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Kapitel 1

Es war ein Tag wie jeder andere in Parilar.

Sennaya und Santaly saßen wie fast jeden Morgen auf dem Dach des Hauses vom Oberhaupt und beobachteten die aufgehende Sonne in ihrer feurigen Schönheit.

Zumindest war es ein ganz normaler Tag, bis Santaly den Auftrag erhielt nach Melithra zu reisen, da der König einen Gesandten des Dorfes Parilar zu sprechen wünschte.

Santaly befand sich noch in ihrer Ausbildung zur Assassine, weswegen ihr dieser Auftrag zugeteilt wurde.

Sennaya machte ihr Mut, sie würde es mit Links schaffen. Sie bot sich an Santaly zu begleiten und zu unterstützen.

So zogen sie also los, gen königliche Stadt.

„Es ist echt lieb von dir, dass du mir beistehen möchtest. Normal sollte ich nicht so... ängstlich sein, etwas falsch zu machen.“

„Mach dir mal keine Gedanken. Du bist noch in der Ausbildung. Viel Erfahrung konntest du noch nicht sammeln, es ist ganz normal, dass man da noch ein wenig Bammel hat“, sagte Sennaya und erntete für ihre Worte ein schwaches Lächeln.

"Wahrscheinlich hast du Recht." Santaly atmete tief durch. "Weißt du, wovor ich noch Angst habe? Oder besser... vor wem?"

Sennaya sah ratlos zu ihr hin. "Kein Schimmer..."

Santalys Gesicht nahm einen mürrischen Ausdruck an. "Ich habe Angst vor der Belästigung eines gewissen Auserwählten. Ich hatte dir doch von ihm erzählt. Dieser schwarzhaarige, arrogante, absolut perverse Vollidiot, der seine blöden Sprüche kein einziges Mal zurückhalten kann und mich andauernd mit diesem widerlichen Grinsen beschenkt." Ihre rechte Hand bildete eine Faust und in ihren Augen flammte das allesverzehrende Feuer des Hasses. Sennaya musste grinsen.

"Ach komm, ist er wirklich so schlimm? Du solltest es ihm nicht verübeln. Du bist eine wunderschöne Frau, da ist es doch kein Wunder, dass er jedes Mal so reagiert."

"Ich bitte dich, Sennaya! Dieser Kerl macht das nicht etwa, weil er mich mag oder dergleichen. Er tut es bei jedem weiblichen Geschöpf dieser Welt. Er ist widerwärtig! Ganz egal ob Auserwählter oder nicht. Er meint sich alles erlauben zu können." Santalys Begleiterin und Freundin seufzte, konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen.

"Na gut, lassen wir das erst mal. Vielleicht begegnen wir ihm nicht mal. Ich denke, als Auserwählter hat er auch einiges an Aufgaben zu erledigen." Sennaya deutete Santalys Schweigen als Beendigung dieses Themas.

Es gab nichts mehr zu sagen und Santaly gab ihr wahrscheinlich im Stillen Recht. Allerdings wusste die Assassine es besser.

Sie gingen den weiteren Weg schweigend einher, bis sich der Wald lichtete und die Stadt Melithra mit ihrem imposanten Palast vor ihnen Gestalt annahm.

"Wow, das ist ja der Wahnsinn!", rief Sennaya begeistert und konnte es kaum erwarten, Melithra zu betreten. Santaly schien nicht begeistert, als Sennaya begann sie an der Hand zum schnelleren Gehen zu zwingen, weil sie endlich ankommen wollte.

 

Schweigen. Weit aufgerissene Augen und ein vor Staunen geöffneter Mund... und eine ziemlich genervte Assassine.

"Können wir es jetzt hinter uns bringen, oder willst du weiter hier rumstehen und den Palast mit den Augen erdrücken?"

Die angesprochene junge Frau schüttelte langsam den Kopf und ging hinter Santaly her, die die Treppen zum Palastplatz hinaufging.

Vor eben jenem Palast, den sie gleich betreten würden, tummelten sich viele Menschen. Überall waren Stände mit unheimlich vielen Waren die für viel Geld angeboten wurden. Santaly bahnte sich einen Weg durch die Menschenmassen, von denen die meisten wie reiche Snobs aussahen. Sennaya versuchte mitzuhalten, aber viel zu interessant schienen ihr die ganzen Waren. Obst, Gemüse, Tränke, Kleider, Rüstungen und Waffen.

Einer der Waffenstände hatte es ihr angetan. Er stand direkt neben der Treppe, die hinauf zum Eingangsportal des Palastes führte. Sie schlängelte sich bis dahin durch, was nicht ganz einfach war.

Eben in diesem Moment kam ein junger Mann um die Ecke geschlendert. Die Hände in den Hosentaschen, mit wallendem pechschwarzem Haar, so lang, dass es ihm bis in die Taille reichte. Seine grünen Augen blitzten im Sonnenlicht, ebenso wie seine weißen Zähne, welche durch ein selbstzufriedenes Lächeln sichtbar wurden.

Jannual Wilthos stellte sich an eine Mauer im Schatten und betrachtete eine Weile das wilde Treiben auf dem Markt.

 

Gerade wollte er sich von der Mauer abstoßen und seinen Weg fortsetzen, als ihm ein rothaariges Mädchen ins Auge fiel, welches mit großer Anstrengung versuchte, durch die Menge zu gelangen... Ihr Ziel schien der wohl teuerste Waffenstand in ganz Relindeya zu sein, weswegen der Standbesitzer sich auch den besten Platz leisten konnte. Jannual runzelte leicht seine Stirn, als er sie ins Auge fasste und hob eine Hand als Schutz vor der sengenden Sonne vor die Augen, um sie auch nicht zu verlieren. Sie sah ihm nicht danach aus, als könne sie sich auch nur einen Griff dieser Waffen leisten. Aber sie war beschenkt mit einer Schönheit, die er bisher bei lediglich einer Person entdeckt hatte, welche ihm aber jedes Mal, wenn er ihr ein Kompliment machte, eine überzog.

Das Mädchen war an seinem Ziel angekommen und begutachtete staunend die ausgelegte Ware. Der Verkäufer beäugte sie argwöhnisch, als sie ein Schwert hochhob und es mit verliebten Augen begutachtete.

Jannual konnte sich ein leises Lachen nicht verkneifen und nahm Kurs auf den Waffenstand, an dem das Mädchen sich nicht sattsehen konnte.

"Einen wunderschönen guten Tag, Auserwählter!" Der Verkäufer sagte dies mit einem erschrockenen Ausdruck im Gesicht und stammelte nach seiner Begrüßung wirres Zeug, während er sich mindestens zwanzig Mal verbeugte.

Sennaya hatte nichts mitbekommen, zu sehr war sie mit der Begutachtung eines Schwertpaares beschäftigt.

"Schon gut, hör auf dich zu verbeugen, ist ja nicht so, dass ich berühmter bin als der König." Jannual rollte mit den Augen. Er trat näher und sah Sennaya über die Schulter. "Sehr gut verarbeitet, nicht wahr? Bestens geeignet, wenn man das Kämpfen mit zwei Schwertern gelernt hat."

Das Mädchen wirbelte herum und schlug dem verblüfften Auserwählten ihr Haar ins Gesicht. "Oh... oh nein... ich... bitte verzeiht...!" Schneller als einige schauen konnten, landeten die Schwerter wieder auf dem Stand.

Jannual hielt das fliehende Mädchen an der Hand, damit sie nicht weglaufen konnte. "Kein Problem, ich hätte mich wohl auch erschrocken, hätte mich jemand von hinten angesprochen." Er lächelte und ließ seinen typischen Scanblick über den wohlgeformten kurvenreichen Körper vor sich gleiten. Er wurde für sehr gut befunden. "Sag, gefallen dir diese Schwerter?", fragte er, die Augen auf dem äußerst beeindruckenden Dekolleté des Mädchens ruhend.

Sennaya bemerkte es und riss sich von Jannual los, welcher bei dieser heftigen Bewegung aufsah. "Ich darf doch sehr bitten! Oder habe ich neuerdings meine Augen in Höhe meiner Brust?" Sie grinste und zog zunächst ihre Jacke zurecht, damit der Herr nicht mehr dazu verleitet wurde, weiterzustarren. "Ich fühle mich geehrt Eure Bekanntschaft machen zu dürfen, Auserwählter. Ja, diese beiden Schwerter gefallen mir wirklich sehr. Leider sind sie für mich, wie es scheint zu teuer. Aber sie anzusehen, ist schon genug." Sie machte einen Knicks, lächelte Jannual noch einmal zu und wandte sich zum Gehen.

Sie ließ einen verblüfften Auserwählten zurück, welcher über dieses Mädchen nur lächeln konnte. Blitzschnell beschloss er: Dieses Mädchen kann ich einfach nicht gehen lassen! Und so griff er erneut nach ihrem Handgelenk und zog sie zurück.

"Kleinen Moment noch, bitte."

Sennaya gab nach und stellte sich auf eine weitere Scaneinlage ein, welche jedoch nicht eintraf.

"Darf ich fragen, wie du heißt, Kleines?"

Kleines... So wurde sie noch nie genannt. Kleines... Ist sie wirklich so klein? Na ja, sie geht ihm mit dem Kopf man gerade bis unters Kinn... Hmmm... Kleines. Irgendwie mochte sie das.

Sie sah auf und ihm in die Augen. Hübsche Augen, dachte sie. So grün wie das Gras an einem frischen Frühlingsmorgen und noch grüner, strahlender. Wie konnte Santaly ihn nicht mögen? Sennaya spürte, wir ihr langsam aber stetig warm wurde.

"Sennaya Myrion nennt man mich. Darf ich jetzt gehen? Ich habe noch etwas zu erledigen. Meine Freundin befindet sich wahrscheinlich gerade in einem Gespräch mit Ihrer Majestät und ich wollte ihr eigentlich ein wenig beistehen um ihr die Nervosität zu nehmen."

Jannual horchte bei diesen Worten auf. "Deine Freundin? Beim König?"

"Ja, allerdings. Ist es was Neues hier, dass jemand mit dem König sprechen muss?"

"Ehm... Nein. Nur muss deine Freundin eine wichtige Person sein, um überhaupt die Erlaubnis zu haben mit dem König zu sprechen. Sie heißt nicht zufällig Santaly Furatras?"

Sie zögerte ein wenig. Sollte sie Santaly im wahrsten Sinne des Wortes verraten und sie ihm direkt ausliefern? Aber was blieb ihr anderes übrig? Sie hatte keine Ahnung, welche Leute sonst die Erlaubnis bekommen den König zu sprechen. Ein verzweifeltes Seufzen ging ihren Worten voraus. "Ja, allerdings. Und? Wie konnte ich Euch mit dieser Information weiterhelfen?", fragte sie nun, wohl ein wenig zu patzig, denn der Verkäufer meldete sich zu Wort.

"Na sag mal, Mädel, wie sprichst du mit dem Auserwählten?! Wie kannst du es wagen ihn direkt anzusehen, du niederes Geschöpf!?"

Der Auserwählte hob die Hand und gebot dem Verkäufer damit Schweigen. "Nun mal langsam, es ist ja wohl meine Sache, ob das Mädchen mit mir so reden darf oder nicht. Im Übrigen, hast du nicht das Recht meinen Gesprächen zu lauschen. Kümmer dich gefälligst um deinen eigenen Kram." Er hatte, während er sprach die Augen geschlossen, vielleicht um sich selber zu beherrschen. "Also gut, Santaly ist wieder hier. Das freut mich. Dann seh mal zu, dass du zu ihr gelangst, ehe sie einen Nervenzusammenbruch erleidet. Ich weiß, wie nervös sie werden kann…“

Er schien sie gut zu kennen, stellte Sennaya fest und bedachte ihn mit einem nachdenklichen Blick. Ob er tatsächlich ein Auge auf sie geworfen hatte und nur nicht recht wusste, wie er es angehen sollte? Wahrscheinlich deswegen seine dummen Sprüche, von denen Santaly erzählt hatte…

Ohne ein weiteres Wort wandte sie ihre Augen von seinen ab und ging die Stufen zum Palastportal hinauf.

Jannual sah ihr nach. "Schwarze Augen...", murmelte er und runzelte erneut verwundert die Stirn. Er hatte noch nie so tiefschwarze Augen gesehen. Ein normaler Mensch war diese junge Frau nicht.

 

"Wo warst du!? Ich hatte mich auf dich verlassen, Sennaya, und du lässt mich einfach im Stich", empörte sich Santaly, als sie mit Sennaya ins hell erleuchtete Melithra trat und den Palast hinter sich ließ. Es war bereits dunkel geworden.

"Ich... Oh, es tut mir ja Leid, Santaly! Aber erst habe ich diese genialen Schwerter gefunden, die ich mir natürlich nie hätte leisten können... Na ja und dann... Ehm..."

"Was dann? Nun sag schon!", drängte die Assassine und stemmte die Hände in ihre Hüften.

"Also... ich...", stammelte Sennaya und wusste nicht weiter. Zu sehr schämte sie sich ihr Versprechen nicht eingehalten zu haben. Ihr wurde die Last die Wahrheit zu sagen von einer tiefen, samtenen Stimme abgenommen.

"Sie trifft keine Schuld, Santaly. Ich habe sie aufgehalten, weswegen sie nicht zu dir gelangen konnte."

Die beiden Frauen drehten sich in die Richtung, aus der die Stimme kam. Santaly kam sie sehr bekannt vor...

Sie sahen nichts.

Lediglich die dunklen Hecken des königlichen Rosengartens. Doch dann löste sich ein Schatten und entpuppte sich nach und nach als Jannual, welcher mit den Händen in den Taschen, aber aufrecht und stolz, auf sie zuschritt. "Du darfst mich einen Idiot nennen und noch mehr hassen, es ist mir gleich." Diese Worte gingen deutlich an Santaly, wobei seine Augen aber ununterbrochen auf Sennaya ruhten. "Es tut mir leid, dir Ärger eingebracht zu haben, Sennaya." Ein freundliches Lächeln galt ihr und sie lächelte zurück.

"Macht nichts. Habe mehr oder weniger selber Schuld." Santalys Augen zuckten von Jannual zu ihrer Freundin und zurück. Was geschah hier gerade?!

"Nun, wie dem auch sei, ich habe Hunger und bin müde, wir sollten jetzt gehen", brach sie die Stille und packte Sennaya bei der Hand die ihre Augen nicht von Jannual lassen konnte. Nun aber wurde sie ruckartig mitgezogen.

"Gute Nacht euch beiden. Schön dich mal wiedergesehen zu haben, Santaly!", rief der Schwarzhaarige den beiden hinterher und nickte Sennaya noch einmal zu, als diese einen Blick zurückwarf, ehe sie darauf achten musste, nicht die Treppe hinunterzufallen.

Ein wenig verwirrt wandte sich der Auserwählte zum Gehen. Jede Frau die er bisher traf, war in seinen Augen göttlich. Diese rothaarige, mit den geheimnisvollen schwarzen, aber nicht kalt wirkenden Augen war... irgendwie anders. Sie hatte es ihm angetan, wie nicht mal Santaly es getan hatte.

 

"So. Jetzt mal Klartext. Hast du dich in diesen idiotischen Auserwählten verknallt, oder was war das vorhin?"

Sie hatten sich ein Zimmer in einem der Gasthäuser Melithras genommen. Santaly saß mit verschränkten Beinen auf ihrem Bett und ließ einen verständnislosen Blick auf Sennaya ruhen, welche sich umzog und fertig für das Bett machte.

"Wieso sollte ich? Nur weil ich ein wenig fasziniert war ihn endlich zu treffen... Ich meine, er ist berühmt. Da kannst du mir nun wirklich keine Verliebtheit vorwerfen, wenn ich aus dem Staunen nicht mehr rauskam." Sie drehte sich nicht zu Santaly um, als sie sprach, denn diese war sehr scharfsinnig und erkannte schnell, wenn jemand lügte.

"So so, na wenn das alles ist... Dann gute Nacht." Sie löschte die Kerze auf ihrem Nachttisch und legte sich schlafen.

Sennaya legte sich auch hin und dachte noch lange über diesen jungen Mann mit dem bordeauxfarbenen Mantel nach, welcher ihr doch sehr freundlich vorkam und nicht so pervers, wie Santaly es immer sagte.

Ja, er hat auf ihren Busen gestarrt. Na und? Sowas machten die meisten Männer, Sennaya sah darin nichts übermäßig Vulgäres. Aber Santaly war schon immer ziemlich sensibel, wenn es um Männer ging. Sie verlor schnell die Beherrschung und wurde beinahe jähzornig.
So schlief sie also ein, mit einem sanften Lächeln auf dem Gesicht und der Erinnerung an das Seine.

Es ist schon morgens... Warum ist diese Nacht so schnell vergangen? Ich habe so schön geträumt... Aber wovon? Ich fühl mich richtig gut, also habe ich was Schönes geträumt, aber WAS?! Warum kann man sich an die meisten Träume nicht erinnern?

Sennaya schlug die Augen auf und schloss sie sogleich wieder, da die Sonne blendete und ihr in den Augen schmerzte. Sie öffnete die Augen wieder, diesmal langsamer. Und wieder wurden sie schnell geschlossen. Sie drehte sich ruckartig auf die Seite.

Irgendetwas klapperte.

Wenn sie der Sonne den Rücken zudrehte, war es auf ihrer Seite dunkler. Sie könnte die Augen besser öffnen und sich an das Licht gewöhnen. Aber...

Was hat da geklappert, als sie sich bewegte?

Testweise bewegte sie die Füße noch einmal... und es klapperte wieder!

Plötzlich saß Sennaya aufrecht im Bett und suchte mit schmerzenden Augen nach der Ursache des Klapperns. Als sie sich endlich an das Sonnenlicht gewöhnt hatte glaubte sie noch immer zu träumen.

Da lagen sie. Die beiden Schwerter, welche sie sich gestern noch an diesem Stand angesehen hatte. Die beiden Schwerter, wo sie sich nur wünschen konnte, sie zu besitzen. Und ein Brief. Mit zittrigen Fingern nahm sie ihn auf und drehte ihn mehrmals. Nichts. Kein Name vom Absender und auch nichts, was darauf hingedeutet hätte, dass er an sie war.

Aber... alles lag auf ihrem Bett. Es kann sich doch nur um sie als Empfänger handeln... oder?

Alle Vernunft über Bord werfend öffnete sie den Umschlag und entnahm ihm den Brief. Sie entfaltete ihn und las die wunderschön geschwungene Schrift:

Ich hoffe, du hattest einen erholsamen Schlaf und schöne Träume.

Diese beiden Schwerter möchte ich dir schenken, da mir aufgefallen war, dass du sie nicht nur angesehen, sondern sofort geliebt hast.
Du hattest den Wunsch sie zu besitzen. Und diesen Wunsch möchte ich dir hiermit erfüllen. Ich hoffe, dass ich dich damit nicht beleidige.
Ich erwarte keinen Dank, sondern möchte dich glücklich sehen und dir damit ein Lächeln auf deine Lippen zaubern, welches mich bannte, als ich es zum ersten Mal sah und an welches ich mich seither mit Freuden erinnere.

Bezeichnen wir dieses Geschenk einfach als meinen Dank an dich, weil du mir das Gefühl gegeben hast, ein normaler Mensch zu sein.

In Hochachtung
Jannual

Noch lange starrte Sennaya die geschriebenen Worte an. Die Vögel zwitscherten, die Sonne schien noch immer strahlend hell...

Im Kopf des rothaarigen Mädchens rebellierte es. Einen derartigen Brief hatte sie noch nie erhalten. Ihr Lächeln hat ihn gebannt und er erinnerte sich mit Freuden daran... Würde ein billiger Aufreißer derartige Worte zu Papier bringen können? Sie schüttelte den Kopf. Nein. Santaly irrte sich gewaltig in ihm.

Endlich faltete sie den Brief zusammen und verstaute ihn sorgfältig in seinem Umschlag. Wie mechanisch stand sie auf und steckte ihn in ihre Tasche. Als sie sich wieder aufrichtete und zu ihrem Bett zurückkehrte, dachte sie darüber nach, wie sie das Santaly beibringen sollte. Sie konnte ihr nicht vorgaukeln, irgendjemand hätte diese Schwerter einfach so auf ihr Bett gelegt, als sie schliefen.

"Wie ist er überhaupt hier hochgekommen?", fragte sie sich dann leise, kroch über das Bett zum offenen Fenster, welches sich direkt darüber befand und sah hinunter.

Sie befanden sich im oberen Geschoss. Wie konnte er also knapp fünf Meter hier hochkommen und ihr die Schwerter aufs Bett legen? Durch die Tür hätte er nicht kommen können, da diese verschlossen war.

