Ich wusste nicht, wie viele Tage ich schon in diesem Erdloch hockte. Die Tage und Nächte gingen fließend ineinander über, während der kalte, harte Bau mit jegliches Zeitgefühl raubte. Die Streuner bewachten den Tunnel, der die einzige Quelle zur Freiheit war, wie ein Fuchs seine Beute. Dreimal habe ich versucht, zu fliehen. Das erste Mal war ich so naiv gewesen, einfach den einzigen Tunnel, der aus meinem Gefängnis führt, hinaufzuklettern, nur um, oben angekommen, von meinen Wächtern wieder hart nach unten gestoßen zu werden. Beim zweiten Mal versuchte ich, kämpfend an ihnen vorbei zu kommen. Der Erfolg bestand in etlichen neuen Kratzern und wütenden Katzen, die vor dem Höhleneingang darüber diskutierten, ob man mir nicht besser gleich die Gurgel zerfleischen sollte, wohl darauf bedacht, dass ich jedes Wort mithörte. Daraufhin bin ich in einen Hungerstreik gegangen, was ich allerdings nicht lange ausgehalten habe, da mein knurrender Magen schließlich doch die Kontrolle über meinen Körper gewonnen hat, als sie mir eine saftige Wühlmaus hingeworfen haben. Ich hatte von den Wächtern getuschelte Gerüchte aufgeschnappt. Sie glaubten wohl, dass Waldkatzen keine Ohren hätten, oder waren selbst schon taub von dem Getöse der Monster vom Zweibeinerort. Blut sollte zurückkehren. Und ich wollte nicht wissen, was dieser hinterhältige Mörder mit mir anstellen würde. Deshalb startete ich meinen dritten Fluchtversuch. Einen Tunnel graben. Tage und Nächte hatte ich mit den Krallen im harten Erdreich gescharrt, bis diese sich anfühlten, als würden sie jeden Augenblick herausfallen. Immer wieder habe ich dicke Wurzeln mit den Zähnen weggezerrt, bis ich einen widerlichen Geschmack im Maul hatte. Ich hatte mich verbissen durchgekämpft. Selbst, als Klaue längst dahinter gekommen ist.
„Du bist noch dümmer, als ich gedacht habe, wenn du glaubst, dass du dadurch verduften kannst“, hatte er meine aberwitzigen Bemühungen gelassen kommentiert, während ich weiter die Erde beiseite schaufelte wie ein Maulwurf. Irgendwann bin ich dann einfach umgekippt. Vor Erschöpfung konnte ich kein Glied mehr rühren. Am Rande meines Bewusstseins hatte ich dann noch bemerkt, wie Klaue mich zurück in die Höhle gezerrt und meinen provisorischen Tunnel notdürftig versperrt hatte.
Das war, wenn mir mein angeschlagenes Zeitgefühl keinen Streich gespielt hatte, vor drei oder vier Sonnenaufgängen. Nun hatte ich eine andere Form des Protestes entwickelt: Immer, wenn eine Katze hereinkam, drückte ich mich in den hintersten Winkel des fahl beleuchteten Baus und stellte mich entweder schlafend oder wandte den Blick von der Katze ab, als sei sie nicht da. Immer, wenn mich jemand ansprach, stellte ich meine Ohren auf Durchzug, bis ich wirklich gar nicht mehr registrierte, was gesagt wurde. Ich zog mich in meine eigene, kleine Welt zurück, die außer mir niemand kannte. Es war der alte Wald. Der Wald, in dem der BlattClan noch lebte, bevor meine Clan-Gefährten von den Streunern vertrieben wurden. Ich sah, wie ich durch das frische Grün lief, jagte, wie ich spielerische Kämpfe mit Rindenpfote und Kieselpfote austrug oder wie ich einer von Tigerzahns atemberaubender Geschichten über die alten Clans lauschte. Immer wieder stellte ich mir vor, wie die Clans mir begegnen würden. Der mutige LöwenClan, dessen goldene Mähne im Sonnenlicht wie Feuer leuchtete, der TigerClan, die gefürchteten Jäger des Waldes, die in ihrer riesigen Gestalt jeden Gegner bezwingen könnten, und den LeopardenClan, die schlauen Jäger, die auf leisen Pfoten bis in die Baumwipfel kletterten.
Bei dem Gedanken an den LeopardenClan durchzuckte mich ein scharfer Schmerz. Steinpfote hatte immer von diesem Clan geschwärmt, sie hatte sich gewünscht, auch einmal so schnell und so stark wie eine Leopardin zu sein. Steinpfote, die mich als erstes im Clan willkommen geheißen hat, die einen mit ihrer munteren Lebensart immer wieder aufheiterte –und die nichts von meiner verborgenen, innig heißen Liebe zu ihr wusste.
Was war aus meinen Freunden geworden? Was war aus den Clans geworden? Und warum besuchte mich Springstern nicht mehr?
Auf meiner Reise zur Sternengrotte war ich dem toten SteppenClan-Anführer begegnet, der nun im SternenClan lebte und nachts am Silbervlies auf und herabsah. Immer öfter war er in meinen Träumen erschienen und hatte mir stets Mut gemacht. Wo war er? Konnte er nicht mehr kommen, da der SternenClan seinen Clans aus dem Wald gefolgt war? Oder hatte er mich vergessen? Verlassen, in den Pfoten der Streuner, die keine Gesetze kannten und uns nur auslachten, als wir an das Gesetz der Krieger appelliert haben?
In meinen Träumen sah ich nur noch finstere Katzen, die mir nach dem Leben trachteten. Ich hörte die Hilferufe meiner Clan-Gefährten, ohne ihnen auch nur die geringste Hilfe anbieten zu können. War es das, was die Streuner wollten? Dass ich mich hilflos fühlte?
„Großer SternenClan, gib mir Kraft!“, hatte ich jeden Tag gebetet. Doch wo war diese Kraft nun?
Katzen! Der Geruch kam aus dem Tunnel. Und ich wusste genau, wer mich dort besuchen kam. Erneut legte ich mich in die Ecke und stellte mich schlafend. Zum unzähligsten Mal wiederholte ich meine selbst ausgedachte Litanei im Kopf.
Ich bin Sturmpfote, Schüler des BlattClans. Und ich werde nicht eher ruhen, bis meinem Clan und dem SteppenClan wieder die Gerechtigkeit gebracht ist, die ihm zusteht. Bei dem Leben meiner Mutter, das sie für mich geopfert hatte. Beim SternenClan, das schwöre ich! Ich, Sturmpfote, Schüler des BlattClans.
„Schläft er?“, hörte ich Klaue knurren.
„Er tut nur so“, antwortete Fang, die Kätzin, die mich mit ihm bewachte und stieß mich mit der Pfote an, sodass ich wider Willen das Gesicht verzog.
Ich, Sturmpfote, Schüler des BlattClans, schwöre, dass ich die Gerechtigkeit in den Wald zurückholen werde!,dachte ich, als könnten Fang und Klaue es hören.
„Also gut“, miaute Fang, „willst du noch weiter so vor dich hinschmollen, oder bekommen wir endlich Antworten?“
„Gerechtigkeit!“, murmelte ich mehr zu mir selbst.
„Der Kleine wohnt in einer Traumwelt“, diagnostizierte Klaue. „Er redet im Schlaf mit seinen Freunden, die uns entwischt sind. Willst du deine Freunde wieder sehen?“
Ich versuchte, meine Ohren auf Durchzug zu stellen und vergrub mein Gesicht im Pelz.
„Natürlich willst du das. Du willst schließlich nicht, dass ihnen etwas passiert“, miaute Klaue weiter, während ich nicht wusste, ob ich ihn ignorieren oder Informationen aus seinem Geschwafel herausfiltern sollte. „Sie sind immer noch in der Steppe. Es wäre ein Leichtes, sie noch zu kriegen. Meine Katzen sind ihnen schon auf den Fersen.“
Er lügt, sagte ich zu mir selbst. Ob ich wirklich daran glaubte?
Klaue kam näher. Ich konnte sein Gesicht dicht neben mir spüren. Ich musste seine hässliche Visage schon so lange ertragen, dass ich genau wusste, wo seine Narbe war.
„Was würdest du tun, wenn wir ihnen wehtun würden?“, plauderte Klaue weiter, während er sich wieder von mir entfernte. Ich versuchte, mir meine plötzliche Furcht und das Entsetzen nicht anmerken zu lassen.
„Für uns sind sie nur ein paar Kätzchen, die im Weg stehen. Wir könnten ja mit dem dicken Hauskätzchen anfangen.“
Sonko! Mein Herz setzte einen Schlag aus. Er war der einzige, der keine große Kampferfahrung hatte. Sie würden ihn schon nach wenigen Augenblicken des Kampfes besiegt haben!
„Oder vielleicht auch dein brauner Freund, mit dem du so lange gequatscht hast.“
Mein Fell stellte sich auf. Wie lange hatten die Katzen uns beobachtet? Sonko hatte doch erzählt, er hätte niemanden gesehen! Konnten sie sich etwa unsichtbar machen?
„Die kleine Weiße hat uns im Kampf ziemlich zugesetzt. Da gibt es noch einige, die auf Rache sinnen.“
Ich musste mir ein überhebliches Grinsen verkneifen. Kieselpfote war für ihr Alter die beste Kämpferin unter uns. Sie war drei Monde jünger als wir und dennoch hatte sie mich bei unserem ersten Training fast ohne Mühe überwältigt. Die Streuner werden sich an ihr die Zähne ausbeißen!
„Oder…wie ist es mit deiner grauen Freundin?“
Obwohl sich innerlich jedes Haar auf meinem Pelz aufrichtete, versuchte ich mir nichts anmerken zu lassen.
„Sie war krank, als wir euch gefunden haben, nicht wahr? Sie hatte…wie nennt ihr das? ...Grünen Husten. Ob sie jetzt wohl wieder gesund ist?“
Ich rammte meine Krallen in das kalte Erdreich. Wenn sie es auch nur wagten, Steinpfote irgendetwas anzutun…
„Oh, habe ich einen wunden Punkt getroffen?“
Ich hätte mir selbst den Schwanz herausreißen können. Doch mein Fell glättete sich nicht auf Befehl.
„Das ist es also. Ich verstehe.“
Ich konnte mich nicht länger zurückhalten. Wütend riss ich den Kopf nach oben.
„Gar nichts verstehst du, du…“ Mir fiel beim besten Willen kein passendes Schimpfwort ein. „Ihr Mäusehirne könnt doch gar nicht…“
„Was können wir nicht?“, knurrte Klaue aufgebracht. Mir war klar, dass ich in meinem Zustand gegen den Kater keine Chance hatte, doch die Wut ließ heiße Glut in mir hochspülen.
„Ihr seit nichts weiter als wertlose Fellbälle! Euer Leben bedeutet, das Leben anderen schwer zu machen. Ihr kennt keine Gesetze. Ihr kennt keine Ehre! Ihr…“
Dieses heiße, unbändige Tier, das in mir hochkam versiegte jeden Sprachfluss. Es wollte diese widerliche Kreatur, die sich Katze nannte, töten, wenn nicht Schlimmeres mit ihr anstellen.
„Du schaust auf uns herab, Waldkatze“, zischte Klaue mir ins Ohr. „Du klammerst dich an die Überlegenheit deines Gesetzes der Krieger!“ Er sprach die letzten drei Worte wie einen Fluch aus. „Noch sind wir freundlich zu dir. Aber ich verspreche dir, wir können auch ganz andere Seiten aufziehen.“
Ich wusste nicht, was in dem Augenblick Besitz von mir ergriff. Ich sah nur noch diese niederträchtige Katze mit der glühenden, roten Narbe über dem Auge.
„Ich weiß, was Treue ist. Ich weiß, was Freundschaft ist! Damit kannst du dich nicht rühmen!“
„Wer braucht schon Treue oder Freundschaft, wenn er einen ganzen Wald für sich haben kann!“, schnauzte mich Klaue an. „Sag mir, was kann Treue ausrichten?“
„Mehr, als dir lieb ist“, fauchte ich, so leise, dass er es gerade noch hören konnte. Ich sammelte meine Kräfte.
„Für die Treue zum SternenClan!“, zischte ich Klaue entgegen und schlug meine Krallen in die rote Narbe, die das Fell über seinem Auge trennte. Klaue sah den Schlag zu spät. Sein schrilles Kreischen, als meine Krallen die Narbe wieder aufrissen und Blut auf sein Fell spritzen ließen, weckte die Aufmerksamkeit der Wächter. Schon hörte ich sie den Tunnel herunterkommen.
Blind vor Wut stürzte ich mich auf Klaue, zielte auf seine Kehle. Mit erstaunlicher Schnelligkeit wich er aus, sodass ich mich in sein Brustfell verbiss. Wie besessen schüttelte ich ihn und schlug wieder und wieder mit den Krallen nach seinem Kopf. Klaue schwankte. Ich warf mein gesamtes Körpergewicht auf ihn und drückte ihn zu Boden, biss diesmal in seine Schulter, bis ich spürte, wie sich meine spitzen Fangzähne in sein Fleisch gruben. Ich war so im Kampfrausch, dass ich nicht bemerkte, wie die Wächterkatzen meine Kinderbeine packten und mich von Klaue wegzogen. Krallen und Zähne hinterließen tiefe Spuren in seinem Fell. Ich schmeckte Blut, und es schmeckte gut.
Hart stieß Klaue mich gegen die Wand, als er nachsetzte. Mir schien alle Luft aus den Lungen zu entweichen. Mit seinen Vorderpfoten presste er meinen Brustkorb zusammen, alle Energie entwich meinem Körper.
„Das wird dir noch leid tun, Pfötchen!“, zischte Klaue mir zu. Ich nahm an, dass „Pfötchen“ ein verächtlicher Ausdruck für einen Clan-Schüler war. „Ich werde deine Freunde finden. Dann wirst du sehen, was Hochmut und Überheblichkeit anrichten!“
Für die Treue zum SternenClan!, wiederholte ich in Gedanken, während die Klaue den Druck löste und wieder Luft in meine Lungen strömte. Es bestand kein Zweifel, dass er sein letztes Versprechen erfüllen würde. Kraftlos und voller Sorge und Trauer sank ich in mir zusammen. Steinpfotes Gesicht erschien vor meinen Augen. Sie schien mir etwas sagen zu wollen.
„Was wir nicht alles opfern für die Treue zum SternenClan.“
„Springstern! Springstern!“
Ich lief über die Berge, an denen das Territorium des SternenClans endete.
„Springstern, wo bist du?“
Keine Antwort. War der SternenClan seinen Nachfahren schon gefolgt? Konnte er mich aus irgendeinem Grund nicht erreichen? Oder hatte er mich vergessen?
„Springstern!“, rief ich weiter. Ich musste ihn finden. Ich hatte so viele Fragen. Ich brauchte einen Rat. Ich musste weg von diesen Krähenfraß fressenden Streunern, sonst brachten sie mich noch um den Verstand. Ich musste weg, bevor sie meine Freunde fingen. Ich musste weg, bevor sie noch mehr Schwächen von mir entdecken konnten. Bevor ich das Unaussprechliche tat.
„Springstern! Bitte antworte mir!“
Wo war er nur?
Das wilde Gejaule von Katzen. Die Streuner. Sie jagten mich. Sie waren hinter mir her, während ich wieder durch diesen unheimlichen, dunklen Wald lief und nach meinen Clan-Gefährten rief. Bilder von dreckigen Streunern, die mit scharfen Krallen auf mich zusprangen, blitzten mir vor Augen.
Der SternenClan hat dich verlassen, Pfötchen, zischten sie mir zu. Er hat nie existiert. Es sind alles nur tote Katzen. Tote Katzen, die dir nicht mehr helfen werden!
Nein!, wollte ich schreien. Ich wollte irgendwas sagen, bekam aber keinen Ton heraus. Springstern hatte mich nicht verlassen. Niemals! Vielleicht hatte der SternenClan keine Macht mehr unter all diesen widerlichen Streunern. So musste es sein!
Tote Katzen!, zischten die Fratzen um mich herum.
Tote Katzen!, zischten die Stimmen in meinem Kopf.
Tote Katzen! Tote Katzen!, fing mein Verstand an, zu wiederholen. Es sind alles nur tote Katzen, die mir nicht helfen werden. Tote Katzen, die nie existiert haben…
„Ich sehe, wir sind schon um einiges vernünftiger geworden“, miaute diese verhasste Katzenstimme hinter mir. Im Halbschlaf hatte ich mich aufgerichtet.
„Tote Katzen…tote Katzen…können nicht helfen…existieren nicht…“, murmelte eine tonlose Stimme unablässig aus meinem Mund.
„Du fängst an, zu lernen“, fuhr Blut fort. „Vielleicht habe ich bei dir mehr Erfolg als mit diesem Fellknäuel von Zweitem Anführer.“
Der tote Graufell in einer größer werdenden Blutlache blitzte mir vor Augen. Tote Katzen…
„Wir sind stärker, als du denkst, Sturmpfote. Wir sind überall im Wald. Wir waren dort schon, bevor du die Clans kennen gelernt hast. Dies ist unser Wald. Auch wenn ihr ihn für euch beansprucht habt. Wir holten uns nur zurück, was uns gehört.“
Die Streuner wohnten also schon länger im Wald. Sie haben ihn sich einfach zurück erobert. Und der SternenClan musste hilflos mit ansehen, wie seine Clans die Territorien verließen, in denen er sie behüten konnte.
„Graufell war nicht lange Zweiter Anführer. Er hat schon als Schüler heimlich mit uns Bekanntschaft geschlossen.“
Graufell? Ein Streunerfreund? Deshalb sein Gerede von Verrat?
„Wir hatten ihn fast so weit, dass er uns diente. Er hätte nur noch Fuchsstern aus dem Weg schaffen sollen.“
Du wirst es verstehen, hörte ich Graufells Stimme in meinem Kopf wieder hallen. War es das? Das, was ich verstehen sollte?
„Doch leider war seine unnachgiebige Treu zum SternenClan“, er betonte den Namen der Kriegerahnen wie ein Schimpfwort, „größer als sein gesunder Katzenverstand.“
Deshalb dieses Gerede von Verrat! In meinem Kopf fügten sich Dinge zusammen, die ich so nie vermutet hätte. Graufell war kurz davor gewesen, einen unverzeihlichen Verrat zu begehen. Nur sein Gewissen hatte ihn davon abgehalten –und ihm das Leben gekostet.
„Wir konnten ihn von diesem Wahnsinn leider nicht ganz heilen. Aber vielleicht können wir dich noch retten.“
Ein eiskalter Schauer lief mir über den Pelz. Ich bin Sturmpfote, Schüler des BlattClans, fing ich mit meiner selbst erdachten Litanei wieder an, als sich Stimmen in meinem Kopf meldeten.
Der SternenClan ist tot!
Er ist tot!
Tot! Tot! TOT!!!
Ich vergrub meine Schnauze in der kalten Erde, rief stumm nach Springstern. Nach meiner Mutter. Nach Regen. Nach Steinpfote.
TOTE KATZEN!!!
Blut… Blut… überall Blut. Der schwache Glanz in Graufells Augen. Die Hunde, Regen und meine Mutter… Blut… Blut… die zerbrechende Zweibeinerbrücke… überall das Wasser… Wasser… Wasser… überall... Steinpfotes lebloser Körper… kämpfende Katzen… Blut, das sich im Regen vermischte… Dunkelheit… TOTE KATZEN!!!
Ich musste hier raus! Ich musste raus aus diesem Lager, bevor es mich den Verstand kostete!
Ich konnte und wollte nicht mehr einschlafen. Die wilden Träume geisterten auch im wachen Zustand durch mein Hirn, als wollte sie sich dort festsetzen. Und außerdem verpasste ich so möglicherweise eine gute Gelegenheit zur Flucht. Flucht! Das beschäftigte meine Gedanken. Raus aus diesem Haufen, übereinander gewürfelter Fellbälle, die sich Katzen nannten, raus aus Bluts unheimlichen Klauen, weg von diesem unheimlichen Klaue und all den anderen Gestalten, deren widerwärtige Fratzen mich nachts terrorisierten. Einfach nur weg! Zurück zu meinen Clan-Gefährten. Zurück zu Steinpfote.
Es dauerte noch, ich weiß nicht, wie viele Tage, bis ich endliche den Mut fand, mich in Bewegung zu setzen. Ich war seit ungefähr einem halben Mond hier gefangen und musste hinaus. Ich musste hinaus!
Sie sind tot! Der SternenClan ist tot! Es sind alles nur tote Katzen! TOTE KATZEN!
Ich schloss die Augen und murmelte leise vor mich hin. „Ich bin Sturmpfote, Schüler des BlattClans…“ Tote Katzen! „Ich werde nicht ruhen, ehe meinem Clan und dem SteppenClan wieder die Gerechtigkeit gebracht ist, die ihm zusteht…“ Der SternenClan hat dich verlassen, Pfötchen. „Bei dem Leben meiner Mutter, das sie für mich geopfert hatte…“ Der Sternenclan ist tot! „Beim SternenClan, das schwöre ich!“ Sie helfen dir nicht! „Ich, Sturmpfote…“ Sie sind tot! „…Schüler des BlattClans!“ TOT!!!
„NEIN!!!“
Ich schrie so laut, dass meine Wächter mich unzweifelbar gehört hatten. Ich keuchte, mir war heiß und kalt zugleich. Gehetzt sah ich mich um. Immer noch der verhasste Bau. Immer noch dieses verdammte Gefängnis! Ich musste hier raus!
Die toten Katzen haben dich im Stich gelassen!
„Vielleicht. Aber die lebendigen Katzen bestimmt nicht!“
Ich träumte. Aber keinen gewöhnlichen Waldkatzentraum.
Ich lief durch meine Wächter hindurch, die mich nicht einmal bemerkten. Ich kam zurück zur Steppe. Die Steppe! Endlich wieder Freiheit! Richtiger Boden unter den Füßen! Keine Stimmen im Kopf! Die Zweifel der Streuner waren weg. Für immer weg. Ich befand mich in den sicheren Pfoten des SternenClans!
