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~**Prolog**~



Groonwaldts Erschaffung erblickt schon bald das Licht der Welt!


„Ein Experiment, eine Erschaffung, wie sie die Welt noch nie gesehen hat. Inspiriert durch die verschiedensten, seltsamsten Dinge, wie etwa Mythen, Fantasiefiguren, Legenden…
Ein Wesen sollte es sein, so fremdwirkend und irreal, dass die Menschen angesichts der Existenz ins Staunen geraten sollen.

Eine wissenschaftlich unglaubliche Mischung der menschlichen und tierischen Anatomie, Charaktereigenschaften und Fähigkeiten. Ein Wesen, wie es die Menschheit bisher nur aus Film und Literatur kennt.

Mit der Intelligenz des Menschen, den natürlichen Instinkten eines Tieres, dem Erscheinungsbild eines menschlichen Körpers verschmolzen mit dem einer Katze.

Den Körper eines Mannes soll es haben, die Sinne aber sollen die einer Katze sein, so scharf und ausgeprägt. Augen und Ohren der Katze verbunden mit dem Kopf des Menschen, den langen Reißzähnen einer Katze und die Fähigkeit lange Krallen wachsen zu lassen. Der Katzenschwanz soll ihm bessere Balance verschaffen und als starke Schlagwaffe gegen Feinde dienen. Schnelligkeit die die beste Kondition jedes Menschen übertrifft macht ihn unschlagbar. Das Hirn soll ausgeprägt und mit allem Wissen der Menschheit gefüttert werden. Er wird die Fähigkeit besitzen zu sprechen, sich aufrecht fortzubewegen, zu leben wie ein Mensch.“

Siebzehn Jahre ist es her, da der bisher unbekannte Professor Herold Groonwaldt dieses unglaubliche Experiment begann. Nun soll es bald soweit sein, seine Erschaffung neigt sich der Vollkommenheit zu. Die gesamte Welt soll daran teilhaben, wenn Professor Groonwaldt seine Erschaffung der Öffentlichkeit präsentiert.


Dieser Artikel nahm einst eine ganze Seite der regionalen Zeitung ein, zusammen mit einigen Bildern des Labors und der großen Kuppel in welcher ich geboren wurde.
Schon erschreckend seine eigene Anpreisung zu lesen. Aber es ist wahr.
Der Professor hat mich erschaffen, ein Wesen, wie es in jenem Artikel beschrieben wurde.
Ich weiß noch, wie alles angefangen hat.


~****~
Kapitel 1



Meine ersten Eindrücke waren wohl die Geräusche um mich herum. Ein leises Summen, das ebenso leise Blubbern der Flüssigkeit die mich umschloss... und die durch das dicke Kuppelglas gedämpfte Stimme meines Erschaffers. Ich wusste, dass es seine war. Ich konnte hören, hatte lange Zeit das Bedürfnis ihm zu antworten, mich mitzuteilen und zu sagen, wie dankbar ich wäre, dass er mir Leben schenkte... Aber wenn ich den Mund öffnete, drang kein Laut heraus und schrecklich schmeckende Flüssigkeit hinein. Die Augen konnte ich nicht öffnen. War ich zu schwach? Oder hatte ich vielleicht gar keine zu dieser Zeit?

Lange Zeit verging, ehe ich die freudigen Worte meines Erschaffers hörte, als ich schließlich meine Augen öffnete und winzig kleine Blasen emporsteigen sah.
„Es ist vollbracht! Öffne die Augen, mein Schöner! Jaaaaah!!!“
„Professor? Die Werte sind soeben eingetroffen...“
„Ja, ja, wunderbar, Kisha... ausgezeichnet.“ Der Professor warf einen Blick auf die Papiere in seiner Hand. Ich neigte ein wenig den Kopf, um vielleicht mehr zu sehen, jedoch war der Winkel nicht unbedingt anders. Seine Augen flitzten über dieses Papier und ein Lächeln bildete sich auf seinen Lippen.

Plötzlich blickte er auf, mich, seine Erschaffung, direkt an und seine Augen begannen zu strahlen. Er freute sich, das konnte ich spüren. Nur... worüber?
„Kisha, er ist vollendet...“, sagte er überwältigt und ballte die Hände zu Fäusten, dass die Papiere in seiner einen Hand zerknüllten.
„Professor? Soll ich das Wasser ab und ihn frei lassen?“, fragte die hübsche Frau hinter ihm und blickte zu mir hoch, mit einem Blick... der traurig, mitleidig wirkte.

Ein lautes Brummen ertönte. Es erschreckte mich ganz fürchterlich, wodurch ich mich streckte und gegen das Glas der Kuppel stieß, die mich von meinem Erschaffer trennte. Ich wollte raus aus diesem schrecklichen Ding und zu ihm... So straffte ich meinen Körper, all meine Muskeln bewegten sich unter meiner Haut und wuchsen. Diese Angst...
Die Wand wollte nicht nachgeben, sie war hart und glitschig, sodass meine Hände immer wieder abrutschten. Da, wieder dieses Blubbern, welches zu einem lauten Tosen wurde.
Die seltsame Flüssigkeit wurde abgepumpt. Sobald sie mir nur noch bis zur Hüfte ging, lösten sich mit einem leisen Klicken sämtliche Geräte von mir, welche mich bisher am Leben erhalten hatten.
Die Organe begannen selbstständig zu arbeiten.
„Sieh nur, Kisha! Er atmet! Er atmet!“, rief mein stolzer Erschaffer, der von dieser schönen Frau immer nur Professor genannt wurde.
Ich, die Erschaffung des Professors, war gelungen, ich lebte und richtete nun meine Augen auf eben jenen Mann, der es möglich gemacht hatte.
Ich spürte den Drang die Kuppel zu verlassen, also bewegte ich mich abermals auf das Glas zu, um die Hände dagegenzustemmen. Ich legte den Kopf schief, betrachtete den Untergrund, richtete den Blick wieder auf den Professor und bat stumm um Freilassung.
„Ganz ruhig, mein Schöner, jetzt kommst du frei“, sprach er sanft. „Kisha, öffne die Tür und lass ihn in den Käfig.“ Kisha tat, was ihr befohlen wurde, doch dieser mitleidige Ausdruck verschwand nicht. Ich verstand nicht, warum sie mich immer so ansah. Sie musste nicht traurig wegen mir sein, denn ich wurde ja frei gelassen!

Ich drehte mich erschrocken um, als sich neben mir mit einem lauten Surren eine Tür öffnete. Misstrauisch betrachtete ich diese, schlich langsam darauf zu und schnupperte nach Gefahren. Schließlich trat ich in den Käfig und hinter mir schloss sich, diesmal mit einem Krachen, die Tür zur Kuppel. Ich machte mich instinktiv klein, meine Augen huschten voller Furcht umher und ich begann schnell zu atmen.

Der Professor nährte sich dem Käfig.
„Du lebst tatsächlich. Du bist nun vollendet und wirst weltberühmt sein... schon sehr bald.“ Wieder dieses Funkeln und Strahlen in seinen Augen, welche mich ganz und gar betrachteten. „Kisha, ich will, dass Sie seine Fruchtbarkeit testen. Wenn er dazu in der Lage ist Nachwuchs zu zeugen... dann wird es eine ganz neue Rasse, eine viel bessere auf dieser Erde geben. Eine ganz neue Geschichte wird geschrieben werden!“
Die junge Frau nickte und entfernte sich leise, beinahe lautlos. Ich wandte den Blick vom Professor ab und folgte ihr, wie sie in der Ferne arbeitete. Als sie zurückkehrte, hielt sie ein langes Rohr in ihren zart weißen Händen und legte das eine Ende an den Mund. Der Professor hockte sich hin um mich besser betrachten zu können, was mich von der Frau ablenkte. Als ich wieder aufsah schoss in eben jenem Moment ein kleiner spitzer Pfeil aus dem Rohr, welcher mich an der Schulter traf und tief ins Fleisch drang. Ich riss den Mund auf und stieß ein ohrenbetäubendes Brüllen aus. Ich verstand nicht, warum sie das tat. Ich hatte ihr schließlich nichts getan, weswegen sie mir Schmerzen zufügen musste…

Der Schmerz ließ aber bald nach. Es wurde dunkel um mich herum. Ebenso dunkel, wie es war, als ich meine Augen noch nicht öffnen konnte. Sie hatte mich betäubt.


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Kapitel 2



Ein Summen drang an meine Ohren und ich öffnete die Augen. Doch schloss ich sie darauf gleich wieder. Ein viel zu helles Licht strahlte mir direkt ins Gesicht und es tat weh in den Augen. Ich drehte den Kopf zur Seite und machte sie wieder auf, ganz langsam, um erneuten Überraschungen vorzubeugen. Nun erblickte ich viele kleine Dinge, die mir Angst machten.
Plötzlich, als ich meinen Körper bewegen wollte, spürte ich wieder einen Schmerz, diesmal an Armen und Beinen und... Ich wollte mich befreien, nicht wieder eingesperrt sein. Der Tisch auf dem ich lag begann zu wackeln und zu klappern, als ich mich heftig darauf wand, um frei zu kommen.
Die Riemen an den Armen rissen, worauf ich mich an meinem Hals zu schaffen machte, um den dortigen Riemen zu entfernen. Sobald ich mich aufsetzen konnte, entfernte ich auch die Riemen an den Beinen und war somit frei.
Instinktiv begann ich meine Arme zu lecken, an den Stellen, an denen die Riemen ins Fleisch geschnitten hatten und welche leicht bluteten.

Laute Schritte ließen mich dann aufblicken und von meiner Wundheilung innehalten. Die schöne Frau kam herein, mit weit aufgerissenen Augen und schrie.
„Mein Gott, Professor! Er hat sich befreit, er ist aufgewacht und hat sich befreit!“, rief sie laut. Es dröhnte in meinen Ohren und ich legte sie flach an den Kopf. Ihre Stimme machte mir Angst. Ich sprang auf den Boden und duckte mich, kampfbereit hob ich die Arme und ließ meine langen Krallen aufblitzen.
Viele Menschen kamen herein, mit Gewehren bewaffnet. Ich spürte die Angst einer unheimlichen Wut weichen. Mir wurde heiß und kalt zugleich, meine Muskeln wuchsen wieder und ich riss den Mund auf, in welchem sich lange spitze Zähne befanden und fauchte gefährlich in ihre Richtung.
Die Menschen riefen wild durcheinander und ich wusste nicht was ich tun sollte. Mein Erschaffer, mein Vater, kam herein und befahl den anderen Menschen die Waffen sinken zu lassen, ich würde ihnen nichts zuleide tun. Ich schloss den Mund wieder und ließ die krallenbesetzten Hände sinken. Ich war glücklich, frei zu sein, meinem Erschaffer in vollkommener Freiheit gegenüber zu stehen. Freudig richtete ich die Ohren wieder auf, sah ihn direkt an.

