Cover



„Wir sind aus einem sehr traurigen Grund hier zusammen gekommen“, sagte der Pfarrer, der älter nicht hätte sein können.
„Jeder einzelne hier möchte heute Abschied nehmen von Nora. Eine liebevolle Tochter, Schwester und vor allem Freundin. Viel zu früh ist sie von uns gegangen. Einigen hier Anwesenden scheint Gottes Entscheidung sie zu sich zu holen unfair oder gar grausam, und doch müssen wir daran glauben, dass unser aller Vater für jeden von uns seinen ganz eigenen Plan hat. Sie hätte gewollt dass wir sie so in Erinnerung behalten, wie Gott sie geschaffen hat: Stolz. Nora war gesegnet mit einer inneren Stärke und so viel Liebe um die gesamte Kirche an zufüllen“.
Während seiner Rede lauschten alle Anwesenden bedächtig, nur ab und zu konnte man ein unterdrücktes Schluchzen oder ein leises Schniefen vernehmen. Nachdem er geendet hatte, nickte er dem braunhaarigen Mädchen in der ersten Reihe zu und begab sich zurück auf seinen Platz.
Das Mädchen stand langsam auf und stellte sich vor das Mikrofon. Sie ließ ihre rot gerandeten Augen kurz über die Reihen schweifen und begann dann leise mit heiserer Stimme: „Ich habe lange überlegt was ich hier sagen soll. Meine Zwillingsschwester war so einiges, und für nichts davon gibt es genügend Worte. Ich könnte sagen, dass sie liebevoll war, aber das reicht nicht. Ich könnte sagen, dass sie witzig war, aber das ist nicht alles. Für einen solch besonderen Menschen würde ein ganzes Lexikon nicht ausreichen“.
Sie griff sich in ihre Rocktasche und holte ein zusammen gefaltetes Stück Papier hervor.
„Aber ich möchte meine geliebte Schwester an dem heutigen Tag hier her holen, möchte sie ebenfalls hier haben. Ein letztes Mal. Dazu möchte ich diesen Brief vorlesen, den sie mir kurz vor ihrem Tod überreicht hat. Sie sagte mir, ich dürfte ihn nicht vorher öffnen und dass er für eine bestimmte Person gedacht wäre“.
Sie schluckte und entfaltete den Brief.
Hallo Mama“, begann sie und ihre Stimme zitterte, „es gibt noch so vieles was ich dir sagen möchte. Aber ich spüre wie mir die Zeit davon läuft. Oh Mama, es tut mir so schrecklich leid, aber ich bin so müde! Ich schreibe dir diesen Brief um all die Dinge los zu werden, die ich dir nie sagen konnte.
Für mich, Mama, warst du Alles! Meine ganz persönliche Heldin! Du hast all meine Schlachten für mich geschlagen und es nebenbei immer geschafft, dass es abends etwas warmes zu essen gegeben hat. Super-Man hätte das nicht besser hinbekommen!
Du hast dich mit dem Mut eines Herkules den Monstern unter meinem Bett gestellt und in der Dunkelheit die bösen Mörder vertrieben. Du hast mich in deine Arme genommen, die für mich seit jeher der sicherste Ort der Welt waren. Stark und doch so sanft! Wenn ich mein Ohr an dein Herz gehalten habe, schlug es im selben Takt wie das meine. Und hätte man mir die Augen verbunden und mich in einen Raum mit tausend Müttern gesteckt, ich hätte dich an deinem Geruch erkannt. Du hast mich bedingungslos geliebt und mir doch genügend Raum gelassen um zu atmen.
Du bist meine Heldin, weil du gegen meine bösen Lehrer in die Schlacht gezogen bist, wie andere gegen Drachen. Weil du mich und Elena mit einer geradezu heroischen Geduld ertragen hast. Weil du meine schlechten Eigenschaften kennst und mich trotzdem liebst.
Jetzt wo ich spüre, dass ich nicht mehr lange habe, gehen mir so viele Dinge von damals durch den Kopf. Wie du mir immer das Fieber gemessen hast, indem du mich auf die Stirn küsstest. Wie du deine Wange an meiner gerieben hast, oder mich und Elena jeden Morgen an der Haustüre mit einem Kuss verabschiedet hast. Kleine Dinge, und doch die größten Momente meines Lebens.
Ich denke an die kleinen Nachrichten die du mir in mein Pausenbrot gelegt hast und deine verzweifelten, und gleichfalls gescheiterten, Versuche die Weihnachtsgeschenke vor Elena und mir zu verstecken.
Ich habe dir für so vieles zu danken, Mama. Dafür dass du immer ein offenes Ohr und ein offenes Herz für mich hattest. Und dafür, dass du mir in der schwersten Zeit mit einer Stärke beigestanden hast, die man nur als übermenschlich bezeichnen kann. Ich danke dir auch dafür dass du meine Fehler erkannt hast, mich jedoch so akzeptiert hast wie ich war und mich gelehrt hast, es bei anderen ebenfalls so zu tun.
Für mich, Mama, gab es nie eine schönere Frau. Es gab nie ein schöneres Herz als deines und niemals eine mutigere Heldin.
Es bricht mir das Herz dich verlassen zu müssen, Mama. Am liebsten würde ich mich so wie früher in deinen Armen verstecken, dort wo niemand mir etwas antun kann. Dort wo die Krankheit nicht existiert, sondern nur du wichtig bist.
Es tut mir so leid, Mama. Es tut mir so leid, dass ich dir dein Leben genommen habe. Dass du deine ganze Energie dafür gebraucht hast mich wieder gesund zu bekommen. Und es tut mir leid, dass es dir nicht gelungen ist. Es tut mir nicht für mich selbst leid, sondern weil ich weiß wie wichtig es dir war niemals aufzugeben.
Natürlich tut es mir auch für Elena leid, aber ich weiß dass sie darüber hinweg kommen wird. Schließlich hat sie ja dich, die große Kriegerin, die allen Schmerz von ihr fernhalten wird.
Aber, Mama, wer wird für dich kämpfen? Ich will nicht, dass du leidest, Mama.
Ich will nicht, dass du deine Stärke, dein Strahlen verlierst! Ich will nur, dass du glücklich bist!
O Gott, Mama, ich bin so schrecklich müde! Aber ich habe Angst die Augen zu schließen, solange ich nicht weiß was aus euch wird........
Ich wünsche mir für dich, dass du die Liebe findest, die du für mich geopfert hast, dass du jemanden findest, der dich genauso bedingungslos liebt und unterstützt wie du es bei mir getan hast......
Siehst du, Mama? Siehst du jetzt warum du in all den Jahren immer mein Vorbild, meine große Heldin warst? Alleine deine Nähe, hat mir die Stärke gegeben das alles durchzustehen. Du musst nicht fliegen können um Wonder-Woman zu sein. Du musst auch keinen Röntgenblick haben um immer zu wissen was in mir vorgeht. Du musst einfach nur du sein........meine Mama.......meine ganz persönliche Heldin."

 

Impressum

Texte: Alle Rechte liegen bei mir
Tag der Veröffentlichung: 21.01.2011

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für Dich, meine große Heldin, die mich in meinem Leben schon mehr als einmal gerettet hat

Nächste Seite
Seite 1 /