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Das Haus im Wald

Es war Nacht. Ich schlief. Jedoch nicht sehr gut. Wie üblich der Albtraum, den ich jede Nacht hatte. Doch ich konnte bis heute nicht verstehen. Ich war auf einer Wiese, einer grünen, saftigen Wiese. Dann war da dieser Junge, knappe 18, muskulös und wunderschön. Er stand auf der anderen Seite der Wiese und kam auf mich zu. Doch ihn zu sehen, machte mir Angst. Unvorstellbare Angst. Als er schon über die halbe Wiese gegangen war, versuchte ich zu fliehen. Ich drehte mich um und wollte losrennen. Doch hinter mir… Da war nichts. Leere. Mich packte die Panik. Der Junge kam immer näher. Was sollte ich tun?
Ich schloss die Augen. Wartete. Doch nichts geschah. Ich öffnete meine Augen wieder. Er war noch da. Wir waren noch da. Doch nicht mehr auf der Wiese. Er stand vor mir. Um uns herum war Wald. Nichts als Wald. Ich schaute ihn an. Mein Herz raste. Doch er beachtete mich nicht. Er drehte sich um. Er schien etwas anzuschauen.
Was schaute er an? Würde dieses Ding mich töten? Weshalb hab ich solche Angst vor ihm? Ich versuchte an ihm vorbei zu sehen. Da sah ich eine Linie. Er sprach: ,,Geh über die Grenze!“
Die Art, wie er es mir sagte, machte mir noch grössere Angst. Also tat ich es. Ich ging langsam auf die Grenze zu, schaute hinter sie. Da war nichts. Nur Wald. Dasselbe wie auf dieser Seite. Doch ich fühlte, dass auf der anderen Seite mehr war. Ein Geheimnis.
Ich blieb vor der Grenze stehen. Drehte mich nach den Jungen um. Er war nicht dort, wo ich ihn vermutet hätte. Er stand wieder hinter mir. Sein Gesicht ganz nah an meinem. Wieder hatte ich Todesangst. Doch vor was? „Hast du Angst?“, flüsterte er mir zu. Ja… Ja! Ich habe entsetzliche Angst! Nur vor was? Doch ich log: „Nein.“ Meine Lüge wurde schnell durchschaut. „Schliess die Augen“, flüsterte er wieder, „Es geht schnell vorbei.“ Ich schloss meine Augen.
Und wie immer wachte ich auf. Wie immer schweissgebadet und knallrot im Gesicht. Was sollte das alles bedeuten? Wer war dieser Junge? Wieso hatte ich Angst vor ihm? Was war hinter der Grenze?
In meinem Kopf drehte sich alles. Ich stand auf und ging in die Küche, um mir ein Glas Wasser zu holen. In der Wohnung, war alles still. Es schien noch Nacht zu sein. Die Sonne war noch nicht aufgegangen. In der Küche schaute ich auf die Digitaluhr die im Ofen eingebaut war. Es war halb sechs. Die Sonne würde also bald aufgehen.
Ich beschloss mein Bett fürs Erste nicht wieder in Gebrauch zu nehmen und setzte mich mit meinem Glas Wasser an den Esstisch. Wie immer war er zugemüllt. Ich war nicht gerade die Ordentlichste. Ich schaffte mir eine kleine Fläche und zog eine Zeitschrift aus dem Chaos. Gelangweilt blätterte ich darin. Die Zeitschrift war alt. Sicher hatte ich sie schon drei Mal durchgelesen.
Nach zwei Minuten, beschloss ich, mich anderweitig zu beschäftigen. Ich ging ins Wohnzimmer, sass auf die Couch und drückte auf die Fernbedienung. Der kleine Kasten vor mir wurde farbig. Ich zappte durch die Kanäle. Schliesslich blieb ich bei einer Doku hängen. Es ging um Fabelwesen. Eigentlich nichts, was mich sonderlich interessierte. Doch ich erschrak. Ich sah den Jungen. Den Jungen aus meinen Träumen.
„Dies ist ein Beispiel für einen sogenannten Werwolf. Doch so könnten sie nur tagsüber aussehen. Denn nachts werden sie zu blutrünstigen Bestien.“, klang es aus dem Fernseher. Ich war erstarrt. Fassungslos.
Nun wusste ich, wer dieser Junge war. Doch wieso träume ich jede Nacht von ihm? Und was hat es mit dieser Grenze auf sich? Ich knipste den Fernseher aus. Dafür den Computer ein. Ich gab den Begriff Werwolf in das kleine Suchkästchen ein. Es gab einige tausend Treffer. Ich öffnete eine Seite.
Ich fand nicht sehr viel. Das Meiste, dass ich fand, sagte ein und dasselbe: In der Nacht sind sie blutrünstige Wesen die Silber verabscheuen. Am Tag sind sie als Menschen getarnt. Man kann sie jedoch enttarnen und töten, indem man sie mit einem Gegenstand aus Silber ersticht.
Ich gab es auf. Ich stellte auch den Computer aus und schaute auf die Uhr. Es war acht Uhr. Ich machte mir eine Schüssel Müsli und ass sie noch in der Küche – der Esstisch war nicht gross genug, um Chaos darauf zu lagern und gleichzeitig daran zu essen – . Nach meinem Frühstück ging ich wieder in mein Zimmer und zog mich an. Ich erwischte einen Jeansrock und ein stylisches T-Shirt, das über und über mit Paietten bedeckt war. Es war Freitag. Ich ging wie gewöhnlich um neun zur Arbeit und kam um fünf nach Hause. Ich arbeitete bei einem Zeitungsverlag. Doch war ich dort nur Zeitungslieferantin. Trotzdem versuchte ich, viele Blicke auf mich zu ziehen, in der Hoffnung, man würde mich bald befördern. Doch meine Strategie ging schon seit fast einem Jahr nicht auf.
