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1.


Kapitel 1

Mila

"Hey, wach auf." Matthews flüsternde Stimme ließ Mila erwachen. Sie seufzte, ließ die Augen aber geschlossen. Normalerweise wäre Mila nun sauer auf Matthew. Sie hasste es geweckt zu werden. Aber dieses Mal kam es ihr ganz Recht, denn Matthew hatte sie aus einem schrecklichen Albtraum geweckt. Für sie gab es nichts Schlimmeres als von ihrer leidende Mutter zu träumen. Mila öffnete die Augen und schaute zu Matthew. "Wie spät ist es?", murmelte sie und erhob sich langsam. Matthew ging zum Fenster und machte die Jalousie hoch. Die Morgensonne strahlte und ließ den Raum erhellen. Von weitem hörte man die Glocken der Stadt leuten."9 Uhr." Gähnend rieb sich Mila die Augen. Dann lächelte sie Matthew leicht an. Er wandte sich zum Gehen, aber als er sah, dass seine Schwester lächelte fragte er verwirrt: "Was ist los?" Mila strich sich über ihr braunes, langes Haar und schüttelte den Kopf. "Nichts, es ist nur... du beschützt mich sogar vor meinen Albträumen, Matt." Er zuckte mit den Schultern und ging aus dem Zimmer. Dabei rief er noch: "Steh einfach auf und komm frühstücken!"
Mila gähnte wieder und stand dann auf. Sie ging zum Fenster und schaute hinaus in die Stadt am Morgen. Draußen war nichts los. Kein Mensch war unterwegs. Nur die Vögel sangen ihr Lied auf den Bäumen. Die Stadt war klein. Daran war Mila überhaupt nicht gewohnt. Sie war es gewohnt, dass bereits um 9 Uhr morgens draußen reinstes Chaos herrschte und Lärm in ihr Zimmer drang, wodurch sie aufwachte. Sie war daran gewohnt, dass sie, wenn sie aus dem Fenster schaute, einen Ausblick auf die wunderschöne Stadt hatte. Doch nun lebte sie in einer winzigen Stadt. Und die Aussicht endete bei dem Haus gegenüber. Sie fasste sich an ihr Herz und biss sich auf die Lippe. Sie hasste diese Stadt. Und ihr war klar, dass Matthew sie genauso hasste. Eigentlich sollte er sauer auf sie sein. Immerhin war es ihre Schuld, dass sie hier her ziehen mussten. Aber darüber hatte sie nie mit ihm geredet. Sie hatte sich nie wirklich getraut ihn zu fragen.
Mila beobachtete, wie ein schwarz gekleideter Mann die Straßen entlang ging. Er war anscheinend in Eile, denn ständig schaute er auf seine Armbanduhr. Sie lächelte bitter. Ein paar hundert Männer und Frauen mehr von dieser Sorte in der Stadt, und schon würde sie sich wieder wie in einer Großstadt fühlen. Aber es blieb nur bei diesem einen Mann, der nun schon fast rennend um die Ecke bog und Mila ihn nicht mehr sah.
Schwer ausatmend ging sie zu ihrem großen Spiegel im Zimmer und schaute sich an. Sie blickte in ein müdes und erschöpftes Gesicht. Erschöpft von allem. Erschöpft von ihrem Vater, ihrer Tante, dem Umzug, ja sogar von Matthew. Und nicht zu vergessen: Erschöpft von ihr selbst. Mila griff schnell nach ihrer Kleidung und zog sich um. Sie schlüpfte in ein Kleid und knotete ihre langen Haare zu einem Zopf. Dann nahm sie die Halskette ihrer Mutter und machte sie um. Schließlich lief sie hinunter in die Küche, wo ihr Bruder bereits ungeduldig auf sie wartete. Sie schaute sich verwundert um. "Wo sind denn Dad und Grace?" Matthew machte eine Bewegung, dass sie sich setzten sollte. "Die sind heute sehr früh schon losgefahren um die letzten Sachen abzuholen." Mila setzte sich. "Verstehe."
Lange schwiegen die beiden und aßen ihr Frühstück. Mila musterte ihren Bruder. Er wirkte überhaupt nicht wütend, dass sie nun hier lebten. Jedenfalls ließ er sich nichts anmerken. Ganz nüchtern aß er und schaute dabei in eine Zeitschrift. Immer wieder merkte sie, dass sie wahrscheinlich ohne Matthew nicht überleben würde. Er war immer für sie da gewesen und hatte sie beschützt. Im Gegenzug dafür war er ständig mit einer ihren Freundinnen zusammen gewesen. Ständig fragten sie nach ihm. Sie meinten er würde unheimlich gut aussehen und dass Mila es gut hatte einen so wundervollen Bruder zu haben. Und Matthew selbst machte sich einen Spaß aus den Mädchen, bis er schließlich ihnen immer das Herz brach. Er sah jedoch wirklich gut aus. Er war gut gebaut und hatte ein wunderschönes Lächeln. Sie war schon immer stolz darauf gewesen, einen so tollen Bruder zu haben. Matthew merkte, dass Mila ihn anstarrte. Er blickte zu ihr. "Ist was?" Langsam strich er durch sein braunes Haar. Mila schaute ihm in die Augen. "Nein, nein", sagte sie schnell und schaute auf ihren Teller. Matthew lachte. "Bist du nervös wegen morgen?", fragte er. Sie zuckte zusammen. Daran hatte sie noch gar nicht gedacht! Morgen war ihr erster Schultag auf der neuen Schule. "Matthew... ich... kann das nicht", murmelte Mila ängstlich. Matthew stand auf und ging auf sie zu. "Doch, kannst du. Mila, du schaffst alles, glaub mir! Und wenn irgendjemand gemein zu dir ist, verhaue ich die Person, so wie in der Grundschule!" Mila musste unwillkürlich grinsen. Matthew griff nach ihrem Zopf und riss das Haargummi aus ihren Haaren. Sie sprang auf und starrte ihn wütend an. Sie hielt ihre Hand an ihren Hinterkopf. Mit der anderen Hand versuchte sie ihn zu packen, doch er wich aus. "Matthew! Was soll das? Das tat weh!" Er lachte. "Wag es nicht, morgen mit einem Zopf in die Schule zu kommen! Zeig allem ruhig deine Schönheit! Und wehe, wenn du nicht auf mich hörst. Dann reiße ich dir das Haargummi wieder aus den Haaren." Sie seufzte. "Matt..." Er steckte ihr Haargummi in die Hosentasche und grinste triumphierend. Schweigend setzten sie sich wieder hin und aßen auf. Allmählich wurde sie wegen dem morgigen Tag nervös.

Gegen Mittag kehrte Milas Vater und ihre Tante zurück. Mila saß gerade im Wohnzimmer und las zum gefühlten tausendsten Mal ihr Lieblingsbuch. Mittlerweile hatte sie sich wieder einen Zopf gemacht. Matthew saß neben ihr und schaute Fernsehen. Ständig seufzte er und meinte wie langweilig ihm doch wäre. Als die beiden Geschwister hörten, wie sich die Haustür öffnete, schaltete Matthew mit einem letzten, tiefen Stöhnen den Fernseher aus und Mila klappte vorsichtig ihr Buch zu. James Hannigan, ein großer und gutgebauter Mann, stand am Türrahmen des Wohnzimmers. Seine Kinder schauten ihn nüchtern an. Man sah unter den Augen von Milas Vater dunkle Augenringe -Ein Zeugnis vieler schlaflose Nächte. Hinter ihm erschien auch Grace, Milas Tante, lächelnd. „Hallo Kinder!“, sagte sie in einem viel zu fröhlichem Ton. Matthew stand auf. „Soll ich beim Tragen helfen, Dad?“, fragte er. Mila stand ebenfalls auf. Sie hatte seit Tagen nicht mehr wirklich mit ihrem Vater geredet. Immer wieder hatte sie ihm erklärt, dass sie nicht umziehen will, doch er hatte immer gereizt geantwortet, dass er das alles nur für sie tat und dass alles ihretwegen geschah. Doch Mila kannte den wahren Grund, warum sie die Stadt verlassen hatte: Ihr Vater hatte seinen Job verloren und konnte die Wohnung nicht mehr zahlen. Da kam es ihm ganz Recht sie als Grund zu benutzen, zu Tante Grace zu ziehen. „Eine Kleinstadt wird dir gut tun. Da ist nicht so viel Chaos und Stress und so viele Menschen. Außerdem ist die Luft dort besser.“ Natürlich, Dad, dachte sich Mila. Nun starrte ihr Vater sie an. Mila ballte ihre Hände zu Fäusten. „Was ist?“, fragte sie. Seine blauen Augen musterten sie von oben bis unten. Dann lächelte er. „Du siehst aus wie deine Mom, Mila“, murmelte er mit einem zufriedenen Unterton. Mila schaute ihn fassungslos an. Sie wollte etwas sagen, doch Matthew hatte sich vor sie gestellt. „Dad, bitte“, sagte er und blickte mit einem leicht finsteren Blick in das Gesicht von ihm. Milas Vater drehte sich um und ging hinaus. Tante Grace, die bei dem Wort „Mom“ äußerst unruhig wurde, lief ihm schnell hinterher und rief etwas wie: „James, warte, ich helfe dir beim Tragen!“ Matthew schaute zu Mila. „Er hat es lieb gemeint. Das weiß du doch.“ Mila nickte nur. Sie wusste natürlich, dass ihr Vater es nett meinte. Dennoch erinnerte sie sich dadurch an Tage, die sie tief in ihren Gedanken versteckt hatte. An Tagen, an denen ihr Vater Mila Hass zeigte. An Tagen, an denen sie so viele Tränen vergossen hatte. An die Tagen, in denen Mila ständig ihre blauen Flecke an den Augen verdecken musste. Und das nur, weil James Hannigan in seiner Tochter seine Frau June Hannigan sah und zu der Zeit unter einem Alkoholproblem gelitten hat. Mila nahm ihr Buch und sagte zu ihrem Bruder: „Ich geh dann mal in mein Zimmer. Ich muss noch ein paar Sachen auspacken.“ Matthew nickte. „Wenn du fertig bist, komm in den Garten, dann werfen wir ein paar Körbe.“  Mila lachte. „Du meinst du wirfst ein paar Körbe und ich schaue dir dabei zu.“ Dann ging sie in ihr Zimmer und schloss hinter sich die Tür. Eine Weile stand sie mit dem Rücken an der Tür angelehnt und schaute sich ihr Zimmer an. Tante Grace hatte es wirklich liebevoll eingerichtet. Es war ein sehr großes Zimmer und in der hintersten Ecke des Raumes stand ihr Bett. Auf der rechten Seite waren ihr Kleiderschrank und ein großer Spiegel. Tante Grace hatte ihr einen lilafarbenen Teppich gekauft, der nun mittig im Raum lag. Darüber hing eine gleichfarbige Lampe. Ihr altes Zimmer war wesentlich kleiner gewesen. Mila ging auf die Kartons zu und öffnete eines. Dieser war voll mit Büchern. Mila ordnete die Bücher in ihr Regal. Ganz unten lag ihr altes Tagebuch. Es war rosa und in glitzernden Buchstaben stand ihr Name darauf. Sie fragte sich, wie es dahingekommen war, denn sie war sich sicher, dass sie es wo anders eingepackt hatte. Neugierig öffnete Mila das Buch und überflog einige Seiten. An einer Seite blieb sie stehen und las es sich mit finsterer Miene durch. Mir fehlt Mommy so. Ich muss heute zum Arzt, ich will aber nicht! Ich habe Angst vor dem Doktor, doch Daddy sagt, dass ich muss. Warum, will er aber nicht sagen….Ich- Es klopfte an der Tür. Erschrocken hörte Mila auf zu lesen und versteckte das Buch in eine Schublade ihres Schreibtisches. „Ja?“, rief sie. Tante Grace öffnete die Tür. „Hallo, Liebes“, sagte sie leise. Mila mied ihren Blick. Es war nicht so, dass sie Tante Grace nicht mochte, doch gerade wollte sie mit niemandem reden. „Hallo.“ Mila öffnete den nächsten Karton, in den sich noch weitere Bücher befanden. Tante Grace kam auf sie zu. „Mila, Schätzchen… Ich weiß wie schwer das alles sein muss.“ Mila schüttelte den Kopf. „Es ist alles in Ordnung.“ Tante Grace war die Schwester von Milas Mutter gewesen. Doch sie sahen sich überhaupt nicht ähnlich. Tante Grace hatte braune Augen und Mila war nicht ganz klar, ob ihre blonden, kurzen Haare gefärbt waren oder nicht. June im Gegensatz hatte braune Haare und die grünen Augen, die Mila und Matthew von ihr geerbt hatten. Außerdem waren die Gesichtszüge sehr verschieden. Tante Grace hatte ein ziemlich kantiges Gesicht, was sie ein wenig streng wirken ließ, was sie jedoch überhaupt nicht war. Mila erinnerte sich, dass ihre Mutter sehr weiche Gesichtszüge hatte und stets gelächelt hatte. Doch gerade schaute Tante Grace sie genauso besorgt an, wie ihre Mutter vor vielen Jahren es getan hatte. „Bist du dir da sicher?“ Mila nickte leicht und packte weiter ihre Bücher aus. „Wie du meinst. Ich wollte dir sagen, dass deine Schuluniform da ist. Sie liegt im Wohnzimmer.“  Mila atmete schwer aus und hörte auf die Bücher zu sortieren. „Muss das eigentlich sein? Wieso muss ich denn dahin? Ich werde doch immerhin ba-“, protestierte Mila, doch Tante Grace unterbrach sie geschockt. „Wirst du nicht! Also gehst du zur Schule, machst deinen Abschluss und wirst das, was du sein willst. Verstanden?“ Mila schwieg. Ihre Tante wirkte so, als würde sie jeden Moment anfangen zu weinen. Wahrscheinlich sah sie selbst ebenfalls so aus. „Ich geh dann“, murmelte Grace und ging aus dem Zimmer. Mila schluckte den Kloß im Hals hinunter. Sie wusste selbst nicht genau, warum sie das gesagt hatte oder was sie damit erreichen wollte. Sie holte ihr Tagebuch wieder aus der Schublade. Als sie es öffnen wollte, fiel eine loser Zettel herunter. Verwundert hob sie es auf und schaute es sich an. Sie zuckte zusammen. Auf dem Zettel stand immer wieder der gleiche Satz, der mit einer grausamen Sauklaue geschrieben wurde, die sie als ihre eigene Schrift von früher identifizieren konnte. Dort stand drauf: Ich habe keine Angst vorm Sterben.

„Hast du schon deine Schuluniform anprobiert?“  Matthew drippelte den Basketball und schaute fragend zu Mila, die genüsslich das Eis aß, das ihr Matthew mitgebracht hatte, als er vorhin einige Sachen einkaufen war. „Damit du bessere Laune bekommst“, hatte er gemeint. Mila schaute in den klaren Himmel. Keine einzige Wolke war zu sehen. Nur die grelle Sonne, die Milas Haut warm werden ließ. „Nein, ich probiere sie später an“, sagte sie. Matthew warf den Ball in den Korb und traf. Dies wiederholte er einige Mal, bevor er wieder was sagte. „Ich bin mir sicher, dass morgen ein guter Tag wird.“ Mila antwortete nicht. Sie saß einfach da in ihrem Garten und genoss das Eis. Ihr war in dem Moment vollkommen egal, wie der morgige Tag werden würde. Matthew lief zu ihr und hielt den Ball fest in beiden Händen. Er trug ein weißes Top und eine Shorts. Seine Haut glänzte in der Sonne von dem Schweiß. Er grinste sie an. „Lass uns eine Runde spielen.“ Mila schaute ihn verwundert an. „Aber ich kann doch gar nicht spielen“, erwiderte sie. Er griff nach ihrer Hand. „Dann lernst du es jetzt!“ Schnell aß Mila ihr Eis auf. Dann stellte sie sich mit Matthew vor dem Basketballkorb. Er reichte ihr den Ball. „Versuch mal ein paar Körbe zu werfen.“ Mila musste lachen. „Wie denn?“ Matthew verdrehte die Augen. „Stell dich nicht dumm. Natürlich mit dem Ball!“ Entschlossen starrte sie hoch auf den Korb. Dann hob sie die Arme und warf den Ball. Doch wie erwartet traf er nicht. Mila schaute zu ihrem Bruder, der jedoch in Gedanken war. Sie fragte sich, worüber er nachdachte. Sie hob den Ball hoch. „Sag mal, bist du eigentlich verliebt, Matt?“, fragte Mila neugierig. Matthew blickte sie verwundert an. „Wie kommst du jetzt darauf?“  Sie zuckte mit den Schultern. „Du hattest schon viele Beziehungen, aber nie war es etwas Ernstes. Bist du denn gar nicht verliebt und willst du denn nicht endlich eine richtige Beziehung? Immerhin bist du schon siebzehn.“ Matthew fing an zu lachen. „Ich will keine Beziehung. Und außerdem bist du schon ein Vollzeitjob, so wie ich ständig auf dich aufpassen muss.“ Sie versuchte ihn wütend anzuschauen, doch musste unwillkürlich lächeln. „Ich bin doch nur ein Jahr jünger und schon lange kein Baby mehr!“  Mila ließ den Ball los und ging hinein in das Haus. Matthew kam hinterher. „Und warum hast du noch keine Beziehung, Schwesterherz?“ Sie fasste sich ans Herz. „Ich werde mich niemals verlieben, und du weißt auch warum.“

Am Abend versammelten sich alle am Esstisch und genossen das Essen,  welches Tante Grace zubereitet hatte. Alle schwiegen und wussten nicht genau, was sie sagen sollten. Mila gefiel die Stille. Irgendwann brach jedoch Milas Vater die Stille. „Grace, ich danke dir, dass wir hier bei dir leben dürfen.“  Tante Grace schüttelte den Kopf. „Aber nicht doch, James. Du musst dich nicht bedanken. Ich lebe ohnehin schon zu lange alleine in diesem großen Haus.“ Wieder schwiegen alle.
Vor einigen Jahren hatte Tante Grace noch eine ganz normale Familie. Einen Mann, Onkel Harry, und zwei Söhne, Brad und Nick. Doch durch einen tragischen Unfall verstarben die drei und Tante Grace blieb alleine zurück. Der Schmerz saß noch tief, auch wenn sie sich dies nicht anmerken ließ. Mila starrte auf ihren Teller, der noch randvoll war. Wenn sie ehrlich war, hatte sie keinen sonderlichen Appetit.
„Mila, hast du Schmerzen? Geht es dir nicht gut?“, fragte Milas Vater auf einmal besorgt. Sie schaute zu ihren Vater, zu Tante Grace und zu Matthew, die sie alle erschrocken anblickten. Mila seufzte. „Keine Angst, es ist nichts. Ich habe nur keinen Hunger“, sagte sie, stand auf und brachte den Teller weg. „Ich gehe ein wenig spazieren.“ Matthew stand auf „Ich komme mit. Du verirrst dich sonst nur.“ Mila lächelte leicht. „Nein, bitte lass mich ein wenig alleine sein. Ich muss alles verdauen. Ich passe schon auf mich auf. Versprochen.“ Matthew seufzte. „In Ordnung“, meinte er und setzte sich wieder hin.
Mila griff nach ihrer Strickjacke und verschwand aus dem Haus. Draußen dämmerte es bereits. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und ging los. Sie lief direkt auf der Straße. In dieser kleinen Stadt würde ohnehin kein Auto vorbeifahren. Mila starrte auf die Häuser, die allesamt gleich aussahen, nämlich genauso, wie das Haus von Tante Grace. Jedes einzelne Haus hatte diesen lächerlichen Vorgarten, von dem Mila nicht einmal wusste, wozu er gut war. Bei einigen standen sogar Zwerge und sie war froh, dass Tante Grace so etwas Kitschiges nicht mochte. Nach kurzer Zeit verließ sie die kleine Wohnsiedlung und ging an einer Hauptstraße entlang. Es fing an kühler zu werden und sie bereute es, sich nicht vorher umgezogen zu haben. Mila trug immer noch das hellblaue, trägerlose Kleid, das sie heute Morgen angezogen hatte. Es ging ihr nicht einmal bis zu den Knien und dadurch fror sie ein Wenig. Irgendwann fing Mila an über den morgigen Tag nachzudenken. Sie fragte sich, ob sie es schaffen würde. Ein Neuanfang war bekanntlich schwer, doch Mila fürchtete sich vor etwas Anderes. Ihr war klar, dass sie sich von allen fernhalten würde, mit niemanden reden würde. So würde sie keine Freunde finden und keine Last mit sich tragen. Es war der perfekte Plan, doch Matthew würde ihr wahrscheinlich einen Strich durch die Rechnung machen. Aber dennoch würde Mila morgen ihr Bestes geben und sich von allen fernzuhalten.
Unwillkürlich musste sie an Matthews Worte denken. "Wage es nicht, morgen mit einem Zopf in die Schule zu kommen! Zeig allem ruhig deine Schönheit!“  Sie musste grinsen. Dann zog sie das Haargummi aus den Haaren und strich sich über ihr Haar. Vielleicht befolge ich seinen Rat, überlegte sie. Während sie in Gedanken war, landete sie irgendwann an einer Straße, die an dem Strand dieser Stadt grenzte. Verträumt blieb Mila an einer Straßenlaterne und blickte in das Meer. Es war dunkler geworden und die Laterne fing an zu leuchten. Sie lauschte dem Rauschen des Meeres, schloss die Augen und atmete tief durch. Während sie an dieser Laterne stand, wurde ihr klar, dass sie sich verirrt hatte. Aber in diesem Moment war es ihr egal.

