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Prolog

Der Weltuntergang

 

Es wurde überliefert, dass am 14. Mai 2048 alter Zeitrechnung eine merkwürdige Krankheit in den USA, aber auch in Europa und Asien Hunderttausende tötete. Die Infizierten wurden anfällig für jede an sich harmlose Krankheit, wie Erkältungen oder Infektionen selbst kleinster Wunden, die bei ihnen jedoch schwerste Infektionen bis hin zum Tod auslösten. Die Kräfte der Erkrankten schwanden sehr rasch, selten dauerte es mehr als drei Tage bis zum Tod. Wie ein Flächenbrand breitete sich die Krankheit über den ganzen Globus aus. Wissenschaftler und Ärzte versuchten mit allen Kräften ein Heilmittel zu entwickeln. Die Lage schien aussichtslos. Ganze Völker wurden von der Epedemie dahingerafft. Niemand blieb verschont.

 

Aufbau einer neuen Menschheit

 

Am 24. Dezember 2048 tagte eine Geheimgesellschaft auf einem ihrer Stützpunkte im kalten Norden um dort über die Zukunft der Menschheit zu beratschlagen und einen Notfall - Plan für die letzten Überlebenden zu schaffen. Der bis dahin völlig unbekannte Wissenschafter Nil Collins stellte den einflussreichen Mitgliedern sein Projekt zur Schöpfung einer neuen Menschheit vor: Er hatte einen Weg gefunden, Eizellen nur durch die DNA von Menschen zu befruchten und den Fötus in Brutkästen zu züchten. Diese Menschen nannte er Klone, da jeder von ihnen so einzigartig aussah wie der Mensch dessen DNA verwendet wurde. Nichts unterschied einen Klon von einem Menschen, außer das Collins sie immun gegen Krankheiten aller Art machen konnte. Die Geheimgesellschaft stimmte mit einer geringen Mehrheit zu. Das Projekt wuchs und es gelang, die Klone durch Genmanipulation leistungsstärker und kontrollierbarer zu machen. So sollte gewährleistet werden, eine unzerstörbare Menschheit zu schaffen.

 

Am 20. Mai 2052 wurde Nil Collins zum Herrscher der neuen Welt ausgerufen. Nun konnte er ohne Zustimmung des Geheimbundes agieren und seine Pläne fortsetzen.

 

 

 

Die neue Weltordnung

 

1. Männliche Menschen, die keine Wissenschaftler sind, werden nicht geduldet.

2. Dem Gott und Herrscher Nil Collins - genannt X-Lord - muss Folge geleistet werden.

3. Die Wissenschaftler, die Nil Collins bei der Schöpfung unterstützen, sind Halbgötter und sollen auch so behandelt werden.

4. Frauen dürfen keine Kinder austragen, möchten sie einen Klon, müssen sie einen Antrag stellen.

5. Niemand darf über die alte Zeit sprechen, über die Lebensweise und die Menschen.

6. Niemand darf Gegenstände aus der alten Zeit behalten.

7. Wer sich wiedersetzt wird mit der Spritze Dead - X zum Tode verurteilt.

(Aus: "Gesetze in unserer Welt und Zeit", erschienen: 27. Mai 2052)

 

 

Kapitel 1: Day of decision

 

 

Alte Zeitrechnung: 6.09. 2070          

Neue Zeitrechnung: 6.09. 18 nach Gründung X-Worlds

 

»Heute wird sich alles für dich verändern, Nummer Fünzig-Komma-Drei-Periode«, sagt meine Zimmernachbarin Nummer 14, während ich am Waschbecken stehe und mir die Zähne putze. Ich blicke sie überrascht an. Wir reden fast nie miteinander. Sie ist eher von der kühlen Sorte und ich bin zu schüchtern, um immer wieder ein Gespräch anzufangen. Außerdem bin ich noch nicht lange hier und wir hatten fast nie Gelegenheit. »Ich will nur, dass du weißt, das ich nie etwas gegen dich hatte.«

Ich spüre, wie mein Herz klopft. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ich nicke. »Danke. Das ist sehr nett von dir«

»Du solltest dich freuen. Endlich weg aus diesem Waisenhaus. Alles hinter sich, alles.«

Ihre Worte schmerzen mich. Sie weiß nicht, was ich schon alles verloren habe. »Nach meiner Opferung, komme ich nach dir sehen«, sage ich zum Trost.

Sie schaut mich überrascht an. »Du weißt es nicht. Sie haben es dir nicht gesagt, richtig. Du wirst nicht die Selbe sein.«

Ich lass die Zahnbürste am Rand des Waschbeckens liegen und setzte mich zu ihr aufs Bett. »Wie meinst du das?« Meine Stimme klingt seltsam abgeschnürt.

»Eigentlich spreche ich nicht darüber. Und wenn sie es hören, dann werden sie mich foltern. Sie nehmen nur deine DNA. Der Rest wird entsorgt. Ein Mädchen so schön wie du, so vollkommen, viel leistungsstärker und gehorsamer, als du es bist, werden sie schaffen. Aber es wird weder deine Erinnerung noch deine Seele haben«, sagt sie mit einem Zittern in der Stimme.

Ich springe auf vor Angst. Woher will sie das wissen? Aber wenn es wirklich so ist, dass sie nur meine DNA wollen, warum tun dann alle so, als wäre die Opferung etwas Gutes? Plötzlich verwandelt sich meine Angst in Wut. »Du willst mir das kaputt machen. Eifersüchtig bist du, weil ich mit erhöhtem Stand wiedergeboren werde und nicht du! Ich hätte es wissen müssen. Du bist eine genauso herzlose, manipulative Hexe wie alle anderen!«, fauche ich sie mit voller Wut an.

 Sie schaut mich ernst an. »Das stimmt. Ich beneide dich, denn sie töten jeden von uns, der wiedergeboren werden soll. Und ich wünsche mir nichts sehnlichster als zu Staub zu verfallen«

Meint sie das etwa ernst? Wieso erzählt sie solche Sachen? Und wieso hört sie sich so glaubwürdig an? 

Sie steht auf und spricht ruhig weiter. »Ich ersticke fast an diesem Schmerz. Kein gutes Wort, keine Umarmung.«

Umarmungen? Ich kann mich an ein paar schöne Umarmungen erinnern. Meine Wut ist wie verflogen. »Komm, ich umarme dich« Zaghaft lege ich den Arm um sie. Sie lässt sich in meine Arme fallen und wir sind beide ganz still, während wir die Wärme des anderen genießen. »Ich weiß, wie du dich fühlst. Es wird alles gut. Die Wiedergeburt ist nicht so schlecht wie du denkst.«

»Sei bitte nicht so naiv!«, sagt sie traurig, löst sich aus der Umarmung und geht zu dem für  7 Uhr festgeschriebenen Frühstück.

 

 

 

Ich lasse das Frühstück ausfallen, weil mir der Appetit vergangen ist. Stattdessen stelle ich mich wieder vor den Spiegel und versuche mein wildes, lockiges Haar zu bürsten. Aber meine blonden Haare wollen sich nicht zähmen lassen. Viele der anderen Mädchen haben braune Haare. Wir sehen alle verschieden aus, jede von uns hat eine Zahl, die sie kennzeichnet. Wie ich mich so ansehe, muss ich über die Unterhaltung gerade nachdenken. Tod? Was bedeutet das schon?  Irgendwo in mir spüre ich ein tiefes Urvertrauen, dass mir sagt, dass ich meine Pflegemutter bald wiedersehen werde. Endlich sind meine Haare glatt und ich lächle mein Spiegelbild an. ,,Nur noch einmal zur Lehranstalt, dann ist es endlich so weit“ Ein unglaubliches Glücksgefühl durchströmt mich. Frei! Alle werden mich mögen und respektieren. Ich habe großes Glück, dass ich diese Möglichkeit bekomme. Sicher wird heute ein großes Fest stattfinden. Erst werden ich und die anderen nur Zuschauer sein und dann wird X-Lord uns auf die Bühne bitten. Mit dieser Freude verlasse ich rechtzeitig das Gebäude, auf dem Weg zur Lehranstalt.