Sie konnte nicht mehr lange darüber nachdenken, denn im Bett hinter Sennaya erwachte Santaly und setzte sich auf.

"Morgen...", nuschelte diese und rieb sich das Gesicht.

"Morgen, Santaly. Gut geschlafen? Hast du heute Nacht irgendwas mitbekommen?"

"Was? Was soll ich denn mitbekommen haben? Hast du geschnarcht?"
Sennaya schüttelte den Kopf und lachte zögerlich. "Nein. Ich habe nur... Heute Nacht war jemand hier und hat mir Schwerter geschenkt."

"Na sicher", grummelte Santaly und stand auf.

"Das ist kein Scherz, schau doch!" Sennaya nahm die Schwerter, stand auf und ging zu Santaly. "Sieh nur. Diese habe ich mir gestern erst angesehen. Sind sie nicht toll?" Während Sennaya noch schwärmend auf die Waffen niedersah, begann Santaly sich anzuziehen.

"Ja, sehr hübsch. Wo du die her hast ist mir ziemlich egal. Freu dich und komm mit frühstücken."

Enttäuscht, aber auch etwas erleichtert über Santalys Desinteresse, zog Sennaya sich schnell an, legte die Schwerter um und folgte Santaly im Laufschritt hinunter in die Schankstube, wo sie frühstückten und kein weiteres Wort über das Geschehene verloren.

Es war ein warmer, beinahe schwüler Tag.

Die beiden jungen Frauen machten sich auf den Weg zurück nach Parilar. Gerade wollten sie das Stadttor passieren, als Sennaya den Impuls hatte sich noch einmal umzudrehen, nur um Jannual zu entdecken, wie er am oberen Ende der Treppe zum Palastplatz stand, die Hand zum Abschied hob und davonging.

Es machte sie irgendwie traurig diese traumhafte Stadt zu verlassen in welcher sie diesen Mann getroffen hatte, welcher ihr wahrlich Herzklopfen verschaffte.

Kapitel 2

Für Sennaya kam es überraschend. Santaly hingegen war darauf vorbereitet gewesen, schließlich ging es in gewisser Weise um sie. Nachdem sie Melithra vor ungefähr zwei Monaten verlassen hatten, hatte Santaly kein Wort über das Gespräch mit dem König oder den damit zusammenhängenden Auftrag gesprochen. Sennaya konnte noch so sehr darum betteln, Santaly rückte mit keinem Wort darüber heraus. Auch hatte Sennaya das Gefühl, dass seit ihrem Besuch in Melithra alles anders ist. Santaly war verschlossener, kälter Sennaya gegenüber geworden. Nur noch selten trafen sich die beiden auf dem Dach des Oberhauptes in der Morgendämmerung. Schließlich hieß es, Santaly müsse sich auf den Weg machen.

"Wo wirst du denn hingehen? Santaly, bitte sag mir doch wenigstens wo du hin musst! Bitte!" Sennaya folgte der Assassine, welche ihre Ausbildung nun vollendet hatte, auf Schritt und Tritt.

"Das kann ich dir nicht sagen, es ist streng geheim. Nun hör auf zu fragen, du fängst langsam an zu nerven." Für Santaly schien das Thema beendet, doch Sennaya ließ nicht locker.

"Nein, ich werde nicht aufhören zu fragen und es ist mir gleich, dass es dich nervt. Du bist meine Freundin, seit ich hier bin bist du an meiner Seite. War ich dir etwa keine gute Gefährtin? Wer hat mit dir trainiert? Wer hat dir beigestanden, als es um die Heirat mit Kunoga ging?" Santaly blieb stehen und drehte sich zu Sennaya um.

"Hatte ich dir nicht gesagt, du sollst kein Wort mehr über die Heirat verlieren!? Verdammt noch mal, ich werde dir nichts sagen! Es geht dich nichts an, du gehörst nicht zu meinem Volk! So etwas nennen wir Geschäft und über Geschäfte wird nicht mit außenstehenden gesprochen! Du bist keine Assassine, nur eine Fremde, die das Oberhaupt aufgenommen hat, damit du nicht in den Wäldern Relindeya für sämtliche Monster als Futter endest!" Das war nicht nett.

Wie vor den Kopf gestoßen trat Sennaya einen Schritt zurück und konnte kaum glauben, dass sie so etwas sagt. "Ja... Genau wie du damals. Dich hat man auch nur hier aufgenommen, damit du in Sicherheit bist. Aber bei mir ist es wohl etwas anderes. Ich bin ja nicht mal menschlich..."

"Jetzt komm mir nicht damit. Ich akzeptiere dich so wie du bist, dass weißt du. Du sollst dich eben nur nicht in die Angelegenheiten anderer einmischen und dich um deine eigenen kümmern! Geh zu deinem Auserwählten und lass mich meine Arbeit machen, okay!?" Sie drehte sich um und ging.

Sennaya folgte ihr nicht. Sie stand nur da und sah ihrer einst besten Freundin hinterher, wie diese von ihr ging...

Noch am gleichen Abend machte sich Santaly auf den Weg ins Ungewisse. Sennaya saß alleine auf dem Dach des Oberhauptes, sah hoch zu den Sternen und fragte sich, ob Santaly jemals wieder die alte sein würde. Was war nur an diesem Tag in Melithra geschehen, dass sie zu dem wurde, was sie nun ist? Liegt es an Jannual? Liebte Santaly ihn vielleicht insgeheim und hasst Sennaya dafür, dass er ihr soviel Aufmerksamkeit geschenkt hatte und Santaly praktisch gar keine? Aber warum hatte sie sich dann immer so über ihn aufgeregt, nie vernünftig mit ihm geredet, was durchaus möglich war?

Sennaya gab es auf. Mit einem eleganten Sprung landete sie weich im festgetretenen Sand der Wege von Parilar. Ohne den Blick noch einmal zu heben, ging sie in den Wald hinein mit dem festen Wunsch ein Wunder würde geschehen und die Zeit zurückdrehen, bis zu dem Punkt, an dem Santaly und sie unzertrennlich waren.

Kapitel 3

Sennaya erwachte früh. Ihr Bett aus Moos und Blättern war feucht vom Tau. Sie stand auf und streckte sich. Kurz schüttelte sie ihren Schweif aus und zupfte die Blätter aus ihrem Haar. Dann machte sie sich auf den Weg etwas Essbares zu finden.

Nun lebte sie, wie vor einigen Jahren schon, wieder im Wald. Sie hatte sich entschlossen nicht ohne Santaly weiter im Dorf Parilar zu leben. Sie war gegangen ohne einmal zurückzublicken. Sie war sich darüber im Klaren, dass es sehr unfreundlich und ganz sicher kein bisschen dankbar ist, sich einfach von dannen zu machen, wo das Oberhaupt sie doch mit offenen Armen aufgenommen hatte. Aber Sennaya konnte einfach nicht mehr dort bleiben. Sie musste gehen. Piralar barg einfach zu viele Erinnerungen, die sie wenigstens für einige Zeit vergessen wollte. Eines Tages wird sie zurückkehren und sich angemessen für alles bedanken, sogar von ganzem Herzen.

 

Nach einiger Zeit des Pirschens entdeckte sie eine Herde Wildschweine. Sie duckte sich hinter einen dichten Busch und verschwand in einem roten Wirbel, um kurz darauf in Gestalt eines pferdgroßen Fuchses wieder aufzutauchen. Kaum hatte sich der Rest des Wirbels verzogen, entfuhr ein unheimliches Knurren der Fuchskehle. Mit einem Satz preschte Sennaya hervor, sprang, riss das mit spitzen ellenlangen Reißzähnen gespickte Maul auf und landete mitten in der Wildscheinherde, um sich eines der Tiere zu schnappen und mit rasender Geschwindigkeit fortzuschleppen. Sie kehrte zurück zu ihrem letzten Lager, verwandelte sich zurück in ihre halbmenschliche Gestalt und bereitete sich ihr Essen zu, welches für fünf Tage reichen würde.

 

Viel Zeit war vergangen, ungefähr vier volle Monde hatte Sennaya gezählt, als sie eines Abends Stimmen ganz in der Nähe hörte. Ihre spitzen Ohren drehten sich in alle Himmelsrichtungen um herauszufinden, von wo genau diese Stimmen kamen.

Langsam faltete sie einen lädierten Brief zusammen und steckte ihn zurück in seinen Umschlag. Sie nahm Tasche und Schwerter vom Boden auf und machte sich daran, auszuspähen, wer oder was ein Lager in ihrer Nähe aufzuschlagen schien.

"Woah, schau dir das an, Celcine!"

"Oooh, wie schön! Komm, lass uns schwimmen gehen, Lemi!"

"Neee, lieber nicht. Ist bestimmt total kalt."

"Ach komm, schon! Gymar kümmert sich doch um ein Feuer, an dem können wir uns wieder aufwärmen."

"Aaaha, ich kümmer mich also ums Feuer. War ja klar, immer auf die kleinen..."

"Na, besser, als wenn du zu nichts zu gebrauchen bist, Gymar."

"Hmpf... Ja..."

Sennaya hörte kurz darauf ein Feuer prasseln. Eine Weile später plätscherte Wasser und ein zittriges "Mist, ist das kalt..." war zu hören.

"Stell dich nicht so an, Lemi! Musst dich schon bewegen, damit es nicht zu kalt wird!" Ein perlenhelles Lachen, lautes Platschen. Sennaya vermutete, dass soeben ein gewisser Lemi unter Wasser gedrückt wurde. Sie musste lächeln.

Scheinen nette Menschen zu sein, dachte sie und rückte näher ran um auch einen Blick auf sie werfen zu können. Dort saßen nur zwei Personen. Beide hatten hellblaues Haar, die eine Person war kleiner als die andere und schien männlich zu sein. Hingegen die größere Person war weiblich. Bei Celcine und Lemi handelte es sich um ein blondes Mädchen und einen weißhaarigen Jungen. Das Mädchen schien sich zu amüsieren. Der Junge frierte nur und versuchte sich nicht nur einmal aus dem Wasser zu stehlen, wenn sie nicht hinsah. Wieder musste Sennaya lächeln.

 

Nach einiger Zeit kamen Celcine und Lemi aus dem Wasser, hüllten sich in Decken und setzten sich zu den beiden blauhaarigen.

"Brrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrr... Du bist wirklich verrückt, Celcine. Das mache ich nie mehr mit."

"Wenn man die ganze Zeit nur blöde rum hockt, ist es kein Wunder, dass man friert. Wie wäre es beim nächsten Mal mit Schwimmen?", sagte der kleine Junge und versuchte nicht zu lachen.

"Hach, sei still, Gymar." Lemi rückte näher ans Feuer heran.

"Sagt mal, glaubt ihr, wir werden die nette junge Frau von damals bald wiedertreffen?"

"Celcine, wie oft noch, die war nicht nett! Sie wollte dich umbringen, sowas kann nicht nett sein!", sagte Gymar mit Nachdruck und schüttelte verzweifelt den Kopf.

"Na ja, trotzdem mag ich sie. Vielleicht werden wir Freundinnen."

"Klar, Freundinnen... Und bei einem Kaffeeklatsch versucht sie dich mit Kaffee zu vergiften."

"Sag doch nicht sowas, Lemi! Ach, ich versteh euch nicht. In jedem Menschen steckt gutes, man muss nur herausfinden, wie man es aus ihnen herausholt."

Die Blauhaarige seufzte. "Jetzt wollen wir erst mal eine Kleinigkeit essen. Und du denkst lieber noch mal darüber nach ob es ratsam wäre, sich mit einer Frau anzufreunden, die dir an den Kragen wollte, Celcine."

"Nun denken also auch Sie schlecht von ihr, Professor. Sie wird einen Grund haben, weswegen sie mich umbringen will. Ich bin ihr deswegen nicht böse."

"Kannst es aufgeben, Ruja. Wir können es alle aufgeben." Sie begannen zu essen.

Sennaya rückte noch näher heran und spürte schon die Wärme des Feuers auf ihrer Haut. Das Mädchen namens Celcine sah plötzlich wie alarmiert auf und genau in Sennayas Richtung. Diese erschrak, bewegte sich aber keinen Millimeter.

"Was hast du, Celcine?", fragte Ruja und sah über ihre Schulter. Ihre Augen wurden mit einem Mal groß, sie schnappte nach einem Stab, sprang auf, drehte sich um und hielt den Stab wie zur Verteidigung vor sich. Auch Gymar und Lemi erhoben sich. Gymar hatte eine Art kleinen Stab in der Hand, welches er scheinbar zum Kampf einsetzte. Lemi hingegen kreuzte die Arme und legte die Hände auf jeweils einen Schwertgriff an seinen Hüften.

Er trat vor. "Wer oder was auch immer du bist, komm heraus und stell dich oder verschwinde und lass uns in Frieden!"

Sennaya wusste nicht, wie sie sie entdecken konnten. Aber sie hielt es für das Beste zu verschwinden, obwohl sie sich sehr über diese Menschen freute und sich zu ihnen gesellen wollte. Es war besser so. Also drehte sie sich um und lief zu ihrer Lagerstätte zurück. Gleich bei Sonnenaufgang würde sie dieses Waldstück verlassen.

Kapitel 4

Ein Monat war seit der Begegnung mit der kleinen Gruppe vergangen. Sennaya hätte nie gedacht, dass sie sie bald schon wiedersehen würde.

Es war ein regnerischer Tag. Dicke Tropfen fielen vom Himmel und hinterließen winzige Krater auf dem sandigen Weg, auf welchem Sennaya gerade gen Norden ging. In kürzester Zeit war sie von oben bis unten durchnässt. Aber das war egal. Hauptsache der Brief bekam keinen Tropfen ab, sodass er aufweicht. Sie hatte ihn tief in eine der Schwertscheiden gestopft. Sie wusste nicht, warum sie noch ging und sich nicht schon längst einen Unterschlupf gesucht hatte. Irgendetwas drängte sie voranzuschreiten, obwohl sie müde wurde und alles begann weh zu tun. Sie musste weiter.

Schon lange dachte sie ununterbrochen an den Schreiber dieses Briefes. Sie wünschte sich, ihn bald wiedersehen zu können. Aber wie, ohne direkt in die Stadt zu gehen? Und was sollte sie ihm sagen, wenn sie angekommen wäre?

Hi, ich hab mich in dich verliebt und Streit mit Santaly. Kann ich bei dir bleiben? Selbst bei diesen gedachten Worten lachte Sennaya laut und bitter auf. Dämlicher geht’s wohl nicht. Mit viel Glück und Geduld würde sie ihn eines Tages wieder sehen, das wusste sie.

 

Sie war noch weit gegangen, doch dann übermannte sie die Schwäche und sie suchte sich ein einigermaßen trockenes Plätzchen, wo sie ruhen könnte.

Wo wollte sie eigentlich hin? Ein genaues Ziel gab es nicht.

Ratlos und total geschafft schlief sie schließlich ein und erwachte erst, als sie wie schon vor einiger Zeit Stimmen hörte, die sich ihr nährten. Sie war mit einem Mal wach und hielt Ausschau nach den Urhebern der Stimmen.

Doch dann... hielt sie inne... und horchte mit rasendem Herzen.

"Seid ihr sicher, dass es hier sein soll? Wir finden garantiert einen besseren Platz zum Rasten."

"Nun stell dich mal nicht so an. Klappe halten und ausruhen. Wenn wir noch weiter gehen, werden wir uns garantiert noch erkälten."

"Ja ja, schon gut! War auch nur ein Vorschlag..."

"Wolltest deinen Snob-Auserwählten-Look sauber halten, nicht wahr? Bist dir zu fein, dich auf den Boden zu setzen?"

"Ey, Rotzbengel, ein Wort noch und ich-"

"Nun ist aber Schluss! Hört auf aufeinander rumzuhacken!"

"Er hat angefangen, ich habe mich nur verteidigt..."

"Nun ist wirklich gut. Ist ja nicht auszuhalten... Wer als nächstes die Klappe aufreißt, muss mir Fragen zur Geschichte beantworten! Mach bitte Feuer."

Es folgte absolute Stille. Nur das von jemandem entfachte Feuer prasselte und knackte.

 

Endlich hatte es aufgehört zu regnen. Sennaya war sich erst nicht sicher, ob sie richtig gehört hatte. Sie riskierte einen Blick zur Gruppe und wurde augenblicklich zur sogenannten Salzsäule.

Da saß er, auf einem Baumstamm. Vornübergebeugt, die Ellenbogen auf den Knien und den Kopf in den Händen. Er sah müde aus und lange nicht mehr so erhaben und hübsch wie zu der Zeit, als sie ihn kennen lernte. Und doch...

Sie senkte den Blick und dachte nach. Sie wollte zu ihm, um jeden Preis.

"Gymar!?"

"Da ist jemand... Ich habe diese roten Augen gesehen, wie Celcine sie schon mal sah!"

Sennaya horchte auf. Nein, wie kann es sein, dass man mich schon wieder entdeckt hat?! Rote Augen... Mist! Nun wusste sie es. Der Schein des Feuers hatte sich in ihren Augen wiedergespiegelt, wodurch sie rötlich wurden und zu leuchten begannen, wie es bei Tieren immer der Fall war.

"Hey! Zeigst du dich uns jetzt oder haust du wieder ab?!", rief Lemi, diesmal mit gezogenen Schwertern.

Auch Jannual stand jetzt auf, die Rechte am Schwertgriff, die Augen zusammengekniffen, konzentriert zu sehen, was sich dort im Dunkel rumtreibt.

Schnell schloss die ertappte junge Frau die Augen. Dann fasste sie einen Entschluss. So konnte es nicht weitergehen, also stand sie auf und trat ganz langsam in den Schein des Feuers.

Alle gingen in Kampfstellung, Jannual zog sein Schwert und hob es vor die Augen...

"Was...?"

Nun war sie komplett im Schein des Feuers zu sehen. Die Flammen spiegelten sich in pechschwarzen Augen wieder, zwischen dem dichten roten Haarschopf waren spitze Ohren, ähnlich der eines Tieres zu erkennen. Zwischen den tiergleichen Beinen bewegte sich gemächlich ein langer, buschiger Schweif in der Farbe ihres Haares.

"Sennaya? Bist du... aber..." Jannual ließ als erster Schild und Schwert sinken und kam Schritt für Schritt auf die junge Frau zu. Sennaya konnte sich kaum halten, sie wollte ihm um den Hals fallen, ihn spüren... Doch sie wusste, dass ihn ihr verändertes Aussehen verunsicherte, wenn auch nur ein wenig. Er hatte sie in menschlicher Form kennengelernt.

"Ja, ich bin es", sagte sie kurz angebunden und wechselte von ihrer jetzigen Gestalt in die eines Menschen. Die schwarzen Augen blieben bestehen, alles andere verschwand. "Jetzt kannst du dir sicher sein", fügte sie hinzu und lächelte den jungen Mann vor sich an.

Jannual lachte auf, steckte sein Schwert weg und schüttelte grinsend den Kopf. Sie war tatsächlich nicht menschlich, er hatte sich also nicht geirrt.

Die anderen waren verwirrt. "Ehm... Jannual? Du kennst sie also?", fragte Lemi vorsichtig und ließ nun auch seine Schwerter sinken. Die anderen machten es ihm nach.

"Ja, ich kenne sie. Habe sie vor langer Zeit kennengelernt."

Sennaya lächelte in die Runde und trat vor. "Es tut mir außerordentlich Leid, dass ich euch erschreckt habe. Auch beim letzten Mal schon", sagte sie und sah dabei Ruja an.

"Schon gut. Ja, du hast uns einen ganz schönen Schrecken eingejagt. Warum bist du nicht herausgekommen?"

"Ich wollte erst, aber dann dachte ich, ich lasse euch lieber in Frieden und bin gegangen."

"So ist das also. Hättest ruhig rauskommen können. Na ja. Hallo erst mal. Setz dich doch zu uns. Bist du hungrig?" Ruja kam näher, nahm sie bei der Hand und führte sie zum Feuer.

Sennaya war der vielen Freundlichkeit wegen etwas verwirrt. Jeder stellte sich ihr vor.

Ruja und Gymar waren Geschwister, wie sich herausstellte und Lemiras war Gymars bester Freund.

Psilania, ein kleines Mädchen mit rosanem Haar, war in Melithra zu ihnen gestoßen. Ein mieser Typ namens Rafylle hatte es auf die Kleine abgesehen aufgrund ihres Tannuks, eines Kristalles, welcher übermenschliche Kräfte verleiht, durchaus aber auch zu einer Gefahr werden kann. Ohne geeignete Umfassung kann dieser Kristall auf der bloßen Haut großen Schaden anrichten und den Menschen der es trägt töten. Sie kam mit ihnen, weil sie sie vor Rafylle beschützen wollten. Ruja gab ihr sofort eine Fassung, um den Prozess aufzuhalten.

