Die Menschen von Greifswald bis Garmisch hatten sehnsüchtig auf den Sommer gewartet, doch der hatte sich lange geziert und mit dem Frühling gerungen. Und wenn sich zwei Jahreszeiten partout nicht einigen können, fällt verdammt viel Regen. Das hatten vor allem die Südländer erfahren müssen. Ein Tiefdruckgebiet hatte das Nächste gejagt und Mutter Natur hatte sich schnell angepasst: Viele Vogelkästen blieben wegen Überflutung geschlossen, die Schnecken feierten wilde Partys und der Stadtpark glich einer schottischen Moorlandschaft. Auch die Menschen hatten sich eingestellt: Die Damen trugen gelbe Gummistiefel statt Flipflops und die Pollen-Geplagten huldigten Petrus.
Giovanni Salmonelli, der beliebteste Eisverkäufer der Stadt, hatte drei neue Geschmacksrichtungen kreiert, doch kein Mensch ließ sich durch sein Gebimmel zum Iveco locken. Wochenlang hatte er viele Flüche aus seiner alten Heimat geflucht.
Nun gut, Giovannis Nachnahme war nicht wirklich Salmonelli, aber der Legende nach war seine Akte im Rathaus dicker als ein Schmöker von Umberto Eco. Seitdem waren viele Jahre vergangen und er hatte sich bei der Lebensmittelkontrolle nichts mehr zuschulden kommen lassen. In seiner alten Heimat würde man ihn „gelatiere“ nennen, dachte er manchmal, und seine Mutter nannte ihn gerne so
Die heftigsten Flüche aber hatte Giovanni an einem Samstagabend ausgestoßen, als die „squadra azzura“ von Jogis Jungs aus der EM geschossen wurde. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich der Sommer durchgesetzt und ein kollektives Aufatmen war durch Deutschland gegangen. Die Meisen waren aufgeflogen und die Stechmücken hungrig geworden. Die jungen Frauen zogen endlich ihre knappen Blusen an und die Fernsehmacher fielen ins Sommerloch. Giovanni hatte wieder lachen können und ab August hatte der Sommer sogar mächtig an Fahrt zugenommen. Doch dann waren die Tage kürzer geworden...
Der Herbst klopfte an die Tür und hüllte das Land mit den ersten Nebelschwaden ein, wenn unser Speiseeishersteller morgens ins Labor ging. Durch das Fenster konnte er den Lauf der Sonne beobachten und manchmal flogen die ersten Zugvögel vorbei. Die Leute kauften weniger Eis und abends träumte er von den Winter-Monaten, die er traditionell in den Abruzzen verbringen würde.
Just an einem dieser Abende piepte sein Smartphone. Neugierig wischte Giovanni übers Display und öffnete die Nachricht auf whatsapp. „Was ist das denn?“, runzelte er die Stirn, und vergrößerte ein Foto. Es zeigte einen alten Mann mit einem langen, weißen Bart auf einem riesigen Boxspringbett liegen. Das Gesicht war kaum zu erkennen und der Typ grinste schelmisch in die Linse. Ein dicker Bauch ließ den roten Slip nur erahnen und ansonsten war der Mann nackt. Giovanni knurrte: „Nun bekomme ich auch schon solchen Schweinskram auf mein Handy.“
Trotz des Missmuts schnalzte er wohlwollend mit der Zunge, denn auf der Matratze langen auch drei barbusigen Schönheiten. Sie hielten Gläser in den Händen, schmiegten sich an den alten Mann und schienen ihren Spaß zu haben. Auf dem Plüschtisch stand eine Flasche „Dom Perignon“ und im Aschenbecher qualmte eine dicke Zigarre. Oder war das ein Joint? Wie sollte Giovanni das erkennen? Er kannte sich mit dem Kram nicht aus... Dann las der Eisverkäufer den Text zum Foto. „Freche Grüße aus der Playboy-Mansion“ stand da geschrieben. Völlig perplex schaute Giovanni auf die Nummer des Absenders, aber die war seiner Kontaktliste völlig unbekannt. Im Grunde war es auch keine Nummer, die er irgendeinem Staat in der EU zuordnen konnte. .„Welcher Witzbold will mich denn da verarschen“, fragte er sich und genau diese sieben Worte standen in seiner Antwort. Den Rest des Abends blieb das Telefon stumm und er legte sich gegen Mitternacht ins Bett...