 

 

 

 

 

 Es klingelt zur Stunde; ethische Biophysik in Feld 500 steht auf dem Wordpad, das in meinen Arm instruiert ist. Das Wordpad ist für uns weibliche Klone so wichtig wie ein zweites Gehirn, es hat zwar einen Touch-Pad, wird aber durch das Gehirn gesteuert. Die Wände leuchten für mich in einer anderen Farbe, ein Chip in meiner Jacke kann die Daten abzapfen, die mein Gehirn sendet, um körperliche Reaktionen wie Nervosität auszulösen.

 

Wenn mein Gehirn auf NERVÖS schaltet, und das bin ich gerade, dann zapft der Chip in meiner Jacke die Stäbchen im Auge an und steuert die Farbe, die ich sehe, durch elektrische Impulse. Jetzt gerade leuchtet die Wand grün. Diese Farbe soll mich beruhigen, denn im Waisenhaus ist ihnen aufgefallen, dass ich Gefühle verspüren kann, die andere Klone nicht haben. In Wahrheit sind die Wände weiß, aber nicht für mich, da in einem gleichmäßigen Rhythmus von 60 Millisekunden das Licht auf Gelb schaltet.

 

 

In 1700 Metern über dem Erdboden steige ich aus dem Slieper und werfe einen Blick auf den vollen Raum: Mehrere Reihen von Tischen, vorn ein Lehrerpult und die große Scheibe, die  Licht durch die Fenster lässt, erblicke ich. Da wir so weit oben sind, schweben Wolken neben dem Zimmer. Alles wie immer. Hinter mir drängeln immer mehr Schüler aus den Sliepern, ich setze mich auf den mir zugewiesenen Platz, direkt vor die Dirigentin. Die große, blonde Frau hat keinerlei Gefühl im Gesicht, sie ist die personifizierte Kälte. Jeder Mensch würde sie als das Idealbild einer Frau bezeichnen, als einzige im Raum trägt sie einen schwarzen Ganzkörperoverall. Doch der Schein trübt: Sie ist ein ausgewählter Klon, hat besondere Fähigkeiten und ist damit besonders tödlich. 

,,Formatieren und in Reihe aufstellen!", befiehlt die Dirigentin. Ihre Befehle werden sofort befolgt, ganz selbstverständlich. Es gibt keine Gefühle, keine Rebellion, denn wir sind keine – wie ich gelernt habe – niederen Menschen, die sich von ihren Emotionen beherrschen liesen und damit fast jedes Leben vernichtet haben.

Die anderen Schülerinnen und ich betreten nacheinander eine  Glastür, die nach draußen führt. Die Tür öffnet sich erst als das Maxi - Ozweirad, das aussieht wie eine riesige, fliegende, runde Scheibe, vor der Tür wartet. Die Feministin Nummer 02 holt uns ab. Auf dem Maxi - Ozweirad werden wir über die Stadt geflogen. Meine Klassenkameradinnen schmachten Nummer 02 an, da sie zur Elite gehört. Sie ist ein fehlerfreier Klon, hat übernatürliche Kräfte, die von Klongruppe zu Klongruppe variieren. Obwohl Klone gefühlskalte Wesen sind, kennen sie trotzdem eine Art von Gefühl, eine die ihnen bei der Geburt eingepflanzt worden ist, und sie zu Höchstleistungen antreiben soll: Stolz, Arroganz, Machtstreben und gleichzeitig Unterwerfung - wem sie sich unterwerfen kann nur der Führer unseres Volkes bestimmen. Meine Klassenkameradinnen und ich sprechen kaum miteinander, manchmal blicken sie mich an, als sei ich etwas Scheußliches, das nicht verdient hat zu leben.

Denn ich gehöre zur niederen Stufe, ein Fehlversuch. Nur weil meine menschliche Mutter darauf bestand mich zu behalten, lebe ich noch. Damals war das System noch nicht so fest verankert und Ausnahmen wurden erlaubt. Meine Mutter hat mir von der Zeit damals kaum etwas erzählt, aber sie hat Andeutungen gemacht und manchmal im Schlaf geschrien. Es muss eine schlimme Zeit für sie gewesen sein, trotzdem hat sie sich fast nie etwas anmerken lassen. Jedenfalls gehören die meisten unseres Volkes dem Sklavenstand an; empfindungslose Wesen, die Schwäche zeigen und schnell sterben. Meist werden sie als Arbeiterinnen missbraucht und für sexuelle Zwecke.

Die mittlere Stufe der Klons, zu denen die Normalbevölkerung gehört, wie auch meine Kameradinnen sind ausdauerfähig, fehlerlos, konzentriert, können besonders analytisch denken. Alle diese Fähigkeiten habe ich auch, doch habe ich noch etwas, das ich nicht haben dürfte: Ich kann lieben.

Während wir über die Wolkentanzer fliegen, zeigt mein Wordpad mir das Gesicht unseres Herrschers X-Lord an; weiße Mondhaut, zarte Falten um den Mund und blondes, kurzes Haar. Er kündigt eine Versammlung an.

Heute wird es also so weit sein: Ich werde geopfert und mit erhöhtem Rang wiedergeboren werden.

 Von überall kommen Schüler auf den Scheiben geflogen, wer nicht von der Schule kommt, fliegt auf schmalen Ozweirädern: Der Motor wird durch schnell, rotierende Luft angetrieben. Auch ich habe immer ein Ozweirad bei mir. Es klemmt nämlich jederzeit an meinem Stiefel.

Der große Platz ist von blauen Neonlichtern beleuchtet. Es wird dunkel. Ein roter Wasserteppich schwebt über dem Boden. Mein Wordpad misst den Abstand zur Erde durch den Chip in meiner Jacke; Das Maxi - Ozweirad auf dem wir uns befinden fliegt zehn Meter über dem Boden.

Die Feministin springt ab und landet problemlos. Ich kann dies erst ab vier Metern und die Dirigentin erwartet von Jedem, dass er diese Höchstgrenze nutzt.

,,Nummer 02 gehört der beispiellosen Gruppe der Saltare an. Ihr Organismus hat eine Regenerationsgeschwindigkeit von einer Minute und 12 Sekunden, außerdem kann sie nahezu zwölf Stunden lang sprinten ohne einer physichen Ermüdung zu erliegen", sagt eine Kameradin. ,,Sie hat eine beispiellose Ausdauer.“

,,Der Beitrag war situativ passend. Sie bekommen fünf Leistungspoints, Eve", antwortet die Dirigentin.

Eve wird einmal eine hohe Position bekommen, sie ist den Schaffern perfekt gelungen.

Die Feministin positioniert uns. Mit einem Laserloader, der unsere Gesichter mit rotem Licht abtastet und dabei die Daten unserer DNA und die des Gehirns aufnimmt, werden wir eine nach der anderen kontrolliert. Nun bin ich an der Reihe. Die Feministin hält den Laserloader über meinen Kopf, meine Pupillen weiten sich und ich habe das Gefühl Leben würde aus mir heraus gesaugt.

,,Niedriger Klon mit großem Fehlerquotient", sagt die Feministin.

Sie stellt mich in die hinterste Reihe, weit fern vom Wasserteppich. Einige meiner Klassenkameraden stehen in erster Reihe, darunter Eve, die anderen in der Mitte. Ich bin die Einzigste von uns hier hinten. 

Eine laute, überirdische Musik ertönt, die ein Geschenk ist. Der hohe Führer und Dirigent X-Lord läuft über den Wasserteppich. Er trägt einen weißen Umhang, der in elektrischen Lichtern leuchtet, zuerst rot. Alle heben ihre Finger zu einem Loch und halten sie in die Höhe. Ich und die anderen sprechen dabei die heiligen Worte: ,,Sieg für X-Lord, Sieg für X-World“.

