Cover

Ein Sommernachtstraum

Ich tat, auf meinen Stock gestützt, vorsichtig einen Schritt über die knorrige Wurzel. Es war schon dunkel und meine Augen hatten Schwierigkeiten, ihre Umgebung genau zu erkennen. Wie schon so oft, fragte ich mich, wieso ich das tat. Wieso ich jedes Mal wieder diesen Weg ging. Immer genau zu dieser Zeit. Der Zeit des Sommerfestes.

Leise tönte die Musik vom Fest zu mir hinüber. Es war hier irgendwo in der Nähe, aber ich hatte kein Interesse daran, hinzugehen. Ich mied große Menschenmengen, schon seit Jahren.

 Die Bäume, an denen ich vorbeikam, waren mit Lampions geschmückt. In dieser Zeit war der ganze Wald so beleuchtet. Es sollte böse Geister vom Fest fernhalten. Ich schüttelte mit dem Kopf, als ich weiterging. Wie konnte eine so alte Dame wie ich nur so töricht sein. Das war wohl etwas, was selbst mit dem Alter nicht verging. Vorsichtig stützte ich mich mit den Händen an einem Baum ab, um nicht über die Wurzeln zu stürzen.

Ein paar Schritte weiter und ich kam auf einen Weg. Egal wie dunkel es war, ich fand den Weg immer. Vielleicht lag es daran, dass mir die Bäume und der Wind den richtigen Weg zuflüsterten und mich leiteten. Vielleicht war ich aber den Weg auch einfach schon zu oft gegangen.

Etwas außer Atem blieb ich stehen und langte in meine Tasche, die ich um meine Schultern geschlungen hatte. Heraus kam ein Strauß Blumen, weiße und gelbe Geranien, nüchtern in einem Bündel zusammengebunden. Ich löste das Gummiband und trennte die einzelnen Blumen voneinander, bevor ich sie wieder in einem lockeren Strauß zusammenfasste. Der süße Duft der Geranien durchtränkte die Luft um mich herum. Ich schloss die Augen und atmete tief ein.

 Das rief Erinnerungen vor.

Entschlossen öffnete ich die Augen, gleich war ich da. Ich ging ein paar Schritte, die Blumen fest in der linken Hand, den Stock in der rechten, bis ich merkte, dass ich auf einer Lichtung gelandet war. Verwundert blickte ich mich um. Ich hatte vorher gar nicht gemerkt, dass ich direkt vor einer Lichtung stand. Hier war es ein wenig heller als im Rest des Waldes. Der Mond warf sein silbriges Licht auf die Pflanzen und auf der ganzen Lichtung herrschte eine vollkommene Stille.

Die wurde allerdings jäh unterbrochen, als ich plötzlich wieder leise Musik vernahm. Sie musste vom Fest hinüberwehen, doch hörte ich diesmal kein Lachen oder Reden von Leuten. Leise fing ich an die Musik mitzusummen. Ich erschrak, als ich sie wiedererkannte. Es war die Musik, die ich vor so vielen Jahren schon einmal gehört hatte. Auf einmal sah ich alles wieder vor mir.

 Das Feuer, das in der dunklen Nacht glutrot loderte. Die dunklen Bäume, die Stille um sie herum, die im harten Gegensatz dazu standen. Die Leute, die sich schwatzend und lachend und mit Getränken am Feuer tummelten.

Ich kuschelte mich in meine warme Daunenjacke und schaute verträumt in die Flammen, als plötzlich, auf der anderen Seite des Feuers etwas meine Aufmerksamkeit erregte. Dort stand ein Junge in meinem Alter, in der Dunkelheit der Bäume und schaute mich durch die Flammen hinweg an. Mein Blick blieb an seinen Augen nahezu kleben. Mir fiel auf, dass ich ihn schon einmal gesehen hatte, beim letzten Sommerfest. Er war nur kurz da gewesen und ich hatte mich gefragt, wer der fremde Junge wohl war. Nun war er wieder da und schaute mich an.

Ich wollte gerade auf ihn zugehen, mit der festen Absicht ihn anzusprechen, als er sich plötzlich in Bewegung setzte. Staunend sah ich, wie er auf mich zukam. Er umrundete das Feuer und blieb lächelnd vor mir stehen.

 Als ich sein Lächeln sah, breitete sich in mir ein warmes Gefühl aus. Nun sah ich, dass seine Haare dunkelbraun, fast schwarz und seine Augen ein Gemisch aus braun und hellgrün waren. Er reichte mir ritterlich seine Hand. „Mein Name ist Dominik. Und du bist…?“ Ich lächelte ihn nun ebenfalls an. „Maria.“ Er griff meine Hand nun fester und wandte den Kopf zur Tanzstelle. „Hast du Lust mit mir zu tanzen?“ Erwartungsvoll sah er mich an. Ich konnte nicht nein sagen. Freudig nickte ich. Ebenso freudig zog er mich zur Tanzstelle. Dort angekommen, wurde er ganz ruhig. Er legte mir eine Hand auf die Hüfte, seine andere Hand umschloss noch immer die meine. Seinem Beispiel folgend legte ich meine linke Hand auf seine Schulter. Wir standen nun ganz nah beieinander. Dann fing das Lied an. Die sanften Töne umhüllten uns und wir fingen langsam an, uns zu drehen.

Langsam fing ich an, mich zu drehen. Mein Stock glitt mir dabei aus der Hand und fiel auf den Boden. Mir fiel es kaum auf, ich hatte die Augen geschlossen und meine Hände waren erhoben. Er war da. Er war da und seine Hände ruhten wieder auf mir. Seine Wärme war wieder da und umhüllte mich. Ich vergaß für diesen Moment meine schmerzenden alten Knochen und drehte mich mit ihm langsam zu der sanften Melodie. Ich spürte sein liebevolles Lächeln und tanzte mit ihm über die mit Mondschein beschienene  Lichtung.

Dann, ganz langsam, klang die Musik ab und auch wir wurden langsamer, bis wir schließlich zum Stillstand kamen. Und, wie vor vielen Jahren, spürte ich, wie er sich zu mir beugte. Wie sein warmer Atem mich traf. Und schließlich, spürte ich seine Lippen auf meinen.

 

Ich öffnete die Augen. Er war nicht mehr da. Dann sah ich, wo ich war.

 Ich bekam einen leichten Schrecken. Den bekam ich immer. Jedes Mal wenn ich ankam, obwohl ich doch ganz genau wusste, was mich erwarten würde.

Ein zärtliches Lächeln schlich sich auf meine Lippen, als ich mich hinunter beugte. Leicht strich ich über den rauen Stein des Grabsteines. Ich legte die Geranien davor.  „Die sind für dich, mein Liebster.“

Eine heiße Träne bahnte sich einen Weg über meine Wange und ich wischte sie zitternd weg. Dieselbe Wärme, die sein Lächeln in mir ausgelöst hatte, ergriff von mir Besitz und ich lächelte.

 „Ich weiß nun wieder, warum ich das mache“, sprach ich in die Dunkelheit. „Warum ich jedes Mal aufs Neue den weiten Weg gehe.“

Lächelnd schloss ich die Augen und sah ihn vor mir stehen.

„Ich mache es, weil ich dich liebe.“

 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 15.07.2013

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /