges springt mit einem Satz hervor, wir tun, als wären wir zu Tode erschrocken.

„Halt!“, ruft er und zeigt spielerisch seine schneeweißen Fänge. „Was macht ihr auf unserem Territorium?“

Ich kauere mich unterwürfig in den Sand. „Wir wollten euch nicht stören, Laubstern, da war nur…“

Kastanienjunges setzt für mich ein. „Wir sind zwei miese BlattClan-Beutediebe!“

Mit spielerischem Fauchen wirft sich Laubjunges auf uns, schon bald rolle ich zwischen meinen Brüdern im Sand.

„Ihr putzt euch aber, bevor ihr mir ins Nest kommt!“, ruft uns Erdwurzel streng zu.

„Deine Jungen haben ein großes Potenzial“, höre ich Dornenblatt zu Weißmond sagen. Unsere Ohren spitzen sich voller Stolz. „Vor allem dein Ältester, der kleine Laubjunges. Sie werden noch zu großen Kriegern werden.“

Laubjunges reagiert auf diese Worte mit stolzgeschwellter Brust und einem überheblichen Blick.

„Wir finden heraus, wer von uns dreien der größte Krieger ist“, nehme ich die Herausforderung an und will mich ins Getümmel stürzen.

An der Stelle wird die Kindheitserinnerung von einem richtigen Eindringling unterbrochen.

 

Mit gesträubtem Fell fuhr ich aus dem Schlaf und stieß die stupsende Pfote, die mich geweckt hatte, ärgerlich bei Seite. Erschrocken wich die hellgraue Kätzin zurück.

„Was willst du!“, knurrte ich, bemüht, meine Stimme gesenkt zu halten. Auch Kastanienpfote war erwacht und starrte den nächtlichen Störenfried misstrauisch an. Anscheinend war niemand sonst aufgewacht.

Hellpfote rang minutenlang nach Worten. „Ich muss mit euch reden!“, brachte sie schließlich hervor und sah mit den angelegten Ohren und dem unsicheren Blick fast Mitleid erregend aus.

„Warum sollten wir das wollen, Verräterin?“, zischte Kastanienpfote abweisend. Das letzte Wort schien die ehemalige Heiler-Schülerin hart zu treffen.

„Ich…ich habe so viel…ich weiß nicht, was ich tun soll…ich fühle mich so…“

Ich entspannte mich, obwohl meine Abneigung gegen diese Katze nicht im Geringsten nachließ. „Wir können reden, aber versprechen kann ich nichts.“ Mit einem Blick gab ich Kastanienpfote zu verstehen, dass dies das Beste für alle Beteiligten war. Er setzte sich und glättete sein Fell, sein Blick war aber immer noch abweisend. Ob er auch von Laubjunges geträumt hatte?

Hellpfotes Blick pendelte Halt suchend zwischen uns hin und her, bis sie schließlich verlegen zu Boden sah.

„Nun?“, forderte ich sie zum Reden auf.

Mit festem Blick sah sie uns an. „Es würde nichts nützen, wenn ich euch sagen würde, dass es mir Leid täte. Aber ihr müsst zumindest verstehen, was…was mich dazu verleitet hatte.“ Unruhig scharrte sie mit den Krallen in der Erde.

„Erzähle“, forderte ich sie auf. „Die Nacht dauert nicht mehr lange.“

Hellpfotes Geschichte

„Ihr wisst, wie ich in den Clan gekommen bin.“

Die Geschichte war uns immerzu geläufig. Unsere Mutter war gerade in die Kinderstube umgezogen, als Hellpfote, noch keine sechs Monde als von einer Patrouille am Rand der Steppe gefunden wurde. Sie hatte kaum etwas gesagt, uns nur beobachtet. Wer ihre Eltern waren und woher sie kam? Sie hatte vorgegeben, sich an nichts mehr zu erinnern. Sie hatte nur gesagt, dass sie ihre Eltern in ihren Träumen sah. Dornenblatt war daraufhin zur Sternengrotte gereist, um den SternenClan zu befragen, allerdings keine klare Antwort erhalten. Als Hellpfote im Clan ein immer größeres Interesse an Heilkräutern entwickelte und sich zu der Zeit kein anderer Schüler für den Weg des Heilers entschied, waren sich Silberstern und Dornenblatt einig, dass dies Hellpfotes Bestimmung war.

„Was steckte wirklich hinter dieser Geschichte?“ Ich war mir sicher, dass sie wusste, was ich meinte.

„Meine Eltern habe ich wirklich nie kennen gelernt. Ich habe noch eine vage Erinnerung an meine Mutter, sie hatte hellgraues Fell, wie ich…außerdem noch einen faden Geruch, aber ich glaube nicht, dass ich sie wieder erkennen würde.“ Sie blinzelte bei diesen Worten. „Meine erste richtige Erinnerung ist die, wie sie mich gefunden haben.“

Niemand von uns musste fragen, wer mit ‚sie’ gemeint war.

„Sie haben dich aufgenommen?“, vermutete Kastanienpfote.

„Ja.“ Hellpfotes Ohren zuckten. „Wie eine Familie. Wie ein Clan.“

Sie schwieg einen Augenblick. Auffordernd sah ich sie an.

Hellpfote atmete tief durch. „Sie hatten schon damals nie eine Heimat. Blut und Klaue…sie sind ungefähr zwei Wochen nach mir zu der Gemeinschaft gestoßen. Wir waren nicht wirklich eine Gemeinschaft. Die Katzen kamen und gingen, Einige blieben dauerhaft. Es war immer friedlich. Bis…“ Ihr Kopf drehte sich kurz auf die offene Grasfläche. „Blut und Klaue kamen.“

Kastanienpfote sah über die friedlich schnarchenden Katzen. „Dann sind sie so, wenn sie natürlich sind.“

Hellpfote nickte. „Ich weiß nicht, wieso, aber ich habe Blut bewundert. Seine Kraft, seine Ruhe, seine Entschlossenheit. All das ließen ihn irgendwie hervor stechen. Und ich war nicht die Einzige.“

„Und Klaue?“, fragte ich.

„War so etwas wie sein Zweiter Anführer. Mit einem Mal hatten die beiden immer mehr zu sagen. Alle haben ihnen einfach gehorcht. Seitdem ist niemand mehr gekommen oder gegangen. Wir waren eins. Eine richtige Gemeinschaft. Aber immer noch Streuner ohne Heimat.“

Ich ahnte, was kommen musste. „Und da habt ihr euch einfach unser Territorium ausgesucht?“

„Nicht wir!“, gab Hellpfote mit ruhiger Stimme zurück. Ihre Ohren zuckten. „Blut.“

„Der Name passte zu ihm“, knurrte Kastanienpfote.

„Ich war damals fast fünf Monde alt. Blut und Klaue wollte wissen, wie ihr dachtet. Sie wollten wissen, wie viel sie tun müssen, um in euren Territorien Leben zu können.“

„Und kurzerhand schickte er dich als Spionin zu uns!“ Ich konnte kaum glauben, dass das vorher nicht aufgefallen war.

„Erst nachdem er Graufell auf seine Seite gezogen hatte. Den BlattClan konnte er somit ausspionieren. Graufell war als Zweiter Anführer in einer sicheren Position und konnte ihn ungehindert mit Informationen versorgen. Er benötigte nur noch einen Spitzel für euch.“

„Dich?“, entgegnete ich.

„Mich“, bestätigte Hellpfote. „Ein Zweiter Anführer war sich in der Stellung seines Clans sicher. Falls er aufflog, brauchten sie jemanden, der in einer noch festeren Position ist. Im günstigsten Fall eine Heiler-Katze.“

So hatte es sich also zugetragen. Seltsamerweise fühlte ich mich nicht im Geringsten beunruhigt, als ich die Wahrheit hörte. Graufell hatte jeder vertraut, bis zu seinem Tod galt er als unbedingt loyaler Krieger. Eine Heiler-Schülerin würde eine noch geringere Gefahr bedeuten. Ich erinnerte mich an die freundschaftlichen Gefühle Taubenpfotes, der Heiler-Schülerin des BlattClans, die zwischen den Kätzinnen deutlich zu erkennen war. Mir sträubte ich das Fell, als mir klar wurde, wie leicht die Clans zu manipulieren waren.

Ich wollte mich wieder hinlegen, als Kastanienpfote die entscheidende Frage stellte.

„Warum?“

Ehrliche Melancholie spiegelte sich in ihrem Blick. „Aus Loyalität. Ihr seid eurem Clan treu. Und ich bin ihnen treu.“ Sie wies mit der Schwanzspitze auf die schlafenden Katzen. „Meine Familie. Auch, wenn sie in die falsche Richtung geführt wurden. So wie ich.“

Etwas stach in meiner Brust. Mit einem Mal erkannte ich die wahren Gefühle dieser Katze, denen ich mich bisher verschlossen hatte. Wie schwer musste es sein, sich so lange zu verstellen, mit Katzen umzugehen mit dem Vorhaben, sie zu verraten, was die eigene Familie geplant hatte, die allerdings weit weg war?

Kastanienpfote suchte meinen Blick. Er dachte wie ich. Er dachte ja fast immer wie ich.

„Ich weiß nicht, was ich von alldem halten soll!“, gab Hellpfote zu. Sie wirkte mit einem Mal winzig klein, wie ein Blatt, das von den Winden der Ereignisse achtlos umher geschleudert wurde. „Ich war auf der Richtigen Seite, versteht ihr? Ich war fest davon überzeugt, dass wir richtig liegen. Als dann der…SternenClan erschien…“ es hatte ihr Schwierigkeiten bereitet, den Namen auszusprechen „wurde all mein geordnetes Leben über einen Haufen geworfen. Als ob ich eine Lüge gelebt hätte. Ich…“ Hellpfote hielt inne. Sie sah uns fest an. Ich ahnte, was kommen würde.

„Sag es“, ermutigte ich sie.

„Könnt ihr mir verzeihen?“, stieß sie in einem Atemzug hervor.

Ich sah meinen Bruder an. Wir einigten uns mit einem Blick. Mal wieder.

Kastanienpfote wandte als Erster den Blick wieder zu Hellpfote. „Wenn du dir selbst verzeihen kannst, sehe ich da keine Schwierigkeiten.“

Zustimmend nickte ich, als sich ihr Blick auch zu mir wandte.

„Danke“, hauchte Hellpfote und verließ uns. Ich rollte mich erneut in der Kuhle zusammen. Es war nur noch wenig Zeit bis Sonnenhoch, und diese mussten wir beide für einen ausgiebigen Schlaf nutzen.

Die Hunde

„Eulenpfote kannst du mit uns spielen?“, frage ich die Schülerin, während sie das Nestmaterial auswechselt.

„Schneejunges, Eulenpfote muss arbeiten“, weist mich Erdwurzel zu Recht, doch da kommen schon Laubjunges und Kastanienjunges und springen erwartungsvoll an ihr hoch.

Eulenpfote rollt das alte Nestpolster zu einer Kugel zusammen, bevor sie sich uns zuwendet. „Ich habe nur ganz kurz Zeit für euch. Was soll ich machen?“

Kastanienjunges hat sogleich die leuchtende Idee. „Du bist ein Hund, der ins Lager eingedrungen ist und wir müssen die Kinderstube beschützen!“

„Genau!“ Ich gebe ihr mit eingezogenen Krallen einen leichten Hieb gegen die Schulter. „Du wirst unseren Jungen nichts zu Leide tun!“ Ich halte inne und sehe zu Erdwurzel. „Spielst du bitte das Junges?“

Die Schnurrhaare unserer Mutter zucken. „Eure Sorgen möchte ich haben.“

„Achtung, der Hund kommt!“, quiekt Laubjunges, als er Eulenpfote an die Ohren springt.

„Hey, nicht so doll!“, protestiert die Schülerin und drückt leicht ihn zu Boden.

„Ihr müsst mir helfen“, jault Laubjunges vor Vergnügen. Wir springen ihm zur Seite. Eulenpfote weicht uns aus.

„Der Hund ist umzingelt!“, jubele ich, als wir sie eingekreist haben.

„Also gut“, Eulenpfote hebt die Schwanzspitze, „und als Strafe übernehme ich jetzt die Arbeit, euch neues Nestmaterial zu bringen.“

„Genau! Eindringen hat Konsequenzen!“, piept Laubjunges, als er ihr hinterher sieht.

Plötzlich wendet er sich mit einem erschrockenen Keuchen zu uns um. Eine Pfote rüttelt mich an der Schulter.

„Schneepfote, wach auf. Die Hunde! Wache auf!“

 

„…schnell! Wache auf!“

Keuchend fuhr ich aus dem Schlaf.

„Was…was ist passiert?“ Ich blinzelte verwirrt. Die Bilder meiner Erinnerungen aus dem Traum verschwammen. Schon höre ich schallendes Gekläff und miauende Katzen. Hunde!

Es waren drei massige, faltige Ungeheuer, die auf kurzen Stummelbeinen über die Lichtung hetzten. Spitze Zähne blitzten hinter den herab hängenden Lefzen auf. Ich sah, wie einige der Katzen sich bereits den Ungeheuern entgegen warfen.

„Nein!“, rief ich erschrocken und sprang auf. „Nicht, lauft weg! Schnell!“

Ich verlor den Überblick. Ein Blick zu Kastanienpfote reichte, er rannte auf den Rand des Gartens zu und erklomm einen er aus dem Boden ragenden Holzpfähle.

„Folgt mir! Hier entlang!“, jaulte er über den Rasen. Die Katzen wirbelten im Lauf herum. Viele zwängten sich durch die Stämme hindurch, andere sprangen drüber weg.

Hektisch sah ich mich um. Endlich war ein wenig Ordnung in das Chaos gebracht worden.

Ein dunkelbrauner Pelz erweckte meine Aufmerksamkeit. Ebenso, wie das geifernde Hundemaul über ihm.

Ich sprang, streckte mich in der Luft so weit wie möglich nach vorne. Im Flug zielte ich auf die kleinen, funkelnden Augen des Hundes. Ich würde ihn genau über seinem Blickfeld treffen. Als mein schatten über das Tier fiel, und er zu einer ausweichenden Bewegung ansetzte, fuhr ich die Krallen aus.

Die Wucht meines präzise gezielten Sprungs stieß den Hund eine halbe Schwanzlänge zurück. Meine Vorderkrallen hinterließen blutige Kratzer über seinen Augen. Ich nutzte die Energie meines Aufkommens und die Verwirrung des Hundes, um mit einem Krallenschlag gegen sein Gesicht nachzusetzen. Meine Krallen rissen tiefe Furchen in das wabbelige Fleisch.

Blind schnappte der Hund nach mir, ich schnellte zurück und fiel ihm mit einem pfeilschnellen Sprung in die Flanke. Seine Pfoten waren zu schwerfällig, um mir nachzusetzen. Ein gezielter Biss in die Flanke ließ ihn jaulend im Kreis laufen.

Den Bauch dicht an den Boden gepresst, wich ich zurück und drehte mich zu der am Boden liegenden Fang um.

Die Kätzin hatte eine tiefe Furche an der Schulter und rappelte sich benommen auf.

„Lauf weg!“, befahl ich ihr, als ich spürte, wie der Hund sein schwerfälliges Gewicht auf uns zu beförderte. Ich stieß Fang an, sodass sie in die genannte Richtung taumelte. „Schnell!“

Ich hörte ihre Pfoten über den Boden scharren, als weiteres Gebell erklang. Einer der anderen Hunde hatte mich bemerkt, der den ich verletzt hatte, war verschwunden.

Ich wich zu der Wand des Zweibeinerbaus zurück und kauerte mich hin. Das Bellen des faltigen Monsters hallte in meinen Ohren wieder wie Donnerschläge.

Im letzten Augenblick wich ich zur Seite aus, der Hund krachte mit dem Kopf gegen den harten Stein.

Ich war die Letzte, die den Garten verließ. Ich sah nur noch wenige Katzenschemen um die Ecke biegen, als ich ihnen im Sprint folgte. Es dauerte nicht lange, bis die Hunde die Verfolgung aufgaben.

Wir hielten an einem stinkenden Schmutzplatz an. Keuchend holte ich die anderen Katzen ein.

„Du hast mir das Leben gerettet“, empfing mich Fang als Erste mit halb erstickter Stimme.

„Siehe es als Zeichen der Zusammenhörigkeit“, war alles, was ich daraufhin hervor brachte.

Die Kätzin sah mich aus großen Augen an, bis sie den Blick verlegen zu Boden senkte. „Danke!“, miaute sie mit einer schüchtern klingenden Stimme, die gar nicht zu der ernsten Kämpferin passte, die bei uns gefürchtet war. Gleich darauf war sie unter den anderen verschwunden.

Ich lief Kastanienpfote entgegen. „Ist jemand verletzt?“

„Einige haben Schrammen, aber es gibt keine ernsthaften Verletzungen. Hellpfote kümmert sich um sie.“

Wie eine Heilerin, dachte ich unwillkürlich. Dann schüttelte ich den Kopf, um diesen Gedanken los zu werden. Diese Katzen waren ihre Familie. Warum sollte sie ihre Kenntnisse, die sie bei Dornenblatt erworben hatte, nicht einsetzen?

„Wir sollten Wachen aufstellen!“, entschied Kastanienpfote. „In der Hektik hatte ich das ganz vergessen.“

Ich nickte. „Sie müssen sich ausruhen. Wir übernehmen die Wache.“

Es hatte noch einen anderen Grund, warum ich mich dafür entschloss.

 

„Ich habe in letzter Zeit so seltsame Träume“, fing ich an, als die ersten Sonnenstrahlen über den flammenfarbenen Dächern des Zweibeinerortes aufleuchteten. Nicht weit von uns entfernt knatterte ein Monster über den Donnerweg, doch das schien in weite Ferne gerückt zu sein.

„Unsere Kindheit.“ Es war keine Vermutung, sondern eine bloße Feststellung.

Ich nickte. „Es sind exakt meine Erinnerungen. Vorhin habe ich wieder gesehen, wie wir mit Eulenauge Hundeangriff gespielt haben. Bis du mich geweckt hast.“

„Ich habe heute Nacht wieder erlebt, wie Dornenblatt uns nach Flöhen durchwühlt hat, weil irgendeine Katze welche ins Lager gebracht hatte.“ Seine Schnurrhaare zuckten kurz. „Laubjunges hat mich damals gehänselt, weil ich nachher aussah, wie eine zerzauste Ratte.“

Wehmütig und doch mit einem Lachen in der Kehle dachte ich daran zurück.

„Er ist bei uns“, murmelte ich.

Kastanienpfote nickte. „Fragt sich nur, wann er sich zeigen wird.“

Donnerwege

„Müssen wir da wirklich rüber?“, schrie ich gegen das Dröhnen eines patrouillierenden Monsters an.

Punkt, der magere, schwarz gefleckte Kater, der sich immer so gerne freiwillig zu Erkundungsgängen meldete, machte eine vage Bewegung mit dem Schwanz, als ich ihn das fragte. „Es gibt noch viel mehr Donnerwege hier, aber nach allem, was ich gesehen habe, ist dieser hier der Ruhigste.“

Ich lauschte. Der Gestank der Monster war allgegenwärtig, aber das donnernde Geräusch verklang am Horizont. Es schien eine gute Gelegenheit zu sein.

Ich wandte mich an die anderen Katzen. „Wir werden in kleinen Gruppen den Donnerweg überqueren. Tut euch immer zu dritt oder zu viert zusammen und wartet auf mein Zeichen.“

Die ersten Katzen traten vorsichtig an den Rand des Donnerweges. Sie befolgten unsere Anweisungen gehorsam, schienen aber weitaus weniger ängstlich zu sein als wir, obwohl die begleitenden Anzeichen von Furcht angesichts dieser mächtigen Monster nicht zu übersehen waren.

Ich reckte die Nase in die Höhe und zog trotz der erstickenden Dämpfe die Luft um mich herum ein. Kein frischer Monstergestank. Ich lauschte. Das Donnern des vorherigen Monsters verklang in der Ferne.

Kastanienpfote hatte sich flach auf den Boden gelegt, sodass seine Schnurrhaare die Erde berührten. Zustimmend hob er den Schwanz und gab das verabredete Zeichen, als er bemerkte, dass ich nichts Verdächtiges wahrnahm. Die Katzen liefen schnell über den Donnerweg. Dennoch atmete ich erleichtert auf, als sie an der sicheren Seite angekommen sind und auf uns warteten.

„Die Nächsten!“, befahl Kastanienpfote.

Wir bekamen noch zwei Gruppen hinüber, bevor mein Bruder die fünfte stoppte.

„Wartet. Da kommt etwas!“ Den letzten Satz rief er den Katzen auf der anderen Seite des Donnerweges zu, damit sie sich vom Wegrand zurückziehen konnten. Kurz darauf rannten mit schwindelerregender Geschwindigkeit mehrere kleinere Monster vorbei, die jeweils einen Zweibeiner auf dem Rücken trugen, wie die Pferde, von denen ich einige während der Kämpfe auf unseren Territorium gesehen hatte. Diese Biester machten ungefähr viermal so viel Lärm, wie ein normales Monster und stanken so bestialisch, dass mir für einen Augenblick die Luft wegblieb und ich husten musste.

„Alles in Ordnung?“, fragte mich Hellpfote, die in der nächsten Gruppe war, aufrichtig besorgt.

Ich nickte. „Nur der Gestank.“

„Die Luft ist rein!“, verkündete Kastanienpfote, wobei ich unwillkürlich lachen musste. Auch Hellpfotes Schnurrhaare zuckten kurz, bevor sie mit den anderen über den Donnerweg rannte. Auch die nächste Gruppe kam einwandfrei auf die sichere Seite. Nun waren noch vier Katzen übrig. Punkt, Klaue, Kastanienpfote und ich.

„Ihr beide geht als Erstes!“, entschied ich.

Klaue verzog das Gesicht. „Damit ihr euch nicht gefährden könnt, wie?“

Ich musste mich beherrschen, um ihm nicht all meine Krallen über die Ohren zu ziehen.

„Damit wir eure Sicherheit besser überwachen können und bei der letzten Überquerung höchstens uns selbst gefährden.“

„Mit Streit kommen wir jetzt auch nicht weiter!“, gab Punkt zu bedenken. Ich hätte ihm dafür an Ort und Stelle die Zunge geben können, aber beim SternenClan, wir hatten schlimmere Sorgen.

Kastanienpfote zögerte noch etwas länger, bis er das Zeichen gab. Ohne Schwierigkeiten erreichten Punkt und Klaue die anderen Katzen. Nun waren wir dran.

„Du gehst als Erster!“, befahl ich Kastanienpfote und nahm seinen Platz ein. Der harte Boden übertrug die Schwingungen, die die Monster verursachten in pulsierenden Stößen. Ich schloss die Augen, um mich besser konzentrieren zu können.

Die Vibrationen aus dem Boden verebbten. Ich konnte kein verdächtiges Geräusch erkennen. Ich überprüfte alles noch ein weiteres Mal und gab das Zeichen.

Noch bevor Kastanienpfote zum Sprint ansetzte, geschahen mehrere Dinge gleichzeitig.

Der Nebel aus den stinkenden Dämpften des Donnerweges schien sich zu lichten, deutlich sah ich mitten auf dem grauen Stein die Umrisse einer Katze. Mit einem Ruck drehte der schildpattfarbene Kater seinen Kopf zu uns. In seinen Augen stand Angst. Er war winzig klein zusammen gekauert, das Fell gesträubt. Alle Ausstrahlung seiner Körperhaltung sagten mir eins: Geht nicht dort hinüber!

„Laubjunges?“, hörte ich mich flüstern. Kurz darauf verschwand die Gestalt des jungen Katers unter einem glänzenden Koloss von Monster.

Mit einem Mal war alles wieder da: Der Donnerweg. Der Gestank. Kastanienpfote, der sprang, um die andere Seite zu erreichen.

„Nein!“ Mit einem Ruck war ich auf den Beinen, holte meinen Bruder ein und stieß ihn mit einem Kopfstoß zu Boden, bevor er den Donnerweg betreten konnte.

„Was…“ Seine Worte blieben ihm im Hals stecken, als ein weiteres, glänzendes Monster mit, für seine Art, wenigen Geräuschen geradezu über den Donnerweg schwebte. Es hinterließ keine Geruchsspur, oder sie ging in dem Gestank der anderen Monster unter.

Es herrschte eine Stille, die dem Donnerweg zynisch ins Gesicht zu lachen schien.

„…war das?“, beendete Kastanienpfote seinen Satz.

„Ein neues Monster, das wir bisher noch nicht kannten“, brachte ich hervor.

„Alles in Ordnung bei euch?“, rief jemand von der anderen Seite des Donnerweges.

Meine Stimme fühlte sich rau an, als ich antwortete. „Ja, alles gut!“

„Wie hast du das bemerkt?“, keuchte Kastanienpfote, als er wieder auf den Beinen stand. Er las die Antwort in meinem Blick.

„Der Weg ist frei!“, rief die Katze erneut. Ohne ein weiteres Wort zu wechseln, liefen wir hinüber.  

 

Wir näherten uns der Grenze des Zweibeinerortes. Ich konnte deutlich den Duft verschiedener Wildkräuter und saftiger Wiesen riechen. Irrte ich mich, oder war da auch eine Note Wald in der Brise?

Ich verscheuchte diesen Gedanken. Wenn das das versprochene Heim für all diese Katzen war, hätten wir beide uns die Reise auch sparen können.

„Wir müssen nur noch über diesen Donnerweg“, berichtete mir Nacht, eine schwarze Kätzin, die wir zur Erkundung ausgesandt haben. „Dem Duft nach scheint es dort genug Beute für uns alle zu geben.“

Mit lief das Wasser im Maul zusammen. „Danke, Nacht.“ An alle gewandt sagte ich: „Wir müssen noch über diesen Donnerweg, dann kommen wir auf einige Wiesen, wo wir uns erst einmal erholen können.“

„Ist da unsere neue Heimat?“, fragte Mücke, eine graue Kätzin, mit hoffnungsvollem Blick.

„Natürlich nicht!“, miaute Nacht, als hätte sie es mit einem nervenden Jungen zu tun. „Dafür würden wir uns den ganzen Aufwand nicht machen.“

„Es ist ein vorläufiger Rastplatz!“, fügte ich hinzu. „Wie weit wir noch reisen müssen, weiß ich nicht. Jetzt müssen wir erst einmal hier herüber. Derselbe Ablauf wie vorhin.“

„Weil es da so gut geklappt hat“, knurrte Klaue, als er an mir vorbei stolzierte. Ich spürte, wie sich meine Krallen in den Boden gruben und sich mein Nackenfell vor Ärger sträubte.

„Lass ihn reden!“, miaute Kastanienpfote mir beruhigend zu. „Glaube mir, ein paar Sonnenhochs noch, und er wird uns klein wie ein Junges hinterher trotten.“

„Wenn ich ihm bis dahin nicht auch sein anderes Auge verschönert habe!“, knurrte ich leise. Ich ahnte, dass der ruppige Kater auf seine Narbe nicht gut zu sprechen sein wird.

„Lass mir den Rest von ihm übrig“, scherzte Kastanienpfote mit einem Schwanzschnippen. Auch die Überquerung dieses Donnerweges verlief reibungslos.

Sternenträume

„…und daraufhin meldete sich der Schüler freiwillig, um die gefangenen Jungen aus der Höhle des Dachses zurück zu holen.“

„Ein Schüler?“, fragt Kastanienjunges mit großen Augen. „Aber das ist doch viel zu gefährlich!“

„Doch nicht für einen TigerClan-Schüler“, weise ich ihn darauf hin.

„Dein Bruder hat Recht. Auch ein Tiger muss trainieren, bevor er zum Krieger wird.“

„Jetzt hört doch mal auf, dazwischen zu reden!“, mault Laubjunges und nickt dem Ältesten zu. „Erzähle bitte weiter Ahornschweif.“

„Aber natürlich…“ Der schwarze Kater stockt. „Wo war ich…?“

„Der Schüler hat sich freiwillig zu der Mission gemeldet“, erinnere ich ihn.

„Ach, ja“, Ahornschweif wird von einem heftigen Husten unterbrochen. „Also, der Schüler ging also zu dem Dachsbau. Er musste die Jungen herausholen, bevor der Dachs zurückkehrte. Mutig trat er hinein, als mit einem Mal…“

Ahornschweif stockt, er blickt in die Ferne und keucht. „Der Dachs! Er ist hier! In der Nähe!“

 

Mit einem erstickten Keuchen kam ich hoch. Ich konnte mich zwar nicht mehr genau an den Ausgang der Geschichte des längst im SternenClan jagenden Ältesten erinnern, doch mir war klar, dass der Dachs in einer Höhle wohnte und nicht im Lager. Oder in der Talsenke, in der wir gerastet sind. Ich stieß meinen Bruder an.

„Kastanienpfote!“

Mit einem Keuchen fuhr er hoch. „Ahornschweif! Dachs! Hier!“

„Psst!“, zischte ich. Kastanienpfote sah mir in die Augen. Er hatte den gleichen Traum.

„Wir müssen die anderen warnen!“

„Nicht bevor wir uns nicht sicher sind!“, beruhigte ich ihn. „Oder wie willst du ihnen erklären, dass wir anhand eines Traumes erfahren haben, dass hier ein Dachs lebt?“

Kastanienpfote gab nach und nickte. Wir standen leise auf, um die anderen nicht zu wecken.

„Wo sollte sich hier ein Dachs verstecken?“ Ich sah über die vom Mondschein erhellten, nächtlichen Wiesen.

„Da drüben!“, miaute Kastanienpfote und nickte in Richtung des kleinen Waldes, den man eher als Ansammlung einiger Bäume bezeichnen konnte. Ich prüfte den Wind er stand günstig in unsere Richtung.

„Also los!“ Auf leisen Pfoten bewegten wir uns hinüber zu den Bäumen.

 

„Ich rieche etwas!“, flüsterte Kastanienpfote. Ich schloss die Augen und schnupperte.

„Dachs. Mit Milchgeruch.“

„Eine Dächsin mit Jungen“, erwiderte Kastanienpfote. „Ich bin zwar noch nie einer begegnet, aber die Krieger erzählten immer, dass die mordsgefährlich sind.“

„Wir sollten den anderen sagen, dass sie ja nicht in die Nähe des Waldes kommen sollen!“, schlug ich vor.

„Wenn sie um diese Zeit noch wach sind“, fügte Kastanienpfote hinzu, als er den Rückweg einschlug.

„Gibt’s Probleme?“, murmelte Punkt zur Begrüßung, der sich freiwillig zur Nachtwache gemeldet hatte. Überhaupt meldete er sich für viele Dinge freiwillig.

„Eine Dächsin lebt in dem Wald dort“, miaute Kastanienpfote und deutete mit der Schwanzspitze in die Richtung. „Allem Anschein nach hat sie Junge, also kommt ihr nicht zu nahe.“

„Ich gebe es weiter. Gute Nacht.“

„Gute Nacht, Punkt“, miaute ich, als wir an ihm vorbei zu unserem Schlafplätzen gingen.

„Diese Träume können doch nichts anderes, als eine Warnung sein!“, zischte mir Kastanienpfote zu. „Hellpfote als Eindringlich. Der Angriff der Hunde unmittelbar nach dem Spiel mit Eulenauge. Immer gehen die Träume in eine andere Richtung als es wirklich war.“

Müde legte ich mich in das weiche Gras. „Gut, dass wir so darauf vorbereitet werden.“ Ich blickte zum Himmel. Das Silbervlies war wegen des hell scheinenden Mondes kaum zu sehen. Nur einzelne SternenClan-Krieger blickten zu uns herab.

Laubjunges, wenn du mich verstehst, dann hilf uns auf dieser Reise. Alleine schaffen wir das nicht.

Vogelspuren

„Ich habe euch etwas Beute mitgebracht.“

Wir waren nicht minder überrascht, als Fang eine Amsel und eine Maus vor uns fallen ließ, als wir gerade aus unserem Schlaf erwachten.

„Danke“, brachte ich nach einigem Stutzen heraus.

„Wofür die Ehre?“ Mit einem Klaps mit dem Schwanz signalisierte ich Kastanienpfote, dass dieser Einwand nicht sehr passend war.

Für einen Augenblick stand Fang mit offenem Mund da, dann senkte sie verlegen den Kopf und setzte sich. „Ich muss mit euch reden.“

So hatte auch Hellpfote angefangen.

„Rede ruhig“, miaute ich, bevor ich die ersten Bissen herunter schluckte. Wie hatte ich nur so lange ohne Frischbeute aushalten können?

„Ich glaube, ich muss mich bei euch entschuldigen.“

Das hörte sich schon einmal gut an. Ich hielt in meiner Mahlzeit inne und setzte mich auf.

„Eigentlich sollten wir uns alle entschuldigen. Und zwar bei euren Clans.“

„Wir werden deine Reuegefühle übermitteln“, versprach ich ihr. „Obwohl ich nicht garantieren kann, wie sie ankommen.“ Wenn sie überhaupt ankommen, fügte ich in Gedanken hinzu.

„Seit…“ Fang zögerte. „Seit diese leuchtenden Katzen, die Sternen-Katzen oder wie ihr sie nennt, erschienen sind, habe ich das Gefühl, dass ich mein ganzes bisheriges Leben regelrecht verschleudert habe.“ Fang setzte sich. „Als hätte ich bisher nur ein Schattendasein geführt.“

Ich blickte auf die schlafenden Katzen um uns herum. „Ich denke, so geht es vielen hier.“

„Aber nicht genauso wie mir.“ Fang mit einem Mal so niedergeschlagen zu sehen, versetzte mir einen scharfen Stich im Herzen. „Bis…bis vor wenigen Tagen waren eure Clans für mich nur ein Haufen Verrückter, die uns im Wege standen. Ein paar schwachsinnige Katzen, die sich gegenseitig bekämpften und sich nach irgendwelchen Sternen richteten. Wir waren fest davon überzeugt, dass wir im Wald die besseren Herrscher sein würden.“

So etwas Ähnliches hatte uns Hellpfote auch gebeichtet. Ich ertappte mich bei der Sorge, dass uns in den nächsten Tagen nacheinander alle anwesenden Katzen mit ihren Schuldgefühlen zudröhnen würden. Das war doch unwichtig! Wenn sie etwas sagen wollten, dann sollten sie so schnell wie möglich raus mit der Sprache!

Ich bemerkte, wie Fang mich ansah. „Als du…dich so zwischen den Hund und mich geworfen hast…obwohl du…obwohl ihr beide allen Grund habt, mir Schwarzen Husten an den Hals zu wünschen…da wurde mir mit einem Schlag klar, dass ihr wirklich mehr seid als verweichlichte und verträumte Waldkätzchen. Ich…ich habe bisher immer auf euch herab gesehen, obwohl ich euch nicht einmal richtig kannte…was ich wohl auch niemals schaffen werde. Aber…der Kampf…es war das Erste in meinem Leben, was mich ehrlich tief berührt hat. Wie ihr euch diesen Biestern entgegen geworfen habt. Das war…“ Ihr schienen die Worte zu fehlen.

„Ich glaube, jetzt habe ich ein wenig verstanden, warum das Kriegersein für euch so wichtig ist.“

Mit einem Mal wurde mir warm ums Herz. „Du bist wirklich eine andere Katze geworden“, konnte ich Fang nur zustimmen. Sie blinzelte verlegen. „Das habe ich unter anderem euch beiden zu verdanken.“ Schlagartig wechselte sie das Thema. „Ich hab gehört, dort drüben treibt sich eine Dächsin mit Jungen herum?“ Sie nickte mit dem Kopf in Richtung Bäume.

