Licht durchbrach das Blätterdach und ließ einige Flecken der Lichtung in sanfter weiße erstrahlen. Warmes gelb fiel in ihr hübsches Gesicht, erwärmte es mit einem hauchzarten Kuss. Langsam schloss sie ihre Lider und zog tief die Luft ein. Der Geruch des Waldes drang in ihre Nase, füllte sie mit seinem erdig grünen Duft. Widerwillig wand sie ihren Kopf zur Seite und öffnete ihre Augen. Grauen Pupillen wie mattes Silber starrten ins Nichts der farbenfrohen Lichtung. Sie war nicht weit entfernt von der Zivilisation und dennoch abgeschieden genug, dass jegliche Hilfe zu spät kommen würde. Ihr Entschluss stand fest, würde nicht wanken. Blitzschnell griff sie nach dem glänzenden Dolch zu ihrer Rechten und setzte an ihrem Handgelenk an. Ehe sie es sich anders überlegen hätte können, schnitt sie sich tief ins Fleisch. Warmes Blut quoll hervor. Sie verzog ihr Gesicht, hörte allerdings mit ihrem schändlichen Werk nicht auf. Es war ohnehin nicht mehr rückgängig zu machen.
Ein letzter Ruck und auch der andere Arm war entstellt. Kraftlos ließ sie sich nach hinten sinken, die Schwäche die sie ergriff mit jedem Atemzug spüren könnend. Die Klinge rutschte aus ihrer Hand und schnitt in die Innenfläche. - Sie nahm es lediglich dumpf war. Ein Lächeln stahl sich auf ihre Lippen. Fühlte sich so sterben an? Sie bereute nichts. Nicht diese Tat. Nicht diesen Weg. Bis auf eines: Sie würde ihn nicht mehr wiedersehen. Hätte er... ja, hätte er, dann würde sie nicht hier sein. Die Grauäugige fühlte nicht als Enttäuschung in sich. Das und große Leere füllte den Raum aus, in welcher vor Ewigkeiten das Glück gewohnt hatte. Niemand, niemand hatte sie erhört. Niemand!
Nein!“, gellte es verzweifelt auf. Männlich. Er kam auf sie zugelaufen und lies sich plump zu Boden fallen. Nicht achtend, ob er verletzt werden konnte. Mit zittrigen Fingern druckte er auf ihre Wunden, versuchte sie zu retten, obgleich es aussichtslos erschien. Die Menge... es erschrak ihn, dass sie überhaupt noch lebte. Zufall. Zufall führte ihn hierher. Und Schicksal war es, welche sie ihm entreißen würde.
Seine Bemühungen das heraussickernde Blut zu stoppen und gleichzeitig dem unwiderstehlichen Blutgeschmack zu ignorieren, welcher in seine feine Nase drang, konnte er kaum dem Tier in sich überordnen. So verlockend war sie. Wieso? Warum dieser Weg und kein anderer?
“Night... verdammt, bleib bei mir!“, wimmerte der, der auf den Namen Marius hörte und begann sein Hemd in Fetzen zu reißen, um es als Bandage um ihre Handgelenke zu wickeln. Seine Hände voll Rot. Es nutzte nichts! Das Blut hörte nicht auf aus den Wunden zu laufen. Bald würde er sich ihrem süßlichen Geruch nicht mehr aufbegehren können. Zimt und Rose. - Seit dem ersten Tag war von dieser Note eingefangen, wie ein Fisch im Netz.
„Hilfe kommt gleich“, flüsterte er und bettete ihren Kopf auf seine Knie. Blutige Schlieren zierten nun ihre Stirn.
„Halte durch!“, setzte er noch hinterher, als er das Telefonat beendet und der Krankenwagen unterwegs war. Sie nahm ihn kaum war.
Tief im Inneren wusste er, es war zu spät! Sie würden nicht mehr rechtzeitig kommen, doch sein Herz wollte nicht wahrhaben, was sein Verstand schon erahnte. Nicht wahrhaben, dass sie in seinen Armen starb, ohne etwas tun zu können. Warum? Warum musste die Welt ihn bloß so quälen?
