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V

öllig vertieft in mein Buch hatte ich wieder einmal nicht bemerkt wie Sam sich an mich heran geschlichen hatte und schrie erschrocken auf, als sie mich plötzlich an der Schulter berührte. „Wuuuaaaaahhh,....um Gottes Willen, Sam!!Tu das nie wieder!!“.
„ Ich wollte dir nur das aller neuste erzählen, Charlie, aber wenn du es nicht hören willst....“, sie setzte sich neben mich und sah unschuldig in der Gegend herum.
Ich seufzte theatralisch. „ Lass mich raten, es geht wieder um Amy und Oliver!“, sagte ich genervt.
„ Oliver, pah, der is' doch schon seit heute Mittag nicht mehr aktuell, und weißt du wie sie Schluss gemacht hat?“, sie legte eine kleine Kunstpause ein, „ mit einem Zettelchen....mitten unterm Englischunterricht! Ich habe gehört der arme Junge hätte fast zu weinen angefangen!!! Tja, diese Magier sind schon irgendwie Weicheier findest du nicht auch??“.
„ Klar“, kicherte ich, „ Waschlappen!!“. Wir mussten beide lachen und die anderen Leute in der Bibliothek sahen uns schon böse an, als wir nach ca. 3 Minuten immer noch nicht aufhören konnten. Sam war meine beste Freundin seit jeher. In unserer eigenen kleine Welt hatte niemand Zutritt. Beide waren wir Gestaltwandler-Wölfinnen und hatten blonde Haare und blaue Augen, sahen uns aber überhaupt nicht ähnlich. Ich war viel kleiner als Sam und hatte ein rundliches Gesicht mit leichten Pausbacken, Grübchen, riesige dunkelblaue Kulleraugen und eine, wie ich fand, dazu passende Kurzhaarfrisur, die kaum zu bändigen war, und deshalb immer ein wenig zerzaust aussah.
Ihr Gesicht hingegen war oval, mit hohen Wangenknochen. Sie hatte einen dieser Schmollmunde, um den sie viele beneideten.
Auch sonst gab es Unterschiede zwischen uns: wie gesagt war ich kleiner. VIEL kleiner mit meinen nur 1, 59 m . Und ja, ich war bereits ausgewachsen. Sie hingegen schaffte es auf satte 1, 70 m, und damit sah sie permanent auf mich herab.
Während bei meinem Körperbau kaum anzuzweifeln war, dass ich eine Frau war, hatte sie eher den Körper eines Jungen. Und darum beneidete ICH sie mein ganzes Leben lang. Sogar ihre Haare waren auf eine unbezähmbare Art und Weise schön. Mit wilden blonden Naturlocken und den eisblauen Augen wäre sie schon fast als perfekt durchgegangen. Wären da nicht ihre Narben gewesen.
Lange nachdem wir hier in das Heim Port De Salut gekommen waren, hatten wir beide noch große Schwierigkeiten gehabt uns einzuleben, und ein anderes Gestaltwandler-Raubtier wollte wohl seine Dominanz beweisen oder so etwas. Auf jeden Fall kam es zum Kampf zwischen den beiden, aus dem Sam als Siegerin hervor gegangen war. Seitdem hatte sie in ihrem ohnehin schon blassem Gesicht noch viel hellere, auffällige Narben um den rechten Mundwinkel und auf dem Nasenrücken, denn dort hatte er ihr die Reißszähne ins Gesicht geschlagen.
Das fiel allen immer zuerst auf wenn sie in ihr Gesicht sahen, naja, allen außer mir, ich kannte sie einfach zu lang und zu gut um mich von so etwas ablenken zulassen.
„ Was haben wir in der nächsten Stunde?“, fragte sie mich und riss mich damit wieder einmal aus meinen Gedanken.
„Ähhm“, ich kratzte mich hinterm Ohr und überlegte stark, „ich glaube, Englisch...“.
„ Dann sollten wir jetzt vielleicht los gehen, denn die Freistunde ist in genau...“, sie sah auf die große Uhr gegenüber an der Wand, „ 2 Minuten zu ende, und du kennst doch Lehrer wenn's um so etwas geht!“.
Wir standen gemeinsam auf,und gingen, bevor wir uns zum Klassenzimmer begaben, noch schnell bei den anderen vorbei, die in der Aula saßen und wild darüber diskutierten, was Amelie (Amy) nun tun sollte, jetzt wo sie wieder Single war.
Amy war eine 1, 70 m große Waldfee, mit langen (gefärbten) roten Haaren und gelb-grünen Augen. Sie war die einzige von uns die wirklich aus Frankreich kam, wir anderen lebten hier nur im Internat (für Waisenkinder). Sam und ich kamen ursprünglich aus Deutschland, sind aber dann, nachdem unser Rudel von Menschen ausgelöscht wurde,mit sechs Jahren nach Frankreich ins Port De Salut gekommen.
Amy war fröhlich, sprunghaft und man musste sie einfach gernhaben.
Sie lebte gemeinsam mit ihrem Bruder Henri hier, seit ihr Feenstamm zerstört worden war.
Wir blieben nicht lange bei ihnen, da Caras „Freund“ auch dabei saß, und wir nicht wirklich viel von ihm hielten. Colin war für uns der Inbegriff eines Arschlochs. Er war ein Gestaltwandler, ein Adler, und er hatte auch die passenden verschlagenen Augen. Igitt! Dieses Ekel, mit seinen brauen Haaren und seiner spitzen Nase!! Nicht dass das so schlecht ausgesehen hätte, aber sein Charakter war dafür umso hässlicher. Was Cara aber irgendwie nicht wahrhaben wollte. Ich würde jetzt gern sowas sagen wie: wenn er sie glücklich macht, oder so. Aber ich hatte nicht den Eindruck, dass es so war.
Sam und ich drehten uns gleichzeitig zueinander um und verzogen parallel das Gesicht um dem anderen zu sagen, was er von der Sache hielt.
Milana (Lana) und Amy bekamen zwar mit, dass wir wieder „telepatierten“, wie sie es nannten, sagten aber nichts, weils sie uns kannten und wussten, dass es zwecklos wäre uns darauf anzusprechen.
So zogen Sam und ich langsam weiter in unser Klassenzimmer im 3. Stock, des riesigen Schulgebäudes. Auf diese Schule gingen, oder besser gesagt, in diesem Heim lebten, alle Arten von magischen, paranormalen oder einfach nur seltsamen Wesen. Gestaltwandler waren nur eine Sorte davon, es gab noch Hexen und Magier, Feen, Elfen, Vampire (mit strenger Diätpflicht – nur Blutkonserven!!), nicht allzu viele Walküren, Ghule, und einige Mischlinge. Dann gab es natürlich auch diejenigen Wesen, die so anders waren, dass es dafür gar keine Bezeichnung gab. Und es gab „Menschen“, von ihren eigenen „Brüdern und Schwestern“ als Mutanten beschimpft, die mit besonderen Fähigkeiten zur Welt gekommen waren. Sie taten mir am meisten leid von uns allen, denn sie waren keine Waisen, ihre Eltern wollten solche Kinder einfach nur nicht. Die meisten unter den Menschen wussten zwar nichts von ihnen – außer die Regierung, die unter anderen für diese Schulen mitverantwortlich ist – aber so etwas wie Pyrokinese vor den anderen zu verstecken ist schwierig, deshalb versuchen die wenigen Eingeweihten es zu vertuschen. Die Eltern schweigen alle, im Gegenzug dafür kümmert sich die Regierung um die Kinder und bringt sie in solchen Heimen unter, von denen es auf den meisten Kontinenten mindestens jeweils zwei gibt.
Der restliche Tag verlief so langweilig wie möglich und beinahe wären Sam und ich eingeschlafen, aber wir haben uns einfach gegenseitig ein paar Ohrfeigen verpasst und dann ging es wieder.


„Hey, Charlotte, hast du meine neuen Socken gesehen?? Du weißt schon, die flauschigen schwarzen!!“. Ich lümmelte gerade auf meinem Stammplatz, dem Fernsehsessel, und versuchte mich unauffällig auf meine Füße zu setzten, als sie aus ihrem Zimmer kam. Unsere Wohnung bestand aus einem relativ geräumigen Wohnzimmer, mit integrierter und noch nie benutzter Küche, mit zwei eigenen Schlafzimmern und einem gemeinsamen Bad, dass dazwischen lag.
Sam sah sich suchend um und kniff dann die Augen zusammen, als sie meine seltsame Sitzposition sah. „Zeig mal deine Füße her, du Penner!“, forderte sie mich auf. Ich sah sie so unschuldig an wie nur möglich und meinte: „ Ach komm schon deine Socken sind nun mal weicher und duften immer so schön sauber!!“
„ Klar, ich lasse meine Schmutzwäsche ja auch nicht in meinem Zimmer vergammeln, du Schwein!! Und jetzt zieh die Socken aus!!“
„ NEIN!“, rief ich und hob, schon auf ihren Angriff gefasst, abwehrend die Hände.
Sie stürzte auf mich zu und zog mit aller Gewalt ein Bein unter meinem Hintern hervor. Gerade als sie dabei war zu versuchen mir unter Beschimpfungen und Keuchen den Socken vom Fuß zu reißen, ging unsere Tür auf und Elisabeth kam herein gestürmt. Wir hielten beide mitten in unserer jeweiligen Bewegung inne, Sam beim Socke-vom-Fuß-ziehen und ich hatte die Hand erhoben um ihr eine zu verpassen. Als Beth das Bild sah, dass wir boten, war „ Äääh...“, alles was sie heraus brachte.
„ Es ist nicht so wie es aussieht!“, sagten wir gleichzeitig.
Sam und ich fingen an wild durcheinander zu reden, und versuchten den jeweils anderen zu beschuldigen. Während sie die ganze Zeit davon schwafelte was für ein Schwein ich doch sei und ein Sockendieb, und dass sie aufpassen müsse, dass ich ihre Unterwäsche nicht auch noch stehlen würde – was ich nur mal kurz gesagt, nie getan hätte – versuchte ich Beth davon zu überzeugen, dass Samantha die geizigste Person der Welt sei.
Wir hörten beide mitten im Satz auf, als Elisabeth plötzlich anfing zu lachen und sich schon am Türpfosten festhalten musste.
Verständnislos sahen wir sie an.
„ Ihr zwei seid die wahrscheinlich verrücktesten Vögel der Welt!“, lachte sie weiter. Das sagte ausgerechnet sie. Sie, die wahrscheinlich selbst dann noch gelacht hätte wenn sie von einem Schnellzug überfahren worden wäre. Nicht dass ihr das als Vampir noch etwas ausgemacht hätte, neeein.
Beth war der Inbegriff von einem typischen Vampir, wie er immer in Büchern zu lesen war: sie war groß, schlank und unglaublich gut aussehend. Ihre Haare schimmerten rötlich-blond (und zwar aus natur) und ihre Augen waren grau. Naja, so sah sie aus seitdem sie ein Vampir war, aber vorher war das anders gewesen. Natürlich hatte sie da schon ein hübsches Gesicht gehabt, hatte aber bei weitem nichts perfektes an sich gehabt.
Jetzt im Moment lag sie schon halb am Boden als auch die anderen ins Zimmer kamen und uns, nachdem wir uns wieder normal hingesetzt hatten, verständnislos ansahen.
Natürlich erzählte Elisabeth allen haargenau was sie gesehen hatte, und deren Reaktion fiel, was war anderes zu erwarten gewesen, auch nicht anders aus. Sogar der sonst so stille Logan, der „Mutanten“-Freund von Lana, unserer Mischlings-Walküre, hatte gelächelt. Wir mochten ihn alle sehr gern, er war ein angenehmer Gesprächspartner, denn er war sehr klug und zurückhaltend, aber keinesfalls ein Weichei, wie viele dachten, sondern einfach nur ruhig, höflich und, naja, still. Das kam wahrscheinlich daher, dass er aus einer sehr reichen und distinguierten britischen Familie gekommen war, bevor sich bei ihm die Fähigkeit gezeigt hatte Illusionen in die Köpfe anderer Menschen zu projizieren. Was mir zwar immer ein wenig Angst eingejagt hatte, aber eigentlich wusste ich, dass er das nie bei einem von eingesetzt hätte.