Am nächsten Morgen schlurfte Giovanni in Richtung Bad. Nach der Dusche warf er die Espressomaschine an und einen Blick aufs Smartphone. Er erstarrte sofort, denn da war wieder eine Nachricht von diesem durchgeknallten Idioten zu sehen: „Giovanni, es tut mir leid, dass du gestern dieses Foto bekommen hast, während ich meinen alten Kumpel Hugh besuchte. Das Bild war eigentlich für Rudolf gedacht, aber irgendwie bin ich auf die falsche Taste gekommen. Kann ja mal passieren bei 7 Milliarden Erdbewohnern.... Wobei nicht alle ein Smartphone oder Internet haben, aber Zuckerberg arbeitet dran.“
Nun verstand der Gelatiere gar nichts mehr und tippte: „Ich kenne keinen Rudolf. Und wie kann es sein, dass du mich kennst und meine Nummer hast?“ Er glaubte immer noch an einen Scherz, als die nächsten Zeilen kamen. „Na hör mal, ich bin schließlich der Weihnachtsmann. Wer außer mir sollte denn sonst deine Nummer haben? Okay, von der NSA mal abgesehen. Warte mal…“
Nach zwei Minuten kam ein Foto auf das Telefon und darauf stand der alte Mann in einem rotem Mantel, eine rote Hose, eine rote Mütze, einem breiten Gürtel und festen Stiefel vor einem großen Holzschlitten. Im Hintergrund froren sich ein paar gelangweilte Rentiere die Hufen ab und glotzen in die Kamera. „Farbenfroh sieht anders aus“, dachte Giovanni, „und gute Selfies kriegt der Typ auch nicht hin.“ Einen stolzen Italiener jagt keiner so schnell ins Bockshorn und er ließ nicht locker: „Sag mir nicht, dass du der Weihnachtsmann bist. Den Scheiß nehme ich dir nicht ab...“
Der angebliche Santa Claus wurde langsam ungehalten: „Wer soll ich denn sonst sein? Hast du echt geglaubt, dass es mich nicht gibt? Überleg mal, seit über 500 Jahren schreiben die Menschen Geschichten über mich. Sie singen mir zu Ehren ihre Lieder und George Michael ist durch mich steinreich geworden. Das alles passiert doch nicht ohne Grund… Aber unter uns gesagt, mittlerweile bekomme ich bei seinem Song einen heftigen Würgereiz.“
Es folgte eine lange Konversation über whatsapp, denn das Tippen war zu anstrengend geworden, und beide Männer hatten sich auf Sprachnachrichten geeinigt. Seltsam, dass der alte Mann fließend Deutsch und Italienisch beherrschte, überlegte Giovanni, und zweifelte immer mehr an seinem Verstand. Vor allem, als der alte Mann ihm zum Beweis die Nummer des Papstes schickte und Franziskus tatsächlich an den Apparat ging. Schön zu wissen, dass er auch ein paar italienische Worte beherrschte, denn der Eisverkäufer erzählte von den letzten Stunden. Der Heilige Vater freute sich, mal wieder etwas vom Weihnachtsmann zu hören, der so lange nicht mehr zur Beichte erschienen war. „Das gibt’s doch nicht“, rief Giovanni nach dem Auflegen und schüttelte ungläubig den Kopf, „der Typ ist tatsächlich der Weihnachtsmann. Es kann nicht anders sein, auch wenn ich es kaum glauben mag...“
Giovanni beschloss, der Sache auf den Grund zu gehen, und erfuhr viele interessante Details aus erster Hand: „Die meiste Zeit des Jahres ist der Job absolut cool und easy. Dann kann ich locker abhängen, die Welt bereisen und scharfe Bräute abschleppen. Immerhin bin ich seit 500 Jahren der beliebteste Mann, der je existiert hat. Auch ohne Six-Pack… Wer sind schon Beckham, Ronaldo, Clooney oder Brad.“
Kein schlechter Job, wenn man vom Stress am Ende des Jahres absieht, dachte der Eisverkäufer, aber ständig Überstunden und Nachtarbeit, keine Rente und nicht mal Mindestlohn...
