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Sturmbringerin

Der Mensch verzweifelt leicht, aber im Hoffen ist er doch noch größer.

Theodor Fontane

 

 

„Nein.“

Die junge Frau schüttelte vehement ihren Kopf. Kleine Regentropfen fielen auf ihr Haupt. Ihre Begabung hatte eingesetzt.

„Nein. Nein, das kann nicht sein!“, stieß sie verzweifelt aus und blickte ihr Gegenüber aus wirren Augen an. Noch immer lag auf ihrem Gesicht die Maske der Ungläubigkeit. Je länger sie ihm jedoch ins Antlitz sah, desto mehr geriet ihr Widerstand ins wanken. In seinen haselnussfarbenen Tiefen gab es keine Regung. Nicht eine Einzige.

„Was willst du hören?“, fragte er nach. Wo einst eine zärtliche Wärme seine Stimme belebte, war nun eisige Kälte, welche sich langsam nach ihr ausstreckte, um ihrem Atem fest in ihren bleichen Händen gefangen zu halten.

„Was willst du hören, Ophelia?

Er verdrehte ihre Namen genüsslich auf seiner Zunge und beobachtete fasziniert die klaren Tränen, welche ihre Wangen hinabflossen, wie ein unaufhörlicher Strom.

„Glaubtest du tatsächlich meinen Worten? Wirklich?“, spottete er und starrte abfällig auf sie herab. Ophelia bot einen armseligen Anblick. Rot umrandete Augen, Tränenspuren am ganzen Gesicht. Noch dazu hatte sich ihre Frisur gelöst und stand nun in alle Richtungen ab. Wo war Ophelia, die Sturmbringerin der Nordlande? Diejenige, die mit einer einzigen Handbewegung Chaos und Verderbnis heraufbeschwören konnte?

„Hatten deine kleinen Freunde dich nicht vor mir gewarnt? - Du hättest besser auf sie gehört, anstatt einer Lüge zu glauben.“

Er machte weiter, immer weiter, hörte gar nicht mehr damit auf, sie zu verspotten.

„Wie naiv.“

Er griff nach einer losen Strähne und zwirbelte sie in seinen Fingern, während er sie aufmerksam beobachtete. Schließlich hatte er seit Ewigkeiten nicht mehr so einen Spaß gehabt, wie mir ihr. Fast schon Schade, dass er seine Täuschung offenbart hatte, aber ihm war... langweilig geworden. Er wurde nicht enttäuscht, jedoch war ihre Reaktion eine andere, als er erhofft hatte. Von einer auf die nächste Sekunde verließ das weinerliche Etwas ihre Augen und machte Platz für kalte Reserviertheit. Ophelia riss sich von ihm los und wich einige Schritte zurück. Er war beeindruckt, wie schnell sie scheinbare ihre Gefühle abschalten konnte, wo doch vor wenigen Augenblicken noch die Krokodilstränchen flossen, als gäbe es kein Halten mehr.

„Ist es das? Nur weil ich auf mein Herz gehört hatte, als auf meinen Verstand? Deswegen bin ich naiv? Ich hoffe, ich konnte dich genügend amüsieren, du Mistkerl!“, zischte sie und wirbelte herum, wollte gehen, doch er packte sie am Arm. Über ihnen donnerte es.

„Willst du nicht wissen warum?“, fragte er, ein fieses Grinsen lag auf seinen Lippen.

Natürlich wollte sie das, doch sie wollte ihm nicht die Genugtuung geben, ein weiteres Mal zusammenzubrechen. Einmal war genug und sie war nicht gewillt, erneut Schwäche zu zeigen, obgleich alles in ihrem Inneren danach schrie sich in eine Kugel zusammenzurollen und loszuflennen, wie ein kleines Baby. Ihre Gefühle waren reiner Natur gewesen. Seine... nicht. Ophelia schloss ihre Lider und atmete einmal tief durch, ehe sie weitersprach:

„Nein, es zu wissen, würde ohnehin nichts daran ändern, dass du mit mir gespielt hast. Warum, ist bedeutungslos.“