Ralath war ein eher ruhiger Genosse. Er trug Handschellen, aufgrund eines Mordes über den er aber nicht reden wolle.

"Es wird bald Essen geben." Ruja lächelte sie herzlich an und setzte sich an ihren Platz neben Celcine, welche sich an dem gesamten Geschehen bisher nicht beteiligt hatte.

"Was ist mit Celcine?", fragte Sennaya vorsichtig und betrachtete die leuchtenden Flügel des Mädchens ihr gegenüber, welche sie beim letzten Mal noch nicht hatte.

"Oh... sie... also..." Lemiras sah hinab in seinen Schoß und schien mit sich zu kämpfen. Gymar übernahm.

"Sie wird zu einem Engel. Sie ist die Auserwählte unserer Welt, Sanatras. Und um die parallel nebeneinander existierenden Welten zu vereinen, wurde sie auserwählt ein Engel zu werden. Mit jedem elementaren Siegel welches wir brechen verliert sie mehr und mehr ihre Menschlichkeit. Sie hat bereits ihre Stimme verloren, ihr Gehör, die Fähigkeit zu fühlen, zu schmecken-"

"Es reicht!" Lemiras griff sich an die Ohren. "Sei still, ich will davon nichts mehr hören!"

Erschrocken über seine laute Stimme sah Sennaya ihn an... Sie erkannte, dass ihm Celcine sehr wichtig war und er sich offensichtlich nicht damit abfinden konnte. Da sie direkt neben ihm saß, legte sie ihm eine Hand auf den Arm. Er ließ die Arme langsam sinken und sah sie an. Sennaya lächelte nur sanft. Dies schien ihn zu beruhigen.

Den restlichen Abend wurde nicht mehr über Celcine Schicksal gesprochen.

"Hey. Möchtest du... Also..." Der junge Mann mit den zwei Schwertern stand hinter Sennaya, welche sich umdrehte.

"Na, was denn?", fragte sie freundlich. "Nicht so schüchtern, Lemiras, ich beiße nicht." Sie zwinkerte ihm zu und versuchte ihm damit Mut zu machen.

"Ja... Also, möchtest du uns auf der Reise zur Weltenvereinigung begleiten?" Er sagte dies sehr schnell, als wolle er es hinter sich bringen.

Sennaya lachte. "Ja, sehr gerne, wenn ich darf."

Er schien dankbar, sein Lächeln verriet es. "Cool! Dann... Ja." Und wieder schien er nicht weiterzuwissen.

"Du siehst müde aus. Ich bin es auch. Lass uns schlafen gehen." Sie ging an ihm vorbei und wartete, bis er folgte.

Jannual schien schon zu schlafen, als die beiden sich auf ihre Lager legten. Sennaya hatte aber das Gefühl, dass er nur so tat. Sie lag ziemlich weit weg von ihm und trotzdem meinte sie einmal das Glitzern seiner offenen Augen gesehen zu haben, als er sich ein wenig bewegte.

Kapitel 5

"Woah! Hammer! Das musst du mir beibringen!"

Lemiras kam angelaufen mit vor Aufregung gerötetem Gesicht.

Sennaya stand mit gekreuzten Schwertern vor Krylon, Lemiras Vater, welcher vor etwa zwei Tagen zu ihnen gestoßen und nun wortwörtlich am Boden zerstört war. Alle anderen kannten ihn bereits. Sennaya war ihm gegenüber erst recht misstrauisch. Doch nach einer Weile erschien er ihr zwar etwas mürrisch, aber doch ganz freundlich.

Er hatte sich angeboten mit ihr zu trainieren, wie er es auch schon mit Lemiras gemacht hatte

Nun hockte er am Boden, den Schild hoch erhoben und schwer keuchend. "Nicht übel, Sennaya. Du bist schnell, gewandt und überaus begabt. Dir kann ich nichts mehr beibringen." Er stand auf, voller Würde und Stolz. "Mach was mit Lemiras, vielleicht erreichst du mehr mit diesem hoffnungslosen Fall. Ich gebe es auf."

Sennaya ließ die Schwerter sinken und drehte sich zu Lemiras um, welcher es wohl nicht erwarten konnte von ihr geschlagen zu werden. "Na dann mal los, Lemiras! Mach mich fertig!"

"Yeah!" Er griff an...

Aus der Ferne sahen alle anderen zu. Krylon reihte sich bei ihnen ein und schüttelte traurig den Kopf.

"Liegt er schon oder kann er ihre Angriffe wenigstens parieren?", fragte er an Jannual gewandt, nicht wagend einen Blick zurückzuwerfen. Jannual schüttelte nur den Kopf und klopfte Krylon mitleidig auf die Schulter.

Lemiras lag schon längst wie ein Käfer am Boden und hörte sich widerwillig Sennayas Ratschläge an, welche sie ihm erteilte.

 

Es war eine aufregende Zeit welche sie alle miteinander hatten. Sennaya schaffte es sogar, Ralath zum Lachen zu bringen und Krylon Peinlichkeiten aus Lemiras‘ Kindheit erzählen zu lassen.

Der Grund der Reise war die Weltenvereinigung. Sie mussten zum Turm der Himmel gelangen wo Celcine vollends zu einem Engel werden würde. Lemiras wollte dies verhindern, er konnte nicht einsehen, dass es sein musste. Celcine würde das Opfer bringen müssen, um die Welten Relindeya und Sanatras miteinander zu vereinen und zu retten. Doch Lemiras wollte es nicht einsehen, er würde einen Weg finden sie zu retten.

Nach einiger Zeit sahen alle anderen ein, dass es nichts bringt ihn umzustimmen und suchten nun mit nach einer Lösung die Welt zu erneuern, ohne Celcines Opfer. Gemeinsam fanden sie eine.

Sie hatte einen Xistion-Kristall auf ihrer Brust. Er war der Grund weswegen Celcine nach und nach zu einem Engel wurde, so wie es Xistion, eine Organisation aus herrschenden Engeln, vorgesehen hatte. Sie suchten Lemiras Ziehvater auf, welcher eine besondere Schutzfassung anfertigen konnte, um den Kristall daran zu hindern seine verzehrende Macht auf sie auszuüben.

Celcine wurde soweit wieder normal, doch behielt sie den Fortschritt ihrer Verwandlung bei. Die Flügel verschwanden nicht vollends, doch konnte sie nun ihre gewonnenen Fähigkeiten nach eigenem Willen kontrollieren.

Die endgültige Lösung war Xistion zu Fall zu bringen. Jannual musste nicht zu einem Engel werden. Auch er trug einen Xistion-Kristall auf der Brust, aber seiner war nicht mal annährend von einer Schutzfassung umgeben. Dies verwunderte alle anderen ziemlich, aber sie beließen es dabei, denn er schien wirklich nicht zu wissen, warum es so war wie es war.

Die Gruppe um die Auserwählten fieberte dem großen Kampf entgegen. Es wurde trainiert was das Zeug hielt und Spaß hatten sie alle dabei.

Sennaya hatte wahre Freunde gefunden und würde alles mit ihnen durchstehen. Es stellte sich heraus, dass sie eine große Hilfe sein würde mit all ihren Fähigkeiten. Sie war dankbar so gut aufgenommen worden zu sein und schämte sich ihrer Andersartigkeit kein bisschen mehr.

Sie erklärte allen, was es mit den sogenannten Fuchsdämonen auf sich hatte.

 

Während all der Vorbereitungen Xistion gegenüberzutreten freundeten sich alle mit Santaly an, welche zu ihnen stieß und mit ihnen kämpfen würde, obwohl sie vor einer ganzen Weile versuchte, Celcine umzubringen, wie es ihr vom König Relindeyas aufgetragen wurde. Es folgten weitere Mordversuche, doch irgendwann war sie es Leid einem unschuldigen Mädchen an den Kragen zu müssen. Sennaya und Santaly verstanden sich nach der langen Zeit gut... aber es würde nie mehr wie damals werden.

Santaly hatte sich von Sennaya abgewandt und Sennaya begriff, dass es endgültig war.

 

Sie reisten mit Hilfe von Fraheylen, einer Art Flugzeug, zwischen den Welten Sanatras und Relindeya hin und her um dies und das zu erledigen. Sennaya liebte es mit einem Fraheyl zu fliegen, während Lemiras sich noch beim zehnten Mal ein wenig dusselig anstellte.

Jannual schenkte Sennaya nicht selten ein spontanes Lächeln, was ihr jedes Mal heftiges Herzklopfen verschaffte.

Alles in einem war es eine großartige Zeit und Sennaya war glücklich wie nie zuvor, ganz egal was vor ihnen lag. Sie würden siegen und gemeinsam eine neue Welt erschaffen.

 

Nach einiger Zeit wurde Jannual aus einem Grund immer verschlossener, welchen Sennaya nicht kannte. Er zog sich immer öfter von der Gruppe zurück, schien nachdenklich und wenn man ihn ansprach dauerte es eine Weile bis er reagierte.

Sie machte sich langsam Sorgen um ihn... und fand heraus, dass sie ihm folgen würde wo immer er auch hingehen mag.

 

Eines weiteren Abends saßen sie alle zusammen an einem großen Lagerfeuer und unterhielten sich. Sie lachten viel, redeten wild durcheinander... Nur Jannual saß wieder abseits.

Aus dem Augenwinkel bemerkte Sennaya schließlich, wie er aufstand und in der Dunkelheit verschwand. Sie tat ihre sorgenvollen Gedanken damit ab, dass er mal müsste und beteiligte sich wieder am allgemeinen Gespräch.

Doch irgendwann bemerkte Sennaya, dass er schon viel zu lange fort war. Sie stand auf. "So, Leute. Die Natur...", sagte sie nur und deutete zu den Büschen in der Ferne. Alle die es mitbekamen nickten und sprachen weiter.

War denn sonst niemandem aufgefallen, dass er verschwunden war?

Sennaya folgte ihrem Geruchssinn. Nach wenigen Metern witterte sie Lotus- und Kirschblüten… Er wusch sein Haar mit eben jenen Konzentraten und sie liebte diesen Duft einfach.

Sie folgte dem Duft und fand Jannual auf diese Weise schon bald. Dort stand er, einen Arm gegen einen Baum gestemmt, den Blick gen Himmel zum in der Ferne stehenden Turm der Himmel, welcher weit hinauf in den schwarzen Himmel stach. Sie trat näher... und blieb stehen.

Er hatte sich vom Turm abgewandt, sich umgedreht und sah ihr entgegen. Sennaya befand sich in ihrer halbdämonischen Gestalt, was bedeutet, dass sie mit ihren Pfoten statt Füßen nahezu lautlos ist, ganz egal welcher Grund sich unter ihr befindet. Wie konnte er sie also hören? Im Übrigen hatte er ihr den Rücken zugewandt...

Konnte es sein, dass er ähnliche Fähigkeiten wie ein Engel aufwies? Wie bei Celcine? Oder…

Sie überlegte vorerst nicht weiter und trat näher an ihn heran.

"Was gibt’s?", fragte er.

"Ich frage mich, warum du fortgegangen bist. Fühlst du dich momentan nicht wohl?"

"He, ich werde ja wohl noch einige Zeit allein sein dürfen, wenn ich es möchte, oder?"

"Ja sicher, ich mache mir nur... ein bisschen Sorgen, weil es schon länger so ist und du immer öfter verschwindest."

Er lachte. Leise und irgendwie... schmerzlich... "Ja. In letzter Zeit beschäftigt mich so einiges, womit ich euch nicht bedrängen möchte. Also ziehe ich mich zurück um in aller Ruhe darüber nachdenken zu können. Im Übrigen würde es, denke ich mal, eh niemanden interessieren. Es würde niemand zuhören." Er drehte sich wieder um, hob den Arm und stemmte ihn wieder gegen den Baum. Sein Blick wanderte wieder in den Himmel, diesmal zu den sich dort befindlichen Sternen.

Sennaya schlüpfte unter seinem Arm hindurch und lehnte sich mit den Rücken an den gleichen Baum. Sie blickte hoch zu ihm und verschränkte die Arme hinter ihrem Rücken. "Ich werde dir zuhören, Jan."

Er verengte die Augen, als sie zu ende gesprochen hatte. Dann hob er die Augenbrauen und sah auf sie hinunter. "Nein, wirst du nicht. Willst du gar nicht." Er sah wieder weg.

"Oh doch! Ich will und werde!" Sie hob die Hand und legte sie an seine Wange um ihn sanft dazu zu zwingen sie anzusehen. "Na los... Mit mir kannst du über alles reden, was dich beschäftigt. Ich werde nicht alles ausplaudern, so gut bin ich erzogen worden. Wenn du aber wirklich nicht willst, dann eben nicht. Das werde ich akzeptieren. Also?" Sie blickte in diese wunderschönen grünen Augen, so tief, so unergründlich... und glanzlos. Sie haben ihren Glanz verloren, stellte Sennaya erschrocken fest. "Jan...", sagte sie so leise, dass auch er es kaum hören konnte.

"Ich kann es dir nicht sagen, Sennaya. So sehr ich es möchte, ich kann es nicht." Er nahm ihre Hand, drückte sie kurz und wandte sich dann von ihr ab. "Du solltest wieder zu den anderen gehen, sie werden dich vermissen."

"Dann... dann komm mit mir, dich werden sie auch vermissen!"

Er lachte wieder dieses Mal ein freudloses, beinahe sarkastisches Lachen. "Glaubst du? Jemanden wie mich wird nie auch nur einer vermissen. Geh jetzt und lass mich allein."

Sennaya konnte es nicht fassen. Wie konnte er so etwas sagen? "Vielleicht solltest du einfach mal deine Maske abnehmen und ganz du selbst sein. Nicht wenn du alleine bist, nimm sie ab auch wenn die anderen dabei sind. Diese lachende Maske... ich kann sie nicht mehr sehen! Niemand kann unendlich und andauernd glücklich sein, immer optimistisch und positiv! Niemand kann immer lachen, auch wenn es schlecht um etwas aussieht! Du bist glücklich um anderen Hoffnung zu machen, ist es nicht so?!"

Jannual schwieg.

Gerade das hatte Sennaya erwartet. Sie würde es viel lieber sehen, würde er wütend werden. "Ist es nicht so!? Jannual! Du meinst, dass all deine Probleme in den Hintergrund gerückt werden müssen, um den Bewohnern dieser Welt ein gutes Gefühl zu geben, ein Gefühl von Sicherheit... Das kann nicht dein Ernst sein! Ich weiß, was damals passierte, als du noch ein kleiner Junge warst! Deine Mutter wurde vor deinen Augen ermordet. Eine Elfe hat es getan und ihre Magie war eigentlich für dich bestimmt. Aber es traf deine Mutter, sie hat sich für dich geopfert, weil du ihr Sohn bist und sie dich liebte! Und wie dankst du es ihr? Du sprichst kaum einmal darüber... Du quälst dich mit all den Erinnerungen, dem Schmerz. Du verschließt es in dir. Und eben das hätte deine Mutter nie gewollt, Jannual!!!" Sie war laut geworden... sehr laut. Das hatte sie nicht gewollt.

Sie wollte sich entschuldigen, aber etwas in ihr sagte, dass es richtig war. Ihm musste endlich mal gesagt werden, dass es so nicht weitergehen kann.

"Woher weißt du es? Hat Lemiras es dir erzählt?", fragte er schließlich mit gebrochener Stimme.

Sennaya sah zu ihm hin, musterte seine Gestalt und erkannte, dass sie ihn wahrlich getroffen zu haben schien. Seine linke hielt den Griff seines Schwertes fest umschlossen und die rechte hatte sich zur Faust geballt. Es tat ihr weh ihn so zu sehen. "Ja. Verübelst du es ihm?"

Er antwortete nicht, schüttelte aber nach einigen Sekunden den Kopf.

"Das solltest du auch nicht. Denn ich verstehe, was du durchgemacht hast und es auch heute noch tust. Ich verlor meinen Vater, als ich sieben war. Er starb an einer Krankheit, welche lediglich bei Fuchsdämonen auftritt, ähnlich dem Krebs bei Menschen. Meine Mutter verschwand spurlos. Ich habe sie bis heute nicht wiedergesehen." Sie lehnte sich wieder an den Baum, musste sich irgendwo abstützen. Sie ließ den Kopf hängen und holte tief Atem. "Ich wurde von meinem Volk verbannt, denn niemand konnte ein trauerndes Kind gebrauchen, welches auch noch von bösartiger Natur ist. Aber ich habe mich nicht aufgegeben. Denn ich wusste, eben das hätte mein Vater nie gewollt. Er hat mir immer gesagt, ich solle stark sein. Die Welt da draußen sei grausam und unfair gegenüber dem, vor dem sie sich fürchtet weil sie es nicht kennt. Ich habe nicht aufgegeben..."

Plötzlich war er da. Er hielt sie fest. Er legte ihren Kopf an seine Brust und war da, einfach nur da. "Ich weiß, was du mir damit sagen willst. Du musst nicht weitersprechen. Danke, Sennaya..."

 

Lange hatten sie so dagestanden, ohne ein Wort zu sagen. Bis sie sich von ihm löste und aufsah. Nach wenigen Sekunden wandte er sich ab, den Kopf gesenkt. Sein Haar verdeckte sein Gesicht wie ein Schleier aus wallender onyxfarbener Seide. Sennaya wusste, dass er versuchte seine Tränen zu verstecken. Doch das wollte sie nicht zulassen. "Steh zu deinen Tränen, Jan. Es ist keine Schande, wenn ein Mann Gefühle zeigt und seiner Trauer freien Lauf lässt...", sprach sie leise und sanft, nahm sein Haar zur Seite, legte die freie Hand an seine Wange und zwang ihn wieder dazu, sie anzusehen.

Leise Tränen rannen über seine Wangen, als er die Augen schloss und sie wieder öffnete.

Sennaya lächelte und wischte zärtlich die Tränen weg. "Du siehst also, ich habe es auch nicht einfach gehabt. Und ich weiß, wie du dich fühlst und dass du stark sein möchtest um den Leuten zu zeigen, dass du die Welt retten wirst, komme was wolle. Du bist sehr stark, Jan. Aber manchmal muss auch der größte Held zeigen, dass er ein Geschöpf mit Herz ist."

Er nickte zögerlich und brachte sogar ein Lächeln zustande.

"Und... ich möchte dir noch etwas sagen... eher verraten." Sie sammelte allen Mut den sie aufbringen konnte. "Ich... Ich werde dir überallhin folgen, ganz egal wohin du gehst. Du weißt ja nun, dass ich als Fuchsdämon ein Herz aus Edelstein besitze, in meinem Fall aus Onyx. Celcine fragte mich einmal, ob es schlagen würde, wie bei allen anderen Lebewesen, denn es sei ja aus einer Art Stein. Ich sagte ja. Das Besondere daran ist, dass ein Dämonenherz nicht bei der Entstehung eines Lebens beginnt zu schlagen... sondern viele Jahre später, wenn der Dämon lernt zu lieben. Wahrlich zu lieben." Sie griff nach seiner Hand und legte sie auf ihre Brust, was ihm für einen kurzen Moment den Atem raubte. "Kannst du es spüren? Es hört sich schnulzig an, aber es entspricht der Wahrheit. Dieses Herz hat begonnen zu schlagen, an dem Tage, als ich beim Verlassen der Stadt einen Blick zurück warf und dich am oberen Ende der Treppe stehen sah." Sie musste einmal tief durchatmen um nicht den Kopf zu verlieren.

Noch nie hatte ein Mann sie dort berührt... und sie war froh, dass es Jannual war, dem sie es als erster erlaubte. Immerhin war er es gewesen, der dies schaffte.

Es gibt Dämonen, deren Herzen nie zu schlagen begonnen hatten. Man nannte sie die Herzlosen.

Jannual musste schlucken. Mit sowas schien er nun gar nicht gerechnet zu haben. Er wollte wohl etwas sagen, seine Lippen öffneten sich einen Spalt breit...

"Jan..."

"Ja?" Wieder musste er schlucken und sogar verlegen grinsen, was Sennaya ein kleines Lachen entlockte. Das passte nicht zu ihm.

"Wollen wir zurückgehen?"

"Ja... Ja, lass uns zurückgehen", sagte er, bewegte sich aber keinen Millimeter von der Stelle. "Ehm... Senna... Ich würde gerne... Darf ich...?" Sein Blick änderte sich von einer Sekunde auf die andere.

Aus dem faszinierten Blick angesichts ihrer Schilderung zum Herzen eines Dämons, wurde ein zärtlicher, aber auch...