„Wir hoffen, dass sie sich in ihren Bau verkriecht, bis wir weg sind!“, bestätigte Kastanienpfote. „Dachse sind keine angenehmen Zeitgenossen.“

„Ich habe bisher nur von ihnen gehört“, räumte Fang ein.

„Da kannst du dich glücklich schätzen“, sagte Kastanienpfote. Ich musste daran denken, wie wir auf unserer Flucht in die Berge ebenfalls über einige Dachse gestolpert sind. Eschenpfote, damals noch das weggelaufene Hauskätzchen Sonko, hatte uns allerdings in Sicherheit gebracht bevor sie uns gefährlich werden konnten. Unsere Freunde waren damals noch Schüler gewesen, sind aber heil aus der Klemme heraus gekommen. Wir hatten die Tiere zwar nicht gesehen, uns aber genau ihren Geruch eingeprägt, da wir wussten, wie gefährlich die Biester sein konnten.

„Ich…“ Fang schien erneut um Worte verlegen zu sein. „Eine gute Nacht noch.“ Damit schlich sie zurück an ihren Platz.

„Wer kommt wohl als Nächstes?“, wagte ich zu behaupten. „Klaue?“

„Nur, wenn wir ihn im Gegenzug wieder mit nach Hause nehmen und bis zu seinem Lebensende durchfüttern, ohne dass er eine Pfote rühren muss“, bemerkte Kastanienpfote gähnend. Kurz darauf waren wir beide in einem tiefen Schlaf versunken.

 

Ich springe hoch in die Luft und grabe meine Zähne in den Vogel.

„Sehr gut, Schneejunges“, lobt mich Erdwurzel. „Du hättest ihn bestimmt auch gefangen, wenn es ein lebendiger Vogel wäre.“

„Ihr solltet nicht mit der Frischbeute spielen!“, tadelt uns stattdessen Eibenschweif, die vorbei kommt. „Diese Amsel ist gestorben, um euch zu ernähren und nicht, um als Spielzeug zu enden!“

Ihre strengen Worte graben sich wie Krallen in meine Brust.

„Sie meinen es nicht so, Eibenschweif“, miaut Erdwurzel beruhigend. „Schneejunges wollte nur ausprobieren, wie es ist, seine Beute zu fangen, bevor man sie verspeisen kann.“ Dankbar sehe ich zu meiner Mutter, dann zu Eibenschweif.

„Ich teile auch mit meinem Clan“, nuschele ich durch die Federn und tapse in die Kinderstube. „Und wenn es meine Brüder sind!“, füge ich leiser hinzu.

Hektisch reist mir Kastanienjunges die Frischbeute aus den Fängen. „Wenn wir Krieger sind, bringen wir dir als letztes die Beute.“

Ich verdrehe die Augen. „Wenn ihr Krieger seid, fange ich meine Beute schon längst selbst! Aber nach der Beute für die Ältesten.“

Laubjunges’ Stimme ist trotz der Federn klar und deutlich zu verstehen: „Folgt dem Flug der Vögel, und ihr werdet schnell zu eurem Ziel kommen.“

Die Drossel erwachte mit einem Mal wieder zum Leben und flatterte unverletzt aus dem Bau, ohne dass eine Katze sie fangen konnte.

 

Folgt dem Flug der Vögel.

Ich schlug die Augen auf. Kastanienpfote war längst wach und sah zum Himmel. Ein Schwarm von Vögeln, die ich auf die Entfernung nicht benennen konnte, flatterte in den Sonnenaufgang.

„Sie fliegen weiter über die Wiesen“, murmelte Kastanienpfote. „Ich hätte nicht gedacht, dass es dort Wälder gibt.“

Ich trat an seine Seite. „Dann lass sie uns entdecken.“

Gemeinschaft

Wir haben uns entschieden, noch einige Tage in der Talsenke zu bleiben, bis wir uns alle für die bevorstehende Reise gestärkt haben. Mir entging nicht, wie sich die Katzen immer mehr veränderten. Sie fingen an, ihre Beute zu teilen wie Krieger, wenn sie auch immer den ersten Fang für sich selbst beanspruchten, brachten sich gegenseitig Kampf- und Jagdtechniken bei und stellten die Nachtwachen schon selbstständig auf. Am Tag der Abreise gab es weitaus weniger Beschwerden bezüglich unserer Anführerrolle. Sie schienen uns immer mehr zu vertrauen. Ich bemerkte auch, wie Hellpfote einigen der Katzen immer wieder Hinweise über Heilkräuter gab. Sie fingen an, sich wie ein Clan zu benehmen.

Nur wenige hatten während der Reise kein einziges Wort mit uns gewechselt, außer, um sich darüber zu beschweren, wie sinnlos dieses ganze Unternehmen doch sei. Wir ignorierten diese Nörgler. Früher oder Später würden auch sie sich einreihen.

Erneut dachte ich darüber nach, wie es weitergehen sollte, wenn sie zu dem Wald gekommen waren. Diese Katzen brauchten eine gute Organisation und Regeln, damit sie Anderen keine Schwierigkeiten bereiteten. Außerdem mussten einige von ihnen streng im Zaum gehalten werden. Klaue hatte zwar bisher nur indirekt Ärger gemacht, dennoch traute ich ihm gut zu, dass er sich in ihrer neuen Heimat erneut als Anführer aufschwingen würde. Irgendwie mussten wir dafür sorgen, dass sie jemanden bekamen, der ihre Tätigkeiten überwachte, ähnlich wie ein Zweiter Anführer im Clan. Wenn sie es schafften, einen Platz zu finden, wäre alles viel einfacher.

Die Gedanken beschäftigten mich den ganzen Weg über. Mir war nicht entgangen, dass viele dieser Katzen ein großes Potenzial hatten, auch wenn sie es bisher nur für falsche Zwecke verwendet hatten. Doch sie hielten zusammen wie eine Familie. Warum sollte man das nicht ein wenig ausweitern?

Als wir einen großen Teil der Wanderung hinter uns gelassen hatten und wir nicht gestört wurden, wandte ich mich damit an Kastanienpfote.

„Glaubst du, sie könnten in ihrem neuen Wald einen Clan bilden?“

Die Reaktion in seinem Blick hatte ich erwartet. Zuerst starrte er mich an, als hätte ich ihm von einer Schar fliegender Igel erzählt, große Verblüffung schwamm mit in dem Blick. Doch schnell ging dieses Unglauben in Nachdenklichkeit über. Er unterbrach den Blickkontakt und sah zu unseren Schützlingen herüber.

„Ich weiß nicht so recht. Sie wissen alle, was Clan-Leben bedeutet. Jedenfalls theoretisch. Aber ob sie alle die praktische Erfahrung mitmachen würden? Vom Gesetz der Krieger ganz zu schweigen…“

„Es muss ja auch nicht ein Clan wie Unser sein“, warf ich ein. „Ich dachte eher…an eine Organisation, damit sie nicht wieder außer Kontrolle geraten. Damit sie…einen Platz in ihrem Leben haben, wissen, wo sie hingehören.“

Er verstand, was ich meinte. „Sie müssen ihre eigene Politik finden, ich glaube nicht, dass es richtig ist, ihnen unsere Lebensweise aufzuzwingen.“

„Das schaffen sie nicht allein“, murmelte ich. „Aber wie sollen wir sie dabei unterstützen?“

Kastanienpfotes linkes Ohr zuckte, das tat er oft, wenn er nachdachte.

„Erinnerst du dich noch an Himmels Geschichten? Über den Stamm der spitzen Steine. Diese Katzen waren auch glücklich und hatten einen Platz in ihrem Leben. So etwas Ähnliches müssen wir auch entwerfen.“

„Das sollten wir in diesem Wald tun. Der SternenClan allein weiß, was dort für Herausforderungen auf sie lauern. Und außerdem finde ich, sie sollten mitbestimmen dürfen, wie sie leben wollen.“

Zustimmend nickte er. „Wenn wir diesen Wald erreichen…“

Ich hörte sogleich die Sorge in seiner Stimme. „Was hast du? Wieder ein Traum?“

Kastanienpfote verneinte. „Es ist eher…ein Gefühl. Schon seitdem wir aufgebrochen sind.“ Er sah in Richtung Sonnenuntergang, wo irgendwo unser Ziel lag. „Etwas wird Geschehen, kurz bevor wir unser Ziel erreichen. Ob es sich zum Guten oder zum Schlechten wenden wird, muss die Zukunft zeigen.“

Der Abstieg

„Und ihr beide seid euch sicher, dass wir da rüber müssen?“, schrie Punkt gegen das Getöse der Wassermassen an.

„Absolut!“, entgegnete Kastanienpfote ebenso laut. „Gibt es in der Nähe keine Furt? Steine? Eine Zweibeinerbrücke?“

„Wir haben alles abgesucht!“, meldete sich Mücke und schüttelte dicke Wassertropfen aus ihrem grauen Fell. „Nichts.“ Der Fluss vor uns war mindestens dreimal so breit wie der Fluss, der die Territorien der Clans trennte. Das schäumende Wasser toste mit einer Wucht durch das Flussbett, die jede Katze unweigerlich mit sich ziehen würde. Die Kaskaden ließen hervor ragende Steine unter der Wasseroberfläche vermuten, an der ein Katzenkörper leicht zerschellen konnte.

„Was schlagt ihr vor, sollen wir tun?“, fragte eine Katze irgendwo aus den Reihen. Hilflos sah ich zu Kastanienpfote.

„Es hat bestimmt etwas mit der Schneeschmelze zu tun. In der Blattfrische führt auch unser Fluss mehr Wasser als gewöhnlich. Nach ein paar Tagen hat das aber nachgelassen.“

„Ich glaube nicht, dass der Vorschlag, ein paar Tage zu warten, auf allzu große Begeisterung stößt.“

„Ich werde ganz sicher nicht schwimmen.“

Ich sah wieder auf den Fluss, bemerkte ein herumtreibendes Stück Holz. Es müsste doch möglich sein…

„Kastanienpfote, du bist genial!“

Erschrocken sah er mich an. „Du willst doch nicht ins Wasser…“

„Natürlich nicht, Mäusehirn. Aber das mit dem Schwimmen war gar keine so schlechte Idee.“

 

„Und das soll funktionieren?“, wandte Baum, ein stämmiger Kater mit dunklem Fell ein, als ich den Vorschlag unterbreitete.

„Wir werden uns natürlich eine andere Stelle suchen, an der das Wasser etwas flacher ist. Nacht hat da schon etwas entdeckt.“

Auf mein Zeichen hin trat die schwarze Kätzin hervor. „Es gibt in der Nähe einen Wasserfall. Am Fuß dieses Wasserfalls wird sich das Wasser aufstauen und weniger schnell fließen. Da könnten wir ganz leicht hinüber.“

„Aber auch ganz leicht ertrinken.“

Ich versuchte ruhig zu bleiben und alle Schärfe aus meiner Stimme zu nehmen, als ich auf Klaues Bemerkung einging. „Wenn andere Vorschläge vorhanden sind, werden wir diese gerne aufnehmen.“

Funke, eine weiße Kätzin mit roten Sprenkeln auf dem Rücken, meldete sich zu Wort. „Ich finde, wir sollten uns diese Furt zuerst gemeinsam ansehen, bevor wir etwas entscheiden.“

Zögerliches Murmeln erklang, was aber einen durchaus zustimmenden Klang beinhaltete.

„Dann werden wir hingehen“, entschied Kastanienpfote. „Nacht, zeige uns bitte die Stelle hinter dem Wasserfall.“

Nacht nickte und übernahm die Führung.

 

Der Wasserfall rauschte gut dreißig Fuchslängen in die Tiefe. Selbst mit großem Abstand spürte ich noch Gischttropfen auf meinem Pelz. Durch die Wolke aus Wassertropfen konnte ich deutlich den tiefblauen See erkennen, der in einem schmaleren Verlauf weiter durch das hügelige Gelände schlängelte. Da unten würden wir mit Leichtigkeit das Hindernis überqueren können. Aber der Abstieg schien gefährlich steil.

„Dort drüben scheint ein Weg hinab zu führen.“ Kastanienpfote deutete mit dem Schwanz in die angegebene Richtung.

„Der sieht riskant schmal aus“, gab Fang zu Bedenken.

„Aber Katzen können dort bestimmt gut herunter klettern. Der Untergrund ist nicht allzu glatt.“

„Wir sollten es versuchen“, pflichtete ich meinem Bruder bei. „Ich gehe vor.“

 

Der Weg gestaltete sich als schwieriger, als ich gedacht hatte. Die Steine waren rau und schürften schmerzhaft meine Ballen auf. Um die Felsen wehte ein scharfer, pfeifender, eisig kalter Wind, der mich bis auf die Knochen frösteln und zittern ließ. Ich konnte die Augen nur einen Spalt breit öffnen und tastete mich stückweise vorwärts. Meine Flanke streifte über den rauen Stein der Felswand und fing schon nach wenigen Schritten an, unangenehm zu rucken. Mit jedem Schritt krallte ich mich in dem Stein fest, stehst des gähnenden Abgrunds neben mir bewusst, den ich mit jedem Pfotenschritt spüren konnte.

„Vor uns liegen Steine im Weg. Sagt das den anderen weiter!“, befahl ich den Katzen hinter mir. Ich hörte ihr Fell rascheln, als sie nickten, konnte jedoch nicht den Kopf drehen, um sie anzusehen. Zögernd tastete ich mich mit den Vorderpfoten auf den Stein vor mir. Den Bauch fest an den holprigen Untergrund gepresst, robbte ich vorwärts.

„Hier ist eine Spalte, bleibt nicht stecken!“

Flüsternd gaben meine Nachfolger den Hinweis weiter, während ich zufrieden feststellte, dass der Weg nicht nur flacher, sondern auch breiter wurde. Auch hinter mir hörte ich jemanden aufatmen.

Ich wagte es, den Schritt ein wenig zu beschleunigen. Es ging seicht, aber stetig bergab. Der Luftdruck auf meinen Ohren ließ kaum merklich nach. Auch der eisige Wind ließ nach, obwohl mir immer noch das unheimliche Heulen in den Ohren klang.

„Wir gehen auf eine Felsspalte zu, ungefähr fünf Mauslängen breit. Steigt vorsichtig hinüber.“

Ich überquerte das Hindernis und setzte den Weg fort, nicht ohne währenddessen zu kontrollieren, ob auch alle über die Spalte kamen. Als mein Blickfeld dazu nicht mehr ausreichte, kontrollierte ich wieder den Weg, der uns bevorstand.

„Der Weg fällt ab, haltet euch gut fest.“

Ich hörte, wie einige Katzen ins Rutschen kamen, als sie die Senkung erreichten. Ich stemmte mich mit den Vorderpfoten gegen den Abhang. Den Grund konnte ich schon sehen.

„Es ist nicht mehr weit“, wollte ich die anderen beruhigen, doch ein schrilles Miauen schnitt mir die Worte ab.

Nicht mehr die Alten

Ich reagierte ohne nachzudenken.

Unter mir erstreckten sich noch mindestens zehn Katzenlängen Tiefe, von den spitzen Felsen, die einen Sprung unmöglich machten, ganz zu schweigen. Die Felswand war rau und sah wenig stabil aus. Der gescheckte Kater, der den Halt verloren hatte, versuchte vergeblich, ich im Fels festzuhalten, seine Krallen hinterließen lang gezogene Furchen, während er Mauslänge für Mauslänge herab rutschte. Endlich schaffte er es, Halt zu finden. Doch ohne Hilfe würde er von dort nicht wieder loskommen.

„Halte dich fest!“, befahl ich ihm, während die anderen erschrocken auf ihrer Position verharrten. Meine Krallen fest in den Fels hakend, glitt ich an der steilen Wand zu dem Hilfsbedürftigen herab.

Die Stille, die unter den anderen Katzen angesichts meiner waghalsigen Aktion und der Gefahr herrschte, war geradezu greifbar. Ich zwang mich, ruhig zu bleiben und nicht an die scharfen Felsen unter mir zu denken.

Der pfeifende Atem des verzweifelten Katers hallte in meinen Ohren wieder, als ich ihn erreichte.

„Beruhige dich. Nein, nicht den Kopf drehen! Bleib gerade an die Felswand gepresst!“

Zitternd kam er meinen Anweisungen nach. Erst allmählich beruhigte sich sein pfeifender Atem. Sein Blick suchte hektisch nach mir.

„Siehst du diese Vorsprünge?“ Ich deutete mit einem Nicken auf die zahlreichen Scharten und Spalten über uns im Fels. „Mache se wie ich. Suche dir eine passende Stelle!“

Ich bemerkte, wie er einen kleineren Vorsprung in Augenschein nahm.

„Sehr gut. Verlagere nun dein Gewicht auf drei Pfoten und greife mit der Vierten vorsichtig dorthin.“

Er blinzelte mehrmals, schien seinen Mut zu sammeln, bevor er es wagte, zögerlich eine Vorderpfote auszustrecken. Angstgeruch stieg in Wolken um den Kater auf, dennoch fand er gleich darauf ohne meine Hilfe auch mit einer Hinterpfote Halt. Stück für Stück zog er sich hoch.

Ich folgte ihm In den Bergen sind wir um das Klettern nicht herum gekommen. In den wenigen Monden dort oben hatte ich gelernt, eine Felswand blind zu erklimmen, ohne ein besonderes Training zu absolvieren. Ich konnte schon vor meiner Ernennung zur Schülerin die steilsten Hindernisse erklimmen, ohne auf einen spitzen Stein zu treten. Nun war meine Chance gekommen, um mich als Mentorin im Klettern zu beweisen.

„Halte deinen Bauch dicht an den Fels gedrückt. Schau nicht nach unten. Ziehe dich weiter nach oben. Taste mit Pfoten und Schnurrhaaren. Gleich hast du es geschafft.“

Eine andere Katze zog ihn und mich am Nachenfell auf den Vorsprung, sobald wir in Reichweite gekommen waren. Der Kater stand anscheinend immer noch unter Schock, sein schildpattfarbenes Fell stand zu allen Seiten ab, er keuchte und sah mich aus runden, bernsteinfarbenen Augen an. Immer noch brachte er kein Wort heraus.

„Geht weiter! Langsam und vorsichtig!“, rief ich zu den Katzen am Anfang. Während sich die Karawane langsam vorwärts bewegte, ermutigte ich auch meinen Schützling, wieder aufzustehen.

„Ich bin direkt hinter dir. Vertrau mir, du bist sicher. Gehe langsam weiter. Gleich haben wir den Fluss erreicht.“

 

„Danke“, brachte der Schildpattkater heiser hervor, als wir endlich wieder die Pfoten auf festen Untergrund setzen konnten.

„Keine Ursache“, miaute ich. „Ich konnte dich schließlich nicht fassen lassen.“

„Das ist nicht wahr!“ Die Antwort überraschte mich. Mit schief gelegtem Kopf sah ich ihn an. Sein Blick war verlegen zu Boden gerichtet. „Du…du hast dein leben riskiert. Für mich! Einen Streuner! Nach allem, was geschehen ist. Du hättest mich fassen lassen können. Ich hätte es dir nicht einmal übel nehmen können. Warum auch?“

Die Worte waren aufrichtig, schuldbewusst und aus tiefster Seele gesprochen worden. Sie trafen mich bis ins Mark. Auch die anderen hörten uns aufmerksam zu.

„Du bist kein…Streuner mehr! Ihr alle nicht!“ Das richtete ich an die Unstehenden. „Ihr seid nicht mehr dieselben Katzen. Ich kann das spüren.“

Stille herrschte, als diese Worte aus meinem Mund kamen. Einige der Katzen sahen mich an, einige scharrten verlegen mit den Pfoten im Boden. Aber alle spürten die Aufrichtigkeit meiner Worte.

Die Stille wurde unterbrochen, als Hellpfote sich neben mich drängte und den Kater beschnupperte.

„Könnte es hier Thymian geben?“

„Auf diesem Gelände wohl kaum“, meinte ich mit Blick auf die steinige Landschaft. „Wofür?“

„Gegen den Schock.“

Der Kater blinzelte kurz verwirrt. Viel mit Heilkräutern hatten sie wohl nie zu tun gehabt.

„Ich…ich denke, ich werde das schon schaffen. Bis wir…Thymian finden.“

„Wir sollten trotzdem eine Rast einlegen“, meinte die graue Kätzin. „Wir sind alle erschöpft.“

Ein Teil von ihr ist immer noch eine Heilerin, dachte ich. „Wir bleiben bis wir uns ausgeruht haben“, stimmte ich ihr zu.

Würde diese Heilerin in ihr noch hervor kommen? Und was würde dann aus Hellpfote werden?

Eine rätselhafte Warnung

„Ich kann es kaum erwarten, endlich ein Schüler zu werden!“

Mit einem heftigen Nicken stimme ich Kastanienjunges zu.

„Wir sind erst drei Monde alt!“, miaut Laubjunges und bearbeitet das Moospolster mit den Krallen. „Wir müssen noch einmal unsere bisherige Lebenszeit abwarten. Das ist zu lange!“

„Heute ist die Große Versammlung“, sage ich mit einem Blick auf den orangefarbenen Sonnenuntergang. „Ob der BlattClan uns wieder irgendetwas anschuldigen wird?“

„Scharfe Zähne ruhen nicht“, murmelt Laubjunges. Als er die Augen schließt, schlage ich meine auf.

 

Kastanienpfote schüttelte sich, wie um eine Fliege loszuwerden. „Was hat das zu bedeuten?“, miaute er unruhig.

Scharfe Zähne ruhen nicht.

Sollte uns diese Botschaft irgendetwas mitteilen?

Scharfe Zähne ruhen nicht.

Mit einem Mal vermisste ich schmerzlich unsere Eltern und den Rest des Clans. Dornenblatt hätte uns als Heiler sicher damit weiterhelfen können.

Es war noch tief in der Nacht. Die anderen schlummerten ruhig. Mit kribbelnden Pfoten dachte ich an den Hundeangriff und die Dachsspuren zurück. Jede von Laubjunges’ Warnungen hatte sich bewahrheitet. Aber keine von ihnen war bisher so in Rätseln gesprochen worden.

Scharfe Zähne ruhen nicht.

„Wir sollten uns noch ein wenig Schlaf gönnen“, rief mir Kastanienpfote. „Vielleicht erfahren wir dann mehr.“

Ich legte mich neben ihn, aber Schlaf fand ich in dieser Nacht nicht mehr viel.

 

Der Flusslauf hatte an Wasser zugenommen. Es hatten sich nahezu reißende Strömungen hinter dem Wasserfall entwickelt, wodurch wir gezwungen waren, auf der Suche nach einer geeigneten Überquerungsmöglichkeit weiter zu ziehen. Der ständige Nieselregen, der mein Fell mit einem ganzen See zu tränken schien und die rauen Steine rutschig werden ließ, machte dies nicht gerade einfacher. Ein geeigneter Unterschlupf war noch nicht in Sicht. Mit mulmigem Gefühl sah ich zu dem immer breiter werdenden Wasserbett.

„Wir sollten uns möglichst schnell einen Unterschlupf suchen!“, sagte ich, mein Fell schüttelnd. „Sonst haben morgen alle Katzen Grünen Husten.“

„Was meinst du, wonach ich die ganze Zeit Ausschau halte.“

Der Schauer schien für einige Zeit nachgelassen zu haben. Ich sah zum Himmel. Noch immer fielen vereinzelte Tropfen aus grauen Wolken herab. Niemanden schien das wirklich zu stören, dennoch konnte ich das stetig steigende Unbehagen spüren. Es war ein ziemlich warmer Blattfrischetag gewesen. Ein Gewitter wäre eine nicht zu Verachtende Gefahr für uns alle. Doch irgendwo hinter diesen grauen Steinhängen mit dem dunklen Gras lauerte noch etwas. Gefahr.

Der Untergrund wurde matschiger, was bedeutete, dass die Steinlandschaft bald weichen würde. Immer wieder sah ich Vögel, die über den Fluss in Richtung Sonnenuntergang reisten. Doch um diesen zu überqueren, war es immer noch zu riskant.

Ein unerwartetes Geräusch ließ mich zusammen fahren. Auch andere um mich herum hat der Stein, der mit lautem Klacken den Steilhang hinunter rollte erschreckt. Mehrere Köpfe wandten sich sofort in die Richtung, aus der das Geräusch kam. Man sah nur zerklüftete Berghänge. Der Wind pfiff um den Stein, aber etwas sagte mir, dass er nicht dafür verantwortlich war.

„Was war das?“, hauchte Kastanienpfote neben mir. Ich konnte sein Unbehagen mit einem Kribbeln in meinem Fell spüren.

„Ich habe keine Ahnung.“

Einen Moment sahen wir noch nach oben, als sich jedoch hinter den Felsen nur weitere dunkle Wolken zeigten, wandten wir uns nacheinander wieder um und setzten den Weg fort. Die ganze Zeit über konnte ich das Gefühl, beobachtet zu werden, nicht abschütteln.

 

Tupf, der schildpattfarbene Kater, der gestern beinahe die Felswand herab gestürzt wäre, rutschte auf dem letzten Stein aus und wäre klatschend ins sprudelnde Wasser gefallen, hätte ich ihn nicht am Nackenfell festgehalten.

„Du solltest demnächst üben, dein Gleichgewicht zu halten“, riet ich ihm, als er triefend neben den anderen an Land kam. „Ich kann dich nicht immer hochziehen.“

Er wich meinem Blick aus. „Ich tue mein Bestes, Schneepfote.“

In kleinen Gruppen überquerten wir den Fluss bei einer Furt voller Trittsteine. Obwohl das Wasser hier flach war und man auf den heraus ragenden Steinen guten Halt finden konnte, Kamen wir alle mit triefendem Fell am anderen Ufer an. Ich spürte, dass wir alle müde und hungrig waren. Hinter uns erstreckte sich ein hügeliges Grasland, das in mir schmerzliche Erinnerungen an die Steppe weckte. Obwohl ich dort nicht viel Zeit in meinem bisherigen Leben verbracht hatte, sehnte ich mich doch sehr in meine alte Heimat zurück.

Mücke kam als Nächte an Ufer und schüttelte heftig ihr Fell, sodass sie mich mit einem Schwall von Wassertropfen übersprühte. „Deswegen wurden Katzen ohne Flossen geboren“, hörte ich sie mürrisch knurren, als schon die Nächsten kamen. Nacheinander suchten sich alle Katzen einen Platz unter der Morgensonne in dem wogenden, saftigen Gras, um sich das Fell zu trocknen. Der Regen hatte nach einer Ewigkeit endlich nachgelassen, war aber noch in der Luft zu schmecken. Wir würden hier wohl einige Zeit bleiben, um zu Kräften zu kommen.

Ich versuchte, das Knurren in meinem Magen zu unterdrücken, als die letzten über den Fluss kamen. Kastanienpfote bildete die Nachhut.

„Ich habe schon einige Jagdpatrouillen eingeteilt. Jedenfalls hoffe ich, dass sie es so verstehen.“

Ich nickte. „Wir sollten auch ein wenig Jagen gehen“, murmelte ich während ich mich streckte. „Sonst schlafen meine Jagdinstinkte noch ein.“

Nachdem wir uns abgemeldet hatten liefen wir zusammen in das wogende, grüne Grasmeer.

 

Das Kanninnchen sah mich. Zu spät. Es drehte sich gerade zur Flucht um, als ich mich schon bis auf eine Katzenlänge genähert hatte. Es wollte einen Haken schlagen, doch ich sah die Richtung zuvor und war eher dort. Mit beiden Vorderpfoten drückte ich es zu Boden und tötete das Kanninnchen mit einem Biss.

„Guter Fang“, miaute Kastanienpfote anerkennend. Wir hatten bisher nicht viel mit Kanninnchen zu tun gehabt und diese Jagdtechniken aus Erzählungen von Kriegern, Schülern und Ältesten selbst zusammengestellt. Kastanienpfote hatte zuerst Erfolg gehabt. Dieses hier war mein erster Fang. Zwei Kanninnchen konnten mehrere Katzen satt machen.

„Hast du schon eine Lösung für Laubjunges’ Prophezeiung?“

Ich schüttelte den Kopf. „Daraus werde ich einfach nicht schlau.“ Ich ließ meinen Blick über das Gras schweifen. „Kann es sein, dass es doch nur ein normaler Traum war?“

„Den wir beide hatten? Ich kann mich außerdem beim besten Willen nicht an diese Worte erinnern.“

Scharfe Zähne ruhen nicht.

Automatisch schoss mir dieser Gedanke durch den Kopf, als der Wind drehte und mir dieser Geruch in die Nase stieg. Ich schloss die Augen und schnupperte. Ein eisiger Schauer fuhr mir durch den Pelz. Mir kam der Geruch bekannt vor. Und er war nicht gut.

„Was ist das?“, hauchte Kastanienpfote. „Ich kenne das, aber ich weiß nicht woher.“

Ich spürte, wie sich meine Nackenhaare aufrichteten. „Was auch immer es ist, es ist nicht gut. Ich habe keim gutes Gefühl bei der Sache.“

„Sollten wir die anderen warnen?“

„Nicht bevor wir nicht wissen, was los ist. Sie sind alle so müde, ich möchte sie nicht unnötig erschrecken.“

„Schneepfote!“ Die Augen meines Bruders weiteten sich, als sähe er etwas weit über den Horizont hinaus. „Dort drüben! Das ist doch…“

Scharfe Zähne

„Himmel?“

Ich kniff die Augen zusammen, um die Gestalt gegen das Licht besser zu erkennen.

Himmel unter der Morgenröte war die letzte Überlebende eines Katzenstammes gewesen, der Scharfzahn, einer riesigen, Löwenähnlichen Katze zum Opfer fiel. Sie hatte einige Zeit bei uns in den Bergen gelebt. Ich erinnerte mich an ihre Berichte über den Stamm der Spitzen Felsen und vor allem ihre Beziehung zum Stamm der Ewigen Jagd, was für die Stammeskatzen so etwas wie für uns der SternenClan war. Normalerweise wäre nur der Heiler und Anführer des Stammes in der Lage, mit ihnen zu kommunizieren, doch nachdem ihr Stamm starb, nahmen ihre Ahnen auch Kontakt zu Himmel auf. Als Scharfzahn dann uns angriff hatte Himmel sich ihm todesmutig entgegen geworfen. Sie, Scharfzahn und Silberstern wurden bei dem darauf folgenden Steinschlag getötet.

Kastanienpfote nickte. „Sie ist es.“

„Himmel?“, rief ich lauter. Die blaugraue Kätzin kam auf uns zu. Ein helles Licht leuchtete in ihren grünen Augen.

„Himmel! Wie…was ist los?“, brachte Kastanienpfote keuchend hervor.

„Ihr müsst fliehen.“ Ihre Stimme und die darin enthaltene Aufforderung trafen mich wie ein Schlag.

„Was ist passiert?“, hauchte ich.

Dann fügte sich alles zusammen.

Scharfe Zähne ruhen nicht, sagte Laubjunges in meinem Kopf.

Kastanienpfote hatte denselben Gedanken. „Aber…Scharfzahn ist tot.“

„Es gibt noch andere“, sagte Himmel mit klarer Stimme. „Diese Katzen sind Einzelläufer. Auf dem Weg in den Wald müsst ihr über dieses Grasland. Es grenzt an die Berge. Manchmal kommt der neue Scharfzahn in die Grasflächen herab. Ihr müsst aufpassen.“

Während sie sprach, verblasste die blaugraue Kätzin mit jedem Wort. Es blieb nur ein feiner Duft von ihr übrig, der sich sogleich im Wind verwehte.

„Daher kenne ich diesen Geruch!“ Ich wirbelte herum. „Ich muss zurück zu der Stelle, an der ich die Fährte gerochen habe. Gehe du und warne die anderen.“

„Das kommt gar nicht in Frage!“, widersprach Kastanienpfote. Sein Fell war gesträubt. „Wenn es einen weiteren Scharfzahn hier gibt, werden wir uns dieser Gefahr gemeinsam stellen.“

„Was, wenn die Gefahr uns alle einholt?“

Ich roch Katzen. Eine von Kastanienpfotes Jagdpatrouillen. Hellpfote war unter ihnen. Gut.

Gemeinsam liefen wir ihnen entgegen. Wie erwartet hatte Hellpfote hungerstillende Reisekräuter gesammelt, während die anderen Beute zwischen den Zähnen trugen.

„Ihr müsst sofort zurück.“

Irritiert sahen die Katzen mich an. Hellpfote legte ihre Kräuter ab. „Was ist los?“

„Scharfzahn ist hier!“

„Wer?“, nuschelte Funke mit zwei Wühlern im Maul.

Hellpfote schien sie zu überhören. „Aber…Scharfzahn ist…“

„DER Scharfzahn ist tot!“, berichtete Kastanienpfote. „Das muss ein anderer sein. Es muss mehr von der Sorte geben.“

„Geht sofort zurück. Hellpfote, erkläre den anderen, was das Problem ist. Wir werden das untersuchen.“

„Nein!“, widersprach die graue Kätzin laut. „Ihr…das ist…“

„Wir wissen, dass es gefährlich ist!“, unterbrach ich sie. „Deshalb gehen nur wir zwei geht jetzt.“

Hellpfote sah, dass sie nichts mehr würde sagen können. Mit einem Schwanzschnippen forderte sie die anderen auf, zurückzugehen. Wir machten kehrt.

 

„Hier war es!“ Ich schnupperte an der Stelle. Der Geruch war schal und von anderen Düften fast überdeckt. Doch diesmal erkannte ich Scharfzahn wieder. Kastanienpfote zuckte nervös mit der Schwanzspitze.

„Ist etwas?“

Sein Ohr zuckte. „Dieses Gefühl. Es ist wieder da. Als ob…etwas Unberechenbares im Anmarsch wäre.“

„Kein Wunder“, murmelte ich. „Wir haben die Spur einer Riesenkatze auf Beutejagd entdeckt.“

Zögernd nickte er. „Scharfe Zähne ruhen nicht.“

Ein Schauer lief mir über den Rücken. Dennoch folgten wir dem Geruch weiter. In eine Hochebene.

Löwenfährte

Zwischen den zerklüfteten Steinen kämpften die letzten Schneeflächen gegen die Sonnenstrahlen der Blattfrische an, ein Schneehase, dessen Fell sich allmählich braun verfärbte, ergriff bei unserem Anblick rasch die Flucht. Die ersten Blumen brachen an einigen Stellen durch die Steine.

„Der Geruch führt hier entlang!“ Kastanienpfote nickte in Richtung einer Anhöhe, über den der Wind pfiff. Der Anstieg war nicht einfach, da viele der Steine locker waren und unter unserem Gewicht nachgaben.

„Er muss dort drüben sein Lager haben!“, sagte ich mit einem Blick auf die hohen Felsen, die sich in der Ferne erhoben.

„Dann wissen wir jetzt, wo wir nicht hingehen dürfen“, stimmte mir Kastanienpfote zu. Er hielt inne, kniff misstrauisch die Augen zusammen und prüfte die Luft.

„Hast du etwas entdeckt?“

„Ich bin mir nicht sicher.“ Seine Ohrspitzen zuckten nervös.

Ich sog die Luft durch die Nase. Der schale Geruch von Scharfzahn. Pflanzen. Schale Gerüche bekannter Beutetiere.

