Die Drossel wollte geradezu, dass ich ihr mit meiner Kralle den Schädel zertrümmerte. Dabei war ich davon ausgegangen, dass allein das Knurren meines Magens sie verjagen könnte.
Mit einem Satz landete ich auf ihr und begrub sie unter meinem Körper.
Es war das erste Stück Fleisch, das ich heute zu Gesicht bekam, abgesehen von einem Stück widerlich schmeckenden Fisch, das mir ein Aufrechtgeherjunges zugeworfen hatte. Umso besser schmeckte es, als ich meine Zähne in das zarte Fleisch bohrte und es in großen Stücken verschlang. Dabei hielt ich Augen und Ohren auf meine Umgebung offen. Die Wilden mochten es nicht, wenn jemand in ihrem Gebiet jagte.
Als das Mal beendet und mein Hunger gestillt war, verscharrte ich die Überreste unter dem dichten Laub, prüfte die Luft und machte mich auf den Heimweg.
Ich schlief auf einem Hof der Aufrechtgeher, wenn mich der Besitzer nicht erwischte, was er fast nie tat. Seine Jungen wollten immer mit mir spielen, doch ich war zu schnell für sie. Auf dem Hof lebte auch Sonko, ein fetter Hauskater, der sich mehr von lahmen, vollgefressenen Mäusen ernährte, als von der Hauskätzchennahrung seiner Aufrechtgeher. Er warnte mich jedes Mal, wenn ich in den Wald lief.
„Dort lebt die Wilden, ein ganzes Rudel von denen. Es heißt, sie töten ihre Eindringlinge und verspeisen sie zum Frühstück.“
Ich hatte gelächelt. „Die Wilden sollen nur einmal versuchen, sich mit mir anzulegen.“ Mit den Worten hatte ich meine Krallen ausgefahren und ein herunterrieselndes Blatt aufgepickt. Meine Mutter hatte mir das Kämpfen beigebracht, bevor sie von einem der riesigen, fahrenden Dosen der Aufrechtgeher zermalmt wurde. Jeden Tag hatten wir kämpfen und jagen trainiert. „Vertraue stets auf dein eigenes Geschick“, hatte sie mir erzählt. Und das tat ich. Im ganzen Aufrechtgehergebiet gab es keine Katze, die es mit mir aufnehmen konnte. Außer die Wilden, wenn man Sonkos Erzählungen Glauben schenkte. Aber wer ließ sich schon von denen einschüchtern?
Ich schloss die Augen und zog tief die Luft ein. Ich liebte den Wald. Das Rauschen des Windes in den Bäumen, den Duft der Erde und die Freiheit, die von diesem Land ausging. So schlecht konnten diese Wilden doch nicht sein, wenn sie es genossen, in dieser wundervollen Umgebung zu leben.
Vögel! Obwohl ich längst satt war, stellte sich mein Jagdinstinkt wieder ein. Das Blut und das zarte Fleisch zwischen den Zähnen zu spüren war ein weitaus höherer Genuss als diese seltsamen, klumpigen Kügelchen, die die alte Aufrechtgeherin mir manchmal zuwarf, wenn ich durch ihr Revier streunte. Meine Augen suchten den Boden ab. Ich wusste, dass ich mit meinem braun gescheckten Fell nahezu unsichtbar auf dem Waldboden war. Der Wind wehte in meine Richtung. Ein gutes Zeichen.
Lautlos setzte ich meine Pfoten auf, ohne die Drossel, die ich erspäht hatte aus den Augen zu lassen. Meine Jagdtechnik war nahezu unfehlbar. Ein Überraschungsangriff, ein Schlag mit den Krallen, ein Biss, falls die Beute dann nicht schon erledigt war. Durch den Krallenschlag verloren die Tiere meist schon im ersten Augenblick die Orientierung und waren mir hilflos ausgeliefert.
Ich zögerte. Etwas in mir widerstrebte sich, sofort kurzen Prozess mit dem Vogel zu machen. Ich war ihm überlegen, das spürte ich.
Die Drossel flog auf und verschwand im rotgoldenen Licht der Dämmerung. Da ich satt war, machte mir dies nichts aus. Ich schnupperte noch kurz an der Duftnote, um mir den Geruch des Vogels zu merken, dann wanderte ich weiter durch den Wald.
Katzengeruch! Er stach mir geradezu in die Nase. Und es war nicht der Katzengeruch, den ich kannte.
Mein Herz schlug höher. Das mussten die Wilden sein! Es war die einmalige Gelegenheit, sich zu vergewissern, ob Sonkos Geschichten stimmten.
Ich zögerte. Die Duftspur führte aus dem sicheren Wald heraus. Zwischen den Bäumen und im dichten Gestrüpp konnte ich mich unsichtbar machen, aber auf freiem Feld? Nur ein kleiner Bach trennte den Wald von dem trockenen Grasland auf der anderen Seite. Der Wind stand günstig Schließlich siegte die Neugier.
Als ich an den Waldrank kam, konnte ich sie sehen.
Es waren zwei Kater. Zwei große Kater. Und sie schienen sich zu streiten.
„Du kannst dir gewiss sein, dass ich bei deinem Verrat nicht mitmache!“, fauchte der kräftigere von beiden, der seinem Gegenüber mit gesträubtem Fell anfunkelte. Ich wusste nicht, was „Verrat“ bedeute. Vielleicht etwas, was nur die Wilden kannten. Mir fiel einzig und allein auf, dass sie meine Sprache beherrschten, oder ich ihre.
Der andere Kater saß gelassen neben ihm sah ihn aus orangefarbenen Augen ruhig an. „Niemand wird etwas merken, Graufell. Stell dir vor, was wir gemeinsam erreichen könnten. Wenn die Clans…“
„Das ist gegen das Gesetzt der Krieger!“, konterte der graue Kater. Er wirkte aufgebracht.
Mein Verstand sagte mir, es sei besser, sich sofort in Luft aufzulösen, doch etwas in mir widersprach. Obwohl ich kein bisschen von dem verstehe, was die Katzen sagte, durchfuhr mich ein glühendes Feuer.
Der rostrot gescheckte Kater stand mit Bedacht auf. „Das Gesetz der Krieger sind nur Richtlinien. Ein Anführer und ein Zweiter Anführer muss das tun, was das Beste für seinen Clan ist.“
„Du willst Fuchsstern ein Ultimatum stellen? Die Clans müssen weiter bestehen.“
„Eure Kämpfe haben schon zu viele Opfer gefordert.“
„Opfer, die die Katzen in gutem Gewissen bringen konnten.“ Graufell ging einen Schritt auf ihn zu. „Unzählige Blattwechsel haben die Clans hier gelebt. Wir haben uns respektiert, uns geachtet. Es gab nie größere Streitereien als um Beute. Zu Springsterns Zeiten…“
„Springstern ist tot, mein Lieber. Es sind andere Zeiten angebrochen.“
„Ich lasse nicht zu, dass auch das Blut meiner Anführerin an deinen Krallen klebt!“
Mir wurde heiß und kalt zugleich. Redeten die beiden da unten etwa über Mord? Über den Mord einer Katze an einer anderen?
Nun trat ein Funkeln in die feurigen Augen des roten Katers. „Du wolltest Anführer werden. Seit du ein Schüler warst, hast du nur für dieses eine Ziel trainiert. Ich kann dir deinen Traum verwirklichen…“
„Ein Anführer ist dem SternenClan verpflichtet! Nur weil ihr von so etwas nichts versteht, werde ich dir nicht helfen.“ Er trat näher an den Kater heran. Ich musste die Ohren spitzen, um mitzubekommen, was gesagt wurde. „Es ist aus. Dieses Bündnis hat es nie gegeben.“
„Du begehst einen großen Fehler“, miaute der Kater mit einem bedrohlichen Unterton. „Ich habe dich nicht umsonst auserwählt. Ich kann deine Karriere im BlattClan auch beenden.“
„Du hast keinerlei Macht über mich!“ Graufell trat mehrere Schritte zurück.
„Was willst du tun? Fuchsstern von deiner Intrige erzählen. Du hängst mit drin, mein Freund. Du bist zum Verräter geworden, seit du anfingst, mir von den geplanten Angriffen deines Clans zu erzählen. Alles nur, damit du deine Position erreichst.“
„Ich wollte das Beste für meinen Clan!“
Ich erstarrte. Derselbe, wilde Geruch, der von den streitenden Katern ausging, kam hinter mir zum Vorschein. Es kamen noch mehr Katzen!
„Nun werden deine dunklen Machenschaften ans Licht kommen!“, fauchte Graufell. „Bald wird die Patrouille hier sein und…“
Ich sah nicht genau, was passierte. Der rote Kater hatte keine Anzeichen jeglicher Aggression gezeigt. Seine Bewegung war so schnell und überraschend, dass ich nur verschwommene Schemen wahrnahm. Dann lag Graufell zu seinen Füßen. Blut glitzerte in den warmen Strahlen der untergehenden Sonne.
„Das war die falsche Antwort!“ Mit diesen Worten setzte der Kater über den Fluss und verschwand in dem wogenden Gras.
Ich sollte weglaufen! Ich wusste genau, dass ich weglaufen sollte, aber ich konnte es nicht! Im Gegenteil, ich preschte auf den reglosen Kater zu. Blut sickerte weiter aus seiner Wunde am Hals. Irgendetwas wollte ich tun, aber ich wusste nicht, was. Das war Mord! Kaltblütiger Mord! Ich starrte auf den Kater, dessen Brust sich nur noch schwach hob und senkte. Seine Augenlider flatterten.
„Ich kenne dich!“
Ich zuckte innerlich zusammen, als ich das hörte.
„Deinen Geruch habe ich schon öfter wahrgenommen.“ Der Kater sprach mit ruhiger, leiser Stimme. „Du hast in unserem Gebiet gejagt. Aber du jagtest, um dich zu ernähren.“
Verunsichert wich ich zurück. Graufell schien zu lächeln.
„Du musst es erzählen, junger Einzelläufer. Du wirst verstehen, was hier los war. Gehe zu Fuchsstern und erzähle ihr alles.“
„Ich…“ Ich wollte etwas sagen, aber der Anblick des sterbenden Katers raubte mir alle Worte.
„Du wirst es verstehen.“ Der Kater hauchte sein Leben aus. „Du wirst es schon bald verstehen.“
Er regte sich nicht mehr. Zitternd richtete ich mich auf. Was war hier geschehen? Was sollte ich verstehen? Sollte ich weglaufen? Der sterbende Kater hatte mir etwas aufgetragen, auch wenn ich es nicht ganz verstand? Was würde nun geschehen? Ich konnte ihn nicht einfach allein lassen! Ich musste etwas tun!
Ich hörte das Miauen von Katzen. Entsetzten, wütenden Katzen. Ich drehte mich langsam um und sah mehrere messerscharfe Krallen auf mich zufliegen.
Mein Körper wusste besser als ich, was zu tun war. Bevor ich die Situation vollständig erfassen konnte, wich ich aus und ließ die Katze mit einem Tatzenschlag an mir vorbei fliegen. Zwei andere Katzen stürzten aus dem Gebüsch.
Mein braun getigerter Angreifer kam sicher auf den Pfoten an und wirbelte fauchend zu mir herum.
„Eichenblitz! Warte!“
Der Kater hatte schon seine Krallen zum Schlag erhoben, verharrte allerdings, als der Ruf kam. Eine hellgraue Kätzin erschien in meinem Blickfeld. Einen weiteren Angriff erwartend, fuhr ich kampfbereit zu ihr herum, doch sie beachtete mich kaum, sondern beugte sich stattdessen über Graufell. „Er atmet noch.“ Sie drehte sich zu der letzten Katze herum, eine junge Kätzin mit rauchgrauem Fell und leuchtenden, blauen Augen.
„Steinpfote, lauf ins Lager und hole Goldtupf!“
Die Kätzin reagierte ohne zu zögern und rannte in den Wald, warf mir vorher jedoch einen skeptischen Blick zu. Der verletzte Kater regte sich.
„Graufell!“ Eichenblitz stieß mich bei Seite und legte sich neben den Kater. Graufell schien zu versuchen, etwas zu sagen, brachte jedoch nur undeutliche Laute hervor. Ich hielt nach einem Schlupfwinkel Ausschau, doch die Kätzin bemerkte dies.
„Du bleibst schön hier“, knurrte sie mich an. „Ich weiß, dass du ein Einzelläufer bist, aber wir brauchen dich dennoch.“
Ich schluckte. Was würde als nächstes kommen?
Es raschelte. Steinpfote kehrte zurück, hinter ihr lief eine kleine, golden gescheckte Kätzin mit einem Moosballen im Maul.
Für das Blut, dachte ich. Es war sehr viel Blut.
Die Kätzin drückte das Moos auf die Wunde. „Steinpfote, versuche etwas Scharfgarbe zu finden, schnell!“
Die junge Kätzin flitzte erneut davon, warf mir vorher jedoch noch einen unsicheren Blick zu.
„Er wird schwächer“, resignierte die Kätzin mit dem Moos.
„Eichenblitz, du bleibst bei Goldtupf und Graufell. Du“, die graue Kätzin funkelte mich aus gelben Augen an, „folgst mir, Einzelläufer!“
Ich zitterte. Glaubte die Kätzin, ich hätte diesen Kater getötet? Warum sonst hätte mich der andere angegriffen. Und was war dieses Lager? Mir blieb nichts anderes übrig, als ihr zu folgen.
Das erste, was ich roch, waren Katzen. Viele verschiedene Katzen jeden Alters. Waren wir auf dem Weg, zu diesem Lager? Was mochten sie nun mit mir vorhaben?
„Was geschieht hier?“, versuchte ich etwas herauszufinden.
„Jetzt nicht!“, zischte mich die Katze an. „Das wirst du alles Fuchsstern erzählen.“
„Wer ist Fuchsstern?“
Ich bekam keine Antwort. Wir erreichten das Lager.
Überall um uns herum waren Katzen.
Manche trugen Beutetiere auf einen großen Haufen in der Mitte des Lagers, einige reckten gerade ihre Köpfe aus Höhlen unter den Baumwurzeln oder in den Hecken. Einige Junge hielten beim Spielen inne. Ich zog Blicke auf mich. Misstrauische und neugierige Blicke.
„Alle Katzen, die alt genug sind, um Beute zu machen, fordere ich auf, sich zu einem Clan-Treffen zu versammeln.“
Der Ruf kam von einer dunkelroten Kätzin, die aus einem Bau unterhalb des größten Baumes auf der Lichtung zum Vorschein kam. Alle Katzen hielten inne und versammelten sich im Halbkreis um diesen Baum.
Meine Wächterin stieß mich vorwärts, die anderen Katzen machten Platz, als ich durch ihre Reihen zu ihrer Anführerin schritt. Das musste Fuchsstern sein!
„Graufell wurde soeben von einem SteppenClan-Krieger angegriffen und schwer verwundet.“
Entsetztes Miauen machte sich auf der Lichtung breit. Die Anführerin wandte sich an die Kriegerin, die mich begleitet hatte. „Aschenhauch, was hat dieser Einzelläufer damit zu tun.“
Die Kätzin erhob sich. „Wir haben diesen Kater schon öfters bemerkt, wie er durch unser Territorium gestreunt ist. Er hat den Angriff beobachtet.“
Fuchsstern sah mich an. „Erzähle du uns nun, wer du bist und was geschehen ist.“
Ich straffte mich und versuchte, mit fester Stimme zu sprechen. „Man nennt mich Sturm. Ich war im Wald unterwegs, als ich sah, wie sich zwei Katzen gestritten haben. Der eine war Graufell.“
Stimmengewirr unterbrach meinen Bericht, bis Fuchsstern um Ruhe bat.
„Konntest du herausfinden, worum es bei diesem Streit ging, Sturm?“
„Ich habe nicht alles verstanden, aber sie haben viel über ein Gesetzt der Krieger und über Verrat gesprochen, auch wenn ich nicht weiß, was sie damit meinten.“
Erneutes Raunen erhob sich, legte sich aber gleich darauf wieder. Ich bemerkte ein unsicheres Funkeln in Fuchssterns blauen Augen. Eine schwarze Kätzin erhob sich.
„Graufell war der ehrenvollste Krieger, den wir alle kannten. Niemand hätte seine Treue angezweifelt. Warum sollten wir uns von den Worten dieses dahergelaufenen Streuners behelligen lassen.“
Die Kätzin erntete zustimmendes Gemurmel, doch Fuchsstern signalisierte mit einem Wedeln ihres Schwanzes Ruhe.
„Deine Bedenken sind berechtigt, Schattenglanz, doch er ist bisher unsere einzige Quelle. Ich gehe davon aus, dass er bisher nichts von der Existenz der Clans wusste und somit neutral berichten kann.“
Langsam reimte ich mir etwas zusammen. Dies hier war ein Clan, eine große Katzenfamilie. Und der Kater, der diesen Graufell angriff war von einem verfeindeten Clan. Doch warum hatten sie dann so diskutiert? Ich versuchte mich, an ihre Worte zu erinnern. Wollten sie etwa ein Komplott gegen die Anführerin Fuchsstern schmieden. Und was war das Gesetz der Krieger?
Als die anderen Katzen ihre Köpfe verdrehten, sah ich Eichenblitz, Steinpfote und Goldtupf ins Lager kommen. Sie trugen Graufells leblosen Körper mit sich. Mir wurde schlecht.
„Seine Wunden waren tief“, erklärte Goldtupf mit bedrückter Stimme. „Ich konnte nichts mehr für ihn tun, er hatte zu viel Blut verloren.“
Die Katzen schwiegen schockiert und ich sah tiefe Trauer in ihren Augen aufblitzen. Fuchsstern ging zu dem Kater hinüber und berührte ihn sanft mit der Nase, wie als Abschiedsgruß. Trotz des Stiches in meiner Brustgegend war ich fasziniert von diesem Zusammenhaltungsgefühl der Katzen.
Die Anführerin wandte sich wieder an mich.
„Sturm, kannst du dich an den anderen Kater erinnern? Weißt du, wie er ausgesehen hat?“
Ich überlegte. „Er hatte rotes Fell“, sagte ich schließlich. Mehr wollte nicht aus meinen Erinnerungen hoch. Ich hatte nur das Bild des regungslosen, blutenden Katers vor Augen.
„Wirst du ihn wieder erkennen, wenn du ihn noch einmal sehen würdest?“
„Ganz bestimmt“, versprach ich selbstbewusst.
„Ich sehe, dass du ein starkes Ehrgefühl für einen Streuner hast und hörte bereits von deinem Kampfgeschick, das für dein Alter sehr ausgeprägt ist. Wie alt bist du, Sturm?“
Ich rechnete kurz nach. „Siebeneinhalb Monde.“
„Ich mache dir ein Angebot, junger Kater. Möchtest du als Schüler in unseren Clan eintreten?“
Einige Katzen reagierten überrascht, andere misstrauisch. Ich wusste zunächst nicht, was ich sagen sollte.
„Der Clan verlangt von dir bedingungslose Treue in allen Situationen. Als Schüler stelle ich dir einen Krieger zur Seite, der dich ausbilden wird und dir unsere Lebensweise erklärt. Dein Mentor wird dich im Jagen und Kämpfen unterrichten, du wirst für deinen Clan auf die Jagd gehen und erst essen, wenn Jungen, Königinnen und Älteste versorgt sind. Wir verlangen reichliche Entbehrungen von dir, der Lohn dafür wird aber hoch sein. Du wirst das Gesetzt der Krieger lernen und dich danach richten, deinem Clan dienen und für ihn kämpfen, notfalls auch mit deinem Leben. Bist du bereit dafür, Sturm?“
Ich schluckte. Etwas in mir sympathisierte dem Clan in einem Maß, das mir selbst etwas unheimlich vorkam. Ich sah zu den anderen Katzen. Misstrauen und Überraschung spiegelte sich in ihren Mienen. Noch. Was würde sein, wenn ich ein Teil dieser Gemeinschaft würde? Ein Krieger? Etwas glühte in mir.
„Ich…ich nehme euer Angebot mit Freude an.“
„Von diesem Tag an bis zu seiner Ernennung zum Krieger wird dieser Kater den Namen Sturmpfote tragen. Birkenkralle?“ Ein weißer, schwarz gesprenkelter Kater trat hervor.
„Du hast dich als Krieger mehrmals gut geschlagen und deine Treue gegenüber dem Clan bewiesen. Du wirst der Mentor von Sturmpfote sein. Lehre ihm, was du gelernt hast und geben deinen Mut an deinen Schüler weiter.“
„Das werde ich, Fuchsstern.“
Er beugte sich zu mir herunter und berührte mich mit seiner Nase. Ich tat es ihm nach.
„Sturmpfote! Sturmpfote!“, riefen einige Katzen. Mein neuer Name wurde von dem Clan aufgenommen und hallte bald durch den Wald. Dennoch spürte ich, dass ich mich ihnen gegenüber erst beweisen musste.
„Dies ist der Bau der Ältesten“, erklärte Birkenkralle bei meinem Rundgang durch das Lager. „Hier leben alle Katzen, die zu alt für das Leben als Krieger geworden sind. Sie werden von uns geehrt, da sie über große Erfahrung verfügen. Bei deiner Ausbildung kannst du dir bei ihnen wichtige Lektionen erteilen lassen.“
Ich bemerkte, wie einige Älteste mich skeptisch ansahen. Ich nickte ihnen höflich zu und setzte meinen Rundgang durch das Lager fort.
„In diesem Bau schlafen die Krieger. Nebenan ist der Schülerbau, da wirst du schlafen. Krieger und Schüler sind für die Jagd zuständig, doch bevor sie von der Frischbeute essen dürfen, müssen die Ältesten, Königinnen und Jungen versorgt werden.“
„Weil sie die sind, die nicht allein jagen können und unsere Hilfe benötigen?“, vermutete ich. „Genau. Ein Krieger muss immer zuerst an seinen Clan denken“, miaute Birkenkralle zufrieden.
Mir schlug der Duft von mehreren Kräutern und Pflanzen entgegen, die ich nicht alle auseinander halten konnte.
„Das ist Goldtupfs Bau“, erläuterte mein Mentor. „Heiler haben im Clan mitunter die wichtigsten Aufgaben. Zuerst wissen sie alles über Kräuter und versorgen Katzen, die sich verletzt haben oder krank sind. Eine häufige Schüleraufgabe wird es für dich sein, Kräuter im Wald zu suchen, oder die Ältesten zu pflegen.“
„Ich kenne diese ganzen Kräuter gar nicht. Die Gerüche sind mir unbekannt.“
„Goldtupf wird dir die Kräuter vorher zeigen und sagen, wo sie zu finden sind. In einiger Zeit wirst du dich im Wald gut auskennen. Heiler-Katzen deuten außerdem die Zeichen von SternenClan und beraten ihren Anführer bei wichtigen Entscheidungen.“
„Der SternenClan? Ist das noch ein Clan, wie der SteppenClan?“
Birkenkralle schmunzelte. „Der SternenClan besteht aus den verstorbenen Katzen beider Clans. Unsere Ahnen wachen über uns. Wenn du nachts zum Himmel schaust, kannst du sie sehen. Sie schicken den Heilern Zeichen, wenn etwas nicht stimmt. Heiler-Katzen können mit ihnen in Verbindung treten, wenn sie in der Sterngrotte sind.“
„Wo ist diese Sternengrotte?“
„Dort, wo der Grenzfluss in die Berge mündet befindet sich eine Höhle. Alle Schüler werden während ihrer Ausbildung eine Reise zur Sternengrotte unternehmen. Auch Anführer reisen dorthin, wenn sie sich mit dem SternenClan die Zungen geben wollen.“
Die Geschichten vom SternenClan erfüllten mich mit Ehrfurcht. Ich hatte oft zum Himmel aufgeschaut, als würde ich beobachtet. Ob meine Mutter auch im SternenClan lebte?
„Der Bau dient den Königinnen und ihren Jungen. Sie bleiben dort solange bis ihre Jungen bereit sind, ihre Ausbildung zum Krieger anzutreten.“
Ich sah zwei Jungen, die vor dem Eingang der Höhle miteinander balgten.
„Wann werden sie ausgebildet?“, fragte ich, während ich beobachtete wie die Jungen versuchten, Kriegergleiche Techniken anzuwenden.