Der alte Mann beschwichtigte: „Quatsch, das ist kein Problem. Die Kinder schreiben mir schöne Briefe und ab Oktober klingeln bei den Händlern die Kassen. Auf der ganzen Welt freut man sich auf mich und es gibt sogar Frauen, die schmachtend am Kamin schlafen. Ich weiß halt genau, was sie sich bei den Hausbesuchen wünschen; und es sind nicht nur Diamanten und Pelze...“ Santa lachte dreckig und erinnerte sich gerne: „Tagsüber bin ich ein Heiliger, aber nachts sündige ich auch gern mal. Scarlett, Angelina, Gigi Hadid...“„Ist ja schon gut. Die Details will ich gar nicht wissen“, unterbrach ihn Giovanni und fragte sich dennoch, ob der Alte sie alle geküsst hatte. Noch viel mehr interessierte ihn aber der Name des Weihnachtsmanns.
„Ich habe viele Namen auf allen Kontinenten. Die meisten Freunde nennen mich einfach Santa. In deiner Heimat heiße ich babbo natale“, fasste der Weihnachtsmann zusammen. „Babbo klingt gut“, dachte Giovanni laut, „dabei lasse ich es.“
Plötzlich bekamen die Nachrichten eine andere Wendung, denn Babbo bat ihn um einen Gefallen: „Für meinen Job brauche ich eine Genehmigung. Das ist in keinem Land der Erde ein großes Problem. Nur in Deutschland muss immer alles ganz genau sein. In den letzten 200 Jahren hatte ich immer Glück. Da waren die Beamten noch gutartig, träge, romantisch oder bestechlich, je nachdem… Aber das hat sich geändert; denn im Hauptzollamt arbeitet seit ein paar Monaten eine Frau Gerda Müller. Leider ist sie für mich zuständig.“ Santa seufzte: „Diese Frau Müller hab ich noch nicht gecheckt. Freunde behaupten, Sie sei eine Mischung aus Fräulein Rottenmaier und Dolores Umbridge. Ein knallharter Brocken eben... Sie hätte bei der GSG9 Karriere machen können, aber leider ist sie im Ministerium gelandet.“
Giovanni wollte wissen, wie seine Hilfe aussehen soll, und Babbo schlug vor: „In zwei Wochen muss ich bei dieser Dame formell vorsprechen, und solche Art Konversation kann ich nicht so gut. Du hast doch jede Menge Erfahrung mit deutschen Behörden, steht in meinen Büchern…“ Der Eisverkäufer schluckte schwer, aber bohrte nicht weiter nach. Er wollte gar nicht wissen, was noch in den Büchern stand…
Der alte Mann machte ein Angebot: „Du könntest mich aus weihnachtstaktischen Gründen begleiten und mich bei der Antragstellung unterstützen. So ne Art Berater halt…“ Er müsse nur zum Zollamt nach Tegel kommen und ein paar Minuten Zeit mitbringen, erfuhr Giovanni. Nach kurzem Zögern willigte er mit dunkler Vorahnung ein: Gerda Müller - deutscher geht’s schon gar nicht mehr.