„Du fühlst wieder etwas.“ Inzwischen hatte ich gelernt, Kastanienpfotes Gefühle zu erkennen, bevor er es selbst tat.

„Es ist mehr eine Ahnung. Eine dunkle Ahnung.“

Ich schloss die Augen und beugte mich zu ihm vor. Ein Kribbeln durchfuhr meine Schnurrhaare, als sie seine berührten.

Wir waren schon immer auf eine sensible Weise miteinander verknüpft. Wir konnten Unterhaltungen führen, in denen einer von uns kaum etwas sagte. Wir spürten, was der andere fühlte oder dachte. Zusammen waren wir so wie eine Katze. Meine Chance, Kastanienpfotes warnende Gefühle zu erkundigen, die ich wahrscheinlich auch tief in mir verborgen hielt.

Er war innerlich angespannt. Die Träume, Laubjunges’ Botschaften, unsere Aufgabe…all das ließ ihm keine Ruhe. Genau wie mir. Wir mussten einen Weg finden, diese Probleme zu filtern und die wichtigen Sorgen zu erkennen.

Ich spürte, wie eine Erkenntnis meinen Bruder durchzuckte, als er sich mit einem Mal versteifte und sich seine Augen erweiterten.

Ich wollte zu erst fragen, was mit ihm sein, als ich bemerkte, dass er gar nicht mich, sondern etwas hinter mir anstarrte. Ich wirbelte herum. Mein Unterkiefer klappte herunter.

Erhellt von den Flammen der Sonne stand eine riesige, leuchtend goldbraune Katze auf den Felsen. Die Mähne leuchtete wie Feuer.

Ein Löwe.

Ich hatte oft genug Geschichten über die großen Clans gehört, um eine der alten Katzen zu erkennen. Ein LöwenClan-Krieger, mutig und loyal. Einer der drei großen Clans, von denen immer in den höchsten Tönen geschwärmt wurde.

Nach einem Lidschlag war der Löwe verschwunden, doch seine Silhouette hatte sich in meine Netzhaut gebrannt.

„Was hat das zu bedeuten?“

„Scharfzahn!“, miaute Kastanienpfote. „Er sah einem Löwen ähnlich.“

„Sollen wir der Spur nun folgen, oder es lieber lassen?“

Ein Zucken seiner Ohren verriet mir seine Ratlosigkeit. Auch ich wusste mir nicht zu helfen. Wir verharrten noch einige Zeit an ein und derselben Stelle, dann folgten wir mit zögerlichen Schritten der Erscheinung des Löwen.

 

„Der Geruch hier ist stärker“, murmelte ich. Mein Fell sträubte sich, als ich mich an das Brüllen Scharfzahns erinnerte. Im Fels waren Rillen zu sehen.

„Er war hier. Aber mehr kann ich nicht erkennen.“

Kastanienpfote legte den Kopf schief. „Vielleicht sollten wir erst einmal zurückgehen und nach dem Rechten sehen, wenn noch etwas…“

Er stockte, als sich ein bedrohlich wirkender Schatten über uns warf. Der Geruch, der uns hierher geführt hatte, war deutlich wahrzunehmen.

Die Botschaft der Felsen

Mit gesträubtem Fell und ausgefahrenen Krallen fuhren wir gleichzeitig herum. Ich hatte Scharfzahn nie gesehen, aber die Erzählungen reichten, um einem einen Schauer über den Rücken zu jagen. Wenn noch so ein Wesen hier war, würde Kämpfen genauso wenig bringen wie sich tot zu stellen. Doch wir würden lieber im Kampf sterben, als wie Frischbeute zu enden.

Als ich nun sah, wer dort auf uns zukam, musste ich beinahe lachen.

Die beiden Katzen vor mir waren größer als wir, pummeliger und tapsiger. Ihr goldbraunes Fell war mit schwarzen Flecken gesprenkelt. Mit angelegten Ohren und großen Augen hatten sie sich in einem nahezu unsichtbaren Felsspalt versteckt.

Es waren Junge!

„Wir sollten hier schleunigst weg“, murmelte Kastanienpfote.

Ich nickte, während ich immer noch diese übergroßen Fellbälle inspizierte. Scharfzahn-Junge. Das bedeutete einerseits, dass sie uns kaum gefährlich werden konnten.

Anderseits hieß dies aber auch, dass sich hier in der Nähe eine Scharfzahn-Königin aufhielt, die wahrscheinlich auf der Jagd war und es nicht spaßig finden würde, wenn etwas ihren Jungen zu nahe kam.

Das größere der Junge fauchte uns auffordernd an, während sich das andere wieder in die Felsspalte zurückzog.

„Komm schon!“, zischte Kastanienpfote. „Ihre Mutter verarbeitet uns zu Krähenfraß, wenn sie uns hier findet!“

Mit einem Schlag war ich wieder wach.

„Natürlich, ich komme.“

Mit schnellen Schritten lief ich meinem Bruder hinterher. Wir schlugen den Weg zu einem Bergbach ein und wateten ein Stück flussaufwärts, um unsere Spuren zu verwischen. Ich konnte nur hoffen, dass Scharfzahn nicht hier in der Nähe war.

„Was war das?“, hörte ich Kastanienpfote miauen. „Der Löwe vorhin. Er hatte doch sicher eine Botschaft.“

„Du meinst, er sollte uns mehr sagen, als uns nur vor den Jungen zu warnen.“

„Ich bin mir dessen ziemlich sicher.“

In Gedanken versunken, merkte ich nicht, wie der Untergrund unter mir nachgab. Ehe ich mich versah, verlor ich den Halt und landete in einer Schlammpfütze am Rand des Baches.

„Mäusedreck!“, entfuhr es mir, als ich mich aufrichten wollte. Kastanienpfote zog mich hoch. Nun waren nicht nur meine Pfoten nass.

„Ich denke, wir haben unsere Spur verwischt. An Land trocknest du schon wieder“, munterte mich Kastanienpfote auf, als er auf der anderen Seite aus dem Bach stieg. Abgesehen von seinen Pfoten war er trocken.

Obwohl das kalte Wasser mir einen Schauer über den Rücken jagte, hielt ich die Luft an, biss die Zähne zusammen und wälzte mich einmal schnell im plätschernden Strom des Baches, sodass der gröbste Schmutz aus meinem Fell gespült wurde. Den Entschluss bereute ich sofort, als ich an Land anfing zu zittern. Kastanienpfote bemerkte mein Frösteln und fing an, mein Fell gegen den Strich zu lecken. Unangenehm, aber es wärmte.

„Zum Glück ist es warm. Da be…bekomme ich hof…hoffentlich keinen Weißen Husten.“

„Nicht wenn du dich jetzt bewegst“, riet mir mein Bruder. Ich sprang auf und wollte den Weg zurück zu unserem provisorischen Lager einschlagen.

„Schneepfote, die Vögel!“

Ich sah zum Himmel. Eine Schar Zugvögel segelte über uns hinweg. Folgt dem Flug der Vögel, hallten Laubjunges’ Worte in meinen Ohren wieder.

„Heißt das, dass wir uns beeilen sollten?“

„Ich weiß nicht. Aber herumtrödeln hat noch keine Katze weiter gebracht.

 

Pflichtbewusst wie immer erwartete uns Punkt am Rand des Lagers. „Die Meisten wollen bald weiter. Ich denke, wir haben uns genug ausgeruht. Und was es mit diesem Scharfzahn auf sich hat…“ Er stutzte, als wir näher kamen. „Schneepfote, was ist passiert?“

„Ich bin ins Wasser gefallen“, antwortete ich nüchtern, als ob man das nicht auf dem ersten Blick hätte erkennen können. Dann überdachte ich, was der Kater mir soeben gesagt hatte. „Ihr wollt weiter?“

„So schnell wie möglich, wenn es sich einrichten lässt“, knurrte Klaue neben mir. Das nervöse Zucken seiner Schwanzspitze entging mir nicht.

„Ich verstehe. Scharfzahn.“

„Wenn sich dieses Etwas wirklich in der Nähe aufhält, sollten wir schleunigst von hier verschwinden!“

Ausnahmsweise musste ich ihm Recht geben.

„Wir müssen einen Bogen um die Hochebene einschlagen.“

„Warum das?“, kam es von mehreren Seiten.

Kastanienpfote übernahm die Antwort. „Scharfzahn hat Junge.“

Überraschte Blicke verwandelten sich in sorgenvolle Minen.

„Worauf warten wir dann noch?“, miaute Stein, ihre dunkle Schwanzspitze hin und her pendeln lassend.

Ich wollte sagen, dass wir sofort aufbrechen konnten, als Hellpfote mir das Wort abschnitt.

„Wir gehen nicht, ehe du wieder trocken bist!“ Sie schob sich auf mich zu. „Und ehe ich dich nach Blutegeln abgesucht habe.“

„Es war ein Fluss, Hellpfote“, versuchte ich zu erklären. „Er war klar wie…“ Doch schon hatte sie begonnen, mit Krallen und Zähnen mein Fell zu durchkämmen. Seufzend ließ ich mich zu Boden gleiten. Das würde ich wohl noch über mich ergehen lassen müssen.

„Schüttelfrost? Schnupfen? Orientierungslosigkeit?“

Jedes Mal schüttelte ich den Kopf, während sie sämtliche Symptome für gesundheitliche Nebenwirkungen meines Sturzes herunter rasselte.

„Das ist wirklich nicht nötig“, versuchte ich sie davon abzubringen, mich mit Moosballen abzurubbeln.

„Was nötig ist und was nicht entscheide immer noch ich!“, beharrte sie standfest. Mein Fell fühlte sich wie aufgepustet an, als sie endlich von mir abließ.

„Jetzt können wir losziehen.“

Jägerherzen

Als die goldrote Sonne sich mehr und mehr dem Horizont näherte, waren die weiten Graslandschaften noch immer nicht zu ihrem Ende gelangt. Ich konnte mich darüber nicht beklagen. Ich war eine SteppenClan-Katze, das Jagen in solchem Terrain lag mir im Blut. Aber die meisten anderen hatten diese Ausdauer nicht.

„Ihr müsst euch möglichst nah an das Kanninnchen heran schleichen. Achtet darauf, dass eure Schwanzspitze am Boden liegt. Wenn der Wind das Gras vor euch herunter drückt, lauft los, bevor es euch sieht, dann habt ich noch eine Chance.“

Ich beobachtete, wie die drei Katzen, die uns nach dem Training gefragt hatten, die Jagdpositionen einnahmen. Kastanienpfote stand etwas abseits und spielte das Kanninnchen, das es zu erjagen galt. Beim kleinsten Anzeichen von Gefahr sollte er die Flucht ergreifen.

Schlange war der Erste, der zur Jagd ansetzte. Der dunkel gestreifte Kater lief allerdings zu früh los. Kastanienpfote wich seinem Angriff mit wenigen Sprüngen aus.

„Du hättest dich näher anschleichen sollen. Ein Kanninnchen wäre bei der Entfernung schon über alle Berge“, riet ich ihm, als er an mir vorbei ging.

Wolke versuchte es als Nächste. Die hellgrauen Flecken auf ihrem dunklen Fell schimmerten durch das Gras. Dennoch sah Kastanienpfote sie erst, als sie aus dem Gebüsch schnellte. Mit wenigen Sätzen holte sie ihn ein.

„Seht gut, Wolke“, lobte ich sie. „Du musst nur noch ein wenig an der Geschwindigkeit feilen. Ein Kanninnchen würde dir so auf der Nase herum tanzen.“

Mit einem Schwanzwedeln signalisierte ich Hellpfote, dem letzten Mitglied der Übung, dass sie an der Reihe war. Mit konzentrierter Miene verfiel sie in das zuvor geübte Jagdkauern.

Ich konnte mir nicht verkneifen, mitleidig das Gesicht zu verziehen, als das Gras um sie herum nach wenigen Schritten raschelte. Ihren Fehler einsehend richtete sie sich auf.

„Ich muss irgendetwas falsch gemacht haben.“

„Beim Heben der Pfoten hast du die Halme gestreift“, erläuterte ich ihr. „Versuche es gleich noch mal!“

Als ich die Patrouille roch, gab ich das Zeichen, dass das Jagdtraining kurz unterbrochen war. Es waren Mücke und Punkt, die auf uns zukamen.

„Dort hinten haben wir noch einen schalen Geruch entdeckt, aber von Scharfzahn scheinen wir hier wenig befürchten zu müssen“, berichtete mir Punkt. „Der Geruch war mindestens sechs Tage alt und dort sprangen mehrere Tiere fröhlich herum. Wie diese Mäuse!“, wies er auf Mückes Fang hin.

Ich nickte. „Danke, wir sollten doch einen größeren Abstand um ihr Territorium machen.“

Ein lautes Rascheln veranlasste mich dazu, mich umzudrehen. „Oh nein, nicht schon wieder!“, hörte ich Hellpfote stöhnen.

„Was…macht ihr hier?“, fragte Mücke verwundert.

„Wir bringen ihnen bei, wie man sich an ein Kanninnchen anschleicht.“ An Hellpfote gewandt sagte ich: „Du bist schon viel weiter gekommen. Mit der Übung wird das schon.“

„Danke, Schneepfote, ich werde es probieren.“

„Kann ich noch mitmachen?“, fragte Punkt interessiert.

„Gerne. Kastanienpfote spielt das Kanninnchen. Ich gebe euch Tipps. Nacheinander schleicht ihr euch an ihn heran. Wenn er euch bemerkt, ergreift er die Flucht.“

„Ich bringe noch schnell die Beute ins Tal und komme dann wieder!“, meldete Mücke und hob die Mäuse wieder auf. „Sehr gute Übungsidee“, meinte sie noch, während sie an mir vorbei ging. Nachdenklich sah ich ihr nach. In letzter Zeit sind wir beide mehr und mehr zu Mentoren der Katzen geworden, die uns zuvor noch aus unserer Heimat vertreiben wollten. Sie wollten immer mehr von uns lernen, da sie ahnten, wie wertvoll dieses Wissen demnächst für sie sein wird.

Ein plötzliches Knacken von Zweigen verlangte meine Aufmerksamkeit. Hellpfote setzte hinter mir mit großen Sprüngen durch das Gras, bis sie schließlich mit dem Kopf nieder stieß und dabei den Halt verlor. Mit Pflanzensaft im zerzausten Fell und einer mit vielen Kratzern übersäten Wühlmaus tauchte sie wieder auf.

„Waf daf fut fo?“ Durch das Fell verstand ich ihre Stimme kaum.

„War das gut so?“, wiederholte die Kätzin deutlicher, als sie ihre Beute ablegte.

„Ähm…ja, guter Fang. Ich fürchte nur, dass nun alle restliche Frischbeute im Umkreis das Weite gesucht hat.“

„Wie wäre es, wenn du mir deswegen noch einmal genauer die Mäusejagd erklärst?“

Ich sah zu Kastanienpfote. Er nickte. „Mit ihnen komme ich allein zu Recht.“

„Habe ich da gerade ‚Mäusejagd’ gehört?“ Es war Funke, die vorbei kam. „Da könnte ich auch einige Tipps gebrauchen.“

Ich nickte. „In Ordnung, dafür müssen wir aber einen anderen Ort suchen, damit wir die Kanninnchenjäger nicht stören.“

„Was machen wir damit?“, miaute Funke mit Blick auf die Maus. Hellpfote schaufelte mit wenigen Zügen Erde darüber. „Holen wir uns später ab.“

Damit führte ich meine neuen Schülerinnen weiter in das Grasland.

 

Wir kehrten mit insgesamt vier Mäusen und einer Drossel in das Lager zurück, als es schon längst dunkel geworden ist. Die Drossel hatte ich erlegt um Hellpfote und Funke die Vogeljagd näher zu bringen. Nach einem Abendessen konnte ich mich dann endlich in das warme Nest kauern.

„Glaubst du, dass Laubjunges wiederkommen wird?“, miaute Kastanienpfote in die Dunkelheit.

„Ich weiß nicht“, gestand ich ihm. „Darüber habe ich mir noch gar nicht Gedanken gemacht.“

Um von dem Thema abzulenken fragte ich: „Wie haben sich die vier bei der Kanninnchenjagd geschlagen?“

„Die Kanninnchen hier müssen sich noch keine Sorgen machen, es sei denn, sie würden in Katzengeschwindigkeit laufen. Aber sie sollten alle Artgenossen in Richtung Sonnentief vorwarnen, dass demnächst eine Horde Katzen hinter ihnen her sein wird.“

Gähnend legte ich meinen Kopf auf die Pfoten. „Sie alle können gute Jäger werden. Sie haben das richtige Elan.“

„Gute Jäger brauchen Schlaf!“, miaute Kastanienpfote und legte den Schwanz um seinen Körper.

„Und ein Territorium zum Jagen“, fügte ich hinzu, während ich ebenfalls die Augen schloss.

Spuren einer Warnung

„…der Schüler hatte Glück im Unglück. Er konnte die Jungen gerade noch durch den Hinterausgang schleusen. Doch nun saß er in der Höhle fest und musste sich dem Dachs stellen.“

Ahornschweif macht an der spannendsten Stelle eine Pause. Ich kann meinen eigenen Herzschlag hören.

„Er war größer als der Dachs, doch verfügte über weitaus weniger Erfahrung und Kraft als er. Dennoch stellte er sich todesmutig gegen ihn, um die Junges seines Clans zu verteidigen.“

„Er gewann doch, oder?“, quiekt Kastanienjunges vergnügt.

„Ja, er hat den Kampf gewonnen und konnte den Dachs vertreiben. Auch den Jungen ist nichts geschehen.“

„Und der Schüler?“, fragt Laubjunges mit großen Augen.

„Er wurde sofort zum Heiler des TigerClans gebracht. Doch der Schüler hatte schwere Wunden erlitten. Es schien schon, als würde er ihnen erlegen.“

„Oh nein!“, miaue ich. Traurig endende Geschichten mag ich gar nicht.

„Doch wie durch ein Wunder konnte der Heiler ihn retten. Es dauerte einen halben Mond, aber danach war er wieder genesen.“

„Das ist ja schön“, seufze ich erleichtert auf.

„Und weil er so tapfer war, wurde er sogleich zum Krieger ernannt.“

Mit einem Freudeschrei sprangen wir alle drei in die Luft. „Wie lautete sein Name?“, fragte Laubjunges.

Ahornschweif machte eine lange Pause. „Scharfzahn.“

 

Gleichzeitig schossen wir mit einem erstickten Keuchen aus dem Schlaf.

„Dachsklaue“, murmelte Kastanienpfote abwesend. „Der Schüler wurde Dachsklaue genannt, das weiß ich noch genau.“

Benommen stand ich auf. „Ahornschweif scheint ebenfalls über uns zu wachen.“

Es war kurz vor Sonnenhoch. Es herrschte Windstille. Keine Möglichkeit, Scharfzahn zu überprüfen.

„Wir haben ihr Territorium schon lange hinter uns gelassen. Warum sollte sie hierher kommen?“

„Ihre Jungen“, murmelte Kastanienpfote nur. „Wir sollten das auf jeden Fall überprüfen.“

„Wartet!“

Gemeinsam fuhren wir herum. Es war Punkt, der auf uns zukam.

„Hast du uns belauscht?“, flüsterte ich.

„Unfreiwillig“, gestand der schwarz-weiße Kater. „Diese große Katze macht wieder Ärger?“

Kastanienpfote nickte. „Wir sind uns aber noch nicht sicher, wie und wollen das erst einmal untersuchen.“

„Du kannst mitkommen“, sagte ich, bevor Punkt seine Frage stellen konnte. „Aber beschwere dich nicht, wenn du morgen übermüdet losziehen musst!“

„Ganz bestimmt nicht“, beruhigte uns Punkt, während wir loszogen.

„Aber…was machen wir, wenn wir…Scharfzahn begegnen?“

„Laufen“, antwortete Kastanienpfote knapp. Punkt fragte nicht weiter.

 

„Dort drüben waren ihre Jungen“, miaute ich und deutete mit einem Kopfnicken auf das raue Steinland, das vor uns lag.

„Sie muss hier in der Nähe sein!“, murmelte Kastanienpfote. „Riechst du diesen scharfen Geruch, der ein wenig der einer Katze ähnelt?“

Punkt schloss die Augen und prüfte die Luft. „Riecht nicht gerade kuschelig.“

„Das ist Scharfzahngeruch“, sagte ich kalt.

Nervös trat Punkt von einer Pfote auf die andere. „Dann würde ich sagen, wir prüfen die Lage und machen uns dann schnell aus dem Staub.“

„Warte.“ Ich hielt ihn auf. „Wir müssen davon ausgehen, dass Scharfzahn sehr gut riechen kann und uns genauso schnell wittern kann wie wir ihn.“

„Und was schlägst du vor?“ Punkt folgte meinem Blick. Er sah einige Sekunden starr auf den Punkt, den ich anvisierte, bevor er den Kopf wieder in meine Richtung drehte.

„Nein“, sagte er so deutlich und hervorhebend er konnte.

„Jetzt hab dich nicht so“, ermutigte ihn Kastanienpfote. „Wenn dein Fell erst einmal voll von dem Zeug ist, riechst du es auch nicht mehr.“

 

Zuerst wälzten wir uns in den stinkenden Blumen im Gras, bis ich mir sicher war, dass es unseren Eigengeruch überdeckt hatte. Danach schmierten wir unser Fell mit Schlamm ein, ein Trick, den Himmel uns erklärt hatte. Die Stammeskatzen hatten den getrockneten grauen Schlamm als Tarnung auf der Jagd benutzt. Bei uns müsste das auch funktionieren.

Wir schlichen im Schatten der Felsen entlang, um keine Aufmerksamkeit zu erregen. Der Geruch blieb stabil.

„Könnt ihr sie schon orten?“, flüsterte Punkt. Ich hörte die Unsicherheit in seiner Stimme.

„Wir laufen ungefähr in ihre Richtung“, antwortete Kastanienpfote. „Genaueres können wir bisher nicht sagen.“

Ich bemerkte, wie Punkt vor seiner nächsten Frage mit sich rang. „Ähm…also, wie groß ist Scharfzahn überhaupt?“

„Der, den wir gesehen haben war etwa anderthalb Katzenlängen hoch!“, versuchte ich mich zu erinnern.

„Ich glaube, er war ein wenig größer“, warf Kastanienpfote ein. „Seine Pfoten wären jedenfalls in etwa so groß wie der Körper eines Kaninchens.“

„Nein, jetzt übertreibst du“, widersprach ich ihm. „Etwas kleiner waren sie schon. Sein Kopf hatte möglicherweise Kaninchengröße. Seine Fangzähne waren…“

„Das reicht!“, unterbrach Punkt uns mit aufgestelltem Fell. „Ich habe genug gehört.“

Mir wurde erst jetzt so richtig klar, wie sehr wir ihn mit unserer Diskussion verunsichert haben mussten, obwohl wir innerlich auch nicht so ruhig waren, wie es den Anschein hatte.

„Tut uns leid, wir wollten dich nicht erschrecken.“

„Ihr…habt…mich…nicht…erschreckt!“, zischte Punkt zwischen zusammen gebissenen Zähnen. „Ihr habt mich kein bisschen erschreckt. Nicht einmal verunsichert. Ich habt mir eine unglaublich große Angst eingejagt!“

Ich wollte noch hinzufügen, dass das gar nichts gegen den leibhaftigen Anblick Scharfzahns war, hielt es dann aber doch für klüger, mir diesen Kommentar zu sparen.

Kastanienpfote blieb stehen und prüfte die Luft. „Ich glaube, ich weiß jetzt genau, wo sie sich befindet.“

 

Wir traten den Rückweg über mehrere Windungen und Kreise an, um Scharfzahn, sollte sie doch noch unsere Spur aufnehmen, in die Irre zu führen. Am Rand der Hochebene trennten wir uns und kamen gleichzeitig, aber von verschiedenen Richtungen ins Lager. Ich trat auf Schlange, der Nachtwache hielt.

„Etwas Neues?“, fragte er. Die Unsicherheit in seiner Stimme war kaum zu überhören.

„Die Gefahr ist erst einmal vorüber. Wir wissen, wie weit Scharfzahn entfernt ist. Vorerst sind wir vor ihr sicher, wir sollten aber möglichst bald weiterziehen.“

Schlange nickte. „Danke. Ich stelle mich darauf ein.“ Der Kater sah zum Himmel. „Habt ihr eine Ahnung, wie weit es noch bis zu unserem zu Hause ist?“

Ich sah deutlich die Sehnsucht in seinen Augen. Sehnsucht nach einer Heimat. Einem Platz, wo er hingehörte. Einer Aufgabe, die seinem Leben einen Sinn gab. Es tat fast weh, als ich verneinte.

„Ich fürchte, es wird noch ein weiterer Weg sein. Was uns auf diesem Weg erwartet, kann ich nicht sagen.“ Aber Laubjunges vielleicht, fügte ich gedanklich hinzu.

Schlange nickte, während er die Augen immer noch verträumt auf den Horizont gerichtet hatte. „Soll ich den anderen sagen, dass wir aufbrechen werden?“

Ich zögerte. „Das mache ich schon. Danke.“

Über mir flog ein Schwarm Vögel über den azurblauen Himmel.

Waffenstillstand

Mit mulmigem Gefühl sah ich auf die grauen Klötze, die sich vor uns auftürmten. Dieser Zweibeinerort war nicht so wie die anderen, die wir gesehen hatten. Ich hatte immer gedacht, dass die Zweibeiner immer in kleinen Clans zusammenleben. Dies hier belehrte mich eines Besseren.

Die Baue waren gigantisch und von einer steingrauen Farbe. Durch sie hindurch zogen sich Gewirre aus Donnerwegen, auf denen unablässig Monster hinüberrasten. Die riesigen Baue, die bis in den Himmel zu reichen schienen, hatten Löcher an den Seiten, manche davon leuchteten grell. Ein unglaublicher Gestank nach Zweibeinern und Donnerwegen stieg uns in einer geballten Wolke entgegen.

„Wir müssen darum herum“, riet mir Hellpfote. „Bei dem Lärm fallen einem schon vom Weiten die Ohren ab. Ich würde meinen Schwanz darauf verwetten, dass diese Dinger uns krank machen werden.“

Ich sah zu Kastanienpfote. Er wirkte äußerlich ruhig, doch ich wusste, dass er meine Meinung teilte, genauso widerstrebend wie ich.

„Wir können einen Bogen machen“, stimmte er Hellpfote zu. „Vielleicht müssen wir es sogar, aber wir dürfen nicht zu weit von unserem Kurs abkommen.“

„Vielleicht sollten wir schauen, ob es am Rand des Zweibeinerortes ruhiger ist“, schlug ich vor.

Wenn er überhaupt einen Rand hatte.

„Das ist Zeitverschwendung!“ Es war Klaue, der diesen Einruf machte. Aus irgendeinem Grund vermutete ich, dass er nur aus Prinzip widersprach. „Wir würden das Mehrfache an Zeit benötigen, um diesen Ort zu umrunden und dann unsere gewöhnliche Strecke wieder zu finden. Querfeldein könnten wir Tage an Wegstrecken sparen.“

Ich hörte zustimmendes Miauen unter den anderen. Aber auch Bedenken.

„Ich bin für eine Umrundung.“

Es überraschte mich nicht minder, Fangs Stimme zu hören. Sie und Klaue waren gute Freunde und normalerweise immer einer Meinung. Interessiert drehte ich mich um.

Meine Aufforderung, weiter zu sprechen, annehmend, fuhr die Kätzin fort. „Da drinnen werden wir nur von Monstern überrollt. Am Rand sind wir in Sicherheit. Zum Wald kommen wir noch früh genug.“

„Ich weiß nicht!“, meldete sich Punkt schüchtern zu Wort, nicht ohne uns einen gleicher maß hilflosen wie entschuldigenden Blick zuzuwerfen. „Klaue hat gar nicht so Unrecht. Wir sind alle ziemlich strapaziert und würden uns gerne schnell zur Ruhe legen. Ich wäre auch eher für die kürzere Strecke.“

„Und was ist mit unserer Sicherheit?“, warf Mücke ein. Tupf stellte sich ihr zur Seite. „Ich wäre nicht hier, wenn Schneepfote nicht so schnell gehandelt hätte.“

Etwas versetzte mir ein leichtes Kribbeln, als er mich dabei ansah. Dankbarkeit lag in seinem Blick. Dankbarkeit, die man nicht mit Worten beschreiben konnte. Und das nicht nur für seine Rettung beim Sturz.

Alle hatten Tupfs Anmerkung verstanden und sahen zu mir. Sollte ich mich jetzt etwa für eine Seite entscheiden.

Kastanienpfote rettete mich.

„Ich schlage einen Kompromiss vor.“

Als sich alle beruhigt hatten und ihm zuhörten, sprach er weiter: „Am Rand des Zweibeinerortes ist es sicher ruhiger als hier. Wir werden die Außenseiten durchqueren. Es ist sicherer, als durch die Mitte zu laufen und geht schneller, als ihn zu umrunden.“

„Es dauert immer noch zu lange!“, beharrte Klaue auf seiner Meinung.

Kastanienpfote ging nicht auf ihn ein. „Wer stimmt dem Vorschlag zu?“

Zuerst hoben sich zögerlich ein paar Schwanzspitzen zur Zustimmung, dann wurden es langsam mehr. Als gut zwei Drittel den Vorschlag meines Bruders annahmen, nickte er.

„Damit wäre es entschieden. Wir durchqueren den Zweibeinerort auf dem äußeren Ring.“

Klaue gab nicht so schnell auf.

„Damit ist keinem von uns geholfen. Am Rand des Zweibeinerortes wird es bestimmt nur so von Hunden und anderen Gefahren wimmern.“

Diesmal stimmte ihm niemand zu. Alle anderen, die sich schon zum Gehen gewand hatten, verharrten in der Bewegung und sahen verlegen von uns zu Klaue und wieder zurück. Kastanienpfote drehte sich langsam wieder um.

„Du kannst dich gerne von uns trennen und uns am Rand erwarten, falls du schneller dort sein wirst.“

Ich starrte meinen Bruder an. Was tat er da nur?!

Klaues Augen blitzten kurz in einem Anflug von Ärger auf, dann stahl sich ein kurzes Lächeln auf sein Gesicht, wobei seine spitzen Zähne aufblitzten.

„Das ist es doch, nicht wahr?“ Mein Herzschlag beschleunigte sich, als Klaue hoch erhobenen Hauptes auf Kastanienpfote zutrat. „Ihr wollt mich loswerden.“ Er sah kurz zu mir herüber, als ich meinem Bruder zur Seite trat. „Ihr beide.“

Etwas Eisiges bildete sich in meiner Brust, vor allem wegen der Erkenntnis, dass das, was Klaue sagte, stimmte. Ja, wir wollten ihn loswerden. Wir wollten weniger seine ständige Nörgelei nicht mehr in unserer Nähe haben, sondern eher uns von den Erfahrungen im Wald distanzieren. Von den Erfahrungen, die Klaue als Feind sahen. Von den Erfahrungen, an die er uns mit jedem Widerspruch erneut erinnerte.

Ein Blick über die Gesichter der anderen Katzen verschärfte den Ernst der Lage. In ihnen bildete sich Neugier und Nachdenklichkeit. Ich wusste, dass sie ihre jetzige Situation noch einmal überarbeiteten. Vorher waren sie die Herrscher, die mit Leichtigkeit uns unterworfen hatten. Und nun trotteten sie uns erwartungsvoll hinterher, als würden wir beide allein für ihr Schicksal zuständig sein.

Genau die Einstellung, vor deren Eintreten wir uns von Anfang an gefürchtet hatten.

Ich sah zu Kastanienpfote. Mit der Erwiderung meines Blickes war klar, was wir jetzt benötigten. Eine weitere, kleine Ansage.

„Es ist schon ein wenig her, aber ich denke, dass ihr euch alle noch an den SternenClan erinnert.“

Verwirrung trat in ihre Minen, als ich an diese Begegnung appellierte.

„Ihr wisst, dass der Auftrag, euch eine neue Heimat zu geben, nicht von den Clans, sondern von unseren Krieger-Ahnen, vom SternenClan stammt. Wir beide sind nur die, die den Auftrag ausführen.“

Kastanienpfote verstand, worauf ich hinaus wollte, und trat an meine Seite. „Ich muss ehrlich zugeben, dass wir am Anfang nicht sehr von dieser Aufgabe begeistert waren. Das lag daran, dass wir euch nur von einer Seite kannten. Doch jetzt haben wir andere Seiten in euch kennen gelernt. In euch allen.“ Dabei sah er Klaue an. „Ich kann sehr gut verstehen, wie dir zumute ist, uns folgen zu müssen. Wir drei werden niemals einer Meinung sein. Aber auch in dir, Klaue, steckt Tapferkeit.“

Misstrauisch sah der große Kater uns an. Das schwarz-braune Fell glättete sich wieder, aber völlig entspannt hatte er sich noch nicht.

Ich erkannte, worauf Kastanienpfote hinaus wollte und übernahm.

„Abgesehen von deinen Beweggründen steckt ein außerordentlicher Mut dahinter, in einen Wald voller fremder Katzen einzudringen. Viele von deinen Gefährten vertrauen dir noch immer. Und wir können das auch lernen. Wenn du uns beweist, dass du deine Stärken auch anderweitig einsetzen kannst.“

Klaues Blick flog zwischen uns und den anderen Katzen hin und her. In letzter Zeit waren wir ihm rhetorisch weit überlegen geworden.

„Freunde werden wir nie werden“, brachte er schließlich gepresst hervor.

„Wie wäre es mit einem Waffenstillstand?“, schlug Kastanienpfote vor.

Der dunkle Kater zögerte lange, bevor er mit zu Schlitzen gepressten Augen antwortete.

„Einverstanden.“

Mit einem Schritt zur Seite übergab er uns wieder die Führung und wir schlugen die vorher angegebene Route ein.

Der Zweibeinerort

Die grauen Klötze, die den Zweibeinern als Baue dienten, waren kleiner und gedrungener am Rand des Ortes. Es gab einige wenige Grasflächen, doch wir mussten größtenteils mit den harten Steinwegen am Rand der Donnerwege Vorlieb nehmen. Immer wieder mussten wir schlafende Monster umrunden, auf leisen Pfoten, um sie nicht zu wecken. Vor Zweibeinern konnten wir uns rechtzeitig in Büschen verstecken. Wir waren in kleinen Gruppen nacheinander losgezogen, um besser gegenseitig auf uns aufpassen zu können. Mich begleiteten Stein, Funke und Schlange.

„Jetzt weiß ich, warum euch die Umrundung lieber war“, knurrte Funke, während sie sich im Laufen die Vorderpfoten leckte. „Ich hoffe, Hellpfote weiß etwas Gutes gegen wunde Pfoten.“

„Und etwas gegen Monster- und Zweibeinergestank“, fügte Stein hinzu. Sie rümpfte ihre Nase, als wir eine stinkende Pfütze schmutzigen Wassers umrundeten.

„Ich schlage vor, euch in zerriebenem Gras zu wälzen“, miaute ich. „Es überdeckt den Geruch nicht wirklich, aber sorgt ein wenig für Ausgleich und freien Atem.“

„Du scheinst Erfahrung mit so etwas zu haben?“, miaute Funke, ihre Schulter notdürftig von etwas Staub reinigend.