Seine freie Hand bewegte sich wie in Zeitlupe hinauf zu ihrem Gesicht und legte sich an ihre Wange. Sein Daumen fuhr hauchzart über ihre Haut, sein Blick wurde immer tiefer und dringlicher... Mit seinen Fingern strich er über ihre Lippen, zog die feinen Linien nach... bis sie sich unter ihr Kinn legten und es anhoben. Weiche, warme Lippen legten sich auf Sennayas.

Im gleichen Moment, da sie sie berührten wurde ihr klar, dass es Jannual war der sie da gerade küsste. Ihr Atem setzte aus, ihr wurde schwindelig, das steinerne Herz begann zu fliegen...

Jannuals Hand, welche eben noch auf ihrer Brust gelegen hatte, griff nun in ihre Taille um sie näher an sich zu ziehen...

Sennaya riss die eben noch verträumt geschlossenen Augen auf und stieß Jannual weg. Sie hatte ihn gespürt... Und das war ein... nicht ganz so kleiner Schock gewesen.

"Entschuldige... ich wollte nicht... tut mir leid."

Er schämte sich ehrlich, Sennaya wurde es klar, als er sich wegdrehte und die Hand an die Stirn hob. Sie lachte etwas nervös. "Macht nichts... Ich habe mich nur etwas... erschrocken. Ich habe mit sowas keine Erfahrung", sagte sie und versuchte sich erst mal wieder zu sammeln. Nein, sowas hatte sie noch nie erlebt.

"Ich hätte aber auch nicht... Zumindest noch nicht... Ach, verdammt!" Na wenigstens muss er auch Lachen, dachte sich Sennaya, als er sich umdrehte und blöde grinste.

"Ich fand es nicht schlimm. Hatte mich, wie gesagt, nur etwas erschrocken. Aber was ich gefühlt habe... war..." Weiter kam sie nicht. Zu überwältigt war sie von eben jenem angesprochenen Gefühl, auch wenn sie sich gerade nur daran erinnerte. Sie spürte es ganz deutlich... Sie seufzte, sie stöhnte, sie stammelte... und es ging über in Händeringen und ungebändigtes Lachen, weil ihr nicht die richtigen Worte einfielen und sie auch viel zu durcheinander war, um sprechen zu können.

Bei ihm war es übrigens nicht anders. Das ging nicht allzu lange, denn Jannual bekam Bauchschmerzen vom Lachen, also zog er sie wieder in seine Arme um sie erneut zu küssen. Und sie zerging in seinen Armen wie Butter...

Kapitel 6

Sennaya musste immer wieder an die Gesichter der anderen denken, als Jannual und sie endlich wieder im Lager angekommen waren. Sie sagten, sie hätten eine ganze Horde kleinerer Dämonen bekämpfen müssen und das hätte eben ne Weile gedauert. Anschließend hätten sie noch ein wenig trainiert. So sei es eben, wenn man nicht müde sei.

Ungläubiger hätten sie alle bis auf Celcine und Gymar, welche schon schliefen, nicht aussehen können. Sogar Lemiras hatte beide von unten herauf ganz seltsam angesehen, so... wissend, wie Jannual es nannte, worauf ein lautes Lachen folgte.

 

Die Tage darauf waren besonders lustig.

Jannual und Sennaya konnten sich über die Reaktionen ihrer Gruppenmitglieder amüsieren. "Also, als du das eine Mal baden gegangen warst, sagte ich zu allen ich würde mir mal die Gegend ansehen wollen. Hätten sie die Augenbrauen noch einen Millimeter höher gezogen, wären diese über deren Köpfe hinausgegangen." Er verkniff sich das Lachen, was Sennaya unheimlich süß fand an ihm. Selbst ein so verzogenes Gesicht stand ihm gut. Er sah einfach verboten gut aus, egal was er tat.

Aber auch Sennaya hatte mit einem unterdrückten Lachen zu kämpfen. Denn sie kannte die Wahrheit.

 

An diesem Tage war sie nach all den anderen weiblichen Gruppenmitgliedern baden gegangen, weil sie es, als sie gingen, vorzog ihre Schwerter zu polieren.

"Willst du wirklich nicht mitkommen?"

"Ne, geht nur. Ich gehe später", antwortete sie und die Mädels zogen von dannen.

Als sie schließlich losgegangen war und sich unter einem kleinen Wasserfall die Haare wusch, spürte sie Jannuals Anwesenheit. Sie hatte sich zu ihm umgedreht und entdeckte tatsächlich ihn, wie er mit dem Rücken an einem Findling lehnte und sie beobachtete.

Als er bemerkte, dass sie ihn entdeckt hat, grinste er nur und winkte ihr zu. Sie fand es ziemlich frech von ihm, wollte es aber noch etwas interessanter gestalten.

Sie wusste, selbst unter einem nur kleinen Wasserfall war von ihrem entblößten Körper nicht viel zu sehen, also trat sie daraus hervor.

Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis ihm klar wurde, dass sie splitterfasernackt vor ihm stand. Er sah, entgegen Sennayas Vermutung, er würde sie von oben bis unten ansehen, weg.

Er wandte den Blick schnellstens ab, grinste aber. "Wow wow wow, Senna! Willst du meine Libido herausfordern!?", fragte er sie rufend, während er mit allem was ging versuchte, dem typisch männlichen Drang hinzusehen nicht nachzugeben. Er versuchte es mit wegschauen, die Hand vor die Augen legen, sich komplett umdrehen... Bis er sich mit geschlossenen Augen ihr wieder zuwandte, mit dem Finger auf sie zeigte und rief: "Das werde ich dir irgendwann heimzahlen!" Dann ging er wieder, nicht ohne noch einmal zurückzuschauen.

 

Sie machten sich einen Spaß daraus, sich einer nach dem anderen von der Gruppe zu entfernen, um sich irgendwo zu treffen. Es lief dabei nicht immer aufs Knutschen hinaus, nein, sie wollten einfach die Fantasie ihrer Freunde auf die Probe stellen.

"Äh... Warum geht ihr eigentlich immer nacheinander weg?", fragte Lemiras einmal.

"Na ja, wir haben halt immer wieder neue Einfälle, wie wir uns die Zeit vertreiben können. Außerdem hat Jannual ein besseres Näschen in Sachen Trainingsplatz finden, als ich."

"Warum geht ihr denn nicht zusammen und sucht zu zweit einen Platz?"

"Wenn er vor mir geht, ist es eine gute Übung für mich, seine Fährte aufzunehmen und ihn auf diese Weise zu finden. Und wenn ich zuerst gehe... Na ja, kennst ja Jannual. Wenn was Weibliches allein in den Wald geht, niemand ist in der Nähe, ich bin ganz alleine mit ihm..."

"Sennaya! Verkneif dir bitte den Rest!"

"Wieso denn, Professor?"

"Weil ich es sage!" Sie schubste Lemiras vor sich her und von Sennaya weg

 

Es war herrlich. Nur selten kam Stress wegen des bevorstehenden Kampfes auf. Sie kamen dem Turm der Himmel immer näher und doch waren alle ausgelassen und hatten ihren Spaß.

Jannual zog nicht selten Gymar eine über, weil ihn dieser genervt hat.

Lemiras plagte sich mit Celcines Naivität ab.

Krylon plagte sich wiederum mit Lemiras‘ Unfähigkeit ab, da Sennaya ihn mehr oder weniger sitzen gelassen hatte.

Ralath kochte sich die Seele aus dem Leib und zauberte perfekte Gerichte, die man sonst nur als Abbildung in Kochbüchern fand.

Psilania zerlegte ganze Wälder und kam mit all dem Holz zum momentanen Lagerplatz. Jeder außer Psilania fragte sich, was man mit so viel Holz anfangen soll.

Santaly brütete über ihren Element- und Götterkarten, um sich die perfekte Angriffsreihenfolge zurechtzulegen.

Und Jannual, wenn er nicht gerade Gymar eine überzog, machte sich mit Sennaya einen schönen Lenz in friedlicher Zweisamkeit unter einem Baum und genoss die Sonne.

 

So vergingen größtenteils die Tage, bis sie Aront in Sanatras erreichten. Ab da wurde es noch interessanter.

Kapitel 7

"Genial, ein Gasthaus im Berg!", jubilierte Sennaya und lief voraus.

Was sie zurückließ keuchte und schwitzte, der Weg einen Bergpfad hinauf war nicht bei allen ohne Anstrengung einhergegangen.

Als alle angekommen waren, hatte Sennaya schon die Zimmer gebucht und die Verteilung vorgenommen.

"Es sieht wie folgt aus: Celcine, Psilania und Ruja nehmen ein Zimmer. Gymar und Lemiras teilen sich eins, sowie Krylon, Ralath und Jannual." Sie wartete auf ein Zustimmen oder wenigstens auf eine kleine Deutung, dass alle verstanden hatten. Sie wartete... und wartete... "Ehm... klar soweit?", fragte sie dann noch mal.

"Nicht ganz...", meldete sich Gymar zu Wort.

"Wieso, was stimmt denn nicht?" Sennaya sah sich ihre Aufzeichnungen noch mal an.

"Ja, was ist mit dir? Schläfst du draußen?", wagte Celcine zu fragen.

"Oh! Nein, nein, ich nehme ein Einzelzimmer. Es ging leider nicht anders. Sind jetzt ausgebucht, hier." Sie steckte ihren Zettel mit der Verteilung weg und löste den Waffengürtel. "Erst mal was essen, würde ich sagen. Dann lassen wir den Abend ruhig angehen, kein Training mehr, die ganzen Tage nicht. Wir müssen fit sein. Gut genug sind wir schließlich alle, nicht wahr?"

Absolut gut gelaunt lief sie mit fünf Rucksäcken voller Proviant und anderes Kleinzeug zu einer der im Untergeschoss befindlichen Türen, schloss sie auf, verschwand darin und ward bis zum Abendessen nicht mehr gesehen.

 

"Was hast du da drin eigentlich getrieben bis jetzt?" Jannual lehnte sich zurück, verschränkte die Arme hinterm Kopf und schloss die Augen. Vollauf zufrieden, mit vollem Magen, machten die meisten es ihm nach.

"Nichts Besonderes. Habe mich auf mein Bett gesetzt, meine Schwerter gesäubert und geschliffen, dann ein wenig abgeschaltet und relaxt. Ach ja, gewaschen habe ich mich. Die Wege hier in Sanatras sind noch sandiger und staubiger als in Relindeya, was ich nie gedacht hätte." Sie schenkte den Sanatrassern ein Lächeln, damit sie es nicht falsch verstanden. Diese lachten aber.

"Ah ja. Na denn..." Der Schwarzhaarige gähnte ausgelassen und streckte sich. "Bin mal gespannt, wie das alles ablaufen wird. Wir werden Nirugiel mal so richtig die Arschhbacken polieren, yeah!" Er unterstrich seine Worte mit einer Siegergeste und grinste vorfreudig. Alle jubelten ebenfalls...

Nur Ruja, Krylon und Sennaya nicht.

Ruja nicht, weil Jannual ein vulgäres Wort von sich gegeben hatte und sie sowas nicht gut fand, was sie ihm auch gleich nach dem Abklingen des Jubels klar machte.

Sennaya tat es nicht, weil ihr Jannual nicht überzeugend rüberkam. Sie hatte ein seltsames Gefühl, als er sprach, auch weil Krylon sich nicht mal ansatzweise der allgemeinen Freude angeschlossen hatte. Aber sie hoffte sich geirrt zu haben. Vielleicht hat es nichts mit ihrer Gewissheit zu tun, auf die sie Jannual noch heute ansprechen wollte.

 

Es war bereits dunkel und alle befanden sich in den ihnen zugeteilten Zimmern.

Sennaya hörte Lemiras mit Gymar rangeln, obwohl die beiden sich oben befanden.

Ruja belehrte Celcine über gewisse Heilzauber.

Jannual unterhielt sich mit Krylon über den Tag, an dem Xistion fallen sollte.

Sie sprachen leise, fast im Flüsterton. Vielleicht schlief Ralath schon... oder Ralath war gar nicht da und die beiden wollten verhindern, dass Sennaya etwas mitbekam.

Sie hatte sich während ihres Gedankenganges an das Fenster gestellt und entdeckt, dass Ralath schweigend hinunter ins Tal blickte, wohl über einiges nachdenkend. Sie strengte sich an, spitzte mit Nachdruck die Ohren...

"Ich weiß auch nicht. Ich denke nicht, dass sie was weiß, nicht mal ansatzweise. Sie hätte es mir gesagt."

"Du bist naiv geworden, Jannual. Glaubst du ernsthaft ein Geschöpf wie Sennaya es ist, würde nicht erkennen, was du bist?"

"Ich bitte dich. Sie liebt mich... und ich sie. Das macht alles um einiges schwerer. Ich will ihr nicht wehtun..."

"Na klasse, einen Schwächling wie dich konnten wir gerade noch gebrauchen. Reiß dich zusammen, Mann! Es geht hier um die Weltenvereinigung! Um den Lord!"

"Schon gut, das weiß ich!" Kurze Pause... "Ich will ihr trotzdem nicht schaden. Verdammt, Krylon! Weißt du eigentlich wie das mit den Dämonenherzen abläuft? Ist dir klar, was es mir bedeutet, dass sie mich liebt!? Wirklich liebt..."

"Brüll nicht so rum. Ich war auch verliebt, habe Schwäche gezeigt und was ist passiert? Man hat sie mir genommen. Also entweder... oder. Du musst dich entscheiden, Jannual. Es sind nur noch drei Tage..."

"Scheiße, ja... Ich werd es schon packen."

"Tut mir leid."

So ganz verstand Sennaya den Zusammenhang nicht. Sie wusste, dass etwas nicht stimmte... Konnte es tatsächlich sein, dass Jannual und Krylon zu Xistion gehörten? Wen bezeichneten sie als Lord? Sie war sich nicht sicher.

 

Alle waren zu Bett gegangen. Sennaya lag wach und starrte an die Decke. Sie hatte plötzlich Angst. Sie konnte sich nicht mal diese Angst erklären. Irgendetwas hinderte sie daran auf den springenden Punkt zu kommen. Wieso wäre sie jetzt am liebsten ganz weit weg vom Turm der Himmel, vom Kampf der immer näher rückte, von dem Moment, da sie erfahren würde, was vor sich ging...

Es klopfte. "Ja?"

"Ich bin‘s, Senna. Kann ich-"

"Klar, komm doch rein." Sie setzte sich auf und blickte Jannual entgegen, welcher leise die Tür hinter sich schloss.

"Du solltest lieber abschließen. Man weiß nie, was für Gestalten hier übernachten."

"So Gestalten wie du zum Beispiel? In Unterhose und Hemd?" Sie lachte.

Er tat es ihr nach. "Na ja, ja..." Er schien nervös, sah ständig zu Boden.

"Was ist denn los? Kannst du auch nicht schlafen?"

"Nicht wirklich, nein. Ich wollte dich um etwas bitten."

"Na denn... Komm erst mal her. Barfuß dazustehen ist sicher nicht gesund und kann schnell kalt werden." Sie rutschte ein Stück zur Seite, damit er sich setzen konnte, was er auch tat. "Füße hoch!" Er zog die Beine hoch und setzte sich im Schneidersitz. "Besser." Und wieder lachten sie. Sennaya nahm die Decke, legte sie sich um die Schultern, kroch hinter Jannual und umschlang ihn mit den Armen und zugleich der Decke.

"Jaaa, das ist schön warm..." Er genoss eine Weile ihre Nähe und Wärme. Dann fiel ihm wieder ein, weswegen er sie mitten in der Nacht aufgesucht hatte. "Also, folgendes... Du wirst wiedersprechen und wahrscheinlich sauer werden... Aber das ist egal. Ich will nur, dass du lebst. Ich will nicht-"

"Dass ich mitkomme. Du bist doof, Jannual. Wenn du schon weißt, wie ich reagiere, warum versuchst du es dann noch? Ich werde mitkommen. Ich habe dir gesagt, dass ich dir folge, ganz egal wo du hingehst. Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass ich hier sitze und auf deine Rückkehr warte, immer mit der Möglichkeit ringend, dass du nie wiederkommen wirst."

"Ich werde wiederkommen. Es ist... alles etwas komplizierter, als du es dir vorstellst."

"Ach ja, und warum? Ich denke, dass wir alle in diesen Krieg ziehen werden, Xistion niedermachen, die Welten vereinen und alles wieder ins Lot kommt. Man darf nichts Negatives denken, nicht mal in Erwägung ziehen. Ich habe dich kennengelernt und ich werde ganz sicher nicht untätig hier rumsitzen und auf deine Rückkehr warten. Schlag es dir aus dem Kopf, mein Hübscher." Sie schlug ihm auf den Kopf und küsste ihm gleich darauf das Haar.

Er lachte leise über diese Art von Klarstellung, führt ihre Hand an seine Lippen und küsste sie. "Warum nur bist du so gut? Warum kann nicht jeder so wie du sein, Senna?", fragte er leise und presste seine Lippen gegen die weiche Haut ihres Handrückens.

"Weil ich verliebt bin in den wohl größten Blödmann im ganzen Universum! Und weil du mich glücklich machst..."

"Du bist süß... Ja, ich bin wohl wirklich ein Idiot." Er seufzte und machte Anstalten aufzustehen, doch Sennaya hielt ihn fest, lehnte sich vor, und biss ihm ins Ohr. Jannual durchfuhr ein Schauer...

"Bleib heute Nacht bei mir, Jannual... bitte", hauchte sie und küsste nun seinen Hals.

Jannual schloss verzweifelt die Augen. "Besser nicht, Senna... Es ist keine so gute Idee, ich werde mich wohl kaum zurückalten können, wenn ich neben dir schlafen soll... Oh man..." Sie hatte soeben in seinen Hals gebissen. "Senna, bitte... Du machst mich wahnsinnig. Wenn du so weiter machst, wird’s schwer für mich die Kontrolle zu halten..."

"Sollst du doch gar nicht... Bleib hier... Ich will dir ein Geschenk machen..." Die Decke fiel von ihren Schultern und Jannual spürte ihre Hände am Rücken unter sein Hemd gleiten...

Außer einem schweren Schlucken und ihr nachzugeben war nun nichts mehr möglich. Er hatte etwas in der Art schon mehr als zu genüge erlebt. Aber das... war einmalig und um einiges besser. Niemals würde er diese eine erste Nacht mit Sennaya vergessen.

Kapitel 8

"Guten Morgen, allerseits!" Jannual kam hereinspaziert, klopfte Krylon und Ralath auf die Schulter und setzte sich schwungvoll auf die Eckbank. Schnell schnappte er sich Brot, Marmelade und Schinken und begann zu frühstückten.

"Was ist denn nun los mit ihm?", wagte Ruja Krylon zu fragen. Dieser zog die Augenbrauen hoch und sah zu Jannual rüber, welcher sich genüsslich über sein Brot hermachte, die Beine übereinander schlug und die Augen schloss.

"Er hat die Nacht bei Sennaya verbracht", antwortete er staubtrocken und absolut nebensächlich.

Ruja fiel so ziemlich alles aus dem Gesicht. Es war also eine ausreichende Antwort.

Krylon wandte sich wieder seinem Frühstück zu, welches er dann aber stehen ließ, da ihm der Hunger vergangen war. Und prompt in dem Moment, als Ruja Luft holte, um Jannual klar zu machen, dass hier Kinder anwesend waren, kam Sennaya aus dem Zimmer, frisch wie der Tau am frühen Morgen.

"Guten Morgen!", wünschte sie, setzte sich neben Jannual, nahm sich eine Brotscheibe, bestrich sie gemächlich mit Marmelade und verspeiste sie. Schließlich bemerkte sie, dass niemand geantwortet hatte. Stattdessen wurde sie angesehen, als wäre sie ein Phänomen. "Stimmt was nicht? Ruja?" Sie sah ehrlich besorgt zu Ruja, welche wieder einmal Luft holte, aber von einem sehr tiefen Räuspern abgelenkt wurde. Sie sah sich nach dem Urheber um.

"Lass doch, Ruja. Sie sind erwachsen. Lemiras und Celcine übrigens auch." Ralath grinste und unterstrich das Ganze mit einem Zwinkern.

Jannual und Sennaya brachen in Gelächter aus, Lemiras verschluckte sich an seinem Schinken, Celcine bekam Augen so groß wie Teller und Gymar begann nur albern zu kichern, was ihm einen Klaps auf den Hinterkopf von Krylon einbrachte.

"Danke, Krylon. Sagt mal, habe ich was verpasst!?", brach es aus Ruja heraus, wobei sie aufstand und die Hände auf den Tisch knallte, dass die Teller einige Zentimeter von ihren momentanen Besitzern weg rutschten.