Ich ließ den unglaublichen Gestank nach Schmutz und Krähenfraß hinter mir, nahm wieder den Geruch von Pflanzen an, den Geruch der Winde. Den Geruch der Freiheit. Ich wusste, wohin ich laufen musste. Ich wusste, dass ich bald gerettet werden würde.
Gerüche stiegen mir in die Nase. Vertraute Gerüche. Sonko! Rindenpfote! Kieselpfote! Steinpfote! Sie waren in der Nähe! Sie waren nicht weiter gezogen! Sie hatten mich nicht im Stich gelassen! Sie waren hier!
Ich bin hier!, rief ich stumm in den Wald hinaus. Ihr müsst mir helfen! Ich bin hier!
Ich konnte ihre Witterung aufnehmen. Sie mussten meinen Hilferuf gehört haben. Sie mussten es einfach!
Ich erwachte, als mir eine tote Maus ins Gesicht geworfen wurde. „Frischbeute!“, krächzte Klaue von oben. Er wollte gehen, blieb dann aber und sah mich skeptisch an. „Haste deine Sternen-Katzen wieder gesehen, oder was?“
Viel besser, dachte ich, viel besser!
Während ich mich über die Frischbeute hermachte, spürte ich tief in meinem Innern, wie in der Steppe um mich herum eine Katze aus dem Schlaf fuhr und dabei laut meinen Namen rief. Und ich wusste, dass sie bald hier sein würden. Dass die Treue zum SternenClan sie herführen würde und ich bald gerettet sein würde.
Ich nahm einen vertrauten Duft wahr und sah den Umriss einer schildpattfarbenen Katze in der Ecke.
Danke, dass du mich im Traum mitgenommen hast. Danke, Springstern!
Etwas, was den Streunern außer einem Glauben noch fehlte, war ein freundlicher Umgangston. Ich bemerkte meistens nur Streit im Lager. Freundschaft war kein großes Thema bei ihnen. Als sich über meinem Kopf wieder zwei Katzen gegenseitig fauchend die Krallen ins Fell schlugen, weil einer dem anderen einen guten Platz zum Sonnen weg geschnappt hat, empfand ich fast Mitleid mit diesen armseligen Kreaturen. Schon bald werden sie sehen, was richtige Freundschaft erreichen kann.
„Kommen sie näher?“
„Sie beobachten schon das Lager und schmieden Pläne“, miaute Springsterns schwache Silhouette aus dem Schatten heraus. Die Streuner hatte meinen plötzlichen Unterhaltungsdrang mit einer Katze, die sie weder hören noch sehen konnten als Zeichen langsam verblassenden Verstandes gedeutet und nur mitleidig den Kopf geschüttelt.
„Bald bist du von den Sternen-Katzen geheilt“, hatte Klaue gemurmelt, als er mir heute Morgen meine Frischbeute brachte. Sie hatten nicht nur ansatzweise so viel Mitleid und Verachtung für mich, wie ich für sie. Ich war ruhig. Ich brauchte meine Kräfte.
Werde ich gut kämpfen?, fragte ich stumm.
Du wirst besser kämpfen, als jede andere Katze es je tun wird!, antwortete die Stimme meines toten Bruders Regen in meinem Kopf. Ein dicker Kloß schien in mir aufzusteigen, als ich an ihn dachte. Mir kamen Rindenpfotes Worte wieder in den Sinn. Dein Bruder und deine Mutter hatten mehr von einer Clan-Katze in sich, als jeder Krieger hier im Lager. Und du hast es ebenfalls.
Ich lugte durch den Tunnel nach draußen. Der halbe Mond stand schon am Himmel. Langsam fuhr ich meine Krallen aus. Bald wird sich zeigen, ob Rindenpfote Recht hatte.
Erneut fühlte ich diese Freiheit. Diese Leere. Die Weiten eines Traums, der gar kein Traum war. Eine Möglichkeit, meinem Gefängnis zu entfliehen und Kontakt zu denen aufzunehmen, an die ich die ganze Zeit gedacht habe.
Durch Steinpfotes Augen sah ich das Lager. Die im Schatten schnarchenden Streuner und die vielen Höhlen.
Wo bist du?, fragte Steinpfote in Gedanken, während sie ihren Blick über das Lager streifen ließ, in dem haufenweise Zweibeinermüll gesammelt war.
Hier!, antwortete ich in Gedanken, als eine mit zwei Katzen streng bewachte Höhle in ihr Sichtfeld kam. Ich spürte, wie sie sich tiefer in das Gras duckte, als Klaue mit misstrauischem Blick durch das Lager patrouillierte.
Es sind ziemlich viele!, hörte ich Kieselpfotes besorgten Gedanken. Ich fühlte, wie Rindenpfote kampfbereit die Krallen im Boden versenkte. Sonko zitterte ein wenig.
Willst du nicht vielleicht doch lieber zurück bleiben?, dachte ich in seinen Kopf hinein.
Ich bin kein Weichling, nur weil ich die meiste Zeit meines Lebens ein Hauskätzchen war!
Wir haben ihn ausgebildet, belehrte mich Steinpfote telepathisch. Ich bin mir sicher, dass er es mit denen aufnehmen kann. Vielleicht wird er einmal ein großer Krieger werden.
Ich sah wirklich, dass Sonko erheblich an Fett abgenommen und dafür Einiges an Muskeln zugelegt hatte.
In Ordnung! Seid ihr bereit?
Bereit!, kam es entschlossen und vierstimmig zurück.
Springstern brach den Traum ab und ich schlug mit klopfendem Herzen die Augen auf.
„Sie werden warten, bis einige Katzen zur Jagd das Lager verlassen. Was dies betrifft, sind die Streuner alles andere als organisiert. Es würde mich nicht wundern, wenn die Jäger sich erst einmal selbst den Bauch voll stopfen.“
Ich hörte Pfotengetrappel.
„Bleibst du bei uns?“, hauchte ich dem SternenClan-Anführer zu.
„Ich bin immer bei euch.“
Damit löste sich seine Gestalt langsam auf. Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Unsicher fuhr ich mit der Pfote über mein Fell, das ich während des Abends so gut wie möglich in Ordnung gebracht hatte. Ich wollte schließlich nicht, dass meine Freunde mich, wenn sie mich befreiten, wie einen Streuner in Erinnerung behalten würden. An einer Wurzel schärfte ich meine Krallen. Sie hatten schon lange kein frisches Blut mehr gespürt.
Mein Zeitgefühl sagte mir, dass es bald Sonnenhoch war. Meine Freunde würden mit der aufgehenden Sonne angreifen, die ihre Gegner blendete. Ich hatte ein machtvolles Bild vor Augen von Katzen, die wie dunkle Silhouetten aus einem lodernden Feuer traten und mit der Anmut eines ganzen Clans den räudigen Streunern eine Lektion erteilen würde. Einen bleibenden Eindruck würde das bei den Flohpelzen hinterlassen. Bald werden sie sehen, wozu Gemeinschaft in der Lage ist!
Um mich vor dem Kampf noch ein wenig auszuruhen, legte ich mich hin und versetzte mich in einen Halbschlafmodus. Meine eigene Stimme sprach zu mir:
Ich bin Sturmpfote, Schüler des BlattClans. Und ich werde nicht eher ruhen, bis meinem Clan und dem SteppenClan wieder die Gerechtigkeit gebracht ist, die ihm zusteht. Bei dem Leben meiner Mutter, das sie für mich geopfert hatte. Beim SternenClan, das schwöre ich! Ich, Sturmpfote, Schüler des BlattClans.
Ich roch Sonnenhoch, noch bevor ich richtig wach war. Es war der Tau in der Luft und die warme Schwüle, die sich langsam ausbreitete. Vorsichtig tastete ich im Dunklen nach dem Ausgang. Ich horchte. Das Schnarchen der Streuner dröhnte so sehr in meinen Ohren, dass ich mich kaum darauf konzentrieren konnte, ob der Höhleneingang noch bewacht war. Vorsichtig eine Pfote vor die andere setzend kroch ich den Gang hoch, bis ich das Schnarchen meiner Wächter deutlich von den anderen Geräuschen hervorheben konnte. Ein Anflug von Amüsement fuhr in mir hoch. Die hielten mich wirklich für total bescheuert!
Ich duckte mich, als sich ein Schatten bewegte. Doch es war nur ein fetter Kater, der sich im Schlaf bewegt hatte. Ich schloss die Augen und zog tief die kühle Nachtluft ein. Ein Rascheln warnte mich, als zwei Katzen durch das Lager streiften. In der Dunkelheit schienen sie mich nicht zu bemerken. Ich drückte mich in den Tunneleingang, legte die Ohren an und schloss die Augen, damit sie nicht reflektierten und mich verrieten. Mir war klar, sobald ich auch nur einige Schritte weiter machte, würden erst meine Wächter und dann der ganze Clan erwachen. Am Horizont erschien eine orangefarbene Linie. Ich roch deutlichen BlattClan-Geruch hinter den Büschen. Eine dunkle Silhouette schien sich von dem breiter werdenden, feurigen Band am Himmel abzuheben. Ich kroch ein Stück weiter in den Tunnel zurück. In dem Moment drehte der Wind.
Sofort fuhren Köpfe hoch und prüften die Luft.
Ihr müsst los! Jetzt oder nie!
Vier lichtumrandete, dunkle Gestalten huschten ins Lager und wurden von Katzenfauchen, Zähnen und Krallen empfangen.
Ich wollte aufspringen, um ihnen beizustehen, als mich ein harter Pfotenschlag zurück in den Bau schleuderte.
„Ihr habt das geplant!“, fauchte Klaue mich an. „Ihr habt es die ganze Zeit geplant!“
Ich versuchte, an ihm vorbei zu kommen, doch der große Kater schleuderte mich mit der Vorderpfote zurück.
„Du hast deine Freunde in eine Falle gelockt!“ Klaue funkelte mich an. „Nun haben wir euch alle zusammen.“
Ich lächelte. Ich sah, dass es den Streuner irritierte. Den Moment nutzte ich. Federleicht kam ich von den Pfoten in die Luft und landete auf Klaues Schulter. Der Kater fauchte auf, bevor ich ihn mit der Wucht meines Körpergewichts in die Ecke schleuderte. Ich war schneller aus dem Bau heraus, als er sich wieder aufrappeln konnte. Kurz vorher hielt ich an und drehte mich um.
„Du kennst das nicht! Das nennt man ‚Freundschaft’. Und wahre Freundschaft kann Berge versetzen!“
Mit einem wütenden Knurren setzte er mir nach. Ich rannte durch den Tunnel, als seine Krallen sich in mein Fell gruben und mich von den Pfoten rissen. Der Tunnel war zu eng, um mich umzudrehen, oder auszuweichen. Ich verlor den Halt und landete auf dem Bauch. Mit dem Hinterpfoten trat ich nach im aus, traf aber nicht. Ich griff zur Offensive: Schnell drehte ich mich auf den Rücken, zielte und traf Klaue mit den Hinterkrallen an der Narbe. Als die Wunde erneut aufriss, taumelte er zurück. Blut floss ihm in die Augen. Er schlug nach mir, traf mich aber nicht, da ich mich schon aufgerappelt und aus dem Staub gemacht habe. Kreischen und Fauchen hallte mir entgegen. Ich sah Rindenpfote, der versuchte, drei Katzen auf Abstand zu halten. Eine der Katzen riss ihm die Pfoten weg, ich sah meinen Freund fallen. Mit einem Sprung wollte ich ihm zur Hilfe eilen, als mir jemand in die Flanke fiel. Ich landete hart auf der Seite, während die Katze ihre Krallen in mein Fell bohrte und einen glühenden Zorn auflodern ließen. Ich war Sturmpfote, Schüler des BlattClans und würde mich nicht einfach so umwerfen lassen! Die Katze ließ von mir ab, als ich meine Zähne in ihre Pfote grub. Endlich spürte ich wieder den Geschmack von Blut, der Geist des Kampfes loderte in mir auf. Mit einer Kraft, die mich selbst überraschte, ließ ich meine Pfote mit eingezogenen Krallen gegen den Kopf der Katze donnern. Mein Gegner kam wieder auf die Pfoten und setzte nach. Ich wollte ihn anspringen, als mir eine andere Katze die Hinterpfoten wegzerrte und ich hart auf dem Boden landete. Kurz bevor sich Krallen und Zähne in meinen Körper bohren konnten, brachte ich mich mit seiner Seitwärtsrolle in Sicherheit. Bevor ich wieder auf die Pfoten kommen konnte, spürte ich, wie hinter mir jemand auf mich zu rannte. Ich rollte mich auf den Rücken und stieß die Katze mit den Hinterpfoten über meinen Kopf hinweg. Die andern beiden hatten mich erreicht, bevor ich mich in Sicherheit bringen konnte. Ein Krallenhieb sauste nur knapp an meinem Ohr vorbei, während Zähne nach meiner Pfote schnappten. Ich wich aus und versetzte der Kätzin, die mich beißen wollte, einen Krallenschlag Richtung Gesicht, bevor ich der anderen auswich. Endlich entdeckte ich eine Lücke zwischen den Kämpfern und huschte hindurch. Ich rannte über die Lichtung, wich Krallen und Zähnen aus, bis ich endlich ein freundliches Gesicht entdeckte. Sonko blutete aus mehreren Bissen und Kratzern, ließ sich dadurch aber nicht daran hintern, drei Katzen auf einmal ohne Gnade mit Einsatz seines vollen Körpergewichtes zu bearbeiten. Ich wusste, wie er es tat. Er behandelte sie wie Mäuse, wie zähe, große Frischbeute, so wie ich es ihm vor scheinbar ewiger Zeit in der Steppe geraten habe. Mit einem Biss ins Genick und heftigem Schütteln brachte er eine der Katzen fauchend zu Fall. Die andere sprang ihm auf den Rücken und riss ihn von dem am Boden liegenden Streuner los. Mit zwei Sätzen eilte ich Sonko zur Hilfe und katapultierte die Katze mit aller Kraft von ihm weg. Wir hatten uns mit Krallen und Zähnen ineinander verhakt, als wir über Erde und harte Steine rollten. Ich gewann die Oberhand und drückte die Katze zu Boden. Mehrere Krallenhiebe ließen sie schließlich die Flucht ergreifen. Ich hatte keine Verschnaufpause, da sofort drei oder vier weitere Katzen mir an den Pelz fielen. Mit einem waghalsigen Sprung brachte ich mich in Sicherheit, kam auf einem Stein auf und zuckte zusammen, als ein heftiger Schmerz durch mein Bein jagte. Eine der Katzen fiel mir an die Schulter, im letzten Moment und unter starken Schmerzen konnte ich ausweichen. Grelle Blitze flammten vor meinen Augen auf, als ich mit der verletzten Pfote aufkam. Für den Bruchteil einer Sekunde wurde mir schwarz vor Augen. Ich spürte den Luftzug, mit dem eine der Katzen auf mich zusprang, biss die Zähne zusammen und stellte mich auf die Hinterpfoten, wobei ich dem Angreifer mit den Vorderpfoten vorbei schleuderte. Mein Blickfeld klärte sich wieder, als ich funkelnde Zähne sah, die nach meiner Kehle schnappten. Ich versuchte, den Hals wegzuziehen, was den Erfolg hatte, dass die Katze sich nur in mein Halsfell verbiss. Sie lockerte den Biss und setzte nach. Diesen Moment nutzte ich und vergrub meine Fangzähne in ihrer Schulter versenkte. Mit einem Ruck riss ich die Katze von den Pfoten und grub meine Vorderpfote in ihren Bauch, bevor ich von ihr abließ und mich zu den anderen umdrehte. Sonko rang immer noch tapfer wie eine Clan-Katze mit seinen Gegnern, Kieselpfote brachte ihren Gegnern mehrere Kratzer auf einmal zu und wich jedem Angriff mit unglaublicher Präzision aus, Rindenpfote schlug sich tapfer, trotz der Verletzung an seinem Hinterbein, die Stark blutete, Steinpfote verpasste mehreren Streunern Hiebe und Bisse, die sie garantiert nie vergessen werden. Mein Blick fuhr über die Kämpfenden, bis etwas Rotes in mein Auge stach, wie Feuer. Ein heißes Feuer loderte in mir auf. Er war hier! Ich sollte fliehen, meine Freunde in Sicherheit bringen, doch etwas in mir übernahm die Kontrolle. Alle Schmerzen, alle Erschöpfung vergessend, sprang ich auf Graufells Mörder zu.
Blut erwartete mich mit ruhigem Blick, so wie er damals Graufell erwartet hatte. Mit gemächlichen Schritten kam er auf mich zu, obwohl ein ungeheurer Blutdurst in meinen Augen sehen musste. Mit ausgefahrenen Krallen sprang ich ihm an die Gurgel. Mit einer ungeheuren Ruhe und Schnelligkeit wich Blut aus.
„Ich habe dir eine Chance gegeben.“
Die Worte erreichten meine Ohren kaum, ich setzte nach. Blut wich meinem Biss aus und warf mich mit einem gezielten Prankenschlag aus der Bahn.
„Du hast großes Potenzial.“
Ich landete auf den Pfoten und fixierte ihn erneut.
„Du hast großen Mut.“
Ich nahm Anlauf.
„Welch eine Verschwendung“, miaute er gehässig und fiel mich mit gefletschten Zähnen ohne Gnade an. Ich versuchte, auszuweichen, aber er war zu schnell. Ich spürte den Biss, der mir das Leben rauben sollte.
Die Übersensibilität meiner Nerven rettete mir das Leben. Bluts Zähne schnappten ins Leere, als ich mit einem Sprung zur Seite auswich. Knapp zischten meine Krallen an dem Gesicht des Mörders vorbei, als er wie ein roter Schatten auswich und nach meiner verletzten Pfote schnappte. Ich spürte den Aufprall dumpf durch einen aufflammenden Schmerz im Bein. Mit der unversetzten Hinterpranke schlug ich nach meinem Angreifer, traf ihn, konnte jedoch kaum Wirkung herausziehen. Bevor er wir erneut an die Gurgel fallen konnte, brachte ich mich in Sicherheit und zielte mit einem Biss auf seinen Kopf. Meine Kiefer schnappten aufeinander, als sich fast zeitgleich Krallen und Zähne meines Gegners in meine Schulter bohrten. Den Kopf gesenkt, um ihm kein tödliches Angriffsziel zu bieten, versuchte ich mich, ihn zu entziehen, was den Erfolg erwies, dass ich bald den Halt verlor und seitlich zu Boden gedrückt wurde. Ich sah das Aufblitzen seiner Zähne, jedoch nicht den grauen Blitz, der mit Feuer in den Augen auf Blut zuraste.
Im letzten Moment warf Steinpfote den Kater von mir herunter und bäumte sich mit gesträubtem Fell vor ihm auf. „Das ist für Graufell!“, fauchte sie ihn an und holte mit wirbelnden Krallenschlägen nach ihm aus. Blut fasste sich überraschend schnell und konterte mit einem Biss Richtung Kopf, unter dem Steinpfote scheinbar mühelos hindurchtauchte. Dunkle, glänzende Stellen hoben sich von dem tiefroten Fell ihres Gegners ab.
„Das ist für das Gesetz der Krieger!“ Mit einem erneuten Angriff ließ sie den viel größeren und kräftigeren Kater schwanken und zu Boden fallen. Blut stieß Steinpfote mit einem harten Prankenschlag bei Seite und kam wieder auf die Pfoten.
„Das ist für den SternenClan!“, zischte die graue Kätzin, sobald sie sich wieder aufgerappelt hatte und setzte nach. Ich erkannte, dass Blut in eine harte Bedrängnis geriet und ein funken von Verzweiflung in seinem sonst überheblichen Blick aufflammte.
Steinpfote stieß ihn mit den Hinterpfoten mehrere Schwanzlängen von ihr weg und kam keuchend zum Stehen. In ihren blauen Augen funkelte ein Feuer, das sogar den SternenClan eingeschüchtert hätte. „Und das ist für Sturmpfote!“
Die Nennung meines Namens gab mir ungeahnte Kräfte. Mindestens fünf Katzen stellten sich zwischen mich und die Kämpfenden. Ich wich mehreren Bissen und Krallenhieben aus und warf mich auf meinen nächsten Gegner. Kaum hatte ich die Katze zu Boden gedrückt, stieß ich mich durch die Luft und landete hinter der Linie der Angreifer. Mit wütendem Knurren stürzte ich mich auf den nächsten Streuner, der sich mir in den Weg stellte. Nach wenigen Ringen ergriff dieser die Flucht.
Blut hatte sich in der Zwischenzeit wieder gefasst und ging in einen gnadenlosen Gegenangriff über. Jede ruhige Präzision, die ich damals so gefürchtet habe, war verschwunden. Zorn blitzte in seinen Augen.
Ich visierte seine Schulter an, als mich ein brutaler Schlag von den Pfoten riss und Zähne knapp an meinem Nackenfell vorbei schnappten. Keuchen richtete ich mich auf. Klaue baute sich mit gesträubten Fell vor mit auf. Wo die dünne Narbe war hatten meine Krallen einen ganzen Fellbatzen weggerissen und das blutige Fleisch freigelegt. Ströme aus Blut klebten ihn im Fell und überwucherten sein Gesicht.
„Du wirst bezahlen!“ Seine Fratze war kein bisschen katzenähnlich mehr. Er wirkte wie ein wildes, tödliches Tier, vor dem sogar Dachse zurückschrecken würden. Sein Angriff war zu wuchtig, ich konnte ihn nicht abwehren. Fast hätte ich mir den Kopf gestoßen, als er mich weiter zurück warf. Mein Instinkt sagte mir, dass ich unmöglich allein mit diesem Kater fertig werden könnte.
Wie ein dämonischer Todesbote sprang er in die Luft und jagte auf mich zu. Ich duckte mich und huschte unter ihm durch, wobei seine Hinterkrallen mein Rückenfell schmerzhaft streiften.