Professor Groonwaldt kam auf mich zu, ganz langsam und hatte die Hand erhoben, den anderen Menschen Einhalt zu gebieten, welche ihm unbedingt folgen wollten. Sie dachten wirklich, ich würde dem Professor etwas antun wollen, doch das wollte ich nicht. Langsam, zutraulich, ging ich ihm entgegen. Ich vertraute ihm, denn er schien mich zu lieben. Sonst würde er sicher nicht darauf bestehen, dass die anderen sich zurückhielten und mir nicht wehtaten.
Plötzlich vernahm ich eine starke Bewegung hinter mir… Ich drehte mich um mich selber, um das ins Auge zu fassen, was diese Bewegungen verursachte. Dies war der Augenblick, da ich zum ersten Mal bewusst und erstaunt meinen weichen, buschigen Katzenschweif wahrnahm. Den Kopf verwundert schief gelegt betrachtete ich dieses neu entdeckte Körperteil und achtete nicht auf den Professor, welcher vorstürzte und meinen Schweif direkt an der Wurzel packte worauf mein Körper erstarrte. Ich konnte mich nicht mehr bewegen, verstand nicht warum. Zudem war es mir sehr unangenehm. Ich blickte panisch zu meinem Erschaffer hoch, welcher grausam und siegessicher grinste.
Am Schweif riss er mich zu Boden und legte sich auf mich. Lautes Rufen hallte aufs Neue um uns beide herum. Ich versuchte mich aus dem Griff des Professors zu befreien.
Viele Menschen sammelten sich. Darunter auch die schöne Frau, mit diesem langen Rohr, wie zuvor schon. Wieder setzte sie es an den Mund... Doch ich wusste nun, was sie vor hatte und was dieser Pfeil in dem Rohr mit mir machte.
Ein Grollen entfuhr meiner Brust. Ich stieß mich mit den Beinen vom Boden hoch, bekam die Arme frei und warf meinen Erschaffer auf die anderen Menschen. Die Frau fiel zu Boden, verlor das Rohr, das auf mich zugerollt kam. Ich nahm es hoch, sprang auf die Beine und schlug mit dem Rohr die anderen Menschen. Ich hörte nichts mehr, sah nur noch unendlich viele Menschen auf mich zukommen. Ich riss die Augen auf, vernahm wieder etwas... Lautes Knallen und viele kleine Stiche in meinen Beinen. Sie brannten und ich konnte kaum noch stehen. Doch hatte ich zu große Angst und sprang mit aller Kraft auf den Tisch zurück. Weiteres Knallen, laute Befehle, die mein Erschaffer den anderen zurief. Er wollte nicht, dass sie mir etwas antun... Ich wunderte mich über sein Verhalten. Niemand sollte mir etwas antun… doch er selber schien es noch immer vor zu haben.

Ich knurrte, sprang wieder und flog über die Menschen hinweg. Ich kam wieder zu Boden, alle Menschen rannten auf mich zu, riefen laut um sich, und das Knallen nahm kein Ende. Ich rannte durch die Tür vor mir, in einen langen Gang, durch den ich einen Raum erreichte, den ich kannte... sehr gut kannte. Diese große gläserne Kuppel, in welcher ich geboren wurde, in der ich lebte. Ich wollte nicht mehr hier sein. Wollte meinen Erschaffer niemals wiedersehen...

Ich lief weiter, schneller als zuvor und erreichte erneut einen großen Raum. Nur einige Menschen waren dort und schrien. Sie hatten Angst vor mir, das konnte ich spüren und riechen.
Sie liefen weg, durch eine weitere Tür, welche sich von alleine schloss. Ich lief darauf zu, aber die Tür ging nicht auf. Sie blieb verschlossen. Die Menschen mit den Waffen kamen hinterher, ich musste fliehen! Also stieß ich meine Krallen in den Schlitz, welchen die Tür hatte und versuchte sie wieder zu öffnen. Es tat weh und ich schrie vor Schmerz, doch konnte ich fremde Gerüche durch den Schlitz vernehmen. Ich spannte abermals meine Muskeln an und der Schlitz wurde größer, bis er so groß war, dass ich hindurch passte. Die Menschen, die mich verfolgten, kamen heran und riefen wieder. Doch ich war schon hindurch und die Tür schloss sich wieder.

Es war kalt, sehr kalt und so schlang ich meine Arme um meinen nackten Oberkörper. Die Tür begann zu summen. Ich erschrak und setzte wieder zum Laufen an, aber meine Beine sackten unter mir zusammen. Dort, wo ich gestanden hatte, war eine große nasse und rote Fläche. Ich blutete aus meinen Beinen, das sah ich. Die Angst in mir ließ mich trotzdem weiterlaufen, weiter, immer weiter. Es war dunkel und kalt und nass.

Doch als ich das große Gelände überquert hatte, ragten die langen dünnen Stäbe vor mir auf, welche mich vor einiger Zeit schon von meinem Erschaffer trennten. Wieder umfasste ich sie und rüttelte daran, aber sie rührten sich nicht. Ich konnte auch nicht hindurchgehen, so sehr ich es versuchte. Ich sprang daran hoch, da ich das Ende weit über mir entdeckte. Doch gelang es mir nicht so weit hochzukommen, dass ich darüberspringen konnte. Die Menschen kamen. Wieder knallte es laut um mich herum und wieder wurde ich getroffen, diesmal in die Seite meines Körpers. Es tat noch heftiger weh, als die Stiche in den Beinen, aber es war die gleiche Art von Schmerz.

Ich wollte unbedingt da hoch und rüber, ich musste doch fliehen... Ich sprang noch einmal und diesmal gelang es mir über die Gitterstäbe zu kommen. Ich kam auf den Boden und lief so schnell ich konnte, mit den wunden Beinen über weite große Wiesen. Überall war es dunkel und der Schmerz wurde schlimmer; ich musste langsamer gehen. Bald hörte ich nicht mehr das Knallen oder die vielen lauten Rufe der Menschen. Ich versuchte zu laufen, aber es wurde immer schwerer. Schmerzen waren das einzige was ich spüren konnte. Ich sah an meinem Körper herab und stellte fest, dass die Wunden nicht mehr bluteten. Im Gegensatz zu der Wunde an meiner Seite… Ich lief weiter, weiter, immer weiter, ganz egal wie schwer es mir fiel.

Nach langer Zeit gelangte ich in einen Wald, hier war es noch viel dunkler. Ich war müde, mir war kalt und ich hatte Schmerzen, überall. Ich sank zu Boden und spürte nichts mehr, legte nur noch meinen Schweif, welchen ich entdeckt hatte, über meinen Körper. Schneller und schneller sog ich den Sauerstoff in meine Lungen, was mir so gut getan hatte, als ich aus der Flüssigkeit kam. Doch nun tat es weh… und bald bekam ich auch dies nicht mehr mit... alles wurde dunkel.


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Kapitel 3



„Nachrichten am Morgen. Es ist 7:00 Uhr, mein Name ist Sylvia Schmitd. Es liegt eine wichtige Meldung vor!

Das große, bisher geheimgehaltene Experiment des Professor Groonwaldt soll gestern Abend gegen 19:57 Uhr das Licht der Welt erblickt haben. Jedoch gab es einige Komplikationen. Es konnte fliehen und soll für die gesamte Bevölkerung eine große Gefahr darstellen. Bürger Huivas und Umgebung seien daher gewarnt, die Häuser unter gar keinen Umständen zu verlassen und alle Fenster und Türen zu verriegeln.

Um das geflohene Experiment soll es sich um eine gewagte Kreatur handeln, welche der Professor als Anthropomorphis Felidae bezeichnet. Es hat die Gestalt eines jungen Mannes, ist etwa 1,90m groß, besitzt einen langen buschigen Schwanz, tiergleiche Ohren und Pfoten statt menschlicher Ohren und Füße und krallenartige Hände, welches es durchaus als Waffe nutzen kann. Aufgrund schlimmer Verletzungen kann es aggressiv und gefährlich für jeden sein, also verlassen Sie nicht die Häuser!“

Meshia joggte wie jeden Morgen durch die Stadt Richtung Wald. Die Warnung aus Fernsehen und Radio hatte sie nicht mitbekommen, viel zu früh war sie aus dem Haus.

Genervt nahm sie ihr Handy zur Hand, welches beinahe ununterbrochen vibrierte und schaltete es aus. Sie hatte nun absolut nicht den Nerv zu telefonieren, wo sie vollkommen aus der Puste war und sich ganz und gar auf ihren Morgensport konzentrieren wollte.

Endlich verließ sie die Stadt und steuerte einen Feldweg an, welcher von der, im Normalfall, belebten Straße wegführte, hinaus in die Natur.

Seltsam, heute Morgen bin ich kaum einer Menschenseele begegnet, dachte sie verwundert und blickte auf die Uhr. Es war gerade 7:48 Uhr. Um diese Zeit sind die meisten Leute auf dem Weg zur Arbeit, die Läden öffneten allmählich und der Verkehr lässt die Straßen ersticken. Doch heute war nichts von alle dem der Fall gewesen.

Sie schüttelte den Kopf und machte sich darüber keine Gedanken mehr, als sie auch schon den Wald erreichte und ihren gewohnten Weg einschlug.

~****~



Schritte. Ich hörte Schritte, die schnell auf mich zukamen. Ich versuchte mich zu bewegen, doch schmerzte mein gesamter Körper zu sehr, als das ich mich hätte erheben können. Ein leiser Laut entfuhr meiner Kehle und ich musste der Schmerzen wegen schneller atmen... doch tat auch das noch immer sehr weh. Es war recht laut und die Schritte wurden langsamer und verstummten vollends. Ich fragte mich warum. War es ein Mensch, der dort kam? Ich mochte diese Vorstellung nicht, denn ich hatte die Erfahrung gemacht, dass Menschen böse waren, dass sie mir Schmerzen bereiten.

Die Schritte waren wieder zu hören, langsam und... zögerlich. Es war ein Mensch, das konnte ich nun wittern; ein weiblicher Mensch. Er riecht wie die Frau, die mir eigentlich nichts Böses wollte und es doch getan hatte. Noch immer konnte ich mich nicht bewegen, nicht einmal den Kopf wenden.