Ralath sah sie beschwichtigend an und rückte seinen Teller wieder zurecht. "Ruja, bitte beruhige dich. Ich sehe dabei kein Problem. Du scheinst zu sehr an den kleinen Kindern zu hängen, die damals in deinem Unterricht Bilder angemalt haben. Es ändert sich nun mal, du kannst die Zeit nicht aufhalten."

Lemiras hatte sich wieder gefasst, nachdem Celcine ihm einige Male auf den Rücken hauen musste.

"Stimmt, ich weiß nicht wo das Problem liegt, Professor. Wir wissen, was wir tun."

"Beziehungsweise getan haben", fügte Celcine errötend hinzu.

Gymar prustete wieder los.

Jannual und Sennaya hielten sich inzwischen die Bäuche und fanden sich übereinander liegend auf der Eckbank wieder.

Krylon schien erst jetzt zu bemerken, dass es sich bei Celcine und Lemiras um das Gleiche zu handeln schien, wie bei Jannual und Sennaya. Zumindest vergaß er Gymar eine überzuziehen.

Psilania hatte bisher still dagesessen und ihren Saft getrunken. Ebenso Santaly, welche sich vor Scham am liebsten aufgelöst hätte.

"Unschulds- beziehungsweise Jungfrauenrate liegt bei... vierzig Prozent. Errechnet nach hundert Prozent durch die Anzahl der weiblichen Personen innerhalb der Gruppe."

"Waaaaaaaaas?! Das kann nicht sein, Psilania! Du scheinst dich vergessen zu haben!", griff nun endlich auch Santaly ein.

"Ich meine... Oder..." Sie verstummte und sah sich verlegen am Tisch um. "Psilania! Du kannst doch nie-"

"Falsch. Nach Alter gesehen bin ich inzwischen zweiunddreißig Jahre alt. Es gab ungefähr vor zehn Jahren jemanden, dem ich sehr nahe stand. Es ergab sich, dass unsere Hormonspiegel eines Abends bei ungefähr neunundneunzig Prozent Überschuss lagen, weswegen wir errechnet durch die Tageszeit mal des Celsiuswertes auf einen Wert vo-"

"Schon gut! Schon gut!" Santaly setzte sich und hielt es für angebracht, ihre Brotkrümel anzustarren.

Ruja setzte sich wie mechanisch und tat es ihr nach.

Jannual und Sennaya hatten sich schon wieder aufgerichtet und tupften sich die Augen mit Servietten ab.

Ralath grinste schon die ganze Zeit über breiter, als je zuvor und Krylon knirschte mit den Zähnen.

Gymar war unter den Tisch gerutscht und kam mit nassen Augen wieder zum Vorschein, während Lemiras und Celcine heimlich Händchen hielten und sich vielsagende Blicke zuwarfen, ehe sie als erste aufstanden, Jannual und Sennaya zunickten und hinaus gingen.

"Hach ja, wie schön. Möchte sich jemand die letzte Scheibe Brot mit mir teilen?" Niemand antwortete, Sennaya achtete auch gar nicht darauf, teilte die Scheibe in zwei und machte grinsend gleich auf beide Hälften Marmelade drauf. Sie setzte sich seitlich zu Jannual gewandt und begann ihn zu füttern. Er bedankte sich mit sanften Streicheleinheiten an ihrem Knie.

"Gut, mir reicht’s!" Ruja stand auf. "Ich werde jetzt..." Sie dachte angestrengt nach. "Buch lesen!", platzte es dann aus ihr heraus, als Sennaya näher an Jannual ran rückte und die beiden Küsse austauschten.

Santaly sagte gar nicht erst etwas, stand auf und flitzte aus dem Gasthaus. Sekunden später kam sie knallrot wieder rein, sah sich fast panisch um und gesellte sich dann zu Ruja.

"Was haben die Frauen denn jetzt?", fragte Ralath unglaublich unschuldig Krylon, welcher mit einem 'Hmpf' antwortete, aufstand und ebenfalls rausgehen wollte.

"Das würde ich nicht tun. Hast du nicht gesehen, was ein Schritt nach draußen Santaly angetan hat?" Krylon machte wortlos auf dem Absatz kehrt und ging in sein Zimmer.

"Verwirrungsrate in Prozenten bei allen außer uns liegt bei... zweihundertfünfzig und einen Prozent", stellte Psilania klar und lachte.

 

Der Tag verlief unglaublich ruhig nach diesem gegenteiligen Morgen. Alle verhielten sich still und entspannten sich.

Lemiras und Celcine hatten mit Gymars Hilfe Ruja zur Vernunft gebracht. "Es war doch vorherzusehen, Ruja. Jetzt trink deinen Tee und schau dir deine Schätze an, das wird dich entspannen", hatte er ruhig auf sie eingeredet und seiner stumm vor sich hinstarrenden großen Schwester eine Decke um die Schultern gelegt, während Lemiras sämtliche Schriftrollen und andere archäologische Funde vor ihr ausbreitete.

Celcine hielt es für das Beste, sich mit Lemiras zurückzuziehen und Ruja für eine Weile aus den Augen zu gehen

Indessen verbrachte Sennaya ihre Zeit mit Ralath und versuchte ihn dazu zu bringen, die Handschellen abzulegen. "Du hast lange genug gebüßt und Reue gezeigt. Es wird Zeit, dass du Allilya gehen lässt. Nimm sie ab, zeig ihr, dass du Willens bist weiterzuleben."

Der Blauhaarige biss die Zähne zusammen. "Es ist nicht so einfach wie du es dir vorstellst, Sennaya."

"Ich kann es nicht nachvollziehen, das stimmt. Aber nach dem, was Psilania mir über ihre Schwester erzählt hat, kann ich mit vollster Gewissheit sagen, dass Allilya es ebenso gewollt hätte, wie all die anderen." Sie deutete zum Gasthaus, in welchem sich alle anderen der Gruppe befanden. "Wir haben dich alle in unsere Herzen geschlossen und wir möchten dich endlich frei sehen." Er sah auf seine Hände hinunter, betrachtete das Zeichen seiner Schuld. "Du hast sie von einem unheilbaren Fluch befreit. Du hast ihr nichts unrechtes getan mit diesen Händen." Sie legte ihre Hände auf die seinen und drückte sie. "Bleibe Allilya treu und erlange deine Freiheit wieder." Die Rothaarige legte ihre Stirn an das widerspenstige dunkelblaue Haar Ralaths, welcher sein Haupt gesenkt hielt und wartete. Eine Träne fiel auf ihre Hand... Sie schloss die Augen und spürte seine Verwirrung, seinen Schmerz... und seine Liebe zu diesem Mädchen.

Schließlich atmete er tief durch, umfasste Sennayas Handgelenke und sah auf, als sie ihren Kopf hob.

"Du hast Recht. Ich werde sie abnehmen." Er nickte zur Bestärkung seiner Worte, wohl um sich selber zu überzeugen. "Hilfst du mir dabei?" Sennaya lächelte und nickte. Sie hob ihre Rechte, an welcher lange Krallen prangten, welche nun zu glühen begannen. Sie strich mit der Kralle ihres Zeigefingers über die Handschellen, welche an der Stelle, wo sie sie berührte, wegschmolzen. Als sie es auch an der anderen gemacht hatte griff sie nach beiden Seiten einer Schelle und riss sie auseinander. Es waren kaum zwei Minuten vergangen... "Nun ist es vorbei."

"Ja, Ihr seid frei, Herzog Darcon." Sennaya freute sich, als sie ein Lächeln auf seinen Lippen wahrnahm. Ein ungläubiges, nur ganz leichtes Lächeln. Er umfasste eines seiner Handgelenke, breitete dann die Arme aus und umarmte Sennaya.

"Danke... Ich danke dir, Sennaya", hörte sie ihn murmeln. Sie umfasste die breiten Schultern und drückte ihn.

"Danke nicht nur mir, Ralath." Sie lösten sich wieder voneinander. Sennaya galt ein fester, dankender Blick, voller Würde. Typisch Ralath.

Er stand von seinem Platz auf einem Fels auf. Auch Sennaya erhob sich aus ihrer hockenden Haltung und sah hinunter ins Tal. Ralath hingegen sah hinauf zu den orange leuchtenden Fenstern des Gasthauses. Sie spiegelten die untergehende Sonne wieder und verhüllten, was sich hinter ihnen im Inneren befand. Er sah Psilanias Lächeln nicht... lächelte trotzdem hinauf zu den leuchtenden Fenstern, ehe er sich abwandte.

"Gehen wir wieder rein?", fragte Sennaya ihn.

"Moment. Ich würde gerne noch mit dir sprechen, Sennaya." Jannual kam die kleine Treppe vor der Eingangstür hinuntergesprungen und auf sie zu. "Hey heeey, Darcon! Ich bin beeindruckt." Er zwinkerte Ralath zu, welcher ihm mit einem Nicken antwortet und noch einen Klaps auf die Schulter kassierte, ehe er sich zurückzog und die Gewohnheit nicht ablegen konnte, seine Arme zu halten, als würden sie von Handschellen zusammengehalten werden... zumindest noch nicht. Jannual kicherte ein wenig darüber, nicht bösartig. "Daran muss er sich erst mal gewöhnen", stellte er fest und wandte sich vollends Sennaya zu, welche den Blick wieder übers Tal unter ihnen schweifen ließ. Jannual legte den Kopf schräg und betrachtete sie.

Die Sonne war nun schon blutrot und ihr Licht schien durch ihr Haar, welches dadurch wie Feuer zu lodern schien. Er trat hinter sie, umschlang sie mit den Armen und legte sein Kinn auf ihre Schulter. "Wunderschön, nicht wahr? Eine Sache, die ich vermissen werde, wenn ich tot bin..." Ein wohliges Seufzen folgte seinen Worten...

Sennaya zogen sich sämtliche Nerven zusammen, als sie ihn so reden hörte. "Man könnte meinen, du hast geplant zu sterben. Ich will sowas nicht hören, Jan, bitte", sprach sie leise und sah hinunter auf seine Hände.

Er kicherte. "Schon gut, kann ich verstehen."

Sennaya wartete auf eine Klarstellung... nämlich, dass er garantiert nicht geplant hatte zu sterben. Er sagte nichts weiter. Nun war Sennaya sich sicher. Sie wusste plötzlich, was geplant war. Und Jannual war nicht gewillt, diesen Plan auszuführen, wie er aufgestellt wurde. "Jan..." Sie drehte sich zu ihm um, nahm seine Hände in ihre. "Jan... Ich habe Angst."

"Das brauchst du nicht, Senna. Ich werde bei dir sein und dich beschützen, bis zum Ende."

Bis zu welchem Ende? Deinem? Ihr wurde übel. Sie drehte sich von ihm weg und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Hey... es wird alles gut werden, wirst schon sehen. Ich meine, Xistion sind kleine Fische im Gegensatz zu uns. Wir werden sie platt machen.“

"Hatte ich dich nicht einmal darum gebeten deine Maske wegzulassen?"

Das schlug ihm glatt das Lächeln aus dem Gesicht. "Was meinst du?"

"Du tust gerade wieder so, als wäre alles paletti. Ich sag dir was." Sie drehte sich schwungvoll zu ihm um und musste die Hände zu Fäusten ballen um nicht die Beherrschung zu verlieren. Mit einem Mal wurde ihr Blick verschwommener... und die Tränen bahnten sich ihren Weg. "Krylon hatte Recht! Ich bin doch nicht blöde, Jannual Wilthos! Ich habe es schon längst herausgefunden! Ich weiß es, seit ich dir zum ersten Mal hinaus in die Nacht folgte und du den Turm der Himmel betrachtetest, welcher von den Augen eines normalen Menschen nie hätte gesehen werden können! Ich weiß es... Nicht was ihr vorhabt, du und Krylon... Aber ich weiß was ihr seid... Was du bist." Sie hatte geschrien. Ihre Hand fuhr hoch zu ihrem Mund, ihr Blick flitzte über das Gasthaus. "Ich... Verdammt!" Sie lief. Lief vor ihm davon, aus Angst, er würde alles bestätigen, aus Angst, von nun an die Minuten bis zum Tode der anderen zählen zu können. Sie kannte den genauen Plan nicht, aber sie wusste nun, warum er sie nicht dabei haben wollte. Sie sollte leben...

Kapitel 9

Es war später Abend, als sie endlich zurückkehrte.

Er war ihr nicht gefolgt. Sie war durcheinander, verzweifelt und fühlte sich so verletzlich.

Lange hatte Sennaya nachgedacht, als sie durch die Wildnis entlang des Berges ging.

Xistion hatte einen Plan. Und dieser Plan war, Celcine zu einem Engel zu machen. Der Gesandte Elrydon, welcher Celcine zu jedem nächsten Siegel führte, machte sie nach und nach unzugänglich und gefügig... zum Wohle der Bewohner, sagten sie. Sie machten Krylon zum Spion. Warum sonst verschwand er des Öfteren? Jannual... er sollte Celcine heil und sicher zum Turm der Himmel bringen, direkt in Nirugiels Fänge. Wie sonst konnte Jannual wissen, wohin es als nächstes ging und was zu tun war? Es hatte wohl keiner mit der Lösung gerechnet, welche Lemiras eingefallen war. Celcine wurde wieder ganz die Alte und seitdem... Genau seitdem wurde Jannual so seltsam! Er hatte seine Arbeit nicht richtig gemacht, der Plan hatte einen Riss! Deswegen war er einmal unauffindbar in der winterlichen Stadt Furoa gewesen. Wahrscheinlich wurde besprochen, wie weiter vorzugehen war.

Sennaya wusste weder vor noch zurück. Sollte sie den Mann den sie liebte an ihre gemeinsamen Freunde verraten? Ihnen sagen, dass ihr vermeintlicher Freund ein Verräter ist? Lustig, wie sich das anhört. Den Verräter verraten…

Sie befand sich in einer Zwickmühle. Es war schwer, auch nur daran zu denken all ihre Freunde zu verlieren. Würden sie gegen Jannual kämpfen müssen? Sennaya wäre nicht dazu im Stande. Er wollte sie aufhalten, hatte sie gebeten nicht mitzukommen. Würde er sie auch töten, wenn sie mitkäme? Würde er das Schwert auch auf sie richten, sie an Nirugiel ausliefern? Was bewegte ihn dazu, den Plan auszuführen, nachdem sie all diese Monate miteinander verbracht haben? Nachdem er und sie...

"Was soll ich bloß tun!?" Die Tränen waren unaufhaltbar. Sie hatte das Gefühl, ihr steinernes Herz würde entzwei brechen. Das konnte alles nicht wahr sein, sie wollte endlich aufwachen.

 

Nun stand sie vor der Tür zum Gasthaus.

Sie legte die Hand auf die Türklinke, atmete durch und trat ein. Es war warm im Empfangs- und Schankraum. Und da saßen sie alle beieinander.

"Sennaya! Wo warst du nur? Wir haben uns Sorgen gemacht!" Ruja war aufgesprungen und kam schnell auf sie zu, dicht gefolgt von Celcine.

"Ich... war spazieren. Es ist schön draußen, wir haben Vollmond." Sie rang sich ein Lächeln ab. "Entschuldigt, ich bin müde und..." Sie brach ab. Gerade als sie rüber zum Tisch sah, wo alle saßen... nur Jannual nicht. "Wo ist denn Jan?", fragte sie, sich zwingend normal zu klingen.

"Der ist schon vor einer Weile in deinem Zimmer verschwunden. Wollte alleine sein, sagte er. Ist irgendwas zwischen euch beiden vorgefallen?" Ruja, die großartige Schwester und zugleich Gruppen-Mami. Sie sorgte sich um Sennaya.

Doch im Moment konnte Sennaya es ihr nicht danken. "Nun... Ich bin müde, Ruja. Wir reden morgen weiter, ja?" Sie drehte sich ohne weiteres um und ging zu ihrer Zimmertür. Sie wollte hineingehen, als ihr einfiel, dass Ruja sagte, er wäre hier hinein um alleine zu sein.

Zögernd öffnete sie die Tür und trat ein. Jannual lag ausgestreckt auf dem Bett, die Arme hinter dem Kopf verschränkt. Die Augen waren offen, er sah aber nicht zu ihr rüber, starrte weiterhin an die Decke.

Die Rothaarige schloss die Tür und trat ans Bett. "Entschuldige, dass ich so laut geworden war."

"Hm."

"Ich habe nachgedacht. Ich denke, ich weiß, was ihr vorhabt."

"Aha."

Ihr riss schon jetzt der Geduldsfaden. "Sprich mit mir, oder ich werde wieder laut!", sagte sie schon lauter, aber noch so, dass niemand dort draußen etwas hörte.

Er setzte sich auf. "Wow wow, Kleines, ist gut!" Er hob die Hände, wie zur Abwehr.

"Nenn mich nicht so, darauf habe ich im Moment keine Lust", presste sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

"Okay..." Er setzte sich aufrechter hin und starrte auf seine Beine. "Du meinst also zu wissen, was wir vorhaben. Aber erst verrate mir, wen du mit wir meinst."

Sennaya sammelte sich. "Ihr - Xistion."

Jannual lachte kurz und freudlos. "Wir - Xistion. Wie hast du herausgefunden, dass ich ein Engel bin?" Nun sah er auf... und er war nicht mehr der, den Sennaya lieben gelernt hatte, den sie bis zu diesem Tage geliebt hatte. Er leugnete es nicht...

"Kein Mensch hat ein so gutes Gehör, mich zu hören, wenn ich in meine halbdämonische Gestalt angenommen habe. Und kein Mensch hat auch nur annähernd so gute Augen, den Turm der Himmel auf eine so große Entfernung und in vollkommener Dunkelheit zu sehen."

"Vielleicht habe ich auch nur zufällig gewusst in welcher Richtung er liegt und habe dort hin gesehen, ohne ihn wirklich erkennen zu können."

"Vielleicht. Aber allein die Gewissheit, dass du bewusst hingeschaut und offensichtlich darüber nachgedacht hast, machte mich ein wenig stutzig."

"Jeder sieht mindestens einmal zum Turm und denkt nach. Ich verstehe nicht, warum es ein Hinweis darauf sein soll, dass ich nicht menschlich bin."

"Und wie hast du es geschafft fünf Meter eine Hauswand hinaufzukommen, um mir die Schwerter auf mein Bett zu legen? Völlig lautlos? Ich war schon zu der Zeit ein Dämon, ich hätte es mitbekommen, hättest du irgendein anderes Hilfsmittel als Magie benutzt."

Sein Gesichtsausdruck änderte sich urplötzlich. Beinahe entgeistert starrte er zu ihr hoch. "Gut. Du bist wirklich gut. Habe dich wohl doch unterschätzt. Nun hörst du mir bitte zu." Er machte eine kurze Pause.

Sennaya setzte sich an das Fußende des Bettes. "Ich höre."

"Ja, du hast recht. Ich bin ein von Xistion gesandter Engel. Mir wurde befohlen, mich der Gruppe anzuschließen, welche sich auf die Reise zur Weltenvereinigung begeben hat um sie zu ihrem Ziel zu führen und Komplikationen zu verhindern. Ich war es, der Rafylle den Tipp gab, wo sich Psilania als nächstes befinden würde. So hätten wir schon mal eine Kämpferin weniger..."

Es war schwer ihm zu glauben... Sennaya war hin und hergerissen zwischen Liebe und Hass ihm gegenüber.

"Dies ging leider in die Hose. Dann kam Lemiras mit seiner genialen Lösung eine Schutzfassung für Celcines Kristall anzufertigen, damit dieser keinen direkten Einfluss mehr auf sie hatte. Gut, wieder was schief gegangen."

"Du hättest sie ja dran hindern können."

"Es wäre wohl zu sehr aufgefallen, hätte ich gesagt, sie sollen es lassen." Das stimmte wohl. "Spätestens in Furoa wurde es Zeit, dass ich Lord Nirugiel Bericht erstattete."

Sennaya wurde schlecht, als sie Jannual diesen Namen zusammen mit dem Titel 'Lord' aussprach. Es hörte sich nicht richtig an.

"Es mussten krassere Maßnahmen ergriffen werden. Also musste Rafylle noch einmal herhalten. Diesmal hatte er sich um Celcine zu kümmern. Ja, Senna, all das ist mein Verdienst. Krylon war mehr oder weniger der Laufbursche und hat alles unserem Lord berichtet."

Sie konnte sich ein verzweifeltes Japsen nicht verkneifen. Das alles konnte nicht wahr sein... Sie hatte ihm vertraut. Beiden hatte sie vertraut. Alle anderen hatten es getan. Und Krylon... Lemiras eigener Vater. Sie griff sich ins Haar.

"Das ist nicht wahr!"