Giovannis Herz pochte sehr, als er noch dem Morgengrauen am vereinbarten Treffpunkt wartete. Er war aufgeregt, wie Babbo aussehen würde, auch wenn er das Gesicht bereits kannte. Seine Augen, seine Mimik, seine Gestik und wie er sich geben wird. Bei früheren Dates mit Frauen war er nie angespannt gewesen, aber diese Situation war ganz anders. Wann trifft man schon mal den leibhaftigen Weihnachtsmann. Oder war die Story des alten Mannes doch nur eine Internet-Fake, zweifelte der sonst so stolze Italiener. Dann wurde es für eine Millisekunde taghell und Babbo stand leibhaftig vor ihm. Sein Gesicht war wie auf den Fotos und seine Augen lächelten herzlich, während sie sich begrüßten. Als Giovanni ihn umarmte, fühlte Babbo sich sehr menschlich an. Er trug mitteleuropäische Alltagskleidung und hatte Sack und Rute wohl im Schlitten gelassen. „Wenn ich allein unterwegs bin, brauche ich natürlich keinen Schlitten…“, erklärte Babbo und hatte den fragenden Blick in Giovannis Augen gesehen. „Normalerweise trage ich dann etwas von Dolce & Gabana und ein paar coole Sneaker. Mein Kumpel Kanye hat sich für seine Treter sogar die Farbe meiner Jacke abgeguckt, der alte Gauner.“ Das Lachen des Weihnachtsmannes war tief und dann forderte er eilig auf: „Komm, lass uns gehen.“
Die Sonne erhellte soeben den Horizont, als die beiden Männer das Gebäude betraten und durch lange Flure schritten. Schließlich standen sie vor dem Büro 999 und lasen das Türschild. Frau Müller besaß den Status einer Amtfrau. Hinter der Tür klapperte jemand auf der Tastatur und der große Moment war gekommen. Nach einem beherzten Klopfen betraten sie neugierig den Raum und Frau Müller saß hinter ihrem Schreibtisch. Kurzes Haar, dunkle Bluse mit Kragen, kein Schmuck. Nur ihr Kopf war zu erkennen, der Rest des Körpers war hinter verschiedenen Gegenstände verdeckt: Monitor, Tischlampe, Drucker, Stempel, Kaffeetasse, Bilderrahmen und ein Stapel Akten.
Die ältere Dame blickte von der Tastatur hoch und rückte die Brille zurecht: „Was kann ich für Sie tun? Was ist der Grund Ihre Anliegens?“ So könnte Andrea Titz in 15 Jahren aussehen, falls ihre Haare kürzer wären, fiel Giovanni auf.
Babbo räusperte und versuchte sich in angemessener Wortwahl: „Wie jedes Jahr möchte ich am 24. Dezember die Menschen beschenken. Sie wissen ja: Heilig Abend, Hausputz, Kirche, Ente im Ofen, Schnee, Kamin, Weihnachtsmann, Schlitten... das ganze Programm eben. Ist keine besondere Sache und dauert auch nicht lange.“
Frau Müller schien wenig beeindruckt: „Ich sehe Sie zum ersten Mal in meinem Büro. Und von solch einem Vorhaben steht nichts in den Memos der letzten Tage.“ Sie blätterte ein paar Papier durch: „Wie heißen Sie denn und können Sie sich ausweisen?“ Damit fingen die Probleme an, denn der alte Mann besaß weder Personalausweis noch Reisepass: „Ich brauche kein Dokument, das mich ausweist. Und mein Alter kann ich nur schätzen.“
Die Beamtin glaubte zu verstehen: „Sie möchten also einen Asylantrag stellen? Religiös, ethnisch oder politisch verfolgt? Da wären Sie in diesem Hause allerdings falsch. Stammen Sie denn aus einem anerkannten Krisengebiet?“
Nun, den Nordpol als Krisengebiet zu bezeichnen, wäre etwas weit hergeholt, auch wenn es sehr rau hergeht, sobald das Bierfass mit „Lapin Kulta“ leer wird. Aber verfolgt wurde Babbo auf keinen Fall…
„Also stellen Sie den Antrag aus wirtschaftlichen Gründen? Oder wollen Sie hier eine Firma gründen? Wie ist denn nun Ihr Name?“, wollte Frau Müller wissen.