„Mit sechs Monden beginnen sie meist ihre Ausbildung, es sei denn ihre Mutter findet, dies sei zu früh. Früher darf kein Junges zum Schüler ernannt werden. Dies sind Kieseljunges und Taubenjunges, sie werden nächsten Mond ihre Ausbildung antreten.“
„Bekommt jeder Schüler einen Mentor?“
„Ja, dieser Mentor ist dann für seinen Schüler verantwortlich und beurteilt seine Fortschritte. Regelmäßig werden die Schüler geprüft, bis der Mentor meint, dass sie bereit sind, Krieger zu werden.“
„Aber…ich kann doch auch andere Katzen um Trainingseinheiten bitten. Also, ich meine…“
„Natürlich, es ist völlig normal, dass Krieger ab und zu weitere Schüler übernehmen, vor allem auf Jagdpatrouillen. Die Mentoren wählen oft gute Jäger oder Kämpfer aus, damit diese ihnen bei den Übungen assistieren. Nach den Talenten der Katzen werden auch Jagd- oder Grenzpatrouillen aufgestellt.“
„Sollen Grenzpatrouillen aufpassen. Dass keine Katze den Fluss überschreitet?“
„Ja, dabei müssen sie immer die Grenze markieren und Bericht erstatten. Außerdem werden sie zum Waldrand geschickt, falls es dort Probleme geben sollte. Als ich Schüler war, hat eine Grenzpatrouille gesehen, wie Zweibeiner seltsam stinkenden Mist am Waldrand abgeladen haben. Viele Pflanzen in der Gegend sind verdorrt und wir haben ein totes Eichhörnchen gefunden, das an einer seltsamen Krankheit gestorben ist. Wir durften fast drei Monde diesen Bereich des Waldes nicht mehr betreten. Dafür find Grenzpatrouillen enorm wichtig.“
Ich bemerkte aus dem Augenwinkel, wie Goldtupf und Fuchsstern den Platz unter der großen Eiche einnahmen. Kurz darauf erhob Fuchsstern ihre Stimme.
„Alle Katzen, die alt genug sind, ihre Beute selbst zu erledigen, fordere ich auf, sich unter dem großen Baum zu einem Clan-Treffen zu versammeln.“
An Birkenkralles Seite trottete ich zögerlich auf den Platz zu. Steinpfote und ein anderer Schüler sahen sich zu mir um. Der andere Schüler rückte ein Stück von mir weg, als ich mich setzte. Ich ließ mir nichts anmerken.
„In tiefer Trauer über den Tod eines unserer besten Krieger, erwähle ich nun einen neuen Zweiten Anführer.“ Sie ließ ihren Blick über die versammelten Katzen schweben. „Eichenblitz wird der neue Zweite Anführer des BlattClans werden.“
Ich beobachtete gespannt, wie der Krieger vortrat uns sich er und Fuchsstern an der Nase berührten. Sein Name wurde von dem Clan wiederholt. „Eichenblitz! Eichenblitz!“
Zu spät viel mir ein, dass ich mich vielleicht an dem Chor beteiligen sollte, doch dies schien niemandem aufzufallen. Als sich die Versammlung löste fragte ich meinen Mentor: „Welche Aufgabe übernimmt der Zweite Anführer?“
„Er ist Fuchssterns Stellvertreter und erster Berater. Häufig stellen die Zweiten Anführer die Patrouillen zusammen oder schlagen vor, welches Junges welchen Mentor bekommen könnte. Wenn ein Anführer stirbt, tritt sein Stellvertreter an dessen Stelle und erhält vom SternenClan seine neun Leben und seinen neuen Namen.“
Ich verstand nicht ganz. „Neun Leben! Ich dachte immer, das wäre nur ein Märchen. Und was für ein Name?“
„Der Anführername mit der Endung -stern. Fuchssterns Kriegername lautete Fuchsfang, bevor Vogelstern starb. Er war unser früherer Anführer.“
„Und die neun Leben?“
„Erhält jeder Anführer bei seiner Ernennung vom SternClan. Dies findet ebenfalls in der Sternengrotte statt.“
„Wie…wie macht der SternenClan das?“
„Das, Sturmpfote, wissen nur die Anführer oder Heiler, die sie begleiten. Sie reden nie darüber. Fuchsstern wurde Anführerin, als ich noch ein Junges war. Wir haben wirklich alles versucht, um es heraus zu finden, aber…“ er zwinkerte mir zu, „Anführer sind hartnäckig.“
„Kann…“ Ich rang ein wenig mit mir, bevor ich die Frage stellte. „Kann jeder Krieger Zweiter Anführer werden?“
„Königinnen können nicht zur Zweiten Anführerin ernannt werden, sobald ihre Jungen nicht zu Schülern ernannt sind. Sonst wären sie mit der Aufzucht ihrer Jungen zu abgelenkt. Ein Krieger muss vorher Mentor eines Schülers gewesen sein, da…“ Er brach ab. „Du kannst dir den Grund denken, oder?“
Ich dachte einen Augenblick nach. „Weil man…weil man dadurch lernt, Anweisungen zu geben?“, schlug ich vor.
„Und Verantwortung zu übernehmen, sowie Katzen einzuschätzen und zu erkennen, was man von ihnen verlangen darf. Sehr gut, du lernst schnell.“
„Wann…wann kann ich durch den Wald?“
„Wir sind heute Nachmittag zu einer Grenzpatrouille eingeteilt, damit ich dir die Grenzen zeigen kann. Gegen Abend nehmen Eichenblitz und Schattenglanz die Schüler zum Jagdtraining mit. Pass gut auf, Schattenglanz ist eine der besten Jägerinnen des Clans.“
Ich erinnerte mich nur an die Bedenken der Kriegerin während meiner Aufnahme. „Sie wird mich bestimmt für ein hilfloses Junges halten“, murmelte ich und zuckte schuldbewusst zusammen, als ich merkte, dass mein Mentor mich gehört hatte.
„Dann kannst du die Gelegenheit nutzen und ihr beweisen, dass du kein hilfloses Junges bist.“
„Sturmpfote!“'
Ich drehte mich um. Mein neuer Name war mir so vertraut, als hätte ich ihn schon immer gehabt. Steinpfote kam auf mich zu. „Komm, ich möchte dir die anderen vorstellen.“
„Ähm…danke.“
Ich folgte ihr zum Schülerbau. Zuerst entdeckte ich den Schüler, der sich bei der Versammlung von mir abgewandt hatte. Er putzte gerade sein weiß-braunes Fell, bis er mich sah.
„Das ist mein Bruder, Rindenpfote.“
„Hallo?“, sagte ich zärtlich, doch der Schüler wandte sich von mir ab.
„Nimm es nicht persönlich, er ist immer so.“
Drei weitere Katzen kamen aus dem Bau. Sie waren älter als wir, bestimmt schon kurz davor, Krieger zu werden.
„Elsterpfote…“, ein schwarz-weiß gescheckter Kater mit leuchtenden Bernsteinaugen, „Rennpfote…“, eine kleine, schildpattfarbene Kätzin mit auffälliger weißer Brust, nickte mir unsicher zu, „…und Moospfote.“ Das braune, wuschlige Fell des Katers verriet die Bedeutung seines Namens. Er sah herabschätzend auf mich herab. „Der Einzelläufer. Hat Birkenkralle dir schon die Treue erklärt. Das nehmen wir sehr wichtig im Clan.“
Elsterpfote grinste hämisch, während ich meine Krallen in den Boden rammte.
„Das ist jedenfalls kein treues Clanverhalten!“, wies Steinpfote den Kater zurecht.
„Sagt eine Katze, die noch keinen Mond Schülerin ist“, zischte Elsterpfote.
Rennpfote stieß ihre Brüder an. „Lasst das! Er gehört zum Clan!“
„Natürlich!“, schnurrte Elsterpfote. „Genau wie die große Eiche zum Clan gehört. Wenn du uns dann entschuldigst, wir müssen auf eine Jagdpatrouille um unseren Clan zu ernähren.“
„Kümmere dich nicht um sie“, miaute Rennpfote mir zu, bevor sie ihnen folgte.
„Die werden sich schon an dich gewöhnen“, ermutigte mich Steinpfote. „Eigentlich sind sie ganz in Ordnung, aber je näher ihre Ernennung zum Krieger rückt, desto unausstehlicher sind sie. Sie wollen halt allen beweisen, wie gut sie sind.“
Genau das, was ich auch wollte.
Wir holten Moos, um mir ein Nest im Schülerbau zu errichten.
„Moosholen ist eine häufige Schüleraufgabe“, erklärte Steinpfote, während ich meinen Schlafplatz neben ihren aufbaute. „Natürlich oft für die Ältesten. Aber das Lohnt sich. Vor allem Tigerzahn hat immer spannende Geschichten zu erzählen. Ich persönlich glaube, dass er sich die meisten davon ausdenkt, aber…hast du schon mal vom LöwenClan gehört?“
Ich schüttelte den Kopf. „Nein.“
„Ich erzähle dir auf dem Weg zum Training davon. Es war ein alter KatzenClan, der aber längst zum SternenClan gegangen ist. Die Löwen waren viermal so groß wie normale Katzen und…“
Ich erfuhr sogleich eine Menge über den LöwenClan. Mutige Riesenkatzen mit einer wuschigen Mähne. Ich konnte sie mir nicht so richtig vorstellen, aber sie klangen faszinierend.
„Dann gab es noch den TigerClan. Die waren noch größer als der LöwenClan und hatten Streifen. Sie waren so schnell wie der Wind. Aber mein Favorit ist der LeopardenClan. Im Verhältnis zu den anderen waren sie ziemlich klein, aber es waren Spitzenjäger. Ich wäre gerne ein Leopard. Die Ältesten behaupten, sie könnten bis zu den Baumwipfeln klettern, aber ich glaube nicht…“
„Leoparden sind ein gutes Vorbild für unauffällige Jäger, aber wenn ihr wirklich etwas lernen wollt, solltet ihr das auf später verschieben und lieber zuhören.“
Steinpfote zuckte zusammen. „Entschuldigung, Schattenglanz.“
Eichenblitz warf ihr einen nachsichtigen Blick zu. „Ein guter Jäger muss immer mit all seinen Sinnen bei der Jagd sein. Prüfe nun die Luft. Was kannst du riechen?“
Steinpfote schloss die Augen und schnupperte konzentriert. „Buchfink, aber der Geruch ist fahl. In der Nähe gibt es Wühlmäuse und eben ist ein Eichhörnchen vorbeigekommen.“
„Sehr gut. Könnt ihr noch etwas entdecken?“
„Eidechse“, miaute Moospfote. „Mehrere glaube ich. Ihre Spur führt zu den Wurzeln dieser Esche. Ein geduldiger Jäger könnte hier warten, bis sie herauskommen. Dabei muss er aber darauf achten, keinen Schatten über dem Loch zu werfen.“
„Genau, Moospfote“, miaute Schattenglanz zufrieden. „Allerdings wäre es für den Clan nützlicher, schnell Beute zu machen. Zum Warten habt ihr oft keine Zeit.“
„Es wird regnen“, sagte ich bestimmt.
„Das wird beim Jagen kaum von Bedeutung sein“, zischte Elsterpfote.
„Nein“, unterbrach Schattenglanz. „Sturmpfote hat Recht. Bei Regen werden die meisten Spuren verwischt, daher weiß ein Jäger, dass er keiner fahlen Duftspur folgen soll und seine Beute besser schnell zum Clan bringen kann. Bei Regen kann es zu einem Erdrutsch kommen, also müsst ihr, wenn ihr in der Nähe der Berge jagt sofort umkehren.“
Steinpfote sah mich bewundernd an. „Wie riechst du das?“
„Ich fühle es. Die Luft wird schwerer. Du musst auf deinen Atem achten, wenn du das wissen willst.“
„Ich fühle nichts“, kommentierte Rennpfote verwundert.
„Du wirst es lernen, wenn du längere Zeit im Wald bleibst“, erklärte Eichenblitz. „Als Krieger wird man manchmal auf Missionen geschickt, dabei sind solche Wetterumschwünge sehr wichtig. Da es ziemlich kalt ist, wird es wohl nur Regen sein, aber bei schwülem Wetter ist ein Gewitter möglich.“
„Dann kann uns unser Wetterexperte mal zeigen, wie man sich an eine Wühlmaus anschleicht.“, schlug Elsterpfote zynisch lächelnd vor.
Eine Wühlmaus?
„Ähm…im Aufrechtgeher…ich meine im Zweibeinerort habe ich mir immer eine hohe Stelle gesucht, wo ich mich draufgesetzt habe. Dann habe ich gewartet, bis die Maus vorbeikam.“
Elsterpfotes Grinsen wurde breiter.
„Keine schlechte Technik“, meinte Eichenblitz, „doch im Wald musst du auf andere Tricks vertrauen. Moospfote, zeig doch bitte, wie man sich an eine Wühlmaus heranschleicht.“
Moospfote ließ sich in ein Jagdkauern fallen und setzte lautlos immer zwei Pfoten weiter. Dabei blieb er dicht an den Boden gedrückt, bis er mit einem Satz auf die imaginäre Wühlmaus zusprang und einen Biss in Richtung Genick vertäuschte.
„Sehr gut, Moospfote. Ein Jäger darf sein Gewicht dabei nicht auf die Pfoten verlagern, mit denen er aufsetzt, das spüren Wühlmäuse. Außerdem muss man darauf achten, dass das Fell nicht raschelt, da die Beute durch das Geräusch aufgeschreckt wird."
„Ich rieche Amsel“, unterbrach Steinpfote.
„Du weißt, wie man sich an eine Amsel heranschleicht?“, meinte Schattenglanz.
Steinpfote wandte sich um und verfiel in das Jagdkauern. Interessiert sah in zu, wie sie eine Pfote vor die andere setzte. Nun hatte ich auch die Amsel entdeckt.
Ein Zweig knackte. Der Vogel schreckte auf und sah die heranschleichende Kätzin. Ich dachte nicht nach. Ich wusste, wie man sich vom Boden abfederte und im hohen Sprung auf einem bestimmten Punkt landete. Im letzten Moment sah die Amsel mich und flog auf. Steinpfote setzte ihr nach und fing sie mit den Krallen in der Luft. Ich biss zu, so wie Moospfote es gezeigt hatte.
„Sehr gute Zusammenarbeit!“, lobte Eichenblitz uns. „Allerdings werden Krieger öfter allein jagen und da ist es nicht sehr praktisch, wenn man durch so ein Manöver alle Beute im Umkreis verscheucht.“
Rennpfote meldete sich zu Wort. „Aber so ein Sprung kann im Kampf vorteilhaft sein.“
Schattenglanz nickte. „Das werdet ihr beim Kampftraining üben. Den Trick solltet ihr euch jedenfalls merken.“
Zufrieden mit mir selbst nahm ich meine Beute ins Maul. Zusammen traten wir den Heimweg an. Das Kampftraining am Nachmittag konnte ich kaum noch erwarten.
Die ersten Regentropfen fielen.
Auf dem Rückweg ins Lager trafen wir auf Rindenpfote, der mit seiner Mentorin Mausschweif und Aschenhauch gerade von einer Grenzpatrouille zurückkam.
„Rindenpfote!“ Steinpfote lief auf ihren Bruder zu. „Sturmpfote und ich haben gerade eine Amsel gefangen und…“
„Toll. Ihr wart also auf der Jagd. Wir haben gerade zu dritt einen Haufen SteppenClan-Katzen von der Grenze verjagt und…“
Aschenhauch stieß ihn an. „Das soll Fuchsstern zuerst erfahren. Abgesehen davon waren es nur zwei Katzen, von denen wir nicht einmal wussten, was sie überhaupt wollten. Sturmpfote, Birkenkralle möchte dich gleich auf eine Patrouille mitnehmen. Er wartet hinter der Eiche auf dich.“
Endlich! Endlich konnte ich den Wald sehen!
„Danke, Aschenhauch. Bis gleich, Steinpfote!“ Ich lief aufgeregt zu der Eiche, unter der mein Mentor wartete.
„Ich habe schon gehört, dass du dich beim Jagdtraining gut geschlagen hast“, miaute Birkenkralle. „Auf den Patrouillen werde ich dir die besten Jagdplätze zeigen, aber erst einmal müssen wir unser Gebiet kennen. Folge mir.“
Birkenkralle fegte wie ein weißer Blitz durch den Wald. Bei dem schnellen Sprint verhedderte ich mich mehrmals im Gestrüpp. Der Regen ließ nach und die ersten Sonnenstrahlen stachen durch das Dickicht. Ich bemerkte, wie der Laubwald immer mehr von hohen Tannen bewachsen wurde. Am Rand des Waldes blieb Birkenkralle stehen.
„Dort geht es zum Zweibeinerort. Der Tannenwald ist bei Blattlehre ein wichtiges Jagdgebiet. Du kannst dir denken, warum?“
„Ähm…weil sich viele Beutetiere hier verstecken und es genug Deckung gibt?“
„Genau. Allerdings ist es mitunter schwierig, eine Duftspur aufzunehmen, da der Geruch der Tannen fast alles durchdringt. In diesem Gebiet des Waldes ist deshalb ein gutes Gehör enorm wichtig.“
Ich lauschte. Ich hörte Vögel in den Tannenspitzen rascheln. Hinter mir bewegte sich etwas im Gebüsch, ich konnte es aber nicht genau orten.
„Wir werden in der Blattleere mehre Trainingseinheiten hierher verlegen. Nun komm weiter.“
Wir verließen den Tannenwald und kamen wieder in eine belaubte Gegend. Ich hörte das Rauschen von Wasser.
„Wir kommen an die Grenze.“
„Richtig. Der Fluss bildet die Grenze zwischen den Clans. Man darf ihn nicht überschreiten.“
„Dürfen die Jäger im Fluss Fische fangen?“
„Auf ihrer Seite schon, aber viele Fische wirst du hier außer in der Blattfrische nicht entdecken. Die Grenze muss öfters kontrolliert werden.“
„Was, wenn wir auf der Patrouille eine SteppenClan-Katze finden.“
„Zuerst fragen wir sie, was sie hier will. Es kann ja ein wichtiger Grund sein. Sollte sie allerdings keinen Grund für ihr Erscheinen haben, müssen wir sie verjagen.“
„Was sollen wir tun, wenn wir angegriffen werden?“
„Uns so gut wie möglich verteidigen. Aber dafür werden wir noch trainieren. Ich zeige dir, wo.“
Wir kamen auf eine Lichtung im Wald. „Hier finden die Trainingseinheiten statt. Schüler und Krieger trainieren fast jeden Tag hier. Dabei bewerten die Mentoren das Kampfgeschick ihrer Schüler. Wir lernen dabei voneinander, deshalb trainieren die Schüler wenn möglich immer mindestens zu zweit.“ Ich sah mir die Lichtung genauer an. An einigen Stellen waren Grasbüschel herausgerissen. „Trainieren wir nur hier?“
„Für den Anfang, ja. Wenn die Schüler einige Erfahrungen gesammelt haben, üben wir Überraschungsangriffe im Wald. Du wirst merken, dass es einen großen Unterschied macht, wenn eine Katze dich frontal angreift oder sich von hinten heran schleicht.“
Als nächstes führte Birkenkralle mich zu den Bergen. Die Ebene wurde zunehmend felsiger und war nur noch spärlich mit Gras bewachsen. „So lebt also der SteppenClan.“
„Schon möglich“, miaute Birkenkralle amüsiert. „Hier ist ein guter Platz, um Kanninnchen zu jagen, schließlich geben sie viel Nahrung. Aber einfach zu fangen sind sie nicht.“
Ich bemerkte einen Weg, der zu den Bergen anstieg. „Geht es da zur Sternengrotte?“
„Ja, aber die wirst du später besuchen, wenn du länger Schüler bist.“
Ein Geräusch kam an mein Ohr. „Ich höre Wasser!“
„Das ist der Bergbach. Er fließt durch unser Territorium. Dort stillen Katzen ihren Durst oder holen in Wasser getränkte Moosballen für Goldtupf. Aber den Bach dürfen wir nur hier an den Felsen betreten.“
„Wäre es nicht bequemer, in den Wald zu gehen?“
„In der Nähe des Waldbaches liegt eine Fuchshöhle. Die alte Füchsin, die dort lebt, lässt uns meistens in Ruhe, dennoch meiden wir die Stelle.“
Wir machten uns weiter auf den Weg in den Wald. Mir schlugen fahl bekannte Gerüche entgegen. „Kräuter?“
„Sehr gut. Hier sind die Kräuterwiesen. Die meisten Heilkräuter wachsen hier oder am Waldrand.“
Ich sah über die Kräuter und Blumen, die auf den Wiesen wucherten. Einige kannte ich. Mon. Schachtelhalme. Doch die meisten waren mir unbekannt.
„Am Ende der Wiesen befinden sich Mäusehöhlen. Ein gutes Jagdgebiet. Allerdings treiben sich dort oft Habichte herum.“
Ich schnupperte und nahm einen starken Mäusegeruch war. Der Wind wehte in unsere Richtung. Ohne auf Birkenkralles Zustimmung zu warten, lief ich zu den Mäusehöhlen.
„Sturmpfote! Warte!“
Mein Mentor holte mich ein, als ich auf einer Anhöhe stehen blieb. Es waren wirklich mehrere Löcher in den Boden gegraben, aber ich sah keine Maus, die herausguckte.
„Sie kommen meist in der Dämmerung. Sonne mögen die Mäuse nicht.“
Also ein gutes Jagdgebiet für eine Abendpatrouille. Während Birkenkralle sich wieder zum Wald wandte, kroch ich noch näher an die Höhlen heran.
Ich sah den Schatten zu spät und auch Birkenkralles Warnruf erreichte mein Ohr nicht rechtzeitig. Ich hörte nur den Schrei des Raubvogels und spürte, wie spitze Krallen ohne Gnade nach mir griffen.
Ein Instinkt in mir übernahm die Kontrolle. Ich warf mich zu Boden und spürte, wie die Krallen des Habichts ins Leere schnappten. Kreischend und flügelschlagend setzte der Vogel nach. Ich sah einen Moment lang nur Federn und Klauen. Das schrille Geschrei des Vogels klingelte in meinen Ohren.
Birkenkralle warf sich mit seinem Gewicht auf meinen Angreifer und hinterließ tiefe Wunden in dem Leib des Biestes. Vor Schmerz kreischte der Habicht auf und schlug mit den tödlichen Klauen nach meinem Mentor, der schnell auswich.
Ich rappelte mich auf, spürte, wie Blut von meiner Schulter rann. Dennoch ließ ich nicht locker. Mit einem wilden Fauchen stürzte ich mich auf das fliegende Ungeheuer.
Zwei Katzen auf beiden Seiten war zu viel für den Habicht. Er riss sich aus unseren Krallen los und kehrte mit kraftvollen Flügelschlägen in den Himmel zurück.
„Alles in Ordnung?“
Ich nickte verbissen, obwohl die Wunde nun anfing zu schmerzen. Birkenkralle schien keinen Kratzer abbekommen zu haben.
„Wir müssen zurück ins Lager. Goldtupf sollte sich das ansehen. Du hast dich gut geschlagen, Steinpfote.“
Das Lob meines Mentors erfüllte mich mit warmem Stolz und ließ die blutende Schulter bald vergessen.
„Du hast also deinen ersten Kampf überstanden, Sturmpfote“, miaute Goldtupf, während sie mir die zerkauten Kräuter auf die Wunde drückte. „Der Kratzer ist nicht tief und wird schnell heilen, du solltest aber trotzdem vorsichtig sein. Ich denke, das Kampftraining solltest du für heute ausfallen lassen.“
Ich wollte protestieren, doch Goldtupf lächelte mir ermunternd zu. „Morgen sieht es ganz anders aus. Es werden noch viele Kämpfe auf dich warten, aber dafür musst du gesund und ausgeruht sein. Ruhe dich jetzt lieber aus. Wenn du Schmerzen hast, kommst du wieder zu mir.“
Ich nickte. „Danke, Goldtupf.“
Vor dem Schülerbau empfing mich Steinpfote. „Hab schon von dem Habicht gehört. Wie geht’s?“
„Gut“, meinte ich, „es ist nur ein Kratzer. Aber beim Kampftraining darf ich heute nicht mitmachen.“
Moospfote, der alles mit angehört hat, grinste. „Du weißt, was das bedeutet?“
Ich schüttelte den Kopf.