A

m nächsten Nachmittag stand ich an der Bushaltestelle und wartete ungeduldig darauf, dass der Bus endlich kam. Während ich da stand und mich langweilte beobachtete ich die anderen herumstehenden Menschen aufmerksam, weniger aus Misstrauen, als viel mehr als Zeitvertreib.
Ich hatte bereits 2 Ghule und 3 Ratten-Gestaltwandler ausgemacht, als der Bus endlich kam. Ich hatte vor mit Shane, meinem Freund, in die Stadt zu gehen.
Als ich in den Bus stieg sah ich ihn schon auf einem der Plätze sitzen und mich angrinsen. „Hi“, was alles was ich heraus bekam. Ich sah ihn zwar fast jeden Tag in der Schule, aber er faszinierte mich immer wieder, mit seinem für Vampire typisch guten Aussehen. Shane hatte stubbeliges cremefarbenes Haar und leuchtend grüne Augen und eine dieser aristokratisch-geraden, fast schon perfekten Nasen.
Und trotzdem schien er mich wirklich zu mögen, obwohl ich perfekt noch nicht einmal buchstabieren könnte, naja oder besser gesagt dürfte. Und obwohl er mit mir auch gleichzeitig die ganzen anderen verrückten Personen in meinem Leben akzeptieren musste.
Obgleich ihm das bei Sam nicht schwer gefallen war. Die beiden waren ein Herz und eine Seele. Sie ärgerten sich zwar ständig, aber mehr auf diese kumpelhafte Art und Weise. Und auch wenn er es nie zugegeben hätte – und sie schon erst recht nicht – wusste ich, dass er sie wie eine Schwester liebte. Das alles klang doch nach einer perfekten Grundlage für eine Beziehung. Tja, Pustekuchen. Das größte Problem, dass zwischen uns stand, war nämlich ich selbst. Meine Zweifel und Bindungsangst, hinderten mich daran, ihn und unsere Beziehung bedingungslos zu akzeptieren.
Ich musste immer alles durchleuchten und analysieren, und tief in meinem inneren hatte ich Angst, dass ich damit alles zerstören könnte, was Shane und ich in den letzten Monaten aufgebaut hatten.
„ Hast du irgendwas?“ Überrascht sah ich zu ihm herüber.
„Wieso, was ist denn?“
„ Naja, du hast in den letzten 10 Minuten noch nicht ein Wort gesagt. Das ist schon fast ein Rekord“.
„ Ooh, ach so, nein es ist nichts, ich bin nur meinen Gedanken nachgegangen, weißt du“.
„ Erzählst du mir ein paar davon?“, fragte er und lachte verschmitzt.
„ Ich mach mir einfach Sorgen wegen Cara“ Sein Lächeln verschwand und er sah auf einmal richtig bedrohlich aus.
„Wenn du mich nur mal..“ Ich unterbrach ihn indem ich die Hand hob und sagte: „ Was? Damit du deine Machonummer abziehen kannst?! Ich weiß ja, ich würde ihn auch gern kastrieren und auf kleiner Flamme rösten..“.
„ Dann tu es doch!!“, antwortete er grimmig, bevor ich mit dem Satz überhaupt fertig war.
„Nein, dass ist allein Cara's Sache. Wenn sie sich nicht helfen lassen will und immer noch bei ihm bleibt, obwohl er sie so mies behandelt, kann ich auch nichts für sie tun! Und nein!! Du wirst damit auch nicht zu Sam gehen!! Ich kenn dich“, sagte ich erklärend , als er mich verwirrt ansah, „ich weiß genau, dass du das vorhattest, aber sie ist in dieser Angelegenheit auf meiner Seite!“ Er sah mich wütend an und drehte sich wieder nach vorne.
„ Shane“, sagte ich leise.
„ Gott, wirst du etwa nicht wütend wenn du ihn mit einer anderen siehst, oder wenn sie wieder mit blauen Flecken oder Platzwunden ankommt?!“. Er schrie fast und die anderen Leute im Bus sahen uns böse an.
„ Sie muss sich erst selbst eingestehen, dass das keine Beziehung ist, und dass sie das auch nicht damit gerade biegen kann, indem sie alles über sich ergehen lässt!“, sagte ich so ruhig wie möglich, denn ich wusste, dass es, wenn ich jetzt auf den drohenden Unterton in seiner Stimme eingehen würde, zum Streit zwischen uns kommen würde.
„ Du kannst doch nicht einfach da stehen und nichts tun, sie ist ja schließlich DEINE Freundin!!“ Ich knurrte ihn an und spürte schon fast meine Krallen unter den Fingerspitzen.
„Wag es jetzt ja nicht mir die Schuld an dem ganzen zu geben!! Den Schuh werd ich mir ganz sicher nicht anziehn! Mehr als ihr Ratschläge zu geben, kann ich leider auch nicht machen!“
Er sah mich herausfordernd an und knurrte leise zurück. Ich wusste er wartete nur auf einen richtigen Streit mit mir. Ich seufzte resigniert. Selbst schuld, dachte ich. Wenn du dir einen Freund aussuchst der dir gewachsen ist, dass du dann nicht erwarten kannst, dass er bei allem mitspielt.
Als ich wieder zu ihm sah, musste ich fast lachen. Sein Gesichtsausdruck war unbezahlbar, richtig bockig.
„ Komm schon, Shane, wegen so einem Arschloch wie Colin sollten wir uns nicht streiten“, sagte ich lächelnd. Seine Augen wurden weich und er sagte fast schon versöhnlich: „ Ich weiß, dass er soviel Aufmerksamkeit eigentlich gar nicht verdient hätte, aber solche Weicheier kotzen mich einfach an! Wenn er sich mal mit einem richtigen Mann messen müsste, würde er den Schwanz einziehen!“.
„ Wenn du mit ''einem richtigen Mann'' dich meinst, dann kannst du das vergessen!! Meinetwegen kann ich ja nochmal mit ihr reden, aber es würde Cara nicht glücklicher machen, wenn du ihn vermöbeln würdest!“.
„ Ich weiß, aber jemand muss etwas tun, da sie sich selbst ja nicht wehrt!Warum kämpft sie denn nicht?“.
„ Elfen sind nun mal keine Kämpfer, Shane! Sie sind Ärzte oder Buchhalter, was weiß ich! Sie sind sanfte Wesen! Und sie brauchen Liebe! Und da Cara davon nicht wirklich viel abbekommen hat, wünscht sie sich jemanden von dem sie sich geliebt fühlt, auch wenn es zu seinen Bedingungen ist.“
Der Bus hielt und wir stiegen aus. Wir gingen händchenhaltend durch die Stadt, bummelten ein wenig durch Geschäfte und Schaufenster bis wir dann in einem Café saßen und Cappuccino tranken. Wir redeten über belanglose Dinge und vergaßen unsere Diskussion über Cara völlig.
„ Hey Charlie!“ Überrascht drehte ich den Kopf in die Richtung aus der der Gruß gekommen war. Im ersten Moment war ich leicht verärgert gewesen, wegen der Unterbrechung, bis ich sah wer nach mir gerufen hatte. Es war nämlich Jenna, ein Gestaltwandler-Mischling.
„ Hi Jenna, was machst du denn hier?“, fragte ich überrascht.
„ Ich treff mich hier mit jemanden!“, sagte sie verschmitzt und geheimnisvoll zugleich. „ Oh, und das muss dein Freund sein, oder? Ich hoffe ich stör euch bei nichts?!“.
„ Nein, keine Angst. Ich bin Shane.“
„Hallo, naja dass ich Jenna bin hast du ja schon mitbekommen“, lachte sie und spielte damit wahrscheinlich auf meine laute, unüberhörbare Stimme an.
Auch er musste grinsen, aber das war bei Jenna immer so. Ihre Fröhlichkeit und Ungezwungenheit färbten irgendwie auf andere ab. Aber es war seltsam, dass sie sich mit jemanden traf. Sie war eigentlich eher der ruhige Einzelgänger-Typ. Denn, obwohl sie jeder mochte, verbrachte sie ihre Zeit am liebsten allein, was ich sehr gut verstehen konnte.
Nachdem sie gegangen war, um sich schon mal einen guten Platz zu suchen, bevor ihr Date kam, wandte ich mich wieder Shane zu. „ Nettes Mädchen“, sagte er einfach nur.
„ Mehr als das. Sie ist sogar sehr beliebt, bei fast allen, obwohl ihr das egal zu sein scheint!“, ich zuckte mit den Achseln, „ ich und Sam mögen sie auf jeden Fall sehr gern.“
„ Apropos Sam, wie hast du's eigentlich geschafft sie abzuwimmeln?“
„ Oh, das war gar nicht nötig!“, sagte ich lachend. Als er mich verwirrt ansah erklärte ich: „ Sie war in ihrem Zimmer mit Zeichnen beschäftigt, und du kennst sie ja wenn sie gerade wieder dabei ist zu malen. Dann ist sie unausstehlich. Auf jeden Fall bin ich in ihr Zimmer um ihr zu sagen, dass ich jetzt gehe, und da fliegt mir doch glatt ihre Nachttischlampe entgegen!
Scheiß exzentrische Künstler!!“.
„ Ihr zwei seid schon so ein Pärchen“, brachte Shane zwischen seinem Lachen heraus. „Entweder bekriegt ihr euch wegen Socken oder ihr attackiert euch mit Porzellangegenständen“. Auch ich musste ein wenig schmunzeln, protestierte aber der Form halber. Auf dem Heimweg bat er mich ihm noch ein paar weitere Anekdoten über Sam und mich zu erzählen. Ich tat ihm den Gefallen, und erzählte ihm zum Beispiel von dem einem Mal bei dem Sam und ich die ganze Nacht wach waren und uns über das bayrische Wort 'Knedl' kaputt gelacht hatten, oder die Tatsache, dass Sam, wenn man mit ihr in einem Bett schlief den gesamten Platz einnahm und wie wir dann immer über die Verteilung der Decke stritten, die im Endeffekt dann doch sie bekam. Auch wenn ich es nicht verstand, schien ihn wirklich ALLES an mir zu interessieren, denn er hörte aufmerksam zu und wollte immer mehr von dem Leben, bevor wir uns kennen gelernt hatten, wissen.


Zurück in meinem Zimmer ließ mich der Gedanke an Jenna nicht los. Wer war dieser anonyme Typ mit dem sie ausgegangen war? Kannte ich ihn? War es vielleicht sogar Colin, der mal wieder Cara hinterging?
„Mann, wie nervig!!“, sagte ich laut.
„Mit wem redest du?“ Lana steckte gerade den Kopf durch meine Tür.
Ich lief leicht rot an und sagte einfach nur: „Selbstgespräche!“
Wenn sie mitbekommen hätte, dass mich meine Neugier mal wieder fast dazu gebracht hätte etwas dummes zu tun, wie zum Beispiel einer ahnungslosen Jenna hinterher zu spioniern, wäre sie sicher wütend geworden. Sowas hatte ich bei ihr nämlich auch schon gebracht.
„Kann ich reinkommen?“, fragte sie höflich wie immer. Sie hatte lange blonde und wirr gekräuselte Haare, aber am auffälligsten waren ihre Augen, die so leuchtend blau waren, dass man durch reines hineinschauen schon fast hypnotisiert wurde.
Hexenaugen.
„Klar, du weißt doch, dass du nicht fragen brauchst!“
Sie setzte sich neben mich aufs Bett und sah sich ein wenig im Zimmer um.
Man konnte zwar nicht von geschmackvoller Einrichtung reden, aber langweilig war es sicher nicht. Voller Gerümpel und Zeug, das ein Mensch im Leben nicht brauchen konnte, kam es einem immer kleiner vor als es eigentlich war.
Ich wusste, dass sie Zeit schinden wollte mit der Inspektion meines Zimmers
– dass sie nur mal so gesagt, schon kannte – aber ich wartete – wenn auch nicht gerade geduldig – darauf dass sie anfing.
„ Was ist denn los?“, fragte ich, als sie nach 5 Minuten immer noch damit beschäftigt war die Flusen auf meiner Bettdecke zu zählen.
„ Ich weiß auch nicht, wahrscheinlich bild ich mir nur was ein, aber ich hab das Gefühl, als ob Logan mir was verheimlichen würde“.
„ Wie kommst du darauf? Verhält er sich irgendwie komisch?“.
„Nein, nicht mal das! Eigentlich ist es nur so ein Gefühl. Meine Hexennase juckt, wenn du verstehst was ich meine“.
Eigentlich hätte ich an dieser Stelle gelacht, aber sie sah so ernsthaft besorgt aus, dass ich es lieber ließ.
„ Willst du meine Meinung dazu hören?“ Nicht dass ich sie vorenthalten hätte, wenn sie nein gesagt hätte.
„ Ich würde mich an deiner Stelle in nichts hinein steigern. Das aller letzte was er tun würde, wäre dich betrügen oder gar schluss machen. Und selbst wenn er ein Geheimnis hat, ist das sicher nicht so wild. Wir haben doch alle so unsere kleinen Geschichten, die wir den anderen nicht erzählen wollen!“.
Wieder einmal hatte ich das Gespräch fast allein geführt, aber es schien geholfen zu haben. Nachdem sie gegangen war ging ich hinüber zu Samantha und beredete die ganze Sache nochmal mit ihr, die (wie immer eigentlich) meiner Meinung war.