Ganz plötzlich sah ich sie, wie sie die Hände vor den Mund schlug, um einen erschreckten Schrei zu unterdrücken. Ihren Augen konnte ich entsehen, dass sie Ängste litt und kurz vor einem panischen Ausbruch stand. Ich begann zu knurren und drohte ihr mit meinen langen Zähnen. Es wirkte, denn sie wich zurück. Trotz dieser Wirkung versuchte ich mich erneut zu erheben, schaffte es aber noch immer nicht und sank mit einem jämmerlichen Laut wieder zu Boden. Die Frau blieb stehen und starrte mich unentwegt an. Ich starrte zurück und knurrte wieder, doch ging es in einen erneuten Laut des Schmerzes über.
Die Frau ließ langsam ihre Hände sinken; ihre Angst schien zu schwinden. Sie roch nach etwas, was ihr Körper auszustoßen schien und es roch nicht gut. Immer noch sah sie mich an, mir direkt in die Augen. Aus irgendeinem Grunde versuchte sie nicht mehr zu fliehen. Ihr Gewissen arbeitete gegen ihren Verstand instinktiv vor einem unbekannten Wesen zu fliehen, welches gefährlich wirkte. Ich beobachtete sie ganz genau. Ihr Körper schien fliehen zu wollen. Sie wandte sich um, im Begriff zu laufen, doch wendete sie den Kopf mir wieder zu und ließ die Augen über meinen Körper wandern. Ganz plötzlich erschien ein ganz anderer Ausdruck in ihren Augen. Nichts panisches mehr schien ihnen innezuwohnen, stattdessen erschien ein... sorgenvoller Ausdruck. Sie drehte sich wieder zu mir um, ging einen Schritt auf mich zu, blieb dann aber wieder stehen. Mit verschiedenen Gefühlen ringend nährte sie sich mir Schritt für Schritt, bis sie schließlich unmittelbar vor mir stand und zu mir runtersah. Ich startete einen neuen Versuch mich aufzurichten, doch brachen nun auch meine Arme unter dem Gewicht meines Körpers zusammen und ich fiel wieder zu Boden. Nun knurrte ich aus reinem Schmerzempfinden. Hätte diese Menschenfrau den Wunsch mir etwas anzutun, hätte sie nun die Gelegenheit dazu; ich war zu erschöpft, mich zu wehren. Doch tat sie nichts anderes, als sich hinzuhocken, ihre Hand auszustrecken und - meinen Körper zu berühren! Ich zeigte erneut meine langen Zähne und schnappte nach ihrer Hand, denn ich fürchtete mich nach all dem, was mir widerfahren war.

Sie schrie auf und fiel zurück auf den Boden, wo sie schnell von mir wegrutschte. Ich vernahm meinen eigenen Schmerzensschrei und kniff die Augen zusammen. Die Frau hielt sich ihren Arm auf dem sie tiefe Wunden meiner Zähne hatte. Sie blickte trotzdem auf, kroch auf Knien und Händen auf mich zu und setzte sich vor mich hin. Sie schien erkannt zu haben, dass ich mich kaum bewegen konnte, denn sie ließ sich so weit von mir nieder, dass ich sie nicht erreichen konnte, ohne hochzukommen. Ich sah sie an, verwirrt. Wieso lief sie nicht davon? Sie ist so verletzlich, ich könnte sie mit einem Hieb meiner Krallen töten… oder sie mich, denn ich konnte mich noch immer kaum bewegen.

Die Frau hielt sich wieder ihren Arm, lächelte mich jedoch an, als würde sie diesen ziehenden Schmerz ihres Armes gar nicht spüren. Wenn ich sie nur genauer anschaute, würde ich wissen, dass sie lange nicht solche Schmerzen wie ich fühlte, trotzdem welche hatte.
Tatsächlich lächelte sie... freundlich... voller Sorge... Um mich?

Lange saß sie einfach nur da und blickte mich an, ließ ihre Augen langsam über meinen Körper wandern und traf schließlich wieder auf meine Augen. Ich spürte meinen Körper inzwischen kaum noch, alles schien taub und gefühllos zu sein. Ich verzweifelte und fragte mich, warum mir mein Vater dieses Leben schenkte, wenn er mir doch solche Qualen bereitete.

Ich fühlte mich schwach, müde und wund. Die Frau, die noch immer bei mir saß, hörte auf zu lächeln, streckte wieder ihre Hand zu mir aus... Ich ließ aus irgendeinem unerklärlichen Grund zu, dass sie mich berührte. Sie strich mit den Fingern über meine Hand, meinen Arm hoch, über meine Schulter, meinen Hals und dann-
Diesmal schlug ich mit meiner krallenbesetzten Hand nach ihr. Sie zog sie schnell zurück. Ich hoffte sie nahm es auf, wie ich es meinte. Ich wollte nicht, dass sie mein Ohr berührte, welches als einziges von beiden erreichbar war. Meine Ohren waren doch besonders empfindlich. Sie lächelte wieder, zögerlich, doch tat sie es. Sie verstand es, wie ich es meinte.

Ich konnte die Augen kaum noch offen halten. Die Frau verschwamm stetig, bis ich gerade noch ihre Umrisse ausmachen konnte. Sie stand auf, langsam, als wolle sie mich nicht erschrecken... das tat sie nicht, ich hatte mich an sie gewöhnt. Es ging keine Gefahr von ihr aus. Ich brauchte mich nicht fürchten.

„Was auch immer du sein magst, ich werde dir helfen“, sagte sie leise zu mir. „Warte hier auf mich, ich werde zurückkommen. Du darfst dich nicht rühren, niemand darf dich entdecken, sonst bist du bestimmt in Gefahr.“ Ich verstand sie, war aber nicht in der Lage, es ihr zu zeigen. Ich schloss die Augen... ein gutes Gefühl überkam mich... alles wurde dunkel und still.


~****~
Kapitel 4



Meshia lief so schnell sie konnte nach Hause. Es war, seit sie dieses seltsame Wesen gefunden hatte, eine Stunde vergangen. Sie war leicht verstört, hatte sie doch noch nie ein solches Wesen gesehen. Sicher würden die Menschen es fangen wollen, um an ihm herumzuexperimentieren-
Moment, unterbrach sie sich in Gedanken. Experiment... Hatte dieser Groonwaldt nicht etwas Derartiges vor? Konnte es denn angehen, dass dieser junge Mann, dieses... Etwas, eben dieses Experiment war?

Sie versuchte mit aller Kraft diesen Gedanken zu verwerfen. Er brauchte Hilfe!

Ihr Arm blutete noch immer, nur nicht mehr so stark, da sich ein Wundschorf gebildet hatte. Trotzdem brannte es unerbittlich.

Als sie zu Hause ankam, wunderte sie sich wieder über diese seltsam leeren Straßen und Gehwege. Kein Mensch schien noch hier zu wohnen; alles war still und schien wie ausgestorben. Meshia blieb wie angewurzelt stehen, als ihr klar wurde, dass dieses Wesen da draußen tatsächlich das Experiment war, an welchem Professor Groonwaldt schon seit gut achtzehn Jahren arbeitete. Es standen ständig Berichte in Zeitungen, es wurden Interviews mit dem Professor durchgeführt, in denen er immer wieder beteuerte, die Welt solle sich überraschen lassen. Meshia hatte von seinem Vorhaben ganz und gar nichts gehalten. Warum auch? Dieser junge Mann... was musste er ausgestanden haben? War er einmal ein Mensch gewesen? Nun ist er eher eine Mischung aus Tier und Mensch...
Er hatte lange spitze Reißzähne, lange scharfe Krallen und ein Schweif, einer Katze gleich, den er über den Körper gelegt hatte, als wolle er sich warm halten.

„Was hat sich dieser widerliche Professor dabei nur gedacht!?“, fragte sie sich selbst, voller Hass auf den Erschaffer dieses armen Wesens draußen im Wald. Sicher hatte er gar keine Ahnung, wozu er lebte. Der Professor hatte nichts anderes im Sinn, als Geld und Ansehen, angesichts seines Erfolges ein Wesen zu schaffen, welches denken wie ein Mensch und zugleich überleben wie ein Tier konnte. Er hätte sein Experiment ausgestellt, den Menschen in einem Käfig präsentiert...
Meshia wurde übel bei dem Gedanken. Solche Menschen sollte man wegsperren, dachte sie sich und verarztete erst einmal ihren Arm. Dann packte sie einiges an medizinischen Dingen ein, um auch das Schlimmste von ihm verarzten zu können. Auch etwas zu Essen packte sie ein, von allem etwas, sie wusste ja nicht, was er mögen würde.

Sie warf alles in ihren Wagen und fuhr wieder zum Wald. Sehr weit konnte sie nicht hineinfahren, da der Weg bald schon aufhörte, aber dieses Stückchen konnte sie auch laufen.


~****~



Ich wachte wieder auf. Ein Brummen war schuld daran, ein Brummen, ähnlich den seltsamen Geräten in dem Raum, in welchem ich zum ersten Mal meine Augen öffnete. Ich bekam Angst und wollte fliehen, als auch noch ein lautes Knallen an meine Ohren drang. Jedoch konnte ich mich immer noch nicht bewegen... als ich schon Schritte hörte. Einen Laut den ich kannte, der mir bekannt vorkam. Es war... die Frau, die schon mal hier war. Ich freute mich und hob nur ein wenig den Kopf. Es verursachte Schmerzen im Nacken, doch hielt ich durch, bis sie um die Ecke kam. Irgendetwas hielt sie im Arm, etwas Großes. Ich witterte Nahrung... Ja, ich hatte Hunger. Sie hatte an meine Ernährung gedacht. Ich mochte sie.

„So, da bin ich wieder“, sagte sie und hockte sich vor mich hin, wie beim ersten Mal. Ich ließ den Kopf wieder auf den Boden sinken. Meine Kräfte ließen stetig nach. „Du hast doch sicher hunger, hm? Ich habe dir etwas mitgebracht.“ Sie zog ein Päckchen nach dem anderen aus der Tasche und legte sie mir in Reichweite hin. „Kannst dir nehmen, was du möchtest. Ich hoffe du magst irgendetwas davon.“ Ich mochte es bestimmt, alles roch wirklich gut. Ich nahm mir eines der Päckchen, riss es mit den Zähnen auf und aß. Ein leiser Laut der Zufriedenheit entfuhr mir. Die Frau sah zu mir runter und lächelte wieder, wohl glücklich, dass ich es mochte. Ich sah zu ihr hoch, stellte das eine Ohr auf und zwinkerte ihr zu. Das ließ sie noch mehr lächeln. Sie lachte sogar kurz auf. Ich freute mich. Sie war sehr nett.