„Es bedeutet, dass du dich für den Rest des Nachmittages um die Ältesten kümmern musst. Zecken herauspulen, Moospolster wechseln und dir ihr Geschwafel anhören lassen.“
Ich rümpfte die Nase. „Das klingt nach keiner sehr angenehmen Aufgabe.“
„Es ist Schüleraufgabe“, kommentierte Steinpfote achselzuckend. „Bei der Gelegenheit kannst du Tigerzahn um einige seiner Geschichten fragen. Oder du holst dir Tipps bei Buntschweif, sie war eine der besten Kämpferinnen des Clans. Aber bei Vogelpelz solltest du vorsichtig sein, sie ist sehr…sagen wir mal, ungeduldig.“
„Mit andern Worten, sie meckert bei jeder Kleinigkeit herum“, warf Rindenpfote ein. „Aber so sind Älteste nun einmal. Sie war mal Zweite Anführerin, bevor sie in den Ruhestand gegangen ist.“
„Ich weiß nicht, ob ich mich freuen oder bemitleiden soll“, unterbrach ich die anderen Schüler.
„Mausschweif hat mir immer eingebläut, dass man die Ältesten ehren soll. Für ihre Erfahrung und ihre Dienste am Clan“, miaute der braune Kater.
„Was nicht immer leicht ist“, schnurrte Rennpfote, die mit Elsterpfote gerade aus dem Schülerbau kam. „Wir müssen dann los. Und höre den Ältesten gut zu, Sturmpfote.“
„Da lernt man, wie ein Clan funktioniert“, neckte Elsterpfote mich beim Vorbeigehen.
„Und achte weiterhin nicht auf meinen Bruder.“
„Danke, ich werde es mir merken!“, verabschiedete ich mich von den anderen und machte mich auf den Weg zum Ältestenbau in der Mitte des Lagers.
Die vier Ältesten waren gerade in ein Gespräch verwickelt, als ich kam.
„Es war schon zu lange ruhig an der Grenze“, krächzte Moorpelz, der älteste Kater im Clan, als ich kam. „Irgendwann wird der SteppenClan wieder aktiv. Der arme Graufell. Er wurde geboren, als ich gerade zum Krieger ernannt wurde. Ich kannte ihn schon so lange…“
„Hallo Sturmpfote“, begrüßte mich Buntschweif, eine braun-rot gescheckte Kätzin mit grünen Augen, von denen eines halb blind war. „Wir haben schon von deiner Begegnung mit dem Habicht gehört. Ist es schlimm?“
„Nein, mir geht es gut, danke.“ Ich legte das Moos zurecht, das ich mitgebracht hatte.
„Das wurde aber auch Zeit!“, keifte die kleine, braun gesprenkelte Kätzin im hinteren Teil des Baus. „Wenn die Schüler nur kommen, weil sie für andere Sachen ausfallen, wird dieses Leben bald völlig zum Stillstand kommen.“
„Beruhige dich, Vogelpelz“, schnurrte Moorpelz. „Die Schüler müssen fleißig trainieren, damit sie den Clan schützen können. Wie gesagt, es war zu lange ruhig an der Grenze.“
Ich bekam den Rest der Unterhaltung nicht mit, da ich das alte Moos wegbrachte und mit einem Ballen Neuem zurückkehrte.
Tigerzahn hatte gerade mit seinen berühmten Geschichten angefangen.
„Ich weiß noch genau, wie es war als ich ein junger Krieger war“, erzählte der gelb gestreifte Älteste mit ruhiger Stimme. „Da gab es eine schwere Blattleere, wo sogar Katzen verhungert sind. Ich bin damals verbotenerweise durch den Fluss geschwommen, weil ich auf der anderen Seite Eichhörnchen roch. Ich dachte, das Eichhörnchen käme von unserem Revier und würde deshalb uns gehören. Die Patrouille hatte ich dann zu spät bemerkt.“
„Ich erinnere mich“, miaute Buntschweif. „Wir kamen gerade mit einer Patrouille vorbei, als du schnell wie ein Leopard über das Gras gehetzt bist und kopfüber ins Wasser fielst.“
„Das ganz nebenbei eiskalt war. Und das Eichhörnchen war dann für beide Clans verloren.“
Ich musste grinsen, als ich mir die Szene vorstellte.
„Ja, Sturmpfote, du glaubst nicht, was wir alles angestellt haben. Aber damals waren die Konflikte noch ruhiger. Tote gab so gut wie nie.“
„Glaubst du, dass Fuchsstern Graufells Mord auf der Großen Versammlung ansprechen wird?“, fragte Moorpelz.
„Auf alle Fälle wird sie das. Der SteppenClan…“
„Was ist die Große Versammlung?“, platzte ich hervor, ohne den Ältesten ausreden zu lassen.
Vogelpelz kräuselte die Lefzen. „Es ist unhöflich, andere beim Reden zu unterbrechen.“
„Schon gut, Sturmpfote“, sagte Moorpelz. „Jeden Vollmond treffen sich die Clans in einem Tal in den Bergen, um Neuigkeiten auszutauschen und Verhandlungen zu führen. Morgen ist Vollmond. Während der Großen Versammlung darf nicht gekämpft werden. Die Anführer nehmen Katzen aus dem Clan mit, damit diese sich untereinander austauschen können. Wir werden dort die Ältesten aus dem SteppenClan besuchen. Viele von ihnen sind in Ordnung.“
„Nimmt Fuchsstern auch Schüler mit?“
„Selbstverständlich. Rennpfote, Moospfote und Elsterpfote waren schon oft auf Großen Versammlungen. Rindenpfote und Steinpfote werden auch mitkommen.“
„Und ich?“
„Ich fürchte, du bist noch zu neu bei uns. Außerdem wird Fuchsstern dich mit deiner Verletzung bestimmt zu Hause lassen.“
Ich versuchte, meine Enttäuschung zu überspielen. „Gab es diese Versammlungen schon immer?“
„Natürlich“, bestätigte Tigerzahn. „Sogar die alten Clans sollen die schon abgehalten haben.“
„Der LöwenClan, TigerClan und LeopardenClan?“
„Du hast also schon von ihnen gehört?“
Ich nickte.
„Nun, die Große Versammlung ist eines der wichtigsten Dinge für den Frieden zwischen den Clans. Jeder Schüler wird mindestens einmal mitkommen. Für dich wird die Zeit bestimmt auch noch kommen.“
Ja, das würde sie. Ein Plan reifte in meinem Kopf.
Steinpfote verschluckte sich an ihrem Buchfinken, als ich ihr beim Essen meinen Plan erklärte.
„Du willst dich einfach so mit schleichen! Wenn Fuchsstern das erfährt kannst du bis zur Blattfrische die Ältesten pflegen.“
„Sie wird mich nicht erwischen. Ich habe Rennpfote gefragt, sie weiß natürlich nicht, was ich vorhabe. Es gibt eine Felsnase von der man alles beobachten kann. Niemand wird auf mich achten. Ein Weg führt durch einen Tunnel zu diesem Platz. Ich werde mich davonschleichen, kurz bevor die Versammlung endet und schnell wieder im Lager sein.“
Steinpfote schüttelte den Kopf. „Du bist gerade seit einem Tag im BlattClan. Willst du, dass alle davon überzeugt sind, dass du ungehorsam bist?“
„Es wird niemand merken. Aber ich brauche deine Hilfe.“
„Meine Hilfe!“
„Die Felsnase liegt am südlichsten Ende des Tals. Du musst dich in das Nördliche Gebiet setzen, so dass ich dich sehen kann. Wenn eine Katze zu mir hoch schaut oder sonst irgendetwas vorfällt, wedelst du mit dem Schwanz, dann ducke ich mich. Wenn Die Versammlung abgebrochen wird, hebst du eine Pfote, dann mache ich mich schnell aus dem Staub.“
„Aber…was ist, wenn die Nachtwache dich erwischt?“
„Auf dem Rückweg sammle ich Kräuter und sage, Goldtupf hätte mich darum gebeten und es hätte etwas länger gedauert.“
Steinpfote sah sich um, als befürchte sie, belauscht zu werden.
„Bist du dabei?“
„Nur, weil wir Freunde sind. Aber falls du auffliegst, weiß ich von nichts.“
„Einverstanden.“
Ein Kribbeln stieg von meinen Pfoten auf. Sie hatte Recht. Es würden Fellfetzen fliegen, wenn ich erwischt wurde. Wenn ich erwischt wurde! Aber der Lohn für diesen Nervenkitzel würde riesig sein.
Es war purer Zufall, dass bisher niemandem das Loch im Ältestenbau aufgefallen war. Als einziger Schüler blieb ich zurück, um mich um sie zu kümmern. Vogelpelz war eingeschlafen, als ich ihre Zecken mit Mäusegalle behandelte. Die anderen schlummerten schon längst friedlich. Ich sah sie einen nach dem anderen an. Die Katzen regten sich kaum noch. Ich fragte mich im Stillen, wie sie bei Vogelpelz’ Geschnarche ein Auge zutun konnten. Lautlos schlich ich auf das Loch zu.
„Verbotenes zu tun ist verlockend, nicht wahr?“
Ich erstarrte. Tigerzahn! Aus schmalen, müden Augenschlitzen sah er zu mir herüber, während die anderen wie Steine schliefen. Ich schaute verlegen aus dem Loch.
„Ich…das Loch…ich wollte…“
„Schon gut, Sturmpfote. Ich war auch einmal Schüler. Glaube mir, wenn jemand Verständnis für deine Flause hat, dann ich. Tust du mir einen Gefallen?“
„Ja?“, fragte ich, nichts Gutes ahnend.
„Erzähle mir alles, was passiert ist. Genau. Von den anderen bekomme ich immer nur Wortfetzen.“
Erleichtert atmete ich auf. „Mache ich, Tigerzahn.“ Dann schlüpfte ich durch das Loch in den kühlen Nachtwald.
Der Mond schien taghell durch die Wipfel, dennoch spürte ich, wie sich mein Gehör schärfte. Wie silberne Speere stachen die Mondstrahlen auf den dunklen Waldboden. Ich schnupperte meinen Clan, der Wind meinte es gut mit mir.
Langsam, sorgsam darauf bedacht, kein verräterisches Geräusch zu verursachen, bewegte ich mich durch das Unterholz in Richtung der Duftspur. Mein Herz schien im ganzen Körper zu schlagen und ein Pochen beherrschte meine Ohren. Unter meinem Fell kribbelte es. Schübe aus Hitze und klirrender Kälte durchfuhren meinen Körper. Ein Abenteuer! Mein erstes, richtiges Abenteuer! Mein verbotenes Abenteuer!
Die Spur führte zur Hochebene in eine mit Farnen bewachsene Schlucht, die durch die Berge führte. Der Geruch meines Clans war allgegenwärtig. Ich musste mehrmals tief durchatmen, bevor ich die ersten Schritte tat.
„An der linken Felswand, etwa zehn Katzenlängen hinter dem Eingang. Du musst dich klein machen, um durchzukommen“, hatte Rennpfote gesagt, die keinen Schimmer von meinem Vorhaben besaß. Ich ging zu der Felswand, spürte meine Schnurrhaare an dem rauen Gestein entlang streichen, während der feuchte Farn mein Fell benetzte. Es hatte dieselbe Farbe wie der Fels.
Da war es! Das Loch! Ich tastete vorsichtig mit der Pfote und zog mich in den Tunnel.
Er war vollkommen schwarz! Mein Herz fing an, noch schneller zu schlagen. Dunkelheit. Komplette Dunkelheit. Und ich musste mittendurch!
Die Felswände verschluckten die Schritte meiner Pfoten, während ich in den Tunnel kletterte. Er stieg sanft an und hatte mehrere Biegungen. Ein wirklicher Tunnel!
Er wurde enger. Ich kauerte mich zusammen und schob mich langsam vorwärts. Das Atmen fiel mir zwischen dem feuchten Gestein zunehmend schwerer. Das war kein Weg für Katzen mit Platzangst!
Der Weg stieg weiter an. Ich musste meine Krallen tief in den Fels graben, um nicht abzurutschen. Immer mehr kleine Steine lagen mir im Weg. Endlich sah ich den ersten Mondstrahl.
Das helle Licht stach mir in die Augen, sodass ich blinzeln musste. Ich erreichte die Oberfläche. Die frische Luft!
Ich saß einen Augenblick auf dem Fels, bis mir einfiel, dass unter mir Katzen waren. Ich duckte mich und schob mich langsam auf den Rand des Vorsprungs zu. Unter mir wurde gerade die Große Versammlung eröffnet.
Ich benötigte lange, bis ich Steinpfote entdeckte, die zusammen mit Rindenpfote bei einigen SteppenClan-Schülern saß. Die SteppenClan-Katzen waren leicht daran zu erkennen, dass sie kleiner waren als die Waldkatzen. Sie schienen flink und zäh zu sein, denn sie hatten sehnige, schlanke Körper. Anscheinend mussten die Jäger in ihrem Territorium sehr aufmerksam sein.
Steinpfote sah kurz zu mir hoch. Mir war klar, dass sie mich entdeckt hatte. Ich entdeckte einzelne Katzen meines Clans, die sich mit den anderen vermischt hatten. Die Rivalitäten, die ich aus dem Lager kannte, schienen bei der Großen Versammlung verbannt zu sein. Sie plauderten friedlich miteinander, als würden sie zu einem Clan gehören.
Ich wäre gerne zu ihnen hinunter gestiegen. Bestimmt konnten die Schüler sich gegenseitig Tipps geben, oder Informationen verplappern.
Alle Gespräche wurden sofort eingestellt, als Fuchsstern in den Steinkreis in der Mitte trat, den keine Katze außer ihr berührte. Ein graubrauner Kater mit einem auffälligen weißen Streifen auf dem Rücken folgte.
„Die Große Versammlung hat hiermit begonnen“, läutete Fuchsstern die Versammlung ein und gab sogleich an den Anführer des SteppenClans weiter. „Silberstern, ich lasse dir den Vortritt.“
Der Anführer des SteppenClans! Ich kniff die Augen zusammen, um Silberstern genauer beobachten zu können. Fuchsstern wollte sehen, ob er etwas zu Graufells Tod sagte.
Mit einem respektvollen Kopfnicken nahm Silberstern die Aufforderung an und erhob seine Stimme.
„Im SteppenClan gibt es derzeit keine Probleme. Die Beute ist üppig. Zwei unser Schüler sind zu Kriegern ernannt worden. Glutflamme und Federpelz.“
Die Katzen wandten sich zu den genannten Kriegern und gratulieren. Ein orangefarbener Kater und eine weiß-graue Kätzin nahmen die Wünsche entgegen. Ich inspizierte die jungen Krieger neugierig. Sie waren ungefähr so alt wie Rennpfote, Moospfote und Elsterpfote.
„Außerdem haben zwei unserer Jungen ihre Ausbildung zum Krieger angefangen. Finkenpfote und Eulenpfote wurden vor wenigen Tagen zu Schülern ernannt.“
Ich sah eine dunkelbraune Kätzin, wahrscheinlich die Mutter der jungen Schüler, der bei der Ansage ein stolzes Funkeln in die Augen stieg.
„Nun kommen wir zu dem ernsten Teil der Versammlung“, brach Silberstern das freudige Miauen ab. „Unsere Grenzpatrouillen haben immer öfter den Geruch von BlattClan-Katzen hinter dem Fluss entdeckt. Wir wissen nicht, ob sie Beute gestohlen haben, aber die Grenzen müssen in Zukunft berücksichtigt werden.“
Fuchsstern neigte den Kopf. „Ich werde dies meinen Kriegern mitteilen, Silberstern. Jedoch führt mich eine traurige Nachricht zu der Versammlung.“
Sie machte eine kurze Pause und sah über die versammelten Katzen. „Eichenblitz hat die Stelle als Zweiter Anführer im BlattClan übernommen. Graufell wurde vergangene Nacht auf unserer Seite des Flusses von einer unbekannten Katze angegriffen und tödlich verwundet.“
Ich bemerkte, wie auch im SteppenClan schockiertes Schweigen eintrat. Anscheinend war Graufell auch bei dem anderen Clan sehr beliebt.
Auch Silberstern schien betroffen zu sein. „Mit seinem Tod habt ihr einen mutigen, ehrenvollen Krieger verloren. Diese Nachricht betrübt mich sehr, Fuchsstern.“
Ohne darauf einzugehen, fuhr Fuchsstern fort. „Es gab einen Zeugen für diese Tat. Ein Einzelläufer hat den Mord beobachtet. Er berichtete, der Mörder sei auf eure Seite der Grenze geflohen.“
„Wir werden aufpassen, aber ist es nicht ein wenig riskant dem Wort eines Einzelläufers zu trauen. Warum sollte er dir helfen wollen?“
Fuchsstern straffte sich. „Sturmpfote ist nicht länger ein Einzelläufer, sondern ein Schüler des BlattClans.“
Ich hörte Überraschung und Abneigung aus den Stimmen der SteppenClan-Katzen heraus. Etwas Heißes stieg in meiner Brust hoch. Kurze Zeit hatte ich das Verlangen, aufzuspringen und mich bekannt zugeben, heilt mich aber dennoch geduckt an den Fels.
Silberstern bat mit einer Geste seines Schwanzes um Ruhe. „Es ist nicht das erste Mal, dass Katzen in Clans aufgenommen wurden. Darf ich daran erinnern, dass Löwenklaue ebenfalls als Einzelläufer geboren wurde. Sein ganzes Leben hat er dem Clan treu gedient.“
Zu Fuchsstern gewand sagte er: „Ich bin sicher, dass Sturmpfote ein guter Schüler werden wird. Du sollst wissen…“
Den Rest seines Satzes bekam ich nicht mehr mit. Steinpfote hatte längst das verabredete Zeichen gegeben. Ich sprang rückwärts in den Tunnel und rutschte unsanft hinunter, bis ich im feuchten Farn landete.
Sorgsam darauf bedacht, so wenig der Pflanzen wie möglich zu berühren, lief ich zurück in den Wald. Ich musste mich beeilen, wenn ich vor den anderen wieder im Lager sein musste. Mein Herz raste noch schneller, als bei meinem Aufbruch. Ich hatte die Große Versammlung heimlich mit angehört! Das hat noch keine Katze getan, erst recht kein Schüler. Hoffentlich war der SternenClan nicht allzu böse mit mir, wenn…
Ich erstarrte. Ich spürte es. Es war ein Kribbeln in meinem Nackenfell. Langsam wandte ich mich um. Auf dem Felsen, weit über mir bildete sich vor dem silbernen Vollmond die Silhouette einer schlanken, rötlich schimmernden Katze. Orangefarbene Augen funkelten mich von der Anhöhe aus an. Sie schienen etwas zu sagen.
Ich sehe dich. Ich behalte dich im Auge. Du wirst der Nächste sein!
Ich wandte mich um und setzte meinen Weg ins Lager fort.
Wir hatten uns beim Frühstück in eine abgelegene Ecke zurückgezogen, damit ich Steinpfote von meiner Begegnung berichten konnte.
„Es ist einfach Wahnsinn! Es scheint für eine Nacht keine zwei Clans zu geben. Ich habe mit einigen SteppenClan-Schülern Erfahrungen ausgetauscht. Sie haben mir Tipps zum Kaninchenjagen gegeben. Man muss so schnell laufen, wie man kann. Aber dass ist auf der Steppe bestimmt schwerer als im Wald. Wenn du nach untern…ähm, auf die Versammlung mitkommen darfst, stelle ich sie dir vor.“ Ihre Stimme wurde leiser. „Und niemand hat’s gemerkt?“
„Doch Tigerzahn hat mich gesehen, aber er ist stumm wie ein Fisch. Ich habe versprochen, ihm alles zu berichten.“
„Goldtupf hat dich zum Kampftraining freigegeben. Um mit ihm zu quatschen musst du bis zum Nachmittag warten.“
„Ich habe Graufells Mörder wieder gesehen.“
Steinpfote fuhr so sprunghaft hoch, dass die Aufmerksamkeitsrate bestimmt mit ihr stieg. Ich sah mich um. Dornenschweif, eine Königin, die in den nächsten Tagen ihre Jungen bekommen wird, sah uns kurz an, lehnte sich dann wieder zurück.
„Auf der Versammlung?“, flüsterte Steinpfote nun leiser.
„Auf meinem Rückweg zum Lager. Er stand plötzlich oben auf dem Fels. Unter den SteppenClan-Katzen konnte ich ihn nicht entdecken.“ Ich schauderte, als ich mich daran erinnerte. „Er hat mich wieder erkannt. Ich habe es in seinen Augen gesehen. Er hat mich wieder erkannt.“
„Das musst du Fuchsstern sagen!“
„Gute Idee. ‚Hallo, Fuchsstern. Du hast es vielleicht nicht mitbekommen, aber ich bin euch auf die Große Versammlung gefolgt. Du wirst nie glauben, wen ich da zufällig getroffen habe.’ Sie zerfetzt mir die Ohren, bevor ich überhaupt alles erklären kann.“
Steinpfote sah mich ernst an. „Er ist auf unserem Territorium, Sturmpfote. Er ist hier. Du bist ein Zeuge. Der einzige Zeuge. Was würdest du tun, wenn dich jemand beim Morden erwischt hätte?“
„Ihm die Kehle zerfetzen, denke ich mal.“
„Geh doch später zu ihr, nach der Jagd. Sage doch einfach, du hättest ihn eben gesehen.“
„Wäre wohl die beste Möglichkeit“, stimmte ich zu. Das Bild seiner gnadenlosen, roten Augen kam mir wieder in den Sinn. Ich beobachte dich! Keinen falschen Schritt!
Was, wenn er mich wirklich beobachtete? Wenn er nur auf die richtige Gelegenheit wartete?
Ich bekam keinen Bissen herunter und brachte die Beute stattdessen zu den Ältesten.
„Wie hat Silberstern reagiert?“, fragte Tigerzahn, während er sich über die Maus hermachte. Die anderen Ältesten waren außerhalb des Baus, sodass wie ungestört reden konnten.
„Ziemlich schockiert. Genau wie die andern SteppenClan-Katzen. Er sagte, er würde ein Auge offen halten. Aber er hat gesagt, der BlattClan würde öfter die Grenze überschreiten.“
Tigerzahn zuckte ärgerlich mit den Ohren. „Diese Regel wurde doch nur in das Gesetzt der Krieger aufgenommen, weil der SteppenClan sich in seinem Territorium immer beengt fühlt. Und da behauptet er, wir würden die Grenze übertreten?!“
„Übrigens hat der SteppenClan zwei neue Krieger und zwei neue Schüler.“
„Gut, dass es Jungkatzen gibt, da rutschen immer welche nach. Hat Mausohr etwas gesagt?“
„Wer?“
„Der Zweite Anführer des SteppenClans. Er trägt den Namen, weil seine Ohren etwas zu klein für seinen Kopf sind. Ansonsten soll er aber ein tapferer Krieger sein.“
Ich überlegte, ob mir der Kater aufgefallen war.
„Ich glaube nicht.“
„Seltsam, sonst hat er ein Maul, das die Größe seiner Ohren mehr als ausgleicht. Aber wenn er etwas sagt, dann ist das richtig. Du kannst ihn gut an seiner weißen Vorderpfote und der grauen Schwanzspitze erkennen. Sein Fell ist schwarz.“
„Ich halte auf der nächsten Versammlung Ausschau.“
„Nun, dann solltest du dich langsam zum Training aufmachen.“
Ich nickte und stand auf. Bevor ich den Bau verließ, warf ich noch einen Blick auf mein Schlupfloch. Mein Herz setzte einen Schlag aus, als ich rotes Fell dahinter aufblitzen zu sehen glaubte.
„Sturmpfote? Alles in Ordnung?“
„Ja…danke…mir geht es gut. Bis bald, Tigerzahn.“
Schnell wie der Blitz floh ich aus dem Bau.
Mausschweif, Rindenpfote, Aschenhauch, Steinpfote, Birkenkralle und ich versammelten uns bald darauf auf der Lichtung. Aschenhauch, die Älteste der Krieger, fing an.
„Der erste Ort, an dem ein Konflikt stattfinden kann ist...ja Rindenpfote?“
„Die Grenze“, erklärte der Schüler stolz. „Am Fluss gibt es eine Furt, dort ist der beste Grenzübergang. Wenn Katzen die Grenze übertreten und auf eine Patrouille treffen…“
„Das kann sich jedes Junges denken“, zischte ich dem braunen Kater zu.