Nun leuchtet der Umhang von X-Lord grün. Wir knien nieder und verbeugen uns. X-Lord erreicht das hohe Podest. Unter seinen Füßen ist ein Ozwei-Rad. Zwei Kloninnen höchster Bedeutungsstufe flankieren ihn. Die rechte Klonin tippt in ihr Wordpad. Ich habe X-Lord noch nie in sein eigenes Pad tippen sehen.

,,Großartige Klone weiblicher Art, großartiges Volk von X-World erhebt euch!", spricht der Führer. Seine Worte schallen über den Platz. ,,Es ist nun 50 000 Jahre her, dass die Olehom, ein höher entwickeltes Volk Außerirdischer auf die Erde kam und hier die DNA revolutionierte und somit Menschen schuf und ihnen die Möglichkeit zur technischen Weiterentwicklung gab."

Er lacht. ,,Da die menschliche Rasse so stark verletzlich ist, starben die meisten Menschen während der Apokalypse. Die allumfassende Epidemie, eine Krankheit, durch die der Großteil der Erdbevölkerung ausgelöscht wurde." Der Platz ist hörbar still, obwohl die Anreden schon zweimal dieses Jahr stattfanden. ,, Der starre Tod löschte den einzelnen Menschen innerhalb von bis zu drei Tagen aus. Eine kleine Verletzung hat dem Körper eines Menschen genügt, um eine große Infektion auszulösen. Und nun kam ich ins Spiel, ich bin der Auserwählte, ich hatte eine Begegnung mit den Bewohnern von Olehom. Und so sammelte ich die DNA der Toten und schuf daraus euch, fehlerfreie, weibliche Klone: emotionslos, willenslos und stark."

Mein Wordpad zeigt mir an, dass ich 30 Meter östlich und von da aus 80 Meter westlich laufen soll. Es ist eine komische Meldung auf meinem Wordpad. Plötzlich erscheinen rote Buchstaben: ,,Hilfe".

Ich schaue mich verwundert um, alles läuft wie gewohnt.

X-Lord spricht über die Maskulins; Männer und Jungen, die es nicht verdient haben zu leben, weil sie keine Klones austragen können. Ich kann nicht weggehen, gleich bekomme ich die Möglichkeit das X-World Ritual zu sprechen und mich für eine weitere Klonung zu opfern. Dann ist mein Rang nicht mehr so niedrig. 

Doch das Wort ,,Hilfe" scheint mein Gehirn explodieren zu lassen. Ich fühle etwas, ganz stark. Ich weiß nicht, wie man es nennt. Trotzdem setzte ich mich einfach in Bewegung und folge der Anweisung auf meinem Wordpad.

Da ich so weit hinten stehe, drehe ich mich nur um, und verschwinde hinter dem nächsten Wolkentanzer, ein Gebäude, das bis über die Wolken reicht. Wenn jemand Hilfe braucht, dann kann ich ihn nicht im Stich lassen.

Merkwürdige Bilder laufen durch meinen Kopf. Schreie, Angst und Nervosität. Auch das Ändern der Wandfarben bringt mich nicht davon ab, an ,,Hilfe“ zu denken. Ich bin fehlerhaft. Die Wolkentanzer sind so riesig, dass ich mich auch mit meinen 1,83 Metern, einer Größe, die ein Symbol der neuen Zeit und Stärke der Klone ist, nicht unüberwindbar fühle.

Als ich weit genug vom Schauplatz des Spektakels entfernt bin, renne ich um mein Ziel zu erreichen. Mein Wordpad lenkt mich. Die Straßen sind leer, nicht einmal die Wächter sind noch auf ihren Posten.

Ich komme vor einen Wolkentanzer, der alt und verschmäht aussieht - ein Gebäude wie man es so kaum noch zu sehen bekommt. Ein riesiges Tor führt hinein, es ist aus festem Stahl. Ich blicke noch einmal auf mein Wordpad, es blinkt auf der angezeigten Karte genau an der Stelle, an der dieser Wolkentanzer steht. Mein Inneres treibt mich voran und ich rüttele am großen Tor.

,,Codewort!“, verlangt eine computergesteuerte Stimme.

,,Tod“, sage ich, obwohl ich nicht weiß warum. Manchmal weiß ich etwas, aber nicht woher. Wenn die Daten, die an mich gesendet werden, eine verschlüsselte oder wichtige Botschaft enthalten, dann werden sie vom Wordpad nicht angezeigt, sondern im Gehirn gespeichert. Demnach muss das Codewort in der merkwürdigen Meldung, die mich hier her geführt hat, enthalten gewesen sein.

Plötzlich öffnet sich das Tor. Ein historische Treppe führt in den Keller, der wie ein dunkles Loch, alles in sich zu verschlingen scheint.

Ich drücke auf einen Knopf an meinem rechten Stiefel: das gefaltete Ozweirad, das an meine festen, metallfarbenen Feinstoffstiefeln, angeklemmt ist, löst sich. Ich klappe das lange Ozweirad auseinander, sodass ein ovale Fläche entsteht. Ich öffne das Programm Ozweibox 4.2in meinem Wordpad, das ich zur Steuerung des Ozweirads benötige. Es erscheint wieder das Signal ,,Hilfe". Für ein paar Sekunden blockiert es mir den Zugriff auf Ozweibox 4.2.

Endlich schaltet sich mein Ozweirad an, ich stelle die Wandfarben-Änderung auf ,,aus". Jetzt muss ich meine Umgebung ohne Täuschung wahrnehmen.

Ich steige auf das Ozweirad, das schon in der Luft schwebt. Sanft fliege ich den staubigen Treppenweg hinab. Die Scheinwerfer an meinem Ozweirad schalten sich automatisch an. Das blass-blaue Licht scheint gegen die weißen Wände, der Weg in die Tiefe scheint unendlich. Heutzutage benutzt kaum mehr einer Treppen, eine völlig sinnlose Erfindung, wenn wir alles viel schneller erreichen können. Entweder wir fliegen mit unseren Ozweirädern oder wir verwenden die Slieper.

Noch acht Meter bis zum Ziel, lese ich auf meinem Wordpad.

Die Treppen enden hier, ich kann jedoch nichts sehen. Ich steige vom Ozweirad. Über mein Wordpad wird mir der Zugriff auf die Lichtschalter übergeben. Das ist auch eine unserer Modernitäten. Es soll tatsächlich Zeiten gegeben haben, da sind die Menschen zu Lichtschaltern gelaufen. Wir aber bedienen alles über das Wordpad, auch Jalousien, Vorhänge, Türen und Slieper. Ich schalte es an.

Was ich nun in dem erleuchteten Raum sehe, lässt mich erstarren: ein junger Mann sitzt gefesselt und geknebelt auf einem Stuhl in der Raummitte. An den Wänden leuchten durchsichtige Glasgefäße in Leibesgröße. Ich gehe näher heran. In den Gefäßen sind Maskulins; männliche Menschen. Ich sehe mich noch einmal um und sehe fünfzehn solcher Gefängnisse. Ich schaue näher hin; sie sind tot. Sie tragen Kleidung eines vergangenen Jahrhunderts und sind in den Gläsern konserviert. Ihre Augen zeigen einen letzten, angsterfüllten Blick und an manchen ihrer Hände fehlen Finger, die anscheinend sorgfältig abgetrennt worden sind. Es sind überwiegend Männer im Reifungsprozess; höchstens 16, 17 Jahre alt. Das heißt, irgendwo muss es zu diesem Zeitpunkt noch weibliche Menschen gegeben haben, die das Gesetz brachen und Menschen, zu allem Überfluss auch noch Maskulins, gebaren.

Der feuchte Blick des geknebelten Maskulins verwirrt mich, ich gehe zu ihm. Auch seine Kleidung gehört längst der Vergangenheit an: eine Jeans, ein blau-grünes Teenyhemd. Ich versuche die Mundschnalle mit Hilfe meines Wordpads zu lösen, mein Ozweirad fliegt hinter mir her. Es gelingt mir, sie fällt mit einem kalten Klirren zu Boden. Ich schaue mir das Gesicht des Maskulins genauer an: über seinen braunen, warmen Augen thronen die gegliederten Augenbrauen. Seine Lippen sind schmal, aber stark geformt und sein blond-braunes Haar fällt ihm mit sanften Locken über die Ohren.