"Doch, ist es." Er sah sie eine Weile an, ohne jegliche Regung. Dann ergriff er wieder das Wort. "Du hast mir einiges klar gemacht, seit wir zusammen durch die Welten reisen. Du hast mir gezeigt, was es bedeutet geliebt zu werden und wiederzulieben. Noch nie habe ich jemandem sagen können 'Ich liebe dich' und meine es auch so. Ich hatte viele Frauen vor dir. Jede von ihnen rannte mir nach... oder soll ich lieber sagen, sie rannten meinem Status und Titel nach. Ich stehe auf der Rangliste der bedeutendsten Personen direkt unter Ihrer Majestät, dem König von Relindeya. Ich wollte nie berühmt sein. Ich habe mir nicht ausgesucht in Geld zu schwimmen, ein Ansehen zu genießen wie ich es momentan tue. Es war nie mein Wunsch, dass alles was denken kann und auf zwei Beinen geht sich vor mir in den Staub wirft und mich anbetet. Ich wurde geboren als der Auserwählte von Relindeya. Ich hatte weder Kindheit noch Eltern. Der Tag an dem meine Mutter starb, war der Tag an dem ich zum ersten Mal Schnee sah und an dem meine Mutter zum ersten Mal mit mir hinaus ging und spielte." Seine Stimme brach.

Die ganze Zeit hatte Sennaya ihm still und ohne sich zu regen zugehört. Nun nahm sie die Hände aus ihrem Haar, ließ den Kopf aber gesenkt. Denken war unmöglich, in ihr stand alles still nach diesen Worten.

"Einen Tag nach dem Tod meiner Mutter stattete mir Nirugiel einen Besuch ab. Er fand mich an ihrem Grab. Er sagte, ich solle nicht traurig sein, meine Mutter hätte es getan, weil sie wusste, dass ich von großer Wichtigkeit für diese Welt sei. Er bot mir unendliche Macht, mit welcher ich es schaffen würde, allen Elfen das Leben zur Hölle zu machen. Ich hasste, wie du vielleicht verstehen kannst, von diesem Tage an alle Elfen, egal ob voll- oder halbblütig. Ich wollte mich rächen, ja. Nirugiel nahm mich mit nach Asteria, der Stadt der Engel in den Himmeln. So wurde ich zu einem von ihnen, zu einem Mitglied von Xistion." Er seufzte und schloss die Augen.

Sennaya sah zu ihm hin und erkannte im Licht des vollen Mondes sein bitteres Lächeln.

"Ich wurde von fremden Menschen groß gezogen, zu einem Auserwählten. Ich hatte alles. Eine umfangreiche Ausbildung, Geld - Reichtum in jeglicher Form... Als ich zwölf wurde lagen mir die Frauen schon zu Füßen und die Männer verneigten sich vor mir. Ich hasste mein Leben. Was gab es, was ich nicht hatte? Ich fand es heraus an einem Morgen wie im Grunde jeder andere, als ich siebzehn war. Ich schlug die Augen auf, dachte an die vergangene Nacht, welche ich mit einem wirklich süßen Mädchen verbracht hatte. Ich war glücklich, das weiß ich noch. Ich drehte also den Kopf und suchte nach ihr, ich wollte sie in den Arm nehmen, mich an sie kuscheln... Doch die andere Seite des Bettes war leer. Zum ersten Mal wurde mir klar, dass es sehr wehtut keine Liebe zu erfahren. Wenn ich mit einem Mädchen schlief, war das die einzige Liebe die ich erwarten konnte. Kaum eine blieb länger als nötig, denn sie wollten mich nicht lieben. Sie hatten Angst enttäuscht zu werden. Denn ich war der Auserwählte. Und es ist klar, dass ich mich opfern muss, um die Welten zu vereinen. Also hielten sie sich nach Möglichkeit von mir fern, verehrten mich aus sicherer Entfernung und kamen nur zu mir, um ihren Freundinnen später erzählen zu können, sie hätten in den Armen des Auserwählten gelegen." Langsam öffneten sich seine Augen wieder. "Ich begann immer zu lächeln und zu lachen... um mir die Illusion zu vermitteln, alles sei so, wie es sein soll. Langsam aber stetig baute ich mir eben jene Maske, von der du sagtest, ich solle sie abnehmen. Jetzt kennst du alle Gründe, weswegen ich sie überhaupt aufrecht hielt."

Wieder dieses kurze freudlose Lachen. Er schlug die Hände auf sein Gesicht und rieb es sich.

Sennaya war sich sicher, dass er wieder einmal seine Gefühle verbergen wollte. Gerade wollte sie ihn zurechtweisen, als er die Hand hob.

"Schon gut, ich weiß, dass ich das nicht machen soll. Eine jahrelange Angewohnheit... ist nicht so leicht sie abzulegen." Wieder eine kleine Pause, ehe er weitersprach. "So vergingen die Tage, bis ich dich in dieser Menschenmasse entdeckte. Du warst wunderschön. So einfach, so... normal, ehrlich und kein bisschen künstlich. Ich dachte mir, dich dürfe ich nie mehr gehen lassen. Ich wollte es nicht, wusste aber, dass ich es nicht verhindern kann. Du hast mir, wie man so schön sagt, den Tag versüßt. Als du hinauf zum Palastportal gingst, habe ich dir noch lange hinterher gesehen. Schließlich kaufte ich die Schwerter mit denen du liebäugelt hattest. Irgendwie musste ich dir diesen Wunsch erfüllen, ich wollte unbedingt etwas tun, was dich glücklich machen würde. Also kaufte ich sie dir, schlich mich mitten in der Nacht um das Gasthaus herum und flog hinauf um sie dir auf das Bett zu legen, in welchem du so friedlich geschlafen hast. Meine Güte, ich hatte fast vergessen, dass ich gerade meine Flügel der gesamten Öffentlichkeit präsentierte, als ich dich so beobachtete. Ich wäre nur zu gerne die ganze Nacht bei dir geblieben, nur um dich anzusehen. Tja... Und dann kam schon der nächste Tag. Ich wusste, dass Santaly schnellstmöglich die Stadt verlassen wollen würde. Sie hält sich nie sehr lange hier auf. Es tat weh, als ich dich gehen sah. Da besitze ich schon mal fast unendliche Macht und konnte dich trotzdem nicht aufhalten."

Zum ersten Mal sah er Sennaya an. Und sein Blick sagte ihr, dass er seine Worte absolut ernst meinte.

"Wenige Wochen später wurde mir dann mitgeteilt, was ich tun sollte. Die Gruppe um die Auserwählte auf ihrer Reise zur Weltenvereinigung begleiten und so tun, als wäre ich der freundliche Wegbegleiter. Es kam mir von Anfang an nicht richtig vor. Aber ich dachte mir, jetzt, da ich keine Chance mehr habe dich wiederzusehen, kann ich dem Tod auch gleich in die offenen Arme springen... und schmiedete mir einen eigenen Plan. Trotzdem verhielt ich mich nicht selten absichtlich auffällig, in der Hoffnung, alle würden es selber bemerken, mich endlich zur Rede stellen... Ich durfte nicht übertreiben, denn da war immer noch Krylon, der ein Auge auf mich haben sollte. Also zog ich den von Nirugiel aufgestellten Plan durch. Bis jetzt. Und er muss weiter durch gezogen werden, damit mein eigener am Ende aufgeht." Ein Nicken, wieder rieb er sich das Gesicht, setzte sich schließlich auf. "Du, Sennaya, spielst dabei eine große Rolle."

Schweigend hatte sie dagesessen. Als er ihren Namen nannte und sie den Zusammenhang seiner letzten Worte verstand, schreckte sie auf.

"Wie? Inwiefern?"

"Okay. Du musst mir jetzt sehr gut zuhören. Nimm noch mal all dein Auffassungsvermögen zusammen, was noch übrig geblieben ist, nach meiner Lebensgeschichte."

Sie konnte sich ein nervöses Lachen nicht verkneifen.

Er lachte auch, rückte etwas näher. "Es sieht wie folgt aus. Wenn wir beim Turm der Himmel angekommen sind, werden wir vor verschlossenen Türen stehen. Sie wird nur mit einem originalen und unverfälschten Xistion-Kristall zu öffnen sein, welchen ich schon vor einer ganzen Weile von Nirugiel erhalten habe. Ich werde ihn also hervorzaubern und die Türen öffnen können. Soweit so gut. Wenn wir uns aber erst mal im Turm befinden, werden wir schon von Engelwächtern angegriffen werden. Kleine Fische, kriegen wir hin. Sie sollten euch eigentlich vorzeitig schwächen. Dass ich nicht lache..."

"Wie nur uns? Dich nicht?"

"Senna, Kleines... Für mich sind die ein Klacks, ebenso wie für Krylon. Zudem werden sie verstärkt an euch interessiert sein. Krylon und ich werden während des Kampfes mehr oder weniger Däumchen drehen können."

"Oh... Na denn... Fahr fort."

"Wir werden ganz nach oben müssen, das bedeutet, wir haben einen langen Weg vor uns, gesprenkelt mit Gegnern. Ziemlich am Ende werden wir eine Art Labyrinth durchqueren müssen. Jetzt kommt das Wichtigste, hör gut zu. Dieses Labyrinth wird genau sieben Fallen haben. Für jeden eine, außer für Celcine, Krylon und mich. Wir drei werden den Weg zum Altar fortsetzen. Jetzt kommst du ins Spiel. Ich weiß, dass für dich eine Kammer mit den Wurzeln des Baums des Lebens, Yggdrasil, vorgesehen ist. Die Wurzeln sind extrem stark und werden dich festhalten. Ich weiß aber zufällig, dass dich so eine blöde Wurzel niemals für immer festhalten kann." Er zwinkerte ihr zu und lächelte breit.

"Ne, ich denke, damit werde ich fertig werden."

"Genau. Das Beste an der ganzen Sache... Krylon hat bisher kein einziges Wort darüber verloren, dass du ein Dämon bist. Und ich auch nicht. Würde Nirugiel das wissen, hätte er sicher etwas Effektiveres für dich gefunden."

"Praktisch. Aber warum meinst du, hat Krylon nichts gesagt? Meinst du, er hat in etwa das Gleiche vor, wie du?"

"Hmmm... Kann ich nicht sagen. Bisher hat er mir nichts verraten. Na wie auch immer. Weiter im Text. Du wirst also von dieser Wurzel gefangen genommen werden, das Gleiche wird nur einen Raum weiter mit Psilania passieren. Euch wird eine meterdicke Steinwand trennen, was, denke ich, auch kein Problem für dich sein wird. Du weißt jetzt sicher worauf ich hinaus will?"

„Ich vermute, ich soll mich befreien und nach und nach alle anderen.“

„Genau. Und zwar wirst du die anderen genau dann befreien, wenn ich dir ein Zeichen sende und das wird in Form einer Lichtkugel sein. Die Räume in denen ihr gefangen werdet, haben meistens keine Decke, nur ein oder zwei davon. Deiner wird frei nach oben hin sein, also halte den Blick immer nach oben. Sobald du es gesehen hast, machst du dich auf den Weg und suchst die anderen. Es wäre ratsam sich zu beeilen, aber das weißt du sicher. Krylon, Celcine und ich werden nicht mehr lange zu gehen haben. Ich werde versuchen alles ein wenig in die Länge zu ziehen, um euch Zeit zu verschaffen. Wenn ihr erst mal alle frei seid, kommt ihr sofort zum Altar, der Weg ist nicht schwer zu finden. Ich...“

Nun brach er ab und sah kurz weg. Irgendwas plagte ihn.

„Wenn ihr ankommt... werde ich euch angreifen.“ Seinem Blick nach zu urteilen, fiel es ihm schon schwer auch nur an dieses Vorhaben zu denken. "Ich werde gegen euch kämpfen, alle werden denken, dass ich es ernst meine. Wenn aber Nirugiel in unsere Mitte kommt, musst du dich darum kümmern allen klar zu machen, dass sie sich um die vielen Wächter kümmern sollen die er mitbringen wird. Es wird eine ganze Armee sein, um von sich abzulenken. Ich werde mich indessen um ihn kümmern."

"Ganz sicher nicht! Ich werde mich auch um ihn kümmern! Du kannst doch nicht-"

"Ich kann und ich werde! Er hat euch bei den letzten Kämpfen lange nicht gezeigt, was er alles auf dem Kasten hat. Das war lachhaft im Gegensatz zu dem was er noch kann. Ich habe euch alle schon zu weit mit hineingezogen, also seh zu, dass alle sich, einschließlich dir, um die anderen kümmern. Ich kenne ihn und seine Macht, ich werde eher mit ihm zurechtkommen, als ihr."

"Was ist mit Krylon?"

"Er wird sich mit Celcine aus dem Staub machen und die Fusionskammer aufsuchen, wo ihr Körper für die Vereinigung vorbereitet wird. Es wird lange dauern, wir werden genug Zeit haben sie noch zu erreichen und einzugreifen, ehe es umgesetzt werden kann."

Die Rothaarige nickte nur. Sie schien recht abwesend zu wirken, denn Jannual sah sie besorgt an.

"Senna? Hey, es wird alles funktionieren, wie ich es mir denke. Ich hatte nie vor euch zu schaden, aber wir müssen es riskieren." Jannual rutschte noch näher an sie heran und berührte sie an der Wange. "Kleines... Es tut mir leid, dass ich dich so verunsichert habe. Nun aber weißt du, was ich wirklich vorhabe und was wir durchziehen müssen."

"Und was, wenn du von einem der anderen getötet wirst?", flüsterte sie heiser. Es hatte sich inzwischen ein Kloß in ihrer Kehle gebildet und wieder verschwamm ihr Blick.

"Das werde ich nicht. Und ich werde auch all den anderen keinen großen Schaden zufügen. Wenn sie sehen, dass ich mich gegen Nirugiel wende, werden sie schon verstehen. Vertrau mir, Senna... Wenn es noch möglich ist, meine ich." Seine Hand zog sich zurück, aber Sennaya reagierte blitzschnell und hielt sie fest. Sie drückte sie gegen ihre Wange, ehe sie Jannual ansah.

"Ich vertraue dir, Jan." Sie beugte sich vor und drückte ihm einen Kuss auf. Jannual lächelte, endlich wieder ehrlich und so, wie sie es von ihm kannte.

"Gut, dann wird auch nichts schief gehen." Langsam stand er auf. Als er stand, spürte er Sennaya Hand, wie sie seine nahm. Er drehte sich zu ihr um.

"Jan... Zeig sie mir... bitte." Sie schluckte schwer, sah ihn aber fest an. Der Schwarzhaarige erstarrte.

Schließlich ging er einige Schritte von ihr fort.

Sennaya dachte schon, er würde hinaus gehen. Als sie sich abwandte, erstrahlte urplötzlich das ganze Zimmer in einem gleißenden, magisch wirkenden Licht.

Sie sah hin... und sah sie.

Sie waren groß... sehr groß, wie sie es sich immer vorgestellt hatte. Strahlend hell und golden schimmerten sie bis kurz über den Boden und weit über seinen Kopf hinaus. Eine Art Staub viel von ihnen und verblasste nach einigen Zentimetern Fall.

Wie in Zeitlupe drehte Jannual sich zu Sennaya um. Ihre Augen konnten größer und bewundernder nicht sein. Tränen liefen langsam und gemächlich über ihre Wangen.

Jannual stand nun vor ihr... Ein gebrochener Engel. "Du findest es schön, nicht wahr?" Er konnte es ihr nicht verdenken, als sie nickte und ihn weiter ansah.

Doch dann stand sie auf und ging auf ihn zu. "Darf ich?", fragte sie lautlos.

Jannual verstand und trat einen Schritt näher an sie heran, so nahe, dass er ihren Atem spüren konnte und das Spiegelbild seiner selbst in ihren Augen sah. Nur andeutungsweise spürte er, wie sich ihr Arm hob und ihre Hand durch den goldenen Schimmer seiner Flügel glitt. Und wieder kullerten ihr Tränen über die Wangen.

"Ja... ich finde es wunderschön. Verzeih...", hauchte sie, ließ von seinen Flügeln ab, legte beide Hände auf seine Brust und lehnte sich gegen ihn. Sie schloss die Augen. "Ich werde dir folgen... wo immer du auch hingehst."

Kapitel 10

Schon wieder war es Morgen.

Sennaya registrierte sofort, da ihr Bewusstsein erwachte, dass sie auf Jannuals Brust lag. Sie brauchte sich nicht anstrengen um seinen gleichmäßigen Herzschlag zu hören und zu spüren. So warm...

Sie hob den Kopf und drückte ihre Lippen auf seine Brust, wobei ihre Finger seicht über seine Haut strichen. Dann bewegte sich ihr Liegegrund. Sie stützte sich zu seinen Seiten auf die Matratze, stemmte sich hoch und sah auf ihn nieder.

"Guten Morgen", sagte sie leise und mit einem sanften Lächeln auf den Lippen.

Jannual grummelte nur und lächelte etwas. Sennaya setzte sich auf, hob ihr rechtes Bein über Jannual und ließ sich auf seinem Schoß nieder.

"Aufstehen! Aufstehen! Es gibt Frühstück!", sagte sie lauter und begann auf ihm hoch und runterzuhopsen, was ihn tatsächlich dazu brachte die Augen aufzureißen.

"Wow wow wow! Senna! Nicht!" Er musste lachen, schaffte es aber noch Sennaya an den Hüften zu packen und festzuhalten. "Bist ja verrückt! Hast mich letzte Nacht schon fertig gemacht... Außerdem weißt du, dass ich es nicht mag, wenn du oben bist."

"Och...", machte sie nur, beugte sich vor und gab ihm einen Kuss. Als sie sich wieder aufrichten wollte, rollte er sich um, sodass sie auf der anderen Seite auf dem Rücken landete und er über ihr lag.

"Ha! Hab ich dich...", hauchte er, beugte sich über sie wobei er ihre Hände über ihren Kopf zog und biss ihr sanft in den Hals. Sennaya lachte, stemmte die Beine auf die Matratze und begann sich zu winden, um ihm zu entkommen... erfolglos. "Ne ne, jetzt abhauen wollen... Gibt’s nicht!" Er ließ ihre Hände los und fing an sie zu kitzeln. Ihr Lachen hörte man im ganzen Gasthaus.

"Oje, was ist denn da schon wieder los?", fragte Lemiras grinsend und sah sich zur Tür um, aus welcher das helle Lachen drang.

"Allmorgendliche Spielchen, würde ich sagen", erwiderte Ralath ohne sich von dem Fenster abzuwenden, aus welchem er Ruja, Krylon und Celcine beobachtete, welche sich unterhielten.

"Ah ja, wenn es nur das ist..." Er stand auf und ging zu Jannuals und Sennaya Zimmertür und riss sie auf.

"Morgeeen!", rief er und grinste breiter als ein Frosch.

Jannual erstarrte mitten in dem Vorhaben Sennayas Beine von sich zu halten, welche sie zur Verteidigung angezogen hatte um ihn wegzudrücken. Sennaya selbst unterbrach ihr Lachen nur, um einen Blick zur Tür zu werfen und zu schauen, wer da war. Dann gackerte sie wieder los.

"Scheint ja mächtig Spaß zu haben, ihr beiden! Kann ich mitmachen?" Er schloss die Tür und trat weiter ins Zimmer. "Hübsch habt ihr es hier..."

"Lemiras?"

"Ja?"

"Raus!!!", brüllte Jannual, grinste aber und ließ erst mal Sennayas Beine los. Diese lachte noch immer, wobei sie zwischendurch nach Luft schnappen musste und kullerte dabei fast vom Bett.

"Och... Spielverderber. Nun kommt schon, heute ist der letzte Tag, den wollen wir genießen."

"Ja, sind gleich da... Hey!" Sennaya hatte sich an ihn herangepirscht und die Decke weggezogen, welche sie sich umwarf und schnell aus seiner Nähe sprang... "Man, Senna! Hab doch nichts an..." Er hechtete hinterher und rangelte mit ihr, um die Decke wiederzubekommen.

"Hättest dich ja auch wieder anziehen können, aber dafür ist der Herr ja zu faul!" Sie versuchte sich aus seiner Umklammerung zu befreien, welcher er aber ohne weiteres standhielt.

"Ja ja, ich wieder... Hätte ich gewusst, was du vor hast..." Nun hatte er genug und hob sie einfach hoch, was ihr ein verblüfftes Quietschen entlockte. "Jetzt hab ich genug, jetzt ist Schluss..." Er schleppte sie zum Bett und warf sich mit ihr auf die Matratze, wo sie noch eine Weile lachend liegen blieben.

Lemiras war zum Glück schon längst wieder an den Frühstückstisch zurückgekehrt.

 

Der Tag verging viel zu schnell.

Sie verbrachten ihn alle miteinander am größten Tisch im Schankraum, unterhielten sich, planten noch mal alles durch und bekamen nicht mit, dass Jannual und Sennaya sich nicht am Plangespräch beteiligten.