„Unser Zweibeinerort ist nicht ganz so dreckig, aber frischen Duft konnten wir dort immer gebrauchen“, antwortete ich und hoffte, dass sie die Antwort nicht zu sehr traf. „Die Einzelläufer von dort haben uns das gezeigt. Ebenso wie die besten Jagdstellen.“

„Wir sind dort vorbei gekommen, auf dem Weg zum Wald“, berichtete mir Schlange. „Wir haben aber nur wenig andere Katzen getroffen. Der Zweibeinerort war wirklich besser als…das hier.“

„Wartet!“ Ich blieb stehen und prüfte die Luft. „Hunde. Schnell versteckt euch!“

Mit einem Satz waren wir vier hinter einem Zweibeinerzaun verschwunden und duckten uns zwischen den Wurzeln der Sträucher. Ein Zweibeiner kam mit einem riesigengroßen, braunschwarzen Hund vorbei.

Ich hörte schon von Weiten das Knurren des Hundes. Sein Bellen ließ mich zusammen zucken, kurz darauf hörte ich Krallen am Stein des Zauns scharren.

Die strenge Stimme des Zweibeiners mahnte den Hund zur Raison. Mit einem Ruck an der Leine brachte der Zweibeiner seinen Schützling wieder auf den Weg und ging an uns vorbei, wahrscheinlich ohne uns zu sehen.

„Sie sind weg“, entwarnte ich die anderen. Nacheinander kletterten wir über den Zaun. Automatisch legten wir einen Zahn zu.

 

Wir kamen noch an mehreren Hunden mit Zweibeinern vorbei. Erstaunlicherweise schienen die Biester den Zweibeinern zu gehorchen wie einem Anführer. Ich war nur froh, wenn wir diesen unheimlichen Ort hinter uns gelassen haben.

„Nicht schon wieder!“, stöhnte Stein, als unser Weg von einem Donnerweg durchschnitten wurde. Brüllende Monster liefen hier Patrouille.

„Die Monster sind schneller als die beim alten Donnerweg“, musste ich niedergeschlagen feststellen. Kastanienpfote konnte dort leicht erfühlen, wann eins vorbei kam. Doch in dieser lärmenden Gegend war das nahezu unmöglich.

„Wir müssen da rüber.“ Funkes Entschlossenheit erinnerte mich nur noch deutlicher daran, wie wir beim letzten Donnerweg beinahe zu Krähenfraß verarbeitet worden wären. Zögernd trat ich näher an den Rand. Immerzu kamen dröhnende Monster vorbei.

„Dort hinten ist bald eine Lücke. Dann laufen wir hinüber“, wies ich die anderen an. Von der anderen Seite kam nichts. Als die Monster vorüber waren, liefen wir hintereinander los.

Ich hörte die Monster näher kommen. Der graue Stein erzitterte unter meinen Pfoten, er brannte und riss sich schmerzhaft in meine Ballen. Ich konnte erst wieder Luft holen, als ich den Rand des Donnerweges erreichte.

Stein hüpfte als Letzte ans sichere Ufer, kurz bevor ein weiteres Monster vorüber donnerte.

Wir waren hungrig und müde, der graue Himmel über der Zweibeinermetropole sagte kaum etwas über die Tageszeit aus, aber es war bestimmt schon bald Sonnentief. Bis dahin wollten wir alle den Ort verlassen haben.

Immer deutlicher spürte ich den scharfen Durst, der meinen Hals ausdörrte. Doch hier roch alles Wasser Übelkeit erregend schlecht. Ich würde noch bis zum Rand des Zweibeinerortes aushalten müssen.

„Ich rieche Gras“, miaute Schlange mit rauer Stimme. „Dann werden wir wohl endlich angekommen sein.“

Nein, dachte ich, angekommen seid ihr noch lange nicht. Ihr habt höchstens eine Raststätte erreicht.

Die Zweibeinerbaue wurden kleiner, gedrungener und farbiger. Es kamen mehr Pflanzen. Wir konnten auf einen gemütlichen Erdweg wechseln, der unsere wunden Pfoten schonte. Immer öfter kreuzten dünne, niedrige und unnatürlich gleich gewachsene Bäume unseren Weg. Bald schon sahen wir Wiesen vor uns.

Der Anblick der Landschaft und die damit verbundene Ruhe des Tages konnten mich nicht schnell genug erreichen, denn noch vorher erreichte mich eine andere Emotion.

Gefahr.

Äußerste Gefahr.

Eine nahezu aussichtslose Lage.

Verunsicherung.

Angst.

„Schneepfote?“ Stein sah mich irritiert und besorgt an. „Was ist los?“

Ich spürte es. Die Gefahr. Sie galt nicht mir, aber ich konnte sie wahrnehmen. In mir rief eine bekannte Stimme meinen Namen.

„Kastanienpfote“, hauchte ich. „Er ist in Gefahr.“

Geschwisterbande

„Schneepfote, warte!“ Ich hörte Steins Pfotenschritte hinter mir, als ich umkehrte und mich in Bewegung setzte. „Was ist passiert?“

Mein Herzschlag beschleunigte sich. „Kastanienpfote. Irgendetwas ist ihm passiert. Ich muss zu ihm und ihm helfen.“

„Was ist mit Kastanienpfote?“, fragte Funke verunsichert.

„Ich weiß es nicht.“ Hilflos musste ich feststellen, dass ich mein Gefühl, das immer stärker an mir nagte, diesen Katzen nicht erklären konnte. „Aber etwas ist mit ihm. Bitte. Ihr müsst mir vertrauen.“

„Wir vertrauen dir“, versicherte mir Stein. „Deshalb werden wir dir helfen. Dir und Kastanienpfote.“

Ich nickte. „Danke.“ Damit lief ich zurück in den Zweibeinerort.

 

Meine Empfindungen mussten für die drei schwer nachzuvollziehen sein, dennoch liefen sie mir treu hinterher. Schon als Junges hatte zwischen mir und meinen Brüdern eine starke Verbindung existiert. Wir drei wussten immer, was die anderen dachten, was sie im nächsten Augenblick tun oder sagen würden. Richtig aufgefallen ist uns das erst, als wir von Laubjunges getrennt wurden, als er starb. Ich hatte es gespürt. Tief in mir.

„Weißt du, wohin wir laufen müssen?“, fragte mich Schlange im Lauf.

Ich konnte keine direkte Antwort geben. „Ich habe ein Gefühl. Ich spüre ihn.“

Mir war klar, dass er sich damit nicht zufrieden geben wird.

„Wir waren schon immer so miteinander verbunden. Wir fällen gleichzeitig dieselben Entscheidungen. Wir können uns Unterhalten, ohne viel zu sagen. Wir wissen, was der Andere tun wird, bevor er mit der Pfote zuckt. Ich weiß nicht, wie wir das machen. Es passiert einfach.“

„Schon gut“, miaute Funke. „Ich denke, ich verstehe, was du meinst.“

Ich blieb stehen, als wir in einen engen Zweibeinerweg kamen. Die steinernen Außenwände der Baue ragten neben uns empor, als wollten sie Löcher in den Himmel stechen. Ich spürte, dass ich meinem Bruder ganz nahe war.

„Kastanienpfote?“ Ich hörte meine Stimme an den felsigen Bauen widerhallen, aber nicht den Hauch einer Antwort.

„Kastanienpfote!“, wiederholte ich, diesmal lauter.

Nichts.

Ich drehte mich einige Male hilflos um meine eigene Achse, bevor ich schließlich die Augen schloss, um tiefer in mich zu gehen.

Ich wusste, dass er in Gefahr war.

Ich wusste, dass er Angst hatte.

Ich wusste, dass er an mich dachte.

Und ich wusste, dass er nicht allein war.

Ich wirbelte zu meinen drei Begleitern herum. „Wisst ihr, welche Katzen Kastanienpfote begleitet haben?“

Sie schienen eine Zeit lang zu überlegen.

„Wolke war bei ihm“, antwortete Funke schließlich.

„Und Hase!“, fiel es Stein wieder ein. Ich benötigte etwas länger, bis ich zu dem Namen das Bild des weißbraunen, dünnen Katers vor Augen hatte.

„Waren das alle?“

„Ich denke schon“, miaute Schlange. „Ich habe nur die drei bei einem Aufbruch gesehen. Sie müssen vom Weg abgekommen sein.“

Ich nickte hoffnungsvoll. „Ihr kennt Wolke und Hase besser als ich. Was glaubt ihr, würden sie tun, wenn sie sich verlaufen hätten.“

„Andere Katzen suchen und nach dem Weg fragen“, antwortete Funke ohne zu zögern.

„Gut“, lautete meine Antwort, „das selbe würde Kastanienpfote auch tun. Jetzt müssen wir nur noch nach anderen Katzen in der Gegend suchen, die uns vielleicht weiter helfen könnten.“

Kastanienpfotes Botschaft

Mein stetig schwankendes, von Zweifeln und Befürchtungen durchbohrtes Gefühl führte uns an den Rand des Zweibeinerortes, wo die Zweibeinerbaue niedriger und die Gärten größer wurden. Ich nahm mehrmals Katzengeruch auf, doch dieser war immer schon alt. Von Kastanienpfote, Wolke und Hase gab es keine Spur.

Nach mehreren Misserfolgen blieb ich schließlich stehen. Es war schon später Nachmittag, mein Magen knurrte und ich wusste nicht, ob wir es noch vor Einbruch der Nacht aus dem Zweibeinerort heraus schafften.

„Ich glaube, ich habe etwas entdeckt!“

Steins plötzlicher Ausruf ließ uns alle die Köpfe in ihre Richtung drehen. Mit schnellen Schritten folgte ich ihr zu einem Busch am Rande des Zweibeinergartens. Ich sah, dass die Blätter nass waren. Es hatte doch nicht geregnet!

„Das Wasser hat jeden Geruch von den Blättern gespült, aber diese Zweige hier sind sicher von einer Katze umgeknickt worden.“

Ich begutachtete die Zweige genauer. Stein hatte Recht. Es war nur die dünne Spur, doch ich würde sie weiter verfolgen. Nacheinander zwängten wir uns durch den Busch in den Zweibeinergarten. Umgeknickte Zweige wiesen mir den Weg um das Nest herum, wo sich nur ein schmaler Weg zu der Außenwand des benachbarten Zweibeinernestes befand.

Nun konnte ich auch Katzengeruch wahrnehmen. Er kam mir nicht bekannt vor, aber Kastanienpfote hätte bei der Durchquerung des Gartens ohnehin keine so offensichtlichen Spuren hinterlassen.

„Dort drüben ist jemand!“, murmelte Schlange. Ich folgte seinem Blick und konnte eine katzenhafte Gestalt zwischen zwei größeren Bäumen hindurch huschen sehen.

„Warte!“ Ich lief auf die Bäume zu, blieb aber mehrere Schritte vor ihnen stehen. „Komm ruhig heraus. Ich habe nur ein paar Fragen“, miaute ich leise.

Es raschelte kurz. Ich war nicht wenig überrascht, als ich eine kleine, graue Kätzin mit weißen Pfoten tapsig hervor kroch. Ihre graublauen Augen sahen mich groß an.

„Wer seid ihr?“, fragte das Junges mit heller Stimme und runden, blaugrauen Augen. Es war etwa fünf Monde alt.

Ich fasste mich wieder. „Es tut mir leid, wenn wir dich erschreckt haben. Wir suchen unsere Freunde und wollten dich fragen, ob du sie gesehen hast.“

Mir fiel ihr grünes Halsband auf, als sie ihren Kopf schief legte. Sie war ein Hauskätzchen.

„Hier laufen viele Katzen vorbei.“ Sie bemerkte Stein, Schlange und Funke, die ebenfalls langsam näher kamen.

„Sie gehören zu mir“, antwortete ich schnell, hoffend, dass das Junges sich nicht vor ihnen fürchtete. „Hast du vielleicht unsere Freunde gesehen? Ein weißbrauner Kater, eine weiße Kätzin und ein brauner Kater. Wir müssen sie so schnell wie möglich finden.“

Das Junge blinzelte einige Male. Sie schien zu überlegen. Dann schüttelte sie den Kopf.

„Tut mir leid. Ich habe heute nur die Nachbarskatze und meine Schwestern gesehen.“

Ich versuchte, mir meine Enttäuschung nicht anmerkten zu lassen.

„Hast du vielleicht einen unbekannten Geruch entdeckt?“

„Nur euren.“

„Gut. Trotzdem danke.“

Ich wollte mich schon zum gehen wenden, als sie hinter mir her lief.

„Wartet einen Moment. Ich frage kurz meine Schwestern, ob sie jemanden gesehen haben.“

Damit lief sie mit schnellen Schritten über den Rasen und verschwand in einer Katzenklappe in der Zweibeinertür.

Sie kam gleich darauf mit zwei anderen Jungen zurück. Das mussten ihre Schwestern sein. Die größere von beiden, sie hatte ein auffälliges, silbergraues Tigerfell, kam zielstrebig auf uns zu.

„Ihr sucht eure Freunde?“

Ich nickte. „Einen weißbrauner Kater, eine weiße Kätzin und einen brauner Kater, meinen Bruder.“

Das dritte Junges, eine schildpattfarbene Kätzin mit weißem Bauch, schnupperte kurz an uns.

„Vor einiger Zeit sind Katzen hier vorbei gekommen. Ich bin mir nicht sicher, ob es eure Freunde sind, aber sie hatten einen ähnlichen Geruch wie ihr.“

Ich horchte auf. „Wirklich? Aber…warum riechen wir dann nichts.“ Wenn sie wirklich heute hier waren, müssten wir sie doch riechen.

„Unsere Zweibeiner haben die Pflanzen kurz danach mit Wasser begossen“, erklärte mir das Junge, das uns begrüßt hatte. „Das Wasser spült die meisten Gerüche weg.“

„Ich verstehe“, murmelte ich, obwohl es sich mir nicht erschloss, wieso Zweibeiner so etwas tun sollten. Dann wandte ich mich wieder an die Schildpattkätzin.

„Kannst du ungefähr sagen, wohin sie unterwegs waren?“

Sie schüttelte den Kopf. „Tut mir leid. Im Spurenlesen habe ich keine große Erfahrung und nachgeforscht habe ich auch nicht. Hier kommen immer sehr viele Katzen vorbei.“

„Ihr könnt aber mal Tony fragen“, miaute die getigerte Kätzin. „Er wohnt bei den Zweibeinern schräg gegenüber mit der kleinen Birke im Vorgarten. Er ist oft draußen, vielleicht hat er etwas gesehen.“

Ich nickte. „Vielen Dank. Auf Wiedersehen.“

Murmelnd verabschiedeten sich die drei Schwestern, während wir umkehrten und uns dem Zweibeinernest auf der anderen Seite zuwandten.

Ein dicker, rotbrauner Kater sah uns von einem hohen Stein am Rand des Gartens entgegen. Mir entging nicht, wie er schnupperte. Als wir näher kamen stand er auf und sprang von dem Stein herunter.

„Guten Tag“, begrüßte ich ihn. „Bist du Tony?“

Anstatt eine Antwort zu geben, schnupperte er kurz an mir. „Du musst Schneepfote sein.“

Seine Reaktion überrumpelte mich. „Du…du kennst mich?“

Der Kater nickte heftig. „Heute kamen einige Katzen vorbei. Drei. Sie schienen ziemlich durcheinander, aber haben nicht gesagt, was los ist. Ein brauner Kater hat mir die Botschaft mitgegeben. Er sagte, falls eine weiße Kätzin, seine Schwester Schneepfote, vorbei kommen sollte, soll ich es ihr ausrichten.“

Ich bemerkte, wie auch Stein, Funke und Schlange zu mir schauten.

„Du hast einen ähnlichen Geruch wie er“, bestätigte Tony.

„Waren noch andere Katzen bei ihm?“, schoss es aus Funke heraus.

„Nein, nur er.“

Das wurde immer mysteriöser. „Was hat Kastanienpfote gesagt?“

Ich wusste, dass er ehrlich meinen Bruder zitierte, als Tony seine Worte aussprach. „Geht zurück zum verabredeten Treffpunkt. Wenn wir bei Sonnenhoch nicht wieder zurück sind, zieht ohne uns weiter.“

Eine schlaflose Nacht

Der ganze Weg durch den Zweibeinerort bis zu den anderen, die fast alle schon schliefen, bis auf die Katzen, die Nachtwache hielten, war wie eine Wanderung durch den Nebel. Von Wolke und Hase gab es ebenfalls keine Spur. Ich, Schlange, Funke und Stein legten uns nebeneinander in das Moos. Doch keiner von uns tat ein Auge zu.

„Das passt nicht zu ihm“, murmelte ich immer wieder vor mich hin. „Kastanienpfote würde mir immer alles sagen. Wir haben keine Geheimnisse. Wenn wir in Gefahr sind, würde er uns warnen und keine waghalsigen Einzelaktionen starten. Das passt einfach nicht zu ihm. Und dann wäre da noch diese Gefühl.“

Schlange sah auf. „Ihr…euer verstorbener Bruder. Er erscheint euch in euren Träumen. Wenn ihr beide dieselben Träume habt. Vielleicht weiß er Rat. Er ist doch bei euren Sternenkatzen, oder?“

„Hellpfote hat erzählt, sie würden einigen Katzen in Träumen erscheinen. Tut euer Bruder das auch?“; hakte Stein nach, während sie sich putzte.

„Schon, aber…Laubjunges’ Botschaften sind anders. Ich weiß nicht, wie SternenClan-Katzen zu Heilern reden, aber Laubjunges…er appelliert an unsere gemeinsame Vergangenheit.“

„Eure Kindheit?“, sagte Funke ratlos. Die drei Katzen sahen mich verständnislos an.

Ich holte Luft, bevor ich antwortete. „Seitdem wir aufgebrochen sind, erleben ich und Kastanienpfote immer wieder Szenen aus unserer Kindheit mit Laubjunges. Doch immer wieder werden unsere Erinnerungen unterbrochen. Von Dingen, die nicht passiert sind.“ Ich erinnerte mich an einen unserer Träume. „Wir haben die eine Szene gesehen, wie wir mit einer Clan-Schülerin gespielt haben. Die Schülerin hat einen Eindringling des BlattClans gespielt, den wir vertreiben mussten. Das alles entsprach unserer Vergangenheit. Doch dann ist im Traum plötzlich etwas geschehen, was in Wirklichkeit nicht passiert war. Laubjunges hatte plötzlich etwas von Hunden erzählt. Als Kastanienpfote und ich gleichzeitig aufwachten, griffen uns die Hunde an.“

Nachdenklich sahen die Katzen ins Leere.

„Ihr glaubt mir doch, oder?“

„Wir haben eure Ahnen selbst gesehen“, erinnerte mich Schlange. „Natürlich glauben wir dir.“

„Wenn das stimmt, solltest du versuchen, ein wenig zu schlafen“, riet mir Funke, während sie sich zusammen rollte. „Vielleicht ist das des Rätsels Lösung.“

„Ich werde es versuchen“, antwortete ich ihm. Ich rollte mich zwischen den anderen zusammen und schloss die Augen.

 

Ein warmes Licht strahlt mir entgegen, als ich die Augen öffne. Ich spüre die Wärme, das Fell meiner Mutter, das Leben um mich herum. Laubjunges und Kastanienjunges liegen neben mir. Laubjunges hatte seine Augen als Erster aufgetan. Ich sehe, wie er sich freut, als er mich erblickt. Auch Kastanienjunges’ Lider zucken erwartungsvoll.

„Schneejunges?“ Er sieht mich aus großen, blauen Augen an. Dann schaut er zu unserer Mutter.

„Erdwurzel?“

Ich sehe ebenfalls zu meiner Mutter auf. Ihr braunes Fell erinnert mich an das von Kastanienjunges, der immer noch neben uns liegt. Freudig leckt sie uns über den Kopf. Das fühlt sich angenehm an.

„Ihr habt beide die gleiche Augenfarbe!“, murmelt sie. „Und du siehst aus, wie dein Vater, Schneejunges.“

Ich schaue auf mein weißes Fell herab. Mein Vater. Weißmond. Ich kenne seine Stimme. Er ist oft bei uns.

„Wird er kommen?“

„Er ist auf Patrouille“, klärt mich meine Mutter auf. „Aber er kommt bald zurück.“

„Patrouille?“, fragt Laubjunges neben mir.

„Er kontrolliert unsere Grenzen.“

„Welche Grenzen“, frage ich.

„Die Grenzen zum BlattClan-Territorium. Sie muss täglich kontrolliert werden.“

„Können wir mal mitkommen?“, möchte ich weiter wissen.

„Wenn ihr alt genug seid, um Schüler zu werden. Ihr werdet alle drei gute Schüler werden. Auch du, Kastanienjunges.“

Kastanienjunges tastet tapsend nach uns. „Ich will auch sehen!“

Ich lehne mich an ihn. „Mache die Augen auf. Es sieht schön aus.“

Doch anstatt die Lider zu öffnen und uns zu zeigen, wie hübsch seine grünen Augen waren, und wie ähnlich er somit seiner Mutter sah, wie ich meinem Vater, löst er sich vor unser aller Augen in Luft auf.

„Folgt mir nicht!“, hallt seine Stimme in mir nach. Als ich aufwache, weiß ich, dass ich keinen weiteren Schlaf finden werde.

Einsame Wanderung

Die Vögel flogen weit über uns aus dem Sonnenhoch über den blauen Himmel, an dem einige rötlich gefärbte Wolken hingen. Immer noch sah ich zu dem Zweibeinerort, dessen dunkle Schatten sich gegen das leuchtende Gelb der Sonne abhoben. Jeden Augenblick musste ein rötlichbraun leuchtender Pelz auftauchen, eine Silhouette gegen das Sonnenlicht, das uns entgegen kam. Jeden Augenblick musste der Wind einen wohlbekannten Geruch zu mir hinüber tragen musste, der alle Sorgen bei Seite schob. Dann würde ich erklärt bekommen, was vorgefallen war und dass alles wieder gut war. Wir würden Seite an Seite weiterziehen, unserem Ziel entgegen, alles gemeinsam durchstehen, bis wir in dem rettenden Wald angekommen sein werden.

„Wir sollten los.“ Es war Tupf, der mich vorsichtig ansprach. Seitdem ich ihn die Klippe hinauf gezogen hatte, hatte sich eine tiefe Freundschaft zwischen uns entwickelt. Ich sah das Mitleid in seinen Augen. „Kastanienpfote wird wissen, was er tut. Ihm ist die Entscheidung sicher genauso schwer gefallen wie dir.“

Daran hatte ich keinen Zweifel. Doch immer noch nagte dieses Gefühl vom Vortag an mir. Die Gefahr. Nicht meine Gefahr, sondern die meines Bruders.

In der Zwischenzeit hatte ich das Gefühl verdrängt, doch immer noch nagte es schmerzhaft an mir und meinem Gewissen. SternenClan, mache, dass ihm nichts passiert!

Wir zogen dem Flug der Vögel hinterher, ohne ein Wort zu sagen.

 

Wir machten eine Pause, als die Sonne schon über ihren höchsten Stand hinaus getreten war.

Ich konnte nicht lange zwischen den anderen verweilen, ich musste einige Zeit für mich allein haben. Und die hatte ich am besten auf der Jagd.

Die Wühlmaus bemerkte mich irgendwie und trat die Flucht an. Ich sprang zu hastig und ungeschickt ab, verfehlte sie um mehrere Mauslängen und landete unsanft zwischen langen, grünen Halmen im Gras. Missmutig wollte ich dem Wühler nachsehen, als eine graue Gestalt aus dem Gras sprang und die Beute in einem Zug zur Strecke brachte. Nicht einmal ich hatte sie vorher bemerkt.

„Ich steigere mich langsam, nicht wahr?“, murmelte Hellpfote, als sie ihren Fang ablegte. Ich gab keine Antwort, sondern rappelte mich auf. Die weißen Blüten der Pflanzen, in die ich gestürzt war, hingen noch in meinem Pelz. Ich drehte den Kopf, um mich zu putzen.

„Halt!“ Hellpfote war vor mir da und zupfte vorsichtig mit den Krallen das Kraut heraus. „Schafgarbe“, miaute sie sachlich. „Davon hättest du dich übergeben müssen. Wird verwendet, um Katzen zu retten, die Todesbeeren oder Ähnliches geschluckt haben.“

Ich nickte geistesabwesend, obwohl ich mir sicher war, dass ich diese Fakten ohnehin baldmöglichst wieder vergessen würde.

„Danke. Ich bin zurzeit etwas…durcheinander.“

Hellpfote nickte verständnisvoll. „Schon in Ordnung. Ich wäre an deiner Stelle sicher auch neben der Spur.“ Ich folgte ihr, als sie den Weg zurück zum Lager einschlug. „Was auch immer seine Beweggründe waren, er wollte uns alle sicher nur schützen.“

„Ich weiß.“ Gedankenverloren sah ich wieder zurück in die Richtung des großen Zweibeinerortes. „Aber dieses mulmige Gefühl werde ich nicht los.“

„Du glaubst, er ist in Gefahr?“

„Nein“, murmelte ich. „Ich spüre es. Wir wissen oft, was der andere denkt oder fühlt. Und ich fühle, dass er in Gefahr ist.“

„Hast du schon einmal überlegt, dass das deine eigenen Gefühle sind?“

Ich stutzte. „Wie bitte?“

„Nun ja, du machst dir Sorgen um Kastanienpfote. Viele Katzen spüren Gefahr, wenn sie im Anzug ist. Ohne deinen Bruder könntest du dich unbewusst unsicherer fühlen. Die Gefahr, die du spürst, betrifft in Wirklichkeit dich, du denkst nur an Kastanienpfote, weil du dir Sorgen um ihn machst, deshalb ziehst du diese Schlüsse.“

Ihre Worte brachten mich für einige Zeit zum Schweigen. Konnte es wirklich sein, dass ich nicht um meinen Bruder, sondern um mich selbst fürchtete?

„Ich weiß langsam überhaupt nicht mehr, was das alles zu bedeuten hat.“

Mit einem Mal regte sich etwas in mir. Tief in meinem Kopf kam eine Erinnerung hervor. Obwohl sie noch sehr frisch waren, schienen diese Worte doch aus tiefster Vergangenheit zu stammen.

Etwas wird geschehen, kurz bevor wir unser Ziel erreichen. Ob es sich zum Guten oder zum Schlechten wenden wird, muss die Zukunft zeigen.

Ich spürte, wie ich anfing zu zittern. Was hatte es mit diesem Ereignis auf sich? Und warum beim SternenClan, sollte Kastanienpfote sich deswegen von uns abwenden?

Als wir alle gegessen und uns ausgeruht hatten, setzten wir die Reise fort.

Weißer Husten

Wir fanden erst spät einen Rastplatz, an dem wir die Nacht verbringen konnten. Von den weiteren Ereignissen des Tages hatte ich kaum noch etwas mitbekommen. Punkt und Nacht hatten mich dann irgendwann von der Führungsspitze abgelöst, weil sie meinten, ich bräuchte eine Pause und sollte mich für einige Zeit von der doppelten Verantwortung, die nun auf mir zu lasten schien, zurückziehen. Ich freute mich, als Mücke sich ganz spontan zu mir gesellte.

„Ich kenne Wolke und Hase schon seit wir junge Katzen waren. Ich vermisse sie, bestimmt nicht ganz so sehr, wie du Kastanienpfote, aber sie haben ein Loch in mir hinterlassen. Doch ich weiß, wenn sie deinem Bruder gefolgt sind, müssen sie das aus Überzeugung getan haben.“

Ich nickte. Ihre Worte wärmten mich auf. Sie gaben mir noch etwas Hoffnung. Obwohl ich mich ziemlich matt fühlte.

„Ich kenne Kastanienpfote nicht sehr gut, aber was ich von ihm erfahren habe, lässt mich nicht daran zweifeln, dass er zurückkommen wird. Deinetwegen, unseretwegen und des SternenClans wegen. Er wird sicher noch kommen, wenn er mit Wolke und Hase kommen wird, wird uns ihr Erscheinen sicher helfen.“

„Ich weiß.“ Meinte Stimme hörte sich ziemlich rau an. Es war bestimmt nur die Anstrengung der letzten Tage. Eine ordentliche Mütze voll Schlaf würde nicht nur mir gut tun.

„Ich denke, wir sollten etwas länger als eine Nacht an unserem nächsten Rastplatz verbleiben. Wir alle benötigen ein wenig Ruhe.“

Ich stimmte ihrem Vorschlag mit einem Nicken zu. „Es wäre wohl das Beste, eine längere Rast einzulegen. Etwa einen Tag und zwei Nächte würden genügen.“

Mücke nickte zufrieden. „Ich sage den anderen, sie sollten danach Ausschau halten.“

Sie tat das für mich, das spürte ich.

Ich widersprach ihr nicht, obwohl ich es nicht mochte, so umsorgt zu werden. Es war nur vernünftig, dass wir uns alle ausruhten.

Als eine gefühlte Ewigkeit später wir endlich in einer windgeschützten Talsenke zur Ruhe kamen, schlief ich ein, ohne mir vorher ein Moospolster errichten zu können.

 

Ich niese kurz, als Dornenblatt meine Temperatur fühlt.

„Vorerst ist es nur eine Erkältung, aber sie könnte sich leicht verschlechtern. Ich werde dir vorerst etwas Bachminze und einige Mohnsamen geben, damit du ein wenig schlafen kannst. Dann wird es dir bald besser gehen.“

Als sich der Heiler in seine Kräutervorräte begibt, erscheinen die Gesichter meiner Brüder im Eingang.

„Was ist es?“, fragt Kastanienjunges. „Können wir bald weiter spielen?“

Ich kann nur mit einem Niesen antworten.

„Hast du Weißen Husten?“, fragt mich Laubjunges, obwohl er genau weiß, dass ich dafür keine Auskunft geben kann.

„Eure Schwester bracht Ruhe und wird erst einmal nicht zum Spielen kommen!“, sagt Dornenblatt streng, als er zurückkommt. „Geht jetzt!“

„Gute Besserung“, wünscht mir Kastanienjunges, bevor er sich zurückzieht. Dornenblatt schiebt mir die würzig riechenden Kräuter hin. „Bachminze, Wachholder und Mohnsamen. Danach wird es dir bald besser gehen.“

Katzenminze ist selten geworden, deshalb spart sich der Heiler diese Vorräte für einen Ernstfall auf. Brav beuge ich mich vor zu den Kräutern und lecke sie Blatt für Blatt und Samen für Samen auf.

„Jetzt solltest du schlafen. Ich komme gleich wieder, ich möchte nur kurz die Schüler und Erdwurzel benachrichtigen. Das Nestmaterial in der Kinderstube muss nämlich…“

 

„…schleunigst ausgewechselt werden!“

Als Hellpfote die Worte ihres ehemaligen Mentors vervollständigte, spürte ich, wie jemand mir einen neuen Moosballen unter den Kopf schob. Ich blinzelte schwach. Mehrere verschwommene Katzengesichter beugten sich über mich. Meine Nase war verstopft, mein Hals fühlte sich kratzig und trocken an, als hätte ich eine Ranke Dornen verschluckt. Ein nasser Moosball wurde mir an die Lippen gedrückt. Schwach strecke ich meine Zunge hervor und lecke an den feinen Tröpfchen.

„Schneepfote, kannst du mich verstehen?“

Ich versuchte, ein Nicken zu Stande zu bringen, doch mein Kopf wackelte nur unkontrolliert zur Seite.

„Bewege dich lieber nicht. Mücke und Tupf sind hier und passen auf dich auf. Ich werde Kräuter suchen. Versuche, ein wenig zu schlafen, ich habe leider keine Mohnsamen. Wir haben sich an den Rand des Lagers getragen, damit du mehr Ruhe hast.“

Ich schloss die Augen und versuchte, konzentriert ihren Worten zu lauschen, doch immer wieder verlor ich den Faden.

Ich musste mehrmals ansetzten, bis ich einige erstickte Worte hervor brachte. „Was…los…mit…mir?“

„Du hast Weißen Husten Schneepfote.“ Hellpfotes Stimme rückte immer weiter in die Ferne. „Du musst dich schonen und schlafen. Lange schlafen…“

Träume

Ich wache mitten in der Nacht auf. Meine Erkältung vom Vortag hatte sich ein wenig zurückgezogen, doch Dornenblatt behält mich immer noch zur Untersuchung in meinem Bau. Egal, wie ich mich drehe und wende, wie ich das Moos umher schiebe und zu Recht rücke, ich kann einfach nicht schlafen.

Ich sehe kurz schüchtern zu Dornenblatt. Ich hatte schon bemerkt, dass der Heiler nur durch heftiges Rütteln und rufen, oder durch die Worte „Jemand hat sich verletzt“ in der Nacht wach zu bekommen ist. Warum also sollte er bemerken, wenn ich mich heimlich davon stähle?

Ich gehe kurz einige Schritte auf ihn zu, nur um mir zu vergewissern, dass er auch wirklich tief und fest schläft.

Er zuckt nicht einmal, als ich leise seinen Namen sage.

Ich probiere es lauter. Keine Reaktion.

Ich entscheide, dass die Situation sicher ist und wende mich langsam dem Ausgang zu. Die Schüler hatten uns vor einigen Tagen auf drängende Nachfragen hin einige Anschleichtechniken gezeigt, die ich nun erfolgreich bis zum Lager anwende. Ich bin zwar nicht mehr erkältet, aber Dornenblatt will mich noch länger in seinem Bau behalten, damit er sicher gehen kann, dass ich wirklich kerngesund in die Kinderstube zurückkehre. Meine Genesung grenzt an ein Wunder, bedenkt man, dass die Nächte so kalt und verlassen wirken ohne meine Brüder und meine Mutter an der Seite. Hellpfote hatte neben mir geschlafen, aber Hellpfote ist weder Kastanienjunges, noch Laubjunges, noch Erdwurzel. Die drei Katzen brauche ich für eine ruhige Nacht.

Ich sehe noch einmal zurück in den Bau und vergewissere mich, dass beide Katzen tief und fest schlafen. Dann pirsche ich langsam über die nächtliche Talsenke auf die Kinderstube zu.

Ich komme nicht weit.

Wenige Schritte nach Verlassen des Heilerbaus werde ich von einem lauten Husten unterbrochen.

 

Nein!

Das war so nicht gewesen. Ich hatte das ganz anders in Erinnerung.

Ich kam bis zur Kinderstube, kuschelte mich zwischen meine schlafenden Brüder und bekam am Morgen Ärger von Dornenblatt, Weißmond und Erdwurzel, obwohl ich mit meiner Vermutung Recht hatte und wieder kerngesund war. Aber ich hatte nicht gehustet!

Nicht in der Vergangenheit.

Dafür tat ich es nach dem Erwachen.

Ich konnte mich halb aufrichten, husten, bis ich endlich wieder Luft bekam und durchatmen konnte. Mücke, die neben mir schlief, war aufgewacht und sah mich besorgt an.

„Ist alles in Ordnung?“

„Ja, schon gut.“ Meine krächzende Stimme verriet das Gegenteil. „Ich habe mich nur an etwas verschluckt.“

Hoffe ich.

„Du hast dich nicht verschluckt!“, wurde ich scharf von Hellpfote zu Recht gewiesen, die mit müdem Gesichtsausdruck zu mir kam. „Du hast gehustet.“

Sie ließ ein Kraut vor mir fallen. „Katzenminze. Es war nicht leicht, das alles zu finden. Alles aufessen und dich dann gründlich ausschlafen, morgen früh geht es weiter!“

Gehorsam schluckte ich die Blätter und die dazu gelegten Mohnsamen. Es war Morgengrauen.