,,Hilfe", haucht er aufgeregt. Er spricht mit einer dunklen Stimme, die einen lieblichen Klang hat, wie ich ihn noch nie gehört habe.

,,Ich bin da", sage ich.

,,Du bist eine Klonin", antwortet er verwirrt. Er versucht gegen die Eisenschnallen anzukommen, wackelt hin und her bis er merkt, dass es keinen Sinn hat. Er scheint weg zu wollen, so schnell wie möglich. Womöglich glaubt er, ich möchte ihm seinen Finger abtrennen.

,,Wirst du mich jetzt töten, mich in ein Glas stecken?", fragt er merkwürdig gefasst, so, als ob er den Anschein erwecken will, keine Angst vor dem Tod zu haben. Trotzdem hat er das Zittern in der Stimme nicht verbergen können.

,,Nein, ich habe eine Meldung bekommen, einen Hilferuf. Ich bin noch Schülerin in der Lehranstalt", kläre ich ihn auf.

,,Was? Das kann gar nicht sein. Aber dann muss jemand die Daten heimlich verändert haben", sagt er aufgeregt und mehr zu sich selbst, als zu mir.

Meine Aufmerksamkeit fällt auf seinen Hals. Ein rundes Ding stößt hervor und wackelt, während er spricht.

,,Was hast du da unter der Haut deines Halses?“, will ich wissen.

,,Das ist mein Adamsapfel“, antwortet er, während er mich forschend betrachtet.

,,Ist das eure Waffe?“

Er lächelt schwach. ,,Nein, das haben Menschen unseres Geschlechts einfach.“

,,Ein Körperteil zu haben, ohne Verwendung ist sinnlos.“

,,Es hat einen Sinn. Der Adamsapfel gibt uns eine männliche Stimme.“

,,X-Lord hat uns viel über euch Maskulins erzählt. Ihr habt die Feministinnen in alten, längst vergangenen Zeiten unterdrückt und glaubtet mächtiger zu sein.“

,,Früher gab es keine Feministinnen. Es gab nur Frauen und Mädchen, Männer und Jungen. Menschliche Wesen mit Schwäche.“

,,Ihr habt die Schwäche unserer Art benutzt und verachtet, bis wir uns weiterentwickelten, um Rache zu üben“, sage ich wütend.

,,Das ist nicht wahr.“, meint er ernst.

,,Doch ist es!“, beharre ich mit aller Autorität, die ich aufbringen kann.

Er blickt bedrückt zu Fuße, dann hoch zu mir, tief in meine Augen. Das tat noch nie jemand.

,,Ich brauche deine Hilfe. Die Botschaft war nicht für dich bestimmt, aber nun bist du hier. Sie wollen mich auf einer Versammlung opfern und in ein Glas stecken, wie die Anderen hier.“

Ich schmunzle einfach nur, abgelenkt von seinem Äußeren. Ein unbekannter Drang in mir lässt mich den Arm ausstrecken. Ich fahre ihm über die Haare.

,,So etwas weiches habe ich noch nie berührt. Meine Stiefel müssten eigentlich weicher sein, aber deine Haare sind so anders, als würden sie eine innere Wärme ausstrahlen.“

Er hält völlig still. ,,Wie heißt du?“, fragt er mich.

Ich blicke ihn erschrocken an. Mein Wordpad blinkt. In zehn Minuten ist die Versammlung vorbei.

,,Wie beweist du mir, dass du mich nicht betrügst, wenn ich dich befreie?“, frage ich ihn eilig.

,,Ich gebe dir mein heiliges Versprechen.“, antwortet der Maskulin ruhig.

,,Ist das etwas Besonderes bei eurer Rasse?“, frage ich unsicher.

Er nickt. ,,Etwas, das mit dem Herzen zu tun hat.“

Ich verstehe ihn nicht, weiß aber, dass ich seinen Tod verhindern will. Ich löse alle Schnallen mit meinem Wordpad. Klirrend fallen die Eisenschnallen zu Boden. Er stellt sich erleichtert auf, dabei ist er zwei Zentimeter größer als ich und streckt seine starren Glieder. Mit der Hand fährt er sich über die wunden Handgelenke. Ein besonderer Duft geht von ihm aus, der meine Sinne so sehr betört, dass ich ihn nicht einmal in Worte fassen könnte. Dabei ist mein Geruchssinn sehr gut ausgeprägt, aber so etwas wie einen Maskulin habe ich noch nie gerochen und die Dirigentin teilte uns auch nicht mit wie man diesen Duft benennt und wie berauschend er auf das weibliche Geschlecht wirkt. Die perfekte Waffe, um jeden weiblichen Menschen zu binden und zu versklaven!

,,Steig mit mir auf das Ozweirad, dann sind wir schneller!“, sage ich.

Er hält sich an meinen Hüften fest, ein merkwürdiges Kribbeln läuft durch meine Bauchgegend. Wieso habe ich dieses Gefühl noch nie vorher verspürt? Wie kann etwas so fremdartiges sich so stark und kitzelnd im Körper ausbreiten? Wir fliegen die letzten Treppe hinauf.

,,Danke.“, flüstert er in mein Ohr. Sein Atem kribbelt auf meiner Haut. Ich fühle mich -

,,Bitte lächeln!“, sagt eine computergesteuerte Stimme plötzlich und unterbricht mich so in meinen Gedanken. Eine Kamera an der Wand blitzt. Mein Ozweirad sinkt zu Boden.

,,Was ist passiert?“, fragt der Maskulin.

Ein Foto von mir und ihm durchläuft das Netz, dies zeigt mir mein Wordpad an. Ein automatischer Befehl verweigert mir den Zugriff auf technische Geräte. Ich bin schockiert. Der Maskulin schaut mir über die Schulter.

,,Fehlerhafter Klon, mit Liebesfähigkeit begeht Straftat.“, liest er den Onlinereport.

,,Komm schnell!“, meint er zielsicher.

Wir rennen die Treppe hinauf und öffnen das Tor. In zwei Minuten wird die Versammlung beendet sein, wir laufen schnell. Er hält inne. Ein Fly-Speed- car steht vor uns, es sieht aus wie eine fliegende Untertasse. Die schmalen Fenster des runden Gehäuses leuchten grün. Ich tue es ihm gleich und bleibe stehen.

,,Wo hast du das Fly-Speed-Car her? X-Lord hat ihren Gebrauch verboten und alle im großen Haus verbrennen lassen“, frage ich ihn aufgeregt.

,,Wir sind Menschen“, antwortet er grinsend, als wäre dies alles sagend.

In dem Fly-Speed-Car sitzt jemand, der Motor läuft. Ein alter Maskulin steigt hinaus. Zwei weibliche Menschen sitzen in dem Wagen, sie sehen uns weiblichen Klonen nicht unähnlich. Natürlich sind sie kleiner als Klones, und werden auch niemals so perfekt sein, weder in ihren Fähigkeiten noch Äußerlich.

,,Schön dich zu sehen, Avalio!“, freut sich der alte Maskulin und umarmt den jungen. Sein Gesicht wird grimmig. ,,Du bist der Einzige, der überlebt hat. Und trotzdem hältst du dich das nächste mal an den Plan. Ich werde nicht zulassen, dass du noch weitere in Gefahr bringst. Du steigst aus!“

,,Aber, ich konnte doch nichts dafür. Irgendjemand muss die Koordinaten und Daten, die du mir gegeben hast, manipuliert haben. Eine Klonin hat mich gerettet. Sie wird verfolgt. Sie muss mit!“, sagt Avalio.

,,Das geht nicht. Sie wird zu ihrem Volk zurückkehren.“, meint der Maskulin völlig schockiert. Ich kann es ihm nicht übel nehmen, wir Klone sind seine natürlichen Feinde.

,,Der Maskulin hat mir sein Versprechen gegeben, das ist etwas heiliges“, sage ich ehrlich.