Nate

Es war bereits Abend. Nate lief die leeren Straßen entlang. Ihm war gar nicht aufgefallen wie spät es bereits war. Nun ging er nach Hause. Seine Mutter machte sich sicherlich schon Sorgen. Er wollte eigentlich nicht so lange bei Zac bleiben. Doch gleichzeitig war er froh darüber, denn so konnte er sich ablenken. Nate gähnte. Er steckte seine Hände in die Hosentaschen und schlenderte den Weg entlang. Währenddessen dachte er über den Tag nach. Vieles war passiert. Unwillkürlich dachte er an Megan. Nate fragte sich, ob sie es ernst gemeint hatte.
„Ich habe mich in dich verliebt, Nate.“ Er seufzte. Das sagte sie ihm nach dreizehn Jahren Freundschaft? Sie kannten sich doch schon so lange und nun liebte sie ihn plötzlich? Nate verstand sie nicht. Sie hatte sich heute so merkwürdig benommen. Die sonst aktive und stets lachende Megan war auf einmal still und traurig. Und dann noch das Geständnis. Es war einfach zu verrückt. Zac meinte, er wusste es schon lange. Es stand Megan förmlich im Gesicht geschrieben. Warum war es Nate nie aufgefallen? Seufzend schaute er in den Himmel, an dem man schon einige Sterne erkennen konnte.
Er hasste diese Stadt. Irgendwann würde er diese Stadt verlassen. Irgendwann würde er in eine aufregende Großstadt ziehen. Mit dem vielem Chaos und Lärm. Irgendwann würde er in so einer Stadt arbeiten und kein Gedanken mehr an diesen Ort hier verschwenden. Und nichts würde ihn hindern.
Nate kam an dem Strand vorbei. Kurz blieb er stehen. Er überlegte, ob er sich dort eine Weile hinsetzten sollte. Wie er es früher immer getan hatte. Dann schüttelte Nate den Gedanken ab. Er sollte lieber nach Hause gehen, bevor seine Mutter ihn noch suchen gehen würde. Ohne einen weiteren Gedanken daran zu verschwenden, ging Nate weiter und beschleunigte seinen Schritt. Wie würde er morgen Megan gegenüber treten? Nachdem er ihr gesagt hatte, dass er sie nicht liebte, war sie gegangen und er hatte sie nicht mehr gesehen. Aber es lag nicht an ihr. Nate wusste, dass er sich wohl nie verlieben würde. Warum, war ihm jedoch nicht klar.
Abrupt blieb Nate wieder stehen, denn vor einer Straßenlaterne stand Jemand. Jemand mit langen, braunen Haaren. Sie stand mit dem Rücken zu Nate. Er trat einen Schritt näher, und sie bemerkte ihn.
Und als sie sich umdrehte, konnte er sehen, dass sie nicht gewöhnlich war. Er wusste nicht genau warum, aber irgendetwas umgab sie. Etwas Wundervolles. Sie starrte ihn an und Nate konnte den Blick von ihrem wunderschönen Gesicht nicht wenden. Sie hatte große, grüne Augen, die ihn verwundert anschauten. Nate stand wie angewurzelt da und blickte ihre weiße Haut und ihre schwungvollen Lippen an. Sie schwiegen. Er hörte das Meer rauschen und spürte den leichten Wind. Keiner von den beiden rührte sich auch nur einen Zentimeter. Es kam ihm so vor, als würden Stunden vergehen. Dann lächelte sie leicht. Nate schluckte. Ein so schönes Lächeln hatte er noch nie gesehen.
Er erwiderte ihr Lächeln. „Ich… äh… was machst du hier?“ Am liebsten hätte er sich für diese Frage geohrfeigt. Eine dümmere Frage hätte er nicht finden können. Doch sie ließ nicht anmerken. Der Wind wurde ein wenig stärker. Sie hielt mit einer Hand ihre langen Haare von dem Gesicht fern. „Um ehrlich zu sein, habe ich mich verirrt“, sagte sie schüchtern. Sie lächelte nicht mehr und wandte den Blick von Nate ab, um auf das Meer zu schauen. Doch Nate starrte sie nach wie vor an. „Soll ich dir helfen? Ich bring dich dahin, wohin du willst.“, schlug Nate vor. Doch sie schüttelte energisch den Kopf. „Nicht nötig. Ich schaffe das schon alleine. Außerdem möchte ich noch eine Weile hier bleiben.“ Nate schaute sie fragend an. Auf einmal wirkte sie traurig. Ihre Miene hatte sich verfinstert. „Bist du dir sicher?“ Sie nickte. Nate seufzte. „Wie du meinst.“ Sie schaute ihm noch einmal tief in die Augen. Und Nate wusste nicht, ob er sich es eingebildet hatte, doch er glaubte zu sehen, wie sie rot wurde. Sie wandte sich zum Gehen. Nate machte einen Schritt vor, doch drehte sich dann zu ihr um. Wer war sie?  Er hatte sie noch nie zuvor gesehen. Er beobachtete noch, wie sie mit schnellen Schritten zum Strand lief. Ihre langen Haare wehten im Wind. Eine Weile blieb er noch stehen.
„Ach, was soll’s!“,  murmelte er und lief ihr hinterher.  „Warte!“  Sie blieb stehen und drehte sich zu ihm um. „Ja?“ Nate lächelte. „Bist du neu in der Stadt?“ Sie wirkte überrascht. „Ja, ich lebe seit gestern hier“, sagte sie nur und schaute auf das Meer. Er kam einen Schritt näher. „Und wie gefällt es dir hier?“ Nun lächelte sie. Aber das Lächeln wirkte gezwungen, schon fast bitter. „Es ist schrecklich.“ Nate hatte nicht mit dieser Art von Antwort gerechnet. „Und warum bist du hierher gezogen? Oder gibt es keinen bestimmten Grund?“ Sie zuckte zusammen. Dann sah sie Nate an. Ihr Blick war kalt. Hatte er etwas Falsches gesagt? Sie seufzte. „Keinen besonderen Grund“, flüsterte sie und Nate wusste nicht recht, ob sie überhaupt zu ihm gesprochen hat. Sie verschränkte die Arme vor die Brust. „Ich gehe jetzt lieber nach Hause. Es wird allmählich kalt“ sagte sie. Dann schaute sie Nate noch einmal an. Er wusste nicht genau warum, doch bei diesem Blick schlug sein Herz schneller. Dann lächelte sie. „Mach’s gut.“ Und dann ging sie. Nate war nicht in der Lage etwas zu sagen, sich zu bewegen oder ihr gar hinterher zu laufen. Ihr Lächeln war voller Schmerz und Trauer gewesen. Und ihr Blick wirkte so, als würde sie anfangen zu weinen. Nate drehte sich um, doch sie war nicht mehr zu sehen. Sollte er sie suchen gehen? Immerhin meinte sie, sie hätte sich verirrt. Doch Nate wusste, dass er sie nicht mehr finden würde. Er setzte auf den kalten Sand und seufzte. Er hatte ganz vergessen nach ihrem Namen zu fragen. Er hoffte, er würde sie noch einmal wieder sehen. Diese Augen, dieses Haar, dieses Wunderschöne Mädchen.