Es kostete sie alle ihre verbleibende Willenskraft so betont uninteressiert zu wirken. Sie schüttelte seine Hand ab und ging, zwang sich dabei so ruhig wie möglich zu sein. Er blieb, wo er war. Ihm ins Gesicht zu sehen, hatte sie vermieden, von daher wusste sie auch nicht, wie er auf ihre Worte reagiert hatte. Bestimmt war er enttäuscht gewesen, dass sie nicht erneut eingebrochen war. Ein Blitz schlug in der Nähe ein. Je weiter sie sich von ihm entfernte, desto schneller wurde sie. Bis sie sich nicht mehr zusammenreißen konnte und wie ein Bluthund, welcher seine Beute direkt vor sich hatte, über die Felder jagte. Tränen und Regen verschwammen ihre Sicht und es kam, wie es kommen sollte: Sie fiel über ihre eigenen Beine. Anstatt sich aufzurichten und weitere ihren ziellosen Lauf fortzusetzen, schlug sie mit aller Macht auf den Boden ein und schrie. Der stechende Schmerz in ihrer Brust entlud sich mit einem gewaltigen Knall, nahm ihr für einen Moment die Luft zum Atmen. Um sie herum tobte ein Sturm. Vielleicht gar der Sturm der Stürme, welche die Welt erbeben lies und den Himmel entzwei reißen würde.

Warum?

Sie hätte fragen sollen. Sie hätte ihn nicht so einfach davon kommen lassen sollen. Sie hätte ihm körperliche Schmerzen zufügen sollen. Sie hätte-

Ophelias Wut fiel in sich zusammen wie ein Kartenhaus und ließ, außer einem Häufchen Elend, nichts zurück. Der Sturm löste sich auf, so schnell wie er gekommen war. Warum nur hatte sie ihm so viel Macht über sich gegeben? Wann hatte sie ihm so viel Macht gegeben? Er hatte damit das geschafft, was viele vor ihm schon versucht hatten: Er hatte sie vergiftet. Mit süßen Worten hatte er sie umgarnt, Lüge um Lüge in ihr Ohr gesäuselt und dann den perfekten Moment abgewartet, um sie zu brechen. Es war so offensichtlich gewesen! So wie sie von Geburt an eine Sturmbringerin war, so war es ihm als Giftmischer in die Wiege gelegt worden alles und jeden um sich herum entweder mit Worten oder mit einem selbst gemischten Gift zu verderben. Sie hatte sich täuschen lassen und alles nur, weil sie gehofft hatte.

War es falsch zu hoffen?

Ophelia wollte sitzen bleiben. Dort im Regen, im Dreck und alles vergessen. Sie wollte einfach vergessen. Stunden vergingen. Der Tag neigte sich dem Ende zu. Sanfte, freundliche Töne erfüllten den Himmel, tauchten ihn in ein wunderbares Farbspiel, doch in ihrem Herzen blieb es grau. Zeit würde alle Wunden heilen, so sagte man. Würde das bei ihr auch funktionieren? Heilte Zeit wirklich alle Wunden?

Plötzlich lag ein dicker Wollmantel um ihre zierlichen Schultern. Jemand kniete zu ihren Füßen und hob sie vorsichtig, wie als wäre sie etwas Kostbares, auf. Warme Hände berührten sie, liebkosten ihre Haut, wärmten sie.

„Ophelia.“

Sie öffnete vorsichtig ihre Lider.

Sie war vielleicht, wie ein Sturm, doch nach jedem Unwetter kam die Sonne zurück und versuchte diejenigen mit ihre Strahlen zu erreichen, die sich haben fallen lassen.

Ein zaghaftes Lächeln tauchte in ihren Mundwinkeln auf.

Vielleicht würde Zeit wirklich alle Wunden heilen.

Impressum

Texte: Alle Rechte dieses Buches liegen bei mir, Julliet R., der Autorin.
Bildmaterialien: Das Cover habe ich aus Google Bildersuche.
Tag der Veröffentlichung: 22.09.2015

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Ich widme diese Buch meiner Schwester und an alle, die dieses Buch lesen.

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