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Wie heiß der Tag gewesen war. Wie blau der Himmel gestrahlt hat. Wie leise das Gras im Wind geweht hat. Wie ruhig die Landschaft lag. Wie der See in der Sonne geschimmert hat. Wie weich die Decke an meiner Haut war. Wie passend die Musik auf deinem mp3 - Player war. Es war perfekt.

Der perfekte Tag. Unser vorerst letzter Schultag. Vor der Party am Abend wollten wir uns ausruhen. Für einige Stunden alles um uns rum vergessen. Einfach nur am Ufer liegen und die kleinen Wellen beobachten. In Ruhe einfach reden. So, wie wir es so oft getan haben. Wir beide. Die besten Freunde, die es gab bei uns. Ich kannte und kenne niemanden, der einen Freund hatte, wie ich. Der so jemanden hatte, wie dich. Für mich waren wir unzertrennlich. Beinahe, als gehörten wir einfach zusammen. Für immer und ewig. So wie an diesem Nachmittag.

Und dann kamen langsam die Wolken. Sie wurden dichter, der Himmel zog sich zu. Wir wollten gerade losgehen, als es zu regnen anfing. Warmer Sommerregen. Du hast mich festgehalten. Zusammen haben wir gegen das Licht geguckt und die Regenbogenfarben in jedem einzelnen Tropfen gesehen, der vom Himmel fiel. Wir lachten noch immer und spazierten langsam wieder Richtung Stadt. Zu dir nach Hause, wo auch ich mich zu Hause fühlte. Wo ich wieder eine Weile auf deinem Bett sitzen und dich ansehen würde, weil ich einfach keine Worte finde, dir zu sagen, was du geworden bist für mich.

Dass du der Bruder geworden bist, den ich nie hatte. Dass du die beste Freundin ersetzt, die mich im wichtigen Moment im Stich gelassen hat. Dass du der nette Onkel bist, der mir Bonbons schenkt, wenn ich traurig bin. Dass du der beste Freund bist, der bei allem immer dabei ist. Dass du einfach alles in allem der wichtigste Mensch für mich geworden bist, konnte ich dir nie zeigen. Ich habe versucht es dir zu sagen. Mit Worten, die einfach nicht gepasst haben. Mit Vergleichen, die einfach nicht treffend waren. Mit Bildern, die einfach keine 1000 Worte sagen konnten.

Ich konnte dich einfach nur ansehen. Das Leuchten in meinen Augen, dieses Glitzern muss es dir verraten haben. Denn deine Augen haben mir das gleiche gesagt. Ich glaubte nicht, einfach nur eine Freundin zu sein. Ich glaubte, ich sei die Freundin, die Freundin fürs Leben. Die Beste und Vertrauteste. Die, mit der du mal zum Abiball gehen würdest. Ohne sie vorher zu fragen, sondern einfach sagen, dass sie dich begleitet. Weil du wissen würdest, dass sie nur darauf gewartet hatte.

Und dann kam er. Wir standen gerade vor deiner Haustür an. Es regnete immer stärker. Ich hörte die kleinen Tropfen auf meine durchgeweichten Schuhe aufschlagen, fühlte den kleinen feinen Aufprall. Er wartete schon. Hatte dich wohl auch angerufen. Dein Handy lag in deinem Zimmer. Meins war aus. Wie immer, wenn wir zusammen waren. Wir hatten nie ein Handy bei. Wieso auch? Wir hatten uns. Das hatte immer gereicht. Und plötzlich wollte er was von dir. Ja er wollte deine Zeit. Zumindest dachte ich zu diesem Zeitpunkt noch, dass es so sei. Später erkannte ich, dass er dich wollte. Weil er erkannt hatte, wie toll du warst. Weil er einen Freund wollte, den ich längst hatte.

Er kannte dich schon eine Weile. Ihr hattet ein paar gemeinsame Freunde. Ich habe nicht dazu gehört. Und gehöre noch heute nicht dazu, werde es vermutlich auch nie tun. Denn ich bin deine Freundin. Und nicht die von ihm. Ich mag ihn nicht. Und ich glaube, dass er das auch weiß. Mein Blick hat es sicher verraten, an diesem Tag vor deiner Tür.

Ich hatte gemerkt, dass er mit dir allein sein wollte und in dem Glauben, dich am Abend wieder zusehen ging ich. Fuhr mit einem früheren Bus nach Hause, als ich geplant hatte. Ich machte mich fertig für die Party, rief dich natürlich wieder an und fragte, was ich anziehen sollte. Du kanntest dich ja perfekt aus in meinem Kleiderschrank. Dann ging es los. Outfit ausgewählt, Haare gemacht. Alles fertig. Auf zur Party. Ich sollte dich abholen, wollte gerade bei dir klingeln, als ich eine SMS von dir bekam.

„Sind schon da. Warte auf dich. Bis gleich.“

Sind? Wer ist „wir“? Ich stand doch noch vor deiner Tür. Du warst mit niemandem zusammen. Das hättest du mir erzählt. Hättest mir deine Freundin doch vorgestellt. Oder zumindest von ihr geschwärmt. Mich damit aufgezogen, dass sie schlanker ist als ich. Längere Haare hat, größer ist und besser aussieht. Dass sie schlauer ist oder beliebter oder auf dem und dem Konzert war oder Fußball spielt oder weiß ich was gemacht hat oder macht oder machen wird. Aber du hattest doch nichts gesagt?! Nun gut dachte ich mir. Ging ich also los. Das erste Mal allein zu einer Party. Ich fühlte mich richtig verloren so alleine vor den Türstehern und wurde zum ersten Mal nach meinem Ausweis gefragt. Das erste Mal stand ich auch länger als eine halbe Stunde am Stück bei meinen Freundinnen. Und das erste Mal sah ich dich betrunken. Das erste Mal rauchen. Das erste Mal so wirklich mit ihm.