Schließlich meldete sich Giovanni zu Wort: „Ich bin Speiseeishersteller und der Herr neben mir ist der Weihnachtsmann. Dafür bürge ich auch gerne schriftlich, sofern es ein passendes Formular gibt. Im Übrigen hat mein Freund sehr viele Namen. In meiner Heimat heißt er babbo natale.“ Der Amtfrau huschte ein kurzes Lächeln über die Lippen: „Schon vor drei Monaten stand ein älterer Herr vor mir, der seine Papiere angeblich verloren hatte und angab, der Weihnachtsmann zu sein. Er dachte, auf diese Weise könne er sich eine schnellere Bearbeitung seines Einreiseantrags erschleichen. Mehr muss ich ja Ihnen ja wohl nicht sagen, meine Herren...“
Giovanni überlegte, wie er diplomatisch vorgehen könnte: „Ich weiß, es ist schwer zu glauben, aber es ist die Wahrheit. Sie können es gerne nachprüfen. Babbos Mission ist jedenfalls, an Weihnachten die Menschen zu beschenken. Er hat ja nichts anderes gelernt und so steht es auch überall geschrieben.“
Falls Frau Müller sich auf den Arm genommen fühlte, so ließ sie sich nichts anmerken: „Ja, von diesem Brauch habe ich schon mal gelesen. Und wie gedenkt der Herr neben Ihnen, die Waren im Lieferverkehr an die Betroffenen zu verbringen?“
Babbo verstand die Frage nicht, aber er wollte die Beamtin nicht tadeln, sondern beruhigen: „Darin habe ich Routine, keine Sorge. Der alte Holzschlitten ist geputzt und hat genug Platz für die Geschenke. Einfach kurz durch über die Dächer fliegen, schnell rein in den Kamin, den ganzen Kram unter den Baum legen und wieder rauf aufs Dach. Ein Kinderspiel, das merkt kein Mensch... Und die 8 Rentiere wurden seit Monaten mit saftig grüner Flechte gefüttert, damit Sie mir nicht schlapp machen.“
Frau Müller fasste zusammen: „Sie gedenken also, mitten in der Nacht die Stadt Berlin zu bereisen, alle Einwohner ohne ihr Wissen aufzusuchen und mannigfaltige Gegenstände abzuliefern. Vorzweigweise mit einem Schlitten und 8 Rentieren und dazu noch durch die Luft...“
Der alte Mann druckste herum: „Na ja, fast alle Einwohner. Es leben noch ein paar Moslems, Hindus und andere Menschen hier, die mit mir nichts am Hut haben. Dazu noch die Atheisten…“ Dann warf er schnell ein: „Aber das sind die Allerschlimmsten und wollen unbedingt Geschenke...“ Die Amtfrau blieb einfach stumm, was Giovanni stutzig machte, denn er wollte helfen: „Und wo wir schon mal beim Thema sind. Da gibt es noch eine klitzekleine Sache: Es geht nicht nur um Berlin... Es geht um die ganze Bundesrepublik. Deshalb stellen wir ja den Antrag bei Ihnen, werte Dame.“
Nach diesem Satz musste Frau Müller sich setzten. Selbst sie, die normalerweise schon alles gehört und gelesen hat, die jeden Rhetorik-Kurs, jedes Selbstsicherheitstraining und jedes Kommunikations-Seminar besucht hatte, war für einen kurzen Moment fassungslos: „Sie wollen in einer einzigen Nacht durch alle Bundesländer fliegen und in jedes Haus eindringen und die Leute im Schlaf beschenken?“
Babbo war erleichtert, weil die Amtfrau endlich den Zweck des Besuchs verstanden hatte, und schöpfte sofort Hoffnung: „Okay, in Ihren Worten hört sich meine Arbeit etwas zwielichtig an, aber im Kern haben Sie alles erfasst. Wie gesagt, die Aktion dauert nur ein paar Sekunden. Dann bin ich schon wieder weg... Husch husch... Und für Sie springt bestimmt auch was raus, Frau Amtmann.“ Giovanni ahnte, dass der letzte Satz ein wenig unpassend war, aber gleichzeitig freute er sich für Babbo und meldete sich beflissen: „Frau Müller, könnten Sie dann bitte den Antrag genehmigen und die zuständigen Behörden informieren?“