„Wie…lange?“ Ich wurde von einem Niesen unterbrochen.

„Eine Nacht hast du geschlafen. Wir bringen dir gleich Frischbeute und Wasser. Schön alles aufessen!“

Brav schluckte ich die Wühlmaus, die den ungeschickten Bissspuren und dem Kratzer nach Hellpfotes Fang war, trank das Wasser und verfiel zurück in das Land der Träume.

 

Wir sitzen am Lagerrand und schauen dem Sonnenhoch zu.

„In zwei Monden werden wir zu Schülern ernannt!“, greift Laubjunges unser erstes Gesprächsthema auf.

„Ich kann es kaum erwarten“, stimme ich ihm zu. „Jagen und Kämpfen zu lernen muss sehr spannend sein.“

„Aber wir haben noch andere Aufgaben“, erinnert mich Laubjunges. „Den Clan versorgen, uns um die Ältesten kümmern, Schäden im Lager reparieren…“

„Das ist doch alles kein Problem für uns!“, unterbreche ich ihn, weil ich weiß, dass er nur Spaß macht. „Es ist unsere Pflicht als Schüler. Stimmt doch, Kastanienjunges?“
Als ich mich zu meinem anderen Bruder umdrehe, scheint die Sonne auf einen leeren Platz im Gras.

„Kastanienjunges?“

Erschrocken sehe ich zurück zu Laubjunges, der mit einem Mal ein sehr ernstes Gesicht macht.

„Trauere ihm nicht allzu sehr hinterher, Schneepfote. Euch erwarten noch ganz andere Schwierigkeiten. Kastanienpfote wird zum richtigen Zeitpunkt zurückkehren.“

 

Andere Schwierigkeiten?

Ich schlug die Augen auf. Während ich geträumt hatte, war es schließlich Sonnentief geworden. Es war fast dunkel, die Sonne war schon ganz verschwunden.

Als ich mich aufrichtete, spürte ich, dass ich mich durch den Schlaf so ausgeruht wie lange nicht mehr fühlte. Das letzte Mal war ich noch ein Junges, dass ich so tief und fest schlafen konnte.

Nun wurde mein lieblicher Schlaf erneut durch andere Sorgen unterbrochen.

Welche Schwierigkeiten, Laubjunges? Welche Schwierigkeiten?

Ich hoffte, Antworten zu erhalten, doch träumen tat ich diese Nacht nicht mehr.

Der Waldsee

„Fühlst du dich wirklich stark genug, damit wir weiter gehen können?“

Nacht war die sechste Katze, die diese Bedenken neben mir äußerte. Ich versuchte, meinen Ärger zu unterdrücken. Sie wollten mir doch alle nur helfen.

„Danke, ich fühle mich viel besser als gestern. Und ihr braucht wirklich nicht mehr für mich jagen. Ich fühle mich besser, wenn ich meine Beute selbst fange.“

„Natürlich.“ Ich bemerkte ihre Verlegenheit. „Aber, wenn noch etwas ist, bin ich für dich da. Und die anderen auch.“

Irgendwie schmeichelte es mir, wie sehr sie sich um mich sorgte. Doch ich wollte immer noch eine selbstständige Katze sein.

Ich bemühte mich, eine entschlossene Miene aufzusetzen und setzte mich an die Spitze der Gemeinschaft. Hellpfote begleitete mich.

„Du musst dir keine Sorgen machen!“, hörte ich sie zu Nacht sagen. „Ich habe sie dreimal untersucht und dazwischen sind wir noch eine Nacht hier geblieben. Mit Schneepfote ist alles wieder in Ordnung. Und falls etwas passiert bin ich immer noch da.“

Ich beachtete Hellpfote mit einem dankbaren Blick. Unsere Beziehung hatte sich in den letzten Tagen mehr als verbessert. Wir waren fast wie…Freundinnen.

Gedankenverloren sah ich zum Himmel. Es flogen kaum noch Vögel in Richtung Sonnenuntergang, dennoch war ich mir sicher, dass wir auf der richtigen Spur waren.

Es war fast schade, dass ich mich von all diesen Katzen verabschieden sollte. Ich habe sie alle lieb gewonnen. Der Abschied würde nicht leicht fallen.

Nicht nur der von meinen Schützlingen.

Ich konnte im Lauf nicht über die Schulter blicken, doch meine Gedanken verweilten an den Orten, die wir hinter uns gelassen haben.

Kastanienpfote, ich weiß nicht, was du vorhast, aber bitte, komm sobald wie möglich zurück.

 

Es war gegen Nachmittag, als mich dieses seltsame Gefühl beschlich.

Es war nicht das gleiche wie vor einigen Tagen im Zweibeinerort, aber es war da. Deutlich spürte ich dieses Zwicken in meiner Brust. Etwas war geschehen. Oder würde geschehen.

„Ist etwas falsch?“

Die Frage stammte von Fang, die mich mit wenigen Schritten eingeholt hatte.

„Ich bin mir nicht sicher.“

Ich hatte ein seltsames Gefühl. Mal wieder.

„Ich muss darüber noch ein wenig nachdenken“, lenkte ich ab. Dabei hatte ich schon einen Verdacht…

 

„Wir laufen direkt auf einen Wald zu.“ Steins Bericht ließ alle freudig und überrascht miauen. Ich sah auf. „Wie weit ist es noch?“

„Vom Plateau aus sah es nach etwa drei bis vier Tagesreisen aus. Es könnte aber auch länger dauern.“

„Ist es unsere Heimat?“ Die Frage stammte von Klaue, es waren die ersten Worte, die er seit langen hervor brachte.

„Ich bin mir nicht sicher. Seine Größe konnte ich schlecht einschätzen, aber er wirkt etwas klein für uns alle.“

„Es ist aber sicher eine Etappe“, miaute Funke hoffnungsvoll. „Wir können ein wenig das Leben im Wald üben.“

„Wir sollten auf jeden Fall vorbei schauen“, meinte ich. „Kommt, vielleicht haben wir Glück und es ist wirklich eure neue Heimat.“

Mit frischem Elan steigerten wir unser Tempo.

 

Der Wald bot genug Raum zur Erholung und einige Jagdgebiete, in denen wir unsere Vorräte aufstocken konnten. Ein schmaler Fluss führte zu einem stillen, dunklen See. Viele kleine Fische schwammen im Wasser, somit fand Schlange, dass er, um sich für die Lektionen im Kaninchenjagen zu bedanken, eine gute Gelegenheit hatte, um mir Fischen beizubringen.

„Schmecken Fische denn überhaupt?“, neckte Tupf ihn, der sich zu uns gesellt hatte.

„Nicht so gut wie Kaninchen“, räumte der dunkle Tigerkater ein, „aber sie sind sehr nahrhaft und geben Kraft.“

Fische.

Ich beobachtete, wie ihre schlanken, silbrigen Körper im Wasser schimmerten, als sie mit der Strömung durch den Fluss trieben. Sie waren groß und würden uns bestimmt gut ernähren.

„Ich hoffe, wir müssen uns nicht allzu sehr die Pfoten nass machen, um sie zu fangen“, riss Tupf mich aus den Gedanken.

„Keine Sorge. Ihr müsst sie mit einer Vorderpfote herauf schaufeln. Seht her!“

Ich beobachtete, wie Schlange mit einer schnellen Bewegung einen Fisch aus dem Wasser hob und ihn neben uns in das Gras fallen ließ, wo er ihn mit einem schnellen Biss tötete.

„Gesehen?“

„Das sieht ja alles ganz einfach aus. Ich versuche es mal.“

Ich war mir immer noch nicht sicher, was ich von dieser Art Beute halten sollte, doch Tupf trat entschlossen an den Rand des Flusses und beobachtete das Wasser.

„Lehne dich weiter nach hinten, sonst sehen die Fische deinen Schatten“, riet ihm Schlange. Tupf korrigierte seine Haltung. Seine Augen folgten den vorbei schwimmenden Fischen unter der Wasseroberfläche. Mit einer schnellen Bewegung stieß er schließlich seine linke Vorderpfote ins Wasser. Ein kleinerer Fisch fiel auf das Ufer, wo er zappelte, bevor Tupf ihm den Garaus machte.

„Das ist einfacher, als ich erwartet habe. Versuche es auch einmal, Schneepfote, du wirst dabei nicht allzu nass.“

Skeptisch trat ich an das Ufer. Ich war mir sicher, dass das Fangen von Fischen nicht so einfach war, wie es bei Schlange und Tupf ausgesehen hatte. Ich setzte mich an den Rand des Flusses und hob die Pfote.

„Du musst den richtigen Moment abwarten!“, riet mir Schlange. „Schnell und präzise, dann hat der Fisch keine Chance.“

Ich folgte mit dem Blick den Fischen, die vorbei kamen. Sie schimmerten im Licht der untergehenden Sonne. Als ich das erste Mal zustieß, verfehlte ich den Fisch. Den nächsten konnte ich berühren, aber nicht aus dem Wasser schaufeln.

„Du musst mit der Pfote unter ihn kommen und sie dann hochziehen“, rief mir Schlange. „Ungefähr so.“ Obwohl er die Bewegung langsam vollführte, damit ich sie auch erkennen konnte, machte er seinen zweiten Fang an diesem Tag und legte ihn zu den anderen.

Ich richtete meinen Blick wieder auf die schlanken Körper der Fische. Ich studierte ihre Schnelligkeit. Und stieß zu.

Zwar flog der Fisch hoch in die Luft, er wäre aber wieder im Wasser gelandet, wenn Tupf ihn nicht mit den Zähnen aufgefangen hätte.

„Kein schlechte Griff“, lobte er mich.

Mittlerweile machte mir es immer mehr Spaß, diese Technik zu erlernen. Mein erster Fang war der kleinste Fisch von allen, aber es war mein erster Fang.

„Ich denke, das reicht für uns“, miaute Schlange, „sonst können wir sie gar nicht zurück ins Lager schaffen. Morgen können wir noch weiter Üben.“

Ich stimmte ihm mit einem Nicken zu, da mir klar wurde, wie leicht man mit dieser Technik Beute fangen konnte. Das sollte ich meinem Clan beibringen, wenn ich wieder zu Hause war. Doch ob sich der BlattClan gefallen lassen wird, wenn wir uns aus dem Grenzfluss bereicherten? Vielleicht konnten sich beide Clans auf ihr jeweiliges Ufer einigen? Ich könnte es Falkensturz und Mausstern vorschlagen, wenn ich wieder zu Hause war.

Ich nahm zwei der Fische ins Maul und folgte Tupf und Schlange zu unserem am Rand des Sees eingeschlagenen Lager.

 

„Fische?“, begrüßte mich Klaue mit hochgezogenen Lefzen, als ich die Exemplare auf den Frischbeutehaufen ablegte.

„Schlange meint, sie seien sehr nahrhaft. Ich denke, ich probiere einfach einen. Möchtest du auch einen?“ Ich schob ihn einen der anderen Fische entgegen.

„Probieren schadet nicht!“, gab der dunkel gescheckte Kater nach und zog den Fisch zu sich heran. Ich sah interessiert, wie sich seine Miene nach den ersten Bissen veränderte.

„Wie schmecken sie?“

„Salzig. Etwas Schleimig. Aber man kann sie essen.“

Vorsichtig probierte ich einen Bissen. Anfreunden würde ich mich mit dem Geschmack nicht, aber man konnte den Fisch essen.

„Wie habt ihr die denn geangelt“, fand mein Fang auch gleich bei Funke Zustimmung, die mit einem Wühler im Maul vorbei kam.

„Schlange hat es mir und Tupf gezeigt. Ich bin nicht die Beste, aber vielleicht habt ihr mehr Glück.“

„Jagen ist mir lieber, da bleibt man trocken“, entschied Klaue zwischen zwei Bissen.

„Schneepfote!“

Ich hielt in meiner Mahlzeit inne, als ich den Ruf hörte. Hellpfote rannte mit gehetztem Blick über die Lichtung.

„Was ist los?“, fragte ich, hoffend, dass es kein zu ernster Grund war.

„Es ist dringend.“ Sie blieb stehen. „Komm mit, schnell.“ Sie sah zu Klaue und Fang. „Am besten kommt ihr auch noch. Je schneller alle davon erfahren, desto besser.“

Jagd in der Nacht

„Was ist das?“, hauchte Fang entgeistert.

„Zweibeinermüll“, knurrte Klaue mit finsterem Blick. „Und riechen tut das auch nicht gut.“

„Davon habe ich schon einmal gehört.“

Hellpfote sah auf. „Du weißt, was das ist?“

„Die Ältesten haben davon erzählt. Vor langer Zeit haben die Zweibeiner ähnliche Abfälle in den Fluss gekippt. Alle Katzen, die von dem Wasser getrunken haben, sind krank geworden. Viele sind gestorben.“

Ich sah auf die dreckigen Behältnisse am Ufer des Sees herab, aus dem eine dunkle, übel riechende Flüssigkeit in den See schwappte. Einige Fische schwammen an der Stelle tot auf der Wasseroberfläche.

„Ich werde allen Katzen sagen, dass sie kein Wasser aus dem See trinken sollen“, bot sich Klaue an.

Ich nickte. „Hellpfote, falls eine Katze krank wird, suche deine Kräuter an einer anderen Stelle im Wald.“

Sie nickte. „Wäre sinnvoll.“

„Ich sage allen, dass sie lieber woanders jagen sollen, es könnte ansonsten ein Unfall passieren!“, schlug Fang vor.

Ich blieb noch einige Sekunden and er Stelle stehen und sah nachdenklich auf das verseuchte Wasser. Deshalb sollten wir nicht hier bleiben, sondern nach einem anderen Wald suchen. Ich fragte mich, wie lange es dauern würde, bis die giftigen Substanzen in den Waldboden eingedrungen sind. In jedem Fall müsste ich mir baldmöglichst Gedanken über unseren Aufbruch machen. Weit konnte es schließlich nicht mehr sein.

 

Mein linkes Ohr drehte sich, als ich das feine Rascheln der Maus vernahm. Sie bewegte sich über den Boden. Mit geschlossenen Augen konnte ich ihre winzigen Krallen über Zweige scharren hören.

Langsam drehte ich den Kopf in die Richtung, aus der das Rascheln kam. Ich roch, wie die Maus näher kam. Im fahlen Mondlicht konnte ich kaum etwas erkennen, doch ich verließ mich auf meine anderen Sinne.

Nun, wo sie näher kam, konnte ich die Beute sehen. Die Maus war nicht sehr groß, sah aber wohlgenährt aus. Ich tat einen vorsichtigen Schritt in ihre Richtung, darauf achtend, dass mein Fell nicht raschelte.

Der winzige Kopf der Maus bewegte sich, ihre Schnurrhaare zuckten. Ich wagte nicht zu blinzeln. Hatte sie mich entdeckt?

Als sie einen zögerlichen Schritt zur Seite machte, wagte ich es, eine weitere Pfote nach vorn zu setzen. Lautlos kam ich meinem ahnungslosen Ziel näher.

Vorsichtig drückte ich die Grashalme vor mir nieder. Das Jagen im Wald war ungewohnt für mich, doch ich hatte mich schnell an diese Bedingungen angepasst. Bevor die Maus weitere Schritte tun konnte, schlug ich zu. Mit einem Satz landete ich präzise mit den Vorderpfoten auf ihr, bevor sie weglaufen konnte. Ehe die Beute auch nur quieken und andere Tiere verscheuchen konnte, war sie schon tot.

Es war die dritte Maus, die ich diese Nacht erlegt hatte. Keine von ihnen war mir entwischt. Ich sammelte auf dem Rückweg die anderen beiden ein und wollte mich zu unserem Lager begeben.

Ich hielt inne. In der Luft lag ein schwacher Geruch. Ich schnupperte an den Blättern und musste lächeln.

„Hast du mich beobachtet?“

Stein stolperte mehr aus dem Gebüsch über mir. „Ich habe zufällig bemerkt, wie du auf die Jagd gegangen bist und wollte mir einige lehrreiche Einheiten nicht entgehen lassen.“

„Lektion Nummer eins: Vermeide es, an Pflanzen zu streifen, weil diese deinen Geruch aufnehmen.“

„Ich werde es mir merken.“

Ich nahm die Mäuse wieder auf, gemeinsam schlugen wir den Weg zurück zum Lager ein.

„Wir werden morgen weiter ziehen?“

Ich nickte, da die Mäuse im Maul eine Antwort verhinderten.

„Es ist bestimmt nicht mehr weit in den Wald.“

„Bestimmt nicht!“, murmelte ich durch die Mäuse hindurch, hoffend, dass Stein mich verstand.

„Ich…wollte dir nur sagen…also…die ganze Reise, die du für uns aufgenommen hast…Kastanienpfote und du…ihr würdet euch nicht einmal von einer ganzen Hundemeute aufhalten lassen.“

„Nein, wir würden sie umrunden“, rutschte es mir heraus.

„Ich wollte nur sagen…“ Stein blieb stehen ich sah sie erwartungsvoll an. „Danke.“

Dieses eine Wort sagte mehr als alles andere. Und ihr Blick noch mehr.

Für einige Zeit stand ich still an der Stelle. Ich legte die Mäuse ab, um besser sprechen zu können.

„Ich…ich mache das hier nicht nur des SternenClans Willen. Auch ich glaube daran, dass ihr in eurer neuen Heimat ein besseres Leben anfangen könnt.“ Ich leckte ihr kurz freundschaftlich über das Ohr. „Jede Katze hat eine zweite Chance verdient. Und diese Chance geben wir euch.“

Wir. In Gedanken war Kastanienpfote immer bei mir.

Verlegen zuckte ich mit den Schnurrhaaren, als ich sah, dass Stein meine Gedanken erraten hatte.

„Er wird zurückkommen, glaube mir. Er würde uns nicht im Stich lassen. Und dich schon gar nicht.“

„Ich weiß.“ Ich sah kurz in den dunklen Wald. „Er kommt uns hinterher, das spüre ich. Es wird bestimmt nicht mehr lange dauern, dann seid ihr zu Hause und wir beide wieder vereint.“

Stein nickte. „Dann lass uns zurück gehen und noch ein wenig schlafen. Das solltest du auch versuchen, wir haben einige lange Wegstrecken vor uns.“

Ich nickte. „Ich versuche es.“ Unter dem Licht der Sterne kehrten wir in unser Lager zurück.

Wanderung im Traum

Ich springe hoch in die Luft und lande auf dem Blatt. Mit den Krallen drücke ich es in den Boden. Stolz über meinen Fang sehe ich zu Erdwurzel und Weißmond, die mich beobachten.

„Sehr gut, Schneejunges“, lobt mich Weißmond. „Aus dir wird noch eine sehr gute Jägerin.“

„Das kann ich auch!“, meldet sich Laubjunges und kauert sich wie ein Krieger auf der Jagd hin. Ich bemerke, wie geschmeidig seine Bewegungen sind. Sie fließen natürlich nicht so wie die der Schüler, doch ich kann sehr gut erkennen, dass Laubjunges den Ansatz schon erlernt hat. Doch während er in die Luft springen möchte, rutscht er aus und legt eine ausgesprochen unelegante Bauchlandung hin. Ich kichere.

„Das ist nicht witzig“, knurrt mich mein Bruder beleidigt an.

„Geht zur Seite!“, drängte sich Kastanienjunges vorbei, „jetzt zeige ich euch wie es geht.“

Er setzt vorsichtig eine Pfote vor die andere. Mir entgehen die bewundernden Blicke Weißmonds nicht. Ich sehe, wie Kastanienjunges’ Schwanz auch ruhig in der Waagerechten verharrt, ohne ein verräterisches Zeichen zu machen.

Doch als er auf die imaginäre Beute stürzt, wird er von einem weißen Nichts verschluckt.

 

„Nein! Kastanienjunges, bleib hier!“

Als ich aufsprang, legte sich der Schreck kein bisschen. Ich war nicht wie sonst immer in meiner gewohnten Umgebung aufgewacht. Ich sah nicht die anderen Katzen um mich herum, nicht einmal Hellpfote, die bei diesem Aufschrei sofort das ganze Lager mobilisiert hätte, um das Schlimmste zu verhindern.

Um mich herum erstreckten sich die weiten Gräser der Steppe. Der Heimat meines Clans.

„Was soll das bedeuten?“

„Das hier symbolisiert das Ende aller Träume.“

Die Stimme war hinter mir. Eine lange nicht mehr gehörte Stimme, doch sofort rief ich sie mir in Erinnerung.

„Laubjunges?“ Ich drehte mich umher und sah meinem Bruder in die Augen.

„Du darfst dich nicht aufhalten lassen. Nicht von deinen Träumen.“

Was meinte er damit? Er hatte uns doch vor all diesen Gefahren gewarnt!

„Ich…ich verstehe nicht. Du hast doch…“

„Das wart ihr, Schneepfote. Du und Kastanienpfote habt euch selbst gewarnt.“

„Aber…“ Die Worte blieben mir im Hals stecken.

Hast du schon einmal überlegt, dass das deine eigenen Gefühle sind?

Hellpfotes Worte hallten in meinen Ohren nach. Sie hatte es auf die Verbindung zwischen Kastanienpfote und mir bezogen. Doch diese Regel galt auch für etwas anderes.

Laubjunges bestätigte meine Vermutungen.

„Kastanienpfote und du, ihr habt euch selbst gewarnt. Eure…unsere gemeinsamen Kindheitserinnerungen sind euch wichtiger als alles andere, daher träumt ihr im Schlaf die ganze Zeit davon. Die Warnungen, das waren eure eigenen Gefühle, die sich mit euren Träumen vermischt haben.“

Die Worte trafen mich völlig unvorbereitet. Wir haben nicht davon geträumt, dass etwas passieren würde. Wir wurden nicht gewarnt. Wir wussten es. Wir wussten immer, was der andere spürte, doch manchmal war es uns nicht klar, ob es unsere Empfindungen oder die des anderen waren. Diese Empathie war der eigentliche Grund für die seltsamen Träume. Und die Sehnsucht nach unserer heilen, problemlosen Kinderwelt. Wir hatten zufällig die gleichen Träume, weil wir uns immer mit den gleichen Themen befasst haben. Laubjunges hatte mit all dem nie etwas zu tun gehabt, er war schlicht und einfach die plausibelste Erklärung gewesen.

„Ich kann diese Träume nicht abstellen.“ Meine Stimme hörte sich fast verzweifelt an. „Sie kommen immer wieder, jede Nacht. Ich kann nichts dagegen tun.“

„Das vielleicht nicht“, stimmte mir mein Bruder zu. „Aber du kannst lernen, Traum und Wirklichkeit, Wunsch und Gefühl voneinander zu unterscheiden.“

Er trat noch einige Schritte auf mich zu und berührte mich mit seiner Nase. Eine warme Energie schien in mich über zu fließen.

Ich sah Bilder. Der Wald, in dem wir lagerten. Ich sah, wie er sich dem Ende zuneigte, als würde ich mit irrwitziger Geschwindigkeit durch ihn hindurch laufen. Ich sah, wie wir auf steiniges Felsland kamen, wie wir sumpfiges Gelände durchquerten. Ich sah mich einen Berg erklimmen, bis ich auf der Spitze stand und die Sonne ihre Strahlen auf einen weiten, grünen, im Wind rauschenden Wald herab fallen ließ.

Der Wald, den wir die ganze Zeit suchten.

Ich schlug keuchend die Augen auf. Der Weg hatte sich in meinen Kopf eingeprägt. Ich hatte eine genaue Route, ein Ziel, zu dem ich die Katzen bringen musste.

„Geht jetzt“, miaute Laubjunges. „Es ist nicht mehr so weit, wie es aussieht. Noch bevor die Blattgrüne einbricht, werdet ihr dort sein.“

Steinerne Gefahr

„Du weißt, wo es langgeht?“, begrüßte mich Fang überrascht. Auch die anderen sahen mich aus großen Augen an.

„Ich habe den Weg gesehen. Wenn wir aus dem Wald heraus sind, müssen wir durch eine weite, felsige Landschaft, danach durch einen Sumpf. Der Wald, den wir suchen, liegt hinter einigen hohen Bergen. Wenn wir uns beeilen werden wir noch vor Einbruch der Blattgrüne dort sein.“

„Wir müssen über Felsen? Können wir die nicht umrunden?“ Es war Mücke, die diese Bedenken äußerte.

„Ich weiß nicht, wie groß sie sind, dennoch wäre das ein viel zu weiter Umweg.“

„Kann man da überhaupt jagen?“, wollte Schlange wissen.

Ich musste an die Berge denken und die Jagdtechniken dort, die uns Himmel beigebracht hatte.

„Ich kenne einige Tricks, mit denen man gut an Beute kommen kann. In den Bergen haben wir uns so versorgt. Ich werde sie euch heute noch zeigen, wenn wir eine Pause machen. Wenn man es ein paar Mal gemacht hat, ist es ganz leicht.“

„Was hält uns dann noch auf?“, miaute Klaue mit erwartungsvollem Blick. „Wir müssen schließlich noch vor der Blattgrüne nach Hause!“

 

Ich kauerte mich an dem Ufer des kleinen Teichs und trank mehrere Schlucke des kühlen Wassers. Es war die einzige Wasserquelle in der Nähe des Waldrandes und womöglich eine der letzten Möglichkeiten, etwas zu Trinken und unsere Wasserspeicher aufzutanken, bevor wir uns in die Steinwüste begaben. Der SternenClan wusste, wie viele Trinkwasserquellen es dort gab.

Schon nach einiger Zeit machte uns die Sonne zu schaffen. Auf den Steinen gab es keine Schattenplätze, nicht eine einzige Wolke milderte die gnadenlosen Strahlen der brennenden Sonne.

Mehrmals hintereinander gab ich meine Position an der Spitze ab und erkundigte mich nach dem Befinden jeder Katze, die mir geschwächt vorkam. Mir war klar, dass ich im Ernstfalle wenig ausrichten konnte, aber ich wollte immerhin auf Nummer Sicher gehen und kein Leben gefährden.

Wie ein Geschenk vom SternenClan kam mir die winzige, mit braunem Gras umwachsene Wasseroase vor, die wir erst nach Einbruch der Nacht erreichten. Wir alle waren so müde gewesen, dass wir ungeachtet unseres Hungers sofort einschliefen.

 

„Ihr müsst Geduld haben und die Beute nah an euch rankommen lassen. Dann stoßt zu, so schnell ihr könnt.“

Immer wieder beäugte ich misstrauisch die großen Vögel, die über uns ihre Kreise zogen. Keiner von ihnen stieß zu, um eine Katze zu Verspeisen, doch sie schienen uns zu beobachten. Immer wieder kamen sie in ihren Kreisen näher, nur um dann wieder hoch in die Luft aufzusteigen. Einige kamen so nahe, dass ich ihn gut erkennen konnte. Die riesigen, fast adlergroßen Vögel hatten keine einzige Feder auf dem Kopf. Aus tückisch blitzenden Augen starrten sie auf uns herab.

Wir bräuchten einen Stammes-Höhlenwächter. Himmel hatte uns erzählt, wie unter anderen es ihre Aufgabe gewesen war, Adlerangriffe auf die Beutejäger abzuwehren.

Ich wandte meinen Blick wieder meinen Schülern zu. Maus hatte die Position schnell erlernt, der graue Schlamm unterdrückte ihr graubraunes Fell vollständig. Unter Monds Schlammschicht leuchtete immer noch weißes Fell auf.

„Ich kann dich immer noch erkennen, Mond.“

Der weiße Kater seufzte und kehrte in die Schlammkuhle zurück, um die sauberen Flecken seines Fells mit dem grauen Matsch zu überdeckten.

Ich sah mir die beiden Katzen noch einmal genau an.

„Sehr gut. Ihr müsst die Tiere nah an euch heran kommen lassen, bevor ihr zuschlagt. Ungefähr eine Katzenlänge, so dass ihr sie schnell erreichen könnt.“

Nach dieser theoretischen Einführung zogen wir über die Felsen um zu jagen.

 

Es dauerte nicht lange, da kamen wir mit spärlicher, aber für die Gegend erfolgreicher Beute zurück. Mond war zwar immer noch unzufrieden, weil er sich nicht sicher war, wie er sein Fell in Ordnung kriegen sollte, aber mir war klar, dass er die neuen Jagderfahrungen nicht ablehnte.

Doch etwas war noch dabei.

Dieses Gefühl.

Dieses stetige Gefühl der Gefahr.

Es war stärker geworden.

Sehr viel stärker.

Bis ich mich schließlich entschied, eine Kontrollpatrouille anzuführen.

 

Schon nach wenigen Schritten machte sich deutlich bemerkbar, wie ansteigendes Gelände mit unebnem Untergrund Katzen zu schaffen machen konnte. Ich kam noch relativ gut voran, aber Maus bat schon bald um eine Pause. Auch Funke blieb kurz stehen.

„Länge können wir auf solchem Terrain nicht mehr verweilen“, murmelte sie mit einem langen Blick über die Felsen, zwischen denen allemal Disteln und Dornen wucherten. „Allein die Sonne kann eine Katze um den Verstand bringen.“

„Da bin ich genau deiner Meinung“, zischte Maus. „Was suchen wir hier überhaupt?“

„Potenzielle Gefahrenquellen“, antwortete ich schnell, obwohl ich mir sicher war, dass die beiden genauestens über meine Instinkte Bescheid wussten. „Giftschlangen, Hunde, einen weiteren Scharfzahn…“

„Riechen kann man bei dieser Luft jedenfalls kaum etwas“, bemerkte sie. „Da wäre mir ein guter Aussichtspunkt wie dort oben gerade recht.“

Ich sah wieder den steinigen Anhang hinaus. „Das ist nur einer der Gründe, weshalb ich dort hinauf will.“

Sie kannten mich beide gut genug, um nicht nach dem anderen Grund zu fragen, den sie im Grunde schon kannten. Meine prophetischen Gefühle, die um Leben und Tod entscheiden könnten.

„Wartet.“ Maus blieb einen Moment stehen. „Habt ihr nicht auch das Gefühl, dass es hier ungewöhnlich heiß ist?“

„Es ist Nachmittag und wir befinden uns auf der Seite des Berges, die der Sonne zugewandt ist.“ Funkes Stimme blieb bei ihrer Ausführung so trocken wie der steinige Boden unter ihren Pfoten.

„Das meine ich nicht. Das ganze Gestein ist heiß. Viel zu heiß.“

Ihre Sorge ließ mich innehalten. Vorsichtig kauerte ich mich hin. Funke hatte Recht. Nur von der Sonnenbestrahlung konnte diese Hitze nicht kommen.

„Das hast du vielleicht gespürt“, schlug Maus vor.

„Ich bin mir nicht sicher.“ Ich blinzelte den Staub aus meinen Augen. „Ich spürte nur, dass irgendein Risiko besteht. Und dass ich die Ursache auf diesem Berg suchen müsste.“

„Sollen wir weiter?“, miaute Maus unsicher.

Etwas riet mir davon ab, die Strecke weiter aufwärts zu verfolgen.

Eine Erinnerung.

Ich schloss die Augen und atmete noch einmal tief durch. Der fade Gestank von Rauch stieg in meine Nase. Aber dieser Rauch war nicht von normalem Feuer verursacht worden.

Ich hatte diese Art Rauch schon einmal gerochen.

„Wir müssen sofort runter hier und zurück zu den anderen.“

Irritiert sahen mich Funke und Maus an.

„Vertraut mir. Hier ist es viel zu gefährlich!“

Der Mondtunnel

Die Temperatur des Gesteins ließ ab, je näher wir zu unserer Oase kamen, was meine Vermutung nur bestätigte. Bisher schien der Feuerberg ruhig zu bleiben, doch ich wollte nicht darauf vertrauen, dass er dies auch weiterhin hat.

Wir ernteten mehrere verwunderte Blicke, als wir nacheinander heimkehrten und das Wort „Aufbruch“ unter den Katzen kursierte.

Ich bahnte mir einen Weg zum Rand des Wassers.

„Hört mir bitte zu!“

Nacheinander verstummten die Gespräche und erwartungsvolle Blicke richteten sich auf mich.

„Ich weiß nicht, ob ihr es vom Wald aus mitbekommen habt, aber während unseres Aufenthalts in den Bergen hat einer der Berge angefangen, flüssiges Feuer und Rauch zu spucken.

Verwundertes Gemurmel ertönte, bis Mond seine Stimme erhob. „Es stimmt. Wir haben uns tagelang gefragt, was diese Rauchwolken über den Bergen zu bedeuten hatten.“

„Genau so ein Berg ist hier in der Nähe!“

„Ein Feuerberg?!“ Der Einruf kam von Hellpfote, die mit erschrockener Mine zu mir herauf starrte. Ich ahnte, dass hinter ihren Augen die Bilder des flüssigen Feuers wieder hervor sprudelten.

„Ein Feuerberg. Hier in der Nähe.“

Mit einem Mal verstanden sie, was ich meinte. Unruhiges Gemurmel ertönte.

„Wenn das stimmt, müssen wir so schnell wie möglich weg von hier!“ Der Aufruf stammte von Mond.

„Deshalb sage ich euch, was wir tun werden. Wir werden sofort aufbrechen. Auf unserer Route schlagen wir einen Bogen um den Feuerberg ein, daher wird unsere Reise etwas länger dauern. Sobald eine Katze glaubt zu spüren, wie sich der Boden unter ihren Pfoten erwärmt, ändern wir die Richtung. Noch Fragen?“

Nichts. Stattdessen bildeten die Katzen Reihen und liefen mir auf dem angegebenen Kurs hinterher.

 

Gegen Abend fing es an, zu regnen. Unser Weg wurde dadurch nicht einfacher. Die Felsen waren glitschig, wir mussten unsere Pfoten vorsichtig setzen, um nicht auszurutschen. Mein Pelz war schon nach kurzer Zeit völlig durchnässt. Das Wasser sickerte zwar seitlich durch die Rillen und Spalten im Gestein ab, doch spülte es auch sämtliche Sandkörner und kleineren Steine mit sich, die uns auf dem rauen Gestein Halt gegeben hätten. Ich presste mich fest mit dem Bauch gegen den Boden, um nicht auszurutschen.

Es dauerte noch eine gefühlte Ewigkeit, bis wir eine Höhle zum Unterschlüpfen fanden.

 

Ich hörte einen Fluch hinter mir und drehte mich um. Maus hatte beim Abstieg in die Grotte den Halt verloren und war unsanft auf dem Boden aufgekommen. Hellpfote und ich waren gleichzeitig bei ihr.

„Keine Sorge.“ Mit verkniffenem Gesicht rappelte Maus sich auf. „Ich bin nicht verletzt.“

„Seid vorsichtig beim Abstieg!“, rief Hellpfote zu den Katzen am Eingang der Grotte zu. „Verletzungen können wir hier als Letztes gebrauchen.“

Als alle unten waren und sich einen Platz zwischen den Felsen gesucht haben, waren die ersten Katzen schon vor Erschöpfung eingeschlafen.

 

Es war der Geruch, der mich früher wach werden ließ, als ich es sonst immer tat.

Mein Kopf schoss in die Höhe, bevor sich meine Augen öffneten. Ich sah mich um. Schlafende Katzen, aber nichts Ungewöhnliches. Dennoch war da dieser seltsame Geruch.

Und mein wiederkehrendes, ungutes Gefühl.

Ich war die einzige, die wach war. Erneut schloss ich die Augen, um mich besser auf den Geruch in der Luft konzentrieren zu können.