„Leider gibt es immer wieder Katzen, die sich dümmer als ein Junges anstellen“, wies Mausschweif mich zurecht. „Daher ist es gut, dass wir schon einen möglichen Angriffspunkt haben. Also, was tut ihr, wenn ihr eine Katze sieht, die über die Grenze geht?“
„Angreifen!“, rief Rindenpfote aus, woraufhin er einen strengen Blick von seiner Mentorin erhielt.
„Hat jemand einen besseren Vorschlag?“, fragte Birkenkralle in die Runde.
„Was suchst du hier?“, miaute Steinpfote zaghaft.
„Schon besser, allerdings solltest du dabei etwas strenger klingen. Aber nicht zu aggressiv.“
„Was willst du im BlattClan-Territorium?“, versuchte ich es mit einem strengen, aber höflichen Unterton.
„Genau“, miaute Aschenhauch. „Und wenn die Katze keinen vernünftigen Grund nennen kann, müsst ihr sie vertreiben, wobei es unumgehbar zu einem Kampf kommt. Steinpfote, greif mich an.“
Ich beobachtete gespannt, wie die Schülerin sich zum Sprung duckte und sich gegen ihre Mentorin warf. Mit eingezogenen Krallen stemmte sich Steinpfote gegen ihre Schultern und rollte sie auf den Rücken. Aschenhauch konterte, indem sie Steinpfote sanft mit den Hinterbeinen wegdrückte und einen Schlag in Richtung ihres Kopfes vortäuschte. Flink wich Steinpfote aus und fiel der Kriegerin in die Flanke.
„Sehr gut, Steinpfote. Bei dem Sprung solltest du dich noch ein wenig mehr abstoßen. Versuch, auf meinen Rücken zu springen.“
Steinpfote wiederholte den Angriff mit mehr Sicherheit und brachte ihre Mentorin zu Fall.
„Ausgezeichnet“, lobte nun auch Birkenkralle.
Mausschweif wandte sich an ihren Schüler. „Rindenpfote, nun bist du dran.“
Ich beobachtete, wie sich der Kater, eifrig bemüht, alles richtig zu machen, duckte und mit den Augen eine geeignete Angriffsstelle aussuchte. Als er schließlich sprang, war es für Mausschweif ein Leichtes, ihm auszuweichen.
„Du solltest nicht so lange warten. Je schneller du angreifst, desto eher kannst du einen Gegner überrumpeln.“
Rindenpfote versuchte es ein zweites Mal. Schon im Kauern erkannte ich seinen Fehler.
„Du musst mit den Hinterbeinen abspringen, da hast du mehr Kraft“, miaute ich ihm zu. Der Dank für meinen Tipp war ein funkelnder Blick, dennoch nahm der Schüler den Rat an. Mausschweif konnte ihm diesmal nicht so leicht ausweichen. Er landete geschickt auf ihrem Rücken, schwankte, aber hielt sich oben. Als Mausschweif sich auf den Rücken drehte, nutzte er die Gelegenheit, und versuchte, sie am Boden festzunageln, was ihm nicht ganz gelang, aber der Ansatz sah nicht schlecht aus.
„Viel besser“, lobte Mausschweif zufrieden. „Einen Krieger könntest du damit eine gute Weile beschäftigen.“
„Saubere Landung“, meinte ich zu ihm, doch Rindenpfote sah mich wieder mit diesem wütenden Blick an. „Als Clan-Gefährte kannst du bleiben, aber glaube nicht, dass mir ein Einzelläufer den Mentor spielen kann!“
Ich zuckte zurück. Schüler und Krieger lernen voneinander, hatte Birkenkralle gesagt. Auch Schüler tauschten sich aus. Was hatte er nur?
„Nimm es nicht persönlich“, tröstete mich Steinpfote.
„Er lässt sich nicht helfen. Warum will er immer der Beste sein?“, zischte ich zurück.
Meine Freundin sah mich an. Sie vergewisserte sich, dass Rindenpfote außer Hörweite ist und miaute dann: „Da ist etwas, was ich dir noch sagen muss. Aber erst nach dem Training.“
Ich wollte nachfragen, doch da erklang schon Birkenkralles Ruf: „Du bist dran, Sturmpfote.“
Ich verbannte alle Gedanken an Rindenpfote aus meinem Kopf und wandte mich meinem Mentor zu.
Durch mehrfaches Lob aller Mentoren wurde mein Verhältnis zu Rindenpfote nicht besser. Er ging mir aus dem Weg. Steinpfote hatte versucht, mit ihm zu reden, aber er hörte nicht zu. Als wir endlich allein waren, fragte ich sie nun: „Was ist nun mit ihm? Er tut so, als müsse er besser sein als alle anderen.“
„Er will einfach kein zu hohes Mitleid. Er will nicht wie ein Schwächling behandelt werden.“
„Aber das tut doch niemand.“
Steinpfote seufzte und setzte sich kurz hin.
„Als Junges hatte er Grünen Husten bekommen. Dadurch hatte er seine Ausbildung nach mir begonnen und auch als er zum Schüler ernannt wurde, ging es ihm weiter schlecht. Unsere Mutter starb an dem Grünen Husten.“
Ich sah einen tiefen Schmerz in ihren Augen und schmiegte mich näher an Steinpfote.
„Die anderen Königinnen haben uns dann aufgezogen. Und…da Rindenpfote etwas schwach war, wurde er immer besonders umsorgt. Bei Regen wurde er immer zurück in die Kinderstube geholt, während ich noch weiter draußen spielen durfte. Ständig haben Katzen nach seinem Wohlbefinden gefragt. Ich war öfters eifersüchtig auf ihn, weil sich ständig alles nur um ihn drehte. Erst, als ich dann zur Schülerin ernannt wurde, merkte ich, wie sehr ihn das verletzte.“
Sie schwieg einen Moment. Ich versuchte mir vorzustellen, wie es wäre, dauernd als Junges behandelt zu werden, weil alle einen für zart hielten.
„Mit der Zeit wurde er kräftiger und langsam fingen die anderen Katzen im Clan an, ihn entsprechend seines Alters zu behandeln. Er hatte sich nämlich immer doppelt so stark angestrengt, um zu zeigen, dass er genauso war wie die anderen. Inzwischen ist er auch wie alle anderen, er wird aber dennoch das Gefühl nicht los, sich ständig beweisen zu müssen. Was meinst du, wie oft wir uns schon darüber gestritten haben. Er macht Fehler, wie jeder Schüler, aber er sieht nicht ein, dass dies normal ist. Er…er will halt einfach nur als normale Katze angesehen werden.“
„Und in dem Eifer merkt er nicht, dass er für alle inzwischen eine normale Katze ist“, beendete ich Steinpfotes Erklärung.
„Ja, und nun…na ja, da kamst du halt. Und…er ist eben der Auffassung, dass Katzen, die nicht im Clan geboren worden…dass ihnen etwas fehlt. Nicht, dass sie schlecht sind, aber sie sind nicht dieselbe Sorte Katze, wie im Clan geborene.“
„Schön, dass ich etwas anderes bin. Falls ich Flügel habe, hat er mir jedenfalls noch nichts davon gesagt.“
„So ist es nicht, Sturmpfote. Er wäre damit zurechtgekommen, da bin ich mir sicher. Ich glaube, es ärgert ihn nur, dass du nicht wie eine Ausnahme behandelt wirst. Er selbst wurde über Blattwechsel hinweg wie geistig zurückgeblieben eingestuft, aber ein ehemaliger Einzelläufer wird wie eine normale Clan-Katze aufgenommen. Verstehst du das?“
Ich nickte. „Das kann ich schon verstehen, leider ist es nicht so, dass ich von allen wie eine normale Clan-Katze aufgefasst werde.“
„Das sieht er aber nicht. Er…er ist einfach sauer, obwohl er nicht einmal weiß, auf wen. Und…“
„Ich bin das perfekte Objekt, um seiner Wut eine Richtung zu geben.“
„Genau.“ Steinpfote schien ziemlich erleichtert, endlich das Verhalten ihres Bruders geklärt zu haben.
„Hast du auch einen Vorschlag, wie wir das ändern könnten?“
„Ich kann da leider nichts machen. Das musst du dir überlegen.“
„Er ist dein Bruder.“
„Und wenn ich mitkomme, wird er denken, dass ich dich dazu überredet habe. Glaube mir, ich kenne ihn.“
Ich seufzte. „Mir wird schon etwas einfallen.“
In Wahrheit hatte ich keinen Schimmer, wie ich mich Rindenpfote nähern sollte. Immer wenn ich dabei war, verfiel er in stures Schweigen. Ich konnte kaum mehr als einige Wörter mit ihm wechseln. Und gang abgesehen davon, wusste ich auch überhaupt nicht, wie ich ihn darauf ansprechen sollte.
In der Zeit machte ich enorme Fortschritte. Mein Körper erlernte eine Kampftechnik nach der anderen. Die Jagd wurde von Mal zu Mal einfacher für mich. Ich lernte, langsamer als das Kämpfen, aber dennoch sehr gut, unterschiedlichste Beute immer schneller zu fangen. Mein Geruchssinn schärfte sich bei jedem Waldausflug und eines Tages belauschte ich zufällig, wenn auch nicht ganz ungewollt ein kurzes Gespräch zwischen meinem Mentor und Fuchsstern.
„Ich finde, Sturmpfote sollte bald seine Reise zur Sternengrotte antreten. Er lernt sehr schnell und es ist an der Zeit, dass er langsam aus dem Lager herauskommt.“
Aus dem Augenwinkel bemerkte ich, wie Fuchsstern nickte. „Es ist Zeit, dass ich mir wieder mit dem SternenClan die Zungen gebe. Steinpfote und Rindenpfote sollten auch mitkommen. Sie sind schließlich schon länger Schüler. Sage bitte Eichenblitz Bescheid.“
Fuchsstern fügte etwas hinzu, aber da war ich schon längst zu Steinpfote und Rindenpfote geflitzt, die sich eifrig über etwas zu unterhalten schienen.
„Ihr glaubt nie, was Fuchsstern gerade gesagt hat! Wir werden heute Nacht zur Sternengrotte reisen.“
Steinpfotes blaue Augen blitzten vor Aufregung. „Die Sternengrotte. Jetzt schon! Wir…vielleicht sehen wir ja den SternenClan!“
„Den wird nur Fuchsstern sehen“, wandte Rindenpfote ein. „Schließlich hat sie ja etwas mit ihnen zu besprechen.“
Ich starrte den Schüler überrascht an. „Woher…“
„Der halbe Clan spricht darüber, aber ihr beide erfahrt es als Letzte! Taubenjunges möchte Heilerin werden!“
Unwillkürlich sah ich zur Kinderstube. Taubenjunges und ihre Schwester Kieseljunges saßen zusammen mit ihrer Mutter Blütennase vor der Kinderstube. Kieseljunges schien ziemlich zappelig zu sein und fragte ihre Mutter alles ab, wobei ihre hellgrünen Augen leuchteten. Geduldig beantwortete Blütennase ihrer Tochter alle Fragen, während Taubenjunges sich wenig dafür zu interessieren schien. Taubenjunges konnte man schon von weitem an dem dreieckigen, schwarzen Fleck auf der Stirn erkennen, sonst sah sie ihrer Schwester zum Verwechseln ähnlich.
„Und Fuchsstern möchte ihre Kriegerahnen fragen, ob Taubenjunges die richtige Katze dafür ist.“
Steinpfote nickte. „Ich bin sicher, dass sie die richtige ist. Sie ist so geduldig. Schon als kleines Junges war sie das. Vielleicht werden sie noch heute zu Schülerinnen ernannt.“
Nun hüpfte Kieseljunges zu uns herüber. „Ich bin schon sechs Monde alt. Vielleicht werde ich morgen Schülerin! Dann kann ich bei euch einziehen.“
Ich nickte. „Haben wir schon gehört.“
Steinpfote knuffte ihren Bruder an. „Dann musst du dich etwas dünner machen, sonst haben wir zu wenig Platz.“
„Das glaube ich nicht!“, widersprach dieser. „Rennpfote, Moospfote und Elsterpfote sind schon so lange Schüler und fast so groß wie ihre Mentoren. In den nächsten Tagen werden sie bestimmt zu Kriegern ernannt.“
„Was meint ihr, wen bekomme ich als Mentor? Vielleicht Adlerpelz, er hatte schon lange keinen Schüler mehr!“
Der dunkelbraune Kater war Blütennases Bruder. „Ich glaube nicht, dass Krieger ihre Verwandten als Schüler bekommen“, meinte Rindenpfote.
„Fuchsstern wird bestimmt einen guten Mentor für dich aussuchen“, versicherte ihr Steinpfote.
„Ich kann es kaum erwarten!“, jubilierte die weiße Kätzin und rannte zurück zu ihrer Mutter.
„Wenn sie erst den SteppenClan-Kriegern gegenübersteht und es zum Kampf kommt, wird sie merken, dass Schüler sein nicht nur Spaß ist“, schnurrte Moospfote hinter uns. Ich horchte auf.
„Du warst schon einmal in einen Clan-Konflikt geraten?“
Der Schüler nickte. „Ich war gerade einen halben Mond lang Schüler, da sind wir auf der Patrouille auf die Katzen gestoßen, die eine Taube aus unserem Revier gestohlen haben. Im Kampf denkt man, dass man seine Ohren jeden Augenblick verliert, aber das Gefühl, gesiegt zu haben und die gestohlene Beute wieder ins Lager zu tragen, ist grandios.“ Nach einer Pause fügte er hinzu: „Wenn da nicht diese lästigen Kratzer wären. Ich habe sie noch tagelang gespürt.“
Allgemeines Grinsen war die Antwort.
Kieseljunges quiekte vergnügt. „Die werden sich nie wieder über die Grenze trauen, wenn sie erst einmal Kieselpfotes Krallen gespürt haben.“
Schilfpelz, Moospfotes Mentorin, erschien vor dem Schülerbau.
„Moospfote, hole deine Geschwister“, miaute die hellbraune Kätzin. „Ihr seit zu einer Jagdpatrouille eingeteilt.“
„Bis später“, verabschiedete sich der Schüler und machte sich mit Rennpfote und Elsterpfote auf den Weg. Auch Steinpfote erhob sich. „Ich habe Goldtupf versprochen, dass ich ihr beim Kräutersuchen helfe. Bis später.“ Als sie ging warf sie mir einen vielsagenden Blick zu.
„Muss ein tolles Gefühl sein, so kurz vor der Ernennung zu sein.“
Rindenpfote sah mich skeptisch an.
„Ich meine, man ist total aufgeregt, man hat Angst dass man etwas falsch macht und trotzdem weiß man, dass man bald ein Ziel erreicht hat.“
Der Kater richtete sich auf. „Worauf willst du hinaus?“
„Du hast Zeit, Rindenpfote. Zeit, zu lernen. Zeit, Fehler zu machen. Du bist eine mutige, kluge Katze und alle wissen das. Alle respektieren dich so, wie du bist. Du musst nicht versuchen, ein Anderer zu sein, um deine Bestimmung zu finden.“
Er schwieg. Rindenpfote schien durch mich hindurch zu sehen.
„Ich hatte einen Bruder. Ich…ich war immer versessen darauf, alles richtig zu machen, der Beste zu sein. Unsere Mutter hatte uns unterrichtet, seitdem wir auf den Pfoten stehen konnten, nicht erst mit sechs Monden.“
Ich musste schlucken, als die Bilder in mir aufstiegen. Bilder, die ich hatte verdrängen wollen. Doch nun musste ich reden. Ich wollte es sogar.
„Wir…wir haben…wir haben und oft darüber…gestritten, wer der Bessere von uns sei. Regen war immer vorne.“
Nun hatte ich seinen Namen gesagt. Der Knoten in meiner Brust zog sich enger zu. Aber es musste raus. Ich musste diesen Knoten lösen!
„Mit sechs Monden sind wir heimlich auf die Jagd gegangen, ohne unserer Mutter etwas davon zu erzählen. Sie hätte uns nie erlaubt, zum Zweibeinerort zu gehen. Wir haben aber gehört, dass…es hieß, es solle dort fette Mäuse geben und die Zweibeiner hatten irgendwas in unser Revier geschüttet, dass die Beute starb. Wir hätten bestimmt auch so überlebt, aber Regen und ich mussten uns unbedingt beweisen. Also liefen wir zum Zweibeinerort.“
Ich schloss für einen Augenblick die Augen und atmete tief durch.
„Und dann?“, erkundigte sich Rindenpfote mit einer weichen Stimme, die nicht zu ihm passte.
„Dann kam der Hund.“
Ich hatte das Bild wieder vor Augen. Das Gekläff, das in unseren Ohren hallte, die reißende Leine und das Monster mit den riesigen Zähnen, das auf uns zujagte.
„Wir hatten noch nie gegen einen Hund gekämpft. Ich…ich sah einfach nur seine Fänge, die in der Sonne blitzten. Ich drehte mich um und rannte weg. Ich wollte einfach nur weg von diesem Biest.“
Ich spürte, wie ich durch hohes Gras hechtete, den Gestank des Hundes in der Nase, der nach Katzenblut lechzend die Verfolgung aufnahm.
„Da kam meine Mutter. Sie hatte unser Verschwinden natürlich sofort gemerkt.“
Ich sah wieder ihr gehetztes Gesicht vor mir, wie sie mir zurief, ich solle zu den Feldern rennen.
„Ich habe einfach nur ihren Anweisungen gefolgt und bin weggerannt, bis…“
Ich stolperte über einen Stein, landete unsanft auf dem Boden und hörte das Kreischen.
„…ich Regens Todesschrei gehört habe.“
Nasse Halme, die mir ins Gesicht schlugen, Dornen, die an meinem Fell kratzten. Mein Atem nur noch ein schrilles Pfeifen. Sterne vor meinen Augen.
„Ich rannte zurück. Ich konnte sie nicht allein lassen. Bis ich zu dem Ort kam.“
Blut. Krallen. Zähne. Ich musste die Augen fest zusammenkneifen.
„Meine Mutter war tot. Sie war gestorben, um ihre Jungen zu verteidigen.“
Der reglose Körper, das Blut…all das Blut…
„Ich fand Regen. Er lag neben unserer Mutter. Da war Blut. So viel Blut. Er keuchte nur und…Alles, was er zu mir sagte, war…“
Das Echo seiner Stimme sprach aus mir. „Das Mistvieh jagt keine Katzen mehr. Du bist in Sicherheit, Bruder. Habe ich gut gekämpft?“
Krallen, blitzende Zähne. All das Blut.
„Alles, was ich hervorbrachte, war…“
Ich beugte mich zu ihm hinunter, berührte ihn an der blutigen Nase. „Du hast besser gekämpft, als ich oder jede andere Katze es je tun könnte.“
Endlich war es raus. Ich war es los. Solange Zeit. Nun habe ich mich davon befreit.
Rindenpfote legte seinen Schwanz um mich.
„Man kämpft nicht gut, wenn man als Sieger hervorgeht. Man jagt nicht gut, wenn man fette Beute macht. Man rennt nicht gut, wenn man als erster am Ziel ist. Man rennt gut, wenn man weiß, wovor man wegrennt. Man jagt gut, wenn man weiß, für wen man jagt.“
Ich machte eine kurze Pause. „Und man kämpft einzig und allein nur gut, wenn man weiß, wofür man kämpft.“
Der Schüler leckte mir freundschaftlich über das Ohr. Aus seinen beinsteinfarbenen Augen strahlte ein warmer Glanz. „Dein Bruder und deine Mutter hatten mehr von einer Clan-Katze in sich, als jeder Krieger hier im Lager. Und du hast das ebenfalls.“
Ich spürte es und ich wusste, dass Rindenpfote es ebenfalls spürte. Das war der Beginn einer wunderbaren Freundschaft.
Steinpfote rümpfte die Nase. „Müssen wir die Dinger wirklich hinunterwürgen?“
Goldtupf schnurrte amüsiert. „Sie schmecken zwar nicht besser, als sie riechen, dafür dämpfen sie aber euren Hunger. Unterwegs könnt ihr nicht einfach anhalten und jagen.“
Rindenpfote und ich hatten unsere Rationen schon längst hinuntergeschluckt, als Steinpfote anfing zu würgen. Taubenjunges saß daneben und sah interessiert zu.
„Seit ihr bereit?“ Eichenblitz schaute in den Heiler-Bau nach uns.
„Bereit“, bestätigte Steinpfote mit verzogenem Gesicht.
„Viel Glück auf eurer Reise“, wünschte uns Goldtupf. „Und passt gut auf die Grenze auf.“
Wir kamen heraus auf die nächtliche Lichtung, wo Fuchsstern bereits wartete.
„Es kann losgehen“, miaute Steinpfote fröhlich, wobei sie von allen Seiten mahnende Blicke erntete.
Wir wanderten zu den Bergen.
Ich dachte daran, dass ich einen ähnlichen Weg genommen habe, um auf die Große Versammlung zu kommen. Bald kamen wir an die Grenze unseres Territoriums. Ich hörte den Fluss rauschen. Wir bewegten uns in Richtung Berge.
„Was meint ihr, wie sieht die Sternengrotte aus?“, flüsterte ich zu Steinpfote und Rindenpfote.
„Keine Ahnung“, meinte Rindenpfote, „aber Elsterpfote hat mir erzählt, es sei eine tiefe Höhle, mit einem Loch in der Mitte. Die Heiler-Katzen treffen sich dort jeden Halbmond, um sich mit dem SternenClan die Zungen zu geben. Goldtupf und Dornenblatt, der Heiler des SteppenClans, sind gut befreundet.“
„Wir kommen zu den Bergen“, mischte sich Fuchsstern in unsere Unterhaltung ein. „Und ich denke, wenn ihr genug Atem zum Reden habt, wird euch der Aufstieg nichts ausmachen.“
Rindenpfote streckte selbstbewusst die Brust hervor. „Mir macht so gut wie nichts etwas aus.“
Fuchsstern hatte nicht übertrieben. Meine Pfoten schmerzten schon nach wenigen Katzenlängen, als wir uns mühsam den Felsigen Abhang hinaufarbeiteten. „Das ist doch nicht natürlich!“, beschwerte sich Steinpfote im Flüsterton. „Wie schafft es Goldblüte nur jeden Mond hier herauf?“
„Mit ein wenig mehr Übung wird es euch leichter fallen“, schnurrte Fuchsstern belustigt. Steinpfote zog sich ächzend weiter. „Will der SternenClan etwa, dass wir für den Kontakt zu ihnen zusätzliche Beschwerden auf uns nehmen? Da gibt es nichts zu lachen!“, fuhr sie ihren Bruder an, der besser als wir beide auf dem felsigen Terrain zurecht kam.
„Ich bin froh, dass ich keine Heilerin bin“, maulte Steinpfote.
„Steinpfote…“, setzte Fuchsstern an.
Die Schülerin zog sich weiter hoch.
„Steinpfote…“, sagte nun auch ihr Mentor.
„Ich werde es bis zur Sternengrotte schaffen, und wenn…“
Ich musste lauthals loslachen. Rindenpfote fiel mit ein. Wütend sah Steinpfote von oben auf uns herab. „Was habt ihr?“
„Steinpfote“, miaute Fuchsstern sanft. „Wir sind längst da.“ Mit dem Schwanz deutete sie auf einen großen Tunnel im Fels. „Kommt mit, ihr wollt doch die Sternengrotte sehen.“
Wir folgten unseren Anführern durch das dunkle Tor.
Ich spürte, dass der Untergrund, auf dem wir liefen, ungewöhnlich glatt war. Als wäre der Stein geschliffen. Etwas ging von dem Punkt, auf den wir uns zu bewegten aus. Etwas Mächtiges. War das das Herz des SternenClans?
“Ich sehe Licht!“, maunzte Steinpfote plötzlich.