Die Beiden schauen mich an, als würde es sie wundern, dass ich sprechen kann.

Der alte Maskulin blickt mich misstrauisch an. ,,Steigt ein.“, befiehlt er. ,,Es reicht mir mit dir, Avalio! Ständig reitest du uns in die Scheiße.“

Ich setzte mich hinein, neben die zwei weibliche Menschen. Ich saß noch nie in einem Fly-Speed-Car. Der runde Innenraum besitzt etwas hypnotisierendes, wie das Design im Kinderheim Willow, in dem ich das letzte halbe Jahr lebte. Es gibt keine Ecken, sondern nur abgerundete, weiße Formen.

Ein schwarz-haariges Mädchen mit dunkler Haut blickt mich verwundert an, ein Kind. Daneben sitzt eine Frau in den mittleren Jahren mit blondem Haar und einem ausgemergelten, faltigen Gesicht. Ihr Blick ist wütend und angsterfüllt zugleich, dabei braucht sie sich als weiblicher Mensch vor nichts zu fürchten, würde sie nur nichts illegales tun. Der alte Maskulin setzt sich an das Steuer, ich schaue ihm über die Schulter. Auf großen Monitoren an allen Wänden im Fly-Speed-Car wird angezeigt, was draußen vor sich geht. Das Fly-Speed-Car hat nämlich an seinem Gehäuse, an allen Punkten Minikameras. Der alte Maskulin bedient das Fly-Speed-Car wie ein altes Computerspiel mit Lenkrad und ein paar einfach bedienbarer Knöpfe.

,,Wer ist das?“, fragt die Frau vorwurfsvoll und zeigt auf mich.

,,Keine Ahnung, Nera“, antwortet Avalio. ,,Sie hat mir das Leben gerettet.“

Das Fly-Speed-Car steigt mit Höchstgeschwindigkeit in die Luft. Wir fliegen über die Wolkentanzer hinweg.

,,In fünf, vier, drei, zwei, eins Sekunden, jetzt ist die Versammlung vorbei. Sind schon welche hinter uns?“, fragt der alte Maskulin.

Plötzlich schaltet sich ein Nachrichtensender auf einen der Monitore. ,,Fehlerhafte Klonin, im Alter von 16 Jahren wird verfolgt. Braun-Blondes, mittellanges Haar, das an den Spitzen leicht gelockt ist, eine Stupsnase und große, grüne Augen.“, beschreibt der computergesteuerte Moderator mein Aussehen.

,,Warum machen die sich die Arbeit dein Aussehen zu beschreiben, wenn sowieso überall deine Bilder herumgehen?“, spottet Avalio.

Er zeigt mir seinen veralteten Tragecomputer, der sicher zwei Minuten gebraucht hat, um überhaupt gestartet zu werden. Darauf ist eine Online-Sammlung von über 100 Fotos von mir zu sehen. Ich schaue sie mir an. Auf einem bin ich im Bad und glätte mein Haar. Ich trage einen menschlichen Bademantel, den ich von meiner Mutter habe.

,,Woher haben die ein solches Foto? Haben sie mich ausspioniert?“, frage ich schockiert, denn die Fotos zeigen mich in verwerflicher und krimineller Pose. Menschliche Gegenstände zu verwenden ist ein Akt der Rebellion.

,,Tja, du weist immerhin ziemlich menschliche Züge auf, übrigens hübscher Bademantel. Den kenne ich irgendwo her“, sagt Avalio belustigt.

,,Ich verspüre den Drang dich zu schlagen, tue es aber nicht, weil ich weiß, dass du die Beleidigung nicht als Beleidigung empfindest.“, sage ich in einer Tonlage.

,,Man nennt dieses Gefühl Wut.“, antwortet Avalio leicht amüsiert.

,,Sie ist ein Klon, sie hat keine Gefühle.“, sagt die Frau Nera ernsthaft wütend. ,,Wieso hast du als Klonin Avalio geholfen? Bist du eine Spionin?“, wendet sie sich mit einem schroffen Ton an mich, so als würde meine Antwort ihnen gleich irgendetwas beweisen. Vielleicht das ich ein Feind bin, so wie sie mich anblickt.

,,Als Spion würde der hohe Führer niemals einen Klon opfern, es gibt dafür gezüchtete und gentechnisch veränderte Tierarten, wie beispielsweise die Fliege oder einige Vogelarten wie den Falken.“, antworte ich wie selbstverständlich.

,,So haben sie also unser Lager gefunden, Trina! Das kleine Kaninchen, das du mitgebracht hast, ist manipuliert, eine Wanze.“, sagt der alte Maskulin aufgeregt. Er meint das Mädchen.

Plötzlich wird das fliegende Fly-Speed-Car von einem heftigen Beben erschüttert.

,,Wusst ich doch, das diese vermaledeiten Feministinnen nicht auf sich warten lassen.“, knurrt er weiter.

Ich schaue aus dem winzigen Rückfenster, ein großer Feuerschweif fliegt knapp daran vorbei. Ich fühle die Hitze, die sich im Fly-Speed-Car ausbreitet. Ein paar Feministinnen auf High Speed Ozweirädern flankieren das fliegende Fly-Speed-car von rechts und links. Ich konzentriere meine Gedanken, so stark, dass sich ein elektrisches Feld aufbaut. Es verbreitet sich über das Gehäuse des Fly-Speed-Cars. Allen stehen die Haare zu Berge, Wort wörtlich.

,,Was machst du nur?“, fragt Avalio verängstigt.

,,Ich weiß es nicht.“, behaupte ich. Und doch weiß ich es genau; das erste Mal geschah es mit fünf. Ich tötete eine kleine Fliege mit Kraft meiner Gedanken. Es passiert selten das Klones eine Gabe wie diese haben, und es wird verabscheut. Einer der Gründe, warum ich dieses Können so schnell wie möglich vergaß und doch blieb es wohl immer in mir, tief in mir, bis jetzt.

Mein Kopf wird von Schmerzen erfüllt.

,,Sie zapfen meinen Chip an.“, sage ich, bevor ich die komplette Kontrolle verliere.

,,Im Namen X-Lords wird euch befohlen stehen zu bleiben! Verlasst das Fly-Speed-Car! Wir bringen euch Unwürdige in Gewahrsam, die fehlerhafte Klonin wird korrigiert.“, strömen die fremden Worte aus meinem Mund.

,,Was meinen sie mit korrigiert?“, höre ich Avalio fragen.

,,Exterminieren wollen sie sie und uns gleich mit.“, erklärt der Maskulin aufgeregt. ,,Uns muss schnell was einfallen, in wenigen Minuten, werden sie auch die Kontrolle über ihre Bewegung haben. Dann können sie uns durch ihren Körper töten!“

Avalio greift meinen rechten Arm, doch ein Stromschlag geht von mir aus. Er zuckt rechtzeitig zurück.

,,Was hast du vor?“, schreit Nera panisch, die die kleine Trina fest umschlugen hält.

,,Ich brauche ihr Wordpad.“

Eine Feuerwelle erfasst uns. Mir wird schwarz vor Augen.

 

 

,,Seht nur! Sie bewegt sich.“

Braune Augen blicken mich warm an. Ich erkenne sofort, dass es Avalios sind. Sie scheinen förmlich zu lächeln, obwohl sein Mund sich nicht bewegt. Er hilft mir, meinen Rücken aufzustützen. Unter meinen Händen fühle ich etwas merkwürdig fließendes, wie Wasser, nur nicht so weich. Eine grelle Sonne umschließt meinen Blick, den ich in die Ferne richte. Kleine Hügel aus Sand formen die Landschaft.

,,Wo sind wir?“ Sofort starre ich auf mein Wordpad.

Unbekannter Ort – nicht identifizierbar, lese ich.

,,Mein Wordpad funktioniert noch, was ist passiert?“

,,Ich habe den Chip, der den Feministinnen die Kontrolle über dich erlaubte, entfernt.“, sagt Avalio. ,,Du warst ganz schön aufgeladen.“

,,Das ist unmöglich. Du kannst ihn nicht entfernt haben. Es gibt drei Hauptchips. Diese arbeiten stark miteinander. Und außerdem stand ich unter elektrischem Strom.“, betone ich.