Ich konnte die Witterung nicht einordnen, war mir aber sicher, dass ich diesen Geruch kannte. Irgendwo in meinem Unterbewusstsein regte sich eine Information zu dieser Spur.

Ich roch erneut, konnte endlich die Herkunft erkennen.

Der Geruch führte in das Innere der Höhle.

Ein hoher, dunkler Gang führte in eine tiefe Dunkelheit. Am anderen Ende der Grotte strahlte zum Gegensatz das Licht des Mondes durch den Höhleneingang.

Ein leichter Luftzug hatte den Geruch in unsere Richtung geweht.

Ich zögerte noch einen Augenblick, dann tappte ich vorsichtig ins Dunkle, um dem Geheimnis auf den Grund zu gehen.

 

Die Dunkelheit verschluckte mich.

Das letzte Licht lag weit hinter mir, der fahle Schimmer aus der Grotte begleitete mich nur über wenige Schritte. Danach waren meine restlichen fünf Sinne auf sich gestellt.

Ich spürte, wie der Tunnel enger wurde und zog den Kopf ein. Der Geruch wurde langsam stärker, doch die Enge war mir unbehaglich.

Einige große Steinbrocken erschwerten mein Vorrankommen. Mehrmals musste ich den Bauch einziehen, um voran zu kommen. Als sich der Gang weitete, sodass ich wieder aufrecht gehen konnte, merkte ich, wie ein silbriges Licht durch den Tunnel sickerte. Mondlicht!

Das Licht stammte unverkennbar von dem abnehmenden Vollmond am Himmel.

Ich blieb stehen, als ich gegen die Wand vor mir stieß. Vorsichtig tastete ich die Felswände ab. Der Weg stieg vor mir langsam empor.

Ich bemerkte, wie das Gestein immer wieder von Matsch überzogen wurde. Mehrmals hätte ich fast den Halt verloren. Der Schlamm verklebte schnell mein Fell, Nase und Ohren.

Als ich endlich die letzten Klimmzüge hinter mir brachte und den engen Tunnel verließ, war mir sogleich klar, woher dieser Geruch kam.

In meinem Kopf wirbelten sogleich verworrene Bilder und Erinnerungen umher. Ich wollte mich vollständig aus dem Loch ziehen, doch da gab der Boden unter meinen Hinterpfoten nach. Vergeblich grub ich meine Krallen in die lockere Erde, konnte so aber keineswegs verhindern, dass das Erdreich über mir zusammen brach.

Gejagt

„Scharfzahn ist über uns.“

Ich erntete weit mehr verwunderte, als schockierte Mienen. Der Einsturz des Tunnels hatte mit einem donnernden Grollen alle Katzen aufgeweckt, ich konnte gerade noch rechtzeitig den herab stürzenden Erd- und Gesteinsmassen entkommen. Mir war klar, dass ich über und über mit Schlamm und Dreck beschmiert ein seltsames Bild abgeben musste.

„Was ist los?“, murmelte Nacht, die blinzelnd die Augen aufschlug.

„Scharfzahn!“, wiederholte ich. „Die Riesenkatze. Er ist dort oben, direkt über unserer Höhle.“

Nacheinander schossen alle Köpfe, mit einem Mal hellwach, in die Höhe.

„Seid ruhig, bitte, sonst hört er uns!“

Auf meine Aufforderung folgte plötzliche Stille. Ich konnte meinen eigenen Atem hören. Nacheinander wurden Köpfe zur Decke der Grotte gereckt. Nun konnte auch ich das Scharren von Pfoten auf Stein und die schweren Schritte über uns hören.

„Was machen wir jetzt?“, hauchte Nacht mit angelegten Ohren.

„Wenn es stimmt, wird uns dieses Biest zu Krähenfraß verarbeiten!“, zischte Funke. Ihre angelegten Ohren und das gesträubte Fell straften den wilden Blick in ihren Augen Lügen.

„Hier wird niemand zu Krähenfraß verarbeitet!“, stieß ich hervor. „Nicht solange ich noch hier bin.“

Ich schloss für einen Augenblick beide Augen und atmete tief durch. Ich musste mir schnellstmöglich etwas einfallen lassen, das uns alle in Sicherheit brachte.

Scharfe Zähne ruhen nicht, hallte Laubjunges’ Stimme in meinem Kopf. Ein schauriges Kribbeln durchfuhr meinen Pelz, als mein Bruder in meinem Kopf weiter sprach.

Das heißt jedoch noch lange nicht, dass sie tüchtigen Katzen überlegen sind.

„Wir müssen unsere Gedanken umstellen. Er ist der Jäger. Wir sind die Beute. Und welche Beute hat sich schon je freiwillig von einer Katze fangen lassen?“

 

Ich rannte.

Ich spürte weder den eisigen Nachtwind, der mir entgegen blies, noch die Tropfen des Nieselregens oder die scharfen Steine, die mir in die Ballen schnitten. All meine Gedanken kreisten um Scharfzahn, dessen lautes Brüllen hinter mir über die Ebene hallte.

Verwirrung.

Wir waren auf ein Zeichen hin aus der Grotte gestürmt und hatten uns in alle Himmelrichtungen verstreut, bevor unser Feind ein Angriffsziel heraus picken konnte. Schnell hatte ich die meisten anderen aus den Augen verloren. Aus den Augenwinkeln sah ich noch Katzengestalten über die Felsen flitzen, doch um sie zu erkennen, ging alles zu schnell.

Ich richtete meinen Blick wieder starr auf den Horizont, änderte zum fünften Mal meine Laufrichtung. Ich durfte auf keinen Fall riskieren, dass Scharfzahn meine Route voraussagen konnte und mich dort abfing.

Ich landete in einer tiefen Rille im Gestein. Geduckt, um so wenig Aufmerksamkeit wie möglich auf mich zu lenken, huschte ich zwischen den Steinen hindurch.

Ich hatte keinen Schimmer, ob die anderen genauso viel Glück hatten wie ich. Ich musste mir eine gute Stelle suchen, um nach Scharfzahn und meinen Reisegefährten Ausschau halten zu können.

Mit einem Satz verließ ich meine vorbestimmte Bahn und setzte in mehreren Sprüngen über die hohen Steine hinweg, die vor mir auftauchten. Rückwärts schlüpfte ich in eine Spalte zwischen den Steinen. Mein Herz schlug mir bis zum Hals, als ich vorsichtig über die Ebene lugte.

Wie erwartet sah ich nur wenige Katzengestalten, die, bevor ich sie genau definieren konnte, in ihren eigenen Verstecken unter krochen. Scharfzahn stand in großer Entfernung zu mir auf einem hohen Felsen und sah deutlich nach Atem ringend über die Felslandschaft. Seine goldenen Augen schweiften mit hungrigen Blick über die Landschaft. Ich glaubte, zu sehen, wie sich seine Nasenlöcher beim Wittern weiteten.

Ich duckte mich und presste mich fester gegen das feuchte Gestein. Ich konnte nur hoffen, dass der Regen unseren Katzengeruch so gut wie möglich wegspülen oder überdecken würde.

Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis ich den Mut aufbrachte, einen weiteren Blick zu riskieren.

Scharfzahn war verschwunden.

Der Platz, an dem das riesige Raubtier vorhin noch stand, war leer. Ich lauschte. Keine Pfotenschritte, kein Gebrüll, keine über Felsen scharrenden Krallen. Hatte er von uns abgelassen? So schnell?

Ich krabbelte langsam und nicht ohne Scheu aus meinem engen Versteck. Auf dem Stein sah ich mich um. Die Befürchtung, jeden Augenblick Scharfzahns goldbraunes Fell hervorschnellen zu sehen, grub sich tief in meine Brust. Ich sah meine Gefährten an verschiedenen Stellen über die Ebene ziehen. Obwohl Scharfzahn weit und breit nicht zu sehen war, schlugen sie ein strammes Tempo an. Ich atmete auf, als ich trotz intensiver Suche nirgendwo eine reglose, katzenartige Gestalt zu sehen bekam. Wir waren anscheinend allesamt davon gekommen.

Mit einem Satz sprang ich von meinem Aussichtspunkt herab, schlitterte eine gute Katzenlänge über den regennassen Fels und setzte meinen Weg Richtung Sonnenuntergang fort.

 

Scharfzahns Geruch holte mich ein, als der Regen vorüber gezogen war und der kalte Wind unter den grauen Wolken leicht drehte.

Wie erstarrt blieb ich stehen. Er war hinter mir. Und er kam näher.

Obwohl meine Beine vor Erschöpfung taub waren, beschleunigte ich mein Tempo. Ich fand nicht einmal die Zeit, zurück zu schauen.

Ich stolperte. Mein Vorderbein schlug hart gegen eine Felskante, was es mir mit einem stechenden Schmerz heimzahlte. Beim nächsten Auftritt knickte meine Pfote unter meinem Gewicht zusammen. Ich konnte ein schrilles Miauen nicht unterdrücken, als ich mich überschlug und meine Schulter gegen einen Stein schlug. Grelle Blitze zuckten vor meinen Augen umher. Mit einem Ruck rollte ich mich wieder auf die Pfoten.

Das stechende Pochen in meiner Schulter ließ die Welt vor meinen Augen verschwimmen. Alles schien sich zu drehen. Mein eigener Atem pfiff mir in den Ohren wie das Tosen eines Sturms. Ich verlor erneut den Halt unter meinen Pfoten.

Scharfzahns kreischendes Miauen dröhnte in meinen Ohren, als ich in ein tiefes, dunkles Loch herabfiel.

Auf der Lauer

Lebte ich noch?

Die Frage stellte sich mir unwillkürlich, als ich anfing, meinen Herzschlag wieder bewusst wahrzunehmen. Als ich gefallen war, war ich mir sicher gewesen, dass ich jeden Augenblick dem SternenClan gegenübertreten würde.

Ich blinzelte und sah…

Graue Felsen.

Jedenfalls ging ich davon aus, dass diese verschwommenen Schemen Felsen waren.

Den blauen Himmel über mir.

Es war also Tag und es hatte aufgehört zu regnen.

Wie lange hatte ich geschlafen?

Ein schmerzhafter Stich beschwerte sich in meinem Genick, als ich meinen Kopf hob. Stöhnend drehte ich mich von der Seitenlage auf den Bauch. Ich spürte einige tiefe Schrammen an meinem rechten Vorderbein. Vorsichtig fing ich an, gleichmäßig über die Wunden zu lecken, bis das Brennen bei den Berührungen mit meiner Zunge nachließ.

Ich lebte also noch.

Aber wie?

Die Antwort meldete sich schmerzhaft, als ich beim Aufstehen mit dem Kopf gegen einen Felsen prallte. Ich lag in einem tiefen, schlammigen Felsloch. Taumelnd kam ich auf die Beine. In dem engen Schacht konnte ich mich kaum umdrehen. Mein Genick schmerzte, als ich mir den Hals verrenkte, um einen Blick nach oben zu erlangen. Etwa anderthalb Fuchslängen trennten mich von der Welt über mir.

Ich wollte anfangen, hochzuklettern, doch meine Hinterbeine knickten unter meinem Gewicht weg, als wäre von einem Augenblick auf den anderen jede Kraft aus ihnen gewichen. Nicht einmal Meine Krallen konnten vernünftigen Halt an dem Gestein finden und glitten mit einem unangenehmen Kratzen von ihr ab. Kraftlos sank ich in der Kuhle zusammen. Schon bald versank mein Umfeld wieder in einer lichtlosen Schwärze.

 

Das gleichmäßige Knurren brachte mich nur langsam wieder zu Bewusstsein.

Ich blinzelte. Ein dunkler Schatten hatte sich über mich herab gesenkt. War es wieder dunkel geworden? In jedem Fall knurrte mein Magen wie ein wütender Dachs. Im Halbschlaf hatte ich Feuchtigkeit von den Steinwänden abgeleckt. Mir war klar, wenn ich nicht bald etwas unternahm, würde ich hier unten entweder verhungern oder verdursten.

Der Schatten verschwand, erneut strahlte die heiße Sonne gnadenlos auf mich ein. Es musste Mittag sein. Blinzelnd sah ich nach oben, konnte aber nur verschwommene Felsen erkennen. Alles schien vor mir zu flackern.

Der Schatten kehrte zurück. Ich blinzelte. Die hellen Sonnenstrahlen rahmten eine Gestalt ein, die ich nicht richtig erkennen konnte. Doch er Geruch, der mir entgegen kam, verriet alles.

Ich rollte mich wieder zusammen, während ich Scharfzahns glühenden Blick auf meinem Pelz spürte. Er kam nicht an mich heran. Und er hatte Hunger.

Warum ging er nicht? Warum suchte er sich nicht eine andere Beute? Ich war doch unerreichbar!

Oder lauerte er nur auf die anderen, die mich suchen würden.

Ein eisiger Schauer lief mir bei diesen Gedanken durch den Pelz. Sollte das wahr sein? Dass ich nur ein Köder für seine Beute war?

Großer SternenClan, hole mich hier heraus!, dachte ich, während ich erneut in einen tiefen Dämmerschlaf verfiel.

 

„Ich habe Durst!“, maule ich unzufrieden, obwohl der getränkte Moosball eine Mauslänge neben mir liegt.

Dornenblatt lässt von dem Sortieren seiner Kräuter ab und schiebt mir das Moos näher heran, sodass ich gut trinken kann.

„So besser?“, fragt Dornenblatt freundlich wie immer.

„Ja, danke“, sage ich, etwas beschämt über meine unhöfliche Frage. Nach wenigen Schlucken fange ich wieder an, zu husten.

„Waren Laubjunges und Kastanienjunges schon hier?“

„Du hast geschlafen. Ich habe sie weggeschickt, damit du deine Ruhe hast. Soll ich sie benachrichtigen?“

Ich sehe zu dem Heiler hoch. „Bin ich denn gesund genug?“

„Du bist nur noch geschwächt. Aber die Ansteckungsgefahr ist vorbei. In den nächsten Tagen kannst du auch schon wieder zurück in die Kinderstube.“

Endlich wieder zurück! Ich presse die letzten Tropfen aus dem Moosball, kurz bevor meine Brüder den Heilerbau betreten.

„Dir geht es wieder besser, oder?“, erkundigt sich Kastanienjunges nach mir.

Zum Beweis meiner Gesundheit richte ich mich auf, obwohl ich mich innerlich noch ziemlich matt fühle. „Ich bin die gute Laune in Person. Morgen darf ich bestimmt wieder zurück.“

„Wir spielen wieder das Grenzspiel“, schlägt Laubjunges vor. „Aber diesmal bin ich der Eindringlich!“ Er sieht sich kurz um. „Die Luft ist rein. Es merkt bestimmt keiner, wenn du ein wenig raus gehst. Scharfzahn ist weg. Du kannst hoch.“

 

„Schneepfote! Hast du gehört? Er ist weg!“

Ich blinzelte. Meine Traumwelt verblasste vor meinen inneren Augen. Ich blinzelte. Die Katzengestalten über mir erkannte ich nur am Geruch.

„Mond? Tupf? Schlange?“

„Wir sind es!“ Schlanges Stimme hallte in meinen Ohren wieder wie ein Donnergrollen, das mich aus einem tiefen Schlaf reist. Sofort bin ich hellwach und schaue zu meinen Rettern hoch.

„Das Biest ist weg. Keine Sorge, Schneepfote, wir holen dich da heraus!“

Rettung

„Gehe vom Rand weg!“, warnte mich Mond. Ich versuchte, mich so dicht wie möglich an die Wand des Lochs zu drücken, war aber nicht minder erschrocken, als die drei Kater den dicken Ast senkrecht in die Grube fallen ließen. Er schien stabil, doch ich war mir nicht sicher, ob er mein Gewicht halten würde.

„Klettere bis zur Spitze, dann ziehen wir dich hoch“, wies Mond mich in die Nutzung dieses Hilfsmittels ein.

„Die Äste brechen leicht“, fügte Tupf noch hinzu. Er drehte den Kopf. „Ist die Luft rein?“

„Nichts zu sehen von Scharfzahn“, hörte ich Schlange von weitem miauen.

Mond nickte mir zu. „Dann los!“

Ich grub meine Krallen in das dunkle Stück Holz und zog mich mit kurzen, schnellen Klimmzügen Stück für Stück daran hoch. Erstarrt verharrte ich in der Bewegung, als der Ast rückartig ein Stück nach hinten rutschte.

„Alles in Ordnung?“, fragte Mond von oben.

„J…Ja. Alles bestens“, meldete ich, sobald ich mich wieder gefasst hatte. Dennoch tat ich mehrere tiefe Atemzüge, bevor ich den nächsten Schritt Richtung Befreiung wagte.

Tupf beugte sich zu mir herunter, sobald ich in seine Reichweite kam. Ich spürte, wie er mich mit den Zähnen am Nackenfell hinauf zog.

Sobald ich festen Boden unter meinen Pfoten verspürte, bewegte ich mich mit einem Satz von dem Loch weg. Ich spürte, wie ich keuchte, als ich mich zu Tupf und Mond umwandte.

„Danke. Ohne euch wäre ich dort unten verrottet.“

„Nichts zu danken“, winkte Tupf ab. „Schließlich hast du mir zuvor auch den Hals gerettet.“

„Wie…habt ihr mich gefunden?“

„Klaue hat uns in Suchtrupps eingeteilt, als du nicht aufgetaucht bist.“ Die Stimme gehörte Punkt, der von einem Wachposten auf der anderen Seite herunter sprang. „Wir haben gefühlt die halbe Steppe umgegraben, bis Schlange endlich deine Geruchspur entdeckt hat. Du musst uns unbedingt erklären, wie man es schafft, so wenige Spuren zu hinterlassen.“

„Im Lager“, wandte Mond ab. „Schlange, ist die Luft rein?“

Ich sah, wie der Kater die Luft prüfte.

„Scharfzahn scheint sich entfernt zu haben. Siehst du sie, Punkt?“

„Keine Spur“, gab Punkt die Entwarnung.

Schlange sprang mit einem Satz vom Felsen. „Nutzen wir die Gelegenheit.“

 

Ich spürte schon nach kurzer Zeit, wie der Weg vor uns anstieg. Ob hinter diesem Berg schon der erhoffte Wald lag, den Laubjunges mir in seiner Vision gezeigt hatte? Jedenfalls kam mir die Skyline ziemlich bekannt vor.

Funke erwartete uns als Wache abseits der anderen. Als sie unseren Geruch erkannte, sprang sie auf und lief schnurstracks auf mich zu.

„Wir haben uns schreckliche Sorgen gemacht! Was ist nur passiert?!“

„Ich bin in ein Erdloch gefallen“, erklärte ich knapp. Mit einem Blick auf meine Retter fügte ich hinzu: „Wenn diese Patrouille nicht vorbei gekommen wäre, würde ich immer noch dort drinnen sitzen.“

„Die Anderen sind auch schon zurückgekommen. Wir vermuten, dass hinter diesen Hügeln unsere Heimat ist.“

Ich nickte. „Das denke ich auch. Kommt.“

Die üblichen Reaktionen gingen nicht anders aus. Allen voran drängte sich wieder einmal Hellpfote, die mich sofort von oben bis unten abschnupperte.

„Dir tut nichts weh, oder?“

„Die linke Schulter ein wenig. Ich bin im Lauf gestolpert, aber der Schmerz lässt nach.“

„Du solltest dich trotzdem ein wenig ausruhen, so etwas sollte man nicht auf die leichte Schulter nehmen. Die Wachen und Patrouillen haben wir in deiner Abwesenheit schon organisiert.“

Ich ließ mich auf ein fertig gemachtes Moospolster hinab gleiten. Ich mochte es nicht, wenn andere Katzen alles für mich erledigten, ohne dass ich mich beteiligte, doch im Augenblick war ich wirklich zu erschöpft, um zu widersprechen oder gar mit anzupacken.

Kaum lag ich auf dem weichen Polster, fiel ich schon in einen tiefen Schlaf.

Die alten Anführer

Die Steppe.

Ich stand auf einem Hügel inmitten des saftigen Grases der Blattgrüne und ließ mir den kühlen Wind durch den Pelz wehen. Der silbrige Mond strahlte auf mich herab und brachte dem hohen Gras einen sanften Schimmer.

„Laubjunges?“

Ich drehte mich zweimal um die eigene Achse, doch meinen Bruder konnte ich nicht entdecken. War dies hier letztendlich doch nur ein normaler Traum?

„Dies ist kein normaler Traum, Schneepfote. Doch du brauchst unbedingt unsere Hilfe.“

Erschrocken drehte ich mich um. Ich erkannte die Stimme sofort aus meiner Kindheit.

„Silberstern!“

Mein ehemaliger Anführer stand wenige Katzenlängen neben mir, sein dunkles Fell glänzte im Mondlicht. Mein Mund blieb einige Zeit offen stehen, da ich ihn als letztes erwartet hatte. Dann entdeckte ich den kleineren, schildpattfarbenen Kater neben ihm.

„Sei gegrüßt, Schneepfote“, begrüßte mich der Kater mit einem Kopfnicken. „Mein Name ist Springstern. Ich war vor Silberstern Anführer des SteppenClans.“

Ich kannte Springstern nur aus Erzählungen. Unter seiner Führung hatte der Clan die friedvollste und erholsamste Zeit gehabt, an die sich die Ältesten erinnern konnten. Auch heute noch wurde der Name dieses großen Anführers mit tiefem Respekt geführt. Selbst beim BlattClan genoss er große Anerkennung.

Ich nickte dem ehemaligen Anführer achtsam zu. „Sei auch mir gegrüßt, Springstern.“ Meine Stimme zitterte vor Ehrfurcht.

„Wir haben euch beobachtet, Schneepfote“, fügte Springstern hinzu. „Du und Kastanienpfote habt in eurem jungen Alter schon Mut, Klugheit und Treue erlangt, die für manche Krieger erst nach Jahren verfügbar ist. Ich sehe, dass wir in euch die richtige Entscheidung für diese schwere Aufgabe getroffen haben.“

Sein Lob kribbelte warm unter meinem Pelz, dennoch war die Erinnerung an Kastanienpfote alles andere als beruhigend.

„Was ist mit Kastanienpfote? Wird er zurückkehren?“

„Er ist auf dem Weg zu euch.“

Silbersterns kurze, deutliche Antwort riss mir einen schweren Stein vom Herzen.

„Wolke und Hase. Sind sie bei ihm?“

„Sie begleiten ihn auf Schritt und Tritt. Ihr müsst ihnen entgegen kommen.“

„Wir…“ Mit einem Mal erkannte ich, welche Anweisung hinter diesen Worten steckte.

„Wir sind so kurz vor dem Ziel. Ich weiß nicht, ob eine Wende gut für die anderen wäre. Sie erwarten den ersehnten Wald mit ungebändigter Freude. Ich möchte sie nicht enttäuschen.“

„Im Wald lauern Gefahren“, sprach Springstern mit klarer Stimme. „Gefahren, denen ihr beide nur zusammen entgegen treten könnt. Ihr müsst die letzten Schritte zu Zweit tun, so wie es vorgesehen war.“

Ich sah die beiden Kater eine Zeit lang stumm an.

„Ich werde ihn empfangen. Was auch immer uns in diesem Wald erwarten, gemeinsam werden wir diese Bedrohung meistern.“

„Dessen bin ich mir sicher.“

„Wie finden wir zusammen?“, fragte ich unvermittelt.

„Ich werde euch leiten.“ Laubjunges Stimme ließ mich schnell herum wirbeln. „Ich bin bei euch. Folge mir, und ihr werdet zusammen finden.“

„Ich weiß.“ Meine Stimme klang zittrig, als ich in seine Augen blickte. Endlich würden wir drei wieder vereint sein. Nicht nur in Träumen, sondern auch in der Wirklichkeit.

„Ich werde ihm sofort entgegen kommen“, versprach ich zu Springstern und Silberstern gewand. „Danach erkundigen wir gemeinsam den Wald. Gibt es noch etwas, worauf ich achten muss?“

„Die Schattenkatzen“, sagte Silberstern mit klarer Stimme. Das Wort ließ mich zusammen zucken.

„Was…welche…was sind das? Schattenkatzen?“

„Hütet euch vor den Schattenkatzen“, echote Springstern. Gemeinsam lösten sich die beiden Anführer auf und ich erwachte im Lager.

Vertrauen

Tupf und Stein hatten darauf bestanden, mich zu begleiten. Das Kommando hatte ich an Punkt und Klaue übergeben. Sie sollten bis zum Waldrand voraus ziehen. Dass wir uns kurz vor dem Ziel befanden, daran hatte ich keine Zweifel. Die anderen würden nur voraus gehen. Ich würde diesen letzten Schritt gemeinsam mit Kastanienpfote tun.

„Wonach oder nach wem genau sollen wir Ausschau halten?“, miaute mir Stein im Lauf zu.

„Nach einer Jungkatze aus dem SternenClan. Ein schildpattfarbener Kater mit blauen Augen. Ihr werdet ihn erkennen, wenn ihr ihn seht.“

„Euren Bruder“, miaute Tupf melancholisch. Und schuldbewusst.

„Sein Name ist Laubjunges“, fügte ich entschieden hinzu.

Wir liefen weiter über das Felsgelände, ohne ein Wort zu sprechen.

 

Auf einer Anhöhe blieb ich stehen und sah auf das graue Felsengelände unter uns herab. Kein Anzeichen von meinem Bruder. Weder von dem aus dem SternenClan, noch von dem, auf den ich wartete.

„Wir müssen noch weiter.“

Mit einem Nicken befolgten Stein und Tupf meine Anweisung. Gemeinsam sprangen wir die holprigen Felsen hinab. Ich hatte das Gefühl, dieser Weg sei richtig. Mein Gefühl hatte mich bisher nie im Stich gelassen.

Unser Weg führte uns in eine tiefe Schlucht zwischen den Felsen, an deren Grund ein kleiner, plätschernder Bach sich seinen Weg grub. Sicher hatte dieser schon einmal mehr Wasser geführt, doch die Hitze hatte ihn zum großen Teil ausgetrocknet. An einer Furt überquerten wir den Wasserlauf. Mehrmals prüfte ich die Luft. Von meinem Bruder war nichts zu riechen.

Von keinem von beiden.

„Bist du sicher, dass wir auf dem richtigen Weg sind?“, frage Tupf vorsichtig nach.

„Ich spüre es“, miaute ich leise. „Ihr müsst mir einfach vertrauen.“

„Wir vertrauen dir“, versicherte Stein aufrichtig, „aber was ist, wenn…ein Fehler unterlaufen ist?“

„Mir?“ Ich konnte das Misstrauen in meiner Stimme nicht unterdrücken.

„Nicht dir“, beruhigte mich Tupf. „Dem SternenClan. Wenn man euren Berichten glaubt, dann waren es doch alles Mal normale Katzen.“

„Und normale Katzen können sich irren“, fügte Stein schüchtern hinzu.

Der SternenClan irrte sich nicht! Mit dieser Meinung war ich aufgewachsen. Der SternenClan wachte über uns, behütete uns, warnte uns vor Gefahren und stand uns im Kampf zur Seite. Aber er irrte sich nicht!

Jedenfalls nicht in den meisten Fällen.

„Ich vertraue dem SternenClan. Aber noch mehr vertraue ich meinem Kastanienpfote. Einer lebendigen Katze. Einer Katze, der ihr auch vertraut.“

Die beiden wechselten einen gemischten Blick. Tupf nickte als Erster. Stein zögerlich ebenfalls.

„Wohin geht es?“, miaute Stein.

Ich wandte mich entschlossen um. „Hier entlang.“

Ein ungewöhnliches Wiedersehen

„Schneepfote, warte kurz.“ Tupf war stehen geblieben und sah mit skeptischem Blick zurück. „Katzengeruch.“

Mit einem Sprung war ich an seiner Seite. „Kastanienpfote, Hase oder Wolke?“

„Nein. Anderer Geruch.“

Ich witterte. Der Geruch kam mir oberflächig bekannt vor, doch kein Gesicht erschien vor meinen Augen.

„Ich schlage vor, wir gehen dem auf den Grund“, entschied Stein nach einiger Überlegung.

Ich zögerte. Sollte ich Kastanienpfote verpassen, wüsste ich nicht, wie ich noch in diesen Wald gehen sollte. Wir gehörten zusammen.

Deshalb durften wir keine Gefahren oder unangenehme Überraschungen dulden.

„In Ordnung. Wir sehen nach.“

Meine Unruhe wuchs, als ich der Spur folgte. Weshalb genau ich mich so unwohl fühlte, konnte ich nicht sagen. Doch auch diesem Geheimnis musste ich auf den Grund gehen.

 

Stein blieb aus heiterem Himmel wie vom Donner gerührt stehen.

„Ich weiß es!“, hauchte sie leise.

Tupf sah sie irritiert an.

„Was?“

„Diese Spur! Der Geruch! Ich weiß, woher ich ihn kenne.“

Überrascht sah ich sie an. „Dir kommt er auch bekannt vor?“

„Tony“, hauchte Stein.

Ich brachte sekundenlang keinen Ton heraus.

„Tony? Das Hauskätzchen, das uns Kastanienpfotes Botschaft übermittelt hatte?“

„Was für ein Hauskätzchen?“, fragte Tupf irritiert.

„Im Zweibeinerort sind wir einem Hauskater begegnet, der uns eine Botschaft von Kastanienpfote gebracht hatte. Er sagte, dass wir weiter ziehen sollten, wenn er nicht vor Sonnenhoch zurückkehrte.“

Ich schnupperte erneut. Er war es. „Was macht der hier?“

„Schneepfote“, miaute Stein mit sorgenvollem Blick. „Was, wenn er nicht der war, für den er sich ausgegeben hat.“

„Er…er hat uns keine Botschaft von Kastanienpfote überbracht?“

„Wartet!“ Tupfs Fell hatte sich gesträubt. „Was heißt das? Ein Hauskätzchen…ein Bote Kastanienpfotes…Wer ist diese Katze?“

Ich wandte mich wieder der Spur zu. „Das möchte ich herausfinden.“

 

Tonys Spur führte uns in ein steiniges Tal, in dem einige Pflanzen wuchsen und den Auftritt erleichterten. Sein Geruch war nun so stark, dass ich glaubte, jeden Augenblick über ihn stolpern zu müssen. Doch sein dunkelroter Pelz war nirgendwo zu sehen.

„Tony?“, rief Stein laut.

„Komm heraus!“, fügte ich hinzu. „Wir wissen, dass du hier bist!“

„Will dieser Tony mit euch Verstecken spielen?“, murrte Tupf.

„Zum Spielen ist mir nicht zu Mute“, miaute Stein, sich misstrauisch umsehend.

Ich folgte Tonys Duftspur weiter auf die Wiese.

„Ich werde dich finden, Tony. Wir jagen unsere Beute selbst. Dich finden wir auch.“

Wir blieben gemeinsam unter einem etwa katzenhohen Felsvorsprung stehen.

„Komm hervor!“, forderte Tupf mit einer Bestimmung, die ich von ihm nie zuvor gehört hatte. „Ich würde sagen, du bist umzingelt.“

Der Schatten einer Katze zeichnete sich stattdessen in einer Felsspalte ab, die ich erst jetzt völlig registrierte. „Ihr seid mir ja grandiose Fährtenleser!“, schnurrte der Kater. Mit gemächlichen Schritten kam er auf uns zu. Mit einem Mal bemerkte ich, dass er gar nicht so pummelig war, wie ich zuerst vermutet hatte. Mehr war diese Katze als muskulös zu bezeichnen. „Ihr habt euren Verfolger nicht einmal erkannt, als er direkt vor euch stand.“ Sein Blick schweifte über uns, blieb schließlich an Tupf hängen. „Oder willst du behaupten, die beiden hätten dir von mir berichtet.“

Ich wirbelte herum. Tupf sah Tony mit finsterem Blick an. Mich beachtete er kaum.

„Ihr…kennt…euch?!“

Auch Stein sah verwirrt zwischen den beiden Katern hin und her.

Tonys Schnurrhaare zuckten. „Ja, Tupf und ich kennen uns. Er kennt uns alle.“

Bewegungen hinter den Felsen erregten meine Aufmerksamkeit. Erst jetzt sah ich die anderen Katzen, die sich in Felsspalten und hinter Vorsprüngen vor uns versteckt hatte. Sie sprangen mit geschmeidigen Bewegungen von den Felsen herunter und bauten sich in Reihen hinter und neben Tony auf. Ich sah, wie Steins Fell sich sträubte. Ich trat mehrere Schritte zurück.

„Tupf, was wird hier gespielt?“

„Es tut mir so leid.“ Trotz seines finsteren Blicks hörte sich seine Stimme fassungslos an.

„Was tut dir leid?“

„Ich hätte früher erkennen sollen, dass er dahinter steckt.“

„Tupf, wovon redest du?“ Steins hektische Stimme verriet mir, dass sie ebenso wenig Ahnung von der Situation hatte, wie ich.

„Ihr habt uns hinterher spioniert!“ Mit gesträubtem Fell und gebleckten Zähnen starrte Tupf zu dem Kater hinauf. „Ihr habt uns beobachtet. Die ganze Zeit. Kastanienpfote ist dir nie begegnet. Du hast…“ Er stockte. „Was wollt ihr?“

Ein Lächeln schwang sich auf Tonys Lippen. „Ich denke, das weißt du ganz genau.“

„Was weißt du ganz genau?“ Ich sah nur kurz zu Tupf, danach wandte ich wieder meinen Blick zu Tony und seinen Begleitern.

„Was ist mit meinem Bruder?“

„Kastanienpfote wird euch nicht mehr helfen.“ Sein Blick glühte tückisch, als er triumphierend auf mich herab sah. „Er ist tot.“ 

Die Verfolger

Die Worte trafen mich wie ein Krallenhieb direkt in die Brust, wo mein Kreislauf am empfindlichsten war.

Ich verstand zuerst kaum, was Tony gesagt hatte. Ich hörte schon am Klang seiner Stimme, wie schwerwiegend diese Erkenntnis für mich sein würde. Sein Blick, seine Ausstrahlung, seine Haltung uns gegenüber, all das sprach Bände.

Dennoch benötigte ich eine gefühlte Ewigkeit, bis mir die Bedeutung seiner Worte richtig bewusst wurde.

Kastanienpfote war tot.

Tot.

Unwiederbringlich tot.

Nicht mehr am Leben.

Nicht mehr bei mir.

Das konnte nicht stimmen!

Es konnte einfach nicht stimmen!

Laubjunges hatte mir doch versprochen, uns zueinander zu führen. Springstern und Silberstern sagten, er wäre auf dem Weg zu uns. Der SternenClan würde mich doch nicht anlügen!

Doch ich sah in Tonys Augen.

In die Augen einer Katze, deren Anwesenheit ich bisher für unwichtig erachtet hatte.

Einer Katze, die uns dennoch bis hierher verfolgt hatte.

Und sicher nicht mit guter Absicht.

Ich spürte meinen Atem in Hals und Rachen brennen wir Feuer. Etwas stieg in mir hinauf. Etwas Dunkles, Heißes, Brodelndes.

Ein Etwas, von dessen Existenz in mir ich in meinen wildesten Träumen nichts geahnt hätte.