„Wir sind auch nicht blind, Steinpfote“, kommentierte Eichenblitz gedämpft und mit einem strengen Blick. Wir kamen in eine Höhle. Wir mussten direkt unterhalb der Bergspitze sein, denn durch ein Lock in der Felsdecke flutete das silberne Licht des abnehmenden Mondes. Es erfüllte die Grotte mit einem fast magischen Glanz und hinterließ einen hellen Fleck in der Mitte. Staunend und ehrfurchtsvoll sahen wir Schüler uns in der Grotte um. Selbst Steinpfote war still. Fuchsstern blieb einen Moment im Raum stehen, als müsse sie sich erst sammeln, dann trat sie in das übernatürlich strahlende Mondlicht.
„Was passiert jetzt?“, hauchte ich Eichenblitz zu.
„Der SternenClan schickt Fuchsstern einen Traum. Dabei trifft sie ihre Kriegerahnen und kann sich mit ihnen austauschen“, flüsterte der Zweite Anführer zurück.
Ich sah zu der Anführerin, deren rotes Fell im strahlenden Licht silbern glänzte. Fuchsstern hatte sich mit dem Bauch auf die bestrahlte Fläche gelegt und den Schwanz um ihren Körper geschlungen.
Ich spürte es.
Ich spürte die Gegenwart des SternenClans, der Kriegervorfahren beider Clans, die nachts, wenn das Silbervlies am Himmel leuchtete, zu sehen waren. Sie waren bei uns, um uns herum. Sie umgaben uns und beschützten uns. Ich spürte es.
Ich schloss die Augen und ließ mich von dieser überirdischen Macht durchfließen.
„Du bist also Sturmpfote, der Einzelläufer.“
Ich zuckte zusammen. Wo war ich? Ich befand mich immer noch in der Sternengrotte, aber die anderen waren weg. Was war das für eine Stimme?
„Ich bin hinter dir.“
Ich fuhr herum. Ein schlanker, schildpattfarbener Kater saß hinter mir. In seinen Augen und seinem Fell glänzte es.
„Ich…träume ich?“, brachte ich hervor.
„Ja, aber du träumst keinen gewöhnlichen Traum.“
„Bist du…vom SternenClan?“ Der Kater nickte.
„Wir haben dich schon öfters beobachtet, Sturmpfote.“
Ich zuckte zusammen. „Du…du kennst meinen Namen?“ Natürlich, dachte ich. Er ist schließlich ein SternenClan-Krieger!
„Du bist mutig, junger Kater und sehr klug für dein Alter. Es war klug von dir, dich dem BlattClan anzuschließen, denn es stehen Veränderungen im Wald bevor, die beide Clans erschüttern werden.“
Mein Atem stockte. „Graufells Tod…“
„Ist nur ein Blatt vom Baum. Noch bevor die Blattleere kommt, werden die Clans große Prüfungen erwarten.“
In den Augen des Katers blitzte Traurigkeit auf. „Auch meinen Clan erwarten schwere Prüfungen.“
„Du bist vom SteppenClan?“ Meine Stimme überschlug sich fast. „Aber…warum sprichst du dann mit mir? Ich bin doch nur ein Schüler!“
Der Kater ging näher an mich heran. „Du hast stärkere Gaben, als du glaubst, Sturmpfote. Nicht nur der BlattClan wird gute Krieger brauchen. Ich weiß nicht, was dein Schicksal für dich bereithält, aber du wirst große Gefahren überstehen müssen.“
Ich sah, wie der Kater langsam verblasste.
„Warte! Verrate mir wenigstens noch deinen Namen!“
„Ich bin Springstern, junger Schüler. Und wir werden uns noch öfter sehen.“
Der Kater verblasste und wurde von Fuchssterns entsetztem Aufkeuchen in die Wirklichkeit zurückgerissen.
„Schlechte Neuigkeiten?“, fragte Eichenblitz besorgt. Fuchsstern hatte sich im Mondstrahl gerade aufgerichtet, ihre Augen waren geweitet.
„Die Nachtpatrouille kämpft bei der Furt mit dem SteppenClan“, platzte die Anführerin heraus. „Wir müssen ihnen helfen, sofort!“
Fuchsstern lief als Erste auf den Ausgang zu, ihr Stellvertreter folgte, dann Rindenpfote und Steinpfote. Ich war noch ganz von dem Anblick des ehemaligen SteppenClan-Anführers gefangen, sodass ich erst später reagierte.
Mehr schlecht als recht schlitterten wir fünf den Weg zum Wald herunter und kamen auf dem Felsigen Untergrund vor dem Waldrand an.
„Beeilt euch!“, spornte Eichenblitz uns an.
„Das ist die Gelegenheit, zu zeigen, wie viel ihr gelernt habt“, fügte Fuchsstern hinzu. Ich spürte wie meine Pfoten rasten. Das Jaulen und Kreischen kämpfender Katzen hallte mir entgegen. Herumwirbelnde Katzen waren zu sehen. Ich erkannte Aschenhauch, Birkenkralle, Schattenglanz, sowie den orange-gelb getigerten Flammenschweif und Dunkelpelz, einen rauchgrauen, Kater mit einer weißen Hinterpfote.
Auf einmal versperrten mir herumwirbelnde Krallen die Sicht und ein heftiger Stich bohrte sich in meine Schulter.
Die Katze warf mich zu Boden und schnürte mir die Luft ab, ehe ich mich richtig orientieren konnte. Blind hieb ich mit ausgefahrenen Krallen nach ihr und traf sie an der Schulter. Ein Biss in die Pfote ließ ich folgen. Meine Hinterbeine trommelten gegen ihren Bauch, ich kam frei und rappelte mich keuchend auf.
„Du bist also der Einzelläufer!“, zischte die Kriegerin mich an. Ohne auf die Bemerkung einzugehen, warf ich mich erneut auf sie. Schnell wich sie auf und versetzte mir einen harten Stoß in die Flanke. Ich versuchte, ihre Pfote mit meinen Zähnen zu packen, biss allerdings ins Leere.
„Musst wohl noch ein wenig über, was?“, verhöhnte mich die feindliche Kriegerin und setzte zu einen zweiten Sprung an, der nicht minder so hart war, wie der erste.
Ich spürte, wie ihre Krallen an meinem Fell zerrten, als ich im letzten Moment auswich. Das Kreischen kämpfender Katzen dröhnte in meinen Ohren, doch, mein Herz schien alle anderen Geräusche zu übertönen. Meine Ohren pochten, ich bemerkte, dass ich blutete.
„Kämpfe, Einzelläufer!“, zischte mich die Kätzin an. „Oder bist du doch ein Hauskätzchen?“
Der Begriff „Hauskätzchen“ ließ heiße Flammen in mir hochfahren.
„Komm, Hauskätzchen!“
Mit einem wilden Fauchen stürzte ich mich auf die Kriegerin und warf sie zu Boden. Mit den Hinterläufen drückte sie mich weg und ließ mich im hohen Bogen durch die Luft fliegen. Im Flug drehte ich mich und landete sicher auf allen vier Pfoten, doch meine Rivalin hatte ich aus den Augen verloren.
Ich sah Rindenpfote mit einem SteppenClan-Krieger ringen und setzte meine Pfoten in Bewegung, um meinem Freund zur Seite zu stehen. Mit einem Satz landete ich auf dem Rücken des Katers und verbiss mich in sein Nackenfell. Wütend fauchen ließ er von Rindenpfote ab und versuchte, mich abzuschütteln. Ich rammte ihm meine Hinterkrallen in das Rückenfell und versuchte, ihn aus dem Gleichgewicht zu bringen.
Eine andere Katze sprang mich an und stieß mich brutal von dem Krieger hinunter. Ich bekam für einen Moment keine Luft mehr und sah grelle Sterne. Im letzten Moment kam ich auf die Pfoten und stemmte mich dem nächsten Angriff entgegen.
Ein Damm schien in mir zu brechen. Die schnellen, rasenden Bewegungen der kämpfenden Krieger schienen zu fließen, langsamer zu werden. Ich konnte endlich den Schmerz in meiner Schulter unterdrücken und meine Sinne für das Nötige weiten.
Mit akribischer Präzision sah ich den Schlag der Katze voraus und duckte mich zu Boden. Sein Bauch war ungeschützt. Mit aller Kraft stieß ich meine Hinterpfoten vom Boden ab, dass Grasfetzen durch die Luft flogen und bohrte meine Krallen in das weiche Bauchfell. Wir schossen durch die Luft in die kämpfende Menge. Ich ließ nicht nach, als ich meinen Angreifer mit aller Wucht an den Boden nagelte.
Schrill jaulte mein Gegner auf und versuchte, mich abzuschütteln. Ich warf ihn zurück zu Boden und bohrte Krallen und Zähne tief in sein Fell. Den Schatten, der sich über mir bildete, registrierte ich zu spät.
Brutal wurde ich zurückgerissen und nun selbst auf den Boden genagelt. Die Krallen zerrten an meinem Fell, ich sah blitzende Zähne auf mich zu kommen.
Der Krieger wurde mit aller Kraft zur Seite gestoßen, jemand packte mich vorsichtig mit den Zähnen am Nackenfell und zog mich hoch. „Alles noch dran?“
„Elsterpfote!“ Ich hatte mich nie so gefreut, den störrischen Schüler zu sehen.
„Wir waren auf der Jagd, als wir den Lärm hörten.“
Nun sah ich auch Rennpfote und Moospfote im Getümmel. Ihre Mentoren Schattenglanz, der orange-rot-gestreifte Flammenpelz und die grau-weiß-gescheckte Winterfrost. Immer mehr SteppenClan-Krieger flohen durch die Furt.
Fuchsstern jagte mit gebleckten Zähnen den letzten von ihnen über die Grenze. „Sag Silberstern, dass dies nicht ungesühnt bleiben wird!“, fauchte sie ihm hinterher. Mit bebenden Flanken drehte sich die Anführerin zu uns um. „Ist jemand ernsthaft verletzt?“
Wir alle hatten Schrammen und Kratzer abbekommen, aber keine Katze war schwer verletzt. Ich sah mich nach Rindenpfote und Steinpfote um. Rindenpfote leckte einen Kratzer an der Schulter und Steinpfote saß keuchend auf dem Boden und untersuchte einige tiefe Schrammen an ihrer Pfote.
„Sturmpfote!“ Ich wandte mich um und sah Birkenkralle auf mich zukommen. „Gut gekämpft!“, schnurrte er.
Stolz wärmte mich. Ich sah mich um. Die Katzen sammelten sich auf der Lichtung.
„Was ist passiert?“, fragte Fuchsstern.
„Sie haben auf uns gewartet“, berichtete Dunkelpelz. „Es war ein geplanter Angriff.“
Fuchsstern nickte. „Wir kehren ins Lager zurück. Morgen werde ich zu Silberstern gehen und ihn zur Rede stellen.“
Auf dem Rückweg gesellte sich Rennpfote zu mir. „Toll gekämpft, Sturmpfote.“
„Danke. Du warst auch nicht schlecht.“
„Meinst du, Fuchsstern wird uns jetzt zu Kriegern ernennen?“
Ich sah wie Fuchsstern etwas mit den Mentoren der Schüler besprach. „Ich bin mir sicher, das ist beschlossene Sache.“
„Alle Katzen, die alt genug sind, ihre Beute selbst zu erledigen, fordere ich auf, sich unter der großen Eiche zu einem Clan-Treffen zu versammeln.“
„Wir werden euch vermissen“, schnurrte Rindenpfote Elsterpfote zu.
Er sah erst ihn, dann mich an. „Oder euch freuen, dass ich nicht mehr den Bau verstopfe?“
„Du hast es getroffen!“, miaute ich ihm mit auffällig nettem Gesichtsausdruck entgegen.
„Tja, Einzelläufer“, meinte der schwarz-weiße Kater. „Für dich wird die Zeit auch irgendwann kommen.“
„Jetzt, wo er zum Krieger ernannt wird, wird er bestimmt nur noch unausstehlicher“, flüsterte Steinpfote, als Elsterpfote an uns vorbei gegangen war.
„Aber wir müssen seinen Gestank nicht mehr ertragen“, fügte ich hinzu und erntete schelmisches Grinsen. Dann verstummten wir und sahen zu Fuchsstern und den drei Schülern.
„Ich, Fuchsstern, Anführerin des BlattClans, rufe meine Kriegerahnen auf, auf diese Schüler herabzusehen. Sie haben hart trainiert, um eure edlen Gesetze zu lernen und wir heißen sie als vollwertige Krieger in unserem Clan willkommen.“
Fuchsstern wandte sich an die Schüler. „Elsterpfote, Moospfote und Rennpfote, verspricht ihr, das Gesetz der Krieger zu achten, euren Clan zu schützen und zu verteidigen, selbst wenn es euer Leben kostet?“
„Ich verspreche es!“, bestätigte Elsterpfote mit stolzgeschwellter Brust.
„Ich verspreche es!“, sagte Moospfote mir einem hellen Glanz in den Augen.
„Ich verspreche es!“, miaute Rennpfote deutlich, ihre Augen glänzten.
„Dann gebe ich euch mit der Kraft des SternenClans eure Kriegernamen. Elsterpfote, von diesem Augenblick an wirst du Elsterfeder heißen. Der SternenClan ehrt deinen Mut und heißt dich als vollwertigen Krieger in unserem Clan willkommen.“
Fuchsstern senkte ihren Kopf auf Elsterfeders Stirn, während der frisch ernannte Krieger ihre Schulter leckte. Der Clan wiederholte den Namen. „Elsterfeder! Elsterfeder!“
„Moospfote, von diesem Augenblick an wirst du Moospelz heißen. Der SternenClan ehrt deine Tatkraft und heißt dich als vollwertigen Krieger in unserem Clan willkommen.“
Auch Moospelz leckte Fuchssterns Schulter. „Moospelz! Moospelz!“, hallte es im Lager wieder.
„Rennpfote, von diesem Augenblick an wirst du Rennwind heißen. Der SternenClan ehrt deine Entschlossenheit und heißt dich als vollwertige Kriegerin in unserem Clan willkommen.“
„Rennwind! Rennwind!“, rief der Clan, während Rennwind Fuchssterns Schulter leckte.
„Nach dem Gesetz der Krieger werden diese jungen Krieger eine schweigende Wache halten. Nun ist es Zeit für Zwei junge Katzen, zu Schülern ernannt zu werden.“
Taubenjunges und Kieseljunges traten hervor.
„Goldtupf!“
Die Heilerin trat hervor.
„Ich gebe Taubenjunges in deine verlässlichen Pfoten. Mögest du all dein Wissen an deine Schülerin weiter geben. Von diesem Augenblick an, bis sie ihren Clannamen erhält, wird diese Schülerin Taubenpfote heißen. Sie hat den Weg der Heilerin gewählt und der SternenClan möge sie in ihrem weiteren Leben unterstützen.
„Taubenpfote! Taubenpfote!“, rief der Clan. Goldtupf und Taubenpfote berührten einander bei den Nasen.
„Dunkelpelz!“ Die schwarz-graue Kriegerin trat hervor.
„Du wirst die Mentorin von Kieselpfote sein. Gebe dein Wissen an deine Schülerin weiter und bilde sie zur treuen Kriegerin aus.“
„Kieselpfote! Kieselpfote!“, riefen wir, während Dunkelpelz und Kieselpfote sich an den Nasen berührten.
Der Clan löste sich wieder auf. Steinpfotes Augen leuchteten. „Was meinst du, wie Fuchsstern uns nennen wird? Also ich würde gerne Steinklaue heißen. Und du?“
„Was? Äh…keine Ahnung. Fuchsstern sucht doch die Namen aus.“
„Aber man dürfte doch Vorschläge machen!“, meinte Steinpfote. „Stell dir vor, du würdest einen total mäusehirnigen Namen bekommen. Sturmpups zum Beispiel.“
Rindenpfote grinste. „Ich glaube nicht, dass sie so etwas tun würde.“
„Sturmpfote!“ Das war Birkenkralle. „Eichenblitz hat uns für eine Jagdpatrouille eingeteilt.“
Ich nickte. „Bis später!“ Ich folgte meinem Mentor in den Wald.
Es dämmerte, als wir die erste Beute erlegten.
„Guter Fang“, meinte Birkenkralle. „Oder lieber: guter Sprung. Sie war schon dabei, aufzufliegen.“
Seufzend nahm ich die Taube zwischen die Zähne. „Die Beute wird rarer“, kommentierte ich.
„Und die Blätter brauner. Bald wird die Blattleere eintreten.“
Fuchssterns vertrauter Duft stieg in meine Nase. Ich roch Ärger.
„Das Treffen war nicht erfolgreich“, murmelte ich.
„Das hätte man auch voraussehen können“, brummte Birkenkralle. „Vielleicht hat Silberstern versprochen seine Krieger zu bestrafen und sich von der Grenze fernzuhalten. Was soviel bedeutet, wie dass wir einige Tage Ruhe haben und der Tumult dann von vorne losgeht.“
Der Wind drehte und der Duft von Wühlmäusen stieg mir in die Nase. „Ich versuche noch mal mein Glück.“
Birkenkralle nickte. „Ich bringe die Taube ins Lager. Aber halte dich von der Grenze fern.“
Der mit Kräutern behandelte Kratzer kribbelte, als mein Mentor die Grenze erwähnte. „Ich passe auf mich auf“, bestätigte ich und lief dem Geruch entgegen.“
Als ich die Mäuse rascheln hörte, hockte ich mich in die Jagdposition. Meine Nase verriet mir die Richtung. Die Wühlmaus lief direkt auf mich zu!
Vorsichtig, um kein Geräusch zu verursachen, bewegte ich mich meiner Beute entgegen. Sie war nur noch wenige Schwanzlängen entfernt! Ich spannte meine Hinterbeine zum Sprung an.
Ein lautes Knacken schreckte die Wühlmaus auf und verscheuchte sie. Wütend fuhr ich herum. Ein Rascheln im Gebüsch verriet mir die Position des Störenfriedes, obwohl ich niemanden entdecken konnte.
„Ich weiß, dass du da bist! Komm raus!“, knurrte ich wütend.
„Ich habe mich schon gefragt, wann du mich endlich bemerkst.“
Ich erstarrte. Eis schien durch meine Adern zu fließen, mein Herz setzte erst einen Schlag aus und pochte dann so heftig gegen das Gefängnis meiner Rippen, dass ich fürchtete, diese könnten zerspringen.
„Du hast Mut bewiesen. Für einen Einzelläufer bist du erstaunlich loyal.“
Die Stimme kam von der Seite. Ich hatte keine Geräusche gehört.
„Natürlich habe ich mich schon gefragt, wieso ich den lästigen Zeugen nicht einfach aus dem Weg räumen sollte.“
Ich fuhr herum, da die Stimme schon wieder aus einer anderen Richtung kam. Er spielte mit mir.
„Hast du Angst, Sturmpfote?“
Ja, ich hatte riesige Angst. „Was soll dieses Spiel?“ Meine Stimme zitterte stärker, als mir lieb war.
„Angst und Mut sind zwei Seiten desselben Blattes. Wer keine Angst hat, kann nicht mutig sein.“
Was beim SternenClan redete er da?
„Warum greifst du mich nicht an?“
„Gute Frage.“ Er hatte wieder seine Position gewechselt. „Ich könnte dir hier und jetzt die Gurgel zerfetzen. Aber, mein Lieber, währe das nicht ein zu langweiliger Abgang für einen Kämpfer wie dich?“
Ich zuckte zusammen. Er war direkt hinter mir. Ich spürte ihn.
„Was hast du vor?“, hauchte ich, nur, um etwas erwidern zu können.
„Denkst du wirklich, dass ich dir das verraten werde?“, zischte der Kater. Ich war immer noch zu steif, um mich zu ihm umzudrehen und sah nur das schildpattfarbene Fell aus dem Augenwinkel.
„Ich muss gestehen, ich bewundere dich, junger Schüler. Aber das heißt nicht, dass ich mich vor dir fürchte.“ Ich hatte das Gefühl, als beugte er sich dicht zu meinem Ohr vor. „Ich behalte dich im Auge!“ Daraufhin verschwand er raschelnd im Gebüsch.
„Wo hast du ihn gesehen?“ Fuchsstern war aufgesprungen, ihr Schwanz peitschte unruhig hin und her. Ich hatte sie bisher noch nie so aufgewühlt gesehen.
„Auf halben Weg zwischen dem Lager und der Furt. Ich weiß aber nicht, wohin er gegangen ist.“
Ich roch deutlich den Angstgeruch Eichenblitz’, obwohl der Krieger äußerlich gelassen wirkte. „Ich werde die Patrouillen verdoppeln. Die Jungen verlassen nicht mehr das Lager. Schüler, vor allem du, Sturmpfote, gehen nicht mehr ohne einen Krieger aus dem Lager. Jede Patrouille wird mindestens zu dritt sein und muss alles, was ihr seltsam vorkommt, melden.“
Der Zweite Anführer hielt einen Augenblick inne. „Heute ist Halbmond. Flammenschweif, du wirst Goldtupf und Taubenpfote zu den Bergen begleiten. Richte Goldtupf aus, dass sie Dornenblatt warnen soll.“
Der getigerte Krieger nickte. „Ja, Eichenblitz“. Er lief los.
„Wir werden eine zusätzliche Patrouille einsetzen“, miaute Fuchsstern. „Diese Patrouille geht nicht an den Grenzen, sondern im Territorium entlang und sucht nach der Duftspur einer unbekannten Katze. Eichenblitz wird diese Patrouillen anführen.“
Der Zweite Anführer nickte. „Blütennase, Schattenglanz, ihr kommt mit.“
Fuchsstern fuhr fort: „Es werden immer zwei Krieger Nachtwache halten. Flammenschweif, Winterfrost, ihr seid die ersten für heute Nacht.“
Sie hielt einen Augenblick inne. „Hoffentlich meinen es unsere Kriegerahnen gut mit uns.“
„Haben wir für die ganzen Patrouillen überhaupt genug Katzen zur Verfügung?“, hörte ich Kieselpfote fragen, die mit ihrer Mentorin und zwei Vögeln Frischbeute gerade ins Lager zurückkehrte.
„Wir werden es schon irgendwie hinbekommen“, ermunterte sie Dunkelschweif, während sie ihre Beute auf den Frischbeutehaufen ablegten.
„Genau die Frage habe ich mir auch schon gestellt“, stimmte Steinpfote gähnend zu. Sie war gerade von der Morgenpatrouille zurück gekommen und sofort für die nächste Jagdpatrouille eingeteilt. Zufrieden hatte ich festgestellt, dass meine Bewegungsfreiheit doch nicht ganz eingeschränkt war und ich immerhin noch bei der Nachmittagspatrouille dabei sein durfte.
„Goldtupf und Taubenpfote sind zurück“, murmelte ich halb anwesend, während die Heilerinnen das Lager betraten. Kieselpfote sprang auf und begrüßte ihre Schwester an der Nase. „Wie hat Dornenblatt reagiert?“
„Erschrocken“, berichtete Taubenpfote. „Ich bezweifle jedenfalls stark, dass der SteppenClan irgendwas mit dieser Katze oder Graufells Mord zu tun haben könnte.“
Rindenpfote kam zu uns. „Steinpfote, wir brechen auf.“
Die Schülerin nickte und sprang auf die Pfoten. Rindenpfote wandte sich an mich. „Ich soll dir ausrichten, dass du wieder zu den Ältesten eingeteilt bist und nachher beim Vergrößern des Kriegerbaus helfen sollst.“
„Danke.“ Vergrößerung des Kriegerbaus. Das konnte ja nur bedeuten, dass wir drei nicht mehr lange Schüler sein werden. Ich nahm einige Mäuse und eine Taube vom Frischbeutehaufen und brachte sie zu den Ältesten.
„Du wurdest wohl für den Rest des Mondes zu Lagerarrest verdonnert?“, begrüßte Buntschweif mich nicht ohne Mitleid.
Ich legte meine Mitbringsel ab. „Sieht so aus“, antwortete ich nüchtern.
Moorpelz machte sich als erster gierig über die Beute her. „Für uns ist das ziemlich positiv. Du bist vielleicht der einzige Schüler seit langem, dem es Freude macht, sich um alte Katzen zu kümmern.“
„Und der einzige, der dabei ein wenig mitfühlend vorgeht“, fügte Vogelpelz hinzu, die, nach meinen weiteren Erfahrungen, gar nicht so griesgrämig war, wie die anderen Schüler behauptet hatten.
„Schüler wollen eben etwas lernen“, beschwichtigte sie Buntschweif.