„Ihr werdet alle bezahlen!“, zischte er mir zu.
Ein weißer Schatten landete fauchend auf seinem Rücken. Mit Zähnen und Krallen bearbeitete Kieselpfote ihn gnadenlos wie eine vollwertige Kriegerin. Ich verlor die beiden aus den Augen, als Sonko aus dem Nichts kam und mich anstieß.
„Jetzt komm endlich!“, zischte er mir zu und preschte in Richtung Ausgang, den Rindenpfote tapfer gegen mehrere Streuner verteilte. Steinpfote folgte ihm.
„Los!“, rief nun auch Kieselpfote und überholte mich. Obwohl von allen Seiten Katzen auf uns zusprangen, obwohl Krallen und Zähne an unseren Pelzen zogen, obwohl ich mich mehrmals nur unter Einsatz all meiner Kräfte befreien konnte, erreichten wir den Ausgang.
„Wir werden euch finden!“, rief Blut uns nach. „Eure Clans werdet ihr nicht lebend erreichen!“
Von mehreren blutrünstigen Katzen verfolgt erreichten wir die duftende Freiheit der weiten Steppe.
Durch das Unterholz der Büsche und über die Hügel, Steine und Kaninchenlöcher konnten wir uns trotz Erschöpfung und zahlreicher Verletzungen dreimal so schnell bewegen, wie unsere im Zweibeinerort aufgewachsenen Verfolger. Ich bekam kaum noch Luft und hörte das Röcheln meiner Freunde, insbesondere das von Sonko, dennoch spornte ich mich weiter an. Als endlich der Fluss wieder in Sichtweite kam und der Wind uns nur noch schalen Streunergeruch hinterher wehte, hielten wir keuchend an.
„Wasser!“, röchelte Sonko und fiel beinahe vornüber in den Fluss, als er sich bückte und in gierigen Schlucken trank. Der Fluss führte weitaus weniger Schlamm mit sich als bei unserer letzten Begegnung mit ihm. Keuchend ließ ich mich ins Gras fallen und atmete den wunderbaren Duft der Blüten ein. Ich spürte ein warmes Kribbeln im Pelz, als Steinpfote sich neben mich setzte.
„Wie geht es dir?“
„Viel besser“, hörte ich mich murmeln als ich mich erschöpft und erleichtert ins Gras fallen ließ. Jetzt, da wir endlich zur völligen Ruhe gekommen waren, schmerzten die Wunden umso mehr. Ich spürte, wie Steinpfote anfing, meine Kratzer sauber zu lecken und in angenehmes Prickeln durchfuhr mein Fell.
„Was hilft gegen Wunden?“, hörte ich Rindenpfote laut überlegen. Kieselpfote hatte schon Spinnenweben herbei getragen und alle Blutungen gestillt. Wir hatten ein paar Mohnsamen gefunden, die die Schmerzen linderten.
„Studentenblume, glaube ich“, vermutete Kieselpfote. „Ich rieche welche.“
Ohne Aufforderung war sie schon verschwunden, während den uns das richtige Heilmittel immer noch nicht einfiel.
„Taubenpfote hat angeblich als Junges im Schlaf alles wiederholt, was sie sich bei Goldtupf abgeschaut hat“, miaute Steinpfote. „Das stelle ich mir ziemlich nervig vor, aber einige gute Informationen müsste man da behalten.“
„Ich könnte mir das nie alles merken“, meinte ich. „Für mich riechen die meisten Kräuter gleich und sehen auch gleich aus.“
Ohne Vorwarnung kam die Schülerin zurück und stieß uns auseinander. Jedem Warf sie einen Haufen der Blumen vor die Pfoten. „Zerkauen und dann auf die Wunden!“, wies sie uns an, bevor sie Rindenpfote seine Ration brachte und Sonko, der inzwischen eingeschlafen war auf ebenso unsanfte Weise weckte. Wir kamen Kieselpfotes Anweisungen nach.
„Wenn sie irgendwann einmal Kriegerin wird und einen Schüler bekommt tut mir diese Katze leid“, flüsterte ich Steinpfote zu, die darüber amüsiert schnurrte. Müde bedeckte ich vorsichtig den letzten Kratzer mit der Paste, wodurch er nur umso mehr wehtat und schloss dann die Augen. Wilde Träume beherrschten die Nacht. Ich hörte Bluts wütende Prophezeiung wieder.
Eure Clans werdet ihr nicht lebend erreichen!
Ob sie uns finden werden? Noch heute Nacht? Oder morgen? Waren wir wirklich schon so gut wie tot?
Sonko warf sich flach auf den Boden, rollte unter meinen Bauch und stieß mich mit den Hinterpfoten weg. Ich purzelte vornüber und kam mit leichtem Drehwurm wieder auf die Beine. Als Sonko von vorne angriff, hielt ich gegen und brachte ihn mit einer leichten Drehung aus dem Gleichgewicht. Er keuchte, als ich ihn zu Boden drückte, gab jedoch nicht auf. Seine Vorderpfote schlug mit eingezogenen Krallen nach meinen Ohren, während er mir mit der Hinterpfote das Bein weg schob, sodass ich hinfiel. Sonko rollte ich auf mich drauf, sein schwerer Körper schnürte mir fast die Luft ab.
„War das gut so.“
„Das…war…spitze!“, keuchte ich, während er von mir herunter ging.
„Steinpfote hat gesagt, aus mir wird mal ein richtiger Clan-Krieger.“
Ich rappelte mich auf. „Wenn du im Clan leben willst.“
„Es ist auf jeden Fall besser, als ständig von einem Zweibeiner auf den Schoß genommen zu werden. Bekomme ich eigentlich auch einen Pfotennamen, wenn eure Anführerin mich in euren Clan aufnimmt?“
Ich grinste. „Wenn du weiter trainierst wird sie dir gleich einen Kriegernamen verpassen. Wie wäre es mit ‚Schwergewicht’?“
Mit gespielter Verärgerung schnippte er mit dem Schwanz. „Ich bin doch nicht mehr so dick wie früher. Und das fühlt sich gut an.“
Ich schnurrte belustigt. „Die anderen kommen von der Jagd zurück.“ Kieselpfote führte die Patrouille mit einer fetten Ente im Maul. „Stellt euch vor, die habe ich ganz allein gefangen!“, verkündete sie mit jungenhaftem Stolz.
„Nachdem wir sie entdeckt haben“, fügte Rindenpfote hinzu. „Und ganz nebenbei hat sie dabei alle andere Beute verscheucht, was bedeutet, dass wir uns die Ente und den Sperling von heute morgen teilen müssen.“
Schon an unserem ersten Trainingstag hatte sich gezeigt, dass Kieselpfote eine ausgezeichnete Kämpferin war, für die Jagd aber eher von mittlerem Nutzen war. Unsere Reise hatte sie kräftiger und schneller gemacht. Steinpfote befürchtete schon, dass sie bald besser sein würde, als wir alle zusammen.
„Wer hat Hunger?“, fragte Steinpfote einfach in die Runde. Sonko war als Erster bei der Frischbeute und schnappte sich den Sperling. Wir anderen teilten uns die Ente.
„Blattleere wird bald kommen“, murmelte Steinpfote. „Es wird kälter. Wir sollten uns beeilen, die Berge zu erreichen, bevor die ersten Schneefälle einsetzen. Dort oben wird es dann schwer genug sein.“
Rindenpfote stimmte seiner Schwester mit einem Nicken zu. „Wir sollten gleich nach dem Essen aufbrechen. Ich fürchte, der Streunergestank wird immer deutlicher. Sie holen uns bald ein.“
Für den Bruchteil einer Sekunde umkrallte etwas Kaltes mein Herz. Wir mussten schneller sein, als die Streuner, für unser Leben.
Als alle gegessen hatten, brachen wir auf.
„Die Erde wird von Schritt zu Schritt härter!“, beschwerte sich Steinpfote. „Auch das Gras verdorrt langsam. Wenn wir die Berge nicht erreichen, bevor alles zuschneit, kommen wir nie da hoch. Und in den Bergen wird der Winter dann noch schlimmer. Da ist es ja viel kälter und es gibt weniger Jagdbeute. Ich hoffe, der Anstieg vom SteppenClan-Territorium ist nicht so hart, wie der bei uns. Die Nächte werden auch immer länger und kälter, was bedeutet, dass uns die Sonne dort oben ganz im Stich lassen wird und…“ Sie stutzte und sah uns andere an, da wir anfingen zu tuscheln. „Ist etwas?“
Ich schnippte mit dem Schwanz. „Uns ist nur gerade aufgefallen, dass es dir von uns allen am besten geht.“
„Interessant, und woran merkt ihr das?“
Rindenpfote kniff die Augen zusammen, als müsse er angestrengt überlegen. „Du fängst wieder an, pausenlos zu reden.“
„Du hast nicht gemerkt, dass Sonko gerade ein Kaninchen geschnappt hat“, fügte Kieselpfote hinzu. Sonko legte seine Beute nieder. „Und außerdem beschwerst du dich über Dinge, an die wir noch gar nicht denken. Fazit…“ Er warf mir einen vielsagenden Blick zu.'
„Es geht dir besser als uns allen“, beendete ich die Erklärung.
„Irgendwie muss ich mich doch ablenken. Machen wir eine Pause, ich habe Hunger.“
Sonko nahm das Kaninchen wieder fest zwischen die Zähne.
„Wenn wir das Hügelland erreichen“, stimmte ich zu. „Dort können wir uns ein sicheres Plätzchen suchen.“
Die Sonne schien heiß vom Himmel auf uns herab. Ohne die gewohnten, schattenspendenden Bäume wurde sie bald unerträglich. Wenigstens kamen die Berge als unregelmäßige Linie langsam am Horizont in Sicht. Auch zwischen den Hügeln fanden wir wenig Schatten. Keuchend ließen wir uns nieder.
„Wie der SteppenClan das nur aushält“, murmelte Kieselpfote, als sie sich das Fell leckte, um sich ein wenig Kühlung zu verschaffen.
„Das bedeutet, dass es für sie in den Bergen quasi doppelt so schwer sein wird“, meinte Rindenpfote mitleidig.
Meine Pelzhaare richteten sich auf. Wir wurden beobachtet. Ich spürte es, ganz deutlich, obwohl keine Duftnote in der Luft lag. Steinpfote bemerkte dies.
„Meinst du, sie sind hier?
Ich stand auf. „Keine Ahnung. Aber etwas ist hier in der Nähe, ganz bestimmt.“
Rindenpfote fuhr hoch. „Kommt her, schnell!“
Das, was er entdeckt hatte, war ein dunkles Loch, dessen Ende wir nicht erkennen konnten. Ein Tunnel. Schritte hallten daraus hervor. Obwohl die Erde fast jeglichen Geruch überlagerte, stieg ein schaler Geruch nach Katzen in meine Nase.
„Sie sind dort drinnen.“
Als wir uns umdrehten, um die Flucht zu ergreifen, kamen schon die ersten der Streuner aus den Tunneln.
Knurrend warfen sich die von der Erde verdreckten Katzen auf uns. Ich sah eine stämmige Kätzin auf mich zurasen, die ich garantiert nicht mit ein paar Hieben verjagen konnte. Mit einem Hechtsprung zur Seite wich ich ihr aus, als sie gleich darauf zum nächsten Angriff ansetzte. Ihre Krallen trafen mich an der Schulter, doch ich spürte keinen Schmerz. Ich wich einem weiteren Schlag aus und sprang ihr dann an die Kehle. Ein Fehler!
Meine Gegnerin sprang fast zeitgleich in die Luft und ließ sich dann auf mich rauf fallen. Ich spürte Zähne im Genick und versuchte, sie abzuschütteln. Ein brennender Schmerz erwachte in meinem Fleisch. Unter Aufwand aller meiner Kräfte machte ich einen Buckel und konnte die Kätzin aus dem Gleichgewicht bringen, wenn auch nicht so, dass sie von mir abließ. Sie riss mich im Fall mit. Bevor ich mich aufrichten konnte, hatte sie schon ihre kräftigen Pfoten gegen meine Brust gestemmt und zielte einen Biss gegen meine Kehle. Ich reagierte schneller. Mein Kopf schoss in die Höhe und ich grub meine Vorderzähne in die Nase der Kätzin, sodass sie laut aufjaulte. Ich nutzte das Überraschungsmoment und schlug mit den Krallen zu, ebenfalls gegen das Gesicht. Wie erwartet riss die Streunerin eine Pfote hoch, um den Schlag abzuwehren. Die Lücke in ihrem Griff nutzte ich, um meinen Körper hinauszudrehen. Die Krallen immer noch in mein Fell gebohrt, verlor sie den Halt und stürzte. Ich wurde mitgerissen und landete auf ihr. Mit schnellen, ungeschickt geführten Krallenschlägen lockerte ich ihren Griff so weit, dass ich mich befreien konnte. Als sie nachsetzte, warf ich mich flach zu Boden, sodass sie über mich rüber sprang. Noch bevor meine Gegnerin landete, wirbelte ich, halb in der Hocke herum und schlug mit den Krallen zu. Gleich nachdem diese ihr Ziel gefunden hatten, setzte ich nach und grub meine Zähne in ihr Bein. Nun gewann ich die Oberhand und schleuderte die Kätzin zu Boden. Sie ging hinter Kieselpfote unter, die sich ein erbittertes Gefecht mit zwei Streunern lieferte. Mit einem Sprung auf den Rücken einer der Katzen kam ich ihr zur Hilfe. Sogleich verlor ich den Halt und rutschte ab. Mit einer Drehung in der Luft landete ich sicher auf den Pfoten neben Kieselpfote. Die beiden Streuner umreisten uns.
Kieselpfote schnippte unauffällig mit dem Schwanz in die Richtung der Katze, die sie anvisierte. Ich verstand. Wir stürzten uns gleichzeitig auf den Gegner des anderen, um die Katzen zu verwirren. Ich katapultierte mich mit einer halben Drehung in die Luft, während Kieselpfote unter mir hindurch tauchte, um der Katze, die mich angreifen wollte, an den Pelz zu fallen. Der Kater, den ich angriff, wich meinem Krallenschlag mit Leichtigkeit aus und setzte nach. Ich tauchte unter seinem Hieb hindurch und versuchte, eine Pfote zu schnappen, die er jedoch wegzog und im Gegenzug hart gegen meinen Schädel donnern ließ. Ich spürte, wie ich über den Boden rollte, während grelle Sterne durch meinen Schädel schwirrten. Den Schatten, der sich über mich senkte, spürte ich gerade noch rechtzeitig. Mit einem Sprung kam ich auf die Pfoten, wollte meinem Gegner ins Fell fahren, als eine andere Katze mich von hinten am Schwanz packte und wegzog. Wütend fuhr ich herum und stieß meine Krallen vor. Mit einer geschmeidigen Bewegung wich die Katze aus und zielte auf meine Schultern. Sie streifte nur mein Fell, da ich auswich, herumwirbelte und nun beide Gegner ins Visier nahm. Mit einem Sprung und wilden Krallenhieben attackierte ich die Streuner, die sich nach Leibeskräften wehrten. Ich bemerkte, wie zwei weitere Katzen auf mich zurasten und entschloss mich zur Fluch nach vorne. Mit fest geschlossenen Augen stieß ich mich ab und rammte mich wie einen Keil zwischen die beiden Kämpfer. Auf der anderen Seite hörte ich den Aufprall, als die vier Streuner ineinander prallten und blickte mich gehetzt um. Kieselpfote hatte ich aus den Augen verloren, doch ich sah, wie mehrere Kämpfer Sonko in die Enge trieben. Ich stürzte mich mit ausgefahrenen Krallen in die Flanke des Größten von ihnen wobei dieser den Halt verlor und beim zurücktaumeln einen Zweiten mit sich riss.
„Pass auf!“, warnte mich Sonko. Er stieß mich zurück, keine Sekunde zu spät, als ein Kater an der Stelle landete, wo ich gestanden habe, der mich sonst zerquetscht hätte. Wir verloren den halt und stürzten in den Tunnel. Mehrere Katzen setzten uns nach.
„Renn!“, riefen wir uns gleichzeitig gegenseitig zu und flitzten durch den dunklen Tunnel, bis kaum noch Licht zu uns durchdrang. Wir hörten das Keuchen unserer Verfolger, das langsam leiser wurde. Keuchend blieben wir stehen. Die Luft war so stickig, dass wir kaum atmen konnten.
„Wir müssen zurück!“, sagte ich.
„Die erwarten uns wie Mäuse vor der Höhle!“, warf Sonko ein.
„Aber…die anderen…“
„Werden allein zurecht kommen. Wir müssen hier erst einmal raus!“
„Wie?“ Ich starrte in die Richtung, in der der Ausgang war.
„Die Flohpelze sind hier doch auch irgendwie hineingekommen. Wir…“
Er wurde unterbrochen. Eine Katze rannte den Gang entlang und wollte sich auf uns werfen, doch kurz bevor sie uns erreichte, sprang jemand sie von hinten an und warf sie zu Boden. Ich erkannte den Geruch.
„Rindenpfote!“ Der Streuner verschwand humpelnd in einer der beiden Richtungen. Nun kamen auch Steinpfote und Kieselpfote durch den Tunnel. „Der Tunnel ist mir unheimlich!“, knurrte Kieselpfote. „Wir sollten hier schnellstmöglich hinaus.“
Das Jaulen der Streuner spornte uns an. Wir liefen durch die Dunkelheit, bis wir an eine Weggabelung stießen.
„Wohin jetzt?“, keuchte Steinpfote außer Atem.
„Wir trennen uns!“, schlug Rindenpfote vor. Der Vorschlag wurde nicht lange diskutiert. Kieselpfote und Rindenpfote folgten dem einen Gang. Steinpfote, Sonko und ich dem anderen.
„Da vorne ist Licht! Ein Ausgang!“, rief Steinpfote. Ich kniff die Augen zusammen, als die Sonnenstrahlen wie Speere in meine Augen stachen. Der Weg stieg an. Wo würden wir heraus kommen?
Sonko stolperte hinter mir und rutschte den Weg mehrere Katzenlängen hinab. Sofort wurde das Miauen wütender Katzen hörbar.
„Sonko! Komm herauf! Beeil dich!“
Der Kater sprang auf die Pfoten, um meiner Aufforderung nachzukommen, als die ersten Streuner hinter ihm erschienen. Einer packte ihn am Nackenfell.
„Nein!“ Ich machte kehrt, um meinem Freund zu helfen.
„Sturmpfote! Warte!“ Auch Steinpfote folgte mir. Kurz bevor ich den Halt verlor.
Schmerzhaft knickte ich um und stürzte. Hart gegen Wände und Steine prallend wurde ich wie ein Stein hinunter gewirbelt. Ein ungetümes Donnern drang in meine Ohren. Mit ausgestreckten Pfoten kam ich zum Stehen und sah mich um. Katzengroße Gesteinsbrocken rollten wie Monster auf uns zu.
Die Streuner ergriffen die Flucht. Sonko rappelte sich auf. Steilpfote kam vor den Felsen auf mich zu gerannt und riss mich mit sich, als ich stockstarr den Tod erwartete. Meine Pfoten setzten sich fast von allein in Bewegung. Doch wir waren nicht schnell genug. Etwas traf mich, ich stürzte und tosende Gesteinsbrocken schienen uns unter sich zu begraben.
„Sturmpfote.“
War da etwas? Eine Stimme?
„Sturmpfote.“
Ja, da war etwas. In weiter Ferne.
„Sturmpfote.“
Es wurde deutlicher. Ich spürte, wie ich auf hartem Fels lag. Mein Bein tat weh. Eigentlich tat mir alles weh.
„Sturmpfote!“
Sonkos Ruf war so laut, dass ich aufschrak. Ich lebte noch!
Ich hörte erleichtertes Aufatmen. Vorsichtig blinzelte ich. Ich konnte nichts sehen. Alles war dunkel. Wir waren also noch im Tunnel.
„Halte still!“ Der Klang von Steinpfotes Stimme ließ etwas Warmes in mir hochsteigen, das sogleich von einem glühenden Schmerz unterbrochen wurde.
„Ich glaube, es ist nicht gebrochen.“
„Fühlt sich aber nicht gut an.“
Ich versuchte mich zu drehen und wurde mit einem glühenden Schmerz in meinem Hinterbein bestraft.
„Bleib liegen!“, befahl Steinpfote. „Soweit wir es hier beurteilen können, hast du einen ziemlich tiefen Kratzer am Bein.“
Einen ziemlich tiefen Kratzer! Es fühlte sich an, als hätte sich mein Fleisch von den Knochen geschält! Ich spürte, wie Steinpfote die Wunde leckte, was ebenfalls höllisch brannte.
„Er ist etwa zwei Pfotenlängen lang und blutet stark“, berichtete Sonko, als würde mir das helfen. Ich blinzelte. Durch einen schmalen Schlitz in den Felsen, in denen wir verschüttet waren, drang ein dünner Lichtstahl, der die Dunkelheit allerdings kein bisschen erhellte. Staub wirbelte golden in dem Sonnenstrahl.
„Wo sind wir?“, murmelte ich und versuchte den Kopf zu heben.
„Wir sind von Geröll verschüttet. Von Kieselpfote und Rindenpfote keine Spur“, berichtete Sonko und stieß mich mit der Nase zurück. „Hinlegen und entspannen! Das wird jetzt ein wenig ziehen.“
Ein plötzlicher, stechender Schmerz ließ mich aufjaulen. „Keine Sorge“, beruhigte mich Steinpfote. „War nur ein Stein. Nun ist er draußen.“
Das Pochen in meinem Bein wurde stärker. „Blutet es?“
Ich wünschte, ich hätte diese Frage nicht gestellt. Schon wurde ich vorsichtig zwischen die Zähne genommen und trotzdem unter Schmerzen so drapiert, dass der Lichtstrahl auf die Wunde fiel. Ich verrenkte mir den Kopf, um zu sehen, wie die Lage war. Mein Fell war von Schmutz und Blut verklebt. Ein tiefroter, ungesund aussehender Schnitt zog sich über meinen Oberschenkel.