Dieses dunkle Etwas in mir bäumte sich auf, schien sich von innen schmerzhaft in meinen ganzen Körper auszubreiten. Es übermannte meine sonst klaren, rationalen Gedanken, jede Vernunft in meinem Kopf. Die Welt um mich herum schien zu schrumpfen, Tonys herablassender blick geriet in meinen Fokus. Das Dunkle in mir kribbelte, drückte von innen gegen mich, wollte freigelassen werden.

Ich hatte längst keine Kontrolle mehr über diese Wut in mir, als ich schon mit ausgefahrenen Krallen durch die Luft auf Tony herab raste.

Er war augenscheinlich auf einen Angriff vorbereitet, denn sein Körper bewegte sich mit einer Geschwindigkeit, die ich ihm nie zugetraut hätte, zur Seite aus meiner Angriffslinie. Sein Kniff war sicher, dass ich einen Sprung ins Leere wagen und kurzfristig die Orientierung verlieren sollte. Dies war der Punkt, in dem er mich unterschätzt hatte.

Ich federte den Zusammenstoß mit der Felswand ab, indem ich den Schwung in einen Sprung umlenkte und sicher auf dem Boden direkt vor Tony landete. Eine schlanke, grau-weiß-gestreifte Kätzin war Tony an die Seite gesprungen. Ihre Fangzähne blitzten im Sonnenlicht. Wahrscheinlich war es seine Gefährtin, mir entging jedenfalls nicht, wie sich Tony neben ihr entspannte. Aus dem Augenwinkel registrierte ich, wie sich auch die anderen Katzen zum Sprung duckten.

„Du…warst…es!“

Die Worte, die mir über die Lippen kamen, waren kalt wie Eis. Tonys Schnurrhaare zuckten.

„Indirekt.“

Ich knurrte, zeigte ihm die Zähne. Mit ruhigem Blick ging Tony einen weiteren Schritt auf mich zu.

„Ihr beide wart die ganze Zeit nur im Weg. Ihr habt eine Aufgabe übernommen, von der ihr nicht einmal versteht, was sie überhaupt bedeutet.“ Er zögerte, sein Blick schwenkte zu Tupf hinüber, der verlegen mit den Pfoten im Boden scharrte. Stein sah immer noch mit angelegten Ohren zwischen uns dreien hin und her.

Ich sah zu Tupf. Das gescheckte Fell des Katers war gesträubt. Sein Blick blitzte finster zu Tony hinüber.

„Hör auf, Tony!“ Ein tiefer, beschwörender Ton hallte in seiner Stimme mit. „Sie haben nichts damit zu tun. Sie alle nicht.“

„Du warst eingeweiht Tupf.“ Er ging weitere Schritte auf den Kater zu. „Du warst einer der Wenigen, die von allem Bescheid gewusst hatten. Von allem. Warum glaubst ausgerechnet du, dass du dich uns widersetzen könntest?“

„Ich bin nicht mehr die Katze, die du gekannt hast.“ Seine Stimme war kaum mehr als ein Wispern, dennoch hörte ich den Zorn aus ihr heraus. „Ich habe einiges gesehen, einiges miterlebt. Ich habe durch Schneepfote und Kastanienpfote die Clans kennen gelernt. Was wir getan haben war falsch, Tony. Verstehst du? Falsch!“ Das letzte Wort schrie er hinaus. Ich zuckte bei dem Klang in Tupfs Stimme zusammen. Tony schien das nicht zu beeindrucken.

„Du steckst mittendrin, Tupf. Du warst einer der wenigen, die eingeweiht waren. Du, Fang, Klaue und Blut. Ihr vier wusstet von unserem Plan. Ihr vier habt das alles erst möglich gemacht!“

Ich war wie festgefroren. Meine Gedanken rasten in meinem Kopf hin und her, ohne sich zu einem logischen Muster zusammen fügen zu können.

„Hört auf!“

Steins Ausruf schien auch das Eis in meiner Brust zu sprengen. Ihre Augen waren vor Schreck geweitet und starrten Tupf an, den Kater, der ihr ein Freund war, und der doch ein dunkles Geheimnis hatte, mit dem sie nie gerechnet hätte. „Was wird hier gespielt? Tupf, wer sind diese Katzen? Was haben Fang und Klaue damit zu tun?“

„Wer seid ihr?“

Ich brachte die Frage kaum heraus, sie klang wie ein kehliges Grollen in meinem Mund.

Tony lächelte, sodass seine Fangzähne blitzten. „Wir sind die eigentlichen Katzen, die ihr ‚die Streuner’ genannt habt.“

Das Geheimnis der Streuner

Es herrschte Stille.

Ich sah zu Stein. In ihren Augen spiegelten sich Verwirrung, Verunsicherung, Misstrauen, Angst. Dieselben Gefühle, die auch mich beherrschten.

„Du hast es ihnen nicht erklärt.“ Es war eine neutrale Feststellung, die Tony so zu Tupf sagte. „Dann werde ich es tun. Die Katzen, die ihr in eine neue Heimat führt, waren eine Familie. Eine Gemeinschaft, die friedlich nebenher lebte.“

„Bis Blut und Klaue kamen.“ Ich erinnerte mich an Hellpfotes Geschichte.

„Nicht ganz“, miaute Tony ruhig, wie ein Ältester, der mir die Hintergründe eines längst vergangenen Clan-Konfliktes erklärte.

„Sie waren die Anführer, die wir auserwählt hatten, um den Wald von euch Clan-Katzen zu befreien.“ In seiner Stimme klang eine so durchschlagende Verachtung, dass ich unwillkürlich zusammen zuckte. „Tupf und Fang sollten dabei die Rolle der Spione übernehmen, damit keine Verbindung zwischen allen vier Katzen entstehen konnte. Ein ausgeklügelter Plan, nicht?“

Was ich hier erfuhr, warf alle bisherigen Erfahrungen über diese Katzen über den Haufen. Sie waren nichts anderes als Figuren gewesen. Spielzeuge, die unseren Wald von uns befreien sollten, damit diese Katzen hinter Tony, die wahren Streuner, sich dort breit machen konnten.

„Das ist nicht wahr!“ Stein wandte sich direkt an Tupf. „Sage mir, dass das nicht wahr ist!“

„Es tut mir leid!“ Tupf rief diese Worte aus, als würde sein Leben davon abhängen. „Ich war damals nicht die Katze, die ich heute bin. Du auch nicht! Wir haben uns alle geändert. Wir alle!“ Sein Blick schwenkte zu mir über. „Das müsst ihr mir glauben!“

„Warum?“

Mit einem Mal existierte weder Tony, noch einer seiner zwielichtigen Gefährten. Ich ging weiter auf Tupf zu, dem Kater, dem ich das Leben gerettet hatte, der mir wie ein Freund geworden war, dem ich vertraut hatte. Der Kater, der uns das Wichtigste verschwiegen hatte.

„Warum hast du uns das nicht vorher erzählt? Warum?“

„Es tut mir leid.“

Es waren die aufrichtigsten Worte, die ich seit Langem gehört hatte.

„Ich habe mich geschämt“, antwortete mir Tupf schließlich, den Blick zu Boden gerichtet. „Ich habe nicht nur eure Clans, sondern auch die Katzen hintergangen, die mir wie eine Familie geworden waren. Als der…der SternenClan schließlich auftauchte, war ich so durcheinander, dass ich gar nicht mehr an Tony und die anderen gedacht habe. Ich denke, Klaue und Fang ging es genauso.“

„Ihr habt geglaubt, wir würden euch vergessen“, stellte Tony richtig. „Ihr glaubtet, wir würden die Clans in Ruhe lassen und uns zurückziehen. Nun, mit dem ersten Punkt hattet ihr Recht. Wir haben die Clans in Ruhe gelassen. Doch warum habt ihr geglaubt, wir würden euch deshalb ebenfalls ziehen lassen?“

Ich schloss die Augen. Alles, was ich nun erfuhr, rückte alles in ein neues Licht. Das war das Geheimnis. Das Geheimnis der Streuner. Der wahren Streuner.

„Ihr werdet uns nicht vernichten!“

Tupf hatte sich vor Tony aufgebaut, er wirkte nun doppelt so groß, wie gewöhnlich.

„Wir sind nicht mehr die Katzen, die ihr manipuliert und gelenkt habt, mit denen ihr gespielt habt, wie Jungen mit Moosbällchen. Wir sind frei. Wir lassen uns kein zweites Mal von euch unterkriegen. Selbst wenn ihr uns jetzt zur Strecke bring, Fang und Klaue werden herausfinden, dass ihr dahinter steckt.“

„Sehr gut“, miaute Tony. „Genau das habe ich mir erhofft.“

Ohne jegliche Vorwarnung stürzte er sich mit Krallen und Zähnen auf Tupf.

Der Kampf

Es war hoffnungslos. Dennoch wirbelte ich zu den anderen Katzen herum, die mich und Stein voneinander trennten und einkreisten. Es waren ungefähr zehn Katzen, wir waren nur zu dritt. Doch ich würde nicht kampflos aufgeben. Nicht, nachdem wir so weit gekommen waren. Tupf und Stein ebenso wenig.

Die Wut in mir gab mir eine Kraft, mit der ich nie gerechnet hätte. Ebenso wenig meine Gegner. Ich war selbst überrascht, mit welch einer Aggression ich gegen die Angreifer vorging, noch bevor sie mir gefährlich werden konnten. Und die Streuner, die wahren Streuner, ebenfalls nicht.

Es war die getigerte Kätzin, die schützend für Tony Partei ergriffen hatte, die mich zuerst taktierte und somit meine Kampffertigkeiten als erstes begegnete.

Ich scheute keinen Kontakt und rammte ihr meinen Kopf so hart gegen die Brust, dass sie mehrere Schritte zurück taumelte. Ungeachtet der anderen Kämpfer, die mit Krallen und Zähnen an meinem Pelz Halt zu finden versuchten, schlug ich ein zweites Mal zu. In den Krallenhieb setzte ich alle Kraft und Präzision, die ich in dieser Situation aufbringen konnte.

Der Schlag traf die Kätzin gegen das Ohr und riss sie zu Boden. Mit schmerz- und wuterfülltem Miauen kam sie wieder auf die Pfoten, ich wollte sie im Auge behalten, wurde aber von dem Kater neben mir herum gerissen.

Er hatte einen Fehler gemacht, indem er mich erst zurück stieß, anstatt mich gleich auf dem Boden festzunageln. Ich musste nicht einmal genau zielen, um mit einem gezielten Biss sein Nackenfell zu packen und ihn mit einem Ruck von den Pfoten zu reißen.

Er wäre hilflos zu Boden gestürzt, wäre mir nicht eine weitere Katze auf den Rücken gesprungen.

Mit Schwung ließ ich mich auf die Seite fallen, hoffend, dass mein Gegner loslassen würde, stattdessen verlagerte er kurzerhand sein Gewicht und drückte mich mit aller Kraft zu Boden. Seine Fangzähne zuckten herab.

Ich biss schneller zu. Meine Zähne blockten seinen Biss ab, gruben sich tief in seine Nase und das weiche Zahnfleisch des Katers, der mit einem Kreischen das Maul zurück riss. Ich stieß mit meiner Pfote zu.

Meine Krallen hinterließen tiefe Furchen auf seinem Fell, Blut troff aus seinem Mund, sein Gesicht verzerrte sich vor Schmerz, als ich einen weiteren Krallenhieb gegen seine Schulter landete. Mit schrillem Jaulen trat der Kater die Flucht an.

Ich hatte keine Gelegenheit, mich aufzurappeln. Eine stämmige, kräftige Kätzin hatte seinen Platz eingenommen und griff mich an. Mit einem Ausfallschritt wich ich ihren Hieben aus, dennoch spürte ich einen plötzlichen, stechenden Schmerz in der Seite. Es war eine andere Katze, die sich dort in mein Fell verbissen hatte.

Mit einer Drehung zur Seite schüttelte ich diese Katze ab, ich lenkte den Schwung in einen schweren Krallenhieb, dem ich der Kätzin, die mich von vorne taktierte, über die Ohren zog. Die Wirkung dauerte nur für wenige Sekunden an, doch als sie ihren Griff nur ein wenig lockerte, wandte ich mich hinaus und schleuderte sie mit Schwung zu Boden.

Ich verlor sie sogleich aus den Augen, als Stein meine Aufmerksamkeit erlangte.

Sie blutete aus mehreren bösartig aussehenden Bisswunden. Dennoch schien keine von diesen sie zu schwächen. Stein kämpfte, wie eine Löwin, zwei Katzen ergriffen vor ihr die Flucht.

Ich wollte Stein mit einem Sprung zur Seite eilen, doch ein harter Schlag in die Seite, der mir die Luft aus den Lungen presste, machte mir einen Strich durch die Rechnung.

Es war Tonys Gesicht, das mich von oben anstarrte, sobald ich nach Luft keuchend auf dem Boden aufschlug.

Die Zeit schien still zu stehen.

Ich sah das Gesicht des roten Katers, seine grünen Augen leuchteten wie Sterne am Silbervlies.

„Das war nichts, Pfötchen.“

Glühender Ärger schoss in mir hoch, als er das Wort „Pfötchen“, vermutlich ein verächtlicher Ausdruck für einen Clan-Schüler, aussprach. Ich versuchte, mich gegen seinen Griff aufzurichten, doch er drückte mich erneut gegen den reuen Fels.

„Grüße die Sterne von mir, Pfötchen!“

Das war das Ende.

Dieser Gedanke durchzuckte mich mit völliger Emotionslosigkeit. Es war mein Ende, vielleicht auch das Ende der Katzen, für die ich Verantwortung übernommen habe. Dennoch fühlte ich nichts. Außer die Erleichterung, dass dies möglicherweise auch besser war, als eine Vielzahl durchbrechender Gefühle, die jedes Denken einschränkten und erstickten.

Einfach nur das Ende.

Doch dazu kam es nicht.

Mit einem schrillen Miauen stürzte sich eine Katze, von der ich nicht gehofft hatte, sie jemals wieder zu sehen, gnadenlos auf Tony herab.

Die Rückkehr der Toten

Wolke stieß Tony mit einem wilden Fauchen von mir herunter. Erschrocken und verwirrt ließ dieser von mir los. Auch die anderen Katzen hielten inne und starrten die graue Kätzin entgeistert an, die sich mit hoch erhobenem Haupt schützend vor mir aufbaute. Von beiden Seiten traten Tupf und Stein an sie heran und behielten die feindlichen Katzen im Auge.

Tonys Fell sträubte sich, als er sah, wie Wolke sich langsam zu mir herunter beugte.

„Keine Angst. Wir können dir alles erklären. Wenn wir hier weg sind.“ Mit diesen Worten löste sich eine weitere Katze von dem Felsplateau und landete geschmeidig neben uns. Hase funkelte die umstehenden Katzen finster an.

„Du hast doch nicht wirklich geglaubt, du würdest uns so leicht loswerden?“

Etwas regte sich in meinem Hinterkopf. Wenn Wolke und Hase wohlauf waren, dann war Kastanienpfote vielleicht auch noch am Leben.

Mit einem Ruck kam ich auf die Pfoten. Stein stützte mich, als ich strauchelte.

Immer noch starrten uns unsere Rivalen aus ungläubigen Gesichtern an.

„Das ist unmöglich!“, hörte ich eine Stimme heiser miauen. Es war ein dunkler Kater mit finsterem Blick. „Ich habe euch sterben sehen. Euch beide und diese Clan-Katze.“

„Ihr hättet genauer hinsehen sollen!“, erwiderte Wolke mit gebleckten Zähnen.

Gehetzt sah ich mich um. Die Streuner waren uns immer noch um fast das Doppelte überlegen.

Tonys Verwirrung wich einem tückischem Blitzen in den Augen.

„Seid froh, dann werdet ihr jetzt alle gemeinsam diese Welt verlassen.“

„Ganz recht, Tony!“

Ich hatte mich noch nie zuvor so gefreut, diese Stimme zu hören.

Klaue sah mit kaltem Blick auf die Szene herab.

„Wir werden alle gemeinsam hier an dieser Stelle kämpfen. Alle gemeinsam.“

Köpfe tauchten um uns herum auf. Die Katzen, die sich von diesen wirklichen Streunern herum schieben haben lassen, die nun gegen sie aufbegehrten und den Spieß umdrehten.

„Du warst uns immer einen Schritt voraus, Tony.“ Es war Fang, die ein Stück auf uns herab trat. „Ich würde sagen, wir haben von dir gelernt.“

Ich nutzte die Verwirrung und drängte mich in die Reihen der anderen. Nun standen die Auslöser der ständig wachsenden Gefahr, die ich so lange verspürt hatte, eingekesselt zwischen den Katzen, die so lange auf ihre Heimat gewartet hatten.

„Wie…habt ihr…“ Hases stotternde Frage verriet mir, dass er ebenso wenig von dieser Überraschung gewusst hatte, wie ich.

„Ich habe sie gewarnt.“

Mein Herz erwärmte sich mit einem Schlag, als ich diese Stimme hörte. Mit gesträubtem Fell fuhren die Katzen in der Mitte herum. Ich wirbelte zu dem Felsvorsprung, auf dem Kastanienpfote nahezu unbemerkt Platz genommen hatte.

In mir machte sich schlagartig etwas Warmes, Geborgenes breit, als ich meinen Bruder sah.

Kastanienpfote sah müde und mitgenommen aus, er war augenscheinlich verletzt, doch sah mit entschlossener Miene auf die Szene hinab.

„Ihr habt euch einen ausgeklügelten Plan zusammen gestellt, das muss ich sagen“, miaute er mit ruhiger Stimme. „Nur eine leichte Kleinigkeit vergessen. Wenn es nach dir gegangen wäre, Tony, hätte niemand erfahren, wie Schneepfote im Zweibeinerort nach mir gesucht hatte. Du hast leider die Jungen von gegenüber vergessen.“

Ich erinnerte mich an die drei Schwestern, die mir empfohlen hatten, bei Tony nachzufragen. Kurz nachher musste Kastanienpfote bei ihnen vorbei gekommen sein. Nach ihrer Geschichte musste sich für ihn, Hase und Wolke alles aufgeklärt haben.

„Nicht nur sie“, fügte Punkt aus den Reihen hinzu. „Bevor ihr unseren Freunden auflauern konntet, wurden wir ebenfalls gewarnt.“

Ich sah die Verunsicherung in den Augen der Katzen. Ein Schnurren konnte ich mir nicht verkneifen, als mir klar wurde, wer sie gewarnt hatte.

Ich trat einen Schritt hervor, um besser zu ihnen sprechen zu können.

„Darf ich euch unseren Bruder Laubjunges vorstellen?“

Dieser reagierte auf mein Kommando.

Mit einer ruckartigen Bewegung und zahlreichen erstaunten Ausrufen drehten sich alle Katzen zu der leuchtenden Gestalt um, die mit einem Mal in ihrer Mitte erschienen war. Laubjunges Sah nur kurz über sie hinweg, dann nach oben zu mir und zu Kastanienpfote.

„Ihr habt eure Aufgabe gemeistert und den Ort gefunden, an dem diese Katzen in Zukunft leben können. Ich habe stets über euch gewacht. Mit meiner Hilfe konnten wir diesen Katzen die Tode von Hase, Wolke und Kastanienpfote vortäuschen.“

„Ihr seid in einen Kanal gelaufen, der verschüttet wurde!“, zischte eine Kätzin aus der Mitte mit angelegten Ohren. „Ihr solltet tot sein!“

„Das wären wir auch!“, gab ihr Kastanienpfote Recht. „Wenn mein Bruder nicht erschienen und uns dreien den Weg nach draußen gezeigt hätte. Wir hätten früher darauf kommen sollen, dass eurer Weg nicht sicher war.“

Langsam konnte ich die vorangegangenen Ereignisse rekonstruieren. Kastanienpfote, Hase und Wolke fragten ahnungslos bei Tony nach dem Weg aus dem Zweibeinerort hinaus. Dabei wurden sie von dem eigentlichen Anführer der Streuner in eine Falle gelockt. Sie für tot haltend, überbrachte dieser mir dann die erfundene Botschaft. Während ich noch allein weiter zog, führte Laubjunges vom SternenClan die drei Verunglückten aus dem Zweibeinerort hinaus, um uns zu warnen. Das Treffen, das Laubjunges über die Träume engagiert hatte, war durch das plötzliche Auftauchen Tonys und seiner Verbündeten gescheitert, daher beschlossen meine Brüder kurzerhand die anderen zu warnen, um das Schlimmste zu verhindern.

Es war logisch.

So logisch, dass ich mir fast mäusehirnig vorkam, dass ich nicht schon früher darauf gekommen war.

Tony bleckte die Zähne. „Alles schön und gut, aber wenn ihr glaubt, dass wir uns wegen einer Sternenkatze davon abhalten, unsere Pläne in die Tat umzusetzen, habt ihr euch getäuscht!“

 

Wir erreichten den Wald gemeinsam.

Die Steine, die den Tunnel verschüttet haben, hatten einige schmerzhaft aussehende Schrammen in Kastanienpfotes Pelz hinterlassen, doch er verzog keine Miene, als wir gemeinsam die Grenze zu dem so lange gesuchten Wald überschritten.

Die Ankunft war keinesfalls mit der Euphorie geprägt, mit der ich sie mir auf der Reise immer ausgemalt hatte. Vielmehr schien zwischen den dicken Stämmen und rauschenden Blättern eine bedrückte Stimmung zu herrschen.

Es wäre schon ein merkwürdiger Zufall gewesen, wenn Tony sich von Laubjunges’ Erscheinen genauso hätte Beeindrucken lassen, wie diese Katzen damals vom Auftauchen des SternenClans. Aber wenn selbst diese ihn nicht in die Schranken weisen konnten, was sollte dann geschehen. Sicher waren wir ihnen zahlenmäßig überlegen, einen Kampf würden wir mit Leichtigkeit gewinnen, doch ich spürte, wie der alte Kampfgeist dieser Katzen in Anbetracht der jüngsten Ereignisse erheblich nachgelassen hatte. Sie wollten ein zu Hause, Frieden, einfach ihre Ruhe finden.

Genau wie wir beide auch.

„Wir können nicht kämpfen!“, waren die ersten Worte, die Kastanienpfote nach seiner langen Abwesenheit mit mir wechselte. „Nicht gegen diese Katzen.“

Er sprach damit genau meine Befürchtungen aus. Es ging nicht. Wir waren alle seelisch nicht bereit für so einen Krieg. Es musste einen Weg durch die Mitte geben.

„Es ist Tony!“, riss mich Fang mit einem Ruck aus den Gedanken.

Ich zuckte innerlich zusammen. Sie, Klaue und Tupf waren uns gefolgt.

„Wie bitte?“

„Tony ist der einzige Grund, warum sie überhaupt hier sind. Glaubt mir, er ist perfekt darin, Katzen zu manipulieren. Wenn er etwas erreichen möchte, ist er rücksichtslos.“

„Das habe ich mitbekommen“, murmelte Kastanienpfote matt und ließ sich auf dem Erdboden sinken. „Hat er irgendwelche Schwächen?“

„Keine, die mir bekannt sind“, musste Tupf verneinen.

„Eine Sache wäre da schon.“

Alle Blicke wandten sich Klaue zu, der nachdenklich durch die Bäume starrte.

„Was?“, hakte Kastanienpfote nach.

„Dieser Fellball hat eine Schwäche?“, knurrte Tupf mit verdecktem Interesse.

„Seinen Stolz“, erläuterte Klaue fest. „Er ist ein Sturkopf und stolz darauf. Wenn wir es schaffen würden, ihm Demut zu lehren, würde er sicher schnell von seinem Plan geheilt werden.“

„Und wie sollen wir das anstellen?“, gab Fang zu bedenken. „Sehr viel Angriffsfläche bietet er ja nicht.“

Ich spürte, wie ich meine Krallen ausfuhr. Kastanienpfote spürte, was ich dachte und schüttelte langsam den Kopf.

„Ihn umzubringen wäre der falsche Weg. Vielleicht könnte das seine Kampfgefährten bestärken.“

Mir ging ein Licht auf. „Das ist es!“

„Was?“, miaute Tupf interessiert.

In meinem Kopf hatte sich längst ein Plan zusammengesetzt. „Trommelt die anderen zusammen. Ich denke, ich habe einen Plan, wie wir ihn ein für alle mal loswerden.“

Die Stärke der Beschiedenheit

Mein Vorschlag wurde mit starker Verwunderung aufgenommen.

Punkt war der erste, der es schaffte, seine Meinung hervor zu bringen.

„Wir…sollen…was?!“

Mond hatte sich wie auf Kommando auf die Erde fallen lassen. „Und das soll klappen?“

„Hast du eine bessere Idee?“, gab Fang zu Bedenken.

Der weiße Kater sah mutlos zu Boden. „Mir gefällt das trotzdem nicht.“

„Ich habe da auch kein gutes Gefühl“, gestand ich ihm. „Aber wenn ihr diesen Wald für euch allein haben wollt, müsst ihr etwas unternehmen.“

„Und deswegen müssen wir uns ihm unterordnen?“, fragte nun auch Schlange mit bestürztem Blick.

„Uns ihm scheinbar unterordnen!“, korrigierte Kastanienpfote für mich. „Tony muss sich seiner Sache völlig sicher sein, bevor wir ihn zur Rechenschaft ziehen können.“

„Ich bin dabei!“

Maus trat hervor. „Ich würde zu gerne sein Gesicht sehen, wenn er merkt, wie sehr ihr ihn hinters Licht geführt habt.“

„Ich auch.“ Hellpfote trat entschlossen hervor. „Ich bin nicht so weit gereist, um mir von diesen Flohpelzen alles kaputt machen zu lassen!“

Nach und nach stimmten auch die restlichen zögerlich dafür, oder enthielten sich ihrer Meinung.

„Ich denke, damit ist der Vorschlag angenommen“, miaute ich zufrieden. „Jetzt benötigen wir nur noch einige mutige Katzen, die als unsere Botschafter diese Nachricht überbringen.“

„Wie wäre es, wenn ihr es selbst tut?“, schlug Mücke vor.

„Vielleicht könnte er meine Anwesenheit als Herausforderung sehen“, gab Kastanienpfote zu Bedenken, „sonst wäre ich schon längst auf dem Weg.“

„Ich führe die Patrouille an“, entschied ich kurzerhand. „Gibt es Freiwillige? Es wäre nicht schlimm, wenn ihr euch nicht dazu in der Lage seht.“

Hellpfote trat an meine Seite. „Ich komme mit.“

„Ich auch!“, meldete sich Tupf. „Vielleicht überzeugt meine Anwesenheit ihn.“

Klaue trat hervor. „Bei ihnen gelte ich als noch größerer Sturkopf als bei den Clans. Wenn meine Kapitulation sie nicht überzeugen kann, hilft alles nichts.“

Ich sah die drei Katzen an. Einen gewissen Stolz konnte ich mir nicht verkneifen.

„Ich denke, dann wären wir komplett.“ Kurz wandte ich mich an Kastanienpfote. „Organisierst du den Rest?“

Er nickte. „Ist so gut wie erledigt.“

Bevor wir aufbrechen konnten, zog er mich noch zur Seite.

„Laubjunges wird bei euch sein, das spüre ich. Falls irgendetwas schief läuft, richte dich immer nach ihm!“

Ich nickte kurz entschlossen. „Das werde ich.“

„Viel Glück.“

Damit ließ er uns in die Höhle des Löwen ziehen.

 

Der Kater, der vor dem Tal, in dem die Streuner ihr Lager aufgeschlagen hatten, Wache hielt, sprang mit gesträubtem Fell auf, als er uns sah.

„Wenn ihr mit einer weiteren List kommt, könnt ihr gleich wieder umdrehen!“

„Wir führen nichts im Schilde“, gestand ich ihm, und versuchte, meine Stimme so demütig wie möglich klingen zu lassen. Ich senkte den Kopf ein wenig, um den Schein aufrecht zu erhalten. Die anderen taten es mir gleich. „Wir bitten um eine friedliche Audienz. Ich denke, Tony würde sich unseren Vorschlag gerne anhören.“

Ich sah die Skepsis im Blick des Wächters. Schließlich trat er zur Seite, ließ uns aber keinen Moment aus den Augen. „In Ordnung, aber falls das ein Trick ist, kann ich für nichts garantieren.“

„Das ist kein Trick“, beteuerte ich, ohne zu blinzeln. Auf mein Zeichen hin kamen Tupf und Klaue hervor und legten unsere „Friedensgeschenke“ ab.

„Es ist ein Zeichen, für unsere Reue“, beteuerte Klaue.

„Reue?“, knurrte der Kater. „Du und Reue?“

„Ihr habt uns zu großer Macht verholfen“, sagte Tupf weiter seinen Text auf, die Ohren schuldbewusst angelegt. „Und wir haben diese Macht missachtet.“

„Wir konnten lang genug darüber nachdenken“, fügte Hellpfote ein. „Wir alle.“ Mit einem Blick signalisierte sie mir, dass ich an der Reihe war.

„Wir haben uns geirrt“, gestand ich ihm, mich so klein wie möglich zu machen. „Es war vermessen von uns, anzunehmen, dass wir die Rettung dieser Katzen seien. Sie sind nicht wie wir und werden es nie sein. Wir können sie nie vollständig verstehen. Ihr aber könnt es. Wir mussten nur verstehen, dass ihr dafür die Richtigen seid.“

„Sehr interessant.“ Der Kater richtete sich genüsslich zu seiner vollen Größe auf und sah überheblich auf uns herab. „Sprecht ruhig weiter.“

„Ich und mein Bruder werden innerhalb der nächsten Tage zurück zu unseren Clans aufbrechen. Wir werden nie ein Wort über euch verlieren. Die anderen haben sich damit abgefunden, dass Tony demnächst ihr rechtmäßiger Anführer ist. Von uns werdet ihr nie wieder etwas hören.“

Immer noch lag Misstrauen in seinem Blick, doch mein Angebot schien ihm zu denken geben.

„Wartet hier. Rührt euch nicht vom Fleck. Ich werde Bescheid geben.“

Der Kater beobachtete uns weiterhin aus dem Augenwinkel, als er die Talsenke hinab stieg und zwischen den anderen Katzen verschwand, die schon neugierig zu uns hinauf sahen. Ich zog mich ein wenig vom Rand des Tals zurück, um nicht spionierend zu wirken.

„Das läuft besser, als ich gedacht habe!“, freute sich Hellpfote.

„Man soll den Fang nicht vor der Jagd loben!“, brachte ich hervor. „Es wäre bei meiner Erfahrung schon ein seltsamer Zufall, wenn alles ohne Probleme ablaufen würde.“

„Psst“, zischte Klaue. „Er kommt zurück.“

Es war nicht nur der Kater, der uns Empfangen hatte. Ich sah an Tonys Gesicht, dass er sich unserer Kapitulation sicher war.

„Mir kam zu Ohren, dass ihr es euch im letzten Augenblick noch anders überlegt habt.“

Nun war es so weit. Ich hob den Kopf und sah Tony fest in die Augen, der überheblich auf uns herab sah.

„Wir sind hier, um euch ein Stück des Waldes zur Verfügung zu stellen.“

Verhandlungen

Er hatte mit allem gerechnet, nur nicht mit diesem Kompromiss.

Es war ein einfaches Rezept, nach dem Tony agierte.

Sieg oder Niederlage.

Territorium oder Streuner.

Alles oder nichts.

Die Hälfte sprang über seine erwarteten Kompetenzen hinweg.

„Ihr wollt was?“

„Ein Stück des Waldes“, wiederholte Tupf. „Eine Hälfte, die uns gehört und eine für euch. Eine klare Grenze zwischen diesen Territorien und Regeln, mit denen wir beide gut leben können.“

Automatisch sah Tony zu mir hinüber.

„Eure Clan-Freunde haben euch das ins Ohr gesetzt nicht wahr?“

Ich musste mich beherrschen, um nicht mein Fell zu allen Seiten zu sträuben, als er auf mich zu trat.

„Zwei Gruppen. Eine Grenze. Keine Probleme. Willst du mir erzählen, dass es bei euch keine Probleme gibt?“

„Nicht, wenn sich alle an die Gesetze halten“, entgegnete ich ruhig.

„Gesetze“, wiederholte Tony herab lassend. „Und wer macht diese Gesetze? Ihr oder wir?“

„Wir alle“, forderte Hellpfote bestimmt. „Ein Kodex, an den sich alle halten, und es wird keine Probleme geben.“

„Verstehe“, miaute der rotbraune Kater. „Du bist der Floh, den sie in der Steppe untergebracht haben. Anscheinend warst du zu lange unter diesen verträumten Romantikern, um den Blick für das wahre Leben zu erhalten.“ Er sah wieder zu mir. „Ist Bluts Spion aus dem Wald auch mit von der Partie?“

Er meinte Graufell, den damaligen Zweiten Anführer des BlattClans, den Blut getötet hatte, als er die Verschwörung aufdecken wollte.

„Er ist tot“, entgegnete ich so sachlich wie möglich. „Schon lange. Noch bevor der Krieg begonnen hatte.“

„Ach wirklich? Wie schade.“ Es war nicht schwer, ihm anzusehen, wie wenig er diese Umstände in Wirklichkeit bedauerte.

„Was ist mit unserem Kompromiss“, brachte ich Tony auf die eigentliche Situation zurück. „Wir erlauben euch, bei der Grenzlegung mit zu entscheiden, aber ungefähr zwei Drittel des Jagdgebietes müssen für uns bleiben.“

„Ein großzügiges Angebot, wenn man eure Anzahl bedenkt“, räumte der Kater ein.

„Gehst du darauf ein?“, fragte Klaue erneut.

Er antwortete ihm mit einem funkelnden Blick. „Woher weiß ich, dass unser Drittel bewohnbar sein wird?“

„Wir werden es dir zeigen!“, eröffnete Tupf ihm unser Angebot. „Du kannst Änderungen in den Grenzverläufen vorschlagen und dir das Territorium, was euch am meisten zuspricht, für dich beanspruchen. Aber danach müsst ihr uns in Ruhe lassen.“

Ich sah, wie Tony nachdachte. Ahnte er, dass noch etwas dahinter steckte?

„Ich nehme euer Angebot an. Unter einer Bedingung.“

Mit einem Nicken übergab ich ihm das Wort. „Wir hören.“

„Ich werde selbst die Führung übernehmen und mein Drittel allein bestimmen.“

Ich zuckte zusammen, als ich sah, wie Klaue ruckartig aufsprang.

„Wir benötigen auch unseren Lebensraum. Außerdem waren wir als Erste im Wald!“

Tony tat nichts anderes, als den Kopf schief zu legen und ihn anzusehen. „Wollt ihr mit mir verhandeln oder ich mit euch?“

Ich warf Klaue einen warnenden Blick zu, hoffend, dass Tony unsere wahren Absichten dahinter nicht erkennen wird.

Der Kater entspannte sich wieder.

„In Ordnung. Wir werden dir den Wald zeigen, du bestimmst die Grenzen.“

Tonys Schnurrhaare zuckten belustigt. „So kann man einen guten Profit aus eich heraus schlagen.“

Widerstand

Unter dem Vorwand, alles für die Führung vorzubereiten, raste ich so schnell ich konnte über die hügeligen Felsen auf den Waldrand zu.

Kastanienpfote hatte gespürt, dass etwas nicht nach Plan gelaufen war und kam mir mit Schlange, Punkt und Stein im Schlepptau entgegen.