„Du, ich werde mir jetzt deine Wunden ansehen, okay? Ich meine, die müssen unbedingt verbunden werden. Da wir mit dir aber nicht zu einem Arzt gehen können, musst du dich mit meinen Künsten zufrieden geben. Also, ich fange jetzt an“, sprach sie beruhigend zu mir. Ich verstand sie ganz genau.
Ich wollte mich ihr mitteilen, wusste aber nicht wie.
Ich hatte meinen Erschaffer des Öfteren eine Kopfbewegung machen sehen, die er immer tat, wenn ihm eine Frage gestellt wurde. Also schüttelte ich, so gut es auf dem Boden ging, den Kopf, in der Annahme, meine Zustimmung zu zeigen. Die Frau sah mich verwirrt an, sie runzelte die Stirn.
„Nicht? Soll ich noch warten? Aber es entzündet sich bestimmt bald... Wir müssen schnell handeln.“ Ich merkte, ich hatte die falsche Bewegung von mir gegeben. So bewegte ich den Kopf hoch und runter, ebenfalls eine Bewegung meines Erschaffers, nach einer Frage seiner Assistenten. Sie lachte wieder kurz und erschreckend hell auf. „Okay, dann mal los!“ Sie begann mit den Wunden an meinen Beinen und schien dabei eingehend meine Pfoten zu begutachten. Es schien ungewohnt für sie zu sein, sehe ich doch so ganz anders aus, als ein Mensch.

Sie schraubte etwas auf. Ich verzog mein Gesicht, da es ganz erbärmlich stank. Ich fuhr mir mit meiner Hand über die Nase; sie tat weh. Sie tat etwas von der Flüssigkeit die so stank auf ein Tuch, sah kurz zu mir und lächelte mich an. „Das tut jetzt bestimmt ganz schön weh, aber es wirkt desinfizierend und wundheilend.“ Ich versuchte zu verstehen, was sie mit desinfizierend meinte. Sie legte das Tuch auf eine meiner Wunden. Ich schrie auf und zog das Bein weg, was den Muskelschmerz verstärkte. Schnell war sie zurückgewichen und blickte mich erschrocken an.
Ihr Blick entspannte sich wieder, doch als sie zu ihrer Heilung zurückkehren wollte, erschrak sie erneut, schlug die Hand über ihre Augen und wandte sich ab. Ich schaute sie verwirrt an, verstand nicht, warum sie so reagierte.
Sie griff mit ihrer anderen Hand über meinen Körper, nach meinem Schweif hinter mir und legte ihn wieder über meinen Körper. Er war heruntergerutscht, als ich mein Bein zurückzog. Sie schnaubte leise und löste ihre Hand von ihren Augen. „Mensch, hättest du mir nicht sagen können, dass du rein gar nichts an hast!?“, rief sie mir entrüstet ins Gesicht, dass ich die Augen aufriss und nicht recht wusste, was sie damit meinte. Sie sagte Mensch… aber ich war keiner. Ich war anders.

Ich wurde dieser Erkenntnis wegen traurig und richtete die Augen auf den weit entfernten Himmel. Der Himmel war schön, wenn er so blau war. Beim letzten Mal war er schwarz, ganz dunkel und erdrückend. Man nannte es Tag und Nacht...
„So, jetzt hältst du aber still, klar? Es muss gereinigt werden, denn sonst entzündet es sich und schmerzt noch stärker, als jetzt.“ Ich nickte wieder, um zu zeigen, dass ich einverstanden war.

Es war schwer, aber ich hatte es überstanden. Meine Beine, meine Arme und meine Mitte waren fest mit weißem Tuch eingewickelt. Die Frau sagte, es würde so kein Schmutz in die Wunden kommen. Die gesamte Zeit über, wo sie mich einwickelte, musste ich meinen Schweif über meinen Unterleib halten, da sie es so wollte. Ich fragte mich warum.
„Gut, dann werden wir jetzt mal versuchen aufzustehen...“, sagte sie, stand selber auf und trat hinter mich. Sie nahm mich an der einen Schulter und schob die andere Hand unter die Schulter, die schon so lange auf dem Boden lag und besonders schmerzte. Sie versuchte mich hochzuheben, schaffte es alleine jedoch nicht. Ich wollte ihr helfen und stützte mich mit meinen Armen ab. Wieder durchzog mich dieser Schmerz, doch biss ich diesmal die Zähne zusammen und blieb still. Als ich schon einmal saß, schob sie ihre Arme unter die Meinen und hob mich vollends hoch. Ich hatte große Probleme zu stehen, hatte das Gefühl gar keine Beine zu haben. Schließlich klappte es doch wirklich gut.
„Nun, wir werden jetzt zu meinem Auto gehen und zu mir nach Hause fahren, wo du dich dann ausruhen und gesund werden kannst.“

Ich sollte erfahren was sie mit einem Auto meinte. Es war ein komisches rotes Etwas, sehr groß und es glänzte. Sie öffnete es und half mir, mich hineinzusetzen, wobei sie es vermied mich anzusehen. Ich verstand noch immer nicht, warum. Dann verschwand sie noch einmal, um all die Sachen zu holen, die noch dort lagen, wo ich gelegen hatte.

Als sie wiederkehrte schlug sie die Tür auf meiner Seite zu, was dieses Knallen verursachte, welches mich erschreckt hatte und auch nun wieder erschreckte. Ich begriff aber im gleichen Moment, dass ich keinen Grund zur Panik hatte. Sie setzte sich schließlich neben mich und reichte mir eine Decke, die ich mir um den Körper legen sollte. Ich lehnte mich etwas nach vorne und wickelte mich in der Decke ein. Es fühlte sich angenehm an und ich tat das Gleiche mit dem Mund, was sie immer gemacht hatte; ich lächelte sie an. Sie schien erstaunt und lächelte auch. Ich fühlte mich wirklich wohl bei ihr.
Sie drehte etwas und dieses Brummen ertönte, nun aber noch lauter. Ich spürte das Vibrieren unter mir und ich wusste nicht recht, wie ich damit umgehen sollte. Ich fauchte und krallte mich in der Decke fest. Die Frau legte schnell eine Hand auf mein Bein.
„Ganz ruhig, das ist normal und es wird dir nichts zuleide tun“, sagte sie, wieder mit dieser beruhigenden Stimme. Meine Augen huschten umher, auf der Suche nach irgendeiner Gefahr, doch schien sie Recht zu haben, denn es war nichts Verdächtiges zu erkennen. Sie nahm ihre Hand zurück und legte sie an dieses runde Etwas vor ihr. Das Auto, in dem wir saßen, setzte sich in Bewegung. Ich erschrak wieder, beruhigte mich aber, als ich ihren ruhigen Blick bemerkte.

Sie schien es zu steuern, doch verstand ich nicht genau, wie. Sie betätigte lediglich das Rad vor ihr, einen komischen Schalter zwischen uns beiden und ihre Füße drückten etwas hinunter, von Zeit zu Zeit wechselten sie die Plätze. Ich legte den Kopf schief, bezweifelte, dass ich es je verstehen würde. Die Schmerzen hatten nachgelassen, nur teilweise zog ein heißes Stechen durch meinen Körper.



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Kapitel 5



Die Frau steuerte das Auto über breite Wege und an vielen Häusern vorbei, in welchen wohl viele Menschen lebten. Sie sagte mir, ich solle meine Ohren angelegt lassen, sollte sich einer der Menschen draußen herumtreiben, der mich sehen und sich wundern könnte, welch seltsame Ohren ich habe. Ich tat es.

Schließlich bog sie vor einem Haus ein und blieb stehen. Das Brummen und Vibrieren hörte auf und ich richtete die Ohren auf, um mich zu vergewissern. Sie stieg aus und kam auf meine Seite, wo sie mir öffnete und ich vorsichtig aufstand. Meine Muskeln taten immer noch ganz schrecklich weh, wenn ich mich zu sehr bewegte und meine Beine drohten erneut wegzusacken. Aber durch reine Willenskraft konnte ich mich halten und ging neben ihr her. Sie schloss die Tür auf und ging hinein. Ich folgte ihr.

„So, das ist mein Haus, ich habe es damals von meiner Oma geerbt“, erzählte sie mir und führte mich in einen Raum, den ich sofort mochte. Ich blickte mich trotzdem wachsam um. Sie ließ mich auf dem Ding sitzen, dessen richtige Bedeutung, also Sofa, ich eigentlich erst viel später erfuhr, und verschwand schnell, um bald darauf zurückzukehren, mit einigen Kleidungsstücken. „So, mein Lieber. Jetzt wirst du dir bitte erst einmal etwas anziehen“, sagte sie zu mir und hielt mir die Kleider hin. Ich sah sie nur an und witterte einen angenehmen Geruch, der davon ausging. Es roch nach... Blumen. „He, nicht nur gucken, anziehen!“ Sie ließ es auf meine Beine fallen und ich sprang auf, dass es zu Boden fiel. Ich knurrte. Ich wusste nicht recht, warum ich das anziehen sollte… was war überhaupt anziehen?
Ich sah sie an, wusste wirklich nicht, was ich damit anfangen sollte. Sie trug auch Kleidung, nur sah die am Boden ganz anders aus, als ihre. Mein Erschaffer hatte auch solchen Stoff am Leib gehabt, nur sah seins noch einmal ganz anders aus. Ich sah zu der Frau, die ihre Arme an ihre Seiten gestemmt hatte. „Sag mal, hast du etwa keine Ahnung, was du damit anfangen sollst?“, fragte sie mich und ich überlegte. Ich war nicht der Meinung, dass ich wusste, was ich damit sollte, also schüttelte ich den Kopf. Sie verdrehte die Augen, hob die Kleidung auf und legte sie auf das helle Sofa, auf dem ich gesessen hatte. „Okay... dann werde ich dir eben helfen...“ Sie schien zu zögern und ich spürte, dass sie verlegen war. Sie ging weg und kam mit etwas Spitzem zurück. „Keine Angst, das ist eine Schere. Wir müssen Löcher in die Hosen schneiden, wegen deinem Schweif“, erklärte sie und deutete dabei auf diesen. „Dann... leg die Decke mal zur Seite.“ Ich sah sie fragend an. Decke?

(Ich wusste zu dieser Zeit wirklich nicht, was eine Decke oder Kleidung war. Ich war in dieser Hinsicht wie ein kleines Kind und sie wie eine Mutter für mich. Nun kann ich über meine damalige Dummheit nur lachen.)