„Du hast gesagt, er sei nur zwei Pfotenlängen lang.“
„Ich wollte auch nicht, dass du dich zu sehr aufregst“, entschuldigte sich Sonko.
„Und es blutet sehr stark…“ Ich jaulte unwillkürlich auf, als Steinpfote anfing, die Wunde zu säubern.
„Halte still! Das sind nur ein paar Schmerzen! Die musst du doch aushalten!“
Ich lehnte mich zurück in die Dunkelheit, um nicht zu sehen, was die beiden mit mir anstellten. Das Brennen in der Wunde ließ langsam nach und schließlich wurde die Behandlung beendet.
„Fürs erste sauber!“, miaute Steinpfote zufrieden. „Ähm…was hilft bei Wunden.“
„Jedenfalls nichts, was wir hier unten finden werden“, miaute Sonko und machte sich an dem kleinem Loch zu schaffen. Erde und Steinchen fielen heraus. Der Lichtstrahl wurde größer.
„Besteht…eine Chance…dass wir hier her…heraus kommen?“, keuchte ich.
„Nicht fragen“, befahl Sonko, „macht nur zu viele Sorgen.“
Ein größerer Brocken brach heraus und erhellte den dunklen Raum soweit, dass ich meine Freunde ganz erkennen konnte. Ihre Pelze waren mit Staub verdreckt. Sonko zischte und brach seine Arbeit ab.
„Ist etwas?“, fragte ich.
„Hab mir…hab mir nur die Kralle etwas gezerrt.“ Sofort machte der Kater weiter. Ich versuchte, mich aufzurichten, wurde von Steinpfote aber gnadenlos zu Boden gedrückt.
„Schön liegen bleiben. Du kommst heraus, wenn der Weg frei ist.“
Ein weiterer Brocken fiel heraus. Sonko versuchte, sich hindurch zu zwängen.
„Steinpfote, du müsstest da hindurch kommen. Von Außen kann man vielleicht besser graben.“
„Mach keine Dummheiten“, schnurrte sie mir im Vorbeigehen zu und schnippte mit dem Schwanz. Nicht ohne weitere Steine hinunter kullern zu lassen, zwängte sie sich durch das Loch. Schon hörten wir, wie ihre Krallen von außen scharrten.
„Geht in Deckung.“
Ohne zu viel Rücksicht auf meine Verletzung zu nehmen, packte Sonko mich am Nackenfell und zerrte mich von der Steinmauer weg. Gleich darauf kullerten ganze Felsbrocken aus der Wand. Mit den Hinterbeinen stieß Steinpfote nach. Besorgt registrierte ich den Staub, der von der Decke rieselte.
„Das müsste groß genug sein“, entschied Steinpfote. Sonko stützte mich, als ich mich langsam aufrichtete und zu dem Ausgang humpelte. Mit den Vorderpfoten hakte ich mich im Geröll fest und zog mich hoch, während Sonko von unten schob. Steinpfote packte mich mit den Zähnen am Genick und zog mich herauf.
„Schaffst du es bis nach oben?“
Ich blickte den Gang hinauf. Dort hoch, dann war alles überstanden. Sonko stieß mich von unten an. „Beeil dich!“
Ich biss die Zähne zusammen, als ich mich notgedrungen mit den Hinterbeinen abstützen musste. Ich zog mich trotzdem weiter zum Licht. Als Sonko und Steinpfote mich schließlich über die letzte Hürde in die Freiheit schafften, sackte ich erschöpft zusammen.
„Ich besorge Mohnsamen“, miaute Steinpfote und verschwand. Ich schloss die Augen und wartete, bis sie wiederkam.
„Du musst dich eine Zeit lang ausruhen“, miaute Sonko. Ich schüttelte den Kopf.
„Das geht nicht!“ Meine Bemühung, mich aufzurichten, ging schief und Steinpfote musste mich schützen, damit ich nicht in die Brennnesseln neben mir fiel. „Wir müssen…Rindenpfote und Kieselpfote finden!“
„Er hat Recht!“, stimmte Steinpfote mir zu. „Wenn wir Sturmpfote versorgt haben, machen wir uns auf die Suche nach ihnen.“
Die warme Sonne ließ mich sofort einschläfern und brachte mich in die Welt der Träume.
Am Morgen brachen wir auf. Alles, was uns übrig blieb, war, dem Verlauf des Tunnels überirdisch zu folgen, bis wir zu unserem Eingang kamen. Gründlich prüften wir die Luft, von den Streunern war keine Spur mehr zu entdecken. Steinpfote ging als Erste hinein, ich folgte und Sonko bildete das Schlusslicht. Schon bald verstopfte uns der Dreck Nasen und Ohren.
„Hier wurden wir getrennt!“, meldete Sonko, als wir zu einem Geröllhaufen kamen. „Ein Gang ist noch frei, den müssen sie genommen haben.“
„Er denkt schon wie eine Clan-Katze!“, hörte ich Steinpfote miauen.
„Das muss ich, wenn ich so lange mit euch zusammen bin.“
Wir zogen weiter. Schon bald wurde der Tunnel enger.
„Ich rieche Rindenpfote“, miaute Steinpfote. „Sie waren hier. Könnt ihr eine Duftspur von Kieselpfote entdecken?“
Wir mussten verneinen. „Das hat nichts zu sagen!“, entschied ich. „Die Erde überdeckt fast jeden Geruch.“
Ich hörte, wie Sonko sich weiter den Gang entlang arbeitete. „Hier ist eine Öffnung!“, rief er. Nacheinander zwängten wir uns hindurch. Der Gang dahinter wurde breiter. Ich roch nun auch Kieselpfote und den Geruch von Katzenblut. Waren sie verletzt?
Ich tappte hinter Sonko her, als ein leichter Lichtschimmer in unsere Augen trat. Mein Bein pochte schon seit einer gefühlten Ewigkeit und wurde zunehmend steif. Ich belastete es kaum noch. Bestimmt würde Dreck in die Wunde gelangen.
„Ich rieche Weide!“, miaute Steinpfote. „Wir kommen bald an die Oberfläche.“ Erste Lichtschimmer stachen uns in die Augen. Sonko stoppte.
„Der Gang ist zu eng, ich versuche, ihn auszuweiten.“
Schon flogen uns Erdbrocken ins Gesicht, das Licht wurde heller. Die Sonne stand schon hoch am Himmel. Eine dicke Wurzel aus dem Weg zerrend gelangte Sonko ins Freie. Wir folgten. Hustend beförderte ich den Dreck aus meinem Hals.
„Warte!“ Steinpfote drückte mich sanft zu Boden und begutachtete den Kratzer an meinem Bein. Ein Brennen verriet mir, dass sie anfing, die Wunde sauber zu lecken. Sonko kam mit Studentenblumen an und fing an, sie zu zerkauen.
„Das…das muss reichen!“, zischte ich. „Er ist doch schon fast verheilt!“
„In Ordnung!“, miaute Steinpfote. „Komm mit!“
„Wartet!“ Sonko hielt uns auf. „Ihre Duftspur wird von der der Streuner gekreuzt.“
„Mäusedreck! Was machen wir jetzt? Sie können hier jederzeit vorbei kommen!“
„Gibt es einen Umweg, den wir nehmen könnten?“
„Ich bin eine BlattClan-Katze. Ich kenne mich hier so gut wie gar nicht aus. Sturmpfote, kennst du einen Weg?“
Ich rief mir das Bild der Steppe ins Gedächtnis, so gut ich mich hier auskannte. „Sie müssten auf die Ebene zulaufen. Mir müssten einen Umweg gehen, um den Streunern zu entkommen. Aber ich bin mir nicht sicher, ob wir dort nicht vielleicht doch gestört werden.“
„Wir müssen es versuchen!“, miaute Sonko entschlossen. Steinpfote stimmte ihm mit einem Nicken zu. „Wo müssen wir lang?“ Ich übernahm die Führung.
Sonko fluchte, als sich wiederholt ein Zweig des dichten Gestrüpps in seinem Pelz verfing. Die Büsche waren dicht, aber von mehreren lichten Stellen gesäumt, wo das Sonnenlicht durchdrang und wir mehr Bewegungsfreiraum hatten. So sicher dieses katzenfeindliche Terrain auch vor Streunern zu sein schien, wusste ich, dass es doch Gänge durch die dichte Buschlandschaft gab, in denen Katzen gut jagen konnten, Beute und Feinde.
„Wir kommen ihnen näher!“, hörte ich Steinpfote hinter mir sagen. Freude klang gleichermaßen in ihrer Stimme wie Sorge. „Wird es ihnen gut gehen?“
„Rindenpfote ist klug und sehr geschickt“, versuchte ich sie zu ermuntern. „Und Kieselpfote wird sich den Streunern nicht so einfach geschlagen geben.“
„Katzen!“, zischte Sonko von hinten. Schon wehte mir der Krähenfraßgestank von Streunern in die Nase. Nicht schon wieder! Auf ein Schwanzschnippen von Steinpfote hin verschwand ich in einem Busch, was von einem scharfen Schmerz in der Seite begleitet wurde. Raschelnd kamen die Katzen näher. Hatten sie denn nie etwas vom Anschleichen gehört?
Wir hörten, wie die fremden Katzen näher kamen. Ich konnte zwei verschiedene Gerüche ausmachen. Sie kamen näher, wir hörten schon die Büsche rascheln.
Als Steinpfote sprang, folgte ich, Sonko gab uns Deckung. Ich landete auf der ersten Katze, spielerisch leicht verlor sie das Gleichgewicht und quiekte erschrocken auf, als ich sie zu Boden drückte. Steinpfote hatte dasselbe Glück. Als wir den Hintergrund der mangelhaften Gegenwehr erkannten, ließen wir sie jedoch erschrocken los. Auch Sonko sah ungläubig drein.
„Das sind Junge“, hauchte Steinpfote. „Höchstens fünf Monde alt.“
Mit ängstlichem Blick und angstgeweiteten Augen rappelten sich die Jungen hoch.
„Wir wollten euch nichts tun“, quiekte das Erste von ihnen, ein brauner Kater. Die kleine, grauweiße Kätzin neben ihm nickte verschüchtert. Nun erkannte ich auch, was sich unter dem Streunergestank verbarg, den sie angenommen haben.
„SteppenClan“, murmelte ich, „es sind SteppenClan-Junge.“ Eine feurige Hoffnung keimte in mir auf. „Befindet sich euer Clan noch hier in der Steppe?“ Nacheinander schüttelten die beiden den Kopf.
„Diese Katzen haben uns mitten in der Nacht vertrieben“, maunzte die weiße Kätzin. „Im Schlaf haben sie uns angegriffen. Unsere Mutter rief, wir sollten in die Steppe laufen und uns verstecken. Dann…dann haben wir sie nicht mehr gesehen.“
Das braune Junge nickte abwesend. „Wir…wir wollten nachher zurück zum Lager, aber…niemand war da. Unser Clan wurde vertrieben.“ Er sah uns an. „Seid ihr vom BlattClan?“
Steinpfote nickte. „Auch der BlattClan ist von den Streunern vertrieben worden. Wir und zwei Freunde konnten entkommen. Ich glaube, sie haben uns angegriffen, nachdem sie euch verjagt haben.“ Nacheinander wies sie mit dem Schwanz auf uns. „Sturmpfote und Sonko, ein Einzelläufer vom Zweibeinerort. Ich bin Steinpfote.“
Kurz fragte ich mich, warum sie Sonko nicht als Hauskätzchen vorstellte, dann rief ich mir in Erinnerung, dass er dieses Leben aufgegeben hatte und so eine Information für die Jungen leichter zu verstehen sein musste. Auch die Jungen sahen Sonko mit großen Augen an. „Hilft er euch?“
Ich nickte. „Er ist ein guter Freund. Wer seid ihr?“
„Ich bin Kastanienjunges“, stellte sich der braune Kater vor, „das ist Schneejunges, meine Schwester. Wir haben noch einen Bruder, Laubjunges, aber ihn haben wir seit dem Kampf nicht wieder gesehen.“
„Wir suchen auch zwei Clan-Kameraden“, miaute Steinpfote. „Meinen Bruder Rindenpfote und unsere jüngste Schülerin Kieselpfote. Wir sind alle zusammen geflohen, doch bei einem Kampf mit den Streunern haben wir sie verloren.“
Schneejunges sah auf. In ihren orangefarbenen Augen blitzte es. „Wir können euch helfen! Wir können helfen, eure Freunde zu finden. Und dann finden wir unsere Clans!“
„Nehmt uns mit!“, miaute Kastanienjunges flehend.
Ich nickte. „Wir werden euch auf keinen Fall hier allein lassen. Die Streuner werden euch töten, wenn sie euch finden. Auch wir stehen schon auf ihrer Liste.“ Ich zögerte einen Moment. „Wie alt seid ihr?“
„Fast fünf Monde!“, brüstete sich Schneejunges.
„Viereinhalb“, gab Kastanienjunges mit weit weniger Euphorie zu.
„Sie sind zu jung, zum Kämpfen, oder?“, vermutete Sonko richtig.
„Das Gesetz der Krieger verbietet es, eine Katze in die Schlacht zu führen, die jünger als sechs Monde ist. In dem Alter fängt ein Schüler meistens seine Ausbildung an und wird zur Pfote ernannt.“
„Die Streuner halten sich an keine Gesetze!“, erinnerte Steinpfote mich. „Nach dem Gesetz der Krieger müssen wir die beiden schützen. Und sollte es zum Kampf kommen, schützen wir sie am besten, indem wir sie ausbilden. Jedenfalls notdürftig“, fügte sie hinzu, als Kastanienjunges’ Augen zu glänzen anfingen. „Sollte es wirklich zum Kampf kommen, müsst ihr versuchen, euch so schnell wie möglich zu verstecken.“
„Ja, Steinpfote!“, miaute Schneejunges, als sei die Schülerin schon zu ihrer Mentorin ernannt.
„In Ordnung“, stimmte Kastanienjunges mit erwartungsfreudigem Augenfunkeln zu.
„Wohin sind eure Clan-Gefährten verschwunden?“
„Wir werden euch helfen, sie zu suchen!“
Ich konnte ein amüsiertes Zucken meiner Schnurrhaare nicht unterdrücken. „Ich gehe voran. Haltet euch dicht hinter mir. Sonko, im Falle eines Angriffs passt du auf die beiden auf. Steinpfote, behalte die Gegend im Auge.“
Wir setzten unseren ungemütlichen Weg zur Rettung von Rindenpfote und Kieselpfote fort.
Wir erreichten das Ende der dichten Buschlandschaft.
„Wir müssen sie jeden Augenblick finden!“, miaute Steinpfote hoffnungsvoll, während ich immer meiner Nase folgte und aus dem Augenwinkel die SteppenClan-Jungen beobachtete. Sie waren völlig aufgeregt, was ich durchaus nachvollziehen konnte. „Denkt daran, ihr haltet euch im Hintergrund, sobald die ersten Streuner auftauchen. Sonko wird euch einen Fluchtweg freihalten.“ Erst Schneejunges, dann auch Kastanienjunges nickte. Steinpfote und ich beschleunigten unsere Schritte. Etwas lag in der Luft. Etwas, was nicht gut war.
„Riechst du Streuner?“, fragte ich Steinpfote.
„Nein, aber ich habe kein gutes Gefühl.“
„Sie sind hier lang!“ Wir liefen los. Bei jedem Schritt stieg das Gefühl von Gefahr.
„Warte!“ Ich hielt Steinpfote an. „Ich habe kein gutes Gefühl. Ich fürchte, es ist falsch, hier lang zu gehen.“
Sie stimmte mir zu. „Sonko, bringe Kastanienjunges und Schneejunges zurück.“ Kastanienjunges wollte protestieren, wurde aber von einem scharfen Blick von Steinpfote zu Recht gewiesen. „Wir kundschaften erst einmal die Gegend aus. Wenn wir Rindenpfote und Kieselpfote gefunden haben, begeben wir uns alle so schnell wie möglich in Richtung Berge.“
„Kommt mit!“ Sonko führte die Jungen zurück in den Wald. Steinpfote und ich liefen weiter.
„Kieselpfote!“, miaute ich so leise wie möglich, dass wir noch gehört wurden. „Rindenpfote! Wo seid ihr?“
„Hier sind Pfotenabdrücke!“, miaute Steinpfote. Wir folgten der Richtung. Bald wurde das Gras höher, sodass es über unsere Köpfe hinaus ragte. Das Gefühl der Gefahr wurde stärker.
Ein lautes Rascheln hinter uns ließ mich aufschrecken. Als ich mich umsah, flatterten allerdings nur einige Vögel auf.
„Entspann dich“, murmelte Steinpfote mir zu. „Wir werden hier schon wieder herauskommen.“ Mit einem Knoten in der Brust nickte ich und machte mich weiter auf den Weg. Das Gras lichtete sich.
„Kieselpfote! Rindenpfote!“ Steinpfotes Echo antwortete uns von der Grasebene her. Ich ließ meinen Blick über die Landschaft streifen. Etwas raschelte. Gleichzeitig duckten wir uns zum Sprung, als das Rascheln näher kam. Ich bemerkte eine Schwanzbewegung von Steinpfote. Gleichzeitig griffen wir an.
Ich traf ein Knäuel aus braunem Fell, das sich sofort zurückzog und mich ins Leere springen ließ. Sicher kam ich auf und fuhr herum.
„Sturmpfote! Steinpfote!“
Rindpfote leckte mir über das Ohr, bevor ich die Situation richtig begreifen konnte. Kieselpfote hatte Steinpfote bei ihrem Angriff zu Boden gedrückt und stupste ihr nun spielerisch in den Bauch. Steinpfote kam auf die Pfoten und begrüßte Kieselpfote mit einem erfreuten Schnurren. „Wir haben euch so lange gesucht! Was macht ihr hier? Wieso seid ihr nicht zu den Bergen gezogen?“
„Das haben wir auch schon erwähnt“, gestand Rindenpfote, während er seine Schwester mit einem Nasenstupsen begrüßte. „Aber wir haben befürchtet, dass die Streuner uns auf dieser Strecke suchen würden und einen Umweg eingeschlagen.“
„Wo ist Sonko?“, fragte Kieselpfote.
„Bei den Jungen“, antwortete ich knapp.
„Jungen? Welche Jungen?“
„Wir haben zwei SteppenClan-Jungen getroffen“, erklärte Steinpfote. „Sie sind bei der Flucht vor den Streunern von ihrem Clan getrennt worden. Sonko passt auf sie auf, solange wir hier sind.“
„Wir müssen uns beeilen!“, unterbrach ich die Begrüßung. „Wir haben die Duftnoten von Streunern gefunden. Sehr viele sogar. Sie könnten uns folgen oder…“
„Sie könnten euch schon gefunden haben!“, knurrte eine Stimme, die mir das Blut in den Adern gefrieren ließ. Ich hatte gehofft, sie nie wieder zu hören.
Mit gesträubten Fell, gebleckten Zähnen und ausgefahrenen Krallen fuhren wir herum. Mit einem gehässigen Grinsen starrte Klaue auf uns herab. Die Wunde über seinem Auge war noch nicht ganz verheilt und mit einer flachen Blutkruste bedeckt, die sich langsam löste. In seinen Augen funkelte pure Mordlust.
Ich spürte, wie Kieselpfote ihre Krallen in den Boden rammte. „Wir haben euch schon mehr als einmal erklärt, dass wir uns von euch nicht einschüchtern lassen!“
„Ich weiß“, antwortete Klaue ruhig, jedoch mit einem grausamen Blick auf uns herab. „Aber vielleicht werden euch meine großen, wilden Freunde einschüchtern.“
Mit den Worten stieß er einen Stein von der Anhöhe, auf der er sich befand. Dieser rollte in ein Erdloch und traf etwas. Mein Fell stand zu allen Seiten ab, als ich hörte, wie sich etwas drin bewegte. Selbst Kieselpfote wich zurück. Der Angstgeruch meiner Freunde schien meinen Eigenen zu überlagern.
„Schade, dass dieses verrückte Hauskätzchen nicht bei euch ist“, fauchte Klaue. „Den muss ich wohl oder übel selbst erledigen. Lebt wohl, ihr Pfötchen.“
Er verschwand hinter den Steinen, als ein lautes Knurren aus dem Erdloch drang. Der Schwarz-weiße Kegelkopf eines Dachses kam zum Vorschein. In seinen kleinen, schwarzen Augen funkelte ein unheimlicher Kampfgeist. Ein zweiter Dachskopf streckte sich aus dem Tunnel.
Zum Fliehen war es zu spät. Die schweren Pfoten der Dachse ließen den Erdboden erzittern.
Es waren junge Dachse, das erkannten wir. Als Junges hatte ich einst einen Dachs aus der Ferne gesehen. Damals war ich so naiv gewesen, ihn von der Nähe anschauen zu wollen. Meine Mutter hatte mich weggezerrt, kurz bevor er mich entdecken konnte. Nun würde sie nicht aus dem Schatten springen und mich in ihre schützenden Fittiche nehmen.
Die riesigen Kolosse, die mindestens das Dreifache wogen wie eine normale Katze trampelten mit einem ungeheurem Lärm auf uns zu. Ich sah, wie der Größere der beiden sein Gebiss entblößte. Ich sah die tödlichen Fangzähne näher kommen, hörte das schadenfrohe Gelächter von Klaue in meinen Ohren widerhallen. Erst als das Monstrum unmittelbar vor mir stand und seine titanische Pranke gegen mich erhob, reagierte ich mit einem Seitensprung. Auch die anderen waren ausgewichen. Keiner von uns hatte jemals gegen einen Dachs gekämpft, doch die Ältesten kannten Geschichten von ihnen. Sie mussten immer mindestens zu dritt gegen diese Biester antreten und mehrere starke Krieger waren dabei umgekommen. Nun hatten wir zwei der Monstren vor uns.