Da Freitagabend war, und wir nichts vorhatten, trafen wir Mädels uns bei Cara und Amelie zu einem gemütlichen Abend, bei dem Cara erst wieder was leckeres und total aufwendiges kochen würde und wir uns danach mit Süßigkeiten und haufenweise Cola auf der Couch breit machten.
„ Hey, hier sind wir schon!“, riefen Sam und ich gemeinsam, als wir in der Tür standen.
„Und ich hab auch die Schüssel mitgebracht, die du unbedingt zurück haben wolltest.“, sagte ich zu Cara, die schon, in einer dieser witzigen, mit einem nacktem Männerkörper bedruckten, Schürze (dessen bestes Stück durch ein großes Grillwürstchen zensiert war) in der Küche stand und Lasagne zubereitete.
„ Wurde aber auch mal Zeit, es kann ja schließlich nicht sein, dass du all unsere Sachen einstreichst und wir sie nie wieder sehen!“.
Elisabeth stimmte ihr zu: „Genau, Charlie, du hast immer noch 5 meiner Bücher!“
„Von mir hat sie irgendwo einen Film, den sie wahrscheinlich gar nicht mehr findet!“.
Das kam von Lana und selbst Sam fiel mir in den Rücken: „ Meine Socken hab ich immer noch nicht wieder gesehen“, brummte sie. Ich sah sie alle beleidigt an, und setzte mich einfach auf die Couch, während sie weiter Geschichten über mich erzählten. Wobei sie eigentlich recht hatten. Aber so waren Wölfe wie ich einfach. Wir eigneten uns gerne Dinge an. Am besten glänzten die auch noch oder waren aus Gold. Und bei Menschen waren wir nicht weniger besitzergreifend. Sam zum Beispiel war MEINE beste Freundin und jedem, der diese Aussage angefochten hätte, hätte ich mit meinen Krallen eine verpasst. Ganz zu schweigen davon, was passiert wäre wenn sich irgendjemand an meinen Freund ran gemacht hätte. Das klang zwar alles nach Eifersucht, aber theoretisch war es eine etwas verdrehte, abartige Art von Liebe.
Meine seltsamen Gedanken wurden vom nervtötenden Klingeln des Telefons gestört.
Da es ein schnurrloses Telefon war musste erstmal unter allen Kissen und Decken gesucht werden, bis Amy ins Zimmer kam, den Kühlschrank aufmachte und das Telefon heraus nahm.
„ Ja, hallo?“ wie immer sagte sie nicht ihren Namen sondern nur 'Hallo??'. Wie Unhöflich!!
„ Nein! Hör auf anzurufen!“ Mit diesen Worten legte sie auf, warf das Telefon zurück in den Kühlschrank und machte die Tür zu.
„ Schon wieder dieser Oliver!! Ich hab ihm gestern schon gesagt, dass er mich nicht mehr anrufen soll!!Hätte ich gewusst was für ein Perverser das ist, hätte ich nie was mit ihm angefangen!!“, sagte sie ihm Brustton der Überzeugung. Auf die Idee, dass er, wie so viele andere, unsterblich in sie verliebt war, kam sie nicht.
„ Du bist doch selbst schuld“, sagte Beth, „erst köderst du sie solange bis sie am Haken hängen und dann wirfst du sie zurück ins Wasser!“
„Was war denn das gerade für eine Blöde Metapher?“, fragte ich mit einem Blick zu Elisabeth.
„ Das sagt man so, du Dödel! Du weißt aber auch gar nichts!“
„ Also mich nervts auch, wenn Amy's Typen um 3 in der Früh verzweifelt und weinend bei uns anrufen und mich bitten sie zu überreden, dass sie wieder zu ihnen zurück kommt. Also echt, ich brauche meinen Schlaf!“
„ Für Sam ruft auch ständig so'n Typ an! Der will dann immer, dass sie endlich ihre Handyrechnung zahlt!!“ Wir mussten alle lachen, naja außer Sam. Witze auf ihre Kosten fand sie nie wirklich lustig.
„ Also nochmal zu dir Amelie“, sagte ich, „weißt du, du verzauberst die Typen mit deinem Feen-Gesangs-Dingens und dann lässt du sie fallen!“
„ Aber es nervt einfach, weißt du, am Anfang sind sie ja noch ganz nett, aber mit der Zeit werden sie zu sabbernden, kriechenden Weicheiern!!“
„ Das liegt auch an dem Feen-Ding. Kannst du das nicht ein wenig eindämmen oder so?“, fragte Sam beschwichtigend.
„ Ich kann doch auch nichts dafür, dass ich entfernt mit den Sirenen verwandt bin! Ich verlange ja gar nicht, dass sie aufhören sollen mich zu lieben! Das is' schließlich ihre Sache!! Sie sollen bloß nicht mehr anrufen!!“.
„ Der Meinung ...!“.
„ Sei still, Cara!“, riefen Sam und ich gleichzeitig. „Du hast keine Ahnung!“, sagte Sam.
Sie schloss beleidigt den Mund.
„Cara, wann ist das Essen eigentlich fertig?“, fragte ich ungeduldig, um das Thema zu wechseln (weil ich Lasagne liebte).
„ Das dauert noch ein bisschen! Meinst du ich schnipp einfach so mit dem Finger und das Essen steht auf dem Tisch, oder was?“
„ Wär besser...“, murmelte ich. Sam stieß mir mit dem Ellenbogen in die Seite.
„ Ihr könnt ja in der Zwischenzeit etwas spielen oder so.“, schlug Cara von der Küche aus vor, während sie sich die Hände an der perversen Schürze abwischte.
„ NEIN!“, schrien ich und Beth gemeinsam. Sam grinste nur.
Sie und Lana waren richtige Süchtlinge. Strategen ersten Grades. Und sie spielten nur um zu gewinnen.
Sogar '' Mensch ärger dich nicht '' artete bei ihnen zum Wettkampf aus und dauerte meistens bis zu 2 Stunden da sie zwischen jedem Zug 10 Minuten überlegten.
Am Ende saßen wir anderen dann immer nur rum, während sie sich schweigend, über ein Brett oder Karten gebeugt anstarrten und versuchten die Gedanken des jeweils anderen zu lesen.
„ War ja nur 'ne Idee.“, sagte Cara
„ Blöde Idee!“, schrien wir zurück.
„ Möchtest du nicht mal Cluedo spielen?“, fragte Lana mich hinterlistig.
Scheiße!! Das war meine Schwachstelle. Neben Lasagne liebte ich fast nichts so sehr wie Cluedo.
„Nein“, antwortete Elisabeth für mich, da sie wohl gesehen hatte, dass ich kurz davor gewesen war, schwach zu werden.
Während Beth weiter mit Lana darüber diskutierte, was wir jetzt machen sollten, sahen Sam und ich uns an, nickten kurz und setzten uns jeweils auf einer Seite neben Amy, die die ganze Zeit geschwiegen hatte.
„ Was hast du?“, fragte Sam fordernd wie immer.
„ Nichts...“, das kam zögernd uns leise von Amy.
„ Sag's einfach, wir lassen sowieso nicht locker.“
„ Es ist nur....bin ich fies zu den Jungs?“
„ Was?! Nein, natürlich nicht.“, sagte ich überrascht darüber, dass sie unsere Worte von vorhin so ernst genommen hatte.
„ Du bist doch nicht fies“, sprang Sam ein.
„ Du bist einfach kein Mensch für eine längere Beziehung.“
„ Ich war aber noch nie wirklich verliebt.“, versuchte sie uns zu überzeugen.
„ Doch“, sagte Sam, „ ins verlieben selbst! Das verlieben und sich kennen lernen macht dir einfach zu viel Spaß, aber daran ist doch nichts falsch!“
„ Wirklich nicht?“, fragte Amelie nochmal zur Sicherheit.
„ Wirklich nicht, du bist doch nie absichtlich gemein, oder spielt mit ihnen, oder?! Du bist auch nie unehrlich! Und die meisten kennen dich. Sie sollten wissen, dass es dich früher oder später langweilen wird!“
„Ja. Ja, stimmt.“, sagte sie nochmal mal mit Nachdruck.
Wir sahen alle überrascht auf, als auf einmal die Bonanza-Melodie ertönte.
Lana holte ihr Handy aus der Hosentasche, sah auf den Display und ging mit einem einfachen „Hi“ ran.
Nach einem kurzen Gespräch legte sie die Hand auf die Sprechmuschel und erklärte den anderen was Logan gesagt hatte. Sam und ich wussten es schon. Unser Gehör war einfach viel besser als bei normalen Menschen.
„Logan fragt, ob er und Shane auch zum Essen kommen könnten. Was meinst ihr dazu?“
„Naja, ich weiß nicht.“, sagte ich. Ich war mir nämlich nicht sicher, ob die Lasagne reichen würde....
„ Du bist so geizig“, warf Sam mir vor, die anscheinend meine Gedanken gelesen hatte.
„ Keine Angst, Charlie, ich habe genügend zu Essen gemacht!“
„ Ooh, ach so, naja dann können sie meinetwegen vorbeikommen.“
Lana gab unser Einverständnis durch und fragte leise, ob Colin auch kommen würde. Zu meiner Erleichterung schien er so etwas wie gemütliche Freitage für weibisch zu halten, und wollte nicht mitkommen. Gott, wie ich dieses Schwein hasste!!
Während wir auf die Jungs warteten, und darauf, dass Cara endlich mit dem Kochen fertig war – was meiner Meinung EWIG dauerte – setzten Sam und ich uns etwas von den anderen weg und beschäftigten uns ohne sie.
„ Auf einer Skala von 1 – 10, wen hasst du mehr?? Colin oder Tyler?“
Tyler war ein Junge aus unserer Klasse, der direkt hinter Sam saß.
„ Hm, also auf der Skala würde Colin bei 9,5 stehen und Tyler bei 7“, antwortete ich.
„ Was??“, rief Samantha überrascht, „ nur bei 7? Dieses Arschloch hat doch mindestens eine 9 verdient!!“
„Naja schon, aber er hat sich doch in den letzten Wochen gebessert! Das muss man auch dazurechnen!!“
„ Wo hat der sich bitte schön gebessert?“. Ich seufzte.
Der Streit darum, wer wohl schlimmer war ging solange weiter, bis es an der Tür klopfte und die Jungs hereinkamen. Shane kam herüber um mir einen Kuss zu geben, wir scheuchten ihn danach aber wieder weg, damit er uns in der Diskussion nicht störte.
Während des Essens – ENDLICH – sprachen wir hauptsächlich über das Fest am nächsten Abend, bei dem Amelie singen würde und Sams Bilder in der Galerie ausgestellte werden würden.
„ Ich finde die Idee mit den Bildern immer noch doof!“, grummelte Sam.
„ Wieso denn?“, fragte Logan ehrlich verwirrt. Anscheinend hatte er keine Ahnung wie selbst kritisch Künstler sein konnten.
„ Weil sie Scheiße sind!! Alle samt!“.
„Nein! Sie sind NICHT scheiße, verdammt!“. Ich schrie fast. Dieses Thema hatten Sam und ich schon x-tausendmal durchgekaut. Shane legte seine Hand auf meine um mich wieder zu beruhigen.
„ Du kannst wundervoll zeichnen“, sagte Amy auf ihre liebe Art und Weise.
„ Du bist darin aber auch nicht schlecht“, warf Beth ein.
„ Aber bei weitem nicht so gut wie sie“. Sie zeigte mit ihrer Gabel auf Sam.
„ Stimmt“, warf ich ein. Ich war ein bekennender Fan von allem was Sam zeichnete.
Die Diskussion ging noch das ganze Essen über. Was mir den Appetit aber nicht verderben konnte. Der war erst weg als Colin sich dann doch noch zu uns gesellte.
Das war auch das Stichwort für Sam, Shane und mich zu gehen.
Shane kam mit uns aufs Zimmer, wo wir beide uns erst noch ein wenig mit Samantha ins Wohnzimmer setzten und dann in mein Zimmer verschwanden.