,,Naja, es könnte sein, dass dein Wordpad ab und zu Probleme macht und du dich mehr auf dich selbst verlassen musst.“, lächelt er, als wäre das alles kein Problem.

,,Das geht nicht. Bestimmte Verfahren beheben meine Fehlerhaftigkeit.“, rufe ich fassungslos und verzweifelt.

Sofort probiere ich die Änderung der Wandfarben. Doch sie erscheinen nicht. Danach suche ich nach den Wizwar, einer besonderen Klangabfolge, die beruhigt – doch nichts.

,,Es können psychische Folgen auftreten.“, sage ich noch verzweifelter als vorhin.

,,Wir haben im Moment ein größeres Problem. Wir sind abgestürzt, ich konnte zwar im letzten Moment noch ein Hilfesignal senden. Aber wir wissen nicht, ob es ankommt.“, antwortet Avalio abwinkend.

,,Wenn deine Treffsicherheit so schlecht war, wie letztes Mal, als das Signal bei mir landete - dann haben wir keine Hoffnung auf fremde Hilfe.“, stelle ich fest

Avalio lächelt, blickt sich um und schaut mir in die Augen.

,,Wieso? War doch gut, dass das Signal bei dir angekommen ist. Immerhin wir leben! Und du hast mir das Leben gerettet.“, sagt er.

Mir gefällt seine tiefe Stimme, sie scheint mich in Wärme einzuhüllen. Von neuer Kraft beflügelt stehe ich auf.

,,Was ist das für ein Ort?“, frage ich.

,,Wir sind in der Wüste.“, antwortet Avalio. ,,Die Feministinnen haben uns nicht erwischt. Wir haben rechtzeitig die Grenze passiert.“

,,Welche Grenze?“

,,Schon vor langer Zeit ist mir ist aufgefallen, dass sie uns nur bis zum Stadtrand folgen, weiter dürfen sie anscheinend nicht.“, erklärt er mir.

,,Vor langer Zeit - wie oft hast du die Grenze schon passiert?“, will ich aufgebracht wissen. ,,Ich habe in der Lehranstalt X-Lords gelernt, dass die Wüste einem vergangenen Jahrhundert angehört, genau wie die Menschen. Woher kommt ihr. Seid ihr eine Untergrundbewegung, oder so etwas?“

,,Du meinst wie Ratten, die sich in der Kanalisation ausbreiten und wenn es zu Viele von ihnen gibt in die Häuser der feinen Klones einfallen?“

,,Nein, sondern wie ..., eben wie ..., wie Menschen. Ihr dürftet gar nicht mehr existieren und all das hier draußen auch nicht.“, stottere ich, als wenn es niemals etwas Schlimmeres geben könnte.

,,Verzeihung, dass wir existieren. Aber ja, wir sind so etwas in der Art einer Untergrundbewegung.“, sagt er sachlich. Er dreht den Kopf, um sich einen Überblick in der kahlen Wüste zu verschaffen. ,,Sieh mal! Trina, wo ist deine Mutter?“, fragt Avalio das kleine, dunkle Mädchen.

,,Sie ist krank. Du musst ihr helfen, Avalio!“ Trinas Stimme klingt panisch und hilflos.

Avalio und ich rennen an dem Schrotthaufen vorbei. Ich sehe die Frau Nera am Boden, sie blutet, ich beschleunige meinen Lauf und bin wesentlich schneller als Avalio bei ihr. Ihr rechter Oberarm weist eine sechs cm große Wunde an der Schulter auf. Ich sehe die tiefroten Tropfen.

Avalio zieht sich sein Hemd vom Leib, dabei entblößt er seinen Oberkörper. Schockiert und interessiert mustere ich seinen trainierten und gesund gebräunten Leib, der von der heißen Sonne beleuchtet wird. Er hat keine Brüste, keine richtigen, also kann er auch kein Kind säugen. Ich erinnere mich an X-Lords Worte: Maskulins haben es nicht verdient zu leben, weil sie keine Kinder austragen können. Sie haben die weibliche Rasse unterdrückt. Wut steigt mir in den Hals, Wut, weil Avalio ein Maskulin ist und Wut, weil er ein unbändiges Verlangen in mir weckt. Er reißt ein Stück Stoff von seinem Hemd ab.

Plötzlich taucht der alte Maskulin hinter uns auf. Er sieht schmutzig und aufgewühlt aus, der Sturz zeigt seine Folgen an ihm. Er lässt sich auf die andere Seite neben Nera auf die Knie fallen. Er küsst ihre Stirn, sie wimmert mit einem furchtbar erstickten Ton. Avalio versucht die Wunde zu verbinden, er bekommt es aber nicht hin. Er zittert und versucht es wieder. Doch ich weiß, dass der Verband ihr nicht helfen wird, denn sie hat schon viel zu viel Blut verloren.

Trina weint bitterlich. ,,Mama, bitte bleib bei mir!“

Auch der Maskulin ist sehr betroffen, es zeigen sich tiefe Ringe unter seinen Augen. Mir kann man sicher keine Betroffenheit ansehen, ich bin es aber, sogar sehr. Ich hebe meine Hände, ich möchte nicht das Trina ihre Mutter verliert, weil ich weiß, wie wichtig die Mutter für die Gattung der Säugetiere ist. Das Säugen der Muttermilch lässt zugleich eine psychische Nähe entstehen. Das weiß ich, weil auch ich meine Mutter verlor. Vor einem halben Jahr ist sie verschollen.

Mit meinen Hände greife ich um ihre Wunden herum. Aus meinem Stiefel ziehe ich ein kleines Messer, das ich von der Marke swid habe. Swid – sicher, weit, inspiziert, desinfiziert. Ich steche in ihr Fleisch. Avalio und der Maskulin sprechen, sie schreien sogar, doch ich kann es nicht mehr hören. Ich höre nur noch Neras Kreischen, aus der Wunde schneide ich ein großes Stück Metall. ,,Gleich wird sich eine zarte, hauchdünne Schicht Haut über die Wunde setzen, denn auf dem Messer ist Dihydroxyaceton.“ , erläutere ich.

Es passiert, wie ich es mir gedacht habe.

,,Wie ist das möglich?“, fragt Avalio, der verwirrt auf Neras Verletzung starrt.

,,Dieses Gel wird bei der Produktion auf die Messer der Marke Swid aufgetragen, denn wenn man sich beim schneiden oder schlitzen verletzt, soll die kleine Wunde schnell heilen. Damit ist Swid berühmt geworden.“, erkläre ich, als wäre es das normalste der Welt – denn für mich ist es das. Und es wundert mich, wenn sie nichts davon wissen.

,,Warum kennen wir dieses Gel nicht?“, fragt der alte Maskulin.

,,Forscher unseres Volkes Viaeternus haben dieses Kohlenhydrat in menschlicher Bräunungscreme entdeckt und herausgefunden, wie man es sinnvoll und stärkend nutzen kann.“, fahre ich fort.

,,Das wird uns noch nützlich sein.“, sagt Avalio beeindruckt.

 

Die Wüste ist ein unheimlicher Ort, er macht so nachdenklich, lässt mein Gehirn neue Daten versenden. Ich sitze auf dem Sandboden.

,,Wir gehen weiter, Avalio, Nera“, sagt der alte Maskulin.

Die weibliche Frau nickt. ,,Wohin?“ Es geht ihr noch immer schlecht.

,,Werther hat Recht, wenn wir hier bleiben, sterben wir.“, unterstützt Avalio den Maskulin ernst.

,,Was ist mit dem Signal?“, fragt Nera hoffnungsvoll.

,,Sie werden nicht kommen.“, sagte Avalio gerade heraus.

,,Wieso nicht?“, will Nera aufgeregt wissen.

,,Sie wollen nicht mit uns in Verbindung gebracht werden.“, gesteht er ihr die Wahrheit.