Sennaya konnte einfach nicht. Es würde morgen schwer genug werden so zu tun, als würde alles so ablaufen, wie sie es sich dachten.

Sie wussten nichts von den Engelsscharen welche es zu bekämpfen galt, ehe der richtige Kampf losgehen würde.

Sie wussten nichts davon, dass sie getrennt werden würden, dass Fallen bereit waren, sie aufzunehmen, einer nach dem anderen.

Sie wussten gar nichts...

Sennaya wurde übel. Sie stand auf und ging hinaus. Jannual sah ihr erst nur nach, erhob sich dann mit einem entschuldigenden Blick und folgte ihr.

"Hey... Stimmt was nicht?"

"Ich kann es nicht mehr... Ich habe das Gefühl jeden Moment losschreien zu müssen. Ich will sie warnen... weiß aber, dass ich nicht darf." Sie warf sich in Jannuals Arme, der sie auffing und an sich drückte.

"Wir packen das. Wir alle gemeinsam werden es schaffen, wirst schon sehen."

"Heeey! Ihr beiden, wir wollen zu Abend essen!", brüllte Gymar quer über den Platz.

Jannual hob nur die Hand um ihm zu zeigen, dass er verstanden hatte. "Na komm, Kleines." Er ließ seine Hand in ihre gleiten und ging mit ihr zusammen zurück.

 

Es war die letzte Nacht vor dem großen Kampf.

Sennaya konnte es nicht lassen und strich Jannual mit den Fingern schon seit einiger Zeit über die Stellen, an welchen seine Flügel erschienen.

"Wie lange möchtest du das noch machen, Süße?", fragte er halb belustigt, halb entspannt.

"So lange, bis ich darauf gekommen bin, wie sie überhaupt entstehen können."

Das brachte ihn zum Lachen. "Ganz einfach. Es ist gebündelte Magie, welches sich bei einem Engel in Form von Flügeln aus Licht bestehend zeigt, wenn er so will."

"Ach so... Licht... Deswegen sind sie auch so warm, wenn man sie berührt."

"Ja... wahrscheinlich." Er drehte sich um und sah zu Sennaya hoch, welche neben ihm saß. "Ich würde dich am liebsten festketten, damit du morgen nicht mitkommst."

"Und wer soll dann die anderen aus den Fallen holen?"

"Tja... Gute Frage."

Sennaya legte sich neben ihn und ihre Hand auf seine Brust, wo sie sein Tannuks berührte. Andererseits... war es überhaupt nur ein Tannuks?

"Ist das ein..."

"Ja, das ist ein Xistion-Kristall."

"Ohne Schutzfassung."

"Ja. Wäre auch unnötig, nicht wahr? Bin schließlich schon einer."

Kapitel 11

Dann war es soweit.

Die Gruppe sammelte sich im Schankraum.

"Kein Frühstück?", jammerte Lemiras und sah sich hoffnungsvoll um.

"Keine Angst, wird es gleich geben. Wir haben nicht viel Zeit, also beeilt euch bitte." Krylon wandte sich ab und verschwand wieder in dem Zimmer, welches er sich die letzten Nächte lediglich mit Ralath teilen musste.

"Alles klar! Dann mal los!", euphorierte Jannual und machte es sich am Frühstückstisch gemütlich, worauf eine ältere Dame mit Broten und Tellern kam und den Tisch deckte.

"Wo ist Ruja eigentlich?", fragte sich Celcine laut und suchte nach der Professorin.

"Ist noch im Zimmer und packt", half Gymar aus und setzte sich Jannual gegenüber. Der Platz neben ihm war ihm zu suspekt, außerdem reserviert für Sennaya, welche sich sogleich in Greisen-Tempo niederließ. "Hey, alles okay mit dir?"

Sennaya sah auf, als hätte er geschrien. "Ja... Ja, alles okay. Mir ist nur ein wenig schlecht. Liegt wohl an der Aufregung." Sie zwang sich zu einem Lächeln, was Jannual etwas beunruhigte. "Es ist wirklich alles in Ordnung", versicherte sie ihm noch einmal und tätschelte ihm das Bein, ehe sie sich ein Brot bestrich.

Überzeugt hatte es ihn nicht...

"Alle bereit machen zum Aufbruch!", hallte Krylons Stimme durch den Raum, als er wieder kam. Er war rausgegangen, um zu schauen, ob sich der Drachenvermieter auch an die Abmachung gehalten hatte.

"Hui! Drachenfliegen, Drachenfliegen!" Gymar war der erste, der nach draußen preschte.

Sennaya freute sich ebenso. Die Übelkeit hatte nachgelassen, sie war wieder ganz die Alte. "Yay! Wird sicher holprig, wegen der Flügel." Sie sah sich nach Jannual um, dieser saß aber noch am Tisch und stand erst auf, als Sennaya ihn anrief.

"Schon gut, bin ja schon da...", nuschelte er und lächelte Sennaya an. Gleich darauf sah er zu Krylon rüber, welcher an der Tür stand, alle beobachtete und zum Aufbruch antrieb. Ihre Blicke trafen sich und Sennaya meinte eine Art stumme Vereinbarung zwischen den beiden zu erkennen. Als Krylon auch noch ganz leicht nickte, war sie sicher.

"Na komm, Kleines, ab geht’s!" Jannual zog sie hinter sich her, ehe sie Krylon besser ins Visier nehmen konnte.

 

"Woah, wie cool!" Gymars Augen strahlten und er hüpfte aufgeregt auf und ab, als er die fünf Drachen auf dem Gipfel des Berges entdeckte.

"Folgende Aufteilung, immer zwei auf einem Drachen: Ruja und Gymar, Lemiras und Psilania, Sennaya und Jannual, Ralath und Santaly. Celcine, du fliegst mit mir", sagte Krylon im Befehlston und wandte sich sogleich seinem Drachen zu. Celcine hatte verstanden und ging zu ihm rüber, worauf alle anderen sich zusammentaten, wie Krylon es geplant hatte.

Sennaya stieg als erste auf einen der Drachen, Jannual folgte ihr sofort, stieg hinter ihr auf und nahm die Zügel in die Hand.

"Gut festhalten, klar?"

"Klar", antwortete sie und sah sich nach den anderen um.

Der Drache unter ihr pumpte und atmete feurigen Atem durch die Nüstern aus. Die großen Flügel knisterten, er konnte es wohl kaum erwarten, dass es endlich losging.

 

Endlich war es soweit. Sennaya hatte das Gefühl, Jannual hätte schon öfter einen Drachen geritten. Sobald Krylon das Zeichen gab, zog er einmal heftig an den Zügeln, worauf der Drache sich mit einem Satz die Klippe hinunterstürzte.

Sennaya erschrak und klammerte sich heftigst an dem Sattelhorn fest. Jannual hatte zusätzlich seine Arme um sie gelegt und hielt sie fest. Doch dann machte es einen Ruck und der Drache segelte hinauf in den blauen Himmel.

"Na, alles klar?", erkundigte sich Jannual und lachte.

"Ja... Lach nicht!", sagte sie zittrig und musste selber lachen.

Schnell fühlte sie sich sicher genug, den Kopf zu wenden und nach den anderen zu schauen.

Celcine und Krylon flogen direkt neben ihnen und wie es schien, direkt in der Mitte. Denn hinter den beiden erkannte sie Lemiras und Psilania. Sie warf einen Blick an Jannual vorbei nach hinten und sah Santaly und Ralath. Vor ihnen waren Ruja und Gymar. Die rothaarige ergriff plötzlich eine Euphorie, wie sie sie so noch nie gespürt hatte. Krylon hatte wirklich gut überlegt, das musste sie ihm lassen.

Sie flogen in einer richtigen Formation, um Celcines Sicherheit zu gewährleisten. Die Angst schwand und machte der Kampfbereitschaft Platz.

"Yeah! Jetzt geht’s los!", jubilierte sie und warf die Arme hoch. Allgemeines Gelächter, nicht ohne Nervosität. Jannual gab ihr einen Kuss auf die Wange und zog die Zügel ein Stück nach hinten. Der Drache machte einen Boden gen Himmel, die anderen folgten.

Erst fragte Sennaya sich, warum er das getan hatte. Als sie dann hinuntersah, wurde es ihr klar. Unter ihnen zogen Dörfer vorbei und sie mussten versteckt bleiben. Die Wolken sorgten dafür, nur teilweise wiesen die Wattebauschartigen Wolken Risse auf.

"Wird langsam nass...", meinte Jannual nach einer Weile und schüttelte seinen Arm. Sennaya sah, dass seine Handschuhe vor Wasser trieften. Erst jetzt bemerkte sie, dass auch ihr Haar und das Gesicht klatschnass waren. "Diese blöden Wolken... Calhavintas? Weiter hoch, wir brauchen Sonne, wenn wir keine Erkältung wollen!" Krylon nickte und die gesamte Formation stieg in einem steilen Bogen auf.

Sennaya hielt sich an dem Sattelhorn fest, während Jannual sich an sie klammern musste, damit er nicht abrutschte. Der Drache flog beinahe in einem senkrechten Winkel der Sonne entgegen. Schnell brachen sie durch die Wolkendecke und fanden sich in gleißendem Sonnenschein wieder. Sobald der Drache wieder in der waagerechten war, schloss Sennaya die Augen und genoss das warme Prickeln auf ihrem Gesicht.

"Dauert es noch lange? Ich kann nichts sehen...", meldete sich Lemiras und kniff die Augen zusammen. Vielleicht kann er so besser durch die Wolken spähen...

"Wir sind bald da, nicht mehr lange...!", antwortete Krylon.

 

Als sie schließlich ankamen, waren sie tatsächlich alle wieder trocken und aufgewärmt.

"Boah, ich bin ganz wackelig auf den Beinen..." Lemiras ließ sich auf das Gras sinken und streckte die Beine.

Sennaya stieg ab und sah respektvoll hinauf zum endlos scheinenden Turm der Himmel. "Und da sollen wir hoch?", fragte sie ängstlich und ließ sich auf die Knie ins Gras fallen.

"Werden wir wohl müssen." Jannual hockte sich neben sie und legte die Lippen an ihr Ohr. "Es gibt eine Menge Vorrichtungen, die den Aufstieg erleichtern", verriet er flüsternd. Dann gab er ihr einen Kuss und stand wieder auf. "Nun sind wir also da... Kann es losge- Ach ne, schau einer an..."

Alle sahen wie er hoch und hielten zugleich den Atem an. Dort waren mindestens dreißig der Drachen, welche sie hierher geritten hatten. Auf ihnen saßen Golatas, Krieger, welche sich zu einer ganz eigenen Organisation zusammengeschlossen haben und gegen Xistion kämpfen. Elidor, ihr Anführer und ehemaliges Xistionmitglied hatte sich schon vor einer ganzen Weile als wahrer Freund erwiesen und ihnen geholfen voran zu kommen. Allerdings schienen sie heute nicht besonders gut gelaunt zu sein...

Während die am Boden Stehenden sich noch wunderten, weswegen sie von den Golatas angegriffen wurden, regnete es Pfeile.

"Sennaya, geh in Deckung!", wies Jannual sie an, stellte sich vor sie, riss seinen Schild vom Rücken und hob ihn über ihre Köpfe. "Na los!"

Sie nahm ihre Beine in die Hände und während sie noch lief nahm sie die Gestalt eines Halbdämons an. Sie machte einen Satz nach vorne und drehte sich um hundertsechzig Grad, um gleich darauf zurück an Jannuals Seite zu hechten.

"Klappe halten!", rief sie, als Jannual Luft holte um ihr zu sagen, sie solle sich verdünnisieren. Sie hob ihre Arme über den Kopf, konzentrierte sich nur kurz und formte einen Ball aus Feuer, so groß, wie einer der Drachen. Sie stieß diesen Ball gen Himmel zu den Drachenscharen, wo er explodierte und gleich fünf von ihnen zu Boden brachte.

Doch schon bald gaben die Golatas auf und flogen in die Wolken hinauf, worauf sie verschwanden. Gerade wollten die Magier der kleinen Gruppe zu den anderen gehen, welche im Eingang des Turms Schutz gesucht hatten, als Krylon sich wieder umdrehte und hochzuschauen. Auf der Leiche eines Drachen stand Elidor.

"Freut mich euch alle wohlauf zu sehen, meine Freunde", gab er lächelnd zum Besten. "Ich wollte euch nur mitteilen, dass ihr einen Verräter in eurer Mitte habt."

Sennaya zuckte zusammen. Ihr Blick schnellte zu Jannual, welcher nicht entspannter hätte sein können.

"Hey, Elidor! Freut mich, dich mal wieder zu sehen! Das war nicht nett, was ihr hier veranstaltet habt..."

"Jannual. Entschuldigt den Angriff, ich wollte euch lediglich von ihm," Er deutete mit einem abschätzigen Kopfnicken auf Krylon,"wegtreiben. Es sollte niemand zu Schaden kommen, was zu meiner Freude geglückt ist." Er sprang von seinem Drachenpodest und trat einige Schritte auf sie zu. "Also, Krylon. Ich denke, es ist besser, du sagst es ihnen schon jetzt. Dann trauern sie nicht so sehr um dich, wenn du gleich stirbst."

"Elidor... Wieso sollte ich denn gleich sterben?"

"Weil ich dich umbringen werde."

"Gut zu wissen." Und da waren sie, die blauen Flügel von Krylon, ebenso schön und imposant wie Jannuals. Auch Elidor packte seine aus, ebenso blau wie sein Haar. Mit einem Schlenker seines Armes erschien eine Art Doppelaxt. Krylon zog sein Schwert. Und schon preschten sie aufeinander los.

"Ehm... Kommt, lasst uns weitergehen...", wies Jannual an.

"Einen Moment, bitte! Das ist doch nicht... nicht dein Ernst, Krylon!" Lemiras empörte sich gewaltig über die Flügel seines Vaters, welche sich gerade aufspannten und ihn hinauftrugen, damit er wie ein Falke hinab zu Elidor stürzen konnte. "Hallo! Verdammt noch mal, rede mit mir, du ignoranter, alter-"

"Lemiras! Genug jetzt, wir müssen weiter!" Sennaya zog ihn am Kragen zurück - er wollte gerade zu den beiden Kämpfenden stapfen - und zog ihn hinter sich her Richtung Turmeingang. Sie hatte Angst, dass sich jetzt alles ändern würde... wenn auch nur ein wenig, denn Krylon war beschäftigt. Sie wagte es nicht, Jannual anzusehen, also ging sie stur auf den Eingang zu, Lemiras noch immer hinter sich herziehend.

"Okay, dann werde ich mal...", meinte Jannual, holte einen lilanen Stein hervor und steckte ihn in eine dafür vorgesehene Konsole. Die Vorrichtung knackte und die Türen öffneten sich. "Ha! Hach, was bin ich doch für ein Auserwählter!", rühmte Jannual sich und lachte siegesgewiss.

Sennaya hatte Lemiras losgelassen, nahm nun aber Jannual an der Hand und ging zusammen mit ihm hinein.

"Ja, du bist großartig, mein Schöner...", säuselte sie und drückte seine Hand. Ebenso wie er versuchte sie gerade ihre Angst zu unterdrücken, was auch hervorragend klappte, denn niemand schien etwas mitzubekommen.

Dieser Ort war unheimlich... Sie rückte näher an Jannual heran und legte ihren Schweif an die Beine. Überall schwebten Särge wie von Geisterhand getragen umher.

"Iiiiek", hörte man von Gymar, als er erkannte um was es sich handelte.

"So endeten also die sterblichen Auserwählten...", sagte Ruja leise und schloss die Augen wie zum Gebet.

"Na, so werden wir aber nicht enden, also weiter!", rief Jannual und ging mit seinem verschreckten Anhängsel an allen anderen vorbei hoch zum Altar.

Kaum waren die anderen gefolgt und hatten den Altar betreten, als auch schon ein Zischen ertönte. Ursache war ein magisches Portal, welches auf dem Podest erschien und aus dem sich nicht wenige Engelskrieger materialisierten.

"Es geht los", sagte Jannual leise.

Sennaya ließ ihn sofort los und zog mit allen anderen ihre Waffen.

 

Es waren wirklich kleine Fische, wie Jannual gesagt hatte. Sie konnten rasch ihren Weg fortsetzen.

Ihnen voran ging Jannual in das Portal und verschwand. Sie folgten ihm und kamen an einen ähnlichen Ort. Jannual ging voraus, das Schwert hatte er nicht weggesteckt und schlug sich durch drei Wachen am Ende des Raumes, wo er neben dem nächsten Portal stehen blieb. Als alle aufgeholt hatten, stieg einer nach dem anderen hinein. Viele weitere dieser Räume folgten, immer mit einigen Scharen Engel, die es zu bekämpfen galt.

Jannual ging jedes Mal voran, er schien in Rage.

Sennaya machte es Sorgen.

Alle anderen waren wohl dankbar, dass sie nur folgen brauchten, niemand schien sich zu wundern, dass Jannual diesen Ort wie seine eigene Manteltasche zu kennen schien.

Schließlich kam das besagte Labyrinth. Jannual tat zum ersten Mal ratlos. Sennaya blieb an seiner Seite und suchte seinen Blick, doch sah er sie kein einziges Mal an.

Als erstes traf es Ralath. In einem strahlend weißen, unendlich hoch scheinenden Raum begann der Grund zu beben und die Wände schienen einzustürzen. Ralath sagte, die Gruppe solle weiter, er würde sie aufhalten. Mit sie meinte er die mindestens dreißig Krieger, welche mit rauschenden Flügelschlägen auf ihn hinunterstürzten und den Eindruck machten, die Wände würden sich in ihre Einzelteile auflösen und hinunterbrechen. Sie mussten eine schreiende Ruja mit zerren, damit sie mit ihnen kam.

Als nächstes war es Gymar, den sie zurücklassen mussten. An einer Kreuzung wussten sie alle nicht recht weiter und blieben stehen. Prompt begannen sich Wände aus magischer Materie auf sie zuzubewegen. Alle sprangen vor und hinein in die nächste Tür. Die Wände schoben sich gleich darauf daran vorbei...

"Wo ist Gymar!?" Lemiras sprang wieder raus auf den Gang. Dort stand Gymar. Die Wände kamen immer weiter auf ihn zu. "Nein! Verdammt, Gymar!"

"Tut mir leid... meine Reflexe sind grottig, Lemi."

"Nein! Nein! Gymar, ich werde dir helfen!"

"Lemiras, nicht!", warnte Jannual noch, doch Lemiras hatte schon ausgeholt und ließ sein Schwert auf eine der Wände niedersausen. Er wurde zurückgeworfen, noch an der Tür vorbei.

"Lass nur, Lemiras. Ich weiß es zu schätzen... Bist ein klasse Freund! Jetzt seh zu, dass du Celcine rettest!"

Lemiras stand auf, rannte noch einmal auf die Wand zu, wurde erneut zurückgeschleudert. Er rappelte sich wieder auf...

"Lemiras, lass es. Sei sparsam mit deinen Kräften..." Ruja hockte neben ihm, die Wangen nass von Tränen.

Sie ließen ihn zurück. Es folgten Ruja, Psilania... dann Sennaya.

Sie hatten es gerade noch geschafft unter der massiven Wand hin durchzuhuschen, welche sich rasant senkte und sie von Psilania trennte, die von Ranken festgehalten wurde. Kaum hatten sie sich aufgerichtet...

"Aaah!" Sennaya wurde hochgerissen.

Sie war von allen am weitesten über den glitschigen Boden in den nächsten Raum gerutscht, wo sie die Wurzeln des großen Baumes des Lebens packten und einige Meter über dem Boden an die Wand nagelten.

"Sennaya!" Jannual hastete zu ihr hin. Auch wenn er wusste, dass dies passieren würde... "Senna! Nein..."

Es sah grausam aus. Sie schien hilflos. Die dicken Ranken hatten sich um ihre Beine, den Rumpf und die Brust gewickelt. Die Arme wurden ihr hochgerissen und ausgebreitet. Sie sah aus, wie ein Engel...

"Okay... Mich hat es auch... Aber ich werde hier wieder rauskommen! Gebt mir nur ein wenig Zeit! Und jetzt weiter!"

Lemiras schluckte schwer, nickte dann aber und ging mit Celcine und Ruja weiter durch die nächste Tür.

Jannual blieb noch stehen und sah hoch zu Sennaya. Sein Blick verriet, dass er sich Sorgen machte. Eine Entschuldigung meinte sie auch zu erkennen.

"Geh, Jan, ich werde es schaffen. Denk an das Zeichen." Sie schenkte ihm ein Lächeln, welches er erwiderte und sah ihn schließlich verschwinden. Langsam machte sie sich daran, zu testen, wie fest die Wurzeln wirklich waren. Sie wandte sich, ruckelte und begann schließlich ihre Magie aufzustauen.