Es folgte eine kurze Unterredung, in der die Beamtin noch einige Fragen hatte. Abgesehen davon wollte Frau Müller den Schlitten und die Rentiere in Augenschein nehmen. Das war zeitnah nicht möglich und dieser Umstand schien der positiven Antrag-Bescheidung im Wege zu stehen. Babbo hatte seine Mühe mit diesen bürokratischen Formulierungen und warf ein: „Okay, wenn das ein Problem ist, werden mir eben die Wichtel und Elfen helfen.“
Frau Müller fand diese Option interessant und wollte sich sogleich mit den „Herrschaften“ ins Benehmen setzen. Der alte Mann erklärte, sie seien momentan in einer Fortbildungsmaßname: „Früher haben die Menschen ihre Wunschzettel noch von Hand geschrieben. Aber heute läuft das anders: Facebook, whatsapp, xing, Instagram, twitter, asymmetrische Verschlüsselung, HMTL, Javasript und so weiter. Aber keine Sorge, bis Heilig Abend sind alle Wünsche gelesen und die Päckchen verpackt.“
Schließlich stand die Beamtin auf, faltete die Hände unter ihrem Kinn und schloss die Augen. Giovanni fragte sich, ob Sie beten wolle, aber Sie suchte nach den passenden Worten, die bald gefunden waren: „Meine Herren, Sie sind in meine Amtsstube gekommen und ich habe Ihren Worten gewissenhaft zugehört. Ich habe mir alles erklären lassen, damit ich mir die Unternehmung vorstellen kann. Wie Sie sicherlich wissen, bin ich ein Organ der Rechtspflege und habe mir daher ein neutrales Urteil gebildet, das keine sachfremde Erwägungen zum Inhalt hat.“ Der Weihnachtsmann rollte ungeduldig mit den Augen und wollte endlich wissen, was Sache ist.
Die Amtfrau rückte ihre Brille zurecht und schürzte die Lippen: „Herr Babbo, oder wie immer Sie auch heißen mögen. Stellen Sie sich bitte vor, ich befürworte den Antrag eines Mannes, deren Herkunft keiner Behörde dieses Landes bekannt ist, und der sich mit Tieren oder Wichteln durch deutschen Luftraum bewegen möchte, um seinen Auftrag zu erfüllen. Was würde dann passieren?“
Der Weihnachtsmann und Giovanni wechselnden einen fragenden Blick und zuckten mit den Schultern.
Dann kam der Moment der klaren Worte: „Herr Babbo, dann würden Sie am 24. Dezember gegen das Meldegesetz verstoßen und hätten weder eine Aufenthaltsgenehmigung noch eine Fluglizenz dabei. Ihr Vehikel besäße keine gültige Zulassungs- und TÜV-Bescheinigung. Für die Nutzung öffentlicher Lufträume könnten Sie auch keine Sondernutzungserlaubnis vorzeigen. Von der Bescheinigung des Amtstierarztes zur Einführung von Rentieren ganz zu schweigen...“ Frau Müller war noch nicht am Ende: „Herr Babbo, Ihr Name ist in keinem Gewerberegister registriert und Ihre Angestellten haben dem Anschein nach keine Arbeitserlaubnis. Des Weiteren wurde zwischen Ihnen und Ihren Helfern kein Arbeitsvertrag abgeschlossen, wodurch der Verdacht der Scheinselbstständigkeit entsteht. Hinzu kämen die fehlenden Unbedenklichkeitsbescheinigungen aller Landkreise, Gemeinden und kreisfreien Städte, ohne die Sie ihre Arbeit gar nicht ausüben dürften. Nicht zu vergessen die Zoll-Genehmigung, die Deklarationspapiere gemäß geltender EU-Richtlinien und die gültigen Urkunden zum Warenaustausch, die für Ihre Tätigkeit gebraucht werden.“ Frau Müller trank einen Schluck und die Stille war so laut, dass man eine Stecknadel hätte fallen hören können.