So ging das dann den ganzen Abend weiter. Ich stand auch bei euch, fühlte mich aber nicht wohl und ging bald wieder. Sah dich nur hin und her schwanken. Am liebsten hätte ich dich an die Hand genommen und nach Hause gebracht. Du wohnst ja gleich um die Ecke und welcher von den vielen Schlüsseln in deiner Hosentasche in welchem Schloss passt weiß ich schon seit langer Zeit. Ich hatte ja schließlich so oft vor der Tür gestanden und zugeguckt, wie du auf- und abgeschlossen hast. Da hab ich mir das wohl gemerkt. Tja, nur leider wolltest du nicht los. Gut, du warst betrunken, wusstest sicher auch nicht mehr genau, was du sagst. Denn sonst wäre sicher einiges nicht aus deinem Mund gekommen. Ich war dir nicht böse. Nur ihn hätte ich anschreien wollen. Dich so zu blamieren, so abzufüllen. Ich wusste an dem Abend nicht, wann du los bist. Auf einmal warst du halt einfach weg. Mit ihm. Er hat dich nach Hause gebracht.

Der Sommer, die Ferien – Regen. Die ganze Zeit nichts als Regen und Wolken. Nichts. Kein Anruf von dir. Keine SMS, nicht einmal eine Karte aus deinem Urlaub. Später hast du mir erzählt, du hättest eine geschickt. Aber mit der falschen Adresse. Es stand wohl mein Name drauf. Und seine Adresse. Kann ja mal passieren. Ich war dir wieder nicht böse. Ich war nur neidisch auf ihn. Langsam fing ich an, ihn noch mehr nicht zu mögen, als ich es von Anfang an schon tat. Obwohl er ja eigentlich nichts dafür konnte, immer noch nichts dafür kann, wie alles gekommen ist. Und trotzdem ist er für mich der Schuldige.

Er hat dich verändert. Und wegen dir hab ich mich verändert. Ich höre andere Musik als früher, denke anders als früher und verbringe meine Freizeit anders als früher. Weil da war ich bei dir oder mit dir irgendwo. Einmal war er bei dir und ich kam vorbei. Irgendwann im Herbst muss das gewesen sein. Es war schon ziemlich kalt und grau draußen. Er saß auf meiner Ecke auf deinem Bett. Da, wo ich immer gesessen hab, wenn es mir schlecht ging und du mich trösten musstest. Da wo früher meine Taschentücher lagen hatte er sein Handy platziert. Wo einmal meine Jacke gelegen hatte, stand sein Rucksack. Der wegen der vielen Bierflachen klapperte. Das Foto von dir und mir an der Wand war kaum noch zu sehen. Da hingen jetzt viele Bilder von euch beiden. Von dir und ihm. Als ich das sah, wollte ich sein Handy nehmen und an die Wand werfen. Ich hatte den Blick schon daran geheftet, da sah ich deins daneben liegen. Es hatte ein Hintergrundbild von euch beiden.

Für mich war es kein Problem, dass du so viel mit ihm zu tun hattest. Sollte er doch dein bester Freund sein. Aber er hat mich ersetzt in deinem Leben. Er hat den Platz, den früher einmal ich hatte. An den ich mich gewöhnt hatte. Er hatte dich mir weggenommen. Einfach so. Schleichend. Er hatte dich zu jemand anderem gemacht. Zu jemandem, den ich ansehe und mich frage, was aus ihm geworden ist. Jemand, der zu viel trinkt. Zu viel raucht. Zu viele Dinge macht, die er lieber sein lassen sollte. Er hat dich zu all dem geführt. Dir gezeigt, wie du so werden kannst, wie er.

Und ja du bist fast so geworden wie er. Du hast kaum etwas von dem übrig gelassen von dem, der du einmal warst. Von dem, auf dessen Bett ich so gern gesessen hab, weil es einfach wunderschön war. Von dem, in dessen Augen ich 1000 Bilder gesehen, die jeweils 1000 Worte gesagt haben. Von dem, der mir der wichtigste Mensch war.

Ja auch ich habe mich verändert. Und daran bist weder du noch er unschuldig. Ihr beide seid unzertrennlich geworden. Und ich ziemlich einsam. Ich kann noch nicht verstehen, was er kann, das ich nicht kann. Was er hat, das mir fehlt. Vielleicht ist es einfach so, dass du niemanden brauchst, der immer etwas vorsichtig ist, bei allem, was er tut. Vielleicht hast du einfach nur nach jemandem gesucht, der dir hilft, auszubrechen aus deinem Leben. Der dir was Neues zeigt. Dass er dich auf die schiefe Bahn führen würde konntest du ja nicht wissen. Ich hatte es geahnt. Aber glauben tust du mir ja eh nicht mehr in Bezug auf ihn.

Du bist nicht mehr der, der du einmal warst. Ich bin nicht mehr die, die ich einmal war. Er war schon immer so. Und jetzt gehört er zu dir. Unzertrennlich. Wie Brüder. Dich hat er adoptiert. Ich bin übrig geblieben. Und kann nur zusehen, was aus dir wird. Er geht hoffentlich genauso plötzlich aus deinem Leben, wie er gekommen ist. Ich will bleiben. Und meinen Eckplatz auf dem Bett zurück! Ich will wieder im Sommerregen mit dir vor der Tür stehen, aufschließen, reingehen, die Tür hinter uns zufallen lassen und von der Zukunft träumen. Der Zukunft, in der er nie einen Platz hatte.


Impressum

Tag der Veröffentlichung: 03.05.2012

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für dich. Auch, wenn du es niemals lesen wirst.

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