Sie lächelte aber, immer noch recht verlegen. „Ja, ähm... Wahrscheinlich verstehst du einige Begriffe nicht.“ Sie legte die Hände auf den Stück Stoff, den ich um mich geschlungen hatte. „Das ist eine Decke, verstehst du? Eine Decke. Und das hier“, sie hob den Haufen Stoff hoch, den sie mitgebrachte hatte, „das ist Kleidung, oder Kleidungsstücke. Die ziehst du an, um dich warm zu halten und nicht nackt herumlaufen zu müssen, okay?“ Sie sah fragend zu mir auf. Ich nickte, doch ganz verständlich war mir ihre Erklärung nicht, denn mir war warm und dass ich nackt war, machte mir nichts aus, ich war es gewohnt.

Nachdem sie einige winzige Stücke aus der Kleidung geschnitten hatte, sagte sie: „Also, gib mir bitte die Decke.“ Sie hielt mir ihre Hand hin und ich gab ihr die Decke. Dann nahm sie eines dieser Kleidungsstücke und zeigte es mir. „Das hier nennt sich Unterhose, ja? Das ist meines Erachtens das Wichtigste... Du... du ziehst es... Also die Beine kommen hier durch“, sie deutete auf zwei Löcher im Stoff, „und dann ziehst du es hoch, bis es nicht mehr weiter geht.“ Sie gab mir schnell die Unterhose und drehte sich um. Ich starrte den Stoff an und drehte ihn etwas. Dann tat ich, wie geheißen und zog es so weit hoch, bis es nicht mehr ging. Allerdings musste ich meinen Schweif nun sehr unangenehm halten, was mir nicht passte. Schließlich erinnerte ich mich, dass sie dieses Loch extra für diesen geschnitten hatte und fädelte ihn eben dort hindurch. Nun war es besser. Ich blickte auf und sie an. Aber sie drehte sich noch nicht um, also stupste ich sie an. Darauf drehte sie sich um und lächelte zufrieden. „Gut gemacht, dann können wir also fortfahren...“

Bald hatte ich die gesamte Kleidung am Leib, die sie mitgebracht hatte. Ich fühlte mich eingeengt und unwohl. Sie schien meine Gefühle zu bemerken, denn sie sagte: “Tja, so muss das leider sein. Ich kann mir vorstellen, dass es dir missfällt, da du es nicht gewohnt bist. Ich bin froh, dass ich noch die Sachen von Kamyar hier habe...“ Ich setzte mich mit einem missfallenden Knurren auf das Sofa. Sie setzte sich neben mich, griff nach einem kleinen schwarzen Etwas und drückte darauf. Wieder erschrak ich, als Stimmen aus einer kleinen Kiste kamen und Bilder wie im Leben zeigten. Es war unheimlich, wie passten Menschen in einen solch kleinen Kasten? Doch wandte ich mich erst diesem kleinen Ding zu, mit welchem die Frau es gesteuert hatte.
Ich wunderte mich, was das denn schon wieder sei, nahm es ihr aus der Hand hielt es hoch und fragte sie angestrengt, meine Stimme zu kontrollieren: „W...w... was?“ Es war schwer das zu sagen und ich wunderte mich über diesen tiefen Laut, der da aus meiner Kehle drang. Noch nie hatte ich auch nur versucht zu sprechen. Die Frau sprang auf und klatschte in die Hände. Sie lachte und schien sich zu freuen. Ich ließ das Ding vor Schreck fallen, dessen Bezeichnung ich wissen wollte. Sie setzte sich wieder neben mich, nahm meine Hand und sah mir direkt in die Augen.
„Du kannst ja sprechen!“, quietschte sie. Sie war aufgeregt, ich roch, spürte und sah es. Nur wegen meines Sprechens war sie in plötzliche Euphorie ausgebrochen und strahlte mich an.
Ich legte den Kopf zur Seite und lächelte; sie gefiel mir so. Ich nickte also zur Bestätigung ihrer Worte, doch schüttelte sie den Kopf. „Nein! Sag es mir! Sage ‚Ja.’„ Ich hörte auf zu lächeln und dachte über dieses Wort nach.
„J... ja?“ Ich war unsicher, doch schien es zu stimmen, denn sie klatschte wieder einmal in die Hände und strahlte nun noch mehr.
„Toll! Am besten, du sagst einige Worte nach, von denen du denkst, sie wären einfach für dich. Und irgendwann versuchst du es dann mit schwierigeren Worten wie... Fernbedienung und Wohnzimmer und...“ Eine Weile lang zählte sie die seltsamsten Worte auf. Allerdings machte mich das etwas müde und ich öffnete weit den Mund, um stark ein und wieder auszuatmen. Ich wusste nichts damit anzufangen und wunderte mich über das, was ich gerade getan hatte.
Wieder suchte ich Hilfe bei ihr, deutete auf meinen Mund und fragte: „Was?“ Sie grinste.
„Das nennt sich Gähnen. Dabei atmest du eine ganze Menge Sauerstoff ein und stößt es dann wieder aus. Entweder deutet das auf einen Sauerstoffmangel im Gehirn hin, oder aber du bist... müde.“ Sie stand auf und hielt mir ihre Hand hin. „Komm, ich habe ein Gästezimmer, da kannst du erst einmal wohnen - vielleicht auch für immer. Ich glaube nicht, dass du jemals auf die Straße gehen kannst.“ Sie blickte zu Boden. Ich spürte Trauer, stand auch auf und nahm ihre Hand in meine, was sie schnell wieder aufsehen ließ. Ihr Gesicht wurde rot. „Äh... ja, dann komm mal mit“, sagte sie dann mit etwas zittriger Stimme und führte mich eine Treppe, wie sie es nannte, hoch. Wir gingen einen Weg entlang und in einen anderen Raum, der nicht so schön, wie der untere war. „So, hier kannst du dich ausruhen... Ach, warte mal, wie heißt du eigentlich? Wie ist dein Name?“, fragte sie mich. „Ich heiße Meshia“, fügte sie dann hinzu und lächelte wieder. Ich mochte es, wenn sie das tat.
Doch wurde ich wieder traurig… denn ich konnte ihr nicht antworten. Ich hatte keinen Namen, mein Vater hatte mir keinen gegeben.
Ich zog ratlos die Schultern hoch und schüttelte etwas den Kopf. Meshia gab einen ebenso ratlosen Laut von sich. „Na gut, dann nennen wir dich einfach... Renouis, okay? Gefällt der dir?“
Ja, er gefiel mir. Mir wäre wohl jeder Name recht gewesen, ich war überglücklich nun überhaupt einen zu haben.
Ich nickte mit Nachdruck und sagte: „Ja, ge... gefelt...“ Meshia freute sich.
„Sag mal bitte meinen Namen, Renouis. Sag Me-shi-a.“
„Me-shi-a?“ Sie nickte erfreut und drückte meine Hand, welche noch immer in der Ihren lag. Wieder wurde sie ganz rot im Gesicht und sie senkte schnell den Blick.
„Du solltest dich jetzt ausruhen, Renouis.“ Sie führte mich weiter ins Zimmer und ließ mich vor etwas stehen, was Ähnlichkeit mit dem Sofa im anderen Raum hatte. „Das ist ein Bett, darin kannst du schlafen“, erklärte sie, nahm etwas Flauschiges und Dickes in die Hände und sagte, es wäre ein Kissen. Ich nickte zum Verständnis und erkannte das große Stück Stoff als Decke, was sie wieder lächeln ließ. Schließlich sollte ich meine Hose ausziehen, damit sie später noch gut aussah, wenn ich sie wieder anziehen würde. Also tat ich das.

Danach legte ich mich in dieses Bett und Meshia legte die Decke über mich. Sie war weich und angenehm warm. Ich atmete noch einmal so tief ein und aus, wie ich es in dem anderen Raum schon einmal getan hatte. Es tat sehr gut in einem Bett zu liegen; viel besser, als auf dem Boden. Meshia lächelte noch einmal und ging dann hinaus. Sie schloss die Tür und ich die Augen.



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Kapitel 6



Ich erlangte mein Bewusstsein wieder... und das Erste, was ich wahrnahm, war der gute Geruch nach Nahrung. Ohne über meine Schmerzen nachzudenken, die ich noch hatte ehe ich mich hinlegte, erhob ich mich und setzte mich auf - ich hatte keine Schmerzen mehr. Ich stieg von dem Bett runter und schüttelte mich, um wach zu werden, wie es die Menschen nennen. Meine Haare waren ganz durcheinander und das Haar meines Schweifes ebenfalls, was mich zu der Zeit aber nicht sonderlich störte.

Langsam ging ich durch den Raum zur Tür, die an der Seite einen kleinen Schlitz aufwies. Ich schnupperte. Ein toller Duft kam mir entgegen und ich hörte ein... Knistern in der Ferne. Ich machte die Tür weiter auf und trat auf den langen Weg dahinter. Ich kannte das, ich war hier schon einmal durchgegangen. Ich bewegte mich zu dieser Treppe. Die Schmerzen aus den Beinen waren verschwunden, dafür aber fühlten sich die Beine hart an, sodass ich kaum richtig gehen konnte. Also hielt ich mich fest, als ich hinunterging. Gerade wollte ich ausmachen, von wo die guten Gerüche kamen, als Meshia vor mir erschien und mich an strahlte. „Du bist ja schon wach, Renouis!“, stellte sie fest und verschwand wieder. Ich stand da und wunderte mich wieder. Das laute Knistern kam aus diesem Raum, in dem Meshia war.