Nein, es gab eine, doch diese wollte und würde er nicht in Betracht ziehen. Wollte sie nicht zur ewigen Nacht verdammen, wie es er schon war. Wollte nicht, dass sie ein genauso schreckliches nach Blut dürstendes Monster wurde, wie er es war, auch wenn er sich jetzt gerade zusammenriss, um nicht seine dunkle Seite zu Offenbaren und sie leer zu saugen. Sie sollte Leben und nicht schon jetzt den Tod sehen. Genau in diesem Moment, wo er sich dessen bewusst wurde, geschah etwas, was er schon lange nicht mehr getan hatte. - Er weinte. Tatsächlich er weinte! Tränen aus den Tiefen seiner Seele drangen in ihm auf, durchbrachen die unzerstörbar geglaubte Mauer aus Widerstand in Sekunden. Nach mehr als 500 Jahren in der keine Gefühlte zeigte, konnte dieses Menschenmädchen sein so Herz berühren, dass er erneut Emotionen unterlegen war. Er hatte sich in sie verliebt. In sie. Die Unscheinbare. Die Eigenartige. Der Lichtblick für ihn am Firmament. Dieses schwarzhaarige Geschöpf hatte etwas in ihm wachgerüttelt, was schon seit langer Zeit an die Oberfläche wollte. - Sehnsucht. Verlangen. Jahrzehntelang vergrub er seine Emotionen unter einer großen Erdschicht, aber binner weniger Wochen hatte sie sie wieder ausgegraben.
Er wollte nur sie, doch die anderen Mädchen, die nur an seinen Status und an sein Aussehen interessiert waren, hinderten ihn dabei. Nie konnte er auch in ihre Nähe kommen ohne schon von fünf oder mehr belagert zu werden.
Marius merkte nicht, dass sie sich in seinen Armen regte. Schwach öffneten sich ihre Lider.
„Marius?“ ,wisperte sie matt. Er stockte, hörte auf Tränen zu vergießen und schaute sie mit großen glücklichen Augen an.
„Ja, Night, ja ich bin es!“, strahlte er vor Glück. Doch die Realität holte ihn ein, als sie ihre rechte Hand hob um seine Wange zu berühren, um nachzuprüfen ob er echt war und nicht nur ein Trugbild, denn er sah, dass die notdürftige Bandage rot schimmerte und sich immer weiter vollsog. Seine Zähne verlängerten sich vor Durst. Sie lag an der Grenze zum Tod. Sie, die auch Gefühle für ihn in sich hortete, aber nie gewagt hatte es ihm zu sagen. Jetzt war es zu spät, das war ihr bewusst. Die Schnitte waren getan, konnten nicht rückgängig gemacht werden. Nun, kurz vor dem nahenden Tod waren sie glücklich vereint, doch ihre Kraft schwand wie Eis in der Sonne.
Drei Worte verweilten auf ihren Lippen, würden nie gesprochen werden. Langsam glitt sie in die nahende Dunkelheit.
“Night!“, stieß er aus. Ihre Hand sank schlaff an seiner Wange hinab. Wie sehr würde es sich in sie schmiegen...
Sie war in einem Art Dämmerschlaf gefallen. Er konnte kaum noch ihren Herzschlag hören. Seine Sinne hörten die Sirenen, doch diese würden nicht rechtzeitig kommen. Marius musste handeln und zwar jetzt, sonst war sie des Todes. Dass sie stirbt, konnte er nicht zulassen, nicht nachdem er sie erst vor wenigen Wochen hatte kennenlernen dürfen. Nicht noch einmal wollte er diese Leere in sich spüren und seine Gefühle wieder verstecken und begraben. Nein, das was er wirklich wollte, war, dass sie lebte. Das Schicksal würde nicht erneut das Glück aus seinen Händen entreißen können. Nicht noch einmal.
Dum...Dum, das Pochen wurde immer schwächer. Ehe es gänzlich versiegen wollte, tat er das Selbstsüchtigste was er je in seinem ganzen 531-Jährigen Dasein getan hatte. Er gab ihr den unsterblichen Kuss und im gleichem Atemzug rannte ihm eine einsame Träne die Wangen hinab.
Texte: Alle Rechte dieses Buches liegen bei mir, Julliet R., der Autorin.
Bildmaterialien: Das Bild ist aus Google Bildersuche
Tag der Veröffentlichung: 10.03.2011
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Ich widme diese Kurzgeschichte an alle Leser und an meine Familie.