Der purpurne Wirbel bildete sich um ihren gesamten Körper, manifestierte sich und legte sich auf die Wurzeln. Diese gaben schon nach wenigen Sekunden nach und zogen sich blitzschnell in die Wand zurück. Sennaya landete etwas härter auf dem steinigen Boden, als geplant, setzte sich dann auf einen aus der Wand gebrochenen Stein und blickte auf. Über ihr erstrahlte ein mit Sternen besetzter Himmel. Keine einzige Wolke war zu sehen…

Kapitel 12

Die Zeit verging schleichend.

Sennaya hatte das Gefühl, sie würde sich schon seit mehreren Stunden in dieser Kammer befinden und hinauf in den Himmel starren.

Sie hatte sich auf den Rücken gelegt, um so den Himmel besser beobachten zu können. Der Boden war mit dickem Moos überzogen, weswegen es auch recht kuschelig wurde, was dazu beitrug, dass sich ihre Augen immer wieder wie von alleine schließen wollten. Doch sie konnte ihrer Ermüdung nicht nachgeben, sie musste auf Jannuals Zeichen warten! Also zwang sie sich, die Augen offen zu halten... und doch fielen sie ihr wieder zu.

Okay, dachte sie, einen Moment kann sie dem nachgeben. Hinter ihren geschlossenen Lidern war es schwarz, doch mit einem Mal bemerkte sie, dass etwas vorbeischoss, etwas Helles. Sie riss die Augen auf und sah gerade noch eine Art kleinen Kometen, wie er langsam erlosch. War das das Zeichen?

Sie sprang auf und schüttelte ihren Kopf um schnell klaren Gedanken fassen zu können. Was sollte es denn sonst gewesen sein?

Sie sah hinüber zur Steinwand, welche sie und Psilania voneinander trennte. Es wurde Zeit, ihren Freunden zu helfen und es musste schnell gehen. Sie hob die Hände über den Kopf, schloss die Augen und konzentrierte sich. Nach einer Weile erschien eine Art großer feuriger Pfeil vor ihr. Er wurde größer und größer. Schließlich schleuderte sie ihn mit aller Kraft auf die Wand, welche sich hinter ihnen geschlossen und Psilania eingesperrt hatte. Es gab einen gigantischen Knall, Gesteinsbrocken und -splitter flogen Sennaya um die Nase und sie hockte sich lieber hin und zog den Kopf ein.

Als sich das Getöse gelegt hatte und nur noch Staub die Sicht versperrte, kletterte sie über die Bruchstücke hinein in die andere Kammer.

"Sennaya! Ich dachte schon, es bricht alles zusammen..." Psilania ließ die Arme über ihrem Kopf sinken und sah hinüber zur nun von Staub grauen Dämonin.

"Entschuldige. Ich konnte dich nicht warnen", erwiderte Sennaya und durchschlug die Schlingen, die Psilania festhielten. Dann ging sie hinüber zur Hellebarde, welche das kleine Mädchen verloren hatte, als es von den Schlingpflanzen gepackt und weggerissen wurde. "Hier. Hör zu, ich denke wir müssen uns beeilen, wenn wir Lemiras und Celcine helfen wollen. Kannst du stehen?" Sie half Psilania auf, vergewisserte sich, dass diese allein zurechtkam und wandte sich dann zum Gehen.

 

Nach einer Weile waren sie alle wieder beisammen und eilten ihrem Ziel entgegen. In Sennaya machten sich Befürchtungen breit. Hoffentlich kamen sie nicht zu spät und allen geht es gut. Sie kamen an einer Tür an, welche sich mit keinem ihrer Fähigkeitenl öffnen ließ.

"Mist und was nun? Wir kommen da nicht durch!", empörte sich Gymar und ließ seinen Stab sinken. Er hatte es als letzter mit allen Zaubern die er kannte versucht.

Ruja trat vor und sah sich noch einmal die nun von Ruß geschwärzte, runenbestückte Tür an. "Scheint so, als könnten nur Engel hier hindurch gelangen... Wir müssen einen anderen Weg finden."

"Hier!", rief da Santaly und zeigte hinauf zu einem Loch in der sonst so massiven Wand.

"Klasse! Und... wie kommen wir da hoch?" Gymar schien ratlos.

"Klettern." Sennaya trat vor, sprang hoch und hielt sich an dem aus Ranken bestehenden Wandteppich fest. Sie kletterte vor, die anderen folgten einer nach dem anderen.

Ralath zog noch Ruja den letzten Meter hinauf, dann waren sie alle oben angekommen und staunten über die aus Licht bestehende Halle, die sich vor ihnen auftat... und den Abgrund, direkt vor ihnen.

"Ähm...", kam es von Santaly, aber Sennaya peilte schon die Brücke an, welche zu einer großen Plattform hinaufführte.

Sie standen auf einem kleinen Vorsprung, der auch schon einiges an Form verändert hatte und teilweise abgebröckelt war.

"Das könnte ich schaffen...", murmelte Sennaya plötzlich.

"Was könntest du schaffen, Sennaya?"

"Gymar, kletter auf meinen Rücken", sagte die Dämonin und hockte sich hin.

"Wieso denn das?"

"Mach einfach, ich werde einen nach dem anderen rüberbringen." Sie erntete mit diesen Worten Blicke aus großen erschrockenen Augen und ein Keuchen seitens Ruja. "Wird‘s bald! Wir haben keine Zeit für euer Zögern! Ich werde es schaffen, ganz sicher." Sie sah runter in den unendlich scheinenden Abgrund. Sie konnte nur hoffen und ihrem dämonischen Blut vertrauen.

Dann schlich Gymar an sie heran und kroch auf ihren Rücken. "Okay. Halt dich gut fest, ich brauche meine Arme. Und nicht zappeln, Gymar!" Der Junge erstarrte, war er gerade noch damit beschäftigt sich nach den anderen umzusehen. Sennaya warf keinen Blick zu den anderen zurück, nahm einige Schritte Anlauf... und sprang. Sie segelten über unergründliche Schwärze, sanken ab... Die Krallen des Fuchsmädchens schlugen in massiven Stein und verankerten sich darin. Ihre Pfoten suchten ebenfalls Halt und fanden ihn auch. Sie stieß sich ab und landete weich auf der Brücke.

Ruja fiel ein Stein vom Herzen. Sie brach auf dem entfernten Vorsprung erleichtert zusammen.

Sennaya ließ Gymar absteigen, drehte sich um und sprang zurück. "So, jetzt Psilania. Erst mal die Kleinen, leichten rüber."

Danach folgten Ruja, Santaly und schließlich Ralath. Zalysha landete mit ihm ein Stück tiefer.

"Tut mir leid, ich bin wohl zu schwer..."

"Firlefanz, macht doch nichts." Sie zog sich nach und nach hoch, ihre Klauen gruben sich jedes Mal tief ins Gestein. Am Ende waren sie wieder alle zusammen und führten ihren Weg über die Brücke gen Plattform fort.

Sie erklommen eine lange Treppe... und wurden von einem dumpfen Klirren verfolgt. Nach einiger Zeit drehten sich alle einheitlich zu Psilania um. Diese sah auf, wunderte sich, warum sie alle so ansahen. Nach kurzer Überlegung hob sie ihre Axt auf die Schulter und lächelte peinlich berührt.

Die ganze Zeit über hatte sie ihre Axt hinter sich hergezogen. Bei jeder Stufe war diese auf den Stein gekracht und hatte dieses nach einiger Zeit nervende Geräusch verursacht.

 

Und dann war es soweit.

Je näher sie kamen, desto heller wurde das Licht auf der Plattform. Sie nährten sich ihrem Ziel.

Sobald sie am Ende der Treppe standen, stockte ihnen der Atem. Sennaya konnte sich ein erschrecktes Keuchen nicht verkneifen, nicht aus dem Grund, weswegen die anderen erstarrten.

Jannual stand direkt vor Lemiras und Celcine, welche etwas hinter ihm stand und sich an ihn klammerte. Jannual... ganz der Engel von Xistion. Seine Flügel leuchteten extremer denn je, sein Schwert, welches er auf Lemiras und Celcine gerichtet hielt, blitzte und spiegelte den Schein seiner Flügel wieder. Sie konnten sein Gesicht nicht sehen. Er stand leicht schräg, das Gesicht von ihnen abgewandt.

"Nein, Lemiras, ich spüre keine Reue. Es war alles von Anfang an geplant gewesen. Wenn du Celcine Lord Nirugiel übergibst, kommst wenigstens du mit dem Leben davon, mein Freund."

"Nenn mich nicht so! Du Verräter!" Lemiras konnte es scheinbar auch nicht fassen.

Noch hatten die drei dort unten die Gruppe über ihnen nicht entdeckt. Jannual lachte freudlos und offensichtlich böse.

Sennaya konnte es nicht fassen. Entweder spielte er seine Rolle verdammt gut, oder... er hatte sie angelogen.

"Na sicher." Er hob die Arme seitlich an, als wolle er sich präsentieren. "Jaha, ich, der großartige Jannual Wilthos, Auserwählter Relindeyas und Seraphim der Organisation der Engel, Xistion! Höre mein Wort, Mensch, und spüre die Demütigung in jeder Faser deines Leibes. Es ist vorbei! Und ihr habt nichts gemerkt. Da sieht man mal, wie gut ich bin." Er ließ die Arme wieder sinken und richtete blitzschnell sein Schwert auf Lemiras‘ Brust, als dieser ihn angreifen wollte, während Jannual sich in seinem eigenen Licht rühmte. "Stop, Lemiras! Mach keine Dummheiten." Er sah zu Celcine und hob seine freie Hand, wie zur Tanzaufforderung. "Komm, Schönheit, lass uns gehen." Celcine schüttelte heftigst den Kopf. "Och, soll ich etwa deinen kleinen Freund dem Erdboden gleichmachen, damit du endlich kapierst, dass es ernst gemeint ist?!" Er schien ehrlich sauer zu sein.

Es versetzte der Frau, der er einmal sagte, er würde sie lieben, einen entsetzlichen Stich mitten ins Herz.

"Es reicht!", rief sie aufgebracht und verletzt zugleich und sprang direkt hinunter. Die anderen folgten. "Jannual! Ich fasse es nicht..." Sie trat noch einige Schritte auf ihn zu, dann blieb sie stehen und starrte Jannual mit einer Mischung aus Hass und Unglauben an. "Warum...?"

Der Schwarzhaarige war herumgewirbelt, als sie gerufen hatte. Nun nahm er seine drohende Haltung wieder ein, verbarg sein Gesicht vor ihr. "Nun, meine kleine Sennaya, wie es kommt, kommt’s."

"Nein!", sie machte eine Geste mit ihrem Arm, als würde sie seine Worte verwischen. "Trage deinen blöden Spruch jemandem vor, der ihn hören will!" Sie war ehrlich wütend. Sie konnte es nicht glauben... hoffte immer noch, dass er nur sehr überzeugend sein kann.

"Nun, dann eben nicht. Celcine..." Er sah das blonde Mädchen charmant an, Sennaya erkannte es an seiner Kopfhaltung. Doch ehe er weiterreden konnte, liefen alle hinüber zu Lemiras, Celcine hinter sich lassend, sie schützend. "Alle stellen sich vor sie, damit ich ja nicht an sie herankomme. Ihr wollt sie beschützen. Niedlich." Er sah hoch über ihre Köpfe und grinste. "Ihr habt aber jemanden vergessen."

Krylon schoss hinab, packte Celcine und hob sie hinauf in die Lüfte, wo er sie auf eine Art Podium brachte und mit ihr verschwand. Ehe jemand reagieren konnte, erschienen hunderte Engelkrieger aus Portalen und sammelten sich hinter Jannual. Dieser sah sich erstaunt um. "Oh, sind wir also schon soweit." Er drehte Lemiras und den anderen den Rücken zu. "Habe ich es überzeugend genug rübergebracht, Senna-Kleines?"

Der Blick, den er über die Schulter hinweg Sennaya zuwarf, kannte sie... und sie war erleichtert, wie noch nie.

Alle anderen waren mehr als baff. Jannual kicherte, wandte sich wieder den Engeln zu, nahm seinen Schild vom Rücken, ging in Position... drehte sich um und griff Lemiras an. Es ging alles unheimlich schnell. Lemiras war am Boden, alle anderen wurden durch eine gigantische Druckwelle davon geschleudert.

Die Engelkrieger fassten dies als Zeichen zum Angriff auf und rauschten auf die zerteilte Gruppe zu.

Jannual hockte über dem weißhaarigen jungen Mann, welcher nicht mal dazu gekommen war, seine Schwerter zu ziehen. Er beugte sich hinunter zu Lemiras.

"Hör zu! All das muss durchgezogen werden, bis Nirugiel zu uns stößt. Kämpfe gegen mich, sag den anderen sie sollen sich um die Krieger kümmern. Sennaya weiß Bescheid." Er richtete sich wieder auf. Es war keine Zeit für weitere Erklärungen und Jannual konnte nur hoffen, dass Lemiras verstand.

Er sprang zurück und ging wieder in Angriffsposition. "Na los! Zeig mir, was Senna dir beigebracht hat! Oder hast du Angst? Kann ich auch verstehen, ich hätte auch Schiss gegen mich anzutreten." Er lachte schallend auf und sah aus dem Augenwinkel, wie Sennaya über einem niedergestreckten Engel Lemiras kaum merklich anlächelte und zunickte.

"Kümmert euch um die Krieger, ich schnapp mir den Verräter!", brüllte Lemiras darauf und wandte sich Jannual zu, welcher ihn mit auffordernden Gesten lockte. "Mach dich auf etwas gefasst, Mistkerl!" Jannual parierte Lemiras Schläge mit Leichtigkeit und ging zum Gegenangriff über, wobei er ihm schon in der ersten Runde um eines seiner Schwerter erleichterte. Er ließ Lemiras Zeit sich sein Schwert wiederzuholen. Der junge Mann hatte bemerkt, dass Jannual es ernster gestalten will und gab sich nun mehr Mühe.

Der vermeintliche Verräter lächelte. Hat ja doch was drauf, der Kleine.

 

Unterdessen versuchten die anderen an Jannual und Lemiras heranzurücken, außer Sennaya.

"Nein, lasst ihn nur machen! Es sind zu viele Engel, wir müssen Lemiras den Rücken frei halten!" Darauf schienen alle zu gehorchen.

Dann kam er, Nirugiel. Er stand auf dem Podium und erfreute sich am Geschehen zu seinen Füßen. "Celcine wird für die Fusion mit meiner Schwester vorbereitet! Endlich ist es soweit! Endlich, Sana! Zusammen werden wir absolute Herrscher dieser neuen Welt sein!"

Wenige der Gruppe sahen hinauf zu ihm, als sie gerade nicht dafür sorgen mussten, einem der Krieger die Federn zu rupfen.

"Jannual! Du hast deine Aufgabe gut gemeistert! Nun beschere ich diesem traurigen Haufen ein Ende!" Er ließ seine Flügel erscheinen, gab damit all seinen Mächten freien Lauf und landete mit einem Flügelschlag in der Mitte des Schlachtfeldes.

Jannual hatte Lemiras zurückgeschlagen und sich zu Nirugiel umgewandt. "Du bist ein glorreicher Herrscher, Nirugiel! Aber du bist nicht perfekt! Denn du hast einiges übersehen, zum Beispiel die Tatsache, dass ich den Plan umgeschrieben habe, sobald er aufgestellt war!" Sein Blick flog über das Feld zu all den anderen, die die letzten Krieger niedergestreckt hatten und zu den beiden sich gegenüberstehenden Engeln sahen. "Nun, es wird nicht das Ende dieser ehrenhaften Leute sein." Er richtete einen durchdringenden, bitterbösen Blick auf Nirugiel. "Aber deines, Mylord!" Und schon preschte er auf den Kopf der Organisation zu.

Sennaya rannte zu den beiden, doch Jannual hielt sie auf. "Nein! Seht zu, dass ihr Celcine da wegbekommt! Ich mach das schon!"

Auf halbem Wege wurde die Dämonin langsamer. Sie konnte ihn doch unmöglich... Andererseits sagte er in dieser einen Nacht, dass er als Engel wohl besser gegen Nirugiel ankommen würde, als alle anderen zusammen. Sie hatte trotzdem Angst...

"Okay!", rief Lemiras und erklomm die kleine Treppe zum Podium. Alle wollten ihm nach, doch ihnen wurde ein Strich durch die Rechnung gemacht, als Krylon mit Celcine erschien. "Was...?"

Ohne ein Wort zu sagen, ließ Krylon Lemiras und Celcine stehen, schwebte hinunter zu seinem Herrn und Jannual, um es dem Schwarzhaarigen gleich zu machen und Nirugiel zu attackieren.

Es rasten Blitze wie aus dem Nichts von der Decke, als Jannual sich für kurze Zeit zurückgezogen hatte. Die Blitze schlugen auf den Boden und sprengten große Risse hinein. Nirugiel bekam einiges ab, doch zu Boden gebracht hatte es ihn noch lange nicht. Dieser Kampf würde Tage dauern...

"Los, Leute! Auf zur Weltenvereinigung!", rief Sennaya und schickte einen Feuerball gen Nirugiel, welcher nicht recht zu wissen schien, wem er sich zuwenden sollte, denn insgesamt zehn Kämpfer hatten sich auf ihn gestürzt: zwei Engel, ein halber, ein Dämon, zwei Halbelfen und vier Menschen. Als es dem Ende zuging und Nirugiel ziemlich angeschlagen aussah, nahm Jannual sich die Ehre und erzeugte erneut eine Druckwelle, die alle von sich und Nirugiel wegschleuderte. Er brachte den Xistion-Anführer zu Boden, hockte sich auf ihn, hob das Schwert zum finalen Stoß...

"Sehr gut, mein Junge. Du bist groß geworden und zu einem hervorragenden Kämpfer herangewachsen." Nirugiel sprach mit der Stimme von Jannuals Mutter, was den Angesprochenen erstarren ließ. "Es ist soviel Zeit vergangen... Ich hätte sie so gerne mit dir verbracht, mein Schatz. Ich hoffe, dass du mir verzeihen kannst."

Jannual starrte auf den Engel hinab der unter ihm lag und stark blutete... Wie seine Mutter vor vielen Jahren am Boden lag und sich langsam eine Lache aus Blut um sie ausbreitete im weißen Schnee des ersten Winters in Relindeya.

"Ja, ich vermisse dich auch mein Junge. Aber ich bin auch stolz auf dich. Jedoch..." Seine Mutter wandte den Kopf zur Seite und sah zu Sennaya rüber, die sich gerade an eine Säule lehnte und versuchte aufzurichten. Sie hatte einiges abbekommen und das Wegschleudern hatte ihr ziemlich zugesetzt. "Du hast einen Fehler gemacht, Jannual. Sie ist der Fehler. Sie hat dich um den Finger gewickelt, dich dazu gebracht sie zu lieben. Dieses niedere Wesen... Weißt du, was in diesem Moment in ihr heranwächst? Ein Geschöpf, welches vor Niedertracht stinkt und sich windet in ihrem Leib, heranwachsend um der Welt eines Tages zu zeigen, was eine Bindung zwischen einem glorreichen Engel und einem widerlichen Dämon hervorbringen kann. Das willst du doch nicht, oder mein Junge? Du willst doch nicht dein Gesicht verlieren, du, als Retter dieser Welt und verehrter Auserwählter und Seraphim von Xistion."

Jannual sah wie mechanisch zu Sennaya rüber, die sich den Bauch hielt, als wäre ihr übel. Sie hatte in den letzten Tagen immer mal Bauchschmerzen und über Übelkeit geklagt. Konnte es wirklich sein?

"Ich werde dich vor dieser Demütigung bewahren, Jannual, mein Sohn. Ich werde dich von ihr befreien." Seine Mutter hob die Hand und schoss eine der klingenartigen Federn vom Handgelenk, mit welchen Nirugiel gekämpft hatte. Sobald Jannual diese Federn sah, erwachte er aus seiner Trance.

Die ganze Zeit über waren alle Geräusche um ihn herum verstummt, er sah hinab auf den Engel unter sich und sah seine Mutter... Seine Reaktion kam zu spät, als er sein Schwert hinunter in die Brust Nirugiels stieß. Genau in diesem Moment sah Sennaya zu Jannual hin... als sich die Klingenfeder in ihr Fleisch bohrte. Es durchdrang sie seitlich, durch den Unterleib und blieb auf der anderen Seite in der Säule stecken. Blut tropfte von der einst weißen Feder...

Impressum

Bildmaterialien: Cover: Alina Kröger
Tag der Veröffentlichung: 17.08.2010

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