Ich schlich mich näher heran und warf einen Blick in den Raum, aus dem das Geräusch und die tollen Gerüche kamen. Meshia stand dort und hielt etwas in der einen Hand fest, wobei sie mit der anderen etwas ausschüttete, was in meiner Nase kitzelte und mich niesen ließ. Meshia drehte sich zu mir um und lachte. „Hast eine empfindliche Nase, was? Nur Geduld, das verfliegt bald wieder.“ Ich musste fast ununterbrochen niesen, langsam tat es weh und ich wischte mir mit der Hand über die Nase.
„D... das tu... tut...“, versuchte ich ohne Vorwarnung und bekam dafür wieder einen ihrer freudigen Blicke, als sie sich umdrehte. Sie legte die Hände aneinander und lächelte.
„Weiter, Renouis! Bring deinen Satz zu Ende...“, forderte sie mich auf, während ich noch ein paar mal niesen musste.
„Das t... tut w… w… weh?“ Meshia nickte und kam auf mich zu. Sie hatte etwas zur Hand genommen; ein ganz kleines Tuch, welches sie mir nun hinhielt.
„Das legst du über deine Nase und pustest mit dieser ganz doll da rein“, erklärte sie mir und legte dieses Tuch über meine Nase. Da unter hielt sie es wieder zu und deutete an, ich solle pusten... Ich tat es und es schmerzte wieder, dass ich zurückwich und leise jammerte. Meshia warf das Tuch in einen seltsamen Behälter und kam zu mir. „Tut mir Leid, vielleicht sollte ich erst einmal ohne Pfeffer arbeiten...“
„Me-shi-a, w... was Fefer...?“, fragte ich und hoffte inständig, sie würde mich verstehen. Sie wandte sich wieder dem Knisterding zu und nahm es hoch.
„Pfeffer ist ein Gewürz, welches den guten Geschmack des Essens verstärkt. Hier probier mal.“ Sie hielt mir ein silbernes Etwas mit etwas Gelbem darauf entgegen. Ich legte den Kopf schief.
Ich öffnete den Mund und entblößte dabei meine langen Zähne. Meshia machte eine erschrockene Bewegung und große Augen. Ich schloss den Mund schnell wieder. Ich wollte ihr keine Angst machen… Ich sah sie wohl schuldbewusst an, denn sie lachte etwas nervös und beruhigte mich.
„Schon gut, Renouis, ich hatte mich ein wenig erschrocken, aber es ist nicht schlimm. Mach den Mund ruhig wieder auf und probier. Es nennt sich Rührei.“ Also öffnete ich den Mund wieder, nun auch weiter und nahm das Rührei auf dem silbernen kleinen Ding entgegen... Ich nickte heftig und lächelte; es schmeckte sehr gut. Meshia schien sich auch zu freuen und entfernte sich wieder. „Zieh dich doch schon einmal an, die Hose und das Hemd meine ich. Dann kannst du wieder runterkommen und frühstücken.“ Ich fragte sie, was sie damit meinte und sie sagte, das sei das Essen, welches man morgens zu sich nehmen würde, wenn die Sonne gerade erst aufgegangen war. Sie zeigte mir eine runde Scheibe und setzte einen Finger darauf. „Man nennt die Zeiten so: von 6 Uhr bis etwa 11 Uhr ist es Morgen oder Vormittag, um 12 und 13 Uhr nennt man es Mittag und von da an bis 18 Uhr ist es Nachmittag. Nun aber hoch mit dir! Erst wird gegessen, dann gehst du baden.“ Und wieder wusste ich nicht, was sie mit Baden meinte. So langsam kam ich mir aber seltsam vor, jedes mal nachzufragen.
Mir wurde warm und ich hörte ganz deutlich etwas in mir rauschen. Meshia sah mich an. „Du bist ja rot geworden, Renouis!“, rief sie und zeigte auf mein Gesicht. Ich fasste es an und fühlte die Wärme...
„Bist du verlegen, Renouis?“, lachte sie und ich lachte auch... ein seltsames Gefühl, aber ich tat das Gleiche, wie sie. Es gefiel mir. Ich mochte sie noch mehr.
Wir aßen das sogenannte Rührei zusammen mit Weißbrot, welches sie geröstet in einem kleinen Korb mit auf den Tisch stellte. Ich fand es absolut köstlich und schlang es in mich hinein, konnte gar nicht genug davon bekommen.

Anschließend gingen wir über die Treppe und in einen Raum, den ich noch nicht kannte. Seltsam helle Dinge standen überall, sie blitzten und blinkten. Meshia beugte sich über das größte Ding in diesem Raum und drehte an etwas Silbernem, worauf eine geruchlose Flüssigkeit herausströmte... Ich wich zurück; es blubberte, wie in meinem Geburtsort. Ich wandte mich ab und legte die Ohren ganz fest an meinen Kopf, da ich dieses Geräusch nicht mochte. Es erinnerte mich an die schreckliche Erfahrung die ich nach meiner Freilassung gemacht habe.
Meshia kam an mich heran, das spürte ich. Ich spürte die Wärme ihres Körpers. „Renouis? Ist alles okay? Was ist denn mit dir... Hast du Schmerzen?“ Ich wurde traurig, Meshia machte sich Sorgen... um mich. Diese Bilder in mir. Ich hörte das Knallen der Waffen von Menschen, die mich töten wollten. Mein Erschaffer... Ich hatte ihn geliebt, ihm vertraut…

Plötzlich war da dieses Wasser in meinen Augen. Es lief aus ihnen heraus und über mein Gesicht. Als es meine Lippen erreichte, leckte ich es fort. Es schmeckte salzig… Meshia kam noch näher an mich heran, bis ich ihren Körper an meinem spürte. Sie legte die Arme um mich... und drückte langsam zu, doch nicht zu heftig. Ich machte große Augen, wusste damit nichts anzufangen, wunderte mich über das gute Gefühl in mir, welches den Platz der Trauer einnahm. „Renouis... warum weinst du?“, fragte sie leise. Ich schloss die Augen.
„W... weinst...“, sagte ich, mit einer fremden Stimme, die trotzdem von mir kam. „Was weinst...?“, fragte ich dann zögernd.
„Weinen ist das, was du gerade getan hast. Die Tränen, die aus deinen Augen kamen und über deine Wangen liefen... Diesen Vorgang nennt man weinen.“ Ich versuchte zu verstehen. Ich weinte also... und es tat gut, wie ihre Arme um mich. Nach einiger Zeit ließ sie mich los und richtete ihren Blick in mein Gesicht. Ratlos über ihre Geste legte ich den Kopf etwas schief. Sie erklärte mir, dass sie mich umarmt hatte, da sie mich so trösten wollte. Ich war ihr dankbar.
Sie lächelte noch einmal, drehte sich dann zu dem großen Ding um, welches nun voll dieser beinahe geruchlosen Flüssigkeit war und drehte das silberne Etwas zu. Sie griff nach einem... Behälter, wie der, aus dem das brennende Zeug kam, welches sie mir auf meine Wunden gemacht hatte. Nur war dieser Behälter größer. Meshia hielt inne und warf mir einen kurzen Blick zu. Darauf stellte sie den Behälter wieder weg und kam wieder zu mir. „Ich lasse das Wasser besser ohne Zusatz, sonst wird es zu sehr brennen, wegen deiner Wunden. Und es wäre sicher zu scharf für deine Nase...“ Irgendwie schien sie mir verwirrt und durcheinander. „Zieh nun deine Hose und dein Hemd aus. Mit Kleidung kannst du nicht baden.“ Ich zog meine Stirn zusammen, wie sie es immer machte, wenn sie ratlos war. „Renouis...“, begann sie leise, „zieh die Kleidung aus, wie gestern, als du ins Bett gegangen bist und setze dich in die Wanne.“ Mein Blick klärte sich auf. Dieses weiße Teil nannte sich also Wanne. Man konnte sich hineinsetzen, wenn Wasser darin war.
Ich begann mich auszuziehen. Als ich Hemd und Hose abgelegt hatte, hockte Meshia sich neben mich auf den Boden und begann meine verbundenen Beine zu befreien. Ich hielt den Schweif zur Seite, um sie nicht zu stören. Als sie aber ein Bein befreit hatte, machte sie ein komisches Geräusch und sagte meinen Namen. „Meine Güte... Renouis, das... das ist ja unglaublich.“ Unschlüssig ihrer Reaktion und Worte drehte ich mich zu ihr um und sah sie an. Sie hielt die Stoffe in ihren Händen, worin viele kleine Kugeln lagen... Sie sah zu mir auf, einen ungewissen Schimmer in ihren Augen. „Renouis... Sie wollten dich erschießen... Dein Körper hat die... Kugeln abgestoßen und sich...“ Mein Blick versank in ihrem und verschleierte sich wieder... ich weinte, wie sie. Ich zog die Schultern hoch, wusste nicht, was ich tun sollte. Meshia schüttelte den Kopf und berührte mein eines befreites Bein. Dieses war geheilt. Es waren keine blutenden und schmerzenden Wunden mehr da. Meshia lächelte, trotz der Tränen. Ich konnte ihre Gefühle nicht mehr deuten, sie waren zu durcheinander.

Sie befreite auch mein anderes Bein, stand auf, die Stoffe in ihren Händen und hob die Augen zu mir. Das gefiel mir. Sie sah schön aus... Wieder dieses Gefühl, was ich bei der Frau aus dem Raum meiner Erschaffung kannte. Sie hatte schöne Gefühle in mir verursacht... Meshia jetzt auch. Ich lächelte, um ihr meine Freude zu zeigen und sie lächelte zurück. Sie gab einen schniefenden Laut von sich und schien sich zu sammeln. Nun konnte ich wieder spüren was sie fühlte... Erleichterung. Mit schnellen Griffen entfernte sie auch den Stoff um meiner Mitte, wo die Wunde ebenfalls verschwunden war.
„Gehe nun ins Wasser, Renouis. Bleibe darin, bis das Wasser kalt geworden ist und wasche dich gründlich am ganzen Körper. Ich werde jetzt... Ich suche dir am besten neue Kleidung heraus. Ach und...“ Lange sah sie mich unschlüssig an ehe sie fragte: „Du... du musst gar nicht auf die Toilette, oder?“
Toilette... Was auch immer das sein sollte. Ich hatte keine Ahnung, was sie damit meinte.
Sie zeigte auf ein Etwas, was ebenso glänzte, wie die Wanne. Nun, wo sie es mir zeigte und ich es erst richtig bemerkte, ging ein ganz seltsamer Geruch davon aus. Ich mochte ihn nicht, er war unangenehm. Ich schüttelte den Kopf und verneinte; ich sah diese Toilette zum ersten Mal, wie so viele andere Dinge. Ungläubig nun, bewegte sie wieder den Kopf hin und her. „Okay, dann gehe jetzt ins Wasser. Ich komme bald wieder rein, um dir zu helfen, in Ordnung?“
„Ja, in Ordnung...“, sagte ich schon um einiges flüssiger und hob eines der Beine, um es in das Wasser zu setzen. Als es mich berührte, fühlte es sich gut an. Ich zog also das andere Bein nach und drehte mich langsam um; es war genauso glitschig, wie damals... Die Ohren vor Anstrengung nicht auszurutschen, angelegt, legte ich meinen nun schon nassen Schweif an die Seite und setzte mich. Es war schön, ich mochte es. Meshia nickte grinsend und ging raus.
Unschlüssig wie man sich nun genau wusch, begann ich ein wenig im Wasser rumzuplantschen… Dabei bespritzte ich mich im Gesicht. Erst erschrak ich, dann aber merkte ich, dass es nicht schlimm war und tat es nachdem extra, da mir das Gefühl gefiel, wie das Wasser an meinem Gesicht und schließlich meine Brust hinunter rann. Ich sah an mir hinunter und folgte den seichten Spuren, die das Wasser auf meiner Haut hinterließ. Ich sah dass dort, wo ich getroffen wurde, Rückstände von Blut, welche ich mit leichtem Rubbeln wegwusch. Mir ging in diesem Moment ein Licht auf und ich hatte verstanden, was Waschen bedeutet.