D

ieser Samstag war für uns alle etwas ganz besonderes, da Sams und meine Klasse für die Vorbereitungen des Winterfestes zuständig waren, Amy sollte mit ihrem Gesang für die Unterhaltung sorgen, Sams Bilder würden in einer großen Galerie ausgestellt werden und es war zudem ein perfekter Anlass, bei dem alle mal wieder zusammentrafen.
So freute ich mich auch schon darauf Abby, eine Schulfreundin von uns, wiederzusehen. Da zur Zeit viele Prüfungen für das erste Halbjahr geschrieben wurden, hatte sie sich als perfekter Streber die meiste Zeit in ihr Zimmer zum Lernen verkrochen.
Während ich damit beschäftigt war, alles Technische für die Bühnenshow vorzubereiten, dachte ich mit großer Vorfreude über Weihnachten nach.
Es gab doch nichts schöneres als Geschenke. Um so mehr, um so besser.
Ich war dabei nie bescheiden gewesen. Bei mir ging es um Quantität, nicht um Qualität.
Im Kopfe schon meine Wunschliste zusammenstellend, merkte ich wieder einmal nicht, dass jemand näher kam.
Als sich mir dann jemand an den Hals warf, konnte ich nur überrascht und zu Tode erschreckt quietschen.
„Charlieeeee!“, rief Sandra voller Freude.
„Um Gottes Willen! Hast du sie noch alle?“, fragte ich schnaufend und lachend zu gleich. Als ich sie ansah wurde mir mal wieder richtig warm ums Herz.
Sie war ja so Süß!! Klein und Blond, mit sanften blauen Augen, wollte man sie die ganze Zeit knuddeln. Und als Elfe würde sie auch noch länger so hübsch bleiben.
„ Ich hab mich nur gefreut dich zu sehen!“.
„Du hast mich doch erst gestern im Unterricht gesehen!“, sagte ich schmunzelnd.
„Ja, aber ich freu mich doch soooo!! Heute ist das große Fest, für das wir so lange gearbeitet haben und in 13 Tagen ist Weihnachten, und heute werd ich auf der Bühne stehen und singen!! Zwar nur als Background, aber immerhin!!“
„Nichts immerhin! Das ist super!! Ich wünschte ich könnte so etwas von mir behaupten!“, sagte ich überzeugt.
Nach diesem Gespräch widmete ich mich mit noch größerer Freude der großen Anlage und begann leise irgendein Lied zu summen, dass ich am morgen im Radio gehört hatte.
„Und? Funktioniert alles?“, fragte mich Mr. Bennett, der zuständige Lehrer, bei seinem Kontrollgang.
„Ja. Alles passt perfekt! Auch wenn das Zeug nicht wirklich die beste Qualität hat, ist es sehr pflegeleicht!! Trotzdem würde ich der Schulleitung raten nicht so geizig zu sein!“, lachte ich. Bei ihm konnte man so etwas sagen, denn er war ein sehr junger und cooler Lehrer, der Jungendliche wie uns einfach verstand.
„ Oh, hallo Mr Bennett!“, sagte Samantha, die zu uns stoß.
Sie wandte sich mir zu und sagte: „ Ich bin eigentlich nur gekommen um zu fragen, ob du mit mir was essen gehen willst?! Ich hab was beim Bäcker gekauft. Na los komm schon!“. Sie packte mich am Arm und zog mich weg. Schweigend gingen wir in die Mensa und setzten uns an einen der Tische.
„ Und kommt Abby jetzt morgen mit, oder doch nicht?“, fragte sie während des Essens. Sie sprach davon, dass wir für morgen geplant hatten zu einem Eishockeyspiel in der Stadt zu gehen.
„ Naja, ich hab sie noch nicht gesehen, aber meiner Meinung nach, ist es eher unwahrscheinlich.“
„ Langsam sollten wir das aber wissen!“, meinte sie gereizt.
„ Was hast du jetzt eigentlich?“, fragte ich bissig zurück.
„ Nichts! Lass es einfach!“
„ Mich brauchst du nicht so anzumotzen, nur weil dir irgendwas stinkt!“
„ Dieser ganze Scheiß Tag kotzt mich einfach an! Alles nervt!“
„ Und ich?“, fragte ich mit – wie ich finde – gut gespieltem Entsetzen.
Sam gab zwar keine Antwort darauf, aber sie lächelte, was eigentlich schon alles sagte. „ Das wird heute sicher ganz toll!“, versuchte ich sie zu überzeugen.
„ Naja..“.
„ Meinst du es geht dir besser, wenn du ein wenig läufst?“, fragte ich, „ ich wäre sogar bereit mitzumachen, oder wir kämpfen ein bisschen. Auch wenn du immer gewinnst.“
„ Ja, und dann hälst du mir ewig vor, wie viel du doch für mich machst, und dass ich dir was schuldig bin!“
„ Nein wirklich, das mach ich umsonst“. Sie zog die Augenbrauen hoch.
Ich verstand ihr Misstrauen nur zu gut. Es gab kaum etwas, was ich ohne Gegenleistung tat.
„ Nein danke, das nächste mal vielleicht“. Sie stand auf und schulterte ihre Tasche. „ Ich zieh los und such Cara, um sie ein wenig fertig zu machen“.
Damit war sie auch schon mit einem diabolischen Grinsen verschwunden.
Kurze Zeit später verstand ich auch, warum sie sich so schnell aus dem Staub gemacht hatte. Anscheinend hatte sie, im Gegensatz zu mir, mitbekommen, dass Shane auf dem Weg hierher gewesen war.
Als ich es bemerkte, drehte ich mich zu ihm um, und lächelte ihn an.
„ Hey, was machst du denn hier?“, fragte ich ihn, als er sich zu mir herunter beugte um mir einen Kuss zu geben.
Er setzte sich und lächelte mich einfach nur schweigend an.
Ich sah ihn irritiert an, als es bei mir auf einmal Klick machte.
„ Oh!...Ooooooh! Es tut mir leid“, war alles was ich fürs erste sagen konnte.
Er schwieg weiter.
„ 'tschuldigung. Ehrlich! Es tut mir wirklich leid. Ich war so beschäftigt mit den Vorbereitungen und dann ist auch noch Sam vorbeigekommen und da hab ich unsere Verabredung ganz vergessen. Verzeihst du mir?“, fragte ich mit meinem wirkungsvollsten Hundeblick.
Er runzelte gespielt die Stirn und tippte sich ans Kinn.
„ Hm, ich weiß ja nicht. Das wird dich schon etwas kosten!“
Fragend sah ich ihn an. Er überlegte weiter. Mir schien es so, als hätte er wirklich Gefallen an der ganzen Sache gefunden.
„ Ich habs!“, rief er, und ich befürchtete schon schlimmes, „ dafür tanzt du heute Abend mit mir!“
„Nein! Neiheiheiheihein! Nie. Im. Leben!“
„ Komm schon, du bist mir was schuldig.“
„Nein, bitte!“, versuchte ich es dieses mal mit Flehen, „ bitte! Alles, bloß das nicht. Du weißt, dass ich nicht tanzen kann!“
Nur leider fiel er nicht auf meine falschen Tränen rein und lächelte diabolisch.
„Nein!“, sagte ich nochmal, nur diesmal so laut, dass manche um uns herum schon herüber schauten.
„ Nein, ich werde nicht tanzen!“. ich hatte die Mitleidsnummer aufgegeben und war nun zu Trotz übergegangen.
„ Das werden wir ja noch sehen!“, war alles was er dazu sagte, aber noch nicht mal meine Zickerei konnte das selbstgefällige Lächeln von seinem Gesicht wischen.
Während wir am Tisch saßen und uns weiter unterhielten, driftete mein Hirn zu dem Tag zurück, an dem wir uns das erste Mal begegnet waren. Natürlich hatten wir uns vorher schon ein paar Mal gesehen, da wir ja auf die selbe Schule gingen, aber richtig was zu tun miteinander hatten wir nie gehabt.
Zu der Zeit, als wir uns kennen lernten, hatte ich gerade eine Achillessehnen- entzündung gehabt und musste deswegen 1 mal pro Woche zur Physiotherapie.
Auf dem Weg zu meinem Termin stieg ich wie jeden Montag nach der Schule in den Bus ein.
Zufällig fuhr an diesem bestimmten Tag auch Shane in die Stadt, und ich setzte mich, ebenso zufällig, neben ihn.
Wie immer las ich während der 30 minütigen Busfahrt (die Schule lag sehr abgelegen) in einem meiner Bücher.
Nur leider, oder in diesem Fall, zum Glück, führte ich bei soetwas des öfteren Selbstgespräche.
Höflich, und doch leicht belustigt, sprach er mich darauf an, und zwischen uns entwickelte sich eine Unterhaltung.
Als ich am Montag darauf in den Bus einstieg, saß Shane, und nein, diesmal nicht aus Zufall, am selben Platz wie vor einer Woche und wartete auf mich.
Zu Anfang fand ich es äußerst gruselig, dass er das jeden Montag tat, und Cara wollte mir auch schon ihr Pfefferspray andrehen, aber am Schluss stellte sich heraus, dass das gar nicht nötig gewesen wäre. Und wie's weiter ging, könnte man sich ja denken.
„ Hey, Charlie! Hey!“
Überrascht blinzelte ich und merkte, dass Shane mit den Fingern vor meinem Gesicht herum geschnipst hatte.
„ Was zum Teufel war denn gerade los? Ich vesuch schon seit 10 Minuten zu dir durchzudringen!“
„ Ooh, ich hab mich wohl in meinem verwirrenden Kopf verirrt.“, sagte ich.
Er lächelte amüsiert und meinte: „ Ich würde gern mal wissen ob da drin genauso viel Gerümpel rumsteht, wie in deinem Zimmer.“
Beleidigt zog ich einen Schmollmund und meinte im Brustton der Überzeugung: „ Das ist kein Gerümpel!! Das sind meine Wertsachen!“
„ Wertsachen. Aha, so nennst du das also! Und wie nennst du die Berge aus Büchern, CD's, DVDs und Süßigkeitenverpackungen? Heiligtümer?“
„ Nein“, murmelte ich erbost darüber, dass er sich über mich lustig machte und drehte beleidigt den Kopf weg.
Er stand auf und kam zu mir herüber. „Komm schon, du weißt, dass das nicht so gemeint war“, sagte er, während er vor mir in die Knie ging und mit den Haaren meines Ponys spielte.
„ Ich liebe dich mit oder ohne deiner Sucht, wertlose Dinge zu sammeln“, meinte er schmunzelnd. Erschrocken sah ich auf. Von Liebe war bisher noch keine Rede gewesen...
„Keine Angst, Charlie!“, meinte er ruhig und, wie ich herauszuhören glaubte, leicht gereizt, „ ich erwarte nicht von dir, dass du das selbe sagst, aber ich möchte jetzt auch nicht so etwas hören, wie, dass du dich geschmeichelt fühlst, es aber noch zu früh sei und ich keine Ahnung hätte, da wir uns ja noch nicht so lange kennen würden! Du neigst automatisch zu solchen Klischees“, meinte er abschließend, als ich ihn verwirrt und verärgert ansah und meinen Mund wieder schloss, ohne etwas zu erwidern.
„Nimm es doch einfach an!“, forderte er, „sag: Danke, Shane! Ich freue mich darüber, dass du so tief für mich empfindest und ich arbeite daran, eine genauso innige Beziehung zu dir aufzubauen“
„Wer wirft jetzt mit Klischees um sich?“, fragte ich murmelnd, bevor ich seinen Satz widerstrebend wiederholte.
Lächelnd beugte er sich vor, nahm mein Gesicht in seine Hände und gab mir einen langen Kuss. Wir sahen erschrocken wieder auf, als sich jemand hinter uns leise räusperte. Shane und ich drehten unsere Köpfe und erblickten eine leicht rot gewordene Lana und neben ihr Beth, die hingegen bis zu beiden Ohren grinste und anzüglich mit den Augenbrauen wackelte. Hinter ihnen steckte Cara ihren hübschen, runden, braun haarigen Kopf hervor und sah, genauso wie Lana beschämt aus.
Da sie so klein war, hätte ich sie, neben den beiden Mädels in Modellgröße, fast übersehen. Cara war 1, 55 m klein, etwas mollig und hatte die für Italiener typische braune Haut.
„ Ich hoffe, wir stör'n euch nich?“, fragte sie leise.
„Nein, warum sollten wir!“, antwortete Beth, mit der für sie alltäglichen Ungezwungenheit, für mich, und setzte sich, noch bevor Shane oder ich den Mund aufmachen konnten, auf einen der Stühle. Die beiden anderen folgten ihrem Beispiel und gesellten sich zu uns.
Nun, da alle Plätze besetzt waren, erhob ich mich und Shane setzte sich auf meinen Stuhl, während ich auf seinem Schoß platz nahm.
„ Und?“, fragte ich, nachdem die Sitzordnung geklärt war, „ was macht ihr hier?“
„ Hm? Euch davor bewahren, wegen der Erregung öffentlichen Ärgernisses einen Verweis zu bekommen?“, fragte Elisabeth unschuldig.
„Nein! Ernsthaft jetzt!“, sagte ich, nachdem wir alle erst mal eine herzhafte Runde, über ihren schlechten Witz gelacht hatten.
„ Hättet ihr heute nicht alle etwas vor haben müssen? Das war doch eure Ausrede um euch vor den Vorbereitungen zu drücken.“ Ich sah sie streng an.
„ Ja, schon“, antwortete Lana schuldbewusst, „ aber dann fühlten wir uns schuldig, weil ihr so hart arbeiten müsst, während wir uns im Kino eine vor Schmalz triefenden Schnulze reinziehen.“
„ Das hatten wir nämlich vorgehabt!“, erklärte Cara eifrig.
„ Ja, und da waren wir! Voller Schuldgefühle, weil du dich so abrackern musst um irgendeinen Dreck herum zu schleppen und was sehen wir?“, fragte Beth aufgeregt, „ das einzig dreckige was du tust, ist mit deinem Freund rumzumachen!“
„ Du bist doch nur sauer, weil du niemanden hast!“, sagte ich zum Spaß.
„ Ja, stimmt!“, lachte sie. Shane gab mir einen leichten Schubs und ich stand auf.
„ Ich merke schon, dass das jetzt zu einem dieser Mädchengespräche ausarten wird. Und da ich von der ganzen ''Wieso kriege ich keinen ab?''-Sache nichts verstehe, gehe ich lieber.“
„ Okay, wir müssen jetzt dann sowieso weg und etwas derart östrogenbeladenes tun wie uns schön machen und schminken!“, lachte Beth.
Da im Moment einfach zu viel Publikum anwesend war, fiel der Abschiedskuss zwischen Shane und mir eher kurz aus.
Nachdem Shane weg war, blieben auch wir nicht mehr lange sitzen, sondern verteilten uns in alle Richtungen. Beth und Lana gingen in ihr Zimmer, um sich für heute Abend fertig zu machen, während Cara entschieden hatte zu Colin zu gehen.
Und ich machte mich auf den Weg, um Sam zu suchen.
Ich fand sie draußen, bei den Bäumen, als Wolf verwandelt.
Ich musste zugeben, dass wir als Wölfe wunderschön waren.
Helles silbrig-graues Fell und leuchtend blaue Augen. Und nicht einmal ihre Narben, die auch in dieser Gestalt zu sehen waren, konnten die Faszination die ich bei ihrem Anblick empfand zerstören, sondern machten ihr Gesicht noch einzigartiger.
Als sie mich sah, kam sie langsam auf mich zu geschlendert und strich an meinem Bein entlang. Ich fuhr mit der Hand über das Fell auf ihrem Rücken und sagte: „Komm Sam, lass uns nach drinnen gehen. Es wird Zeit, dass wir uns umziehen“. Wieder strich sie an meiner Seite entlang, nur dieses mal fester. Sie machte den Mund auf und ihre scharfen Reißzähne packten vorsichtig einen Zipfel meines braunen Pullovers.
Ich ließ mich von ihr mitziehen und wir setzten uns auf eine der Bänke in der Nähe. Ich ganz normal und sie streckte sich der Länge nach aus und legte ihren Kopf auf meine Beine.
„ Shane hat gesagt er liebt mich“, flüsterte ich leise, während ich ihr vorsichtig mit der Hand durchs Fell fuhr. Sie knurrte leise. Sam verstand mich besser, als jeder andere auf dieser Welt, daher wusste sie wie mich diese Aussage erschreckt haben musste.
„ Da hast du ganz Recht“, lachte ich und graulte sie hinterm Ohr, „ so etwas kann er doch nicht machen!“
Ein weiteres Knurren aus ihrer Richtung.
„ Wenn du mich so fragst würde ich sagen: nein! Natürlich bedeutet er mir viel und ich bin verliebt, aber über richtige Liebe habe ich noch nicht wirklich nachgedacht.“ Ihre eisblauen Augen sahen mich einfach nur an.
„ Stimmt! Für so etwas ist es eigentlich auch noch zu früh, aber das wollte er nicht hören!“
Wir beendeten unser Gespräch, das für Außenstehende sicher äußerst einseitig geklungen haben musste, und standen gemeinsam auf, um auf unser Zimmer zu gehen. Sam blieb natürlich in Wolfsgestalt, da sie schließlich nicht im Evaskostüm durchs Schulhaus laufen konnte.

Das mit dem Umziehen war schon so eine Sache.
Ich stand vor meinen unordentlichen, vollgestopften Schrank und betete beim Türen öffnen darum nicht von einem Berg herausfallender Kleider erschlagen zu werden. Anscheinend war Gott auf meiner Seite, denn mit einem geübten Griff konnte ich die hervor quellenden Klamotten gerade noch aufhalten.
Doch beim ersten Blick in den Schrank, war ich mir mit Gottes Hilfe nicht mehr ganz so sicher.
Alles was ich darin gebunkert hatte, waren große zerknitterte T-Shirts, ein paar hässliche Pullover und lauter blaue Jeans.
Nichts von all dem konnte ich zum heutigen Winterball anziehen. Mist!
Die meisten Mädels würden wahrscheinlich in schicken Kleidern kommen, aber was zog man als Mädchen an, wenn man sich sonst so gar nicht um sein Äußeres kümmerte?
Bei einem Blick ins Zimmer meiner besten Freundin sah ich überrascht, dass sogar Sam etwas einigermaßen elegantes gefunden hatte: eine relativ enge schwarze Jeans und ein schwarzes T-Shirt mit Flügelärmeln.
Ihre Haare hatte sie einfach frisch gewaschen und geföhnt, den Rest erledigten ihre Naturlocken.
Verzweifelt ging ich zurück in mein Zimmer um nach dem Motto 'Wer suchet, der findet' meine zweite Schranktür zu öffnen.
Zum Glück fand ich, nachdem ich mich auf Entdeckungsreise vollständig in den Schrank begeben hatte, eine schlichte rote Bluse und eine Jackettjacke, die perfekt zu der schwarzen Hose passte, welche ich mir schon heraus gefischt hatte.
Meine – ebenfalls frisch gewaschenen – kurzen Haare wuschelte ich mir einfach ein wenig durcheinander und trug noch Wimperntusche auf, die ich mir mal für den Notfall besorgt hatte.
Samantha kam ins Badezimmer und inspizierte mein Jackett, bevor sei einfach stumm die Augenbrauen hob, sich umdrehte und draußen schon in Mantel und Schuhen auf mich wartete.
Wir trafen uns mit den anderen Mädchen vor Amys und Caras Zimmer.
Lana war wie immer sehr schick in ihrem knielangen flatternden Rock und ihrem schwarzen Top mit Wasserfallausschnitt. Ihre Haare hatte sie nach oben gesteckt. Beth trug wie ich eine schlichte Bluse und Hosen und einen einfachen Pferdeschwanz, während Cara in einem langen schwarzen Kleid aus der Tür trat, mit dem sie ihre Gruftie-Seite betonte.
Amy war schon etwas früher dort, da sie ja auftreten musste. Aber ich zweifelte keinen Augenblick daran, dass sie umwerfend aussehen würde. Wahrscheinlich würden sich die Jungs ihr wiedereinmal an den Hals werfen. Ganz besonders nachdem sie ihre Showeinlage gehört hatten.
Gemeinsam gingen wir zur großen Aula.
Hinter dem Kartenverkaufstresen trafen wir überraschender Weise auf Abby, die uns entschuldigend ansah und sagte: „ Tut mir Leid, Leute. Wie ihr seht wird das mit heute Abend vor 11 Uhr nichts mehr. Ich wurde kurzfristig angerufen, da Jenna nicht erschienen ist. Naja, vielleicht kommt sie noch vorbei...“. Sie ließ das Geld das wir ihr gaben, in die Kasse fallen und wir gingen weiter, den Gang entlang zum provisorischen „Festsaal“.
Am hintersten Ende der Aula war die große Bühne aufgebaut worden, vor der die Tanzfläche zu sehen war, auf der bereits ein paar Leute die Hüften schwangen.
Um die Tanzfläche herum standen Runde Tische und an jeder Seite jeweils eine lange Tafel die als Buffet diente.
Amelie stand bereits auf der Bühne und sang fröhlich „ It's only Life“ von Kate Voegele. Wie erwartet sah sie umwerfend in ihrem roten knielangen Kleid mit Spagettiträgern aus. Ihre rückenlangen roten Haare hatte sie in eine aufwendigen Hochsteckfrisur verwandelt.
Als ich in die Runde sah, bemerkte ich Shane und Logan, die ganz in der Nähe der Bühne an einem Tisch saßen und auf uns warteten.
Als auch die anderen sie gesehen hatten, gingen wir zu ihnen und setzten uns.
Rechts neben mir nahm Sam platz und auf der anderen Seite saß Shane.
Er trug ein einfaches blaues Hemd und schwarze Hosen, während Logan elegant wie immer gekleidet war: Anzughose und -Jacke und darunter ein schwarzes, teuer aussehendes Seidenhemd. Er und Lana geben das perfekte Paar ab, dachte ich. Aber sie hatte dieses Glück auch verdient. Im Gegensatz zu uns anderen, war nicht nur der Grund schrecklich warum wir hier waren, sondern auch die ganze Vorgeschichte. Ich wusste nicht alles, aber bei dem was ich gehört hatte, stellten sich mir die Nackenhaare auf.
Als Amy zu einem langsameren Lied überging, lauschten wir andächtig. So kurz vor Weihnachten gehörten Schnulzenlieder einfach dazu. Auch wenn ich hoffte, dass sie „Last Christmas“ dieses Jahr auslassen würden.
Ich lehnte mich bei Sam an und sie legte ihren Kopf an meinen. Nach all den stressigen Vorbereitungen war ein solch friedlicher Moment, in dem alle Gespräche verstummt waren, ein Segen.
Die wenigen Schüler die getanzt hatten, waren nun auch stehen geblieben um nur der Musik zuzuhören.
„ Wirklich schön wie sie von diesem ganzen Herzschmerz-Zeug gesungen hat“, sagte Sam zu mir, als das Lied zu Ende war.
„ Ich dachte, es ging um Liebe“, antwortete ich etwas verwirrt.
„ Is' doch dasselbe!!“.
„ Jaja, schon klar!“, sagte ich lächelnd, „ Komm Shane! Ich will mir jetzt mal die Bilder ansehen!“. Ich stand auf und zog ihn mit mir.
Sam würde nicht mitkommen, das wusste ich. Sie hatte mich schon davon in Kenntnis gesetzt, dass sie sich weigern würde auch nur einen Fuß in die Ausstellungsräume zu setzen.
„ Du kennst die Bilder doch schon“, murrte Samantha leise, als Shane und ich an ihr vorbeigingen. Auf der rechten Seite, neben der Bühne, ging ein kurzer Gang, zu 3 mit einander verbundenen Zimmern, entlang.
Dort gingen wir durch und sahen direkt am Eingang ein großes Schild mit kunstvoller Aufschrift, auf dem die Namen aller Künstler nach der jeweiligen Jahrgangsstufe standen. Sam war an dritter Stelle platziert:

Samantha

Das mit den Familiennamen hatten wir schon lange aufgegeben. Denn wofür brauchte man den, wenn man gar keine Familie hatte?
Überraschenderweise war ich richtig stolz. Ich war aber auch ein wenig traurig. Meine Talente lagen eher im Handwerklichen oder Technischen, nicht in so etwas Künstlerischem wie Singen oder Zeichnen.
Bei beidem lag ich im Durchschnitt, man lachte mich nicht aus, wenn ich etwas malte, aber rühmen hätte ich mich damit nicht gerade können.
Wenn es aber um Technik ging, war man bei mir immer an der richtigen Adresse.
Die ersten Bilder waren noch von den unteren Klassen. Ich bemerkte anerkennend, und leicht geschockt, dass selbst 10-jährige besser zeichnen konnten als ich.
Die Palette ging von Portraits bis hin zu Abstrakter-Kunst.
Stirnrunzelnd stand ich vor einem Bild aus lauter roten, pinken und mauve farbigen Strichen und Kleksen.
„ Was soll mir dieses Kunstwerk sagen?“, bei Kunstwerk malte ich mit den Fingern Anführungszeichen in die Luft.
Shane sah auf das Namensetikett.
„ Dass dieser 'John Dempsy' schwul ist?“, fragte er zurück. Ich musste lachen und hielt mir schnell die Hand vor den Mund um nicht aufzufallen.
Man hätte mich auch als Banause bezeichnen können, denn die einzige Form von Kunst die mich wirklich ansprachen, waren Landschaftsbilder.
Genauer genommen war Sams und meine Wohnung nur so geschmackvoll eingerichtet, da sie anscheinend ein Auge für so etwas zu haben schien, während sich mir bei den meistens Sachen die Menschen als Kunstvoll oder schick bezeichneten, die Zehnnägel aufstellten. Wer zum Beispiel wollte schon eine nackte, nach römischen Vorbild modellierte (nett ausgedrückt für 'dicke') Frau im Brunnen seiner Einfahrt stehen haben??
Aber da ich nach Sams Meinung keine Ahnung von wahrer Kunst hatte, hielt ich meistens den Mund und ließ sie Farben und Formen und so weiter aussuchen.
„ Ist das nicht irgendwie eklig?“, fragte mich Shane mit gerunzelten Augenbrauen. Ich sah nach unten, wo auf einem kleinen Tisch eine Skulptur stand. Sie bestand aus zwei.... Wesen die unten den selben Ursprung hatten sich am oberen Teil aber mit den Armen umschlungen hielten.
„Ähm...wie wärs wenn wir einfach weiter gehen und zwar solange bis wir in Sicherheit sind!! Und wir halten erst bei Sams Bilder an!“, schlug ich vor.
„ Grandiose Idee!“.
Er packte mich am Arm und zog mich mit sich durch den Raum.
Das erste Bild von ihr hing auf der rechten Seite neben der Tür, darauf waren zwei große Drachen im Kampf zusehen. Der Schlangenartige von ihnen biss den größeren in den Hals.
„ Wenn ich es nicht besser wüsste wurde ich sagen sie ist sehr gewalttätig veranlagt!“, sagte Shane ironisch nach dem dritten Bild von ihr, in dem eine Kampfszene zu sehen war.
Ich lachte und zog ihn weiter.
Ihre Bilder zeigten oft Wesen aus unserer Welt. Auf einem der Bilder war eine Fee mit langen blonden Haaren zu sehen, mit schimmernden Flügeln, umhüllt von Blumen und mit einem Kranz auf dem Kopf.
Wie nur wenige wussten stellte sie Amy dar, naja, so wie sie in ihrer wahren Gestalt aussehen würde.
Eines meiner Lieblingsbilder zeigte einen sitzenden hellgrauen Wolf mit auffallend blauen Augen.
„ Wusstest du, dass ich das sein soll?“, fragte ich Shane, und ein kleiner kindischer Teil in mir freute sich angeben zu dürfen.
„ Das dachte ich mir schon, als ich diesen schelmischen Gesichtsausdruck gesehen habe“, lachte er, sah aber weiter wie gebannt auf das Bild.
Natürlich hatte er mich schon mal in Wolfsgestalt gesehen, aber eigentlich versuchte ich das zu vermeiden. Ich glaube ich hatte Angst davor, dass er es seltsam finden könnte.
Aus Respekt verschwanden wir nicht sofort wieder, als wir alle von Sam's Kunstwerken gesehen hatten, sondern schlenderten langsam weiter und taten so als würden wir uns die anderen Bilder auch ansehen, bis wir endlich am Ausgang waren.
Im Durchgang war schon wieder Amelies Musik zu hören.
Sie spielten etwas schnelles zum tanzen und als wir in den Saal kamen, sah ich auch schon Logan der gerade Lana durch den Raum wirbelte.
Shane und ich gingen zum Tisch, an dem nur noch Cara und Beth saßen und den Leuten auf der Tanzfläche zusahen.
„ Hey, wo ist den Sam? Doch wohl nicht beim tanzen?!“, fragte ich scherzend.
„ Oh, hi!“. Beth sah überrascht auf, anscheinend hatte sie uns gar nicht bemerkt.
„ Ich glaube Sam ist zum Buffet gegangen“, antwortete Cara abwesend.
Wo wohl Colin ist, fragte ich mich im stillen.
Doch auch darauf bekam ich schnell eine Antwort, denn ich sah in in einer anderen Ecke stehen und mit ein paar Jungs Scherze machen.
Wut kroch in mir hoch. Wie konnte er es wagen Cara so zu behandeln??
Ich drehte mich schnell weg, damit ich am Ende nicht doch noch etwas dummes tat.
Da war es sicherer nach Sam zu suchen, als mir vorzustellen wie ich Cara's Freund kastrierte.
Ich erblickte meine beste Freundin – wie Cara es gesagt hatte – am Buffet.
Überraschenderweise war sie nicht allein, sondern stand neben einem großen Typen mit schwarzer Hautfarbe (um es politisch Korrekt auszudrücken), während sie sich den Teller mit Essen voll schaufelte.
Die beiden unterhielten sich und anscheinend schien Sam seine, wie ich fand, aufdringliche und arrogante Art nichts auszumachen, denn sie lachte über einen Witz den er gemacht hatte, und hörte selbst dann nicht auf, als er sich nach vorne beugte, „weil die Musik so laut wäre“. Meiner Meinung nach ein uralter Trick.
Ich runzelte die Stirn und wollte schon zu den beiden rüber gehen, um nachzusehen wer er war, als ich unerwarteter Weise am Arm gepackt und auf die Tanzfläche gezogen wurde. Shane wirbelte mich herum, nahm meine Rechte Hand in seine Linke und legte die andere auf meine Hüfte.
Ich schrie überrascht auf und hielt mich instinktiv an seinem Arm fest. Er tanzte mich im wahrsten Sinne des Wortes durch den ganzen Raum, während Amy in einem fröhlichen Liedchen davon sang, dass ein Mädchen sich schon tausend mal verliebt hatte. Wie passend für sie!!!
Ich musste lachen, als ich Shanes zufriedenes Grinsen sah. „Glaub bloß nicht, dass das kein Nachspiel haben wird“, sagte ich und versuchte ein ernstes Gesicht zu machen.
„Gib doch einfach zu, dass es Spaß macht!“.
„Niemals“, rief ich lachend aus, während er meine Hüfte losließ und ich mich um meine eigene Achse drehte.
Eigentlich konnte ich gar nicht tanzen, sondern versuchte immer nur die Schritte der anderen nachzumachen, was normalerweise in einem noch viel größerem Desaster endete. Doch heute gelang es mir sogar einigermaßen, denn ich trat Shane nur 3 mal auf die Füße.
Aber er hatte Recht, es machte mir wirklich Spaß. Nur zugeben würde ich es nie.
Am Ende waren wir beide außer Atem, als wir uns wieder an den Tisch setzten. Auch Sam saß wieder da und schob mir ihren Teller herüber. „ Ich hab dir was über lassen“.
„Danke“, sagte ich und fiel über das Essen her, wie eine Verhungernde.
Aus den Augenwinkeln sah ich, dass Shane mich amüsiert musterte.
„ Ich weiß was du jetzt denkst!“.
„Ach ja?“, fragte er und sein Grinsen wurde noch breiter.
„ Ja, aber freu dich über deine Rache, dafür, dass ich dich letzten versetzt hab, nicht zu früh!! Denn dafür muss ich mich wieder Rächen!“
„ Ich dachte, Rache darf man nicht rächen?!“
„ Bei mir ist das was anderes!“, sagte ich überzeugt und in meinen Augen funkelte wahrscheinlich die Befriedigung darüber das letzte Wort gehabt zu haben. Der restliche Abend zog schnell vorbei .
Abby kam so um halb elf doch noch vorbei und sogar Colin gesellte sich, zu Caras Freude und damit überraschender Weise auch meiner, zu uns.
Gegen Ende tanzte ich sogar noch einmal mit Shane, als Amy „Auld Lang Syne“ sang, das Weihnachtslied schlechthin.

Auf dem Weg zurück in unsere Zimmer unterhielten wir uns noch aufgeregt darüber, wie das Eishockeyspiel am morgigen Tag ausfallen würde und versuchten zwanghaft das Rumgeknutsche zwischen Lana und Logan zu ignorieren.
Shane kam auch heute wieder mit zu mir.
Während Sam sich in ihr Zimmer verzog um dort wahrscheinlich noch ein wenig fernzusehen, ging ich ins Badezimmer um mich Bettfertig zu machen.
Shane lag auf meinem Bett und las in einem meiner unzähligen Bücher.
„Warum liest du eigentlich solche Bücher?“, fragte er verständnislos und deutete auf das Cover irgendeines Liebesromans.
„Weil sie immer gut ausgehen“, antwortete ich schulterzuckend und schlüpfte unter die Decke.
Diese ganze Was-für-einen-Schalfanzug-trag-ich-nur-wenn-mein-Freund-da-ist-Sache hatten wir zum Glück schon lange hinter uns, und mein
„Billy Bear“-Pyjama war mir überhaupt nicht peinlich.
Und Sam machte es nichts aus, wenn sie noch wach war und auf Shane traf, wenn der sich wieder auf die Socken machte.
Shane stand vom Bett auf um das Buch ins Regal zurück zu stellen (was nur mal kurz gesagt der einzige Platz im Zimmer war, der aufgeräumt war) und legte sich neben mich auf die Decke. Ich zog seinen Arm so zurecht, dass ich ihn als Kissen benutzen konnte.
Eine zeitlang lagen wir so da, bis ich ihn fragte: „Erzählst du mir, wie du zum Vampir geworden bist?“.
„Wie kommst du jetzt darauf?“
„Mir ist gerade nur durch den Kopf gegangen, dass ich das eigentlich wissen sollte“. Ich zuckte mit den Achseln.
„Aber ich versteh auch, wenn du's mir nicht erzählen möchtest. Wahrscheinlich war es nicht sehr angenehem“
„Um ehrlich zu sein, hab ich keine Ahnung, ob es weh tut!“. Er machte eine Pause, und sah mir dabei ins Gesicht. Ich erwiderte seinen Blick, wenn auch leicht irritiert. Shane seufzte und fuhr fort: „Angefangen hatte mein Leben, soweit ich mich jedenfalls erinnern kann, damit, dass ich mit einem Bärenhunger in einer schmutzigen Gasse in, wie sich später herausstellte, Baltimore aufwachte und keine Ahnung hatte wer ich war.
Ich wankte ein wenig durch die Stadt, vollkommen verzweifelt, da sich meine Hunger durch nichts hatte stillen wollen.
Ich fiel über einen der Passanten her, ein Junge der ungefähr in meinem Alter war, und biss ihn in den Hals. Natürlich war ich völlig geschockt von mir, konnte aber nicht aufhören..“.
Wieder sah Shane mich besorgt an. Ich seufzte und verdrehte die Augen.
„Hör auf damit dir solche Sorgen über meine Reaktion zu machen! Also bitte, ich bin eine Wölfin! Bei uns geht’s auch nicht immer fein und sauber zu!“.
Auch er seufzte und fuhr mit einem Kopfschütteln fort: „ Ich hörte auf, als sich der Junge, nicht mehr bewegte und im ersten Moment dachte ich er sei tot, doch dann hob er schwach den Kopf. Erst da sah ich seine unglaublich hellen Augen, die fast aussahen, als wären sie weiß.
Später stellte sich heraus, dass er ein Mutant war und mit ihnen in die Zukunft blicken konnte. Anscheinend hatte er Ahnung von Vampiren, denn er war keines Wegs verschreckt oder empört. Er nahm mich mit zu sich, und half mir die ersten paar Tage durchzukommen. In den darauf folgenden Jahren reiste ich durch die ganze Welt. Zum Teil um etwas über meine Herkunft zu erfahren, zum Teil aber auch, weil mir langweilig war. Ich änderte meinen Namen mit jeder neuen Stimmung die mich überkam. Doch obwohl ich die unendliche Freiheit besaß, kehrte ich doch immer wieder zu dem jungen Mann zurück, der aber in der Zwischenzeit weiter alterte. Als er krank wurde verbrachte ich die letzten Jahre seines Lebens mit ihm. Sein Tod kam zwar nicht überraschend, aber ich trauerte sehr lange. Danach änderte ich meinen Namen noch ein einziges Mal. Ich benannte mich nach meinem ältesten und treuesten Freund: Shane. Er fehlt mir heute manchmal noch“.
Mir liefen Tränen über die Wangen, als er endete. Vorsichtig strich er sie weg und flüsterte: „Schhh, schon gut“.
„Tut mir Leid, aber ich bin nun mal sentimental veranlagt“, schniefte ich und fuhr mir mit dem Ärmel übers Gesicht. Ich hatte während der Geschichte daran denken müssen wie es für mich war, geliebte Menschen zu verlieren und konnte ihn deshalb sehr gut verstehen.
„Erzählst du mir jetzt ein Geheimnis von dir?“, fragte Shane vorsichtig. Ich schniefte noch einmal und zuckte mit den Schultern.
„ Was möchtest du denn wissen? Ich habe eigentlich keine Geheimnisse....“.
Ich stoppte und dachte nach. Sollte ich ihm wirklich davon erzählen?
Denn schließlich war es unser Geheimnis. Das von Sam und mir. Es war unsere eigene Welt. Konnte ich diese Entscheidung wirklich ohne Samantha treffen?
Ich muss ihm in dieser Sache einfach vertrauen, dachte ich, ich muss darauf vertrauen, dass er es versteht.
Ich lehnte mich wieder an Shane, schloss die Augen und begann zu erzählen:
„ Es gibt da wirklich ein Geheimnis zwischen Sam und mir. Ich rede von einer Verbindung, die gar nicht da sein dürfte. Zwischen uns gibt es ein Band. Wir können es zwar nicht sehen, spüren es aber in jeder Sekunde. In jeder Sekunde spüre ich Sam, weiß ob es ihr gut geht oder nicht und verstehe sie auch ohne Worte, selbst dann noch wenn einer von uns ein Wolf ist. Dieses Band ist einer der Gründe warum wir so, naja..einfach so sind...so unzertrennlich. Ich könnte gar nicht ohne sie leben! Aber bevor du es verstehen kannst, sollte ich dir vielleicht erst mal unsere Geschichte erzählen.
Unser Rudel war sehr groß und eines der mächtigsten in Deutschland. Ich wuchs in einer stabilen, guten Familie auf, in der meine Mutter das Sagen hatte, auch wenn sie meinen Vater in dem Glauben gelassen hatte, es wäre anders“, sagte ich zwinkernd und versuchte die traurige Stimmung zu vertreiben, obwohl mir ein Klos im Hals steckte.
„ Hab ich dir jemals von meinem großen Bruder erzählt? Weißt du, er war irgendwie genauso....wie man sich einen Bruder nie vorstellen würde.
Er war ein schlechtes Vorbild“, meinte ich und musste wirklich lachen, beim Gedanken an meinen verantwortungslosen Bruder.
„ Klingt als hättest du ihn gemocht“, sagte Shane ohne jeden Sarkasmus in der Stimme.
„ Ja, meistens schon, wenn er nicht gerade wieder einmal in Schwierigkeiten gesteckt hat. Kaum jemand hat verstanden, wieso ich ihn geliebt habe, wenn er eigentlich nur Ärger gemacht hat. Aber er hat mir wirklich viel bedeutet, ganz besonders dann, wenn wir uns gemeinsam gegen unsere Eltern verschworen hatten oder wenn er am Abend, nachdem er mit seinen Freunden weg war, in mein Zimmer gekommen ist und mir davon erzählt hat.
Er war ein richtiger Idiot, war ein Magnet für Probleme und chronisch pleite. Und, naja, obwohl es mit seinen moralischen Prinzipien nicht wirklich weit her war, war er nie böswillig gemein, oder wollte jemanden ernsthaft Schaden zufügen. Schon gar nicht mir. Er dachte bei seinen Handlungen nur nie an die Konsequenzen. Ich glaube, auf seine unkomplizierte Art und Weise hat er mich wirklich geliebt. Ich hab ihm was bedeutet, auch wenn er es nicht immer, oder besser gesagt nur selten gezeigt hat.
Wenn ich so darüber nachdenke, hatte er viele Gemeinsamkeiten mit Bart Simpson“. Ich musste ein winzige Träne runterschlucken und war mir der Tatsachen bewusst, dass ich noch kein einziges Mal seinen Namen genannt hatte. Aber das hätte ich auch nicht gekonnt, nicht an diesem Abend und wahrscheinlich auch an keinem danach. Ich spürte wie Shane mir, während ich erzählte, über die Haare strich, und beruhigte mich wieder ein wenig.
„ Meine Eltern waren genau die Art von Ehepaar, an das ich nie wirklich glauben konnte. Sie hatten früh geheiratet und waren nach fast 30 Jahren Ehe immer noch glücklich. Ich selbst war eher einer dieser '' drum prüfe wer sich ewig bindet '' - Typen.
Obwohl ich meine gesamte Familie über alles liebte, war die Beziehung zu meiner Mutter einmalig. Auch das ist ein Teil des großen Geheimnisses.
Sam und ich kannten uns von Anfang an. Wir wuchsen im selben Rudel auf, waren im selben Kindergarten und saßen seit dem ersten Schultag nebeneinander.
Obwohl wir uns nicht wirklich ähnlich sahen, verwechselten uns viele.
An dem Tag an dem alles auseinanderbrach, waren wir noch bei ihr zu Hause beim Essen gewesen.
Und dann war auf einmal die Hölle ausgebrochen.
Angefangen hatte alles, als ich auf einmal so ein seltsames Gefühl hatte. Ich bin vom Tisch aufgesprungen und losgelaufen. Ich hatte solche Angst. Erst jetzt weiß ich, dass es nicht meine Angst war, sondern die meiner Mutter, die ich durch das Band zwischen uns fühlte. Lauf weg