Mila

 Mila lag in ihrem Bett. Die Augen hatte sie fest geschlossen, doch immer wieder tauchte das Bild von diesem Jungen in ihren Gedanken auf. Sie seufzte. Er sah so gut aus. Während sie geredet hatten, wollte sie ihm durch seine schwarzen Haare wuscheln. Mila drehte sich zur Seite. Und seine Augen waren so wunderschön; Ein tiefes Meeresblau. Sie konnte den Blick kaum abwenden. Wie er wohl hieß? Sie hätte nicht einfach so gehen soll. Er war doch nur nett zu ihr… Mila riss die Augen auf und richtete sich auf. So durfte sie auf keinen Fall denken. Es war gut, dass sie gegangen war. Hatte sie sich nicht geschworen, dass sie sich von allen fernhalten wird? Da zählte auch dieser Junge zu. Ganz gleich wie nett er auch war. Mila fasste sich an ihr Herz. Sie würde nur Last mit sich tragen. Sie griff nach der Kette ihrer Mutter, die sie auf ihren Nachttisch gelegt hatte. Eine Träne lief ihr über das Gesicht.
Mom, du fehlst mir so sehr. Ich brauche dich gerade dringend. Mit Tränen in den Augen legte sie sich wieder hin und schlief ein. Dabei hielt sie die Kette fest in der Hand.

„Mila“ Sie öffnete die Augen und schaute in Matthews Gesicht. „Wie fühlst du dich?“ Gähnend erhob sich Mila und lächelte leicht. „Es geht mir gut.“ Er zog eine Augenbraue hoch. „Hast du geweint? Deine Augen sind ja ganz rot.“ „Ich habe nicht geweint“, log sie und hob die Kette ihrer Mutter hoch, die in der Nacht auf den Boden gefallen war. Matthew zuckte mit den Schultern. „Mach dich schnell fertig. Wir müssen gleich zu Schule.“ Mila bekam bei dem Gedanken Magenschmerzen. Dennoch nickte sie und stand auf. Matthew ging aus dem Raum. Sie ging zum Spiegel und kämmte sich die Haare und beschloss den Rat ihres Bruders zu befolgen und ließ die Haare offen. Schnell machte sie sich fertig. Dann lief sie hinunter in das Wohnzimmer, wo auf dem Sofa friedlich ihre Schuluniform lag. Mila hatte sie gestern nicht angerührt. Tante Grace kam in das Wohnzimmer. „Guten Morgen, Liebes.“
Mila lächelte nur. Dann nahm sie ihre Uniform und lief zurück in ihr Zimmer. Tante Grace kam ihr hinterher. Mila zog die Uniform an und betrachtete sich im Spiegel. Sie bestand aus einem roten, karierten Rock, der Milas meiner Meinung nach ihr zu kurz geraten war. Das Oberteil war eine weiße Bluse, darüber musste Mila eine Art ärmellose Jackett tragen, auf dem auch das Wappen der Schule zu sehen war. Tante Grace half Mila dabei, die Krawatte zu binden, die ebenfalls Pflicht war. Mila atmete schwer aus. Sie fand, dass sie darin schrecklich aussah.
„Aber nicht doch. Du siehst super aus!“, meinte Tante Grace nur. Gemeinsam gingen sie runter zum Frühstück, wo bereits Matthew saß. Mila und Tante Grace gesellten sich dazu. Matthew trug ebenfalls seine Uniform. Er trug ein weißes Hemd mit der gleichen Krawatte, wie Mila sie trug. Er hatte eine schwarze Hose und eine schwarze Jacke mit dem Schulwappen darauf. Als er Mila sah musste er breit grinsen. „Du siehst gut aus. Die offenen Haare passen zu deiner Uniform.“ Sie lachte. Gemeinsam aßen sie ihr Frühstück, dann gingen die beiden los.
Milas Herz pochte wie verrückt. Beinahe hätte sie sich wie ein Kleinkind an Matthew festgehalten. Er bemerkte ihre Nervosität. „Mach dir keine Sorgen. Du wirst sicherlich ganz schnell Freunde finden.“ Mila nickte. „Ich gebe mir Mühe“, log sie. Nach einer Weile erreichten sie die Schule. Sie wirkte so altmodisch. Viele Schüler liefen an ihr vorbei, während Mila sich das alte Gebäude von außen ansah. Am Eingang war eine große Fahne mit der englischen Flagge aufgestellt. Die Steinwände wirkten sehr alt und zerbrechlich. Das Gebäude war jedoch riesig. Es hatte viele Fenster. Matthew lachte. „Das soll eine Schule sein? Ich finde eher, dass das ein Gefängnis ist.“ Da musste Mila ihrem Bruder leider Recht geben. Sie atmete tief durch.
Dann ging sie in das Gebäude hinein. Die beiden Geschwister suchten gemeinsam das Büro des Schuldirektors. Dabei konnte Mila die Blicke nicht ignorieren, die an ihren Bruder gerichtet waren. Doch er beachtete nicht ein einziges Mädchen. „Ich glaube da vorne ist es“, sagte er und zog Mila vor eine große Tür auf dem „Mr. McGowan“ stand.
Matthew klopfte daran und öffnete die Tür. Nervös betrat Mila mit ihm den Raum. Es war ein heller Raum. Die Fenster waren groß und der Teppich auf dem Boden grau. Am Ende des Raumes stand ein großer Schreibtisch, an dem ein fülliger Mann mit Brille saß. Als er die beiden Geschwister sah, stand er auf und lächelte. „Guten Morgen. Ihr seid dann sicherlich Mila und Matthew Hannigan.“ Sie nickte und lächelte. Er reichte den beiden seine Hand. „Ich heiße Mr. McGowan. Freut mich euch kennenzulernen.“  Er reichte ihnen ihre Stundenpläne. „Wenn ihr den Raum nicht finden könnt, dann fragt jemanden. Alle Schüler hier sind bereit euch zu helfen!“, sagte er während er stolz wie ein Vater klang. Er verabschiedete die beiden mit der Entschuldigung, dass er noch einen Termin hätte und setzte Mila und Matthew vor die Tür. Matthew schaute seine Schwester an.
„Soll ich mit dir deinen Raum suchen?“ Sie schüttelte den Kopf. „Das schaffe ich schon alleine“, murmelte sie. Mit einem letzten Lächeln und einem „Viel Glück“ ging Matthew und ließ Mila alleine.
Sie atmete schwer aus. Dann schaute sie auf ihren Stundenplan. „Geschichte- Geschichtsraum 3“ stand darauf. Mila ging los und suchte den Raum. Dabei betrachtete sie den langen Schulflur, der überfüllt mich vielen Leuten war. Es war ziemlich kalt und nicht sonderlich hell. Mila wusste nicht warum, aber irgendwie erinnerte sie das alles an ein Kloster oder Kirche. An den Wänden hingen einige Bilder, die Mila jedoch nicht ansprachen. Allmählich vermisste sie ihre alte Schule.
Plötzlich tippte Jemand hinter ihr auf die Schulter. Erschrocken drehte sie sich um und schaute in das Gesicht von einer Schülerin. Sie hatte lange, rote Haare und eine blasse Haut, die sogar die Haut von Mila übertraf. Ihr Gesicht war mit vielen feinen Sommersprossen verziert. Sie grinste. „Hi, ich heiße Faye. Ich komme ursprünglich aus Texas, bin aber vor einigen Jahren hierher nach England gezogen. Du bist doch sicherlich die Neue, so wie du dich hier umsiehst.“ Mila nickte und setzte ein falsches Lächeln auf. „Ja, ich heiße Mila“, sagte sie ohne ihre ganze Lebensgeschichte wie Faye zu erzählen. Faye grinste breit. „Soll ich dir vielleicht helfen den Raum zu finden?“ Mila schüttelte den Kopf. „Nicht nötig. Das schaffe ich schon alleine.“ Doch Faye hatte bereits beschlossen ihr zu helfen. Sie griff nach Milas Hand und zog sie weiter durch den Flur. „Wo musst du denn überhaupt hin?“, fragte sie nebenbei und wurde schneller. „Geschichtsraum 3 oder so ähnlich.“ Sie wusste, dass es schwierig werden würde Faye loszuwerden.