„Sturmpfote!“
Kieselpfotes schriller Ruf riss mich aus der Trance. Mit einem ungeschickten Sprung tauchte ich unter dem wuchtigen Schlag des Dachses weg und riss endlich meinen Blick von ihm. Der nächste Angriff verlief heftiger. Mit seinem ganzen Gewicht warf sich der Dachs auf mich. Ich setzte zurück, konnte aber zu spät entkommen. Eine massige Pranke traf mich an meiner verletzten Seite und rief einen Schauer von glitzernden Punkten vor meinen Augen hervor. Ich verlor das Gleichgewicht, wollte mich wieder aufrichten, wurde aber von einem weiteren Hieb gegen die Schulter zurück zu Boden geschleudert. Den aufblitzenden Zähnen des Ungetüms konnte ich im letzten Moment mit einer viel zu hastigen Kopfbewegung ausweichen. Wild trat ich mit den Hinterkrallen auf den Bauch des Dachses, in der irren Hoffnung, eine empfindliche Stelle zu treffen, was den Erfolg aufwies, dass sich spitze Dachszähne in meine Schulter gruben. Ich hörte mich selbst schrill aufjaulen. Es fühlte sich an, als wolle der Dachs den Schulterknochen zersplittern, als sich seine riesigen Fänge in mein Fleisch bohrten. Im letzten Moment kam Rindenpfote mir zur Hilfe. Ich sah wilde, herumwirbelnde Krallen, die tiefe Furchen in dem Dachskopf hinterließen, der mich mit seinen Zähnen marterte.
Mit einem wütenden Fauchen ließ der Dachs von mir ab und brachte seinen Körper in Rindenpfotes Richtung. Der braune Schüler rettete sich mit einem Sprung zur Seite, Blut troff aus einem tiefen Kratzer an seiner Seite. Der Dachs setzte nach, ich wollte mich aufrichten, meine Schulter protestierte aber mit einem brutalem Glühen in der Wunde, während der riesige Körper des Dachses sich auf die Hinterpfoten richtete, um sich auf die braune Katze vor ihm zu stürzen. Rindenpfote nutzte diese kurzzeitige Instabilität seines Gegners und fuhr ihm mit Krallen und Zähnen an den Hals. Ich sah, wie der Dachs schwankte. Würde er nach vorne fallen, war Rindenpfote verloren. Ich biss die Zähne zusammen und sprang, ungeachtet des reißenden Schmerzes, dem Dachs an den Kopf, den ich verfehlte und mich stattdessen in sein Genick verbiss. Von zwei Seiten angegriffen verlor der Dachs das Gleichgewicht und landete donnernd auf der Seite. Der Aufprall raubte mir den Atem, keuchend musste ich loslassen und schnappte nach Atem. Knurrend baute sich der Dachs vor mir auf.
Erneut rettete mich Rindenpfote mit vollem Einsatz von Zähnen und Krallen. Als sich der Dachs donnernd auf die Pfoten fallen ließ, brachte ich mich mit einer schnellen Rolle in Sicherheit –und genau in das Visier des anderen Dachses.
Hätte Steinpfote mich nicht mit einem harten Pfotenschlag aus der Angriffslinie befördert, hätte die Bestie mich zu Krähenfraß verarbeitet. Ich rutschte auf irgendetwas aus, als ich versuchte, so schnell wie möglich auf die Beine zu kommen. Steinpfote und Kieselpfote waren so damit beschäftigt, dem Dachs auszuweichen, dass sie mich diesmal völlig aus den Augen verloren. Mit einem Ruck kam ich auf die Pfoten. Rindenpfote taktierte seinen Dachs immer noch mit harten Schlägen und schnellen Sprüngen, immer nur darauf bedacht, seinen eigenen Pelz in Sicherheit zubringen. Der Anblick brachte meine Pfoten in Bewegung. Ich merkte nicht einmal, wie ich abgesprungen war, sah nur noch, wie ich auf den breiten Schultern des Dachses landete und meine Zähne in dessen Genick rammte. Mit einem wütenden Brüllen warf sich der Dachs hin und her. Ich grub meine Krallen in seinen Pelz, bis Blut unter den dichten Fellhaaren hervorquoll, bekam ihn jedoch nicht zu Fall. Mir war klar, wenn ich ungeschickt unten aufkam, war ich tot.
Aus dem Augenwinkel bemerkte ich Kieselpfote, die mit gehetztem Blick vor dem anderen Dachs floh, der sich ebenfalls in meine Richtung bewegte. Er würde mich von dem Rücken seines Gefährten hinunter pflücken wie eine Maus vom Frischbeutehaufen. Als ich absprang, verlor ich den Halt und überschlug mich mehrmals im Gras. Steinpfote packte mich mit den Zähnen am Genick und zog mich hoch.
„Kieselpfote!“, hörte ich Rindenpfote rufen. Ich sah mich nach der jungen Kätzin um. Ihr weißes Fell war von roten Blutspritzern gesprenkelt. Sie sah gehetzt und erschöpft aus. Da sich ihr Blick auf den Dachs vor ihr fixierte, merkte sie nicht, wie sich der andere näherte.
Rindenpfotes Ruf veranlasste sie dazu, ihren Kopf zu drehen und die sich von hinten nahende Bedrohung zu erkennen. Ihr Ausweichmanöver kam in letzter Sekunde. Die Zähne des Dachses hinterließen eine rote Blutspur auf ihrem Fell. Ungeachtet der Verletzung beschleunigte Kieselpfote, um von den Dachsen wegzukommen.
Wir setzen uns in Bewegung. Kieselpfote holte mich ein, schien aber ziemlich mitgenommen von dem harten Kampf. Rindenpfote humpelte, trieb sich jedoch zu Höchstleistungen, Steinpfote stolperte mit schmerzverzerrtem Gesicht hinterdrein und mein Blickfeld war von umher fliegenden Funken und Blitzen durchbrochen. Mit donnernden Schritten folgten uns die Dachse. Sie holten auf.
„Kieselpfote!“, rief ich gepresst der Kätzin zu. „Lauf zu Sonko und…sage ihm…die Jungen in Sicherheit…“
Bevor ich beenden konnte, hatte sie sich schon in Bewegung gesetzt. Mit einem Schnippen meines Schwanzes wies ich die anderen an, die Richtung zu wechseln. Wir schlugen den Weg über holpriges Gelände ein.
Keuchend blieb Rindenpfote stehen. „Ich…ich glaube…wir haben sie abgehängt.“
Ich ließ mich widerstandslos in das Gras fallen. Mein Atem rasselte so heftig, dass ich keinen Laut hervor brachte. Mein ganzer Körper schien zu brennen.
„Wir…wir haben Dachse besiegt!“, hauchte Steinpfote, als könne sie nicht fassen, was gerade geschehen war. „Dachse! Richtige Dachse!“
Mein Fell sträubte sich, als ein anderer Geruch in meine Nase stieg. Die Streuner! Mit einer gehörigen Portion Wut.
Auch Steinpfote und Rindenpfote hatten dies bemerkt. „Wir müssen so schnell wie möglich weiter!“, zischte Rindenpfote durch die Zähne hindurch.
„Nicht ohne die Jungen!“, entschied ich bestimmt. Als hätten sie uns belauscht, stolperten Sonko, Kastanienjunges uns Schneejunges nacheinander auf uns zu.
„Die Dachse sind weg!“, meldete Sonko. „Aber ich fürchte, Klaue hat das gemerkt.“
„Das fiese Narbengesicht soll sich nicht in unsere Nähe trauen!“, gab Kastanienjunges mit funkelnden Augen zu wissen.
„Wir müssen weg hier!“, fügte Sonko hinzu, während ich mich noch gehetzt umschaute.
„Wo ist Kieselpfote?“
Entsetzt sah mich der schwarz-weiße Kater an. „Ich…ich dachte, sie wäre bei euch.“
Allmächtiger SternenClan! Bitte nicht!
Wir hatten uns erneut aufgeteilt. Sonko brachte die Jungen in Richtung Berge, während Steinpfote, Rindenpfote und ich Kieselpfotes Spur aufnahmen. Von dem Grasland aus führte sie zurück in Richtung Zweibeinerort.
„Diese Biester geben nie auf!“, zischte Rindenpfote.
„Dann sollen sie lernen, was es heißt, sich mit Clan-Katzen anzulegen!“, entgegnete ich, während ich die ersten der Zweibeinerhöhlen zu Gesicht bekam. Der Gestank nach Monstern und Zweibeinermüll verriet, dass wir bald da sein mussten. Doch erst, als Sonnentief lange vorüber war und der zunehmende Mond die Nacht erhellte, erreichten wir erschöpft und keuchend den Rand des Zweibeinerortes.
„Wir müssen…eine Pause machen!“, keuchte Rindenpfote.
Ich setzte mich ins Gras und konnte nichts Anderes, als ihm mit einem Nicken zuzustimmen. Wir alle waren von den Kämpfen und Strapazen der letzten Tage erschöpft und brauchten unbedingt Erholung und etwas zu Fressen. Als hätte sie meine Gedanken gelesen, wandte sich Steinpfote in Richtung Steppe.
„Ich gehe jagen. Ihr bleibt hier. Wenn ich vor Sonnenhoch nicht zurück bin, geht ohne mich weiter.“ Bevor einer von uns widersprechen konnte, war ihr grauer Körper schon mit den nächtlichen Schatten der Steppe verschmolzen.
„Die Blätter welken!“, sagte Rindenpfote. Ich konnte nur nicken. Blattleere stand bevor, die Nächte wurden länger. Wir mussten unbedingt vorher unsere Clans finden. Und zwar gemeinsam.
Mit gestäubtem Fell sprang Rindenpfote auf. Erschrocken sah ich ihn an. „Was ist?“ Unmittelbar, nachdem ich die Frage gestellt hatte, erkannte ich den Geruch, der uns entgegen wehte. Klaue!
„Wir sollten verschwinden, und zwar schnell!“, zischte Rindenpfote. „Ich glaube nicht, dass er gekommen ist, um uns eine gute Nacht zu wünschen.“
Ich rammte meine Krallen in das Gras. Dieser verdammte, stinkende Fellball gab immer noch keine Ruhe! Ein Rascheln ließ mich herumfahren. Steinpfote kam mit zwei dicken Mäusen zurück. Ihr sich schlagartig ändernder Gesichtsausdruck verriet, was sie witterte. Mit ruhiger Bewegung legte sie die Beute vor sich ab.
„Er kommt allein. Wir müssen ihm ein für alle Mal zeigen, dass wir uns von einem räudigem Narbengesicht wie ihm nicht umherjagen lassen!“
Mit klopfendem Herzen drehte ich mich um. Klaues Stimme klang überraschend ruhig, als er aus dem hohen Gras heraus zu sprechen anfing. „Ihr solltet euch lieber überlegen, ob ihr das wirklich tun wollt.“
„Sag uns, was du willst!“, zischte Rindenpfote. „Bevor wir dir das Fell vom Leib reißen.“
„Ich bin hier!“ Wir hatten keine Ahnung, wie er es so schnell auf den halb verfallenen Zweibeinerzaun geschafft hatte. Er sah mit einer Mischung aus Wut und Abscheu auf uns herab. Die hohe Position verlieh ihm wohl ein besonderes Sicherheitsgefühl.
„Was willst du?“, fauchte ich ihn an.
„Einen Handel.“ Er legte eine Betonung in seine Antwort, die uns nichts Gutes ahnen ließ. „Ihr wollt doch eure kleine Freundin wieder sehen, nicht wahr?“
Rindenpfote trieb seine Krallen in die Erde. „Wenn du Kieselpfote etwas angetan hast, dann…“
„Aber nicht doch, beruhige dich. Ihr geht es gut. Noch.“
„Wo ist sie?“, fauchte Steinpfote.
„Immer der Reihe nach. Zu einem Handel gehören zwei Bedingungen jeder Seite.“
Steinpfote wandte uns das Gesicht zu. „Ich traue ihm kein Schnurrhaar breit.“
„Aber wenn er wirklich weiß, wo Kieselpfote ist“, gab ich zu bedenken.
„Dann ist das eine Falle. Er will uns alle haben. Er steht direkt unter Blut, sozusagen als sein Zweiter Anführer.“
Klaues Stimme erhob sich wieder in diesem überheblichen, herablassenden Ton. „Wo bei es natürlich keinen sinn machen würde, euch nicht hier und jetzt den Garaus zu machen. Ein lautes Miauen von mir und ihr werdet diesen Ort nicht lebend verlassen.“
„Wir können Kieselpfote nicht allein lassen!“, drängte Rindenpfote. „Daran darf uns dieser Fellball auch nicht dran hindern.“
„Ganz nebenbei verstehe ich jedes Wort, das ihr sagt!“, höhnte Klaue von oben herunter. „Wenn ihr meinen Vorschlag nicht annehmt, werdet ihr alle draufgehen.“
Mit glühenden Augen fuhr Rindenpfote herum. „Zu einem Handel gehören zwei Dienste. Was verlangst du von uns?“
Der große Kater beugte sich ein Stück zu uns runter. „Verschwindet aus dem Wald. Kommt nie wieder. Lasst uns in Ruhe hier leben. Geht zu euren Clans und bleibt dort für immer. Blut weiß nichts von meiner kleinen Verhandlung mit euch, aber falls ich mein Maul nicht halten kann, wird er euch höchst persönlich eliminieren.“
Eliminieren. Wie poetisch!
„Dieser Wald gehört den Clans!“, fauchte Steinpfote ihn an. „Er hat uns schon immer gehört und ihr werdet nie ein Recht darauf haben, hier zu leben!“
„Sagt wer?“, höhnte der Streuner. „Du? Deine Anführerin? Oder gar der…SternenClan?“ Er sprach das letzte Wort mit so einer Verachtung aus, dass glühende Flüssigkeit durch meine Adern strömte. „Ihr putzigen kleinen Kätzchen solltet langsam die Realität sehen! Hier ist kein Lebensraum mehr für euch! Ein Haufen toter Katzen wird euch nicht retten können. Glaubt ihr, ihr seid ewig? Die einen gehen, die anderen kommen. Eine tote Katze mehr oder weniger macht für mich auch keinen Unterschied!“
Tote Katzen!
Ich schloss die Augen, als die Stimme wie ein schrilles Kreischen durch mein Bewusstsein drang.
„Wenn die Sonne ihren höchsten Stand erreicht, werde ich hier auf euch warten und eure Antwort empfangen. Noch kann ich euch aus diesem Gebiet herausschleusen, damit ihr auf Nimmerwiedersehen verschwindet. Aber solltet ihr euch gegen mich entscheiden, sehe ich keinen Grund, euch noch am Leben zu lassen. Ich erwarte eure Antwort!“
Mit einer Mischung aus eiskalter Angst und glühender Wut sahen wir Klaue hinterher, der in den Schatten der Büsche verschwand.
„Was glaubt er eigentlich, wer er ist!?“, grollte Rindenpfote. „Glaubt er, mit seinem Angebot könnte er uns so einfach loswerden?“
„Das ist kein Angebot“, murmelte Steinpfote tonlos. „Das ist Erpressung. Das ist eiskalte Erpressung.“
Etwas in mir ließ meinen Tatendrang steigen. „Dann zeigen wir ihm, dass Clan-Katzen sich nicht erpressen lassen.“
„Es war mutig von euch, zurückzukehren, um Kieselpfote zu helfen.“
Ich schlug die Augen auf und fand mich in dem wogenden Gras der verlassenen Steppe wieder.
„Ich habe alles falsch gemacht“, sagte ich, mehr zu mir selbst. „Wir könnten die Clans schon längst erreicht haben, sitzen aber immer noch hier fest. Wegen ein paar dreckigen, stinkenden, mäusehirnigen Streunern!“ Der laut ausgerufene Fluch ließ endlich die ganze, angestaute Wut auf diese Katzen ab. Warum konnten sie nicht einfach in ihrem verdammten Zweibeinerort bleiben! Verzweifelt sah ich Springstern an.
„Was sollen wir nur tun? Können wir Klaue trauen?“
Mitleid und Sorge schimmerten in den Augen des Anführers. „Ich kann nicht in die Köpfe aller Katzen schauen.“
„Ich hatte befürchtet, dass du das sagen wirst.“ Ich richtete meinen Blick auf die wogenden Grasmeere vor mir, die anfingen, braun zu werden und langsam in sich zusammen fielen. Sie vergingen, wie das Zeitalter der beiden Clans in diesem Wald. „Weißt du, was wir tun können, um deine Aufgabe lebend zu erfüllen?“
„Ich nicht“, Springstern machte eine kurze Pause, „aber hier ist jemand, der es ganz sicher weiß.“
Irritiert sah ich ihn an.
„Der SternenClan wandelt nicht immer nur in den Träumen einer Katze.“
Ich folgte Springsterns Blick. Das Gras bewegte sich. Weißes Fell blitzte zwischen den Halmen auf. Weißes Fell, wie das von Kieselpfote. Schließlich gab das Gras den Blick auf die Katze frei.
„Taubenpfote?“
Das charakteristische, schwarze Dreieck auf ihrer Stirn ließ sie schon von Weiten erkennbar werden. Die Heiler-Schülerin sah mich mit besorgtem Blick an.
„Ich hatte schon als Junges besondere Träume, Sturmpfote.“ Ihre Stimme klang erwachsener und ernster. Sie hatte sich verändert. Das Schicksal hatte sie verändert. „Ich habe schon immer Dinge geahnt, die eintreffen werden. Auch von eurem Entschluss, den SteppenClan zu suchen, habe ich gewusst, bevor ihr die Idee hattet.“
Hoffnung keimte in mir auf. „Weißt du, wie wir Kieselpfote helfen können?“
„Ich weiß nicht, wie weit ihr dem Streuner vertrauen könnt“, fuhr die junge Kätzin fort. „Aber im Moment ist er eure einzige Hoffnung. Auch er ist nur eine normale Katze und kann hinters Licht geführt werden. Ich denke, er hat auch Kieselpfote unterschätzt.“
„Wie können wir sie retten?“, fragte ich aufgeregt.
„Klaue sagte, ihr solltet zur Mittagszeit auf ihn warten, aber er sagte nicht, dass ihr alle drei kommen solltet.“
„Du meinst…“
„Erinnerst du dich an die Geschichten vom LeopardenClan?“
Die Frage traf mich überraschend. Der LeopardenClan. Kaum war ich in den BlattClan eingetreten hatte Steinpfote mir von den gefleckten, schnellen Jägern vorgeschwärmt. Unauffällig, schnell, geschickt. Das waren ihre Eigenschaften.
„Der TigerClan?“
Riesige, starke Katzen. Sie waren angeblich so groß wie Pferde. Listig und schlau, die schnellsten Jäger im Wald. Stärken, die gute Krieger brauchten.
„Der LöwenClan?“
Mut. Das fiel als Erstes, wenn jemand vom LöwenClan erzählte. Mut machte die Löwen aus.
„Sie sind hinter dir.“
Ich fuhr herum. Mein Herz schien zu flimmern. Vor Erfurcht trat ich mehrere Schritte zurück, als ich die drei Riesenkatzen sah. Die wallende, goldene Mähne des Löwen glühte wie Feuer. Der orangegoldene Tiger neben ihm mit den langen, schwarzen Streifen strahlte mit jeder seiner Bewegungen Kraft aus. Der Leopard mit den schwarzen Flecken stach mir Aufgrund seines schlanken, sehnigen Körperbaus ins Auge.
„Sie sind in uns“, hörte ich Taubenpfote miauen. „Die großen Clans sind in jedem von uns. Sie sind das, was aus uns richtige Krieger macht.“
Ich sah die drei stolzen Katzen an. Sie hätten sich bestimmt nicht von dreckigen, undisziplinierten Streunern verjagen lassen.
„Sie wachen über uns, so wie der SternenClan über uns wacht. Du willst sie doch nicht enttäuschen, oder?“
Entschlossen sah ich Taubenpfote an. „Ganz bestimmt nicht.“
Mit heftigem Rütteln weckte ich Rindenpfote und Steinpfote.
„Ich weiß es!“
„Was?“, murmelte Steinpfote verschlafen.
„Ich habe einen Plan!“
Rindenpfote sah auf. „Was für einen Plan?“
„Wie wir Kieselpfote befreien können, ohne uns selbst in Gefahr zu begeben und schnell zu den Clans aufbrechen können.“ Meine Stimme überschlug sich fast. Die Idee kam plötzlich. Wie ein Lichtblitz vom SternenClan.
Die Geschwister rappelten sich auf und sahen mich ernst an.
„Ich weiß nicht, ob wir es schaffen, geschweige denn, ob wir lebend da raus kommen. Hört zu und befolgt jedes meiner Worte…“
Die halbe Nacht lang sind wir meinen Plan durchgegangen und hatten alle möglichen Eventualitäten besprochen, diskutiert und gelöst, die uns einfielen. Sobald der erste Sonnenschimmer am Horizont erschien haben wir und so gut es ging ausgeruht und mit einer gehörigen Portion Frischbeute gestärkt. Wir mussten auf alles vorbereitet sein. In der endlos langen Zwischenzeit vom Sonnenhoch zum höchsten Sonnenstand frischten wir unsere Kampftechniken auf, bis wir uns erfrischt und gestärkt fühlten. Immer wieder kreisten meine Gedanken um Sonko, Kastanienjunges und Schneejunges. Ob es ihnen gut ging? Ob sie die Reise über die Berge geschafft hatten?
Zum mindestens hundertsten Mal prüfte ich die Luft, ob Rindenpfote oder Steinpfote zu riechen waren. Bald war es Mittag.
Mit aller Disziplin, die ich aufbringen konnte, glättete ich mein Fell, um einen möglichst gelassenen Eindruck zu machen.