Nera steht auf. ,,Wie können sie uns so etwas antun?!“, kreischt sie außer sich vor Wut. Fast will ich mir die Hände auf die Ohren legen, so laut ist sie.

 

Wir laufen die sandigen Hügel auf und ab – fast schon seit einer halben Ewigkeit . Trotz meiner Stiefel, kann ich im Sand keinen festen Halt finden.

Ich steige auf mein Ozweirad, es schwebt, will sich aber nicht vorwärts bewegen. Ich muss das Programm Check-it zur Problembehebung laufen lassen, da Avalio meine Chips geändert hat, kann das einige Zeit in Anspruch nehmen. Ich bin leer ohne Technik, nicht ich selbst. Unendlich viele sinnlose Schritte durch die Wüste.

 

 

 

 

 

 

 

 

Kapitel 2: Love gives everybody a name

Nach einer halben Stunde habe ich wieder volle Kontrolle über mein Ozweirad und damit auch über meine Stiefel. Eine besondere Funktion erlaubt es mir, Krallen aus den Schuhsohlen fahren zu lassen. Nun habe ich festen Halt und kann schnell laufen. Aufgrund meiner Kleidung, einem silbernen Langarm mit weißen Streifen an den Seiten, kann die Sonneneinwirkung mir nicht schaden. Das Langarm atmet und die Hitze ist ertragbar.

Avalio hingegen ist sehr rot im Gesicht. Da er kein Hemd mehr trägt, ist er der direkten Sonneneinstrahlung ausgesetzt. Sein Leib schwitzt.

,,Du musst deinen Körper vor der Sonneneinstrahlung schützen, sonst verlierst du zu viel Wasser und kannst an Hautkrebs erkranken. Das Ozonloch konnte bis jetzt nicht geschlossen werden", sage ich besorgt.

Avalio bemerkt meinen Blick auf sich ruhen. Er schaut an sich hinunter und atmet flach. ,,Was bist du eigentlich?“, fragt er mich und schüttelt den Kopf. ,,Ich habe keins"

Ich halte ihm einen bekannten Fetzen hin. Er nimmt ihn mir aus der Hand, faltet ihn auf.

,,Mein Hemd“, stellt er überrascht fest.

,,Es ist zwar noch Blut im Stoff, aber ansonsten habe ich es zusammengeklebt.“

,,Zusammengeklebt?“, fragt er skeptisch. Er besieht sich das Hemd genauer. Die Klebespuren sind nur minimal erkennbar. ,,Unheimlich. Wie hast du das gemacht?“

,,Der Kleber ist für meine Nägel, die ich mir einmal in der Woche frisch draufklebe. Ich habe immer eine Packung bei mir.“

,,Klingt nach einer heftigen Klonzicke, wenn du mich fragst“, meint Nera, obwohl sie erschöpft ist, hat sie nichts an ihrer Gehässigkeit eingebüßt. Sie scheint sogar noch verstärkt.

,,Was hast du noch von dem ich wissen sollte?“, fragt Avalio mich, anerkennend lächelnd.

,,Ich behalte es mir vor auf diese Frage nicht zu antworten, weil auch ich ein Recht auf Privatsphäre habe“, antworte ich sachlich.

Er schüttelt den Kopf und läuft schmunzelnd weiter.

 

Die Sonne wandert am Horizont lang und färbt sich. Die Farbenkombination der Sonne bewirkt eine Hormonausschüttung, wodurch es zu seltsamen Gefühlen kommen kann. Also verschließe ich meinen Blick.

Als sich der Himmel trüb färbt und kalter Wind sich bemerkbar macht, schalten sich die Scheinwerfer an meinem Ozweirad an. Das Licht ist nicht wie normale Raumbeleuchtung, es hat feine Sensoren, wie Laserstrahlen. Dadurch kann mein Wordpad Personen identifizieren.

,,Mein Wordpad zeigt mir etwas an!“, flüstere ich.

Ich beschleunige mein Tempo, das Wordpad ordert Leben, nicht zuzuordnen, aber existent. Ich entdecke ein paar große Zelte, die aufgebaut sind wie Häuser.

Beduinenstamm, zeigt mein Wordpad mir an.

Der letzte Sonnenstrahl verlässt die Hälfte unserer Erdkugel, wodurch ich von Dunkelheit eingehüllt bin. Ich bin die Einzige hier, die anderen sind gut 04:49 Minuten entfernt, wie mir mein Wordpad ausrechnet. Ich sehe mich zwischen den Zelten um.

,,Hände hoch, Klonin!“, sagt ein Mann plötzlich in einer fremden Sprache, die mein Wordpad als Arabisch identifiziert und sofort übersetzt.

Er dreht sich zu einer kleinen Gestalt. ,,Die anderen Klone sind bestimmt nicht weit. Sie werden uns töten. Versteck dich, Halima!“

In der heutigen Zeit spricht man weltweit Englisch. Ich reagiere nicht auf die Aufforderung und drehe mich zu ihm um. Das Gesicht dieses fremdartigen Maskulin sieht zutiefst erschrocken aus. Er trägt ein rot-weiß-kariertes Tuch auf dem Kopf, seinen Falten nach zu schließen über 40 Jahre alt, in seiner Hand hält er ein Wild-West-Gewähr. Eine so veraltete Waffe, dass es wieder witzig ist. Heutzutage tötet man durch eine Spritze, in der das Nervenzersetzende Gift dead-X enthalten ist, es tötet in wenigen Sekunden, übrig bleibt nur ein Klumpen Fleisch.

Der Maskulin mustert mich mit seinen ängstlichen Augen, hebt die Waffe und schießt, aus seinem Gewähr feuert eine Kugel, die mich über der Brust trifft. Ich stehe immer noch, gebe keinen Ton von mir, empfinde trotzdem Schmerz, bin völlig regungslos - sowie ich es gelernt habe. Mein silbernes Oberteil saugt sich mit Blut voll.

,,Ich schieße noch einmal, bleib wo du bist!", droht er.

Doch ich laufe auf ihn zu. Er schießt noch einmal und trifft mich in den Oberschenkel. Ich bücke mich und hole die Kugel aus meinem blutenden Fleisch.

Der Mann schreit. ,,Sie stirbt nicht, ich kann sie nicht töten, sie kommen!“

Ich drehe die blutgetränkte, spitze Kugel in den Händen, wobei ich mich schneide. Blut quellt aus all meinen Wunden – für einen Moment.

Plötzlich verheilen die Wunden, zuerst die an der Schulter, dann an meinem Oberschenkel, langsam hören sie auf zu bluten. Eine dünne Grindschicht bildet sich. Sie verschwindet. Haut spannt sich hinüber. Es ist ganz anders als bei Nera, schneller, stärker und für mich selbstverständlich. Die Schnitte an meinen Händen sind vollständig verschwunden und die Haut so makellos wie vorher.

Der Mann schaut mich an und schreit weiter.

Nichts rührt sich. Er ist mein Feind, will mich vernichten, doch ich habe Regenerationskraft, nicht so perfekt wie die der Elite, aber ausreichend. Ich springe vier Meter weit und vier Meter hoch auf den Maskulin zu. Ich bin so schnell, dass er sich nicht einmal wegdrehen kann, um zu flüchten.

Ich werfe ihn zu Boden. In meiner Hand halte ich ein Messer, das habe ich aus seiner Gürtelschnalle genommen - blitzschnell. Ich hole aus, will zu stechen – doch ich höre ein Wimmern.

,,Bitte nicht, bitte, töten sie ihn nicht! Wir haben nur ihn", fleht ein zwölfjähriges Mädchen.

Viele Kinder, kleine und größere Menschenkinder, stehen bei ihr. Sie müssen durch die Schüsse aufgewacht sein und haben die Zelte verlassen.

Ich nehme keine Rücksicht auf sie, ich werde zu stechen – denn so habe ich es gelernt. Meine Wille ist hart und entschlossen. Das Wimmern erzeugt einen schrecklichen Schmerz in meiner Brust, dann erinnere ich mich an meine Fehlerhaftigkeit, die mich ewig daran hindern wird, stark zu sein. Ich berühre mit dem Messer seine Kehle.