„Er will sich sein Territorium selbst aussuchen“, brachte ich keuchend hervor. „Wir können es nicht dem Zufall überlassen, ob er die richtige Stelle erwischt!“

„Was jetzt?“, miaute Stein. „Wir haben die Route, die zu den Sümpfen führt, schon ausgearbeitet.“

Punkt rammte seine Krallen in den Boden. „Ich lasse mich nicht von hier vertreiben. Dies ist unser Wald. Der ganze Wald! Wir müssen diese dämlichen Rattenpelze aufhalten!“

„Wenn es darauf hinaus läuft, bleibt uns nur der Kampf“, erkannte Schlange.

„Was ist mit Hellpfote, Tupf und Klaue?“, miaute Schlange, sich umsehend.

„Sie haben die Ehre den neuen Herrscher des Waldes durch sein Territorium zu führen.“

„Einen Angriff können wir nicht unternehmen, solange sie in seiner Nähe sind“, entschied Kastanienpfote bestimmt. „Ich möchte nicht, dass ihnen etwas geschieht.“

„Ich lasse mich von hier nicht vertreiben“, miaute Schlange fest überzeugt. „Und teilen werden wir unser Territorium auch nicht. Es ist für uns bestimmt. Nicht für sie.“

Ich sah die Katzen der Reihe nach an. Jede von ihnen, und sicher auch die anderen Mitglieder der Gemeinschaft, würden um jede Pfotenbreite dieses Waldes kämpfen. Die Reise hatte sie verändert. Sie hatten an Stolz und Selbstbewusstsein gewonnen. Sie waren in einer ähnlichen Situation, wie die Clans vor wenigen Monden. Auch wir hatten uns nicht ergeben, sondern gekämpft. Und sie würden das auch tun.

Der Blick mit dem Kastanienpfote aufsah, verriet mir, dass er vielleicht die richtige Lösung gefunden hatte.

„Mit wie vielen Katzen ist Tony im Wald unterwegs?“

„Hellpfote, Tupf, Klaue und drei weiteren Katzen als Begleiter.“

„Dann könnten wie sie ganz leicht vertreiben!“, knurrte Stein mit peitschendem Schweif.

Ich lehnte den Vorschlag ab. „Dann wird Tony mit der ganzen Meute zurückkehren.“

„Zwei Möglichkeiten“, entschied Punkt nachdenklich. „Kampf oder Kapitulation.“

Ich fragte nicht erst nach ihrer Meinung, wusste ich doch sowieso, wie sich die Katzen entscheiden würden.

„Trommelt die anderen zusammen. Wir treffen uns so schnell wie möglich am Fuß der Berge.“

 

Es dauerte nicht lange, bis wir alle versammelt waren.

Als letzte kamen Mond und Nacht, die einen Jagdzug durch das Dickicht unternommen hatten, zu uns. Erwartungsvoll sahen sie zu uns hoch. Ich wusste, was sie erwarteten.

Mit einem Nicken übergab ich Kastanienpfote zuerst das Wort.

„Tony ist sicher schon im Wald. Sobald er in dem Gebiet am Fuß der Berge auftaucht, werden wir ihn gemeinsam abfangen und zurück ins Grasland führen.“

„Was ist, wenn er sich wehrt?“, gab Nacht zu bedenken.

„Was schon?“, knurrte Mücke mit gesträubtem Fell. „Dann zeigen wir ihm, was passiert, wenn er sich uns widersetzt!“

„Wir würden alle um unsere Heimat kämpfen, aber ich denke, ich muss euch nicht erklären, dass wir nicht mehr die Kämpfer von früher sind.“ Es war Stein, die ihr widersprochen hatte. Mit entschlossenem Blick trat sie uns an die Seite und sah auf ihre Gefährten hinab. „Wir haben uns geändert. Wir alle wollen unseren Frieden. Wir sind Kämpfer, aber nicht mehr die von damals. Tony hat uns studiert. Er kennt uns, er war auf unsere Aktion vorbereitet.“

„Willst du ihm den Wald überlassen?“, knurrte Mond mit gesträubtem Pelz.

„Nein, aber wenn wir ihn loswerden wollen, müssen wir unsere Vorgehensweise ändern.“

Ich horchte auf. „Was hast du vor?“

„Wir geben ihm, was wir wollen“, erklärte uns Stein mit einem seltsam siegesbewussten Ton.

„Wir sollen ihm kampflos unser Territorium überlassen?“, erhob Hellpfote ihre Stimme. „Das passt nicht zu dir, Stein. Das passt nicht zu euch allen.“

„Wir kapitulieren nur zum Schein!“ Rätselhafte Blicke warfen sich auf Stein. Kastanienpfote und ich sahen uns automatisch an. Das System ihres Plans erschloss sich uns im selben Augenblick.

„Wir räumen das Feld und wallen ihnen in den Rücken, wenn sie sich am sichersten fühlen“, erläuterte Kastanienpfote. Mit einem Nicken stimmte Stein ihm zu.

„Und wie machen wir das?“ Die Frage konnte ich nicht unterdrücken.

Steins Stimme senkte sich, als fürchtete sie, belauscht zu werden. „Am Rand des Waldes gibt es einen Ort, der euch alle interessieren wird…“

Junge Krieger

Wir hatten Nacht und Mond mitgenommen, um den rätselhaften Fund Steins näher in Augenschein zu nehmen. Die anderen hatten sich damit zufrieden begeben, auf unsere Berichte zu warten, da sich angesichts der aktuellen Situation Steins prophezeites Interesse in Grenzen gehalten hatte.

Auf der Lichtung wurden wir dann von einem unglaublich hellen, weißen Licht überrascht.

Der Schein war so hell, dass ich unwillkürlich zu blinzeln begann.

„Was ist das?“, hörte ich Kastanienpfote flüstern.

Stein setzte sich ruhig neben uns hin und ließ uns das Objekt betrachten. „Ich hoffte, ihr wüsstet das besser als ich.“

Langsam gewöhnte sich mein Blick an das leuchtende Objekt. Mir stockte für einen Moment der Atem. Die glitzernden, klaren Steine vor uns spiegelten das Licht der Abendsonne in allen Regenbogenfarben. Sie waren winzig, wie Kieselsteine, aber leuchteten wie Sterne.

„Was ist das?“, flüsterte Nacht und ging interessiert auf das Feld zu. Die klaren Steine waren wolkenförmig in einer Kuhle angeordnet, schienen alle ungefähr dieselbe Größe zu haben und funkelten bunt im Sonnenlicht, als würden sie uns mit kleinen, glänzenden Augen beobachten.

„Ich in mir nicht sicher“, miaute Stein. „Aber etwas geht von diesen Steinen aus. Etwas Mächtiges.“

Nacht sah sich die Steine von allen Seiten an, während sie um sie herum ging. Ein nicht zu übersehendes Interesse spiegelte sich in ihren Augen. Sie begegnete zunächst dem Blick von Mond, dem von Stein und dem von Kastanienpfote und mir.

Ich sah zu den anderen Katzen. Sie dachten alle dasselbe.

Ich sah zu meinem Bruder. „Sollen wir es tun?“

„Ihr seid die einzigen von uns, die auf den…auf den…SternenClan vertrauen. Voll und ganz vertrauen“, versicherte uns Mond. „Wir wissen, dass es sie gibt, aber dennoch haben wir unsere Zweifel. Außerdem…ist da noch euer Bruder.“

Wir traten näher an den kleinen See aus leuchtenden Steinen zu. Wir beide waren nie in der Sternengrotte unserer Clans gewesen, in der sich Katzen mit dem SternenClan die Zunge gaben und dessen Reise jeder Schüler antreten sollte, doch dieses Gefühl, das uns beschlich entspracht genau unseren Vorstellungen in die Präsenz des SternenClans.

Mond und Nacht traten fast synchron zurück. Ihre Gesten waren eindeutig. Wir waren die Clan-Katzen. Es war an uns, mit den Kriegerahnen Kontakt aufzunehmen.

Gleichzeitig legten wir uns am Rand des Kristallhaufens nebeneinander. Ich konnte Kastanienpfotes Wärme und sein Herzklopfen spüren.

Gleichzeitig berührten wir mit unseren Nasenspitzen die glatten, kühlen Steine und versanken sofort tief in eine andere Welt.

 

Wir fanden uns inmitten von saftigen, grünen Gras wieder, das von einem sanften, kühlen Wind auf und ab gedrückt wurde. Der Duft der Erde und Pflanzen stieg mir wie eine kühle Erfrischung in die Nase, noch während ich die Augen öffnete, sah ich den sanften goldenen Schimmer der Abendsonne, der auf dieser vertrauten, heimatlichen Landschaft lag.

Ich hörte, wie Kastanienpfote tief Luft holte. Den Duft der Steppe, die so weit hinter uns lag.

„Ihr habt eure Aufgabe sehr gut erfüllt.“

Wir drehten uns gleichzeitig um und erblickten Springstern, der auf einem Hügel vor uns stand, das glatte, farbige Fell wehte in sanften Wellen im Wind.

„Ihr beide müsst uns glauben, es gibt Dinge, die auch der SternenClan nicht sehen kann.“

Ich ergriff das Wort. „Wir glauben dir, Springstern. Aber wir wissen nicht weiter. Es muss einen Weg geben, wie wir diese Katzen loswerden können!“

„Verhandlungen sind nicht der richtige Weg.“

Irritiert sahen wir den ehemaligen Anführer an. „Wie bitte?“, wiederholte Kastanienpfote irritiert.

„Ihr könnt nicht mit Katzen verhandeln, die euch in den Rücken fallen.“

Etwas schien sich unangenehm in meinem Bauch zu drehen. „Soll das heißen, sie…“

„Sie haben einen Bogen um die Wald gemacht und betreten ihn zu diesem Zeitpunkt von der Seite. Die Führung und die Einigung auf ein Drittel waren nur Ablenkungsmanöver. Sie wollen den ganzen Wald. Die Katzen, die ihr hierher gebracht habt, dienen Tony entweder, oder sie verschwinden.“

Und wenn sie nicht bereit sind, weder das eine noch das andere zu tun?

Ich verkniff mir diese Frage im letzten Moment, da ich die Antwort bereits kannte und sie zu hören keine kluge Entscheidung für mich gewesen wäre.

„Dann gibt es nur noch eine Möglichkeit?“, erkannte Kastanienpfote.

„Ja“, war alles, was Springstern darauf antwortete. „Doch wenn ihr zusammen haltet, habt ihr gute Chancen zu siegen.“

Nacheinander nickten wir beide. Es hatte keinen Sinn, weiter um das Unvermeidliche herum zu reden. Wir mussten handeln. Sofort. Wenn nötig, und es würde nötig werden, mit Gewalt.

„Eins noch, bevor ihr geht.“

Wir blieben stehen und sahen erneut zu dem ehemaligen Anführer. Springstern hatte sich von seinem Podest herab begeben und ging direkt auf uns zu.

„Ich möchte, dass ihr zwei als ausgewachsene, vollwertige Krieger in die Schlacht zieht. Ich kann euch eure Namen nicht geben, doch ich sehe, dass ihr beide schon lange keine Schüler mehr seid. Zieht als Krieger in diese Schlacht und achtet die Gesetze, dann werdet ihr auch als Krieger heimkehren.“

Krieger.

Das Wort klang machtvoll und angenehm zugleich. Wir nahmen den Klang mit, als wir das Territorium des SternenClans verließen und neben dem Kristallfeld erwachten.

Der Kampf der Herzen

In kürzester Zeit hatten Nacht, Mond und Stein sich verstreut, um alle zusammen zu trommeln. Alle stießen nacheinander zu uns. Gemeinsam führten wir die Katzen in Richtung Waldrand. Niemand sagte ein Wort, die geballte Macht, die uns in unserer Entschlossenheit begleitete, war geradezu greifbar. Ebenso wie diese deutliche, unsichtbare Präsenz, die uns an der Spitze, zwischen mir und Kastanienpfote, anführte.

Hellpfote stieß von der Seite zu uns.

„Wartet! Was ist mit Tupf, Fang und Klaue? Wenn Tony davon erfährt, sind sie in Gefahr.“

„Führe sie weiter!“, wies ich Kastanienpfote an, während ich mich aus der Gruppe löste und zu Hellpfote lief.

„Wir können sie nicht im Stich lassen!“, beharrt die Kätzin mit gesträubtem Fell. „Wir müssen unseren Freunden helfen. Tony ist gefährlich!“

„Er wird es nicht merken“, versicherte ich ihr. „Und wenn er es merkt, wird es schon zu spät sein.“

„Was ist, wenn er unseren Freunden…“

„Hellpfote, sie sind zu dritt, Tony ist allein. Sie sind Kämpfer.“

„Tony ebenfalls“, entgegnete sie besorgt.

„Vertraust du ihm mehr als deinen Freunden?“
Hellpfote sah mich kurz an. Schließlich stimmte sie mir zu.

„Ich würde trotzdem gerne nach ihnen sehen.“

Ich nickte. „Gehe ruhig. Aber kein Wort von unserem Vorhaben.“

„Ich weiß von nichts“, murmelte Hellpfote und verschwand im Wald. Ich setzte mich wieder an die Spitze.

„Was war los?“, fragte Kastanienpfote.

„Sie macht sich Sorgen um Klaue, Fang und Tupf.“

„Ich fürchte, die drei müssen vorerst warten. Dort vorne wartet unsere Verabredung.“

 

Sie waren auf unsere Gegenwehr vorbereitet.

Als wir auf Tonys Eroberungspatrouille trafen, stellten sie sich uns mit ausgefahrenen Krallen und gebleckten Zähnen entgegen. Sie waren nicht nur gekommen, um zu kämpfen, das sah ich in ihren Augen. Sie waren gekommen, um zu siegen.

Ich musste mich beherrschen, um nicht mein Rückenfell zu allen Seiten aufstehen zu lassen. Ruhig und gelassen sollten wir auf unsere Rivalen wirken. Selbstbewusst und siegessicher. Eine fest vereinte Gemeinschaft, verwurzelt wie die großen Eichen im BlattClan-Territorium oder die Füße der Berge.

Ich konnte nicht erkennen, wie gut diese Einstellung bei unseren Gegnern ankam. Doch sie hielten inne, beobachteten uns von ihrer Position aus. Sie wirkten weit weniger ruhig, als ich sie angesichts ihres kühlen Vormarsches erwartet hatte. Dennoch hatte ich keine Zweifel daran, dass sie den geplanten Angriff zu dem Zeitpunkt, den sich für richtig erachteten, durchführen würden.

Als keiner von uns sprach, kehrte langsam Nervosität in ihre Reihen ein. Doch es tat sich keine Lücke auf. Im Gegenteil! Die Katzen in den vorderen Reihen schlichen zum Sprung geduckt langsam auf uns zu, wie in Jäger auf seine Beute.

Aufrecht kamen wir ihnen entgegen.

Die Katzen in den hinteren Reihen kamen an der Seite hervor. Sie bildeten die verabredete Linie.

Gleichzeitig traten Kastanienpfote und ich aus den Reihen unserer ehemaligen Feinde und längst lieb gewonnenen Gefährten hinaus. Sämtliche Blicke beider Seiten richteten sich auf uns, sodass sie gleich darauf auf unseren Bruder fielen, der aus heiterem Himmel zwischen uns erschien, als hätte er die ganze Zeit dort gestanden.

Ich lachte in mich hinein. Er hatte die ganze Zeit dort gestanden!

„Geht jetzt.“ Laubjunges’ Stimme war noch immer hell wie die eines Junges, doch der Beiklang in seinen Worten stammte aus einer völlig anderen, Welt, weit entfernt und doch so nah.

Schweigen hüllte den Wald ein, man hörte kaum mehr, als das Rauschen des Windes und das Zwitschern einiger Waldvögel.

Die Reaktion ließ auf sich warten. Jeder Herzschlag verstrich langsam und quälend. Die Zeit schien sich zu dehnen.

„Dies ist unser Wald!“, hörte ich Wolke hinter mir sagen.

„Und wir lassen uns nicht vertreiben“, pflichtete ihr Mücke bei.

Das Rascheln hinter mir verriet mir, wie sich alle Katzen nacheinander setzten. Eine unmissverständliche Geste. Nun standen nur noch Kastanienpfote, Laubjunges und ich.

„Wir drei gehören nicht hierher“, sprach Laubjunges sanft die Katzen vor uns an. „Aber diese Katzen haben hier eine neue Heimat gefunden, einen Ort zum leben. Wollt ihr ihnen das wirklich nehmen?“

„Was bietet ihr uns?“, zischte eine Kätzin aus der vorderen Reihe.

„Es gibt kein Einverständnis unsererseits ohne einen Handel“, stimmte ihr eine andere zu.

„Und wir verlangen unseren Preis!“, fauchte ein Kater mit peitschendem Schwanz.

Es hatte geklappt. Wir haben sie zum Verhandeln bekommen. Nun gab es Hoffnung auf eine friedliche Lösung.

Friedensabkommen

Es war längst Nacht, als Hellpfote Tony und seine Begleiter mit ernster Mine zu uns brachte. Fang, Tupf und Klaue sahen mit starrem Gesichtausdruck zu, wie der Kater auf uns zu ging. Dem schlaffen Blick in seinen Augen entnahm ich, dass er seine Niederlage schließlich eingesehen hatte. Seine Katzen warfen ihm ebenfalls entschuldigend-hilflose Blicke zu. Ohne ein Wort zu sagen, setzte er sich Kastanienpfote und mit gegenüber.

„Wir wollen die Verhandlungen wieder aufnehmen.“

Mit Kastanienpfotes kompromissbereiten Worten hatte er nicht gerechnet.

„Nach allem, was passiert ist?“, brachte der dunkelrote Kater zwischen zusammen gebissenen Zähnen hervor.

„Besonders nach allem, was passiert ist“, bestätigte ich ihm. Interesse leuchtete schwach in seinem Blick auf, als er zu uns hoch sah. Mit einem Schritt ging Kastanienpfote auf ihn zu.

„Wir alle wissen, was es heißt, seine Heimat zu verlieren. Oder keine Heimat zu haben. Deshalb haben wir beschlossen, dass ihr weiterhin in diesem Wald leben dürft.“

Das Angebot wurde unter den Fremden mit Erstaunen aufgenommen. Dennoch hörte ich mehrere freudige Zusagen.

Tony erhob sich. Schlagartig kehrte Ruhe ein. Lange sah er uns an, bevor er demütig den Kopf senkte.

„Es ist das Beste, wenn wir uns gegenseitig tolerieren.“

Freudige Zustimmung erklang aus beiden Reihen. Suchen drehte ich mich um. Klaue bemerkte meine stumme Aufforderung als Erster und trat hervor.

„Ich werde im Namen meiner Freunde diese Verhandlung führen.“

Er hatte etwas von einem Clan-Anführer, als er diese Worte sprach. Auch in Tonys Blick lag Kompromissbereitschaft.

„Wir können gemeinsam hier leben. Nicht als zwei Gruppen, sondern als eine Gemeinschaft.“

Überrascht sah Tony ihn an. „Du meinst…“

„Im Grunde genommen waren wir doch schon immer eine Familie.“

Klaues Worte waren von Herzen gesprochen und trafen auf zustimmendes Miauen. Alle Feindseeligkeit war von den Anwesenden gewichen. Sie wirkten fast so, wie ich mir die Clans auf der Großen Versammlung vorgestellt hatte. Friedlich Rivalen.

„Ich schlage vor, dass wir die bis jetzt existierenden Vereinbarungen auflösen“, miaute Klaue. Erste Protestrufe erklangen, verstummten jedoch schnell wieder, als er seine Forderung näher erläuterte. „Wir sind frei in diesem Wald und benötigen keine Territorien, um unseren Aufenthaltsort zu bestimmen. Wir sich eine Gemeinschaft und leben auch so.“

Es gab keine Einwände, Zustimmung war auf beiden Seiten deutlich zu vernehmen.

Kastanienpfote und ich sahen uns nachdenklich an.

Nach einigem Schweigen nickte Tony. „Ich stimme zu. Und meine Katzen ebenfalls.“

Er warf dabei einen prüfenden Blick über die Schulter und erntete Nicken.

Mein Fell kribbelte. Soeben noch Todfeinde, konnten sich diese Gruppen doch nicht wieder vertragen und sich friedlich Seite an Seite die Zunge geben, als wäre nie etwas gewesen!

„Dennoch benötigen wir Regeln!“, forderte Fang aus der Menge. „Kämpfe müssen eingestellt werden. Keine Katze soll eine andere verletzen oder gar töten!“

Der Vorschlag wurde auf beiden Seiten angenommen.

„Des Weiteren sollten wir uns gegen warnen, wenn es Probleme gibt“, warf Stein ein.

„Das dürfte keine Schwierigkeit werden“, stimmte ein Kater von der anderen Seite zu. „Wir können einen Ort und Zeitpunkt festlegen, an dem wir uns darüber austauschen.“

Überrascht sah ich zu dem Redner. Die Katzen hatten sich erstaunlich schnell auf diese Verhandlung eingestellt, ich hätte mit weit mehr Widerstand gerechnet. Wollten sie nun so etwas Ähnliches wie eine Große Versammlung einführen?“

Schlange hatte diesbezüglich einen Vorschlag: „Am Fluss haben wir eine größere Lichtung entdeckt. Das könnte unser Notfall Treffpunkt sein.“

Ein Notfall-Treffpunkt?!

„Gegen Sonnenuntergang schicken wir einige Katzen dorthin, die sich austauschen“, schlug Hase vor. „Wenn etwas Ungewöhnliches aufgefallen ist, werden die anderen über die Boten alarmiert.“

Ich konnte mich der simplen Logik dieser Ausführung nicht widersetzen, dennoch klang diese Organisation in meinen Ohren viel zu lasch. Ob sich so ein Verfahren bewähren konnte? Eine Versammlung schien mir viel sicherer für alle. Zudem jede Katze dabei war. Ob sich einige Boten gut genug austauschen konnten, um Katastrophen zu verhindern?

Ich fühlte mich versucht, diese Idee zwischen Tony und Klaue zur Sprache zu bringen, doch etwas hinderte mich daran.

„Lasst sie ihr Leben allein organisieren.“ Es war Laubjunges’ Stimme, die in meinem Kopf herum spukte. „Ihr habt genug für sie getan. Sie sind kein Clan.“

Er hatte Recht. Dass wir diesen Katzen geholfen hatten, hieß nicht, dass wir uns auch um ihr weiteres Leben kümmern mussten. Sie waren schließlich frei und eigenständig.

Leise und unbemerkt verließen Kastanienpfote und ich die Versammlung. Wir mussten dringend wieder Zeit zu zweit verbringen.

Die Heimreise

Der Notfall-Treffpunkt, wie die Katzen die Lichtung in der Mitte des Waldes tatsächlich getauft hatten, eröffnete auch für uns beide seine guten Seiten. So war es einfach gewesen, alle zu einem sonnigen Morgen am Beginn der Blattgrüne an ebendieser Lichtung zusammen zu trommeln.

„Wir sind der Meinung, dass es an der Zeit ist, euch Lebewohl zu sagen“, brachte Kastanienpfote unsere letzte Botschaft hinaus. Ich hörte, wie schwer es ihm fiel.

Es herrschte Stille unter den Versammelten. Ich konnte ihre Gefühle praktisch riechen. Sie hatten diese Antwort erwartet, doch der Stich des Abschieds schmerzte sie genauso sehr, wie uns.

„Ihr könnt wirklich nicht länger bleiben?“, schnurrte Punkt in der ersten Reihe wie ein Junges, sodass ich beinahe gelacht hätte.

„Wir würden gerne. Aber auch wir müssen irgendwann in unsere Heimat zurück.“ Und das würde ich gerne hinter mich bringen, bevor die Blattgrüne vorbei war, fügte ich still hinzu. Allein die Vorstellung bei Blattfall durch die Steppe, um den großen Zweibeinerort herum, über die Donnerwege und noch den weiteren weiten Weg über die vielen Wiesen und Hügel zurück zu legen, reichte aus, um mir einen eisigen Schauer durch den Pelz zu jagen.

Der Blick in die vielen Gesichter vor mir war ein Stich ins Herz. Ich würde mich ewig an sie erinnern. An jeden einzelnen. Würde ich mich erinnern. Manche waren zu Freunden geworden, die man nie vergaß.

Dennoch mussten wir Abschied nehmen.

Wir beide führten noch ausführliche Gespräche mit vielen von ihnen, bevor wir mehrere Sonnenuntergänge später endlich aufbrechen konnten.

 

Wir kamen zu zweit weitaus schneller voran, als mit der gesamten Gemeinschaft. Das Jagen fiel uns in jedem Terrain leicht, wir hatten die unterschiedlichsten Techniken entwickelt und probierten sie alle mehrmals erfolgreich aus. Innerhalb weniger Tage hatten wir das Grasland hinter uns gebracht und den Rand des großen, grauen Zweibeinerortes erreicht. Wir taten kein zweites Mal den Fehler, durch das Gewirr aus Steinklötzen und Monstern hindurch zu ziehen, sondern schlugen einen Bogen über grüne, blühende Felder, in denen es reichlich an Wühlmäusen wimmelte. Wir trafen sogar die Jungen wieder, die uns zu helfen versucht hatten, wieder zusammen zu kommen.

Inzwischen waren sie viel größer, fast ausgewachsen und wären, würden sie im Clan leben, bestimmt bereit, Schülerinnen zu werden. Die Schildpattkätzin, die uns damals vom Geruch her zugeordnet hatte, erkannte uns sofort.

„Ihr habt euch wieder gefunden!“, begrüßte sie uns mit dem glücklichen Blick eines glücklichen Hauskätzchens.

„Es hat ziemlich lange gedauert“, sagte Kastanienpfote, „aber ohne eure Hilfe würden wir heute noch nacheinander suchen.“

„Passt gut aufeinander auf“, riet ich den Schwestern. „Dann müsst ihr euch nie wieder finden.“

Sie gingen so schnell wie sie gekommen waren. Diese Jungen interessierten sich wohl nicht sehr für unsere Missionen und Unternehmungen. Sie lebten ihr eigenes Leben und waren glücklich damit. Wir mussten noch zu unserem eigenen, glücklichen Leben zurückkehren.

Wir überquerten die Donnerwege fast ohne Schwierigkeiten, machten einen Bogen um den Zweibeinerort, in dem uns die Hunde angegriffen hatten und fanden uns bald auf freiem Feld wieder.

„Ich rieche Wald!“, miaute Kastanienpfote beim Laufen. „Das muss das Territorium des BlattClans sein.“

Die Rückreise war weitaus schneller und einfacher ausgefallen, wie die Reise zum Wald. Es war seltsam, so allein unterwegs zu sein. Doch bald kam der Waldrand in Sicht, das Rascheln der Bäumkronen im Wind schien uns willkommen zu heißen.

„Sollen wir nicht lieber einen Bogen um den Wald machen?“, schlug Kastanienpfote vorsichtig vor. „Die Clans haben sich in der Zwischenzeit doch bestimmt längst wieder gegenseitig im Visier.“

 „Es ist kürzer, Kastanienpfote. Und außerdem weiß der BlattClan, woher wir kommen. Sie würden uns eher eine Nacht in ihrem Lager schlafen lassen, als uns gleich wieder zu vertreiben. Sicher sind sie auch neugierig über das, was passiert ist. Wir waren schließlich fast drei Monde weg.“

„Es kam mir kürzer vor.“

Meine Schnurrhaare zuckten belustigt. „Mir auch.“

„Ich bin so froh, bald alle wieder zu sehen“, miaute Kastanienpfote. „Hast du schon mal an uns gerochen? Wir riechen nach allem Möglichen, nur nicht nach SteppenClan! Wir werden vielleicht eher nach BlattClan riechen, wenn wir hier heraus sind.“

„Erkennen werden sie uns bestimmt noch, mache dir da mal keine Sorgen.“ Ich konnte mir die Bemerkung nicht verkneifen. „Spätestens wenn sie uns sehen werden diese seltsamen Gestalten schon auf Erinnerungen stoßen.“

„Seltsame Gestalten?“, wiederholte mein Bruder mit gespielter Entrüstung. „Eine Anerkennung wäre bestimmt nicht fehl am Platze. Und wenn wir Mausstern persönlich darum bitten müssen!“

Ein Knacken hinter uns ließ uns beide herumfahren.

„Ihr werdet schon noch eure Anerkennung bekommen. Darin, so laut es für eine Katze möglich ist, durch den Wald zu trampeln seid ihr unschlagbar.“

Die Gestalten, die mit neckischem Funkeln in den Augen aus dem Schatten der Büsche krochen, ließen sogleich eine wohltuende Wärme in mein Herz steigen.

„Kieselpfote! Eschenpfote!“

Auch Kastanienpfote war aufgesprungen und hatte die BlattClan-Katzen mit freundlichem Lecken begrüßt.

„Ich muss euch doch sehr bitten“, fand auch nun Eschenpfote etwas zum Meckern, ohne dabei wirklich ärgerlich auszusehen.

„Natürlich!“ Kastanienpfote trat einen Schritt zurück. „Wann wurdet ihr ernannt?“

„Gleichzeitig. Kieselstein hatte einen kleinen Unfall und konnte eine Zeit lang nicht weiter trainieren.“

Die weiße Kätzin schüttelte sich ärgerlich. „Keine Mitleidsbekundungen, mit mir ist alles in Ordnung. Eigentlich sollte Eschenlicht noch mindestens einen Mond trainieren, doch die erste Auseinandersetzung am Fluss seit eurem Abzug, hat Fuchsstern zu denken gegeben.“

„Mit anderen Worten, es ist alles wieder beim Alten“, fasste ich zusammen.

„Das ist besser, als ich erwartet habe“, rutschte es Kastanienpfote heraus. „Sonst noch etwas, was wir wissen müssten?“

„Blattschatten hat sich, soweit ich gehört habe, sehr schnell in die Rolle als Heilerin eingelebt. Es scheint wirklich ihre Bestimmung sein“, berichtete Eschenlicht. „Sie und Taubenflug haben sich sehr gut angefreundet. Das scheint unter Heiler-Katzen immer zu sein.“

„Taubenflug? Dann ist Taubenpfote auch eine vollwertige Heilerin geworden?“

„Ja, schneller als erwartet“, sagte Kieselstein mit kaum zu überhörendem Stolz auf ihre Schwester. „Das einzige Problem ist, dass wir im Moment zu wenige Schüler haben. Feldpfote wird bald ihre Ausbildung abschließen und die Jungen von Aschenhauch sind erst zwei Monde alt.“

„Aschenhauch hat Junge?“, rief ich aus.

„Vier kräftige Junge. Zwei Kätzinnen und zwei Kater. Die vier halten das halbe Lager auf Trab.“

Ich musste zufrieden schnurren. Diese Jungen konnten ebenfalls glücklich und zufrieden miteinander aufwachsen. Sicher würden sie große Krieger werden, wie ihre Mutter. Ob es im SteppenClan auch Nachwuchs gab? Wir benötigten dringend Katzen!

Bald hörten wir das Rauschen des Flusses. Ich prüfte die Luft. Der Duft der Steppe wehte im Wind.

 

Unsere Ankunft schlug im Lager ein, wie ein Blitz.

Bevor wir uns in unserem zu Hause umsehen konnten, wurden wir von unseren Clan-Gefährten umringt und mit Fragen durchlöchert.

Ich wusste gar nicht, wen ich als erstes begrüßen sollte. Nacheinander reihten sich alle Katzen um uns herum. Wir suchten die ganze Zeit nur nach zwei Gesichtern.

„Wartet bitte, lasst Schneepfote und Kastanienpfote erst einmal ankommen!“, unterbrach Mausstern den Clan. Dann wandte er sich zu uns. „Ihr habt sicher viel zu erzählen und seid müde und hungrig. Nehmt euch doch erst einmal ein kräftiges Stück Frischbeute vom Haufen.“

Der Einladung konnten wir kaum widerstehen. Mir entging nicht, dass Glutflamme und Eibenschweif deutlich Junge erwarteten, auch wenn diese noch einige Zeit auf sich warten ließen.

Beim Verschlingen einer dicken Wühlmaus und eines Eichelhähers mussten wir zu allen Seiten dringende Fragen beantworten und Geschichten erzählen. Wieder einmal wurde mir schmerzlich bewusst, wie klein der Clan war, nach der Lawine in den Bergen, die so viele Opfer gefordert hatte. Doch der SteppenClan blühte auf. Es würde nicht mehr lange dauern, und wir würden wieder die alte Stärke wie zuvor besitzen.

Während Kastanienpfote den erstaunten Zuhörern alles über Tony und seine Intrigen erzählte, schweifte mein Blick gedankenverloren in die Ferne. Ich fragte mich, ob unsere Freunde dort draußen ebenso gut zu Recht kamen wie wir.

 

„Alle Katzen, die alt genug sind, Beute zu machen, fordere ich auf, sich in der Mitte der Talsenke zu einem Clan-Treffen zu versammeln.“

Mein Fell kribbelte aufgeregt, mir wurde heiß und kalt zugleich, als sich alle Katzen um uns herum versammelten. Mausstern stand auf dem Findling in der Mitte des Lagers und sah stolz auf uns herab. Alle Blicke waren auf uns gerichtet.

„Ich, Mausstern, Anführer des SteppenClan, fordere meine Kriegerahnen auf, auf diese jungen Katzen herab zu sehen. Sie haben hart gearbeitet, um eure edlen Gesetze zu erlernen und wir werden sie als vollwertige Krieger in unseren Clan aufnehmen.“

Er wandte sich zuerst an meinen Bruder. Ich spürte, wie er vor Aufregung zitterte.

„Kastanienpfote, versprichst du, das Gesetz der Krieger zu achten, deinen Clan zu schützen und zu verteidigen, selbst wenn es dein Leben kostet?“

„Ich verspreche es!“, antwortete er mit fester, klarer Stimme.

„Dann gebe ich dir mit der Kraft des SternenClans deinen Kriegernamen. Kastanienpfote, von diesem Tag an wirst du Kastanienglanz heißen. Der SternenClan ehrt deine Treue und deine Opferbereitschaft und heißt dich als vollwertigen Krieger in unserem Clan willkommen.“

Mein Herz schlug höher, als Mausstern seinen Kopf von Kastanienglanz’ Schulter nahm und sich mir zuwandte.

„Schneepfote, versprichst du, das Gesetzt der Krieger zu achten, deinen Clan zu schützen und zu verteidigen, selbst wenn es dein Leben kostet?“

„Ich verspreche es!“, sagte ich fest und entschlossen, eine kuschelige Wärme stieg in mir hoch.

„Dann gebe ich mit der Kraft des SternenClans deinen Kriegernamen. Schneepfote, von diesem Tag an wirst du Schneeblüte heißen. Der SternenClan ehrt deine Treue und deine Opferbereitschaft und heißt dich als vollwertige Kriegerin in unserem Clan willkommen.“

Ich leckte wie in Trance die Schulter meines Anführers. Hinter uns erhoben sich die Stimmen unserer Clan-Gefährten.

„Kastanienglanz! Schneeblüte! Kastanienglanz! Schneeblüte!“

Weit hinten in der Menge sah ich einen kleinen, schildpattfarbenen Kater sitzen, der uns mit leuchtenden Augen zusah.

Ihr werdet große Krieger sein!, hörte ich Laubjunges’ Stimme in meinem Kopf. Für mich seid ihr die Größten!

Ich schloss die Augen und ließ mich sanft in den Rufen treiben. Nun, nach so langer Zeit, war auch unsere Aufgabe endgültig erfüllt und wir waren bereit, unserem Clan tapfer zur Seite zu stehen.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 04.01.2014

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