2.

Kapitel 2

  Nate


Nate gähnte. Er saß neben Zac im Klassenzimmer. Gelangweilt lehnte er sich gegen seinen Stuhl. Zac redete die ganze Zeit über, doch er hörte ihm nicht zu. Seine Gedanken waren bei ihr. Ob sie auf diese Schule ging? Vielleicht würden sie sich über den Weg laufen. Konnte es so einen Zufall geben? Wohl kaum.  Seufzend schaute er aus dem Fenster. Er hätte ihr wieder hinterherlaufen sollen, sie nach ihrem Namen fragen sollen. Dieses geheimnisvolle, wunderschöne Mädchen.
Während Nate in Gedanken vertieft an sie dachte, stieß Zac ihn von der Seite an. Nate zuckte zusammen und schaute seinen besten Freund an. „Schau mal dort!“, rief er und deutete auf die Tür. Zac grinste, wobei sich Grübchen bildeten, die er selbst über alles verabscheute. Nate richtete seinen Blick desinteressiert auf die Tür. Dort stand ein Junge, der nervös wirkte. Ständig strich er sich durch sein braunes Haar und schaute sich ratlos um. „Das ist sicherlich der Neue. Der wirkt doch ganz süß mit seinen glänzenden Augen und schönen Körper“, sagte Zac und prustete los. Nate verdrehte die Augen. Der neue Schüler schaute auf einen Zettel, den er in seiner Hand hielt. 
„Der Arme, ist total verwirrt“, meinte Zac und hob seine Hand hoch. Der Junge wurde darauf aufmerksam und starrte die beiden Jungs in der hintersten Reihe an. Zac machte eine Bewegung, dass der Neue zu ihnen kommen sollte. Erst zögerte er, doch dann kam er wirklich auf sie zu. Zac grinste.  „Hi, du bist neu, stimmt es?“ Der Junge nickte lächelnd. Nate zog eine Braue hoch. Irgendetwas war merkwürdig an diesen Jungen.
Zac zog einen Stuhl neben sich heran. „Dann setz dich, wie heißt du überhaupt?“ Der Junge setzte sich dankend. „Matthew“, sagte er dann, nach wie vor lächelnd. Nate erwiderte sein Lächeln. „Ich bin Nate, und der Typ hier heißt Zac.“ Zac nickte ihm zu. „Lebst du schon lange hier?“ Matthew schüttelte den Kopf. „Erst seit vorgestern.“  Nate fuhr hoch. Er starrte Matthew fassungslos an.  Konnte es sein, dass…?  Die Schulklinge läutete und Mrs. Ross kam in den Raum. Für den Rest der Stunde, schwiegen die drei Jungs. Nate konnte sich nicht auf den Unterricht konzentrieren. Ständig erschien ihr Gesicht in seinen Gedanken. Er biss die Zähne zusammen. Wie konnte Jemand, von der er nicht einmal den Namen kannte, so den Kopf verdrehen? Wieso konnte er nicht aufhören, an sie zu denken? Er starrte aus dem Fenster und seufzte. So etwas hatte er noch nie gefühlt… 