Giovanni warf ein leises „Aber…“ ein und wurde unterbrochen: „Und ich möchte gar nicht wissen, wie Sie an die Adressen der Anwesen kommen, Herr Babbo, und gegen wie viele Datenschutzgesetze Sie dafür verstoßen.“ Mit diesen Sätzen schloss die Beamtin ihren Monolog ab. Der Termin war zu Ende: „Meine Herren, im Ergebnis lehne ich das Ersuchen des angeblichen Weihnachtsmannes ab. Herr Babbo, Sie können dagegen Widerspruch einlegen, der keine aufschiebende Wirkung hat. Und seien Sie gewiss, dass Sie im Falle einer Niederlage die Kosten übernehmen müssen.“
10 Minuten später standen der Weihnachtsmann und Giovanni am Rande des Flughafens und schauten in den Himmel. Der Eisverkäufer war sichtlich bestürzt: „Tja, das war es dann wohl. Du kannst ja nur beschenken, aber leider nicht zaubern… Weihnachten muss dieses Jahr in Deutschland ausfallen.“ Giovanni wollte sich gar nicht ausmalen, was das bedeutet. Die Menschen würden umsonst auf ihre Geschenke warten und wie viele Kinder würden enttäuscht sein? „Diese arrogante Schnepfe von Amtfrau, ich könnte dieser Tussi…“
Babbo unterbrach ihn: „Es kommt ja nicht auf die Pakete an. Man kann sich auch ohne Geld mit wertvollen Momenten beschenken.“ Dem Gelatiere standen Tränen in den Augen, bis der alte Mann verschmitzt flüsterte: „Diesen Spruch sage ich immer auf den Weihnachtsmärkten. Aber mal ehrlich, ohne Geschenke ist Weihnachten echt blöd.“
Der Eisverkäufer verstand gar nichts mehr und der Weihnachtsmann fuhr fort: „Der alte Genosse Martin aus Brüssel hat noch ne Rechnung bei mir offen. Du hast es nicht bemerkt, aber ich habe bereits nen Wichtel los geschickt, der dem Ratspräsidenten einen Brief mit meinen Anweisungen übergeben wird. In zwei Monaten wird Frau Müller ein Schreiben erhalten, demnach Sie im kommenden Frühjahr ins Europäische Parlament versetzt wird.“
Giovanni verstand nicht ganz: „Was soll das denn bedeuten?“
Babbo klopfte ihm auf die Schultern: „Die Stelle dieser widerlichen Amtfrau wird die liebe Rita Süßmuth übernehmen, die damit ihrer Karriere ein würdiges Ende bescheren wird. Martin kann gar nicht anders, als meine Wünsche zu erfüllen. So läuft das nun mal in der Politik. Aber das ist ne andere Sache…“
Die zwei völlig ungleichen Männer waren zu Gefährten geworden und klatschten sich in die Hände, denn plötzlich war auch dem stolzen Italiener bewusst: „Sobald Rita entscheiden darf, stehen wir wieder hier und stellen den Antrag erneut. Das meinst du also, alter Freund…. Dann wird es keine drei Minuten dauern und der Heilige Abend wird nächstes Jahr einfach im Sommer nachgeholt… Die Kinder werden jubeln ohne Ende, denn wer darf schon zwei Mal im Jahr einen Wunschzettel schreiben.“
Mit dieser wunderbaren Fantasie umarmten sich die Beiden überglücklich, als ein gleißendes Licht die Umgebung erhellte und ein großer Holzschlitten mit mächtigen Kufen neben ihnen parkte, der von 4 Rentieren umringt wurde. „Das musste ich dir einfach mal zeigen“, lachte Babbo und stieg ein.
Schon nach einer Sekunde stand das treue Gefährt an der Startbahn und Giovanni winkte zum Abschied, bevor ein grelles Licht seine Augen blendete. Da ahnte er noch nicht, dass er bald einer der wichtigsten Wichtel werden würde. Doch das ist eine weitere, spannende Geschichte…
Texte: Zaubertrommel
Bildmaterialien: Zaubertrommel
Tag der Veröffentlichung: 13.04.2017
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Eine kleine Geschichte für die Anthologie "Skurrile Weihnachten"