„Du bist also doch gekommen.“ Klaue hatte sich gegen den Wind angeschlichen. Dafür sollte ich ihm danken, schließlich musste ich seinen Gestank nicht ertragen. „Was ist mit deinen Freunden?“
„Sie sind der Aufforderung, den Wald zu verlassen, nachgekommen.“ Jedes der Worte war sorgsam bedacht und ausgewogen. Ich brachte den Satz mit einer Gelassenheit hinüber, die angesichts des folgenden Vorhabens wie ein Wunder schien. „Ich werde jedoch nicht eher gehen, ehe ich Kieselpfote wieder sehe. Versprichst du, dass wir beide die Steppe verlassen können, ohne von deinen Katzen angegriffen zu werden?“ Ich sah dem Kater fest in die Augen, um sicher zu gehen, dass er mich nicht anlog oder unseren Trick durchschauen könnte. Ein Augenzwinkern, eine falsche Bewegung, ein falsches Wort und die Folgen wären unausdenkbar.
„An dem Ort, wo wir hingehen, wird uns niemand stören“, entgegnete Klaue präzise. Ich versuchte, eine versteckte Drohung aus seiner Stimmlage heraus zu filtern, mir fiel jedoch nichts Merkwürdiges auf. „Bleibe dicht hinter mir“, fuhr er fort. „Eine falsche Bewegung, ein Ausweichmanöver und du wirst sie nie wieder sehen.“
Mich aus dem Augenwinkel streng im Auge behaltend wandte er sich um und schlug einen Pfad in Richtung der Büsche ein. Mir blieb nichts anderes übrig, als Klaues Anweisungen nachzukommen. Wohl darauf bedacht, keinen falschen Schritt zu machen folgte ich der Katze, die ich noch vor einem Tag liebend gern ins Jenseits geschickt hätte. Krampfhaft widerstand ich der Versuchung, aus dem Augenwinkel nach Anzeichen von Steinpfote oder Rindenpfote zu sehen. Wir mussten standhaft sein, wie die großen Clans.
Die Büsche kamen in Sicht. Klaue wählte einen Weg durch eine Schneise mitten im Gestrüpp. Ich überlegte, ob dies als schneller Fluchtort tauglich war, bevor mir in den Sinn kam, dass die Streuner im Falle eines Tötungsbefehls gegen uns diese Strecke als Erstes absichern werden. Wir würden uns, wenn alles glatt lief, wohl oder übel wieder durch die Büsche kämpfen müssen. Ob Klaue wirklich allein handelte? Oder hatte er einige seiner Anhänger unter den Streunern eingeweiht? So sehr ich auch versuchte, diese lästigen Zweifel aus meinem Kopf zu tilgen, die dunkle Sorge in meinem Herzen wuchs von Schritt zu Schritt.
SternenClan, stehe mir bei!
Ein wohlbekannter Geruch wurde von einem Lufthauch zu mir geweht. Springstern! Er war bei mir.
Ich sah, wie wir das Unterholz langsam hinter uns ließen. Nicht weit entfernt befand sich der Zweibeinerort. Der Ort, von dem die Streuner gekommen waren. Ich kämpfte meine Angst nieder und richtete meinen Blick wieder starr geradeaus. Aus dem grünen Gras der Wiese stach etwas hervor. Etwas Dunkles, Bedrohliches. Eine Höhle? Ein Tunnel? Ich konnte den schalen Geruch von Fuchs riechen, doch dieser war schon seit Tagen nicht mehr hier gewesen. Ob die Streuner ihn verjagt haben? Der Tunnel schien in eine bodenlose Tiefe zu führen. Unangenehme Erinnerungen an einstürzendes Erdreich und herab fallende Steine fingen an, vor meinen Augen herumzuspuken. Unwillkürlich sträubte sich mein Fell.
„Angst?“ In der Frage lag Hohn und Schadenfreude.
Funkelnd sah ich Klaue an und versuchte, meinen Pelz zu glätten. „Ich habe vor gar nichts Angst!“
„Dann ist ja alles in Ordnung. Wir wollen ja nicht, dass das Pfötchen vor Schreck umfällt, bevor es seine Freundin wieder sehen kann.“
Die Bemerkung ließ mich meine Krallen ausfahren. Ruhig, Sturmpfote, ganz ruhig. Dafür hast du noch früh genug Gelegenheit.
Mit klopfendem Herzen trat ich in den Gang. Fahles Sonnelicht folgte mir, doch nach hinten hin wurde es dunkler. Ich hatte keine Angst vor der Dunkelheit, mit meiner Mutter hatte ich fast immer Nachts gejagt, aber etwas in diesem Tunnel jagte mir einen kalten Schauer über den Rücken. Eine dunkle Vorahnung, die zu schlimm war, um sie selbst in Gedanken auszusprechen?
„Du gehst vor!“, knurrte Klaue, als der Tunnel breiter wurde. Ohne einen Kommentar gehorchte ich und tapste an ihm vorbei. Ein schwacher Lichtschimmer leuchtete in der Dunkelheit auf. Das Ende des Tunnels? Eine Grotte? Mein Herz machte einen freudigen Satz, als mir ein wohlbekannter Geruch in die Nase stieg.
„Kieselpfote!“
Die Krypta, in der ich landete erinnerte mich vage an die Sternengrotte, obwohl ihr eindeutig das Gefühl der Macht fehlte, die Präsenz des SternenClans. Auch die Felsen waren spitzer und scharfkantiger an den Wänden, schluckten jedes Licht, sodass das fahle Sonnenlicht, dass durch einen Riss in der Decke strahlte, die Höhle nicht weiter als einen Halbschatten beleuchtete. Das Einzige, was diesen Raum ausfüllte, war Kieselpfotes Geruch.
„Sturmpfote?“
Hätte sie mich nicht gerufen, hätte ich sie wahrscheinlich nie gesehen. Ihr weißes Fell war mit Erde verdreckt und hob sich kaum von den Braungrauen Felsen ab. Hastig stolperte ich zu ihr.
Taumelnd versuchte die weiße Kätzin auf die Pfoten zu kommen, verlor jedoch den Halt. Sie strahlte Hitze aus. Fieber?
Zur Begrüßung leckte ich ihr übers Ohr. „Ich kann dich hier raus bringen. Du musst…“
„Ich kann nicht laufen.“
Die Nachricht erreichte meinen Kopf zögernd. „Was?“
„Ich…ich wollte zu Sonko und den Jungen laufen, als die Streuner mich entdeckt haben.“ Mit sichtlicher Mühe brachte sie sich in eine sitzende Position, wobei sie die Vorderpfote kaum belastete. „Ich dachte, ich könnte noch fliehen. Dabei habe ich das Loch nicht gesehen und…“ Sie hielt inne und verzog das Gesicht.
„Lass sehen.“ Ich beugte mich vor und begutachtete ihre verletzte Pfote. Sie musste sich beim Sturz in die Grotte diese Verletzungen zugefügt haben. Dass Fell war an einem großen Teil abgeschabt, ich sah eine blutende Wunde. Oberhalb dieser Verletzung war ihre Pfote angeschwollen. „Es tut weh, wenn ich auftrete“, miaute Kieselpfote schwach. „Rennen wäre unmöglich. Ich wäre euch nur eine Last. Ihr müsst ohne mich weiter.“
„Niemals!“, rief ich etwas schärfer als angebracht gewesen wäre. „Du hast mich auch nicht im Stich gelassen. Und wir sind nicht zurückgekehrt, um dich einfach zurück zulassen.“ Ich stand auf. „Ich werde dich stützen. Du musst es versuchen!“
Kieselpfote benötigte zwei Anläufe, bevor sie richtig auf die Beine kam. Sie lehnte sich gegen meine Schulter, um die verletzte Pfote nicht zu belasten. „Du schaffst es! Du bist eine Kämpferin! Ich weiß, dass du das schaffst!“
Zitternd machte sie die ersten Schritte. Ich sah, dass der Auftritt ihr erheblich schwer fiel. Doch Kieselpfote biss fest die Zähne zusammen.
„Sehr tapfer, das muss ich schon sagen“, meldete sich Klaue am Tunneleingang der Grotte. Kieselpfote beachtete ihn nicht, sondern suchte sich weiter ihren Weg. „Zu schade, dass diese Tapferkeit verschenkt wurde.“
Der Zorn brodelte in mir auf, bevor ich den Sinn der Worte richtig verstanden habe. Ich starrte zu Klaue hinauf, seine entstellte Fratze hatte das alte, schadenfrohe Grinsen aufgesetzt. Der Geruch weiterer Katzen strömte aus dem Tunnel.
„Du…“ Ich bekam kaum Luft. „Du hast versprochen…DU HAST MIR DEIN WORT GEGEBEN! WIR GEHEN UND LASSEN EUCH IN RUHE!“
„Allerdings“, meinte der Kater, während andere Katzengesichter hinter ihm auftauchten. „Leider bin ich nicht verpflichtet, mein Wort gegenüber Kreaturen wie euch einzuhalten. Mein Befehl lautete, euch zu töten. Deine beiden Freunde werde ich auch noch erwischen. Lebt wohl, Pfötchen!“
„Nein!“ Mit einem verzweifelten Aufschrei stürmte ich auf den Streuner zu, während die anderen Katzen sich schon mit vollem Gewicht gegen die Felswände warfen. Die Grotte erzitterte, die Streuner verschwanden in dem Gang.
„Sturmpfote! Pass auf!“
Kieselpfotes Warnung kam im letzten Moment. Der riesige Stein krachte wenige Mäuselängen neben mir zu Boden. Die Grotte erzitterte. Alles, wozu ich noch im Stande war, war, Kieselpfote in eine stabil aussehende Ecke der Höhle zu bringen und sie so gut wie möglich zu schützen, während das Erdreich uns apokalyptisch entgegen raste.
Etwas leuchtete. Irgendwo leuchtete etwas hell auf. Ein Licht. Mitten in der Dunkelheit. Ich blinzelte. Ja. Es war ein Lichtschein. Und er kam näher. Das Licht bewegte sich. Es nahm Gestalt an.
Es war kein Zweifel. Es war eine leuchtende Katzengestalt. Springstern? Nein. Diese Katze war kleiner. Und sie kam mir bekannt vor.
Wo war ich? Die Grotte. Aber sie war noch heile. Kein Stein war auf dem Boden gefallen. Helles Sternenlicht flutete durch die kleine Öffnung in der Höhlendecke. Jetzt wurde mir alles klar. Ich träumte. Vom SternenClan?
„Bin ich tot?“, hauchte ich.
„Noch nicht.“ Die Stimme war sanft. Und ich kannte sie.
Ich blinzelte. Langsam klärte sich mein Blickfeld und die Umrisse der grauen Katze wurden schärfer. Ich erkannte ihn.
„Regen?“, miaute ich leise. Ich erkannte ihn wieder. Dasselbe graue Fell, die vertrauten blauen Augen. Von unserer Mutter. Nun konnte ich ihn auch wittern. Ein Gefühl von Sicherheit stieg in mir auf.
„Regen!“, wiederholte ich und leckte meinem Bruder über die Schulter. Schnurrend kam er meinem Beispiel nach. „Du bist hier? Aber…was…wie bist du?“
„Der SternenClan wandelt nicht allein in den Himmeln.“
„Ich bin so froh, dich wieder zu sehen“, flüsterte ich ihm zu.
„Ich war immer bei dir. Die ganze Zeit über. Und Mutter ebenfalls.“
Hoffnung keimte in mir auf. „Weißt du, wie wir hinaus kommen? Wie wir den Streunern lebend entkommen können?“
„Folge deinen Instinkten. Das kannst du am besten, Bruder.“
Die Gestalt des grauen Katers löste sich langsam auf.
„Regen! Warte, ich…es gibt so Vieles, was ich dir sagen möchte…“
Er löste sich auf und ich erwachte aus meinem Traum.
Staub und Steine. Das waren die ersten Dinge, die meine Sinne wahrnahmen. Staub und Steine.
Mit einem Ruck befreite ich meine Hinterpfote, die eingeklemmt war und tastete in der Dunkelheit die Größe des Raumes ab, bis ich weiches Fell unter meinen Pfoten spürte.
„Kieselpfote?“
Schwach bewegte sich die Gestalt.
„Ich bin hier.“
„Wir…“ Ich hustete, da sich eine Ladung Staub in meinem Hals festgesetzt hatte. „Wir leben. Wir müssen hier raus!“
Kieselpfote bewegte sich. Ich hörte, wie Steine kullerten.
„Vorsichtig! Nicht, dass es noch mal einstürzt!“
Ich spürte, wie Kieselpfote sich drehte und in eine gemütlichere Position brachte. Behutsam tasteten wir das Geröll ab. Ich spürte, wie sich etwas unter meinen Pfoten bewegte.
„Vorsichtig!“, ermahnte mich Kieselpfote flüsternd, als könne allein der Klang ihrer Stimme den Einsturz wiederholen. Wir schoben die ersten Steine bei Seite.
„Warte!“, zischte ich, als über uns ein weiteres Poltern ertönte. Die Steine rückten nach.
„Sie sind ruhig!“, meldete Kieselpfote. „Weiter!“
Ich stemmte mich gegen einen großen, im Weg stehenden Stein. Kieselpfote half mir. Mit vereinten Kräften schoben wir den Brocken bei Seite. Licht strömte von oben auf uns herab.
„Ich glaube, wir kommen da durch!“ Ich tastete mich mit der Pfote vor.
„Warte! Ich bin kleiner!“ Ich sah Kieselpfote an. „Schaffst du das mit deiner Pfote?“
„Lieber eine angeknackste Pfote als unzählige herabstürzende Steine!“, wies sie meine Sorgen ab, und streckte die unverletzte Vorderpfote aus, um Halt zu finden. Flach legte ich mich unter ihr auf den Boden. „Steige auf meine Schultern!“ Ich musste mich fest gegen sie stemmen, als Kieselpfote ihre Hinterbeine zwischen meine Schultern setzte und sich kräftig abstieß. Ich hörte das Kratzen ihrer Krallen auf dem Gestein, kurz darauf rieselten weitere Steine hinunter, Staub traf in meine Augen. Der von oben herabfallende, goldene Lichtstrahl wurde breiter, Staubkörnchen schwirrten in ihm wie Sterne.
„Komm nach!“
Ich stieß mit der Schulter schmerzhaft gegen das Gestein, Steine rollten oben.
„Vorsichtig!“, fügte Kieselpfote hinzu.
Flach an den Stein gepresst richtete ich mich auf den Hinterpfoten auf und krallte mich hinter den Steinvorsprung. Die Steine schabten gefährlich aneinander, als ich mich an ihnen hochzog. Kieselpfote packte mich mit den Zähnen am Nackenfell und zerrte mich auf den Stein. Kaum hatte ich Halt gefunden, fing sie schon wieder an, unseren Ausgang zu erweitern. Ich blickte schräg nach oben. Kieselpfote hatte sich bereits an die Oberfläche gearbeitet. Vorsichtig tastete ich mit den Pfoten nach dem besten Halt.
„Beeil dich!“ Kieselpfote sah beunruhigt aus. „Ich glaube, ich rieche Streuner.“
Kräftig stieß ich mich ab und baumelte in der Luft über den scharfkantigen Steinen. Kieselpfote beugte sich herunter und zog mich hoch. Keuchend landete ich im Gras. Wir hatten es geschafft! Wir hatten es tatsächlich geschafft!
„Was jetzt?“, keuchte Kieselpfote erschöpft, während sie anfing, ihre Wunde am Fuß zu lecken. Sie hatte angefangen, zu bluten.
„Ich hole Spinnenweben. Weißt du noch, was gegen Wunden hilft?“
„Beinwell, glaube ich.“
Ich prüfte die Luft, konnte aber keine Gerüche der Kräuter entdecken. „Hier sind keine Kräuter. Ich hole erst einmal Spinnenweben.“
„Gehe nicht zu weit weg“, hauchte Kieselpfote, während sie sich auf die Seite legte und erschöpft die Augen schloss. Ich fand Spinnenweben in einem dichten Dornenbusch und legte sie vorsichtig auf Kieselpfotes Wunde. Gleich darauf fand ich einige Mohnsamen.
„Iss sie“, murmelte ich und legte Kieselpfote einige von den Samen hin, die sie schwach aufleckte. Sie atmete die Luft tief durch die Nase ein.
„Ich rieche Streuner. Wir…wir müssen…wei…weiter.“
Ich sah mich verzweifelt um. Sie hatte Recht. Die Streuner kamen näher. Wie hatte Klaue nur unser Entkommen bemerkt?
Mit gesträubtem Fell wirbelte ich herum. Ich sprang über das holprige Gestein, das durch den Einsturz des Tunnels zu Tage getreten war. Ich würde kämpfen, um uns zu verteidigen. Über das aufgebrochene Erdreich kamen Katzen auf uns zu.
Ich wollte schon auf sie zustürmen, als ich sie erkannte.
„Sturmpfote!“ Mit freudigem Gesichtsausdruck kamen Steinpfote und Rindenpfote auf uns zu
„Wie…ihr seid hier? Warum…warum stinkt ihr nach Streunern?“
Rindenpfote grinste. „Eine grandiose Idee meiner Schwester. Wir haben uns gegen den Wind an ihr Lager geschlichen und uns dort schon gründlich in ihrem Dreck gewälzt.“
Ich rümpfte die Nase. Genauso rochen die beiden.
„Wo ist Kieselpfote?“, kam Steinpfote auf den Punkt. Mit dem Schwanz wies ich in ihre Richtung. Kieselpfote hatte sich vorsichtig aufgerichtet und humpelte ihnen entgegen. „Für die Streuner habe ich immer ein paar Krallen parat.“ Rindenpfote nickte. „Wir haben schon genug Zeit verloren!"
„Sie Streuner patrouillieren in der gesamten Steppe und bei den Büschen. Wir waren bei der Furt, aber die ist unpassierbar, die Zweibeiner haben dort ein Lager aufgeschlagen und scheinen etwas zu bauen“, rasselte Steinpfote ohne Punkt und Komma herunter. „Die Grenzen in der Steppe werden streng bewacht. Der sicherste Weg ist der über den Donnerweg Richtung Grasland. Von dort aus wäre es das Beste, in das alte SteppenClan-Lager zu reisen, ich glaube nicht, dass die Streuner sich dort eingenistet haben.“
„Wenn wir Glück haben, finden wir Spuren des SteppenClans“, fügte Rindenpfote hinzu. „Danach müssen wir querfeldein über die Steppe zu den Bergen fliehen.“
„Das ist gefährlich!“, gab Kieselpfote zu bedenken. „Wir kennen die Steppe doch gar nicht! Was ist, wenn wir den Zugang zu den Bergen verpassen oder uns verirren?“
„Wir müssen unser Bestes geben!“, miaute ich. „Wir müssen anfangen, wie Krieger zu denken und so zu handeln.“ Ich bemerkte, dass wir dies schon lange taten. Wir haben im Kampf gegen die Streuner unsere Ausbildung so gut wie abgeschlossen. Stolz und voller Vorfreude dachte ich daran, dass Fuchsstern womöglich unsere Kriegerzeremonie vorverlegen würde.
„Was machen wir, wenn wir auf eine Patrouille treffen?“, fragte Kieselpfote besorgt.
„Das, was wir bisher immer gemacht haben!“, entschied ich. „Nur härter und ohne Gnade.“
„Sturmpfote!“, rief Rindenpfote erschocken aus.
„Wir müssen sie nicht gleich umbringen, ihnen nur unsere Krallen zeigen.“
Kieselpfote ließ ihr Gebiss blitzen. „Wir zeigen ihnen zum letzten Mal, was es heißt, sich mit Clan-Kriegern anzulegen!“
Krieger! Das Wort setzte heiße Gefühle in mir in Gang. Wir waren BlattClan-Krieger. Uns fehlten nur noch die Namen.
„Für die Treue zum SternenClan“, murmelte ich vor mir hin.
„Für die Treue zum SternenClan“, wiederholte Kieselpfote mein Motto.
„Für die Treue zum SternenClan!“, riefen Rindenpfote und Steinpfote aus. Der Gestank des Donnerweges empfing uns wie ein Tor in die Freiheit.
„Jetzt!“, kommandierte Kieselpfote. So schnell wie wir konnten flitzten wir auf die andere Seite des Donnerweges. Das würde es den Streunern erschweren, uns zu fangen. Ich erreichte den Rand des Donnerweges gerade noch rechtzeitig, bevor ein Monster dröhnend an mir vorbeiraste und mich mit Staub überhäufte.
„Das verdeckt wenigstens unseren Geruch“, murmelte Kieselpfote angewidert, während sie das Wasser aus ihrem Fell schüttelte, das sich festgezogen hatte, als sie durch eine tiefe Pfütze lief. Wir setzten uns wieder in Bewegung und folgten, wie abgesprochen, dem Verlauf des Donnerweges. Sonnentief hatte längst eingesetzt.
„Wir müssen eine Pause machen“, miaute Rindenpfote erschöpft. „Ansonsten fallen wir noch von den Pfoten!“
Zustimmend nickte ich. „Wenn wie den Streunern begegnen, sollen sie uns bei vollen Kräften erfahren.“
„Da drüben ist eine Kuhle!“, miaute Steinpfote. „Dort können wir uns sicher ausruhen.“
Ich prüfte die Luft. „Hier waren schon lange keine Katzen mehr. Ich denke, der Ort ist sicher.“
„Wir sollten trotzdem eine Nachtwache aufstellen“, entschied Rindenpfote. „Ich übernehme die erste.“
Steinpfote nickte. „Wecke mich, wenn der Mond am höchsten steht. Dann löse ich dich ab.“
Kieselpfote stieß ein schmerzvolles Miauen aus. Erschrocken wandten wir uns um. „Ist es deine Pfote?“, erkundigte ich mich besorgt.
„Ich…bin auf etwas getreten!“, zischte sie. Der Schorf war aufgerissen, Blut quoll aus der Wunde. Kieselpfote legte sich kurz ins Gras und fing an, ihre Verletzung zu lecken.
„Ich hole Mohnsamen“, miaute Steinpfote und flitzte auf die Wiese hinaus, bevor Kieselpfote protestieren konnte. Sie legte sich in das kühle Gras.