In der Mittagspause saß Nate mit Zac und Matthew zusammen. Gelangweilt trank er sein Wasser und unterhielt sich mit den Beiden.  „Und wie findest du die Stadt?“, fragte Nate Matthew. „Wirklich klasse! Ich hätte nie gedacht, dass eine Kleinstadt so toll sein kann“´, sagte Matthew begeistert. Nate zog verwundert eine Augenbraue hoch. „Du findest es toll?“  Matthew nickte. „Viel besser, als so eine große, chaotische Stadt.“ Zac fing an zu lachen. „Es fällt mir wirklich schwer das zu glauben.  Ich-“, plötzlich brach Zac ab. Er schaute erschrocken zu Nate.„Da kommt Jemand auf dich zu“, meinte er.
Nate drehte sich um und sah, wie Megan auf ihn zukam. Sie blickte ihn traurig an. Und das erste, was ihm auffiel, war, dass ihre langen, blonden Haare nun kurz waren. Er hielt überrascht ihrem Blick stand. Megan blieb kurz vor Nate stehen, dann setzte sie sich neben ihn, als wäre nie etwas gewesen. 
„Jungs, ihr solltet mir wirklich den Neuen vorstellen“, sagte sie nach einer Weile, als keiner mehr die Stille ertragen konnte, die eingebrochen war, als Megan aufgetaucht ist. Nate räusperte. „Das ist Matthew. Er ist seit heute hier“, sagte er dann. Megan grinste Matthew an. „Freut mich, ich bin Megan. Ich bin Nates beste Freundin.“ 
So war das also. Sie wollte so tun, als wäre nie etwas gewesen. Das konnte Nate auch. Megan strich aus Gewohnheit ihre langen Haare aus dem Gesicht, bis ihr auffiel, dass sie nun kurz waren. „Warum hast du sie abgeschnitten?“, fragte Nate. Sie zuckte mit den Schultern. „Ich wollte mal was anderes.“
Als Nate etwas erwidern wollte, wurden  ihm von hinten die Augen und der Mund zu gehalten. Erschrocken zuckte er zusammen. Eine Mädchenstimme fing hinter ihm an zu kichern. Dann nahm sie ihre Hände weg und setzte sich neben ihn.
„Normalerweise hält man doch nur die Augen zu, Faye“, ermahnte Nate sie. Faye grinste.„Normal ist langweilig. Wann lernst du es endlich?“  Er schaute sie kalt an. „Ja wahrscheinlich hast du Recht. Du bist Auf Jeden Fall nicht normal.“ Sie kicherte wieder. Dann umarmte sie ihn. „Hast du Lust mich am Wochenende auf eine Party zu begleiten? Wir hatte schon lange kein Date mehr.“ Faye drückte ihre Wange an seine. „Mir fehlt die Zeit so!“, rief sie. Nate löste sich vorsichtig von der Umarmung. „Nein, ich habe keine Lust.“ Unauffällig schaute er zu Megan, um ihre Reaktion zu beobachten. Doch sie redete mit Matthew und beachtete Nate gar nicht. „Sei nicht so! Oder hast du schon was vor?“ Nate stand auf. „Ich will einfach nicht.“
Dann ging er ohne ein weiteres Wort zu sagen. Zac und Matthew kamen hinterher. „Hey, was ist los?“, fragte Zac besorgt. Doch Nate antwortete nicht. Zac atmete schwer aus. „Dass alle Mädchen der Schule auf dich stehen sollte für dich doch nichts Neues sein“, murmelte er und Matthew schaute ihn erstaunt an. „Alle Mädchen stehen auf ihn?“ Zac nickte mit einem breiten Grinsen im Gesicht. „Nate ist der Mädchenschwarm Nummer eins auf dieser Schule. Kein Wunder, so wie der aussieht. Aber er hat das Talent dazu vor jedem Mädchen eine Art eiskalte Nummer abzuziehen. Ständig weist er alle ab und beachtete sie nicht.“ Als Zac bemerkte, dass Nate ihm nicht einmal richtig zuhörte, fügte er verärgert hinzu. „Sogar seine beste Freundin.“ Nate funkelte ihn an. „Du bist wohl nicht wirklich für Gefühle geschaffen. Oder zeig mir das Mädchen, dass dein Eis zum Schmelzen bringt, Nate. Die existiert nämlich nicht.“ Achselzuckend wandte sich Nate von ihnen ab und ging in den Unterricht. 

Mila 

„Herrje Mila! Wo warst du denn?“ Herrje Faye hatte sie gefunden. Zu Beginn der Mittagspause konnte Mila diese Faye abschütteln. Sie hatte sich draußen auf dem Hof versteckt und anstatt zu essen war ihr nichts anderes übrig geblieben als zu lesen und zu warten bis die Pause vorbei war. Keine zehn Pferde hätten sie in die Cafeteria zu dieser Verrückten gebracht. Zugegeben Mila war nicht gerade nett zu Faye. Aber genau das war ihr Ziel. Sie wollte keine Freund.
"Tut mir leid, ich…“ Aber Mila musste sich gar nicht entschuldigen. Anscheinend war Fayes Frage als eine rhetorische Frage gedacht, auf die sie überhaupt keine Antwort erwartet hatte. „Mila, ich verspreche dir, ich weiche nicht mehr von deiner Seite!“ Mila seufzte. Na danke. 
Und sie hielt ihr Wort, denn den nächsten Kurs hatten sie zusammen. Sie setzte sich auf ihren Platz und versuchte ihren Sitznachbar zu verscheuchen. Ein blonder Junge saß neben ihr, der sie wütend anschaute. „Ist das dein Ernst, Faye? Ich gehe nirgendwo hin.“ Der Junge starrte sie vorwurfsvoll an und dachte wahrscheinlich nicht daran, sich wegzusetzten.
Besser für Mila, denn so konnte sie sich einfach wo anders hinsetzten. Weit weg von Faye. Mila wollte sich gerade einen Platz suchen, da hatte Faye sie bereits nach ihrer Hand gegriffen und hielt sie fest. 
„Herrje, George! Verstehst du nicht, dass ich möchte, dass meine neue Freundin Mila sich hierhin setzt? Also zieh ab“, sagte sie eiskalt. Mila schaute nervös zu den Jungen und versuchte sich von Fayes Griff zu lösen. Zum ersten Mal schaute der Junge nun Mila an. So, als hätte er sie die ganze Zeit über nicht bemerkt. Doch er schaute schnell wieder weg, als Mila ihn anlächelte. Er seufzte. Dann brach kurze Stille ein. 
„Ich setzte mich wo anders hin, Faye“, meinte Mila schnell. Doch plötzlich stand der Junge auf. „Nein, schon gut. Setzt dich ruhig…äh… Mila, richtig?“ Mila nickte. „Ich bin George. Nett dich kennen zu lernen.“ Dann ging er und setzte sich in die erste Reihe. Faye lachte leise. „Dem muss man doch nur kurz schöne Augen machen und schon tut er alles.“ Mila ging nicht auf die Aussage ein und setzte sich schweigend hin. Wenn sie nicht mit Faye reden würde, würde sie sicherlich schnell das Interesse an ihr verlieren. Der Lehrerin kam in die Klasse und begann mit dem Unterricht.