, hörte ich sie klar im Kopf und erschrak schrecklich. Ich weiß noch wie ich stockend stehen blieb, LAUF

!!.
Auf einmal war ein starker Schmerz da, der mich zu Boden gehen ließ und dann...Stille. Nichts als diese schreckliche Stille in meinem Kopf und in dem Moment wusste ich, dass meine Mutter tot war.
Zu diesem Zeitpunkt waren die Menschen die unser Rudel angriffen bereits bis zu Sams Gegend vorgedrungen.
Meine Starre währte nicht lange als ich sie kommen hörte. Ich sprang auf und lief zurück zum Haus meiner Freundin. Ihre Eltern waren weg um mit den anderen Erwachsenen zu kämpfen und hatten Sam in einem kleinen Zwischenraum versteckt. Sie war herausgekommen als sie mich gewittert hatte und ich nahm ihre Hand und lief mit ihr gemeinsam in den Wald, wo Tunnel unter der Erde verliefen. Während des ganzen Weges rannen mir dicke Tränen über die Wangen und ich hatte nichts anderes als meine tote Familie im Kopf. Aber das Wissen, dass Sam noch da war und dass wir uns retten mussten ließ mich nicht anhalten.
Wir waren noch Kinder! Erst 6 Jahre alt! Wir sahen und hörten so schreckliche Dinge, Shane, so schrecklich!“. Meine Stimme zitterte und mir liefen Tränen die Wangen runter. Ich drückte seine Hand die ich während meiner Erzählung ergriffen hatte.
„ Schreiende und weinende Kinder die nicht weiter laufen konnten vor Angst. Mütter die mit Zähnen und Klauen um ihre Familien kämpfen.
Und Menschen“, ich spuckte das Wort fast aus und verzog angewidert das Gesicht. „ Wie Bestien fielen sie über unser Rudel her. Mit allen möglichen Arten von Waffen schossen sie auf alles was sich bewegte.
Selbst vor Kindern machten sie nicht halt, Shane“, bei diesen Worten lief mir eine weitere Träne über die Wange. Die Wut war aus meiner Stimme verschwunden und hatte rauer Verzweiflung Platz gemacht. „Kannst du dir vorstellen wie grausam man sein muss um einem vierjährigen Jungen in den Kopf zu schießen?“.
Shane schüttelte den Kopf, was ich aber nicht sah, sondern nur spürte, da ich mein Gesicht an seine Brust gedrückt hatte.
„ Weißt du warum sie es getan haben, Shane? Weil sie Angst hatten!“, sagte ich mit einer Stimme die nun wieder voller Wut war. „ Sie hatten Angst vor uns, weil wir stärker und schneller waren. Aber selbst wir können es mit ihren Waffen nicht aufnehmen.
So sind die Menschen, alles was anders ist, macht ihnen Angst. Und alles was ihnen Angst macht, versuchen sie zu vernichten! Menschen sind schwach, vielleicht nicht wenn es ums kämpfen geht, wie sie bei all ihren Kriegen bewiesen haben. Aber wenn es um Willenskraft, Mut und Rückrad geht, dann sind sie nur erbärmlich“.
„ Und du hast ihnen immer noch nicht verziehen“, sagte Shane, ohne irgendeine Verurteilung in seiner Stimme.
„ Manche Dinge kann man nicht verzeihen!
Auch wenn sie jetzt versuchen es wieder gut zu machen, glaubst du denn sie haben sich geändert? Was glaubst du würden die Menschen in der Stadt mit dir machen, wenn sie wüssten, was du bist? Glaubst sie würden dich genauso aufnehmen wie jeden ihresgleichen? Nein, genau das würden sie nicht machen! Sie würden dich auf dieselbe Art verdammen wie sie es bei uns gemacht haben!“. Bei diesem Wutausbruch schossen mir wieder die Tränen in die Augen, nur diesmal nicht aus Trauer.
„ Das weiß ich doch“, sagte Shane und strich mir wieder über den Kopf, „ aber ist Hass der richtige Weg um damit umzugehen?“
„ Mein Hass hat mich stärker gemacht!“, sagte ich entschlossen.
„ Oder wie denkst du habe ich die ersten Wochen danach überlebt?“.
Ich atmete ein paar mal tief ein und aus und fuhr dann, etwas ruhiger, mit meiner Erzählung fort:
„Während wir zu den Tunneln liefen, bemerkte ich noch ein paar andere die es auf dieselbe Art versuchten, aber nur eine Handvoll schaffte es.
Durch die Tunnel gelangte man auf eine große Lichtung ca. 10 Meilen weiter.
Von dort führte uns einer der älteren Jungen, der sich mit seiner kleinen Schwester hatte retten können, zu einem Bekannten, der in der, sagen wir mal, 'Regierung für magische Wesen' arbeitete.
Man brachte uns zu einem neuen Versteck und danach hierher.
Insgesamt 25 Kinder und Jugendliche überlebten die Überfälle auf die Gestaltwandler, darunter 8 von unserem Rudel. Sam und mich mitgezählt.“.
Ich zögerte noch immer ihm den Rest zu erzählen, doch seine Hand, die die ganze Zeit über meinen Kopf gestreichelt hatte, machte es mir leichter.
„ Das Geheimnis von dem ich dir erzählen möchte, hat seinen Ursprung in den ersten paar Wochen, in denen wir in der sicheren Unterkunft gehaust und noch völlig unter Schock gestanden hatten. In dieser Zeit ist die seltsame Verbindung zwischen Sam und mir entstanden“.
Ich überlegte wie ich es ihm erklären konnte, sodass er es verstand.
„ Meine Großmutter war nicht nur eine Gestaltwandlerin, sondern auch eine telepathisch begabte Mutantin musst du wissen. Meine Mutter erbte ein paar ihrer Fähigkeiten, wie zum Beispiel, anderen ihre Gedanken zu schicken.
Aber auch die Fähigkeit, oder besser gesagt die Notwendigkeit dauerhafte geistige Verbindungen herzustellen. Deshalb habe ich damals auch sofort gespürt, dass meine Mutter tot war, da das Band zwischen ihr und mir gerissen ist. Dieses Bedürfnis nach geistiger Nähe ist das einzige was bei mir von der Telepathie meiner Großmutter noch übrig ist.
Doch als mit Mutters Tod, meine einzige Verbindung abgebrochen ist, war in meinem Kopf nur noch Stille. Du kannst dir nicht vorstellen, wie schrecklich sich das angefühlt hat. Es war als wäre ich nicht mehr vollständig, als fehlte ein wichtiger Teil von mir", wieder fing meine Stimme an zu zittern, beim Gedanken an die Kälte die ich damals verspürt hatte, „ Und es scheint, als hätte mein, naja, mein Kopf in seiner Verzweiflung, nach dem einzigen anderen Geist in der weiten Stille gegriffen und sich instinktiv mit ihm verbunden. Allein, dass Sams Verstand sich nicht gewehrt hatte, sagt alles über unsere Freundschaft aus.
Ich glaube die Verbindung zwischen uns war auch für Sam gut.
Immer wenn es einem von uns nicht gut ging, wegen dem was geschehen war, konnte er nach dem Band greifen und so heilten wir die meisten unserer seelischen Wunden gegenseitig.
Sam und ich hatten zu dieser Zeit sehr große Angst den anderen auch noch zu verlieren. Dass wir immer nachsehen konnten ob es dem anderen gut ging, half auch sehr dabei, das Trauma zu überwinden“.
„ Heißt das, du spürst alles, was sie fühlt?“, fragte Shane.
„ Nein, ganz so ist es nicht. Es ist eher so als würde ich Sam allgemein spüren.
Wenn sie zum Beispiel in einen Unfall gerät, dann fühle ich nicht ihre Schmerzen, sondern habe allgemein das Gefühl, dass etwas bei ihr nicht stimmt“.
Shane nickte, als hätte er ungefähr verstanden.
Mir war klar gewesen, dass er das was ich ihm sagte, nicht ganz erfassen konnte. Ich versuchte es noch einmal: „ Wenn Sam traurig ist, macht sich das bei mir durch ein unwohl sein bemerkbar.
Theoretisch könnte ich Sams Gedanken lesen und alles spüren was sie spürt, aber dass geht nur wenn sie bewusst die Schilde um ihren Verstand senkt und mich freiwillig in ihren Kopf lässt. Genauso ist es auch umgekehrt“.
„ Aber Sam hat doch keinerlei telepathische Fähigkeiten?“, fragte Shane verwirrt.
„ Nein, aber das braucht sie auch nicht, da die Verbindung ja so oder so vorhanden ist. Wenn ich jetzt meine Schutzschilde außerkraft setze und Sam bewusst die Verbindung zu mir sucht, dann kann sie hören was ich denke, da zwischen ihrem Verstand und meinem ja nichts mehr im Weg steht“.
„ Ich glaube jetzt habe ich es einigermaßen verstanden“, sagte Shane und lachte gequält. Ich konnte verstehen wie schwer es für ihn sein musste, sich so etwas vorzustellen. Es war unmöglich das Gefühl zu beschreiben.
Ich gähnte herzhaft und kuschelte mich ein bisschen näher an Shane.
„ Ich glaube du solltest jetzt schlafen. Das Geschichtenerzählen scheint dich ganz schön müde gemacht zu haben.“. Shane strich mir mit der Hand vorsichtig übers Gesicht und lächelte leicht. Ein weiteres Gähnen meinerseits und ein kurzes Nicken, auf seine Aufforderung zu Schlafen.
„ Bleibst du?“, fragte ich Shane mit bereits schläfrigen Augen.
„ Klar, wenn du bereit bist mir eines deiner Kissen abzugeben“.
Ich drehte mich kurz um, schüttelte meinen Berg Kissen in die richtige Position, schob Shane, gnädig wie ich war, auch eins herüber, und kuschelte mich tiefer in meine weiche Decke.
Shane machte es sich ebenfalls unter meiner Decke bequem, auch wenn wir beide wussten, dass ich sie im Laufe der Nacht wieder an mich reißen würde. Ein zweites Mal in dieser Nacht zog ich Shanes Arm so zurecht, dass ich den Kopf darauf legen konnte und schlief in der Gewissheit ein, dass wir heute Abend eine weitere Stufe auf der schier endlosen Leiter der Beziehungskarriere geschafft hatten.