Irgendwann traute ich mich sogar mich hinzulegen. Ich tauchte mit dem Gesicht unter und atmete, der Gewohnheit wegen, weiter… Es endete dementsprechend mit einem Hustenanfall und panischem wieder hoch kommen. Gut, ich hatte gelernt, dass dies unter Wasser nicht funktionierte. Ich tauchte erneut unter und beobachtete, wie mein langes Haar über meinem Gesicht sich seicht im Wasser bewegte. Ich ließ Bläschen aufsteigen, indem ich den Mund öffnete und erfreute mich an ihnen. Dies hatte ich schon in der Glaskuppel so gerne gesehen.

Wieder und wieder wechselte ich so zwischen Sitzen und Liegen, bis Meshia anklopfte und den Kopf durch die Türe steckte.
„Fertig, Renouis?“ Ich nickte übers ganze Gesicht grinsend und stand vorsichtig auf. Schon wollte ich aus der Wanne steigen, als Meshia angerauscht kam und mich mit leichtem Druck auf die Brust aufhielt. „Moment, du brauchst erst ein Handtuch, um dich wieder abzutrocknen!“ Sie lachte während sie sprach… es hörte sich komisch an und ich musste grinsen, ich war belustigt. Sie legte die neuen Kleider zur Seite und nahm etwas zur Hand, was aussah wie eine kleine Decke und reichte es mir. Ich nahm es entgegen… Und nun?
„Breite es aus und trockne dich am ganzen Körper ab, Renouis.“ Ich legte fragend den Kopf schief. Wie sollte ich das machen? Sie seufzte, nahm mir das Handtuch wieder ab, breitete es aus und begann damit an meiner Brust zu reiben. „So musst du das machen.“ Sie zeigte auf meinen Arm. „Fass dich mal dort an.“ Ich tat es. „Das ist nass.“ Sie zeigte auf die Stelle meiner Brust, wo sie gerieben hatte. „Und das ist trocken. Du musst überall so sein, wie hier.“ Sie tippte mir gegen die Brust und grinste. „Verstanden?“ Ich nickte wieder, nahm ihr das Handtuch ab und begann mich abzutrocknen. Es dauerte eine Weile, besonders wegen meines Schweifes, der nicht trocken werden wollte, ebenso mein Haar. Ich beließ es dann irgendwann dabei und blickte stolz zu ihr hin. Sie hatte mir wieder den Rücken zugekehrt.
„Meshi-a“, sprach ich sie an. Sie drehte sich langsam zu mir um und zeigte dann nur auf die Sachen, die ich wieder anziehen sollte. Das tat ich, schüttelte danach noch mal mein Haar und bespritzte sie mit einigen Wassertropfen daraus. Sie lachte, ging an mir vorbei und nahm ein Gerät zur Hand.
„Das ist ein Fön. Wenn man ihn anstellt, ist er ziemlich laut und aus ihm kommt heiße Luft. Du wirst dich erschrecken, aber brauchst keine Angst davor zu haben. Er wird dir nicht weh tun, aber damit lassen sich deine Haare trocknen.“ Ich nahm ein wenig Abstand. Als dann das Dröhnen losging, legte ich schnell meine Ohren an. Es war extrem laut! Sie ließ mir Zeit mich daran zu gewöhnen, kam dann näher, lächelte beruhigend und zeigte mir die Hitze, die daraus entströmte.
Ich nickte, um deutlich zu machen, dass es okay war, worauf sie noch näher kam und mir das Kopfhaar trocknete. Danach war mein Schweif an der Reihe. Es war angenehm die heiße Luft zu spüren.

Wir verbrachten den Rest des Tages damit, Fern zu schauen, was ich äußerst faszinierend fand. Sie lehrte mich, wie ich mit der Fernbedienung umzugehen hatte und verwöhnte mich mit noch so einigen Nahrungsmittel, wie zum Beispiel Schokolade, Kartoffelchips und gegen Abend mit einem Nudelauflauf.
Meshia erzählte mir so vieles, von ihrer Familie, ihrer Kindheit und Jugend, dass sie zwei Mal verheiratet war und zwei Kinder von dem ersten Mann hatte, zwei Jungs. Ich lauschte ihr nicht selten mit einem fragenden Blick, was sie dazu verleitete, mir klar zu machen, dass ich fragen sollte, wenn ich etwas nicht verstand. Es gäbe keine dummen Fragen, fragen sei gut.
Als es schon sehr spät war, bekam ich unheimliche Schmerzen um die Mitte rum. Meshia betrachtete mich voller Sorge. „Renouis, vielleicht musst du mal?“ Ich sah sie an, wie ein lebensgroßes Fragezeichen. Was soll ich müssen? Sie nahm meine Hand und zog mich vom Sofa hoch, was nicht gerade erleichternd war angesichts des Schmerzes. Schnell bugsierte sie mich die Treppe hinauf und ins Badezimmer, wo sie auf die Toilette deutete. „Hosen runter und draufsetzen. Ich denke… es wird schon von alleine was passieren, erschreck dich nur nicht. Ehm…“ Und wieder schoss ihr die Röte ins Gesicht. Sie sagte, ich solle nach ihr rufen, wenn ich die Schmerzen vorbei seien und ich keinen Druck mehr hatte, dann würde sie mir weiterhelfen und zeigen, wie ich mich säuberte.
Sie schien ziemlich durcheinander. Ich spürte ihre Unsicherheit. Dann ließ sie mich alleine und ich tat was sie gesagt hatte. Ich ging zum ersten Mal auf die Toilette und verrichtete dort, was auf solchen Orten eben verrichtet wird. Begeistert hatte mich dieses Erlebnis nicht, aber wenigstens hatte es dafür gesorgt, dass ich keine Schmerzen mehr hatte.

Dieser ganze Tag war für mich sehr lehrreich und es sollten noch einige weitere dieser „Lerntage“ folgen.



~****~
Kapitel 7



Der nächste Tag war verregnet und kühl. Ich war wie verzaubert von den fallenden Tropfen. Wasser vom Himmel… Als mich Meshia nur kurz alleine ließ, konnte ich dem Drang nicht wiederstehen die Terrassentür zu öffnen und hinaus zu gehen. Ich sah hinauf in den Himmel und genoss das Gefühl der Tropfen auf meinem Gesicht. Ich öffnete den Mund und schmeckte wirklich reinstes Wasser, köstlicher als das aus dem Wasserhahn. Es war herrlich, ich spürte es auf meinen Armen, den nassen Boden unter meinen Pfoten… „Renouis! Komm wieder rein! Sofort!“ Sie kam heraus gelaufen, packte mich am Arm und zog mich wieder hinein. Ich gab einen verärgerten Laut von mir, doch das hinderte sie nicht daran mich hinein in das Wohnzimmer zu schubsen, die Tür wieder zu schließen und sogar die Vorhänge vorzuziehen. Eingeschnappt wie ein kleines Kind setzte ich mich auf das Sofa und schmollte. Sie kam heran, blieb neben mir stehen und sah zu mir runter. „Hör mal… ich erkläre dir, warum du nicht hinaus darfst.“ Sie setzte sich langsam, vorsichtig neben mich und legte ihre Hand auf meine. „Du bist nun mal eine Erschaffung, vor der sich die Menschen fürchten. Im Fernsehen hast du selber die Nachrichten gesehen. Sie suchen nach dir. Und wenn sie dich finden, werden sie dich wieder einsperren. Deswegen darfst du nicht hinausgehen, niemals. Ich weiß, auf diese Weise sperre auch ich dich ein, aber ich tu dir nicht weh, im Gegensatz zu denen, die es schon getan haben und wohl wieder tun werden, wenn sie dich erst einmal wieder haben. Bitte versteh doch, Renouis. Ich möchte dir nur helfen, dir ein schönes Leben bieten, so lange und gut es mir möglich ist.“
Ich hatte ihr schweigend gelauscht… und verstand was sie mir sagen wollte. Ich ließ den Kopf hängen und hasste in diesem Moment alles und jeden, ausgenommen ihr. Ich verstand nicht, warum ich erschaffen wurde. Was bringt mir dieses Leben, wenn mich niemand mag, weil ich so anders aussah und auch war? Ich weinte nicht, doch durchfuhr mich bitterste Trauer um mich selber. Meshia flüsterte meinen Namen, stand auf und entfernte sich langsam und leise, nur um kurz darauf wieder zurückzukommen. Sie hatte ein Stück Papier in der Hand, mit welchem sie sich wieder neben mich setzte. Ein Zeitungsausschnitt. Eben jener Artikel, der ein Jahr zuvor veröffentlicht wurde. Sie las ihn mir vor… und ich verstand. „Deswegen habe ich solche Angst um dich und möchte nicht, dass du hinausgehst und sie dich finden. Ich werde dich nicht ewig verstecken können, deswegen werden wir wohl irgendwann woanders hin müssen. Wir werden umziehen, in eine Gegend, weit weg vom Forschungsinstitut.“ Mir war nicht wirklich klar, was sie damit meinte, aber ich vertraute ihr, sah auf und nickte. Sie drückte meinen Arm, strich sanft darüber, stand auf und verstaute den Artikel wieder.

Es vergingen zwei Wochen, in welchen sie mich unter der Woche alleine ließ, da sie arbeiten gehen musste. Sie erklärte mir, dass sie das tun müsste, um Geld zu bekommen, damit sie uns Essen und alles andere, was wir bräuchten kaufen kann.
Ich verbrachte diese Tage meist damit meine Sprache zu üben und sehnsüchtig aus dem Fenster zu schauen, wo die Menschen rumwuselten. Man hatte das Ausgehverbot aufgehoben, denn es konnte ja nicht ewig so bleiben. Es patrouillierten beinahe ständig Polizisten und andere Sicherheitsleute umher, um die Leute vor mir zu schützen und mich zu fassen, sollte ich mich blicken lassen, sagte Meshia. Ich musste unheimlich vorsichtig sein, wenn ich einen Blick hinaus warf.