„Ich möchte nicht, dass ihr mich alle so bemitleidet.“
Rindenpfote schnurrte belustigt. „Keine Sorge, sobald du wieder auf allen Vieren stehen kannst, fangen wir an, dich ohne Gnade herumzuscheuchen.“
Ich konnte ein Schmunzeln nicht unterdrücken, was mir einen spielerischen Klaps von Kieselpfotes Schwanz einbrachte. „Und schon geht es ihr besser?“, fügte ich hinzu.
„Wenn das die Art ist, wie ihr untereinander verkehrt, wenn ihr verwundete Kameraden habt wird es höchste Zeit, dass wir unserem Clan wieder beitreten!“, beschwerte sich Steinpfote mit einem Maulvoll Mohnsamen und Spinnenweben. „Ich habe dort hinten schalen Hundegeruch entdeckt!“, fügte sie hinzu. „Vielleicht war es nur ein Zweibeiner mit seinem Hund, aber wir sollten trotzdem die Augen offen halten.“
Kieselpfote leckte die Mohnsamen auf. „Wehe, irgendwas stört diese Nacht!“, brummte sie und schlief langsam ein. Auch ich legte mich gähnend hin und genoss den Frieden eines tiefen Schlafes.
"Sage bitte nicht, dass es schon wieder Probleme gibt!“, stöhnte ich, als ich mich im Traum erneut auf der windzerzausten Steppe ohne Katzen wieder fand.
„Sie haben eure Spur aufgenommen“, berichtete Springstern wider mein Flehen. „Noch vor Sonnenhoch werden sie bei euch sein.“
„Das ist nicht alles“, las ich laut aus dem Gesicht des SternenClan-Kriegers.
„Schneejunges und Kastanienjunges stecken in Schwierigkeiten. Ich weiß nicht, ob dein Hauskätzchenfreund ihnen helfen kann.“
„Er heißt Sonko“, warf ich ein, wonach ein verlegendes Kribbeln meinen Pelz durchfuhr. Hatte ich mich schon so sehr an die Gegenwart des Katers gewöhnt, dass ich vergaß, wen ich vor mir hatte?
„Verzeihung, ich vergesse seinen Namen immer wieder“, entschuldigte sich Springstern, „wird wohl Zeit, dass er einen richtigen Clan-Namen bekommt. Sie haben sich in den Bergen verirrt. Ich habe versucht, sie zu erreichen, aber sie scheinen taub für meine Hilfe zu sein. Wahrscheinlich, weil sie mich nicht kennen. Eine andere Katze muss ihnen den Weg weisen. Eine, der Sonko vertraut.“
Ein Einfall kam mir. „Regen!“
„Ich soll Sonko die Nachricht bringen?“
Ich wirbelte herum und begrüßte meinen Bruder mit einem herzhaften Nasenstupsen. „Du musst es ihm sagen, bitte.“
„Natürlich, werde ich es“, miaute Regen. „Doch wo soll ich Sonko hinführen? Ich habe keinen Schimmer, wo eure Clans stecken.“
„Gibt es vom SteppenClan-Territorium einen Zugang zu den Bergen?“
Kurz kam der vertraute Nebel auf. Als er sich lichtete, befanden wir uns am Rand einer ansteigenden Felslandschaft, die nach wenigen Katzenlängen steil in die Berge führte. Ich deutete zu einem Vorsprung oben auf dem Berg.
„Führe ihn dorthin und sage, er soll mit den Jungen auf uns warten.“
„Lasst nicht zu lange auf euch warten!“, miaute mein Bruder zum Abschied und verschwand.
„Du musst zurück“, befahl Springstern. „Die Streuner haben eure geplante Route abgesichert. Wenn ihr schnell zu den Bergen wollt, müsst ihr querfeldein auf die Anhöhe zu.“
Ich nickte. „Ich werde dich nicht enttäuschen.“
Schon riss ich im Schlaf die Augen und hatte mit einem lauten Jaulen meine Clan-Gefährten geweckt.
„Was…was ist?“, fragte Steinpfote verschlafen.
„Sie haben uns entdeckt!“, keuchte ich atemlos. „Wir müssen sofort zu den Bergen und…“
Ich fuhr zusammen, als Rindenpfote mit einem Fauchen aufsprang. Der Geruch der Angreifer wehten voraus. Selbst Kieselpfote kam knurrend auf die Pfoten.
„Versucht nicht, mich umzustimmen!“, wies sie uns an. „Ich habe immer noch drei andere Pfoten!“
„Wir müssen fliehen!“, jaulte ich entsetzt, als ich den Geruch erkannte. Doch zum Fliehen war es bereits zu spät.
Er war riesig. Nicht so groß wie ein Dachs aber trotzdem riesig. Mindestens zweimal so groß wie eine Katze. Der flammenfarbene Pelz loderte wie Feuer im Kontrast zu den sachten Grün de umliegenden Wiesen. Schneeweiße Zähne blitzten im fahlen Mondlicht, als der Fuchs mit einem gefährlichen Knurren auf uns zusprang. Meine Wahrnehmung schien wie gebannt. Ich sah nur noch dieses titanische, rote Ungeheuer, das mit dichtem gestäubten Pelz auf uns zujagte, bereit, Katzen zu töten, um zu fressen. Hungrig war er, denn trotz des muskulösen Körpers stachen Rippen durch seinen Pelz. Wie durch einen Schleier sah ich den Fuchs näher kommen. Er hatte mich fixiert.
Mit einem Hechtsprung zur Seite brachte ich mich aus der Ziellinie. Ich landete auf den Pfoten und wirbelte herum, wobei ich mit den Krallen nach dem Ungetüm schlug, allerdings nicht einmal seinen Pelz traf. Mit funkelnden Augen schoss sein kegelförmiger Kopf auf mich zu. Ich warf mich zu Boden, spürte die Zähne des Fuchses unmittelbar neben mir zusammen schnappen. Das Biest wollte nachsetzen, wurde aber von Rindenpfote und Kieselpfote abgelenkt. Rindenpfote hatte sich in seine Hinterpranke verbissen und rüttelte mit aller Kraft an dem Bein. Steinpfote war dem Fuchs mit ausgefahrenen Krallen in die Flanke gefallen. Kieselpfote taktierte ihn von der anderen Seite. Ich sprang auf die Pfoten und schlug mit ausgefahrenen Krallen nach dem Fuchs. Durch unsere harte Bedrängung wütend geworden, fing das riesige Tier an, um sich zu beißen. Mit einem Ruck befreite er sich aus Rindenpfotes Griff, während er Kieselpfotes Angriff mit heftigen Prankenschlägen konterte, denen die Kätzin nur mit Mühe ausweichen konnte. Ich zielte und schnappte nach der Kehle des Fuchses, verfehlte sie aber. Steinpfote hatte mit ihrer Attacke mehr Erfolg. Ihre Zähne schraubten sich in den Rücken des Fuchses und rissen tiefe Wunden in seinen Körper. Rindenpfote schnappte erneut nach seiner Pfote, während ich weiterhin das Brustfell des Fuchses mit den Krallen bearbeitete.
Der Fuchs warf sich auf die Seite, Steinpfote konnte gerade noch ausweichen, um nicht von ihm überrollt zu werden. Ich verlor den Halt und ließ los, Kieselpfote wich dem herabsinkenden Körper aus, Rindenpfote tat es ihr gleich. Mit einem Satz kam der Fuchs wieder auf die Pfoten.
„Rennt!“, rief Kieselpfote und bewegte sich trotz ihrer Versetzung schnell auf den Donnerweg zu. Ohne nachzudenken, folgte ich ihr.
„Wartet!“, jaulte Rindenpfote. „Der Donnerweg…“
„Wird den Fuchs aufhalten“, unterbrach ihn Kieselpfote, ihre Worte wurden fast von dem vorbei rennenden Monster verschluckt. Ohne zu schauen, setzte ich über den Donnerweg, obwohl schon das nächste Monster brüllte. Die anderen überholten mich auf halber Höhe. Ich hörte, wie der Fuchs uns folgte. Das Monster war noch zu weit entfernt.
Entschlossen fuhr ich herum und schlug mit den Krallen gegen den Fuchs. Ich traf ihn an der Schulter, seine tödlichen Kiefer verfehlten meine Pfote um Haaresbreite. Das Monster kam näher…
Mit einem Hechtsprung erreichte ich den Rand des Donnerweges. Ich spürte, wie das Monster an mir vorbei raste. Mit einem kreischenden Jaulen wurde der Fuchs mitgerissen. Das Monster stoppte mit quietschenden Pfoten, sein Bauch öffnete sich und ein Zweibeiner stieg aus. Wollte er dem Biest etwa helfen?
Ich konnte nicht länger warten und folgte meinen Freunden in das weite Grasland.
„Der Wind hat Kaninchengeruch zu uns getragen“, keuchte Kieselpfote, als wir anhielten. „Es war tot und lag genau auf der Strecke zwischen uns und dem Fuchsbau.“
„Die Streuner“, knurrte Steinpfote. „Sie wollten uns umbringen und waren sich zu schade, ihre Pfoten schmutzig zu machen.“
„Weil sie wussten, dass wir ihnen das Fell zerrissen hätten“, schlussfolgerte ich. „Da lassen sie die Drecksarbeit lieber andere erledigen.“
„Sieht ihnen ähnlich“, fauchte Kieselpfote mit funkelnden Augen, während sie ihre versetzte Pfote leckte.
„Sie beobachten uns bestimmt“, flüsterte Rindenpfote und sah sich mit ängstlichem Blick um. „Wir sollten so schnell wie möglich abhauen. Ist jemand verletzt? Kieselpfote?“
„Es wird gehen!“, miaute die Kätzin. „Sie fühlt sich schon besser an als gestern.“ Ihr humpelnder Gang strafte ihre Worte Lügen.
„Steinpfote?“
„Nur ein paar Kratzer!“, miaute die Kätzin nüchtern.
„Sturmpfote?“
Ich bemerkte, dass die Wunde an meinem Hinterschenkel wieder aufgerissen war. „Bis zu den Bergen wird es gehen“, miaute ich. „Was ist mit dir? Er hat dich ganz schön an der Schulter erwischt.“
Rindenpfote wies meine Sorgen kopfschüttelnd ab. „Ist schlimmer, als es aussieht.“ An der Stelle fehlten ihm etliche Pelzhaare und etwas Rotes schimmerte hindurch.
„In den Bergen haben wir genug Zeit, uns auszuruhen!“, fuhr Kieselpfote dazwischen. „Jetzt sollten wir uns erst einmal auf den Weg machen, bevor die Flohpelze uns wieder ans Fell rücken.“
„Das tun sie schon“, sagte Rindenpfote tonlos. Ich hörte das Trappeln von Pfoten und den Streunergeruch. Zeitgleich setzten wir uns in Bewegung, als die ersten Köpfe aus dem Gras auftauchten.
Ich flog.
Die weichen Grashalme wehten unter meinen Pfoten hindurch, während meine Pfoten mich sicher und leicht über die Steppe trugen. Ich spürte meinen Auftritt kaum, hörte weder das Keuchen meiner Freunde noch das Miauen unserer Verfolger. Alles, was ich hörte, war mein eigener Atem. Mein eigener, ruhiger Atem. Ich spürte die schnellen Schläge meines Herzens, das meinen rennenden Körper mit Blut versorgte, obwohl mein Atem immer noch ruhig war. Ich atmete schneller als normal, aber nicht hektisch. Säuselnd wehte der Wind an meinen Ohren vorbei. Das wogende Gras schien einladend zu sein, diesem Weg zu folgen. Mein Blick war stur auf die Berge am Horizont gerichtet, die mit jedem Sprung näher kamen. Ich spürte, wie die Luft durch mein Fell fuhr, wie es meine erhitzte Haut abkühlte und mich von Außen aus mit neuer Energie versorgte. Mein Blickfeld weitete sich. Ich sah den Schatten einer riesigen Katze neben mir. Einer goldenen Katze mit schwarzen Flecken, deren kräftige Glieder sie bei jedem Sprung katzenlängenweit über das Gras katapultierte. Der sehnige Körper war zum jagen geschaffen, der schlanke, lange Schwanz peitschte durch die Luft, Sehnen und Muskeln zeichneten sich unter dem schillernden Fell ab. Der LeopardenClan-Krieger wachte über uns bei unserer Flucht und er war nicht allein. Eine weitere Katze gesellte sich neben ihn. Das goldenbraune Fell glänzte machtvoll, während die leuchtende, wie Feuer glänzende Mähne durch den Wind wehte. Ich sah die riesigen Zähne des Löwen, die wie Kristalle im Licht des Dreiviertelmondes funkelten. Der Boden schien unter dem Aufprall seiner mächtigen Pfoten zu erzittern. Die Katzen bekamen Gesellschaft. Eine gigantische Gestalt sprintete an ihre Seite. Goldenes, mit pechschwarzen Streifen durchsetztes Fell wehte in dem Wind des Laufes. Riesige Pfoten wehten über das Gras. Die runden, schwarzen Ohren des Tigers legten sich an den großen Kopf, auf dessen Stirn Querstreifen prangten. Ich sah die blitzenden, weißen Krallen der Riesenkatze. Die Großen Clans liefen mit uns. Ihre Eigenschaften waren in uns vereint und wir würden sie bis ans Ende aller Zeiten lebendig halten. Wenn wir unsere Clans zurückholen konnten.
Die anderen schienen die Katzen auch gesehen, oder zumindest ihre Gegenwart gespürt haben. Kieselpfote beschleunigte ihren Lauf, wie ein weißer Blitz, ihre Pfotenverletzung schien gar nicht mehr zu existieren, Rindenpfote spornte seinen Körper zu Höchstleistungen an, während Steinpfote mit einer Schnelligkeit über das Grasland rannte, dass ihr graues Fell wie das Gras geweht wurde. Ohne zurückzuschauen spürte ich, wie wir die Streuner abhängten. Neue Kraft glühte in meinen Adern auf. Die Berge rückten näher.
„Sie geben auf!“, jubilierte Steinpfote. „Wir hängen sie ab. Sie fallen zurück. Die ersten sind schon stehen geblieben!“
Mein Herz machte einen freudigen Satz. Endlich, nach all den Kämpfen, nach den Intrigen der Streuner, dem Pläneschmieden, den Fluchen und Jagden, konnten wir beenden, wofür wir aufgebrochen waren.
„Vorsicht!“, warnte Kieselpfote, die vorne lief. „Es wird steinig.“
Das Hochland, das das Gebirge einleitete. Ich spürte Steine unter meinen Pfoten. Nie hatte ich diese Störenfriede, die einen beim Laufen hinderten und die Jagd erschwerten, herzhafter begrüßt. Nur wenige Pflanzen kämpften sich durch das feindliche Gelände. Wir drosselten unser Tempo und verfielen keuchend in einen leichten Trab. Von Weiten glaubte ich, einen Felsvorsprung an der ansteigenden Bergswand zu erkennen. Ob Sonko schon auf uns wartete?
„Wenn wir mit den Clans zurückkommen, werden die Streuner keine so große Klappe mehr haben!“, brüstete sich Steinpfote.
Ich schnurrte belustigt. „Clans können sie in die Flucht schlagen, aber mit einer Handvoll Schüler werden sie nicht fertig.“
„Weil vier Katzen schwerer zu finden sind, als ein ganzer Clan!“, miaute Kieselpfote.
„Hey!“ Rindenpfote versetzte ihr einen spielerischen Klaps mit dem Schwanz. „Ergreifst du gerade Partei für diese dämlichen Fellbälle?“
„Nie im Leben!“, verteidigte sich Kieselpfote mit gespielter Entrüstung. „Ich verdeutliche nur, wie schlecht sie mit ungeahnten Problemen fertig werden.“
Trotz unseres angespannten Zustandes sorgte Kieselpfotes Witz für Heiterkeit.
„Ich sehe schon den Vorsprung“, freute ich mich und fing wieder an zu laufen. Die anderen folgten. „Bald werden wir den BlattClan wieder sehen und…“ Ich erstarrte. Der Wind wehte schräg von den Bergen zu uns hinunter und brachte einen unangenehmen Geruch mit. Auch Kieselpfote erstarrte, Rindenpfotes Augen weiteten sich vor Angst und Steinpfote fing an, zu knurren. Mein Herz raste wieder wie verrückt. Langsam, mit schneller werdendem Atem wandte ich mein Gesicht zu den Bergen. Auf der Felsnase, auf der wir Sonko, Kastanienjunges und Schneejunges erwartet haben, stand ein großer, roter Kater und sah mit funkelndem Blick auf uns herab. Klaues vernarbtes Gesicht zeigte sich ein Stück neben ihm im Hintergrund, Zorn und Genugtuung spiegelten sich in seinem hämischen Grinsen. Er hatte die Krallen ausgefahren und fixierte uns wie ein Jäger seine Beute.
Blut erwartete uns mit derselben, unheimlichen Ruhe, die Graufell vor einer gefühlten Ewigkeit das Leben gekostet hatte. Die Wunden, die Steinpfotes Krallen hinterlassen hatten, waren entweder verheilt oder gegen das Sonnenlicht nicht zu sehen. Seine orangefarbenen Augen hielten uns gefangen.
„Wir werden also nicht mit ungeahnten Problemen fertig“, wiederholte Graufells Mörder mit einer unheimlichen Ruhe. „Ich muss sagen, ein wirklich großes Problem ward ihr nie.“
Die Streuner hatten sich gegen den Wind angeschlichen. Sie tauchten wie aus dem Nichts auf. Überall um uns herum wuchsen zerzauste Katzenköpfe aus dem Gras. Wir stellten uns Rücken an Rücken unseren Feinden gegenüber. Doch die Wahrheit war unabwendbar: Wir waren in eine Falle gelaufen. Und niemand wird uns jetzt helfen. Nicht einmal Sonko, denn von ihm war keine Spur zu sehen. Ich hörte Kieselpfote neben mir knurren.
„Wenn ihr glaubt, dass ihr leicht mit uns fertig werdet, habt ihr euch gehörig getäuscht! Wir werden uns nicht kampflos geschlagen geben!“
Mit einem unheimlichen Knurren ließ sich Klaue von dem Stein gleiten. Sein Pelz war gesträubt, Wut glühte in seinen Augen wie Feuer. Seine Stimme war ein tödlich klingendes Flüstern, als er sprach. „Genau das, haben wir gehofft.“
Ich sah, wie die Streuner mit bedrohlicher Körperhaltung näher kamen. Angst kroch kalt in mir hoch und drohte, mein Herz zum Stillstand zu bringen. Ich bemerkte, wie ich mich verzweifelt nach dem Löwen, den Leoparden und dem Tiger umschaute, die mir in der Vision begegnet sind. Nichts. Der StenenClan hatte sein Territorium ein für alle Mal verlassen. Wir waren allein.
„Sie wollen uns verunsichern!“, flüsterte Steinpfote. Wie Füchse krochen die Katzen um uns herum, zögerten den Angriff heraus, spielten mit unserer Geduld wie Jungen mit Mooskugeln. Ich spürte, wie ich nach Springstern oder Regen oder einer anderen SternenClan-Katze Ausschau hielt. Nichts. Sie hatten ihr altes Territorium verlassen.
Der Kreis um uns zog sich enger zusammen. Mir war völlig klar, dass nicht alle der Streuner gegen uns kämpfen würden. Einige würden sich zurück halten, um uns aufzuhalten, für den unmöglichen Fall, dass wir ihre Reihen durchbrechen könnten. Sie brauchten nur das doppelte oder Dreifache unserer Anzahl, um uns für immer zum Schweigen zu bringen. Ich musste der Wahrheit unweigerlich ins Auge sehen: Wir waren verloren!
Nein! Das konnte nicht sein! Nicht nach allem, was wir durchgemacht haben. Nicht nach allem, was wir uns vorgenommen hatten. Wir waren Clan-Katzen! Wir gaben nicht auf!
„Wie sollen wir vorgehen?“, hauchte Kieselpfote so leise, dass wir sie gerade noch hören konnten.
Ja, wie? Ich hatte keinen Schimmer. Rindenpfote schon.
„Wir dürfen keine Angst zeigen!“, miaute der braune Kater. „Bleibt immer zusammen. Wir dürfen uns nicht aus den Augen verlieren. Ich passe auf Kieselpfote auf, Kieselpfote, du behältst Sturmpfote im Auge, Sturmpfote, beobachte Steinpfote, und du hältst dich an mich. Und hört auf, so zu zittern!“
Das war leichter gesagt als getan. Jeder hielt sich an die Seite des Nachbarn. Aber wenn einer von ihnen fehlte.
„Wir sind Clan-Katzen!“, zischte Kieselpfote mir zu, der der Geruch meiner Angst förmlich die Luft abschneiden musste. „Also verhalten wir uns wie Clan-Katzen. Für die Treue zum SternenClan.“
„Für die Treue zum SternenClan.“, pflichtete Rindenpfote ihr bei.
„Für die Treue zum SternenClan.“, miaute Steinpfote mit fester Stimme.
Ich spürte, wie sie mich ansahen. Doch ich bekam kaum die Zähne auseinander.
„Komm!“, zischte Steinpfote. „Raus damit!“
„Für die Treue zum SternenClan!“, rief ich laut aus. Meine Angst schien zu verfliegen, das Hohngelächter der uns umzingelnden Katzen spornte mich weiter an.
Wir werden sehen, wer zuletzt lacht!
Der Kampf begann.