V

öllig zerzaust und bis zum Kinn in meine flauschige Decke gewickelt wachte ich am nächsten Morgen auf. Ich schnüffelte kurz in die Luft und zog verwirrt die Stirn kraus. Was roch da so gut? War Sam etwa schon wach um.....(kurzer Blick zur Wanduhr bei der ich 1 Stunde und 20 Minuten dazurechnen musste)...um halb 9 Uhr morgens? Seeehr unwahrscheinlich, aber wünschenswert!
Widerwillig stand ich auf, um dem Ursprung des Geruches nach zu gehen.
Vielleicht war aber auch Cara mit einem netten Überraschungsfrühstück rübergekommen!....Noch unwahrscheinlicher, da es gesterns so ausgesehen hatte, als ob sie und Colin noch einiges zu tun gehabt hätten, wenn ihr versteht was ich meine.
Müde und orientierungslos tapste ich um all den Müll und den Bergen aus Büchern,CD's und Plastik-Ramsch herum um zur Tür zu gelangen.
Einmal hätte ich vor lauter Augenreiben fast einen Klamotten-Mount-Everest übersehen, doch ich konnte ihm in letzte Sekunde noch ausweichen.
Endlich an der Tür angekommen, musste ich erst einmal Pause machen, da ich für einen so langen Weg, wie der vom Bett bis zur Tür eigentlich noch viel zu müde war.
Ich öffnete die Tür und blieb wie erstarrt stehen.
„ Du.....hast unsere Küche eingeweiht“, sagte ich verwirrt und starrte auf Shane der an unserem neuen, super-sauberen Herd stand und Rührei machte.
Shane drehte den Kopf in meine Richtung und lächelte mich an, während er ungerührt weiter kochte.
Das wirklich seltsame an der ganzen Situation war jedoch nicht einmal, dass mein Freund in meiner Küche stand und dort herum hantierte, oder dass er in unseren Schränken wirklich etwas anderes als Schokolade und Kekse gefunden hatte. Nein, das seltsame war, dass Shane anscheinend hier übernachtet hatte, was ich daraus schloss, dass er immer noch das Zeug von gestern trug, das im Moment verdächtig zerknittert aussah.
Unter normalen Umständen vermied ich es eigentlich, dass Shane hier übernachtete. Genauer genommen, war das hier das erste Mal.....
Normaler Weise, ging er immer bei Nacht und Nebel und ich schlief ruhig und fest alleine weiter. Und selbst wenn wir bei Shane waren um... naja ihr wisst schon....selbst dann verschwand ich danach immer.
Was das für uns bedeuten würde, wollte ich im Moment nicht durch diskutieren.
Ich hatte überraschender weise gut geschlafen, obwohl ich normalerweise neben niemand anderem als Sam schlafen konnte. Und die Sache mit dem duftenden Frühstück gehörte eindeutig auf die Pro-Liste.
„ Ist Sam schon wach?“, fragte ich, während ich auf dem Weg ins Badezimmer war.
„ Ich hab versucht sie aufzuwecken, aber sie hat nur gegrunzt und sich auf den Bauch gedreht, und als ich sie nochmal angesprochen habe, hat sie nur den Arm gehoben und so eine schwere große Messingfigur vom Nachttisch genommen. Ich bin davon ausgegangen, dass die für mich bestimmt war, also bin ich wieder abgehauen“.
Gut, dass er das nicht bei mir versucht hatte. Denn normalerweise bewarf ich die Menschen die mich wecken wollten gerne mit Socken. Das wäre eindeutige contra-produktiv für unsere Beziehung gewesen.
Ich nickte stumm, ging ins Bad und schloss die Tür hinter mir.
Ich erledigte meine morgendlichen Bedürfnisse, und zog dann, unter leichten Schmerzen, da meine Muskeln verspannt waren, den Pyjama aus.
Ich seufzte glücklich auf als ich unter den heißen Wasserstrahl der Dusche trat.
Das mit dem Haare waschen war bei kurzen Haaren eine lässige Sache und so war ich mit allem drum und dran innerhalb von 10 Minuten fertig, was schon fast ein Rekord war, denn normaler weise brauchte ich mindestens eine halbe Stunde schon alleine fürs Duschen.
Nur mit einem Handtuch bekleidet ging ich hinaus und in mein Zimmer zurück. Auf dem Weg dorthin drehte Shane mir wieder den Kopf zu und wackelte anzüglich mit den Augenbrauen.
Ich verdrehte lediglich die Augen, musste jedoch selbst ein wenig lächeln.
Im meinem Zimmer fischte ich mir zuerst frische Unterwäsche heraus und trat dann zum 'sauberen' Wäscheberg, aus dem ich eine Jogginghose und ein dunkelblaues T-Shirt zu Tage forderte und mich vollständig anzog.
Um dem allem den letzten Schliff zu verpassen, machte ich mir sogar die Mühe nach einem zusammenpassenden Paar Socken zu suchen.
Als ich diesmal aus der Tür trat, während ich immer noch versuchte durch rubbeln meine nassen Haare zu trocken, sah ich Sam bereits am Küchentisch sitzen und Shane auf die selbe verwirrte Art ansehen, wie ich es zuvor getan hatte.
„ Er... kocht“, sagte sie lediglich zu mir ohne den Blick von ihm abzuwenden.
„ Er steht in unserer Küche und kocht. Sag mal, hab ich irgendwas nicht mitbekommen? Oder vielleicht bilde ich mir das ganze auch einfach nur ein.
Ja das ist es, er steht gar nicht da, und ich träume noch!“
„ Nein Sam ich bin wirklich hier!“, sagte Shane geduldig und stellte zwei Teller mit Rührei, Speck, Brot und Butter auf den Tisch.
Ungläubig ließ Sam den Blick über das Essen vor ihr gleiten und stupste das Brot vorsichtig mit dem Finger an, wie um zu überprüfen ob es auch echt war.
Ich schüttelte einfach nur den Kopf, ging zu Shane hinüber, gab ihm einen kurzen Dankeschön-Kuss und setzte mich dann neben Sam an den Tisch.
„Um wie viel Uhr beginnt eigentlich das Eishockeyspiel?“, fragte Sam und ihr Gesicht leuchtete kurz auf als sie sich ein Stück Speck in den Mund schob.
„ Um 6 Uhr, aber wir müssen um 3 schon da sein, da wir selbst ja auch noch ein wenig Eislaufen wollten. Und weil wir so früh aufgestanden sind, müssen wir die nächsten Stunden irgendwie totschlagen“, antwortete ich mit vollen Mund.
„ Also Logan und ich haben vor heute mal einen auf Männertag zu machen, und treffen uns bei ihm, um...naja...um eben Männersachen zu machen“, meinte Shane der sich nun ebenfalls mit einem Teller zu uns gesellt hatte.
„ Männersachen..aha. Heißt das, ihr sitzt auf dem Sofa, schaut Sport, fresst Chips und kratzt euch am Sack?“, fragte Sam spöttisch und mit einem fiesen Grinsen.
„ Etwas zivilisierter, bitte! ..Wobei die Sache mit dem Sport nicht ganz falsch ist“, antwortete Shane lachend.
„ Wie wärs damit, wenn wir heute mal ein wenig entspannen und uns einen Film ansehen?“, schlug ich Sam vor.
„ Welcher schwebt euch denn vor?“, fragte Sam leicht erhaben und mit gespieltem britischen Akzent.
„ Ich weiß es nicht Mylady, was gereicht euch denn zur größten Erheiterung?“, stieg ich in ihr Spiel ein.
Shane schüttelte den Kopf und meinte: „ Ihr zwei seid doof!“
„Hört ihr dies? Wie dieser Pöbel es hat gewaget uns zu rügen?“
„ Sehr wohl! Welch Schand und Untat!“
„ Ich hau ab, zum einen damit ich nicht zu spät zu Logan komme, und zum anderen hab ich Angst vor euch wenn ihr so etwas macht!“
Shane stand auf, räumte den Teller ab und kam noch einmal zurück um mir einen Abschiedskuss zu geben.
„ Auf wiedersehen, mein junger Prinz. Möge die Sonne den ganzen Tag auf Euer Haupte scheinen!“, rief ich ihm hinterher. Sam und ich sahen uns an und mussten dabei so sehr lachen, dass uns beiden die Tränen kamen.

Nachdem Shane weg war und wir uns die Tränen aus dem Gesicht gewischt hatten, entschieden wir uns dafür die dreckigen Teller einfach stehen zu lassen und gleich fern zu sehen.
Wir waren uns einig, dass es eindeutig ein '' Rocky Horror Picture Show'' – Tag war. Sam und ich waren riesige Fans dieses Filmes und sangen jeden einzelnen Song mit. Tim Curry war unser Held. Und er bekam sogar noch ein paar Punkte dazu gerechnet, da er der wohl einzige Mann war, der in Frauenkleidern gut aussah.
Zuallererst machten wir uns Popcorn und stellten eine große Flasche Cola auf den Wohnzimmertisch, dann schnappten wir uns eine Decke und kuschelten uns gemeinsam auf die Couch. Normalerweise saß ich immer auf meinem geliebten Sessel, aber es war einfach gemütlicher und schöner neben Sam zu sitzen.
Genauer genommen saß ich immer neben ihr. Beim Essen, im Kino und sogar wenn ich auf meinem Sessel lümmelte, nahm sie auf der Armlehne Platz.
Der Anfang des Filmes war immer etwas langweilig. Wen bitte schön interessierte schon die Hochzeit?
„ Waaaah! Sam, verdammt, nimm deine Füße da weg! Die sind ja eiskalt!“.
„ Eben und deine sind warm!“.
„ Klar, ich trag auch Socken!“.
„ Ja, MEINE Socken!“.
„ Nein, das sind meine, deine sind momentan in der Waschmaschine!“.
„ Beweise!“.
„ Ich weigere mich, dir meine Socken zu zeigen! Das ist doch lächerlich!“.
„ Wenn es lächerlich ist, und du meine Socken wirklich nicht anhast, dann zeig sie her, Kumpel!“. Ich seufzte und streckte einen Fuß aus der Decke.
„ Hier, siehst du? Meine eigenen!“.
„Ja, und bis ich meine zurück habe, muss ich meine Füße eben bei dir wärmen!“, sagte Sam entschieden, und schob ihre Beine wieder zu meinen rüber. Ich gab den Kampf auf, zum einen, da es aussichtslos war und zum anderen hatte ich jetzt keine Zeit mehr zu streiten, da der Film gleich an der Stelle angekommen war, in der Riff Raff die Tür öffnete.
Wie immer sangen wir bei allen Lieder laut mit und diskutierten fortwährend über den Film.
Den Rest unserer Zeit vertrödelten Sam und ich mit den Filmen Pitch Black und Riddick.
Überrascht merkten wir nach dem Ende des Filmes, dass es bereits 2 Uhr war und wir nur noch eine halbe Stunde hatten bevor wir uns mit den anderen an der Bushaltestelle trafen. Wie von der Tarantel gestochen sprangen wir auf und liefen ins jeweilige Zimmer.
In meinem ließ ich so schnell wie möglich meine Hose und das T-Shirt fallen. Ebenso im Eiltempo schnappte ich mir die dunkelblaue Jeans und den blauen Pulli auf meinem Stuhl. Ich kämmte mir kurz vor dem Spiegel die Haare und rannte wieder aus dem Zimmer.
Sam war schon fertig mit anziehen und stand an unserem Gerümpelschrank, aus dem sie unsere Schlittschuh-Taschen zog. Ich lief zur Garderobe und nahm unsere beiden Mäntel vom Haken. Schlampig wickelte ich mir meinen blauen Kaschmirschal um und zog mich fertig an. Auch hierbei war Sam wieder einmal schneller gewesen. Punkt 2.25 Uhr traten wir beide mit den Taschen in der Hand aus der Tür und machten uns auf den Weg.

Die Busfahrt dauerte zwar fast eine halbe Stunde, verging aber wie im Flug da wir viel Spaß hatten.
Sam und ich saßen mit Shane und Cara in einem der Vierer-Plätze, während Lana, Beth, Logan und Amy im anderen gegenüber waren. Colin war nicht mitgekommen was uns insgeheim erfreute, da er sicher alles verdorben hätte. Auch Amy war alleine. Zwar hatte sie momentan wieder fast einen Freund, meinte aber, dass so etwas die perfekte Gelegenheit war um jemanden kennen zu lernen.
Die Eisfläche für den Publikumslauf war voll, jedoch nicht überfüllt, sodass es kein allzu großes Gedränge gab. Sam und ich hatten uns schon sehr lange auf diesen Tag gefreut, da wir Eislaufen liebten. Und ich konnte ehrlich zugeben, dass ich sogar recht gut darin war, ebenso wie Sam. Cara konnte es zwar, war aber nicht wirklich gut, während Amy und Lana bisher noch kaum auf dem Eis gewesen waren. Und Beth hatte sich dazu entschieden nur von draußen zu zusehen. Sie war ein wenig hypochonder. Was bedeutete, dass sie fast alles für zu gefährlich hielt. Dabei konnte sie sich doch eh nicht mehr ernsthaft verletzen!
Ich war schon richtig gespannt, wie die Jungs wohl gegen Sam und mich abschnitten. Sofort als ich meine Schlittschuhe anhatte, rannte ich aufs Eis und machte meine ersten Drehungen. Sam folgte mir, und direkt hinter ihr waren Shane und Logan. Ich drehte um und fuhr zu Shane zurück, um ihn am Arm hinter mir her zuziehen. Er lachte und drehte den Spieß um, anscheinend war auch er nicht schlecht. Klar, wenn man so lange Zeit gehabt hatte wie Shane, hatte man irgendwann alles drauf.
Logan hingegen war etwas wacklig auf den Beinen und musste sich dazu auch noch gegen Sams Hilfeversuche wehren.
Ich ließ Shanes Hand los und lief so schnell ich konnte. Dabei zeigte ich den anderen ein paar meiner Tricks, wie Rückwärtsfahren oder in den Kurven übertreten. Sam leistete mir bei meinem kleinen Rennen Gesellschaft, nachdem sie Logan an Shane übergeben hatte.
Ich fuhr fröhlich im Kreis und achtete nicht allzu viel auf meine Umgebung. Erst als ich mich suchend nach Sam umsah bemerkte ich, dass sie gar nicht mehr richtig auf dem Eis war, sondern an den Banden stand und sich mit jemandem unterhielt. Vorsichtig fuhr ich ein wenig näher, um einen besseren Blick auf den Fremden werfen zu können. Überrascht merkte ich, dass er gar nicht so fremd war. Es war der Typ von gestern Abend, am Buffet.
Er hatte sich über die Banden gelehnt und lächelte anscheinend über Sams Versuche ihn aufs Eis zu ziehen. Er machte auf mich einen sehr eingebildeten Eindruck und es schien als würde Sams Aufmerksamkeit seinem Ego keinen Abbruch tun. Auch wenn es Sam wahrscheinlich gar nicht auffiel, bedachte er sie dabei mit einem ganz bestimmten Blick, der mir nur allzu bekannt vorkam. Das war nämlich der „Du bist super Heiß und ich will was von dir“ - Blick.
Naja, das könnte der sich aber auf alle Fälle abschminken. Es war ja wohl offensichtlich das der Typ viel zu arrogant war. Aber Sam schien trotzdem Spaß an dem Gespräch zu haben, das zweifellos von ihm handelte. Solche Typen liebten es über sich selbst zu reden. Er beugte sich noch weiter vor, aber Sam merkte wieder gar nichts davon. Der selbe Trick wie gestern Abend als die Musik ' zu laut ' war. Wahrscheinlich tut der Typ im Kino so als müsse er gähnen und legt dann den Arm um seine Begleitung. Bei diesem Gedanken entschied ich mich insgeheim, Sam mal ein wenig Aufklärungsunterricht zu verpassen, sobald von Kinobesuchen die Rede war.
Als sich bei seinem (eindeutig überheblichen) Lachen sein Kopf bewegte und dadurch seine kinnlangen Dreadlocks umher flogen stieg meine Gehässigkeit so sehr, dass ich mich selbst ein wenig bremsen musste. Ich drehte mich um und fuhr, mit der Absicht mich wieder ein wenig in den Griff zu bekommen zu Beth, die am anderen Ende der Bahn auf einer langen Bank saß.
„ Hey, und wie läufts bei ''Friends-On-Ice'' ?“, fragte sie und schaute von ihrem Buch auf.
„ Es ist wirklich toll!“, antwortete ich angestrengt fröhlich und versuchte zwanghaft meine Gedanken in eine andere Richtung zu lenken.
„ Stimmt was nicht?“; war ihre nächste Frage. Wahrscheinlich weil sie meinen verkniffenen Gesichtsausdruck gesehen hatte, welcher eigentlich ein Lächeln hätte sein sollen.
„ Nein, mein Schuh drückt nur ein bisschen“, antwortete ich etwas lahm.
Ich bemerkte beim wegfahren nur noch wie sie den Kopf schüttelte und die Augen verdrehte.
Lana kam auf mich zu gestolpert und musste sich beim stoppen an mir festhalten.
„ Hey wer is' denn der heiße Typ bei Sam?“.
Ich grunzte nur undamenhaft und fuhr zu Shane um mich mit einem langen Kuss von ihm ablenken zu lassen, was hervorragend funktionierte. Als ich mich aber wieder zurück ziehen wollte, schnappte er mit seinen spitzen Vampirzähnen nach meiner Unterlippe und biss kurz aber fest hinein. Mein Körper ruckte unmissverständlich und ich konnte sein Grinsen fast schon spüren als ich rot wurde. Ich sah kurz nach, ob das jemand bemerkt hatte und war erleichtert als dies nicht der Fall war. So was war mir irgendwie peinlich...
Als er meinen Kopf noch einmal zu sich ziehen wollte, entwand ich mich ihm geschickt und fuhr kichernd davon. Er kam mir hinterher und versuchte mich wieder einzufangen.
Den Rest der Zeit verbrachten Shane und ich mit unserem Fang-Spiel ( jedes mal wenn er mich erwischte, durfte er mich einmal küssen ).
Am Ende hatte ich meine albernen Gedanken über Sam völlig vergessen.
Das Eishockeyspiel war der Höhepunkt des Abends. Unser Team gewann mit einem Vorsprung von 3:1 und Lanas Beschimpfungen (die dem gegnerischen Team galten) waren wie immer höchst interessant. Schon gar weil sie eine äußerst einfallsreiche Variante aus Wixxer und dem Wort mit A verwendete, die ich mir unbedingt merken musste...
Alles in Allem war der Tag sogar einigermaßen aufschlussreich gewesen, denn nun wusste ich auch wer ' Typ ' war. Laut dem Namen auf seinem Trikot hieß er Damian. Ich war mehr als überrascht gewesen, als sich herausstellte, dass er Eishockeyspieler war.
Während der Heimfahrt waren alle bester Laune. Ich nahm mir vor mehr über
' Typ'....nein Damian herauszubekommen und kuschelte mich näher an Shane, der dabei war mit Logan über irgendwas fachzusimpeln. Sam die mir im Bus gegenüber saß, schien irgendwie abgelenkt und schwieg die ganze Zeit über.
Endlich wieder zuhause ging ich sofort ins Bad um zu Baden. Bei so engem Kontakt zu fremden Körper fühlte ich mich immer leicht unhygienisch.
Aber selbst ein Entspannungsbad verdrängte die Aufregung des ganzen Tages nicht und ich hatte große Schwierigkeiten einzuschlafen.
Ich verfluchte mich selbst Shane heimgeschickt zu haben und tapste zu Sam ins Zimmer, eines meiner Kissen unterm Arm.
„ Rutsch!“, befahl ich und legte mich neben sie unter ihre warme Decke.
Sam war keineswegs überrascht. Sie schien meine innere Unruhe gespürt zu haben und hatte aus diesem Grund bereits erwartet, dass ich bei ihr vorbei schauen würde. Ich rückte ein Stück näher an sie ran und legte meinen Kopf an Sams Schulter.
„ Hey? Was ist denn los?“, fragte Sam überraschend sanft.
„ Ich weiß auch nicht, ich fühl mich so rastlos..“. Ich schmiegte mich noch ein Stück enger an Sam und genoss das Gefühl der Sicherheit das ich bei ihr empfand.
Jetzt wäre ein guter Zeitpunkt nach Damian–formaly–known–as–Typ zu fragen, aber ich wollte den Moment der Ruhe nicht zerstören. Und so lag ich einfach nur still neben ihr und lauschte ihrem leisen Atmen, selbst dann noch als er sich verlangsamt hatte und sie eingeschlafen war.