Und schon war ein Monat vergangen, den ich nun bei Meshia verbrachte. Sie beantwortete noch immer geduldig meine Fragen. Diese hatten an der Zahl schon abgenommen, ich hatte wirklich schon sehr viel gelernt.
Nun benutzte ich auch Shampoo und Duschgel, ich hatte mich an den beißenden Geruch dieser Substanzen gewöhnt und fand ihn nun sogar recht angenehm.
Ich gewöhnte mir an, mein schwarzes Haar zu bürsten und zusammenzubinden. Der buschige Schwanz wurde ebenso gebürstet, damit das lange Haar dort auch nicht verfilzte.
Meshia stellte fest, dass wohl eine Katze in mir stecke, aufgrund meines Verhaltens und den Lauten, die ich von mir gab, wie Fauchen, wenn mir was missfiel, miauendes Jammern, wenn ich Schmerzen hatte, schnurren, wenn sie mir das Haar bürstete und das leichte Knurren, wenn mir was nicht passte oder ich gar sauer war.
Gerne zog ich mich zurück und kringelte mich auf meinem Bett ein, wenn ich mich schlecht fühlte. Meshia erlaubte sich einmal zu testen, ob ich es mögen würde, wenn sie mich unterm Kinn kraulte… Ich mochte es, so sehr, dass ich tatsächlich wieder die Augen schloss und zu schnurren begann, was mir nicht selten peinlich ist, da ich es auch nicht verhindern konnte. Meshia kicherte dann immer ganz entzückt, was mich verlegen machte.
Im Laufe der Zeit gestattete ich ihr auch meine Ohren zu streicheln. Sie sagte dann immer sie seien so wunderbar weich, beinahe plüschig.

Eines Abends kam sie wieder nach Hause, ganz aufgeregt und euphorisch.
„Renouis! Weißt du, welcher Katzenrasse du angehörst?“ Ich zuckte mit den Schultern, woher sollte ich das auch wissen?
„Keine Ahnung, muss ich das wissen?“
„Nein nein, das nicht, aber… Ich konnte einfach nicht anders, als nachzuschauen, welcher Rasse du zugehörig bist. Also habe ich ein wenig nachgeforscht. Deine Augen, sie sind kupferfarben, mandelförmig und leicht aufwärts steigend beziehungsweise schräg. Du hast schwarzes, leicht gelocktes Haar, sehr fein und glänzend. Es ist sehr lang und muss gebürstet werden, da es leicht verfilzt. Das sind schon mal die äußeren Merkmale und mit deinem Verhalten zusammen bist du eindeutig ein Türkisch Angora Kater. Ist das nicht klasse? Dein Erschaffer hat sich für dich eine verdammt edle Rasse ausgesucht. Türkisch Angora sind verdammt beliebt und werden penibel gezüchtet, sind unheimlich teuer die Tiere.“ Sie strahlte mich an, schien sich wirklich darüber zu freuen, dies herausgefunden zu haben.
Ich wusste nicht recht, was ich davon halten sollte. Mir war es relativ egal, welcher Katzenrasse ich angehörte. Sie war beliebt… Na ja, ich werde es wohl trotzdem nie sein, was bringt es mir also, das zu wissen? Aber ich ließ sie, lächelte sie an.
„Das ist interessant, freue mich, nun zu wissen, was ich bin.“
Sie lachte entzückt auf und zog ein Buch aus ihrer Tasche. Es schien aus der Bibliothek zu sein, das erkannte ich an dem kleinen Schild auf dem Buchrücken. Sie hatte sich ein Zettelchen als Lesezeichen zwischen die Seiten gelegt und öffnete das Buch nun an dieser Stelle.
„Schau, so sehen deine tierischen Verwandten aus. Sind sie nicht schön? Ich bin ganz stolz, einen solchen Kater zu besitzen.“ Sie kicherte und streichelte mit über die Wange, dabei bedachte sie mich mit einem zärtlich-erfreuten Blick. Ich lachte auch, wenn auch nur leise. Sie bezeichnete mich also als ihren Kater.
„Aber du siehst mich hoffentlich nicht als dein Haustier, oder?“, fragte ich leise und gespielt mürrisch, wobei ich mir ein Grinsen nicht verkneifen konnte. Sie lachte.
„Nein, das nicht.“ Ich betrachtete die Abbildungen meiner tierischen Verwandten. Ja, sie gefielen mir. Trotzdem wäre ich um einiges lieber so wie sie, als das, was ich wirklich bin. Oder am besten gar nicht erst existieren… Es bedrückten mich wieder einmal diese Gedanken. Meshia bemerke es, schloss das Buch und legte es auf den Tisch. „Renouis… Ich weiß, dich beschäftigt die Ungewissheit am laufenden Band. Aber er hat es getan und du kannst nichts mehr daran ändern.“ Ich holte schon Luft, wollte sagen, dass ich mich ja einfach umbringen könne. Dann hätte sie ihre Freiheit wieder und ich hätte meinen Seelenfrieden. Sie hob aber die Hand und hielt mich von meinen Worten ab, die sie schon auswendig kennt, da ich es ihr schon einige Male dargelegt hatte. „Ich will davon nichts hören, mein Lieber! Du weißt, dass ich es inzwischen schlichtweg überhöre und du es demnach nicht mehr sagen brauchst. Ich bin noch immer der Meinung, dass es Quatsch ist, was du da redest und du weißt auch, warum.“ Ja, ich wusste es…
Sie hatte schon angefangen zu planen, wo sie mit mir hinziehen will, schon bald. Es handelt sich dabei um ein kleines Haus am Waldesrand, weit weg von hier und absolut abgeschieden. Dort kommt kaum einmal jemand hin, ich könnte da rausgehen wann immer ich will und die Natur genießen, ohne Angst zu haben, dass mich dort jemand sucht und gefangen nehmen will. Einerseits freute ich mich darauf, andererseits wusste ich, wie viel ihr dieses Haus bedeutete. Sie hat es schließlich von ihrer Großmutter geerbt.
Allerdings hatte sie schon ihrem Sohn Bescheid gegeben, welcher sich darum kümmern würde, vielleicht sogar selber hier einzieht, mit seiner kleinen Familie.

Schließlich war es soweit. Das Auto war bis unters Dach vollgestopft mit verhältnismäßig wenigen Dingen die wir dort brauchen würden. Möbel waren bereits dort, weswegen Meshia die Ihrigen ihrem Sohn überlassen wollte.
Wir fuhren weit, dementsprechend lange. Es mussten etwa zehn Stunden vergangen sein, als Meshia den Wagen auf einen schmalen Waldweg lenkte. Am Ende dieses Weges stand die kleine Hütte in ihrer wunderbar ruhigen und idyllischen Pracht.
Während ich alle Sachen aus dem Auto in die Hütte brachte, was mir kein bisschen schwer fiel, sortierte sie schon alles in Schränke und Regale. Bald schon war alles eingeräumt und Meshia begann zu putzen. Indessen sah ich mich draußen um. Es war herrlich sich frei bewegen zu können. Ich schwang aufgeregt meinen Schweif hin und her, während ich sämtliche Eindrücke auf mich eingehen ließ. Ich dachte wahnsinnig werden zu müssen bei all den verschiedenen und mir neuen Gerüchen. Die Bäume, das Gras, der weiche Boden, die fauligen Blätter, verrottendes Holz, das Wasser des Sees… Meine Augen konnten gar nicht schnell genug umherschauen, meine Nase begann bald zu schmerzen, aber all das gab mir nur mehr und mehr das Gefühl der Freiheit. Ich fühlte mich glücklich.
Als ich an den hohen Bäumen empor sah, erinnerte ich mich daran, dass ich es geschafft hatte über den hohen Zaun des Institutes zu gelangen. Ob ich es wohl auch schaffen würde einen solchen Baum zu erklimmen? Ich sah weiter hinauf in die Baumkrone weit über mir, lange, konzentriert. Ich wusste nicht woher diese Gewissheit kam, doch wusste ich plötzlich haargenau, dass ich es schaffen würde an einen der unbewusst ausgesuchten Äste zu gelangen. Ich ging in die Hocke, suchte mit den Pfoten eine geeignete Absprungstelle, konzentrierte mich immer mehr… und sprang. Ich streckte die Hände weit von mir in die Höhe, augenblicklich schossen meine Krallen aus den Fingern meiner zu Klauen geformten Hände, ebenso wie die an meinen Pfoten. Ich prallte gegen den dicken Stamm und grub die Krallen tief in die Rinde. Ein Stück weit rutschte ich hinab, doch nur wenig, bis ich Halt gefunden hatte. Langsam kletterte ich hinauf zu meinem auserwählten Ast und ließ mich schließlich in der Hocke darauf nieder. Ich sah hinunter zum Boden, welcher sich nun knappe neun oder zehn Meter unter mir befand. Dann hob ich den Blick… und stieß einen Laut der Verblüffung aus.
Eine phantastische Aussicht bot sich mir. Weit am Horizont sah ich die gräulichen Umrisse von Bergen die sich weit nach links und rechts erstreckten. Die kleine Hütte sah nun so klein aus, als könnte ich sie in meiner Hand bergen. Gerade wollte ich wieder zu der Bergkette schauen, als Meshia aus der Tür trat und sich umsah. Ich fixierte sie und nahm ihren Geruch auf. Sie roch ein wenig nach Angst… sie sorgte sich wohl um mich. Ich wollte nach ihr rufen, doch gerade als ich Luft holte, ging sie wieder hinein und schloss die Tür hinter sich. Ich lächelte und beschloss wieder zurückzugehen, um sie von ihrer Sorge zu befreien.
Mein Blick senkte sich zum entfernten Boden. Wieder konzentrierte ich mich und ließ mich dann einfach fallen, mit den Beinen voran. Als ich landete, federte ich den Aufprall durch tief in die Hocke gehen aus. Ohne mich weiter umzuschauen lief ich los, zurück zu Meshia.

„Meshia!“ Ich stürmte herein und ließ vor Aufregung die Tür weit offen. „Meshia, ich war auf einem Baum! Man kann von da aus die Berge sehen!“ Ich war ganz aus dem Häuschen. Meine Kopfhaut und die Schwanzwurzel kribbelten ganz fürchterlich. Sie drehte sich zu mir um und machte ein verwirrtes Gesicht.
„Du warst auf einem Baum?“ Ihr Ausdruck ändert sich schlagartig und sie begann zu lachen. „Man sieht es. Du wilder…“ Sie kam auf mich zu und zupfte mir Blätter und kleine Äste aus dem Haar. „Nun hast du also die Leidenschaft deiner Rasse gefunden. Auf Bäume klettern ist so ziemlich die Lieblingsbeschäftigung einer jeden Katze.“ Sie lachte erneut und strich mir über den Kopf. „Geh dir die Hände waschen, wir wollen essen.“ Mit einem zärtlichen Lächeln drehte sie sich um und rührte weiter in dem Topf auf dem Herd, welcher einen köstlichen Duft beherbergte. Ich schnupperte neugierig, besann mich dann aber und ging mir die Hände waschen.

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Tag der Veröffentlichung: 28.06.2010

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