 „Ich liebe übrigens deine Haare, Mila. Die sind so schön und so lang!“ Faye ließ sie auch nach dem Unterricht nicht in Ruhe. Mila schlürfte an ihrem kalten Kakao, welchen sie sich nach der Stunde aus einem Automaten geholt hatte. Wenn sie schon kein Mittagessen bekommen hat, dann wollte sie wenigstens etwas trinken. „Findest du?“ Sie klang uninteressiert, aber insgeheim war sie froh, Matthews Rat angenommen und die Haare offen zu haben. Sie biss wütend auf den Strohhalm. Das sollte ihr doch eigentlich egal sein.
Faye nickte und griff nach ihrem roten Haar. “Ich hasse diese Haarfarbe. So sehe ich aus wie ein Cowboy.“ Mila schaute sich ihre Haare an. „Du kommst doch aus Texas, oder? Dann bist du doch ein Cowboy.“ Faye lachte auf. „Da hast du wohl Recht.“
Auf einmal hörte sie auf zu lachen und starrte fassungslos hinter Mila. Sie drehte sich um, um zu sehen, was Fayes Aufmerksamkeit bekam. 
Es war Matthew, der auf die beiden Mädchen zukam. Mila grinste ihn leicht an. Er erwiderte ihr Lächeln. „Wie geht es dir?“, fragte er breit grinsend, jedoch mit einem besorgten Unterton. Faye quiekte leicht auf. Doch Mila beachtete sie gar nicht und Matthew schaute nur einem Moment verwirrt zu ihr. „Bestens.“  Matthew nickte. „Gut. Ich habe dich übrigens die ganze Zeit gesucht, aber du warst nicht zu finden. Auch in der Mittagspause. Hast du überhaupt etwas gegessen?“
Mila schüttelte den Kopf. Dadurch erntete sie einen ziemlich finsteren Blick. Sie biss sich auf die Lippen. Sie bereitete Matthew ständig Sorgen. Immer musste er sich Gedanken um sie machen.„Ich esse zu Hause… Jetzt schau doch nicht so Matt…“
Er seufzte. „Manchmal glaub ich wirklich, dass du immer noch vier Jahre bist und ich auf dich aufpassen muss.“ Mila senkte den Blick. Als Matthew merkte, dass Mila bedrückt deswegen war, legte er eine Hand auf ihren Kopf. „Entschuldige“, murmelte er. Mila schüttelte den Kopf und grinste. „Es ist nichts.“ Eine kurze Stille brach ein.
Es ist nichts funktioniert bei Matthew immer, das wusste Mila. Matthew räusperte sich. „Wie ich sehe, hast du eine Freundin gefunden“, sagte er und schaute zu Faye, die wie versteinert hinter Mila stand und die beiden anstarrte. Mila zog sie neben sich und nickte.
„Äh… Das ist Faye.“ Matthew  strahlte sie an. Mila kannte diesen Blick zu gut. So schaute er jede Freundin von Mila an und bezauberte damit jeden. Faye anscheinend auch. Denn sie kicherte und konnte den Blick kaum von Milas Bruder abwenden. „Wir haben uns doch schon in der Cafeteria gesehen, oder? Du bist doch die eine Freundin von Nate“, meinte Matthew. Faye nickte heftig. „Ja! Jetzt erinnere ich mich, du hast dich gerade mit Megan unterhalten, nicht wahr?“ Mila verdrehte die Augen.
„Ich geh dann mal“, sagte sie. Sie hatte ihr Ziel erreicht. Matthew dachte, dass sie eine Freundin gefunden hat. Das reichte ihr.
Und ohne zu warten, bis Matthew oder Faye etwas sagen konnte, verschwand sie. Sie brauchte etwas Zeit für sich. Das war genug Nettigkeit für den heutigen Tag. Sie wollte nur noch nach Hause. 

Doch bedauerlicherweise blieb sie nicht lange alleine. Faye hatte sie bereits eingeholt. Hatte Mila einen Magneten an ihrem Rücken kleben? „Mila! Warte doch auf mich!“ Faye schaute sie mit ihren großen, braunen Augen an. Mila atmete tief durch. „Ist Matt dein Bruder?“ Sie nickte. Matt nannte Faye ihn. „Er ist echt süß!“ Mila wollte gerade antworten, doch Jemand fiel ihr ins Wort. 
„Ach, erst sich an Nate schmeißen und nun findest du den Neuen süß? Sehr schön, Faye“, ertönte eine wütende Stimme hinter den beiden Mädchen. Verwundert drehte sich Mila um.
Sie sah einen Jungen mit hellbraunen Locken vor ihnen stehen. Seine Schuluniform hatte er total lässig an; Das Hemd, das nicht komplett zugeknöpft war,  war nicht in der Hose und überhaupt trug er nicht das Jackett, das zu der Uniform gehörte. Die Krawatte hing ebenfalls nur locker um seinen Hals. Aber es stand ihm. Er sah nämlich zu gut aus. Abgesehen davon, dass er gerade ziemlich wütend aussah. 
Faye verdrehte die Augen. „Nate ist und bleibt meine Nummer eins.“ Mila könnte schwören, dass der Junge kurz mit den Zähnen geknirscht hatte. War das hier ein Ehekrieg oder so ähnlich? „Du bist unmöglich.“ Faye lachte. „Beruhig dich mal, Zac. Du verängstigt nur Mila hier.“ 
Der Junge schaute sie an. Faye legte einen Arm und Mila und grinste. „Sie ist neu, musst du wissen. Und außerdem Matthews Schwester.“Nun löste sich seine angespannte Miene und er brachte sogar ein Lächeln zustande. „Matthews Schwester? Ja doch, jetzt wo du es sagst! Hi, ich heiße Zac. Tut mir leid, dass du den Ausraster gerade miterleben musstest.“ Mila erwiderte sein Lächeln. „Schon gut. Äh, ich heiße Mila.“ Erst jetzt bemerkte sie seine großen braunen Augen. Sie waren wirklich schön…Doch abrupt tauchte das Bild der wunderschönen blauen Augen von dem Jungen, den sie am Vorabend getroffen hatte, in ihrem Gedächtnis auf. Sie zuckte zusammen. Warum dachte sie plötzlich an ihn? Sie konnte diesen Gedanken erfolgreich den ganzen Tag umgehen und nun… Sie wandte den Blick von Zac. „Ich gehe dann mal, Nate wartet. Ich glaube er ist wegen dir schlecht gelaunt, Faye.“  Faye haute auf den Rücken von Zac, als dieser sich zum Gehen wandte. „Quatsch! Der ist immer so drauf!“ Und dann ging Zac und ließ Mila mit Faye zurück. Sie atmete tief durch. Bald durfte sie nach Hause.

Impressum

Texte: Die Story habe ich mir ausgedacht
Bildmaterialien: Google Bilder
Lektorat: -
Tag der Veröffentlichung: 07.09.2013

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