D

er nächste Tag sollte für uns alle einige Überraschungen bereit halten.
Doch vorher musste ich es erst einmal schaffen aus dem Bett zu kommen...
Sam und ich ließen wie jeden morgen das Frühstück aus und gingen in die Aula um die anderen zu treffen. Ich trat zu Shane, legte die Arme um ihn und den Kopf an seine Schulter. Sam stand wie immer neben mir und wir warteten gemeinsam auf Cara und Amy. Jeweils Sam und ich und Cara und Amy gingen in eine Klasse, Lana und Beth waren eine Jahrgangsstufe über uns. Shane und Logan waren in der selben Klasse wie die beiden, aber er begleitete mich immer mit zu meinem Klassenzimmer.
Die Stimmung als alle eingetroffen waren, war irgendwie bedrückend. Kaum jemand sah dem anderen in die Augen und es wurde auch nicht gesprochen.
Eines war uns allen klar: da lag eindeutig irgendwas böses in der Luft!
Ich schmiegte mich noch enger an Shane und als ob er es auch spüren würde nahm er meine Hand und drückte sie sanft.
Als wir am Klassenzimmer ankamen (gerade noch rechtzeitig) war die Hölle los. Wie verrückt liefen die Leute durcheinander und es herrschte eine fast unerträgliche Lautstärke, ganz besonders für meine Wolfs-Ohren.
Ich drehte mich zu Shane um, wartete bis er sich zu mir herunter gebeugt hatte um mir einen Abschiedskuss zu geben, und ging dann gemeinsam mit Sam in das Chaos unserer Klasse. Sofort kam ein Wirbelwind aus einem Berg blonder Haare auf uns zu gerauscht. Ganz knapp konnte Sandy noch vor uns bremsen und musste sich dann erst mal eine Minute Verschnaufpause gönnen, bevor sie, immer noch völlig außer Atem, sagte: „ O mein Gott!! Habt ihr's schon gehört?“.
Sie wartete unsere Antwort gar nicht ab, sondern fuhr aufgeregt fort: „ Jenna ist verschwunden! Laut Marlee soll sie seit Freitagabend nicht mehr gesehen worden sein!“.
Überrascht sahen Sam und ich Sandy an und im ersten Moment konnten wir noch gar nicht richtig verstehen was sie da erzählte. Als ich realisiert hatte, was ich gerade gehört hatte, schweiften meine Gedanken zu dem Freitag an dem ich Jenna in dem Café getroffen hatte, aufgeregt und voller Vorfreude. Dann dachte ich an meine Rastlosigkeit von gestern Abend und an das seltsame Gefühl heute morgen...
„ Das muss ein Irrtum sein!“, sagte Sam, die anscheinend nichts von meinen Gedanken ahnte. Sie schien jedoch selbst nicht ganz überzeugt zu sein.
„ Nein, es ist ganz sicher! Gerade war der Rektor hier und hat seltsame Fragen gestellt.“.
Ungläubig sah ich mich im Raum um, in dem alle in kleinen Grüppchen standen und aufgeregt tuschelten und diskutierten.
„ Ok, Kinder setzt euch bitte auf eure Plätze, wir wollen anfangen!“, hörte ich die leise angenehme Stimme unserer Mathematiklehrerin Mrs. Christian.
Wie in Trance setze ich mich mit Sam auf unseren Platz in der ersten Reihe und tat so als würde ich der Frau vorne zuhören. Aber in Wirklichkeit kreisten meine Gedanken nur um Jenna. Durch unser Band konnte ich spüren, dass es Sam nicht anders ging.
So wie's aussah versuchte unsere Lehrerin angestrengt so zu tun, als wäre Jenna's Platz direkt neben der Tür nicht leer und als wären wir Schüler nicht nur körperlich sondern auch geistig anwesend.
Die Stunde verging überraschend schnell und es war die ganze Zeit seltsam leise gewesen als würde sich niemand trauen auch nur zu husten.
Auch als die Lehrerin weg war und wir auf die nächste Stunde warteten blieb ich sitzen wo ich war und drehte mich nicht einmal zu Sam um.
Überraschender weise dachte ich jetzt nicht mehr an Jenna. Nein, mein Kopf war völlig leer und ich starrte so gebannt an die Tafel als würde dort die Lösung für das Problem der Klimaerwärmung stehen.
Undeutlich nahm ich war wie Mr. Bennett den Raum betrat und sich hinters Pult stellte. Im Gegensatz zu unserer Mathematiklehrerin versuchte er nicht alles unter den Teppich zu kehren sondern sprach uns direkt darauf an.
„ Wenn jemand Fragen hat, kann er sie mir ruhig stellen“, sagte er verständnisvoll.
Aus allen Richtungen des Klassenraumes kamen Fragen geschossen.
Geduldig beantwortete er manche und anderen wich er geschickt aus.
Während der ganzen Zeit blieben Sam und ich still. Wir hörten nur zu.
Der restliche Tag verflog, ohne dass wir es so recht mitbekamen.
Während der Pause hatten wir den anderen erzählt was wir wussten und waren dann wieder nur teilnahmslos da gesessen während sie ihre Vermutungen austauschten. Am Ende des Schultages, um kurz nach 3 Uhr, wurde durch die Lautsprecher offiziell bekannt gegeben, dass Jenna als vermisst galt.


„ Und was glaubst du, dass passiert ist?“, fragte mich Sam auf unserem Zimmer, als wir beide im Wohnzimmer saßen.
„ Ich weiß auch nicht... Ich kanns irgendwie gar nicht richtig glauben.
Erst Freitag haben Shane und ich sie noch in der Stadt gesehen.“ Ich drückte mein Kuschelkissen enger an mich und sah auf unseren flauschigen blauen Teppich.
„ Wirklich? Warum hast du mir das nicht erzählt?“
„ Weshalb hätte ich das tun sollen?“, fragte ich verwirrt, „ zu dem Zeitpunkt wusste ich ja schließlich noch nicht was passieren würde“.
Sam schwieg wieder für einige Zeit und auch ich hing meinen Gedanken nach.
„ Weißt du, jetzt ergibt das ganze erst einen Sinn!“, sagte sie plötzlich in die Stille hinein, „ du weißt schon, dass sie Samstagabend nicht am Kartenverkauf war, oder das wir sie nicht wie sonst bei dem Spiel getroffen haben.“
Es klopfte an der Tür und ohne dass wir etwas gesagt hätten, traten auch schon die anderen ein und setzten sich zu uns. Lana, Logan und Amy fehlten, deshalb waren es nur Shane, Cara und Beth. Shane setzte sich auf die Armlehne meines Sessels und ich konnte spüren wie er mir kurz über den Kopf strich.
Wir berichteten den anderen von unserem Gespräch.
„ Und was meint ihr sollen wir jetzt machen?“, fragte Beth.
„ Wir sollten uns da nicht einmischen!“, war meine Meinung.
„ Du meinst wir sollen gar nichts tun?“, fragte sie verständnislos.
„ Und was denkst du dass wir tun sollen? Sherlock Holmes spielen und nach ihr suchen?“, kam es gereizt von Sam.
„ Is' doch besser als nichts tun!“
„ Hör zu Beth! Deine Absicht in allen Ehren, aber was wollen wir schon machen? Erstens sind wir alle fast noch Kinder und außerdem hatte eigentlich keiner von uns wirklich was mit Jenna zu tun!“
„ Stimmt“, sagte Sam, „ das ganze geht uns also genau genommen gar nichts an!.“
„ Wieso seid ihr so herzlos?“, fragte Beth verzweifelt.
„ Ich muss ihnen Recht geben, Beth“, meinte Cara entschuldigend, „ wir sollten unsere Nase nicht in Dinge stecken von denen wir keine Ahnung haben.“
Fast beleidigt drehte Beth den Kopf zu Shane, der sich bisher rausgehalten hatte.
„ Ich gebe euch auch recht, wir wissen schließlich nicht in was das Mädchen da geraten ist und wie gefährlich die ganze Sache ist. Aber um das ganze endgültig zu beschließen, finde ich, sollten die anderen auch da sein.“
Damit hatte er unsere Diskussion offiziell beendet und Schweigen trat wieder in unsere Runde.
Eine halbe Stunde später trafen die anderen Drei ein. Bis auf Lana waren alle unserer Meinung und so beschlossen wir uns aus der Sache herauszuhalten.
Als wir das Treffen auflösten, bat ich auch Shane zu gehen, da ich und Sam allein sein wollten.
In dieser Nacht kam Sam zu mir ins Zimmer, da sie anscheinend auch nicht hatte schlafen können. Während unserer Unterhaltung merkte ich wie meine Augen immer schwerer wurden und ich langsam weg döste. Mein Schlaf blieb Traumlos und als ich am nächsten Tag erwachte war ich seltsam ausgeruht.
Sam und ich hatten den ganzen Tag nichts zu tun, da man unserer Klasse für die nächsten zwei Tage frei gegeben hatte. Wir nutzten dies aus, um unsere Wölfe mal wieder ein wenig laufen zu lassen. Bevor wir uns auf den Weg machten, packten wir neue Kleidung in einen Rucksack, da sich die jetzige auflösen würde, sobald wir uns verwandelten.
Im Wald versteckten wir die Tasche in einem Strauch. Ich stand da und konzentrierte mich auf meine Wandlung. Es war nicht unangenehm obwohl man doch Schmerzen spürte wenn sich die Knochen veränderten. Es war Schmerz und Glücksgefühl zugleich.
Nur wenige Sekunden später stand ich da, als hellgraue schöne Wölfin und genoss den Geruch des Waldes. Es war alles so wunderschön.
Mit meinen jetzigen Augen sah die Welt ganz anders aus.
Ich witterte Sam direkt hinter mir, tapste zu ihr herüber, strich ihr kurz mit der Schnauze durchs Fell und lief dann geradewegs weiter ins Gebüsch hinein.
Sam rannte mir hinterher und wir vertrieben uns die erste halbe Stunde damit, fangen zu spielen. In solch ausgelassenen und wundervollen Momenten schaffte man es fast die schlimmen Dinge des Lebens zu vergessen.
Wir tollten weiter durch den Wald und die Zeit verging wie im Flug.
Uns kamen die Stunden die wir dort in Wolfsgestalt verbrachten wie Minuten vor. Meine Wölfin war zum ersten mal seit langem wieder zufrieden.
In letzter Zeit hatten Sam und ich kaum die Möglichkeit für so etwas gehabt, und das hatte sich in meiner Stimmung und der Unruhe meiner Wölfin bemerkbar gemacht.
Wir liefen zurück zu unserem Ausgangspunkt, verwandelten uns wieder in Menschen und zogen die frische Kleidung an.
Zurück in der Schule erkundigten wir uns, ob es Neuigkeiten über Jenna gab, aber niemand konnte uns etwas sagen.
Mit jeder Stunde in der es nichts neues gab, wuchs meine Sorge. In solchen Situationen empfand man immer Reue. Bei mir ging es darum, dass ich mir eigentlich nie wirklich die Mühe gemacht hatte, Jenna kennen zu lernen.
Jetzt tat es mir Leid, dass sich unsere Gespräche immer nur um belanglose Dinge gedreht hatten.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 17.11.2010

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für Jessica, meine älteste und beste Freundin. Wer braucht schon Sam wenn er dich haben kann?

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