Ich wunderte mich, was einer Katze in ihren letzten Augenblicken klaren Denkens durch den Kopf gehen konnte. Gesichter wirbelten vor meinem inneren Auge umher. Regen, meine Mutter. Ich sah, wie ich als Junges mit meinem Bruder spielte. Ich sah Sonko als dickes Hauskätzchen und später auf unserer Reise. Graufell, kurz vor seinem Tod. Steinpfote, wie sie mit ihrer Mentorin Aschenhauch auf mich zu rannte, Eichenblitz, der Zweite Anführer des BlattClans, Fuchsstern, Rindenpfote, Goldtupf, unsere Heilerin, meinen Mentor Birkenkralle. Ich sah die Stelle in meiner Erinnerung, als ich mit Rindenpfote Freundschaft geschlossen hatte. Dunkelpelz, Schattenglanz und die anderen Krieger. Tigerzahn, Vogelpelz, Moorpelz und Mausschweif, die Ältesten. Rennwind, Moospelz und Elsterfeder bei ihrer Kriegerzeremonie, Goldtupf und Taubenpfote, Kieselpfote bei ihrer Ernennung zur Schülerin.
All das flitzte vor meinem inneren Auge umher. Dafür lebte ich. Dafür würde ich kämpfen!
Mit gefletschten Zähnen warf ich mich der ersten Katze entgegen, die es wagte, ihre Krallen gegen mich zu erheben. Die Wucht meines Angriffs schien den Streuner zu verwirren, ohne Schwierigkeiten konnte ich ihn zu Boden ringen. Ich ließ von ihm los, als ich aus dem Augenwinkel eine weitere Bewegung wahrnahm. Ein harter Stoß riss mich von den Pfoten. Auf dem Boden aufgekommen, spürte ich Krallen, die sich in meinen Rücken gruben. Ich fuhr herum und biss zu. Mein Angriff ging ins Leere. Ich setzte nach. Die Katze sah meinen Angriff voraus und ließ ihr Gewicht auf mich fallen. Ich wurde von ihr zu Boden gedrückt, schlug wild um mich, ohne irgendetwas zu treffen. Mit der Pfote drückte die Katze meinen Kopf zur Seite und zielte mit den Zähnen gegen meine Kehle. Im letzten Moment bekam ich eine Pfote frei und schlug nach ihrem Gesicht. Meine Krallen hinterließen tiefe Kratzer. Die Katze zog ihren Kopf zurück, Blut spritzte mir ins Gesicht. Diese Chance nutzte ich und schlüpfte durch die Lücke. Mit den Hinterpfoten trat ich die Katze zur Seite, doch bevor ich mich aufrichten konnte, durchfuhr ein scharfer Schmerz mein verletztes Bein. Laut jaulte ich auf. Grelle Lichter explodierten vor meinen Augen, ich spürte am Rande meines Bewusstseins, wie die Wunde erneut aufriss. Blind schlug ich nach meinem Peiniger. Ich spürte Fell unter meinen Pfoten, konnte aber kaum Schaden anrichten. Das Gebiss, das mich festhielt, schüttelte sich. Ich verlor den Halt, stürzte auf den Boden. Ein Schatten senkte sich über mich. Ich sah nur noch verschwommene Schemen. Blind vor Panik schlug ich nach dem Schatten, der alles versuchte, um seine Zähne in meine Kehle zu bohren. Endlich bekam ich mit beiden Krallen seinen Kopf zu packen und bohrte sie in den Schädel, den ich fest im Griff hielt. Wild riss ich die Katze herum und fiel dann auf die, die mein Bein festhielt. Meine Zähne bohrten sich durch dichtes Fell. Ich spürte eine scharfe Erleichterung, als er von mir losließ und jaulend verschwand. Mein Blickfeld nahm wieder seine gewohnte Weite an.
Wo waren die anderen? Ist Rindenpfotes Plan fehlgeschlagen? Wo war Steinpfote?
Ich entdeckte die Kätzin weit von mir entfernt. Sie riss gerade einen Streuner zu Boden, ohne zu bemerken, dass sie jemand von hinten fixierte. Ich wollte ihr zu Hilfe kommen, doch zwei riesige Katzen versperrten mir die Sicht.
Alles verlief unglaublich schnell. Krallen und Zähne überall. Tausende Nadeln schienen sich in meinen Pelz zu bohren. Wo ich auch hinsah, überall waren Feinde. Die Angst kehrte zurück. Meine Glieder wurden steif, etwas pochte in mir, schnürte mir die Luft ab, drohte, mich von innen zu erdrosseln. Die grellen Punkte vor meinen Augen kehrten zurück. Wild sah ich mich um. Meine Clan-Gefährten waren verschwunden. Ich sah nur noch Streuner, die mir nach dem Leben trachteten. Zähne packten mich an der Kehle und drückten zu.
Ich war zu erschöpft. Ich konnte mich nicht mehr wehren. Schwach schlug ich mit der Pfote nach dem Kopf der Katze, die mir die Luftröhre abzuschneiden drohte. Die Zähne bohrten sich quälend langsam durch mein Fell. Alles verlief langsam und träge. Die Katzen schienen sich in Zeitlupe zu bewegen. Ich sah, wie Kieselpfote, die mich anscheinend ebenfalls aus den Augen verloren hatte einen quälend langsamen Schlag gegen den Kopf eines Streuners führte und diesen verfehlte, während eine andere Katze sie von hinten ansprang. All das sah ich mit unnatürlicher Klarheit, während mich mein Lebenswillen langsam aber sicher verließ. Alles schien elend langsam zu verlaufen. Nur eine Katze bewegte sich mit normaler Geschwindigkeit. Weit ab von den Kämpfen. Bei den Bergen.
Ich sah gegen das Sonnenlicht nur eine dunkle Silhouette, die auf dem Vorsprung erschien und die Muskeln zum Sprung spannte. Goldenes Licht umflutete den dunklen Körper, der wie aus der Sonne getreten schien. Lichtumflutet segelte die Katze auf die Ebene herab. Sie schien zu schweben. Ihr wildes Miauen klang wie in weiter Ferne. Ich benötigte eine gefühlte Ewigkeit, bis ich das Signal erkannte.
„BlattClan! Angriff!“, jaulte Fuchsstern, als sie auf dem Rücken einer Streunerin landete, die Rindenpfote zu Boden gedrückt hatte. Ihr Pelz loderte im Licht der Sonne, aus dem sie eben noch herausgekommen zu sein schien wie Feuer. Gegen das orangefarbene Licht der Sonne erschienen weitere Gestalten und segelten von den Bergen hinab auf die Hochebene. Der BlattClan hatte uns wieder gefunden.
Es ging alles so schnell. Ich erkannte Blütennase und Flammenschweif unter den Katzen. Auch Elsterfeder befand sich in der ersten Reihe. Ich hätte nie gedacht, dass ich mich einmal freuen würde, den schwarz-weißen Kater wieder zu sehen, der mich noch während seiner Schülerzeit regelmäßig spüren ließ, was er von Einzelläufern hielt. Der Anblick meines Clans gab mir neue Kraft. Mit einem harten Schlag lockerte ich den Biss des Streuners und warf mich wütend knurrend auf ihn. Die anderen Streuner, die das plötzliche Auftauchen des Clans nicht ganz verarbeiten konnten, ließen von mir ab und starrten den heran stürmenden Katzen entgegen. Überall fielen Körper übereinander her. Ich erkannte eine Lücke in den Streunern und nutzte die Gelegenheit zur Flucht. Gehetzt rannte ich dem Clan entgegen, während die Streuner anfingen, die Flucht zu ergreifen. Ich sah Kieselpfote, die von Dunkelpelz, ihrer Mentorin, gestützt auf die Berge zu humpelte. Eine schwarz-weiße Katze sprang auf mich zu. „Sturmpfote!“
Mein Herz machte einen freudigen Satz. „Sonko!“
„Wer bitte schön ist das?“, miaute der Kater. „Mein Name ist Eschenpfote!“
Glück durchflutete meinen Kopf. Sie hatten ihn im Clan aufgenommen!
Steinpfote stieß mich vorwärts. „Los! In die Berge!“
„Wir haben euch vermisst!“, hörte ich Rennwind neben mir miauen, die mich als Begrüßung mit ihrem Schwanz berührte. Der Weg stieg an. „Lebt ihr in den Bergen?“
Rennwind nickte. „Wir haben dort ein provisorisches Lager errichtet, bis wir bereit sind, zurück zu kommen.“
„Was…“ Meine Rage wurde von Eichenblitz unterbrochen, der uns überholte. „Hört auf, zu schwatzen, ihr seid die letzten, dafür habt ihr später noch Zeit!“
Ich bemerkte, dass wir am Ende des Clans liefen. Rennwind verschwand aus meinem Sichtfeld. Ich wollte beschleunigen, als mich etwas am Schwanz packte und grob zurückriss. Fauchend fuhr ich herum. Klaue riss mich mit einem Ruck von den Pfoten, ich grub meine Krallen in sein Fell. Uns wild überschlagend purzelten wir den Abhang hinunter. Über mir jaulten die Clan-Katzen erschrocken auf.
„Ich habe gesagt, dass ich dich kriege!“, fauchte der Kater mich an. Wut glühte in mir auf. Er gab immer noch nicht auf. Er würde nie aufgeben.
„Ich treffe meine eigenen Entscheidungen!“, fauchte ich ihn an und packte seine Kehle bei den Zähnen. Entsetzt und überrascht kreischte der Kater auf. Ich spürte, wie er versuchte, mich abzuschütteln, mit den Krallen aus dem Fell zu pflücken wie einen lästigen Floh. Ich hätte nur ein wenig fester zudrücken sollen und…
Entsetzt ließ ich los. Mit einem Fauchen brachte sich Klaue außer Reichweite. Blut troff von seinem Hals. Es hätte nicht viel gefehlt und ich hätte ihn getötet!
Der Kater hatte sich schneller wieder gefasst als ich. Er spannte seine Hinterbeine an und schnellte auf mich zu. Gelbe Fänge blitzten vor mir auf.
Mit einem wilden Schrei warf sich Steinpfote in die Flanke des Katers und stieß ihn aus der Flugbahn. Rindenpfote griff von der anderen Seite an und brachte Klaue vollends aus dem Gleichgewicht. Er bemerkte den Abgrund erst, als es schon zu spät war.
Als Steinpfote realisierte, was sie gerade taten, griff sie nach Klaues Pfoten, verfehlte diese aber. Mit einem wilden Kreischen sah ich den Kater den Anhang hinunter stürzen. Fuchsstern und Eichenblitz liefen an mir vorbei zu dem Vorsprung. Der ganze Clan schien zusammen zucken, als Klaues Körper mit einem hässlichen Knacken auf dem Boden aufkam.
Wir hatten ihn getötet! Es war keine Absicht gewesen und Klaue hätte den Tod verdient, aber dennoch traf mich diese Erkenntnis wie ein Blitz. Wir hatten eine Katze getötet!
Der Weg über die Berge war steinig und rau. Ich glaubte schon bald zu spüren, wie meine Ballen von den Steinen aufgerissen und blutig wurden. Doch um sie zu lecken war keine Zeit. Wir mussten zurück zum Clan.
Der Weg fiel steil ab, als wir über die Berge liefen. Es tat gut, wieder den Geruch vertrauter Katzen um mich zu haben. Eschenpfote lief direkt neben mir.
„Wir werden bald da sein. Die Anderen werden Augen machen, wenn wir euch mitbringen. Die Ältesten haben dich schon vermisst, Sturmpfote.“
Der Gedanke an die vier alten Katzen weckte Erinnerungen in mir. „Wie geht es ihnen?“
„Tigerzahn erzählt seine Geschichten, Vogelpelz meckert an allem und jedem herum und Mausschweif döst den ganzen Tag vor sich hin und lässt sich verwöhnen.“
Ich schnurrte belustigt. Es war also wie immer. „Was ist mit Moorpelz?“
„Er hat den Kampf mit den Streunern nicht überstanden“, hörte ich Blütennase neben mir miauen. Ein Stich bohrte sich in mein Herz, ich musste schlucken. Der sanfte Älteste war mir ans Herz gewachsen. „Wer…wer noch?“ Es kostete mir unheimliche Überwindung, diese simple Frage zu stellen.
„Dornenschweifs Junge. Sie hatte vier. Feldjunges ist die einzige, die überlebt hat.“
Mir wurde übel. Jungen! Wie weit würde es noch kommen?
„Sie kümmert sich nebenbei um Schneejunges und Kastanienjunges.“
„Was ist mit dem SteppenClan?“ Die Frage brannte mich auf der Zunge. „Habt ihr sie gefunden?“
„Wir haben Geruchsspuren entdeckt“, antwortete Eschenpfote. „Aber gesehen haben wir sie noch nicht. Fuchsstern möchte nach ihnen suchen lassen.“
„Wir wollen zusammen in den Wald zurück“, fügte Moospelz hinzu, der sich zu uns gesellt hat. „Aber bisher sind die Patrouillen mit leeren Pfoten zurück gekehrt.“
„Sturmpfote.“ Blütennases Stimme war voller Trauer und Mitleid. „Das waren nicht die einzigen Verluste. Birkenkralle ist im Kampf mit den Streunern gestorben.“
Ich hatte den Schock dieser Nachricht noch nicht überwunden, als wir in das neue Lager traten, dass sich in einer großen Felsengrotte verbarg, in der einige Pflanzen wuchsen. Aus engen Tunneln kamen Katzen hervor. Ich sah Dornenschweif mit einem winzigen, hellbraunen Junges, das gerade laufen konnte. Die Ältesten kamen nacheinander aus den Löchern. Sie schienen erschöpft und mitgenommen. Katzen sahen uns mit großen Augen an und aus einem weiter hinten liegenden Bau, aus dem der Geruch von Kräutern strömte, rannte Taubenpfote auf uns zu.
Kieselpfote stürmte an mir vorbei, um ihre Schwester zu begrüßen. Von allen Seiten hörte ich unsere Namen. Ich sah Aschenhauch auf uns zulaufen. Steinpfote sprang auf und begrüßte ihre Mentorin schnurrend. Ich wich jedoch jeder Berührung aus und suchte die Einsamkeit.
„Du hast es schon gehört, oder?“ Das war Vogelpelz, die launische Älteste, deren Stimme nun aber weich und mitfühlend klang. Tröstend legte sie mir ihren Schwanz um die Schultern.
„Ich habe Birkenkralle gekannt, seit er ein Junges war. Er war eine großartige Katze.“
„Und ein toller Mentor“, fügte ich hinzu. Er hatte mich nicht als Clan-unfähigen Einzelläufer abgestempelt.
„Er wacht im SternenClan über uns“, tröstete mich die Älteste. Kurz danach erklang ein vertrauter Ruf, der mir sagte, dass wir zu Hause waren.
„Alle Katzen, die alt genug sind, Beute zu machen, fordere ich auf, sich in der Mitte der Höhle zu einem Clan-Treffen zu versammeln.“
Immer noch mit betrübter Stimmung bewegte ich mich zum Treffen hin. Ich sah Schneejunges und Kastanienjunges aus der Kinderstube hüpfen. Sie setzten sich neben mich.
„Schön, euch wieder zu sehen!“, miaute Kastanienjunges. „Nur noch ein Mond, und wir können Schüler werden!“
„Wenn unser Clan bis dahin wieder auftaucht“, sagte Schneejunges. Eichenblitz weiß sie an, still zu sein, als Fuchsstern die Versammlung eröffnete.
„Kieselpfote, Rindenpfote, Sturmpfote und Steinpfote sind wieder aufgetaucht“, leitete Fuchsstern ihre Rede ein. „Dunkelpelz, du wirst sofort Kieselpfotes Ausbildung wieder aufnehmen. Deine Schülerin hat viel gelernt, ist aber noch zu jung, um ihren vollen Clan-Namen zu erhalten.“ Ich bemerkte den enttäuschten Ausdruck auf Kieselpfotes Gesicht. Taubenpfote stupste sie tröstend an.
„Rindenpfote, Sturmpfote und Steinpfote.“
Es war so weit. Das spürte ich. In jeder Faser meines Körpers vibrierte etwas. Mit steifen Schritten traten wir zu Fuchsstern in die Mitte.
„Ich, Fuchsstern, Anführerin des SteppenClans, rufe meine Kriegerahnen an und bitte sie, auf diese jungen Katzen hinab zu sehen. Sie haben hart gearbeitet, um eure edlen Gesetze zu lernen und sich in vielen Kämpfen bewiesen. Der SternenClan möge sie als Krieger in unserer Mitte willkommen heißen. Rindenpfote, Sturmpfote und Steinpfote, versprecht ihr das Gesetz der Krieger zu achten, den Clan zu schützen und zu verteidigen, selbst wenn es euer Leben kostet?“
„Ich verspreche es“, stieß Rindenpfote hervor.
„Ich verspreche es“, rief Steinpfote laut.
„Ich verspreche es“, hauchte ich mit klopfendem Herzen.
„Dann gebe ich euch mit der Kraft des SternenClans eure Kriegernamen. Rindenpfote, von heute an wirst du Rindenpelz heißen. Der SternenClan ehrt deinen Mut und heißt dich als vollwertigen Krieger in unserem Clan willkommen.“
„Rindenpelz! Rindenpelz!“, wiederholte der Clan, während Rindenpelz Fuchssterns Schulter leckte. Meine Aufregung wuchs.
„Steinpfote“, hob die Anführerin an, „von diesem Augenblick an wirst du Steinkralle heißen. Der SternenClan ehrt deine Entschlossenheit und heißt dich als vollwertige Kriegerin in unserem Clan willkommen.“
Mit leuchtenden Augen leckte Steinkralle die Schulter ihrer Anführerin, während der Clan ihren Namen wiederholte.
„Steinkralle! Steinkralle!“
Ich zitterte am ganzen Körper. Nun kam ich dran.
„Sturmpfote, von diesem Augenblick an wirst du Sturmherz heißen. Der SternenClan ehrt deine Treue und heißt auch dich als vollwertigen Krieger in unserem Clan willkommen.“
Ein unbeschreibliches Gefühl durchdrang meinen Körper, als ich das Ende meiner Kriegerausbildung durch das Lecken an Fuschssterns Schulter besiegelte. Ich fühlte mich heiß und kalt zugleich, während der Clan meinen Namen wiederholte.
„Sturmherz! Sturmherz!“
Ich schien durch den Clan hindurch zu schauen. Am Ende der Höhle sah ich vier Katzen sitzen, die meinen neuen Namen ebenfalls wiederholten. Springstern, Regen, Birkenkralle und…meine Mutter. Ich erkannte sie auf dem ersten Blick. Ein heißes Glücksgefühl durchflutete mich, als ich den Stolz in ihren Augen sah. Ich hatte es geschafft! Ich war ein Krieger!
Obwohl ich todmüde war, hielt mich die Aufregung, der hinter mir liegenden Kriegerzeremonie hellwach. Immer wieder ging ich so die lange zurück liegenden Ereignisse durch. Mein Eintritt in den Clan. Die Ausbildung, der erste Grenzkonflikt mit dem SteppenClan, das Verschwinden des Clans, die Kämpfe mit den Streunern…
Goldtupf und Taubenpfote hatten uns kurz nach unserer Kriegerzeremonie noch notdürftig zusammen geflickt, was dazu führte, dass meine zahlreichen Kratzer nun wie Feuer brannten. In den Bergen hatten sie bisher keine Mohnsamen gefunden.
„Zum Glück“, hatte Taubenpfote mit freundlichem Spott gesagt. „Sonst schlaft ihr noch bei der wichtigsten Nacht eures Lebens ein.“
Dabei war Einschlafen so ziemlich das Letzte, was in dieser Atmosphäre möglich war.
Noch früh in der Nacht jaulte Feldjunges im Schlaf auf und Dornenschweif tröstete sie mit sanfter Stimme. Anscheinend hatte Feldjunges öfter Alpträume von ihren Erlebnissen.
Wut glühte in mir auf. Ein einziges Junges hatte überlebt. Ohne Junge überlebte der Clan nicht, das war ein ungeschriebenes Gesetz!
Ein leichter Wind ließ mich frösteln. Die Dunkelheit der Berge war unheimlich. Im Wald hörte man ständiges Rascheln, die Geräusche von Tieren, die einem zeigen, dass etwas Lebendiges in der Nähe ist. Etwas, was einen behütet. Doch die Berge waren leer. Mir ist aufgefallen, wie mager der Clan war, da es hier wenig Beute gab. Der Frischbeutehaufen in der Mitte des Lagers war ebenfalls winzig gewesen. Man konnte sich dem schwierigen Jagen in den wenigen Büschen der Berge nur schwer anpassen, aber wir waren Clan-Katzen. Wir konnten überleben! Wir mussten überleben!
Ich wurde von einem lauten Schnarchen aus dem Schülerbau aufgeschreckt. Eschenpfote schnarchte mal wieder. Ich sah Rindenpelz aus dem Augenwinkel lächeln. Manches würde sich nie ändern, egal, wo man sich befand. Kieselpfote hatte sich an das Schnarchen ihres neuen Baugefährten gewöhnt, aber ich beobachtete, wie Schattenglanz mit verärgerter Miene aus dem Kriegerbau schaute. Schließlich legten sich Eschenpfotes nächtliche Geräusche wieder.
Ich sah weiter in die Dunkelheit der Berge. Irgendwo dort draußen musste sich der SteppenClan befinden, da war ich mit ganz sicher. Vielleicht konnte ich mich freiwillig zu einer Patrouille melden, um den Clan zu suchen. Ich war jetzt ein Krieger und musste nicht mehr auf einen Mentor hören.
Mein Herz schnürte sich bei dem Gedanken zu. Ja, ich würde den SteppenClan finden und dafür sorgen, dass Birkenkralle nicht umsonst gestorben war!
Ich sah weiter hinaus in die Nacht. Ich bin Sturmherz, Krieger des BlattClans. Ich werde nicht eher ruhen, ehe meinem Clan und dem SteppenClan die Gerechtigkeit gebracht ist, die ihnen zusteht. Bei meiner Mutter, die für mich ihr Leben ließ, bei dem SternenClan, das schwöre ich! Für die Treue zum SternenClan! Ich, Sturmherz, Krieger des BlattClans!
Texte: Alle Rechte liegen bei mir und Erin Hunter
Tag der Veröffentlichung: 13.07.2013
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
An alle Krieger, und solche, die es noch werden wollen.