Ich wollte nicht wissen, wie lange ich schon auf dieser Couch lag und an die hellblaue Decke starrte, an der sich silbrige Blumenmuster wanden. Sollte das etwa beruhigend wirken?
"Nun sagen Sie mir doch mal, wenn es ihnen nichts ausmacht, wann haben Sie Ihren ersten Mord begangen?"In dieser Einrichtung gab es wohl auch keine Privatsphäre! Hätte ich nur nie dieses verräterische Telefongespräch geführt!
"Mit zwölf", murmelte ich und fragte mich dabei, warum ich diesem seltsamen Schnösel von Psychiater eigentlich zuhörte.
"Können Sie mir schildern, wie es damals zugegangen ist", fragte er weiter, als hätte er eine kleptomanische Haushälterin und keinen blutrünstigen Psychopaten neben sich.
"Mir war langweilig." Musste ich das unbedingt erzählen? Darüber standen doch bestimmt Seiten in meiner Akte.
"Und auf welche Gedanken sind Sie dann gekommen?" Bemerkenswert, wie ruhig er war. Alle anderen hätten bei dieser Stelle die Flucht ergriffen. Er behandelte mich fast wie einen normalen Menschen.
"Es war nichts Schlimmes. Ich wollte einfach nur mal sehen, wie schnell so eine Axt durch die Luft fliegt und ob sie wie ein Bumerang zurück kommt. Und dann stand da plötzlich mein Nachbar im Weg."
"Sie hatten also gar nicht die Absicht, ihm den Schädel zu spalten."
"Natürlich nicht! Er hat mir doch immer Erdbeeren aus seinem Garten geschenkt. Ich kann doch nichts dafür, wenn er sich in meiner Wurflinie befindet."
"Können Sie sich daran erinnern, was Sie in dem Augenblick gefühlt haben?"
"Ich war überrascht, dass der Schädel so durchblutet war."
"Hatten Sie schon vorher Bekanntschaft mit Blut oder verletzten Personen gemacht?"
"Ich habe mal heimlich so einen Horrorfilm geschaut, wo jemand aufgeschlictzt wurde." Total langweilig.
"Hat Sie das länger beschäftigt?"
"Nein, ich musste schnell ausschalten, weil mein Vater nach Hause kam. Und nachher waren wir dann Eis essen, da hatte ich das schon wieder vergessen."
"Sie waren damals..."
"Zehn, glaube ich."
"Und hatten keine Alpträume oder Angstzustände?"
"Ich habe den Film nur geschaut, weil der große Bruder von einem Klassenkameraden solche Filme spannend findet. Ich fand ihn aber einfach nur langweilig."
"Als Sie Ihren Nachbarn erschlagen haben, haben Sie in dem Moment auch eine gewisse Langeweile verspürt?"
"In dem Moment nicht. Hätte ich das tun sollen?"
Er ging nicht weiter auf meine Frage ein, sondern notierte etwas. In dem selben sachlichen Tonfall, den ich von anderen seiner Art immer so vermisse, fuhr er fort: "Wie genau sind Sie dann zum Auftragsmorden gekommen?"
"Mehr oder weniger durch einen Freund."
"Können Sie Ihren Freund beschreiben?"
"Er war ein Junkie. Drogen, Alkohol und alles, was dazu gehört. Eigentlich sind diese Typen ganz unterhaltsam. Deshalb bin ich mal mit ihm in eine Bar. Nun und da war dieser seltsame Typ mit Sonnenbrille und so. Er sagte, er suche neue Katzen. Habe ihm natürlich zuerst geraten, in einem Tierheim nachzufragen, bis ich dann wirklich gemerkt habe, dass die 'Mäuse', die die Katzen umlegen sollten, Menschen waren. Nun, und ich konnte Geld immer gebrauchen und habe mich angeboten. Wie geht es ihm eigentlich?"
"Er ist in einer anderen Klinik untergebracht." Ich hatte das Gefühl, dass der Typ mir auswich. "Nun, er hat Ihnen dann Ihren ersten Auftragsmord vermittelt."
"Jap, das machen wir so, damit wir nicht auffliegen. Der Klient hatte Ärger mit seiner Schwägerin, die nachdem er zum Witwer geworden ist, sich seine Villa unter den Nagel reißen wollte. Keine Ahnung, wer das war, die Aufträge werden bei uns immer inkognito weiter gegeben, bis sich der richtige Mann findet."
"Und Sie haben die Frau getötet?"
"Mit Rattengift."
"Wie haben Sie sonst noch gemordet?"
"Wie es eben am besten passte. Mal mit Gift, mal mit einem Gartenschlauch erdrosselt. Mal lebendig im Auto verbrannt oder das Haus angezündet. Sie verlangen doch nicht von mir, dass ich mich an all das erinnere!"
"Oh, nein. Hatten Sie dabei irgendwann einmal so etwas wie Reue?"
Häh? "Was ist Reue?" Ich hatte das Wort schon einmal gehört, da war ich mir sicher.
"Nicht so wichtig. Können Sie sich an Ihren letzten Mord erinnern?"
Ich überlegte. "Ja, das war dieser Millionär. Ich glaube, sein Enkel wollte das Erbe haben. Eigentlich sollte ich ihn vergiften, aber ich habe aus Versehen irgend eine Säure in seinen Kaffee geschüttet. Er hat die Ärzte ganz schön auf Trab gehalten. Nun und gleich nachdem, ich ihm als Versicherungsangestellter getarnt verlassen wollte, kam diese komische Nachbarin an. Dabei hatte mir der Boss hoch und heilig versichert, dass zu dem Zeitpunkt kein Zeuge in Sicht ist."
"Sie haben die Nachbarin mit einem Schraubenzieher erstochen."
"Ja, um sie zum Schweigen zu bringen. Aber da hat schon ein Spaziergänger ihren Schrei gehört und die Bullden gerufen. Ich bin natürlich so schnell wie möglich weg."
"Hatten Sie dabei Angst, erwischt zu werden?"
"Ich hatte einen Ruf zu verlieren. Die Zukunft ist für uns Auftragskiller ein großes Problem, wenn Sie verstehen, was ich meine. Immer auf neue Jobsuche, immer dieser Ärger mit der Polizei. Und einer, der erst einmal im Knast, oder in dieser geschlossenen Anstalt war, bekommt so schnell keinen Auftrag mehr."
"Es war also beruflicher Ehrgeiz, der Sie getrieben hat."
"Kann man so sagen. Aber ich wollte danach aussteigen. Ich meine, bei so einem Unternehmen ist man ja gar nicht versichert! Und da kam die Polizei!"
"Waren Sie daraufhin wütend?"
"Ich habe die ganze Zeit über mein Lieblingsproblem Zukunft nachgedacht."
"Nun gut." Der Psychater setzte einen Punkt unter seine Aufzeichnungen. "Zum Schluss habe ich noch eine Frage an Sie. Denken Sie, dass sie nach all der Überlegungszeit, den Verhören, der Konfrontation mit den Angehörigen ihrer Opfer vielleicht Gefühle entwickelt haben, die nur noch nicht..."
Er konnte nicht zu Ende sprechen. Mit einem gezielten Ruck brach ich ihm das Genick, ohne dass er auch nur eine Bewegung mitbekam. Die Leiche sank dumpf zu Boden. Alarmsignale ertönten.
"Nein, ich fühle nichts", sagte ich zu der Leiche, als mich die Pfleger in eine Zwangsjacke stecken und aus dem Raum transportierten.
Tag der Veröffentlichung: 30.08.2013
Alle Rechte vorbehalten