„Von uns kann man auch etwas lernen. Vor allem von Tigerzahn.“
Der getigerte Kater hatte geschlafen, als ich eintrat und schrak erschrocken aus dem Schlaf.
„Wie bitte, was…ach du bist es, Sturmpfote. Nett, dass du wieder vorbeischaust.“ Mit knackenden Gelenken richtete er sich auf. „Wärst du vielleicht so nett, mir neues Moos zu holen?“
„Gerne, Tigerzahn“, nahm ich die Aufgabe an und machte mich schnell an die Arbeit. Als ich in den Bau zurücktrat waren die Ältesten schon in ein Gespräch vertieft.
„Bei der Geschichte fühlt man sich wirklich in seinem eigenen Wald nicht wieder“, hörte ich Moorpelz krächzen. „Und egal, was Silberstern sagt, ich traue keinem einzigen Haar in seinem Pelz. Der SteppenClan hat bestimmt etwas mit dieser Katze zu tun.“
Ich erinnerte mich an die Freundlichkeit, mit der sich die beiden Clans auf der Großen Versammlung begrüßt hatten und stieß auf den scharfen Kontrast zu diesen Vorurteilen. Bestimmt meinte Moorpelz nur einige Krieger und nicht den ganzen Clan.
„Ich hoffe nur, dass nicht wieder ein Clan-Krieg ausbricht“, murmelte Moospelz.
Ich horchte auf. „Ein Krieg! Aber das…“
Erschrocken hielt ich inne, als ich bemerkte, dass ich Buntschweif ins Wort gefallen war.
„Verzeihung.“
„Schon in Ordnung“, murmelte Buntschweif. „Der letzte große Clan-Krieg ist sehr viele Blattwechsel her. Tigerzahn und Vogelpelz waren damals noch Jungen. Ich und Moospelz waren gerade zu Schülern ernannt worden. Es gab schon damals viele Grenzkonflikte, da wir eine harte Blattleere hinter uns hatten und irgendetwas die Bäume vergiftet hatte. Ihnen fielen die Blätter ab und damit starb auch die Beute.“
Moospelz nickte. „Es gab immer häufiger Grenzkonflikte, bei denen viele Katzen verletzt wurden. Wir traten nämlich zugegeben oft über die Furt, da wir dachten, auf dem SteppenClan-Territorium lasse sich besser jagen. Doch auch der SteppenClan hatte große Schwierigkeiten und reagierte verständlicherweise wütend auf unsere Angriffe.“
„Damals war Springstern noch Anführer des SteppenClans“, erinnerte sich Vogelpelz. „Er war alles in allem ein kluger, gerechter Kater, aber bei der Hungerkatastrophe starb seine Gefährtin mit ihren Jungen. Er erlebte eine schwere Krise, er zweifelte sogar seine Autorität als Anführer an.“
Ich erinnerte mich an den Kater, der mir in der Sternengrotte erschienen war. Depressiv hatte Springstern auf mich nicht gewirkt.
„Es gab auf beiden Seiten Tote“, murmelte Tigerzahn. „Dabei eskalierten die Kämpfe. Der SteppenClan versuchte eine Invasion, um an mehr Territorium zu kommen. Auch unsere Krieger vergaßen das Gesetz der Krieger.“
„Und der SternenClan?“, fragte ich zögerlich.
„Sie hüllten sich in Schweigen“, berichtete Vogelpelz. „Vielleicht waren sie so enttäuscht über das Verhalten ihrer Nachfahren, dass sie am liebsten aus der Welt austreten würden. Beutediebstähle waren fast alltäglich. Als ich und meine Geschwister entwöhnt waren, kehrte auch unsere Mutter ins Kriegerleben zurück, um ihrem Clan zu retten. Wir waren als Jungen oft allein. Manchmal sahen wir heimlich beim Schülertraining zu, um zu wissen, wie wir uns bei einem Angriff verteidigen könnten.“
Schweigen hüllte die Ältesten ein. Schließlich ergriff Buntschweif wieder das Wort.
„In der Zeit fielen sogar zwei Große Versammlungen aus. So lange, bis wir schließlich ein Treffen zwischen Anführern und Heilern beider Clans arrangierten.“
„Eine Friedensverhandlung?“
„Genau. Taufell, unser damaliger Heiler und Meisenstern trafen sich mehrmals mit Springstern und Adlerauge, dem SteppenClan-Heiler. Seit dem gab es keine ernst zu nehmenden Kämpfe mehr.“
Mir fröstelte. Ich hoffte, dass so ein Krieg nicht wieder ausbrechen würde.
„Was hat der SternenClan unternommen?“
„Taufell hatte Monde lang keine Zeichen von ihnen mehr bekommen“, sagte Vogelpelz. „Als sie schließlich wieder hervorkamen, appellierten sie immer wieder an Frieden und die Einhaltung des Gesetzes der Krieger. Wir hatten es fast vergessen. Und so etwas darf nie wieder passieren.“
Ich nickte. Die Erzählung hatte mich ziemlich eingeschüchtert. Mit steifen Gliedern richtete ich mich auf. „Kann ich noch etwas für euch tun?“
Die Ältesten lächelten. „Nein, danke, Sturmpfote“, lehnte Vogelpelz ab. Sie schnupperte. „Ich glaube, Birkenkralle ist von seiner Patrouille zurück. Es wird Zeit für dein Kampftraining.“
„Auf Wiedersehen.“ Immer noch mulmig zu Mute trat ich aus dem Bau.
Kieselpfote wich meinem Sprung mit einer Rolle zur Seite aus und fiel mir in die Flanke. Ich setzte mit einem Pfotenhieb nach, sie tauchte darunter durch und ließ ihr volles Körpergewicht gegen meine Schulter prallen, was mich aus dem Gleichgewicht brachte. Mit den Hinterpfoten stieß ich die jüngere Schülerin von mir weg, sie landete federnd und sicher auf dem Gras, konnte diesmal aber nicht schnell genug ausweichen. Es kostete mir etwas Kraft, sie zu Boden zu drücken, doch schließlich gab sie auf.
„Hervorragend, Kieselpfote“, lobte Dunkelpelz die weiße Kätzin, die sich keuchend aufrappelte. Auch ich war außer Atem geraten.
„Du bist eine geborene Kämpferin“, murmelte Rindenpfote bewundernd. Mit einem Nicken schloss ich mich ihm an.
„Danke.“ Die frisch ernannte Schülerin schien ein wenig verlegen, aber glücklich über das Lob. „Ich fürchte, bei der Jagd werde ich aber nicht so gut abschneiden.“
Wir hatten vor dem Schülerbau das Anschleichen geübt. Kieselpfotes Name passte zu der Art ihres Auftrittes. Dunkelpelz schmunzelte. „Niemand verlangt von dir, die beste Kriegerin und beste Jägerin des Clans zu werden. Jede Katze hat ihre Stärken und danach sollte sie ihrem Clan dienen.“
Die Frage war in allen Punkten unpassend, aber sie musste einfach heraus.
„Glaubt ihr, dass es bald einen Clan-Krieg geben wird.“
Aschenhauchs Blick verfinsterte sich. „Wir tun alles, um dies zu verhindern, aber die Situation zwischen den Clans ist und bleibt angespannt.“
Mausschweif nickte. „Ich fürchte ebenfalls, bei den kleineren Scharmützeln wird es nicht bleiben. Wir haben auf der Patrouille wieder Markierungen auf unserer Seite der Furt gefunden. Daraufhin haben wir unsere auf der SteppenClan-Seite als Antwort gesetzt.“
„Keine Sorge“, beruhigte uns Birkenkralle, als nun auch die anderen erschrocken drein sahen. „Ich glaube nicht, dass Silberstern es auf einen Krieg ankommen lassen wird, solange es diplomatische Lösungen gibt. Der SteppenClan hält sich zwar nicht immer an Regeln, aber mäusehirnig sind sie auch nicht.“
„Was war mit dem Kampf von vorgestern?“, gab Steinpfote zu bedenken.
„Wir hoffen, dies war eine Ausnahme.“
Aschenhauch beendete die Diskussion mit einem Peitschen ihres Schwanzes. „Steinpfote, Rindenpfote, ihr seit dran.“
Noch während die Geschwister anfingen, sich zu umkreisen, sah ich für einen Sekundenbruchteil die Silhouette einer Katze zwischen den Bäumen. Weiß-rotes Fell funkelte mir entgegen. Ich erkannte die Katze auf Anhieb wieder. Springstern! Die braungelben Augen des Anführers schienen mir etwas sagen zu wollen. Dann verschwand er.
Auf dem Rückweg ins Lager erreichte uns die Botschaft. Ich stolperte beinahe über meine eigenen Pfoten, als Elsterfeder es uns erzählte.
„Was ist mit der Steppe?“, fragte Rindenpfote entgeistert.
„Das Eis in den Bergen ist geschmolzen“, erklärte der junge Krieger atemlos. „Fast die ganze Steppe steht unter Wasser. Fuchsstern hat eine Patrouille über den Fluss geführt, um dem SteppenClan zu helfen.“
„Wie konnte das passieren?“, hauchte ich. So viel Wasser konnte ich mir kaum vorstellen.
„Ich habe keinen Schimmer, aber das Wasser scheint nun auch in unser Territorium vorzudringen. Die Clans müssen nun zusammenarbeiten. Und da gibt es das Hauptproblem.“
Ich verstand sofort, was er sagte. Der SteppenClan wollte nicht hilflos erscheinen und würde jede weitere Unterstützung ablehnen, was die Katzen nur noch weiter schwächen würde.
Mit mulmigem Gefühl ging ich weiter ins Lager. Kurz darauf rief Fuchsstern zur Versammlung.
„Alle Patrouillen müssen sich für gewisse Zeit vom Fluss fernhalten. Goldtupf, Taubenpfote, ihr werdet zu eurer eigenen Sicherheit auf dem Weg zur Sternengrotte einen Umweg machen.“
Alle Köpfe wandten sich um, als Blütennase, Aschenhauch und Moospelz von der Patrouille zum SteppenClan zurückkamen. Ihre Pelze tropften vor Wasser.
„Wir sind weder auf Markierungen, noch auf Katzen gestoßen. Der SteppenClan muss sein Lager verlassen haben.“
Eichenblitz erhob sich. „Der SteppenClan gehört zu uns wie der Baum in den Wald. Es ist der Wille des SternenClans, dass sich zwei Clans dieses Gebiet teilen. Wir müssen sie suchen und in ihr Territorium zurückführen.“
Er erhielt zustimmendes Miauen. Fuchsstern bat um Ruhe. „Eichenblitz hat Recht. Aber so, wie die gegenwärtige Situation ist, kommen wir unmöglich über den Fluss. Ich werde gleich eine Patrouille anführen, die einen Weg durch die Berge sucht, um zur Steppe zu kommen. Eichenblitz, du wirst solange im Lager aufpassen. Schattenglanz, Winterfrost, Adlerpelz, ihr werdet mit mir kommen.“
Ich sah, wie sich die Versammlung auflöste und die Patrouille das Lager verließ. Vor meinen inneren Augen rollten ungeheure Wassermassen von den Abhängen der Berge auf Wald und Steppe zu. Wo war der SteppenClan nur? War er geflohen? Warum hatte der SternenClan keine Warnung geschickt?
„Die Flut wird doch nicht bis hierher dringen, oder?“ Steinpfotes schüchterne Frage holte mich aus meinen Gedanken. Aschenhauch schüttelte den Kopf. „Das Lager liegt auf einem Hügel“, beruhigte sie ihre Schülerin. „Wir müssen schlimmstenfalls mit vermoderten Bäumen, Mücken und einem neuen Sumpf in der Nähe der Berge rechnen.“
„Das ist nicht die erste Überschwemmung!“
Alle Blicke wandten sich zu Moorpelz um. „Vor unzähligen Blattwechseln hatte es eine ähnliche Flut von den Bergen gegeben. Damals schwappte das meiste Wasser in unser Territorium. Als das Wasser weg war, war der Wald mit Schlamm übergossen und wir konnten tagelang Fische fressen. Nicht zuletzt sind dabei fast alle kleineren Bäume herausgerissen worden.“
Ich stellte mir das Grasland als schlammigen, mit Mücken verseuchten Sumpf vor. Dort würde doch keine Katze leben wollen.
„Ich kann es nicht glauben, dass keiner dem SteppenClan helfen will!“, empörte sich Rindenpfote im Flüsterton neben mir. „Wir sind zwar Rivalen, aber trotzdem sind wir Nachbarn. Wenn der SteppenClan weg wäre, wären Krieger überflüssig und damit würden fast all unsere Bräuche untergehen.“
„Aber wir kommen nie und nimmer über den Fluss“, mischte sich Kieselpfote ein.
Ich erinnerte mich an etwas. Ein Bild mischte sich dunkel aus meiner Erinnerung und kam langsam zum Vorschein. „Die Aufrechgeherbrücke“, murmelte ich.
Die anderen sahen mich überrascht an. „Was?“
„Ich war einmal dort. Hinter dem Zweibeinerort steht eine riesige Steinbrücke. Die Zweibeiner haben sie gebaut, damit ihre Monster auf die andere Seite fahren können.“
„Da fahren Monster“, wiederholte Rindenpfote. „Ist das nicht ein wenig gefährlich?“
„Ich glaube, ich weiß, wie wir da rüber kommen. Ich habe mal einen Streuner die Brücke überqueren sehen. Es sah ganz einfach aus.“
Steinpfotes Augen leuchteten auf. „Das sollten wir Eichenblitz erzählen. Er wird bestimmt eine Patrouille dorthin schicken und…“
„Eine Patrouille, die einen Donnerweg inspizieren soll?“, gab Kieselpfote zu Bedenken. „Und das während der Wald zu ertrinken droht.“
„Ich werde dem SteppenClan jedenfalls nicht einfach so ziehen lassen!“, entschied Rindenpfote.
„Es wird auffallen, wenn wir alle vier das Lager verlassen“, meinte ich. „Das Loch im Ältestenbau wurde geflickt. Wenn…“
„Ihr könntet zum Vorwand nehmen, dass ihr mir helft, Kräuter gegen Grünen Husten zu suchen.“
Wir fuhren herum. Taubenpfote hatte alles mit angehört.
„Was?“, fragte ich verwirrt.
Kieselpfote nickte ihrer Schwester zu. „Gute Idee. Während wir angeblich Kräuter sammeln, schleichen wir uns zur Zweibeinerbrücke. Nachher sagst du, wir wären noch einmal auf die Jagd gegangen.“
„Verzeihung“, miaute Rindenpfote. „Aber fünf Katzen zum Kräutersammeln, ist das nicht…etwas ungewöhnlich?“
Die Heiler-Schülerin nickte. „Dann machen wir das so: Steinpfote, du warst schon öfter beim Kräutersammeln dabei. Wir zwei melden uns zuerst ab und verlassen das Lager. Dann geht ihr drei hinaus unter dem Vorwand, für die Katastrophe vorrätlich Frischbeute zu jagen und dabei Kieselpfote Techniken zu zeigen. Wir treffen uns beim Nadelwald, wo ich und Steinpfote mit Reisekräutern, die wir inzwischen gesammelt haben, auf euch warten. Dann führt Sturmpfote uns zur Zweibeinerbrücke. Verstanden?“
„Verstanden“, nickte ich.
Rindenpfote sah zweifelnd in die Runde. „Kannst du das noch mal langsamer wiederholen?“
Taubenpfote peitschte mit dem Schwanz. „Lauf einfach hinter den anderen her. Wir dürfen keine Zeit verlieren.“
Eichenblitz schien in der Hektik die Regelungen, die Fuchsstern zum Schutz der Schüler aufgestellt hatte, vergessen zu haben.
„In Ordnung, entfernt euch aber nicht zu weit vom Lager. Sobald euch etwas seltsam vorkommt, und sei es nur ein komischer Geruch, kehrt um und erstattet Bericht.“
„Ja, Eichenblitz.“ Ohne den geringsten Wunsch, diesem Befehl nachzukommen, preschten wir zum Nadelwald, wo uns Taubenpfote und Steinpfote schon erwarteten.
„Müssen wir das Zeug essen?“, kommentierte Kieselpfote mit angewidertem Blick die Reisekräuter.
„Auf deiner Reise zur Sternengrotte musst du sie auch schlucken“, berichtete Rindenpfote amüsiert, während Kieselpfote die Kräuter mit gerümpfter Nase aß.
„Ich sage, dass Steinpfote sich euch angeschlossen hat“, verabschiedete sich Taubenpfote.
„Ich dachte immer, Heiler-Katzen dürfen nicht lügen“, fragte diese.
„Wieso lügen? Ich habe gesagt, wir gehen Kräuter sammeln und das haben wir gemacht. Und wenn ich berichte, du hättest dich ihnen angeschlossen, ist das nur die Wahrheit. Wenn euer Fehlen bemerkt wird, sage ich nur, ich hätte euch zuletzt am Nadelwald gesehen, wenn gefragt wird, wohin ihr geht, antworte ich, dass ihr dort weiter gezogen seid. Dann habe ich euch verlassen. Ich weiß nicht, wo diese Zweibeinerbrücke ist, also weiß ich auch nicht, wo ihr steckt. Das ist die reine Wahrheit.“
Wir mussten grinsen, als Taubenpfote dies so locker vortrug.
„Vielen Dank, Taubenpfote“, miaute Kieselpfote.
„Gerne, und weiterhin viel Glück auf eurer Reise.“ Damit verschwand die junge Heilerin im Wald.
Mir stach der widerliche Geruch feuchten Waldbodens in die Nase. Allerdings war dieser noch weit entfernt. „Hier geht’s lang“, wies ich die anderen an und lief in Richtung Zweibeinerbrücke. Über mir hörte ich ein Donnern. Jetzt auch noch Regen! Wenn das so weiterging, müssten wir nachher noch unseren eigenen Clan suchen!
Schon prasselten dicke Tropfen auf uns nieder und saugten sich in meinem dichten Fell fest. Die Bäume wichen, die ersten Zweibeinerhöhlen kamen in Sichtweite. Wir liefen über eine Wiese, ich roch schon den Gestank des Donnerweges und hörte das Gebrüll der Monster. Der Fluss kam in Sicht, der ungewöhnlich viel schlammiges, stinkendes Wasser führte.
Ein vertrauter Katzengeruch stieg in meine Nase. Ich wandte den Blick in die Richtung. Springstern! Ich sah sein Gesicht deutlich vor Augen. Dann war er verschwunden.
Wollte mir der SternenClan-Krieger etwas mitteilen? Aber was?
Die Brücke kam in Sicht.
„Vorsicht!“
Mein Ruf kam keinen Augenblick zu spät. Kieselpfote kam schlitternd zum Stehen, als ein Monster wenige Schwanzlängen vor ihr vorbeiraste. Der Fluss war über die Ufer getreten, sodass die schwarzen Pfoten des Monsters wässrigen Schlamm auf ihr Fell spritzten. Kieselpfote schüttelte sich. „Das ist widerlich!“ Sie sah, dass noch ein weiteres Monster angerannt kam und trat mehrere Schritte zurück. „Wie sollen wir da rüberkommen?“
Ich horchte. Als der Lärm des Monsters in der Ferne verklang, prüfte ich trotz des Gestanks die Luft. Es schien kein weiteres zu kommen.
„Geht hintereinander und haltet euch an den Rand des Donnerweges“, befahl ich den anderen und trat auf die harte Erde. „Wir müssen uns beeilen.“
Ich hörte Steinpfote scharf durch die Zähne atmen, als wir unser Tempo steigerten. Der heiße Stein musste an den weichen Ballen der Waldkatzen scheuern. Wir erreichten die Mitte der Brücke.
„Der Fluss führt eindeutig zuviel Wasser“, knurrte Rindenpfote. Das dreckige Wasser bespritzte unser Fell. Kein Wunder, dass der SteppenClan verschwunden war!
Ich hielt inne. Ich spürte etwas.
„Was ist?“, zischte Kieselpfote von hinten.
Die Zweibeinerbrücke vibrierte. Und das war kein Monster!
Ein ungeheures Donnern ließ mich bis ins Mark erzitterten. Die Wassermassen schlugen mit so einer Wucht gegen die Brücke, dass die Steine, aus denen sie errichtet waren, erzitterten. Und am Horizont schob sich eine weitere, viel größere Wasserwand auf uns zu!
„Runter von der Brücke!“, rief ich und rannte los, ohne zu wissen, was meine Clan-Gefährten taten. Das Tosen der Welle donnerte in meinen Ohren. Rindenpfote überholte mich. Wir fegten über die Brücke, auf das Ende des Donnerweges zu, ohne darauf zu achten, wie sehr uns der raue Stein die weichen Ballen zerfetzte. Ein ungeheures Donnern ertönte, jemand rief nach mir.
Langsam, viel zu langsam wandte ich mich um. Der Balken, der den hinteren Teil der Zweibeinerbrücke hielt, schwankte. In der Mitte schien die Brücke zu bersten, schlammige Flutwellen zerrten die Steine mit sich in die Tiefe.
Ich verlor den Halt, verlor die anderen aus den Augen. Der Stein unter mir gab nach, verzweifelt schlug ich mit den Krallen um mich und versuchte, mich irgendwo festzuhalten. Ich sah das Katzengesicht.
„Springstern! Springstern, hilf mir!“
Der Kater sah mich traurig an. Mir kam seine Erscheinung im Wald wieder in den Sinn. Hatte er mich davor warnen wollen?
„Springstern!“
Die tosende Flutwelle riss mir den Ruf von den Lippen. Eine Kaskade aus eiskaltem Gebirgswasser traf mich, riss mir sämtliche Luft aus dem Leib und schleuderte mich hart in den rauen Fluss. Ich wollte atmen. Ich musste atmen. Ich wusste nicht mehr, wo oben und unten war. Grelle Punkte blitzten vor meinen Augen auf. Ich paddelte mit den Pfoten, rang verzweifelt nach Atem, schluckte die braune Brühe. Ein harter Druck entstand auf meinem Ohr. Von allen Seiten drückte das Wasser gegen mich. Irgendwann beim Ringen mit den Elementen gab ich auf und ließ mich in die Tiefe ziehen.
Ich lag im Schlamm. Der Dreck hatte sich tief in mein Fell gezogen und Nase und Ohren verstopft. Ich hatte nicht mehr die Kraft, mich zu bewegen, aufzustehen, mich zu putzen oder mich auf die Suche nach meinen Clan-Gefährten zu machen. Ich spürte noch, wie sich mein Brustkorb hob und senkte. Ich lebte. Oder auch nicht. Wellen, kalten, dreckigen Wassers schwappten über mich rüber. Ich fror und zitterte. Oder auch nicht mehr.
Wo waren Steinpfote, Rindenpfote und Kieselpfote? Warum haben wir Kieselpfote mitgenommen, sie war doch noch so jung? Wie haben wir, eine Pfotevoll Schüler, uns überhaupt dazu hinreißen lassen, zu glauben, wir könnten einen Clan wieder finden?
So viele Fragen! Ich wollte nicht weiter nachdenken. Ich wollte den Verlust meiner Clan-Gefährten nicht spüren. Ich wollte nicht mehr diese Schuldgefühle haben.
Ich hatte sie über die Brücke geführt! Ich hatte überhaupt erst den Weg vorgeschlagen. Wie sollte ich je zum Krieger werden, wenn ich nicht einmal diese Verantwortung auf mich heben konnte?
Das Wasser stieg. Es floss um mein Gesicht, floss mir ins Maul. Was tat ich hier? Sterben?
„Du darfst dir nicht so viele Vorwürfe machen, Sturmpfote!“
Springstern? Wo war er?
„Öffne deine Augen.“
Meine Lider waren mit feuchtem Sand verklebt, als wäre ich auf den Grund des Flusses getaucht und hätte den Kopf in die Erde gesteckt. Dennoch konnte ich sie öffnen.
Das Wasser war weg! Mein Fell war trocken und wehte in einem warmen, duftenden Wind. Mein Blick strich über das weite Grasland der Steppe. Die Steppe.