,,Tue es nicht!“, höre ich eine vertraute Stimme. Es ist Avalios. Er steht weit entfernt auf einem Sandberg und schaut zu uns hinunter. Mein Körper glüht. Ich schaue hin und her, zwischen dem Feind, dem Mädchen und Avalio – Avalio. Ich bin merkwürdig, kann meinen Körper, mein Gehirn nicht verstehen, werfe das Messer beiseite. Ich packe ihn am Kragen seines langen, weißen Herrenkleides und ziehe ihn in die Luft, sodass er über der Erde baumelt und werfe ihn drei Meter weit in den Sand.

,,Maskulins sind eine Schande für unsere Welt“, sage ich.

Auf dem Ozweirad schwebe ich zu Avalio hinüber. Er steigt wortlos auf. ,,Bring mich zu ihm!“, sagt er.

Wir landen vor dem Feind, der von den vielen Kindern umreiht und umarmt wird. Er bedeutet ihnen etwas.

,,Du bist ein Maskulin und verkehrst mit einer Klonin", flüstert der Fremde, der eben noch mit seinem Leben davon gekommen ist. Er ist bleich, entsetzt. Als Avalio ihm die Hand gibt, um ihn hoch zuziehen, zögert der Fremde einen Moment, nimmt die Hand dann aber. Da weder Avalio den Fremden, noch der Fremde den Mann verstehen kann, stelle ich die Übersetzungsfunktion meines Wordpads auf Laut.

,,Was machst du hier draußen in der Wüste?", fragte Avalio.

,,Wir wurden von einem Trupp Feministinnen angegriffen, sie töteten alle. Auch Frauen und Kinder."

,,Sie sind sorgfältig, reinlich", meine ich.

Der Fremde blickt mich erschrocken an.

,,Fürchte dich nicht vor ihr. Sie hat mir das Leben gerettet und ist eine Ausgestoßene. Ich schwöre dir, du kannst uns vertrauen", sagt Avalio

,,Ich konnte meine Frau nicht retten, aber ein paar fremde Kinder. Es war schrecklich. Ich habe eine meiner Töchter verloren", erklärt der Fremde mit weinerlicher Stimme.

,,Dann haben sie euch absichtlich leben lassen. Sie machen keine Fehler", beteuere ich wieder. Und diese Tatsache macht selbst mir Angst.

 

 

Der Fremde, Imam ist sein Name, lädt uns in sein Zelt ein, auch die anderen - Nera, Trina und der alte Maskulin Werther – sind eingeladen. Mehrere Kinder schlafen hier auf dem Boden in Felldecken. Imam zündet ein paar Kerzen an und gibt Avalio Brot. Er reicht es um. Ich esse ein kleines Stück.

,,Wir ziehen jetzt schon seit drei Monaten durch die Wüste, ewig auf der Flucht. Dabei leben wir hauptsächlich von Vorräten“, sagt Imam.

,,Aber die Feministinnen dringen doch nicht in die Wüste vor, wie kann es dann sein, dass sie euer Lager entdeckt haben?“, fragt Avalio besorgt.

,,Die Angriffe häufen sich. Davon habe ich gehört, Avalio. Ich habe es sogar am eigenen Leibe erlebt. Die Feministinnen haben einige meiner Kameraden entführt, von zu Hause“, sagt der alte Maskulin Werther

,,Auch ich und Trina waren außerhalb der Grenze als wir überfallen und entführt wurden“, fügt Nera hinzu. ,,Ich will zu meinem Mann zurück. Ich weiß nicht, was sie mit ihm gemacht haben.“

,,Was meinst du, Klonin?“, fragt Avalio mich aus heiterem Himmel.

,,Mein Name ist Laska.“

,,Laska ist ein ziemlich menschlicher Name, keine Klonin nennt sich so“, sagt Nera ungläubig.

,,Ich dachte, ihr habt alle eine Zahl“, meint Imam höhnisch.

,,Meine Zahl ist die 373 Periode. Nera, meine Mutter gab mir diesen Namen. Zu deiner Frage Avalio: Es existiert keine Grenze, jedenfalls nicht nach meinem Wissen. Aber wenn doch, dann plant X-Lord das Land territorial zu vergrößern und die menschliche Rasse endgültig zu vernichten. Deswegen auch die Morde an den Frauen und Kindern. Menschen werden immerhin geboren, ziemlich armselig. Klone hingegen ausgebrütet, und nur in seltenen Fällen ausgetragen, wodurch der Fortbestand um 33, 7 Prozent gesichert ist, der menschliche hingegen nur um 0,16 Prozent.“

,,Warum hast du mir das Leben gerettet, wenn du die menschliche Rasse für armselig hältst - nicht nur einem Menschen - sondern einem Maskulin?“, fragt Avalio aufgeregt.

,,Ich weiß es nicht. Das hätte niemals passieren dürfen. X-Lord hat das nicht so vorgesehen, aber ich habe den Fehler Lieben zu können“, gestehe ich beschämt. ,,Man hätte nicht auf meine Mutter hören dürfen, hätte sie mich exterminiert und einen neuen Versuch gestartet, dann wäre ich perfekt gelungen.“

,,Was ist daran falsch zu lieben?“, fragt Nera.

,,Die Kontrolle zu verlieren. Mitleid zu empfinden. Sich Befehlen zu widersetzen“, antworte ich nervös wegen dieser dummen Frage.

Als die anderen mit sich selbst beschäftigt sind, sich in andere Zelte zurückziehen, um zu schlafen und sich um die Kinder kümmern, da setzt Avalio sich neben mich und legt den Arm um meine Schulter. Seine Berührung stimuliert meine Gefühle; weckt wieder jenes, merkwürdiges Kribbeln in meiner Magengrube. Dieses Gefühl ist entspannend, aufregend und in einer besonderen Weise angenehm, erleichternd.

,,Wer war deine Mutter?“

Avalios Stimme klingt zart und voller Verständnis, ihre Töne stechen wie Schwerter in meine Seele und trotzdem will ich mehr von ihr. Ich kann mich nicht verstehen, kann nicht nachvollziehen, warum meine Gefühle sich von meinem Körper lösen.

,,Sie war ein Mensch. Sie überlebte die schweren Zeiten und bestand darauf mich auszutragen. Damals war das System noch nicht so fest verankert. Man erlaubte es ihr. Als ich gebar, schlug man ihr vor einen wiederholten Versuch zu machen, einer der gelingen würde. Doch sie bestand darauf, mich zu behalten.“

,,Ich bin froh, dass sie es getan hat, dass sie dich behielt. Aber wo ist sie jetzt?“

,,Vor einem Jahr verschwand sie. Sie hinterließ eine kurze Nachricht: Lebe und sei unbesorgt. Als die Elite davon erfuhr, musste ich ins Heim. Ein kalter und düsterer Ort, in genau sechs Wochen sollte mein Tod entschieden werden. Leben, wenn ich etwas tauge. Auf der Versammlung, wollte ich es beweisen. Aber dann kam die Nachricht.“

,,Dass muss schrecklich für dich gewesen sein.“ Avalio drückt mich fester, so als wollte er halten, was schön längst gefallen ist. In seiner Stimme klingt Mitleid und zugleich Bewunderung. ,,Du bist ein tolles Mädchen. Ein guter Mensch, ich meine, also ... Entschuldigung.“

,,Ich bin eine Klonin, das werde ich immer sein.“

,,Aber du bist etwas Besonderes. Du kannst die Mauern durchbrechen. Ich wollte es nicht vor den anderen sagen, deswegen tue ich es jetzt: Dein Name Laska kommt aus dem Tschechischen und bedeutet Liebe.“

Ich blicke ihn geschockt an. Er steht auf, mein Blick behält etwas Flehendes, seiner wieder Mitleid.

,,Wir sind uns ähnlicher als du glaubst“, meint Avalio.

 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 26.04.2014

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