„Du hast eine mutige Entscheidung getroffen, Sturmpfote.“
Ich wandte mich um. Springstern stand hinter mir im wogenden Gras. Sein Fell schien von innen heraus zu leuchten. „Wo bin ich?“, fragte ich ihn, obwohl ich längst einen Verdacht hatte. „Bin ich tot?“
„Fühlst du dich tot?“
Ich schüttelte den Kopf. „Träume ich?“
„Das trifft es schon eher.“
Ich sah wieder über die weite Steppe. „Ist das hier der Himmel?“
„Es steht mir leider nicht zu, dir unseren Himmel zu zeigen, doch in diesem Traum kann ich dir die gegenwärtige Situation der Clan verdeutlichen.“ Springstern deutete mit dem Schwanz in eine Richtung. Ich folgte und sah eine mit Büschen und Ranken umwallte Talsenke. „Das SteppenClan-Lager?“
Irritiert prüfte ich die Luft. „Ich rieche keine Katzen. Wo sind sie?“
„Mein Clan hatte wegen des Wassers keine Beute mehr gefunden. Sie sind weg gezogen, obwohl sich die Flut langsam zurückzieht. Du musst sie wiederholen, denn ihnen und auch dem BlattClan droht große Gefahr.“
Die Erwähnung meines Clans weckte mich auf. „Was ist mit dem BlattClan? Welche Gefahr droht den Katzen?“
„Folge mir.“
Dichter Nebel umgab uns, während ich hinter Springstern hertappte. Als er sich lichtete, fand ich mich in unserem Lager wieder. Fuchsstern erwartete mit besorgter Miene eine Patrouille.
„Fuchsstern?“ Ich trat auf meine Anführerin zu. Sie schien mich nicht zu bemerken.
„Das ist ein Traum, Sturmpfote“, miaute Springstern. „Sie kann dich nicht hören.“
Birkenkralle, Eichenblitz und die sehr besorgt aussehende Blütennase kamen ins Lager.
„Habt ihr sie gefunden?“, erkundigte sich Fuchsstern.
„Der Nadelwald, wo sich ihre Spur verloren hat, ist überflutet. Man kann kaum auf dem Boden laufen, ohne einzusinken“, berichtete Eichenblitz, während der halbe Clan zuhörte. Schlamm klebte an den Pfoten der Krieger. „Der Waldboden saugt das Wasser auf, also scheint die Flut sich langsam zurückzuziehen. Doch fast der ganze Waldboden ist mit Schlamm überzogen.“
Ich sah Angst in den Augen der Anführerin. „Du meinst, sie könnten…“
„Sie sind alle vier kluge Katzen. Es ist wahrscheinlicher, dass sie diese die Schlammlawine bemerkt und sich außerhalb des Territoriums in Sicherheit gebracht haben.“
Fuchsstern wandte sich an Goldtupf. „Hat der SternenClan dir eine Botschaft gesandt?“
Die Heilerin schüttelte betrübt den Kopf. Taubenpfote saß neben ihr, den leeren Blick in eine weite Ferne gerückt. Ich wusste, was sie durchmachte. Sie fühlte sich schuldig.
„Was ist mit dir, Taubenpfote?“
„Es ist kein Zufall, dass sie verschwunden sind, kurz nachdem sich der SteppenClan ohne Spur aufgelöst hat“, entgegnete die Schülerin vorsichtig.
Etwas funkelte in Eichenblitz’ Augen. „Du meinst, sie könnten den SteppenClan suchen?“
„Ich bin mir ziemlich sicher.“
„Das könnte zu ihnen passen“, miaute Aschenhauch. „Aber wie wollen sie über den Fluss kommen?“
Taubenpfote wandte sich ab und entgegnete nichts. Das Lager verschwand im Nebel.
„Haben wir einen Fehler gemacht?“, hauchte ich. „Ich meine, war es falsch, loszuziehen?“
„Etwas zu tun, was dein Herz dir sagt, ist niemals falsch, welche Konsequenzen es auch mit sich ziehen wird“, entgegnete Springstern.
„Was ist nun mit dieser Gefahr?“
Erneut lichtete sich der Nebel. Ich spürte felsiges Gestein unter meinen Pfoten. „Sind wir in den Bergen?“ Springstern brauchte nicht zu antworten.
Ich sah mich um. Wir waren so weit von der Sternengrotte entfernt! Die felsige Landschaft schien sich bis zum Horizont zu erstrecken.
„Hier verliert sich die Spur meines Clans“, miaute Springstern. „Das ist das Ende unserer Reichweite. Nur lebendige Katzen können diese Berge überschreiten und sehen, was sich dahinter verbirgt.“
„Wir müssen in die Berge, um den SteppenClan zu finden?“, wiederholte ich.
Der Nebel kehrte zurück. Er hüllte mich ein. „Was…?“ Ich wandte mich an Springstern.
„Es ist an der Zeit, dass du wieder aufwachst.“ Der Kater wurde von den Nebelschwaden verschluckt. „Ich werde an deiner Seite sein.“
„Springstern, warte!“
Der Nebel baute sich zwischen mir und dem ehemaligen Anführer auf. Ich fühlte mich, als würde ich in den Nebel hineingezogen. Er riss mich mit sich. Ich versuchte, um mich zu treten, mich frei zu kämpfen, doch meine Hiebe gingen ins Leere. Schließlich erfüllte das wattige Weiß des dichten Dunstes meinen Kopf und ich ließ mich widerstandslos fallen.
Die erste Sinneswahrnehmung, die ich hatte, war, dass eine Katze mir über das Gesicht leckte und den Schlamm wegputzte. Ich lag nicht mehr am Rande des Flussbettes, sondern in weichem Gras. Irgendwo in der Ferne hörte ich meinen Namen.
„Sturmpfote!“
Das Rufen wurde immer lauter. Kam die Katze näher?
„Sturmpfote!“
Oder fing ich an, besser zu hören?
„Sturmpfote!!!“
Ich schrak auf, riss meine Augen auf, hustete Schlamm und Wasser. Pfoten drückten auf meinen Körper, um alles, was nicht dorthin gehörte, hinauszupressen. Ich spürte, wie mir etwas ins Maul gesteckt wurde. Reflexartig schluckte ich, kurz darauf wurde ich auf die Seite gerollt, wo ich mich übergab.
„Er kommt zu sich!“
Kieselpfote! Ich blinzelte, sah ihr Gesicht als verschwommener Schemen, der langsam deutlicher wurde.
„Was…was war das?“
„Scharfgarbe“, erklärte Rindenpfote. „Als Junges habe ich mal aus Versehen eine Todesbeere gefressen, daraufhin hat Goldtupf mir das gegeben, damit ich mich übergebe.“
Ein weiterer Hustenanfall schüttelte mich so sehr, dass die beiden mich stützen mussten.
„Hast du Steinpfote gesehen?“, fragte Rindenpfote.
Endlich fingen meine Sinne wieder richtig zu arbeiten an. „Ist sie nicht bei euch?“
Wir hatten uns aufgeteilt. Rindenpfote und Kieselpfote liefen stromaufwärts bis zur zerstörten Zweibeinerbrücke, während ich dem Flussverlauf folgte. Meine Nase hatte ich weitgehend vom Dreck befreit, um nach Steinpfotes Duftspur zu suchen. Immer wieder rief ich ihren Namen, während ich besorgt das wild rauschende Wasser registrierte. Die Strömung könnte sie überall hingetragen haben.
„Steinpfote! Wo bist du? Steinpfote!“
Als Antwort erhielt ich mein eigenes Echo. Kalter Wind zerrte an meinem Fell, während Hunger, Durst und Müdigkeit Gleiches mit meinem Verstand taten. Überall glaubte ich das vertraute, dunkelgraue Fell mit den funkelnden, blauen Augen zu entdecken. Ihr ständiges Geplapper wieder in den Ohren zu haben, ihre unerschöpfliche Lebensenergie zu spüren.
Nichts. Nur Gras, Wasser und feuchte Erde.
„Steinpfote!“ Nichts. Nicht die geringste Duftspur.
Langsam aber sicher stieg Verzweiflung in mir hoch. Wo war sie nur? Ich dachte an die reißenden Wellen und den Druck des Wassers, das Gefühl, jeden Augenblick müssten die Rippen bersten.
Sie kann nicht ertrunken sein! Sie kann es nicht! Nicht Steinpfote! Nicht sie!
Ich fing an, sie zu lecken, wie Kieselpfote es bei mir getan hatte. Ich drückte verzweifelt mit den Pfoten auf ihre Brust, auch wenn längst kein Wasser mehr kam. „Wache auf, Steinpfote! Wache auf!“
Ich hatte wieder unsere erste Jagdstunde vor Augen, als wir gemeinsam unsere Beute erlegt hatten. Ich erinnerte mich daran, dass sie mich als erste in dem Clan willkommen geheißen hatte, wie sie mir von den Großen Clans erzählte, ihre Begeisterung für den LeopardenClan. Ich erinnerte mich an ihr Gesicht, als wir die Reisekräuter essen sollten, an ihre Miene, als sie die Sternengrotte verfehlt hatte und an die Abende, an denen wir uns gemeinsam die Zunge gegeben hatten. Dabei wurde mir eins klar.
Ich beugte mich vor das Ohr der grauen Kätzin und flüsterte: „Ich liebe dich, Steinpfote. Ich habe dich schon seit unserer ersten Begegnung geliebt. Bitte, lass mich nicht allein. Beim SternenClan, bitte wache auf!“
Ich spürte einen festen, schmerzenden Knoten in meiner Brust. Steinpfote hatte mich nicht mehr gehört.
„Sie hat Fieber“, miaute Kieselpfote besorgt. „Und sie ist unterkühlt.“
Rindenpfote und ich fingen an, ihr Fell gegen den Strich zu lecken, um sie zu wärmen. Wir hatten schon versucht, Steinpfote mit vorgekauter Frischbeute zu füttern. Rindenpfote hatte in der Nähe einen Teich entdeckt und Moosballen mit Wasser herübergeschleppt. Steinpfote hatte die Tropfen schwach aufgeleckt und war dann wieder in diesen fiebrigen Schlaf gefallen. Mehr und mehr bemerkten wir, wie aufgeschmissen wir ohne eine Heiler-Katze waren. Vorsichtig nahm ich einen der getränkten Moosballen und legte ihn auf Steinpfotes Stirn, um sie zu kühlen.
„Borretsch“, murmelte Rindenpfote. „Ja, ich erinnere mich. Als ich als Junges Fieber hatte, hat Goldtupf mir Borretsch gegeben.“
„Wo findet man das hier?“
Kieselpfote schnupperte. „Ich glaube, ich rieche es!“ Sie drehte sich um und stürmte über den matschigen Weg auf die nächste Wiese zu. Steinpfote zuckte und murmelte etwas, was wir nicht verstanden.
„Halte durch“, flüsterte Rindenpfote ihr ins Ohr. „Du wirst schnell wieder gesund, ich weiß es.“ Steinpfote schien etwas antworten zu wollen, brachte jedoch kein verständliches Wort hervor. Kieselpfote kam mit den Kräutern zurück. „Was jetzt?“
Ich nahm ein Blatt vorsichtig zwischen die Zähne. „Steinpfote, du musst das essen.“ Schwach öffnete die Kätzin die Augen. „Du musst es essen!“, wiederholte ich. Langsam fing sie an, den Borretsch zu zerkauen, während die letzten Strahlen der orangeroten Sonne hinter dem Horizont verschwanden. „Mir ist kalt“, hauchte Steinpfote, als die nächtliche Kühle sich über uns legte. Ich spürte, wie das Wasser stieg.
„Wir müssen weg vom Wasser.“
„Dort drüben ist eine kleine Erdhöhle“, berichtete Kieselpfote und deutete mit dem Schwanz in die angegebene Richtung. Vorsichtig hoben Rindenpfote und ich Steinpfote auf, während Kieselpfote Moos für die Polsterung zusammentrug. Als wir ankamen, hatte sie schon ein recht kleines, aber gemütlich aussehendes Nest für Steinpfote zusammengebastelt. Die Kätzin war inzwischen in einen tiefen, fiebrigen Schlaf gefallen und zuckte mit den Pfoten. Anscheinend träumte sie.
„Sie braucht unbedingt Frischbeute, wenn sie aufwacht“, miaute Rindenpfote.
Ich nickte. „Ich war schon mal in dieser Gegend. Ich kenne die besten Jagdplätze.“ Mit den Worten lief ich los. Mein Geruchssinn, der sich bei Nacht enorm steigerte lenkte mich schon bald in eine Richtung, in der es schon früher viele Mäuselöcher gab. Ob die Mäuse noch dort lebten?
Spitzmaus! Der Geruch stieg mir sogleich in die Nase. Kurz darauf hörte ich auch schon das Rascheln. Der Mond war noch nicht aufgegangen, darum musste ich mit dem fahlen Licht der Sterne begnügen. Hoffentlich würden bald mehr SternenClan-Krieger auf dem Silbervlies erscheinen!
Die Spitzmaus wechselte ihre Richtung. Ich hörte sie rascheln. Sie huschte über trockenes Laub. Nun rückte sie in mein Blickfeld. Vorsichtig hob ich meine Pfote an und fühlte mit dem Ballen nach trockenen Zweigen oder sonst etwas, dessen Geräusch mit verraten könnte. Ich fluchte in Gedanken, als ich die Pfote zu fest aufsetzte und die Spitzmaus deutlich erkennbar den Kopf hob. Zu spät fiel mir ein, dass sie meine im Dunkeln leuchtenden Augen wahrnehmen könnte. Noch bevor sie sich zur Flucht umdrehte, sprang ich, um sie zu kriegen, verfehlte meine Beute aber um eine halbe Schwanzlänge.
„Mäusedreck!“, fluchte ich und hätte mir dabei selbst die Krallen übers Ohr ziehen können. Alles was Ohren hatte, hatte mein Miauen zweifellos gehört. Unzufrieden mit mir selbst zog ich weiter. Steinpfote brauchte Nahrung! Ich konnte, wenn ich wollte, ein gefährlicher Nachtjäger sein, aber nun, wo es drauf ankam, versagte ich!
Ich schloss erneut die Augen, um Witterung aufzunehmen. Nichts! Keine einzige Geruchsspur, die jagdbar war! Ich hörte nur das Quaken von Fröschen aus dem nahe gelegenen Teich.
Frösche! Es war nicht unbedingt die schmackhafteste Frischbeute, aber besser als nichts.
Während ich mich näherte, spürte ich erneut diese feuchte, wassergetränkte Erde. Ich müsste wohl oder übel schwimmen, doch das war kein Problem. Für Steinpfote würde ich durch das Wassernest der Sonne schwimmen, falls ihr das helfen könnte.
Das kalte Nass umspülte meine Beine, als ich in den Teich watete und wurde von meinem Fell aufgesogen. Die großen, glitzernden Augen der quakenden Frösche verrieten mir, wohin ich gehen musste. Das Wasser wurde tiefer. Es ging mir schon fast bis an die Brust. Ich spürte, wie sich schleimige Wasserpflanzen in meinem Pelz verfingen. Der Frosch quakte nur noch lauter, als ich näher kam, doch augenscheinlich war er Katzen nicht als Feinde gewöhnt. Mit einem schrecklich lautem Platschen und Gurgeln gelangte ich in die Nähe des Frosches, wo ich ihn im letzten Moment mit den Zähnen zu fassen bekam, was außerdem noch den Erfolg hatte, dass das stinkende Teichwasser mir nun auch noch in Nase und Ohren lief. Mit, wie es mir schien, ohrenbetäubenden Krach planschte ich zurück ans Ufer, wo ich meine außergewöhnliche Beute zu Boden legte und mich kräftig schüttelte, dass die Tropfen nur so flogen. Als ich mich wider Willen noch einmal dem See zuwandte, um weitere Beute auszuspähen, hielt ich inne, als ein ganz anderer Geruch sich in meinen Nasenhöhlen breit machte.
Katze!
Ich schnupperte. Es war weder Kieselpfote, noch Rindenpfote, denn es roch nicht nach BlattClan, aber auch nicht nach SteppenClan. Dennoch kam mir etwas an diesem Geruch bekannt vor.
Die Katze war in der Nähe, vielleicht nicht unmittelbar in Sichtweite, aber irgendwo auf den Wiesen des Flussufers. Ich nahm den Frosch zwischen die Zähne und folgte der Geruchsspur. Je deutlicher er wurde, desto vertrauter wurde der Geruch auch für mich. Langsam fing ich an, Verbindungen in meinem Kopf herzustellen. Der Wald. Die Nacht. Der Fluss…
Mein Herz setzte einen Schlag aus. Bilder blitzten vor meinen Augen auf. Katzen. Ein Kampf. Blut…
Ich rannte, den Frosch fest zwischen die Zähne gepresst zurück. Ich stolperte über einen Zweig, ohne meine Beute zu verlieren, rappelte mich wieder auf. Etwas verfing sich in meinem Fell, ich achtete nicht darauf, sondern stürmte weiter durch das Gebüsch, bis ich wieder auf die Wiesen kam und Hals über Kopf in unsere Höhle purzelte.
Steinpfote war wach und atmete schwach. Sie hustete heftig, während Schleim aus ihrer Nase troff. Kieselpfote stand mit besorgtem Gesichtsausdruck über ihr.
„Sie hat Grünen Husten. Ich erinnere mich nicht mehr, was dagegen hilft. Katzenminze oder Huflattich, oder etwas Anderes. Sie…“ Kieselpfote hielt inne. Auch Rindenpfote sah auf und erstarrte, als er mich sah.
„Sturmpfote? Was ist los?“
Ich ging nicht auf seine Frage ein, ließ endlich den glitschigen Frosch fallen und spürte, wie mein Herz raste.
„Sturmpfote?“, wiederholte der Schüler.
„Was hast du?“, hauchte nun auch Steinpfote zwischen zwei Niesen.
„Er…er ist wieder da. Er verfolgt uns.“ Meine Stimme war kaum mehr, als ein Wispern. Kieselpfote kam einige Schritte auf mich zu.
„Er muss mich bemerkt haben. Er weiß, dass wir hier sind. Ich habe seinen Geruch wieder erkannt.“
„Sturmpfote!“, miaute Rindenpfote eindringlich. „Wer?“
„Er wird mich töten. Er wird uns alle töten…“
„Wer!?“, riefen alle drei gleichzeitig aus.
Ich hob meinen Blick, sah die Befremdung und Sorge in den Augen meiner Clan-Gefährten, als sie die Todesangst in den meinen bemerken musste. „Graufells Mörder“, hauchte ich, „er ist hier.“
Für unzählige Herzschläge herrschte Totenstille in der Höhle. Ich schluckte.
„Er…Ich glaube, er verfolgt mich schon länger. Er ist immer wieder aufgetaucht und dann verschwunden. Ich habe keine Ahnung, was er von mir will.“
Ich hörte die Verzweiflung in meiner Stimme. Gehetzt blickte ich von Kieselpfote zu Rindenpfote, dann eine lange Zeit lang zu Steinpfote und wieder zu ihrem Bruder. Dieser schien Herzschläge lang ins Leere zu starren, bevor er mich wieder ansah.
Endlich brachte ich meine Gedanken in Ordnung. „Ich werde gehen“, miaute ich. Stille folgte. Mit schmerzlichen Blicken sah ich auf meine Clan-Gefährten…meine Freunde.
„Du kannst nicht gehen“, hauchte Steinpfote, die mit fiebrigem Blick durch mich hindurch starrte.
„Ich muss. Ich kann euch nicht in Gefahr bringen.“
Kieselpfote sah zu Boden und scharrte mit ihren Pfoten. Ihr Blick raste hin und her, sie entgegnete nichts. Rindenpfote mied meinen Blick.
„Ihr…ihr müsst weiter nach dem SteppenClan suchen. Ich werde ihn von euch ablenken. Vielleicht hat er euch noch nicht einmal bemerkt…“
„Du willst…dich für uns opfern?“, keuchte Steinpfote.
Ich sah ihr tief in die glasigen Augen und nickte.
Rindenpfote hob endlich den Kopf. Trauer spiegelte in seinen bernsteinfarbenen Augen. „Du...du…wir können dich doch nicht einfach im Stich lassen. Wir sind dein Clan…deine Familie. Wir sind doch deine Freunde.“
„Ja“, miaute ich. „Und deshalb will ich nicht, dass euch etwas passiert.“
Schweigen. Bedrücktes Schweigen. Ich spürte einen Knoten in der Brust. „Lebt wohl.“
Langsam drehte ich mich um und ging auf den Ausgang zu.
„Nein!“, rief Kieselpfote. Sie sprang auf, überholte mich und stellte sich mir in den Weg. „Du kannst nicht gehen. Du…du hast uns doch erst hierher geführt. Ohne dich wären wir alle nicht hier.“
Ja, es stimmte, was sie sagte. Ich war der Kopf dieser Expedition. Wie ein Anführer. Und ein Anführer muss für seinen Clan sorgen, bevor er an sich selbst dachte.
„Denke doch an den SteppenClan! Wir wollen ihnen doch helfen. Du kannst das am besten von uns allen.“ Rindenpfote erschien an meiner Seite. „Es ist der Wille des SternenClans, dass du bei uns bleibst.“
Ich wandte mich zu ihm um. „Ist es auch der Wille des SternenClans, dass wir alle umkommen?“
„Das ist es doch, was er will.“ Schwankend stand Steinpfote auf. „Er…er will, dass du verschwindest. Dass es keine Zeugen mehr gibt. Damit er…seine Pläne, was auch immer sie beinhalten, verwirklichen kann.“ Sie hustete heftig, ihr Körper zitterte. „Du kannst nicht aufgeben. Wir brauchen Gerechtigkeit. Gerechtigkeit für den SteppenClan. Gerechtigkeit für Graufell. Was sind wir schon wert, wenn die Ehre unseres Clans auf dem Spiel steht?“
Ich sah zu den anderen. Flehende Blicke kamen mir entgegen. Sie hatten Recht. Das Gesetzt der Krieger war wichtiger als wir selbst.
Etwas entfachte in mir. Ein brennender Wille. Ich hob den Blick. „Steinpfote, glaubst du, du kannst laufen?“
Sie nieste heftig. „Es wird schon gehen. Macht euch um mich keine Sorgen.“
Ich nickte. Dann drehte ich mich zu Rindenpfote und Kieselpfote um. „Wir brechen sofort auf!“
Der Schrei einer Eule ließ mich zusammenzucken. Der Vogel flog jedoch weit von uns entfernt. Überall schien es zu rascheln, tausende Augen blinzelten uns aus der Dunkelheit entgegen. Zum Hundertsten Mal prüfte ich die Richtung. Der Wald lichtete sich und bestand fast nur noch aus Sträuchern. Ich konnte die Steppe schon riechen. Tiere ergriffen angsterfüllt die Flucht, als wir kamen.
„Dort drüben sind einige Felsen! Dort machen wir einen Moment lang Rast.“
Die Anderen nickten. Rindenpfote stützte seine Schwester, als diese wieder strauchelte. „Ich kann allein laufen!“, murmelte Steinpfote mit schwankender Stimme, dennoch ließ Rindenpfote sie nicht los. Wir ließen die letzten Sträucher hinter uns, als der Geruch mir das Eis in den Adern gefrieren ließ.
Ich fuhr herum, konnte den Mörder jedoch nicht entdecken. Ich erinnerte mich an den feurigen Blick seiner orangefarbenen Augen, der mich beinahe zu durchbohren schien. Ich spürte es wieder. Dieselbe Angst. Dasselbe Gefühl, jeden Augenblick den letzten Atem auszuhauchen. Er beobachtete mich. Ich wusste es.
Ich wandte mich um und erreichte die windgeschützte Seite des Felsens. Steinpfote hatte sich keuchend gegen den kühlen Stein gelehnt. Sie hatte die Augen fest geschlossen.
„Wie geht es dir?“, erkundigte ich mich besorgt.
„Ich…bin…so müde“, keuchte sie und rollte sich zusammen. „Er…wird uns…doch wohl nicht…einholen?“
Beruhigend leckte ich ihr über die Schulter. „Dir wird er nichts tun“, flüsterte ich ihr ins Ohr. „Das verspreche ich dir.“
„Sturmpfote! Rindenpfote!“
Kieselpfotes erschrockener Ruf ließ uns sofort zu ihr eilen.
„Was ist?“, miaute Rindenpfote.
„Wir bekommen Besuch“, sagte Kieselpfote mit angespannter Stimme und blickte auf die Büsche, die sich teilten und den Blick auf eine Katze freigaben, mit der ich hier niemals gerechnet hätte…
Der dicke, braune Kater mit den schwarzen Flecken riss überrascht die Augen auf, als er mich entdeckte. „Sturm? Was…was machst du hier? Du… du hast mich so oft nicht mehr besucht und ich dachte…“ Er zögerte und sah auf meine sehr überraschten Clan-Gefährten. „Wer…wer sind die da?“
Ich musste lachen. „Die da sind die Wilden aus dem Wald, die sich von eindringenden Katzen ernähren“, schnurrte ich ihm entgegen. „Ganz nebenbei gehen sie…wie du sagen würdest, zivilisiert, höflich und freundschaftlich miteinander um und halten sich an einen strengen Codex. Und ganz nebenbei, ich bin seit fast einem Mond ein Mitglied dieser Bande.“
Rindenpfote und Kieselpfote sahen mich skeptisch an. „Wer ist das?“, fragte Rindenpfote skeptisch.
Ich schnurrte amüsiert. „Das ist mein Jugendfreund Sonko, ein verwöhntes Hauskätzchen, das, ihr werdet es nicht glauben, der beste Mäusejäger im Zweibeinerort ist. Nachdem ich weggegangen bin, versteht sich.“
Sonko starrte verwirrt zwischen uns hin und her. Rindenpfote begutachtete das schwarze Halsband, das um den Hals des Katers baumelte. Kieselpfote starrte den gescheckten Kater wie einen fliegenden Igel an und Steinpfote öffnete schwach die Augen, um ihn zu erkennen. Nach einander stellte ich sie Sonko vor. „Und mein Name ist jetzt Sturmpfote. Wir sind Schüler im BlattClan. Eines Tages werden wir Kriegernamen bekommen, aber da ist es noch ein wenig hin.“
Man sah Sonko an, dass er kein Wort von dem, was ich sagte, verstand. „Ähm…gut. Ihr wohnt also alle zusammen mit anderen Katzen im Wald und jagt für euch gegenseitig.“
„Kurz gefasst kann man es so ausdrücken.“ Eine Frage brannte in meinem Pelz, so dass ich sie nicht länger unterdrücken konnte. „Hast du dort in den Büschen noch eine andere Katze gesehen? Hellrotes Fell mit rostroten Flecken? Orangefarbene Augen?“
Sonko schüttelte den Kopf. „Nur euch vier. Jemand anderes habe ich auch nicht gerochen. Gehört diese Katze zu euch?“
„Schön wär’s“, knurrte Kieselpfote. Ich starrte Sonko verwirrt an. Ich hatte den Geruch des Katers doch eindeutig wieder erkannt! Ich würde ihn unter tausend anderen Katzen wieder erkennen! Erst die falsche Einschätzung der Zweibeinerbrücke, danach der Misserfolg beim Jagen und nun dies! Konnte es sein, dass meine Sinne langsam verrückt spielten?
„Sturm?“, fragte Sonko. „Alles in Ordnung?“
Verwirrt nickte ich. „Ja, alles bestens. Danke.“
Ich wusste, dass man es mir ansah, dass ganz und gar nicht alles bestens war.
„Du bist einfach nur zu angespannt. Das wäre ich auch in deiner Situation“, meinte Rindenpfote bei Sonnenhoch. Sonko hatte auf seinem eher chaotischen Weg zur Steppe mehrere Wühlmäuse gefangen, die wir als Abendessen verputzt hatten. Nun lag er zufrieden im Schatten des Felsen und schnarchte. Steinpfotes Fieber war gesunken und die Hustenanfälle zurückgegangen. Sie schlummerte friedlich neben Sonko als seien sie schon immer Baugefährten gewesen. Nur noch ich, Rindenpfote und Kieselpfote waren wach. Kieselpfote blickte zum Silbervlies und hörte uns mit halbem Ohr zu. Ich ließ mir die warme Morgensonne auf den Pelz scheinen, als könne dies die Kälte aus meinem Inneren vertreiben.
„Ich glaube, ich werde langsam verrückt“, miaute ich. „Ich kann nicht einmal mehr vernünftig Beute machen. Dauernd glaube, ich wir würden verfolgt. Ich weiß nicht, wie weit ich mir selbst noch trauen kann.“
„Es war einfach ein langer Tag“, schnurrte Rindenpfote. „Wir sollten ein wenig schlafen. Morgen wird es dir bestimmt besser gehen.“ Mit diesen Worten legte er sich den Schwanz um den Körper und schloss die Augen.
„Er hat Recht“, ermunterte mich Kieselpfote, die als einzige von uns keine Anzeichen von Müdigkeit zu erkennen ließ. „Schlaf ein wenig. Vielleicht schickt dir der SternenClan eine Botschaft, wie es weitergehen könnte.“
Ja, vielleicht, dachte ich und schloss die Augen, während die Steppe im goldenen Sonnenlicht erstrahlte.
„Springstern? Wo bist du? Springstern?“
Ich hatte mich in den Bergen wieder gefunden, wo das Territorium des SternenClans seine Grenzen aufwies. Der SteppenClan-Geruch war fahler geworden. Wir mussten uns beeilen, wenn wir sie noch finden wollten.
„Dich beunruhigt etwas“, begrüßte mich der SternenClan-Anführer, als er wie aus dem Nichts hinter mir erschien. Ich drehte mich zu ihm um.
„Ich glaube, ich werde langsam verrückt. Alles, was ich mir vornehme, geht schief. Wegen mir ist Steinpfote krank geworden. Und ich glaube, ich bekomme Wahnvorstellungen.“
„Vorsicht ist niemals ein Zeichen von Wahnsinn.“
Ich stöhnte und vergaß für einen Moment, wen ich vor mir hatte. „Kann der SternenClan auch deutliche Antworten geben?“
Für einen Moment fürchtete ich, für diese Unverschämtheit einen Krallenhieb übers Ohr zu kassieren, doch Springstern schnurrte amüsiert. „So etwas. Bis vor kurzem habe ich geglaubt, lebendige Katzen wären nie so direkt mit ihrer Meinung uns gegenüber.“
Meine Gedanken wanderten zurück zu Steinpfote. „Wird Steinpfote wieder gesund?“
„Sie ist stark und robust. Es wird ihr schon bald besser gehen. Man braucht keine Heiler-Katze zu sehen.“ Er machte eine kurze Pause. „Du solltest es ihr langsam sagen.“
Zuerst wollte ich es verleugnen, dann wurde mir klar, dass es sinnlos war. „Wie wird sie reagieren?“, fragte ich stattdessen.
„Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube, wie ein Junges, wenn es entdeckt hat, dass es vier Jahreszeiten gibt und Blätter von oben nach unten fallen.“
Ich dachte daran, dass ich als Junges immer herab fallende Blätter mit den Krallen aufgespießt und mich aufgrund des winzigen Erfolges gefreut habe, als hätte ich seit langem das erste Sonnenhoch gesehen. „Wird sie meine Liebe erwidern?“
„Ich glaube, ein Teil von ihr tut das schon.“
Glücksgefühle durchschwemmten mich. Dann wurde ich wieder ernst. „Was ist los? Ist im Wald irgendetwas passiert?“ Kaum hatte ich das gesagt, wurde ich wieder von dem weißen Nebel in unser Lager gebracht.
Der Anblick traf mich wie ein Schlag. Das Lager war verlassen! Der kleine Frischbeutehaufen in der Mitte des Lagers stank nach Krähenfraß. Die Baue mussten längst repariert werden und Laub wehte geisterhaft über die verlassene Lichtung.
„Was…wo sind denn alle hin?“ Ich sah Springstern an. „Sie suchen uns, oder?“
Der Kater schüttelte den Kopf. „Fuchsstern hat bemerkt, wovor der SteppenClan geflohen ist und entschieden, es ihnen gleichzutun. Doch dort, wo die Clans jetzt sind, können wir nicht über sie wachen. Eure Entscheidung, dem SteppenClan zu helfen und der Umweg, den ihr auf euch genommen habt, hat es uns ermöglicht, unsere letzte Botschaft zu senden. Die Clans müssen zurückkehren!“
„Sie sind geflohen? Wovor?“ Springstern wies in die entgegen gesetzte Richtung. Ich drehte mich um –und traute meinen Augen nicht. „Heiliger SternenClan!“, hauchte ich.
Wir standen an der Grenze zum Zweibeinerort. Von hier aus konnte ich noch den Wald riechen, obwohl wir uns auf der anderen Seite befanden. Um mich herum –Katzen! Viel mehr als in beiden Clans zusammen! Der Gestank nach Zweibeinerabfällen verdichtete die Luft. Mir wurde übel, als ich sah, wie ein kleinerer Kater aus einer Abfalltonne einen halben Fisch zerrte, um ihn zu fressen. Lebten diese Katzen etwa von dem Müll der Zweibeiner!?
„Streuner!“, miaute Springstern ernst. „Sie leben hier einfach, sie haben keine Hierarchie, kein System, keinen richtigen Anführer. Sie glauben an nichts. Nicht an den SternenClan, nicht an den Wert des Lebens. Hier gibt es nur ein Gesetzt: Der Stärkere bekommt alles, der Schwächere ist an allem Schuld.“
Obwohl ich wusste, dass sie mich nicht berühren konnten, wich ich zwei räudigen Katzen aus, die sich um eine tote Ratte zankten, obwohl diese anfing, nach Krähenfraß zu stinken. Ich entdeckte Geruchsspuren vom Wald bei einzelnen Katzen. „Was wollen die bei uns?“
„Sie glauben, sie könnten im Wald besser leben. Diese Katzen denken nur an sich selbst. Sie haben keinerlei Ehrgefühl. Für sie zählt das nackte Überleben.“
Eine Mischung aus Ekel und Mitleid überflutete mich. „Sind sie schon im Wald?“, fragte ich sorgenvoll.
„Ja. Und ich fürchte, sie haben auch gemerkt, dass nicht alle Clan-Katzen verschwunden sind.“
Der Traum brach ab. Rindenpfote weckte mich, indem er mich mit den Zähnen am Genick schüttelte. „Streuner!“, zischte er. „Wir müssen kämpfen oder wegrennen!“ Noch bevor ich ganz auf die Pfoten kam, wusste ich, dass die Wahl aufs Kämpfen hinauslief.
Es waren diese räudigen nach Krähenfraß und Zweibeinermist stinkenden Katzen aus meinem Traum. Ich konnte nicht erkennen, wie viele es waren, doch sie hatten uns umzingelt und starrten uns zähnefletschend an.
Mit aller Selbstbeherrschung, die ich aufbringen konnte, glättete ich mein Fell. „Wir sind nur auf der Durchreise“, versuchte ich zu erklären. „Wir wollen keinen Ärger mit euch. Unser Ziel sind die Berge. Wir werden…“
Ein riesiger, zotteliger Kater mit einem dreckigen Fell von unbestimmbarer Farbe, der eine rote Narbe über dem Auge trug, peitschte mit dem Schwanz. „Sei still, Waldwicht! Wir haben es euren Freunden auch schon erklärt. Dieses Territorium gehört uns! Und wir werden solche Weichlinge wie euch nicht dulden!“
Dann waren die Clans also gar nicht geflohen. Sie wurden vertrieben! Von diesen Dreckfressern! Ich hörte Rindenpfote neben mir knurren. „Wir werden ganz bestimmt nicht vor einem Haufen verlauster Streuner davon laufen! Wir werden unsere Clans zurückholen! Und dann seit ihr es, die dumm aus dem Pelz schauen!“
Ich zuckte innerlich zusammen. Wollte Rindenpfote die Katzen provozieren? Sie waren mindestens um das vierfache in der Überzahl, Kieselpfote hatte bisher nur eine richtige Trainingsstunde bekommen, Steinpfote stand zwar sicher neben ihrem Bruder, wirkte aber immer noch angeschlagen und Sonko…Sonko lag schnarchend neben dem Fels und würde nicht einmal merken, wie man ihn zerfetzte. Dass er ein unvergleichlicher Jäger war, wusste ich, aber konnte er auch kämpfen, wenn es drauf ankam?
Die anderen Streuner fingen an, hämische Späße zu machen und feixten über uns. Der Kater mit der Narbe kam grinsend näher. „Eure…Clans werden nicht einmal erfahren, was hier nun vor sich geht. Weil wir euch jetzt zerlegen werden, wie…“ Er machte eine Pause. „Es sei denn…ihr Waldpelze wollt euch uns anschließen.“
„Niemals!“, fauchte Kieselpfote, während sie ihre Krallen in die Erde rammte. „Lieber sterben wir, als das Gesetz der Krieger zu missachten!“
Die Erwähnung des Gesetzes der Krieger ließ eine weitere Lachwelle zwischen den Katzen aufkommen, wobei ich nur stumm die Krallen im Boden versenkte.
„Ihr Mäusefresser versteckt euch immer hinter euren albernen Gesetzen. Das hier ist die Realität, meine Lieben. Und in der Realität gibt es keine Ahnen, die auf einen aufpassen, keine edlen Krieger oder gar so etwas wie Gerechtigkeit. Ihr müsst aufwachen, und die Notwendigkeit erkennen. Ihr seit nichts weiter als armselige Sternengucker.“
Ich hörte Steinpfote knurren, während Sonko aus dem Schlaf schreckte.
„Was…Sterne? Oh, Sturmpfote! Es ist schon Tag…äh…wer sind die da?“
Erneut erklang Gelächter unter den Katzen. Schließlich bat ihr Anführer um Ruhe. „Nun gut, Freunde. Diese…Krieger…“ Er betonte das Wort, als spräche er von etwas so abscheulichem, wie dem, wovon diese Katzen lebten. „…möchten leider nicht Notwendigkeit des Lebens wahrnehmen.“ Er machte eine Pause und wandte sich an seine Gefährten. „Wollen wir sie ihnen erklären?“
Zustimmendes Gejaule ertönte. Sonko legte sich platt ins Gras, während wir BlattClan-Schüler uns für einen Kampf fertig machten.
„Kannst du kämpfen?“, fragte Steinpfote ihn.
„Wenn drauf ankommt, schon. Aber gegen die alle?“
Der Kater mit der Narbe fuhr fort. „Wollen wir ihnen unsere Gesetze erklären?“
Erneut kreischten die anderen Katzen laut auf.
„Sei schnell“, flüsterte ich Sonko zu. „Stell dir vor, es wären Mäuse, die du jagst. Denke nicht, sondern schlag einfach zu. Mit den Krallen.“
„Findest du nicht, dass diese Mäuse ein wenig zu groß für mich sind?“, zischte er zwischen zusammen gebissenen Zähnen.
Die Streuner unterbrachen unsere Unterhaltung. „Klaue! Gib das Zeichen!“
Das schmutzige Narbengesicht, das Klaue sein musste, baute sich mit gefletschten Zähnen und gesträubten Fell vor uns auf.
„Duck dich, wenn sie dich angreifen“, unterwies ich Sonko weiter. „Kieselpfote, schütze ihn in der Flanke.“ Die weiße Kätzin nickte.
Entweder gab es kein Zeichen, oder wir übersahen es. Auf jeden von uns kamen mindestens drei Katzen, die sich mit Krallen und Zähnen in unseren Pelzen festnagelten.
Jemand warf sich mit unglaublicher Wucht von Hinten auf meinen Rücken und drückte mich zu Boden. Ich spürte, wie scharfe Krallen mein Fell bearbeiteten, während mein Gesicht hart in das trockene Gras gedrückt wurde. Verzweifelt versuchte ich, die Katze zu beißen, erreichte sie aber nicht. Ich streckte meine Hinterbeine aus und versuchte, mich auf den Rücken zu rollen. Ich kam in eine seitliche Lage, wobei ich den Umriss der stämmigen Katze sah, sie mich fast total blockierte. Obwohl es einen brennenden Schmerz in meinem Genick verursachte, drehte ich den Kopf und biss der Katze in die Pfote, bis ich die Knochen zwischen meinen Zähnen spürte. Vor Schmerz aufheulend ließ die Katze von mir ab, woraufhin ich ihr sofort nachsetzte und meine Krallen und Zähne in ihre Schulter schlug. Zähne packten mich von hinten und zerrten mich weg. Ich wandte mich aus dem Griff und schlug mich Krallen nach der Katze. Von der anderen Seite traf mich ein Pfotenschlag am Kopf, ich spürte, wie die Wucht des Treffers in meinem Kopf wieder hallte, grelle Sterne erschienen vor meinen Augen. Ich wusste nicht, wie viele Katzen auf mich einstürzten. Mein Umfeld schien nur noch aus Krallen und Zähnen zu bestehen. An allen Seiten schienen Pfoten meinem Fell zu zerren. Ich verlor den Halt. Ein unglaublicher, gleißender Schmerz durchfuhr meinen Körper, bevor ich in der Dunkelheit zu versinken schien.
Ich rannte durch einen finsteren, nebligen Wald. Die Bäume schienen sich zu unheimlichen Fratzen zu verziehen, Wurzeln und Äste nach mir zu greifen. Kreischendes Miauen, höhnisches Gelächter und Pfotenschritte verfolgten mich.
„Wir kriegen dich, Waldpelzchen! Wir kriegen dich! Und wenn wir dich kriegen, zerren wir dir das Fell über die Ohren und polstern damit unseren Schlafplatz!“
Überall aus der Dunkelheit starrten mich grelle Augen an. Zähne funkelten und der Gestank nach Krähenfraß war allgegenwärtig.
Großer SternenClan! Wo bist du?
„Wir kriegen dich!!!“, jaulten die Stimmen hinter mir. Von allen Seiten schien mich etwas anzuspringen. Selbst die Bäume hatten sich gegen mich verschworen und schlugen mit den Ästen nach mir. Ein unheimlicher Wind heulte auf.
Rindenpfote! Kieselpfote! Sonko! Steinpfote! Wo seid ihr nur?
Verzerrte Fratzen tauchten überall um mich herum auf. Ich hörte die Hilfe-Rufe meiner Freunde.
„Wir zerfetzen euch! Mit deinen Freunden sind wir schon fertig! Nun bist du dran!“ Kreischendes Gelächter ertönte.
Großer SternenClan! Springstern, wo bist du? Hilf mir!
Die Bäume versperrten mir den Weg. Ihre Äste griffen nach mir. Ich rutschte ab, fiel in ein tiefes Loch. Um mich herum schwirrten verzerrte Katzengesichter. „Wir zerfetzen dich! Wir zerfetzen dich!“
Die Rufe hallten in meinem Kopf wieder. „Wir zerfetzen dich!“
„Zerfetzen dich!“
„Fetzten dich!“
„Wir zerfetzen…“
„…ihn in Stücke, wenn er der ist, den wir suchen.“
Die Worte gelangten kaum an mein Ohr. Mein Schädel dröhnte, als sei ein Monster darüber gerannt. Obwohl ich spürte, dass jemand meine Wunden notdürftig geheilt hatte, pochte mein Pelz, als würde er mir in Fetzen vom Leib hängen.
„Wenn er ist wirklich ist, dann wird er andere Pläne mit ihm haben. Ihn zu töten hätte er schließlich jederzeit tun können. Vielleicht ist er uns noch nützlich.“
Ein eiskalter Schock durchfuhr mich. Sie meinten mich! Sie wollten mich hier gefangen halten. Möglicherweise umbringen!
Ohne nachzudenken sprang ich in einem Satz auf und stürzte auf den Ausgang der kleinen Höhle zu. Ein harter Hieb traf mich neben dem Ohr, meine Kopfschmerzen kehrten schlagartig zurück. Ich wurde gegen die harte Höhlenwand geschleudert und sank stöhnend zu Boden. Es fühlte sich an, als hätten sich heiße Krallen in meinen Schädel gegraben. Als ich blinzelte, sah ich nur verschwommene Flecken.
„Wir müssen ihn unablässig bewachen.“ Nun erkannte ich die Stimme. Es war Klaue! Panik ergriff mich. Die Streuner hatten mich gefangen genommen! Doch warum?
Ich versuchte, etwas zu sagen, brachte jedoch kein Wort hervor. Mein Maul war trocken wie die Steppe bei Blattgrüne im höchsten Sonnenstand. Ich konnte die Katzen neben mir immer noch nicht richtig sehen.
„Wir sollten auf ihn aufpassen. Und jemand sollte Blut benachrichtigen.“
Jetzt erkannte ich die Stimme. Es war Klaue, der Kater mit der Narbe. Ich hörte, wie die andere Katze hinausging. Kurz darauf raschelte es wieder und ich nahm den fahlen Geruch einer anderen Katze wahr.
„Der sieht aber ziemlich mitgenommen aus.“
Ich versuchte zu blinzeln, erkannte zwei verschwommene Gestalten. Meine Nase war mit irgendetwas verstopft, ich konnte kaum riechen.
„Und er ist sicher der Einzelläufer, der sich in den BlattClan geschlichen hat?“
Woher beim SternenClan wussten sie vom BlattClan. Und woher von mir?
Ein weiterer greller Blitz durchführ meinen Kopf. Jemand leckte mir über das Fell. Ich versuchte, mich der Katzenzunge zu entziehen, wurde jedoch hart auf den Boden gedrückt. Die Katze fing an, mein Gesicht zu lecken. Allmählich konnte ich wieder sehen.
„Das müsste fürs erste reichen“, meinte die schmutziggraue Kätzin, als sie von mir zurücktrat. Das fahle Sonnenlicht, das durch den farnverdeckten Tunneleingang fiel, stach in meine Augen. Als ich an mir herunter blickte, bemerkte ich, dass ich über und über mit Blut bespritzt war.
Ich wollte aufstehen, strauchelte jedoch und fiel wieder hin. Klaue drückte mich hart zu Boden.
„Es kommt nun ganz und gar auf dich an. Ob du lebst oder stirbst. Blut wird sich früh genug um dich kümmern.“
Ich wollte fragen, wer Blut sei, brachte aber keinen Ton hervor. Klaue schob mir ein Blatt mit Wasser zu. Ohne nachzudenken, trank ich es aus. Das Wasser war wie ein Segen des SternenClans. Es schien für einen Augenblick all die Furcht wegzuspülen. Erleichtert taumelte ich zurück. „Wo…wo bin ich?“, hörte ich mich mit schwacher Stimme fragen.
Klaue fauchte mich an. „Glaubst du, dass ich dir das sage? Damit du bei der nächsten Gelegenheit verduften kannst?“
Seine Stimme stach in mein Ohr, das schmerzhafte Pochen kehrte zurück. „Du wirst dich nicht von der Stelle rühren!“, zischte mir Klaue entgegen. Damit verließ er den Bau.
Meine Sinne klärten sich nur langsam. Ich befand mich in einem Erdbau. Ich erwähnte zu fliehen, doch ich roch Katzen außerhalb des Baus und jeder Muskel in meinem Körper schien zu brennen. Wer waren diese Katzen? Was hatten sie mit mir vor? Was war mit den Anderen? Was war mit Steinpfote?
Der Gedanke an sie ließ mein Herz verkrampfen. Warum habe ich es ihr nicht gesagt? Nun wird sie meine Liebe wohl niemals erfahren! Warum hatte ich nicht auf Springstern gehört? Wo steckte er bloß? Hatte mich jetzt auch der SternenClan im Stich gelassen?
„Blut ist da!“, hörte ich die Kätzin, die mich geleckt hatte, rufen. Ein neuer Geruch stieg in meine Nase.
Der Schmerz in meinem Körper war für einen Augenblick ganz in den hintersten Winkel meines Bewusstseins gerückt. Nein! Gütiger SternenClan, bitte nicht!
„Wo ist er?“, miaute Blut zu Klaue.
„In dem Bau. In dem Zustand, in dem er sich momentan befindet, wird er uns keinen Ärger mehr bereiten.“
„Sehr gut.“ Ich hörte es rascheln. Meine Furcht schien mich verrückt zu machen.
„Du solltest gar nicht erst versuchen, dich aus dem Staub zu machen“, waren die ersten Worte, die ich von Graufells Mörder zu hören bekam. „Ich werde dich noch nicht töten. Nicht, bevor ich mir nicht sicher bin, zu was du mir noch alles Nütze sein kannst.“ Er beugte sich tief zu mir herunter, als er es mir ins Ohr zischte. „Du solltest überlegen, was dir mehr am Herzen liegt: Das Gesetz der Krieger oder das Überleben der Clans!“
Texte: Alle Rechte liegen bei mir und Erin Hunter
Tag der Veröffentlichung: 01.07.2013
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Gewidmet allen WarriorCats-Verrückten auf BookRix.