Ich war gerade 19 geworden und lebte allein. Diesen Job bekam ich, als ich gerade 18 wurde und nahm ihn auch gleich an. Zu spät merkte ich, dass es besser gewesen wäre, etwas zu studieren und dann einen bessern Job anzunehmen. Doch so war das Leben. Hinterhältig. Jedenfalls war ich nun wieder in meiner muffigen Wohnung.
Ich hatte keine Lust den ganzen Abend hier zu verbringen. Also zog ich mich um und rief meine Freundin an: „ Hey Sarah! Hast du Lust mit mir heut in ne Disco zu gehen?“ „Aber klar doch!“, antwortete die Stimme und legte auf. Wenige Minuten später klopfte es an der Tür. Es war Sarah. Zusammen gingen wir zu unserer Lieblingsdisco und nahmen erstmal einen Drink. Es war erst sechs Uhr und die Disco war fast vollkommen leer.
Auf einmal erstarrte ich. Ich liess meinen Blick an einer Ecke der Bar geheftet. Denn dort stand der Junge. Der Junge aus meinen Träumen. Und er ist – wenn man der Doku glauben kann – ein Werwolf. Ich war immer noch wie aus Eis. Sarah schien es gar nicht zu merken. Wenn sie erst angefangen hat zu plappern, kann sie keiner mehr stoppen.
Ich versuchte klar zu denken. Ich atmete tief durch. Noch immer liess ich den Jungen nicht aus den Augen. Wieso war er hier? Gleich sollte er doch zu einer Bestie werden. Ich hatte Angst. Doch meine Neugier war grösser. Ich stellte meinen Drink hin und ging ohne ein Wort auf den Jungen zu. Sarah hatte aufgehört zu reden und schaute mich nun komisch an. Doch ich lief weiter auf ihn zu. Mit jedem Schritt raste mein Herz schneller. Und dann drehte er sich plötzlich zu mir.
Er schien mich schon zu erwarten. Jedenfalls schien er nicht überrascht. Ich stand nun vor ihm. Ich strengte mich an nicht zu schwitzen. Dafür kriegte ich einen roten Kopf. „Hay“, sagte der Junge, „Ich heisse Sedric. Du kennst mich. Nicht wahr? Komm mal mit.“ Er lief in Richtung Ausgang. Völlig geschockt versuchte ich, ihm folgen. Doch ich musste mich sehr konzentrieren, nicht zu stolpern.
Dann waren wir draussen. Der Wind tat mir gut. Er kühlte ein wenig meinen völlig überhitzten Kopf. „Ich weiss. Du kennst mich von deinen Träumen. Oder?“, fragte Sedric. „Ja“, antwortete ich. Ich war völlig verdattert. „Woher…“ Ich brachte den Satz nicht zusammen. Doch Sedric schien zu wissen was ich meinte: „Ich habe dich gerufen. Ich weiss es klingt alles völlig absurd. Doch ich bin kein normaler Mensch.“ Langsam konnte ich mich fassen. „Du bist ein Werwolf. Hab ich Recht?“, fragte ich.
Jetzt schien Sedric ausnahmsweise mal überrascht zu sein. Gott sei Dank war ich nicht die Einzige. „Und woher weisst du das?“, fragte er zurück. „Hab heute Morgen per Zufall eine Doku über dich gesehen.“, antwortete ich. Er fing an zu lachen. Tatsächlich tönte das Ganze ein wenig absurd. Doch es war halt so. Da konnte ich nichts daran ändern. „ Und? Hast du keine Angst? Immerhin könntest du mein Abendessen sein“, sprach Sedric. Ich versuchte ein Pokerface aufzusetzen. „Nein, wenn ich das wirklich wäre, hättest du mich dann nicht schon betäubt oder so?“, log ich so gut ich konnte. Diesmal schien es zu funktionieren.
Er fing wieder an zu lachen. Langsam machte mir sein Lachen Angst. Brauchte er mich gar nicht zu betäuben? So wie er aussah wäre ich freiwillig geblieben. Bin ich also doch sein Abendessen? Mein Herz fing wieder an zu rasen. Wahrscheinlich würde ich bevor er mich töten konnte einen Herzinfarkt erleiden. „Du nimmst mich zu wenig ernst. Ich könnte dich hier und jetzt töten, wenn ich wollte.“, sprach er.
Wenn er wollte. Soll das heissen, ich lebe noch weil er keine Lust hat zu töten? Mein Herz raste schneller. Ich hatte Angst dass es gleich aussetzt. Ich versuchte zu sprechen, schaffte aber nur ein stottern: „Wieso hast du mich gerufen?“ Jetzt verschwand sein Lächeln. Seine Augen wurden schmal. „ Weisst du noch von der Grenze, die ich dir immer wieder zeigte?“, fragte er ernst. „Ja“, sagte ich, „Was hat sie zu bedeuten?“ Er schwieg eine Weile. Es schien, als wüsste er nicht, wie er es ausdrücken sollte. „Also am Tag sehe ich so aus. Doch in der Nacht verwandle ich mich in etwas… Schreckliches.“ Das letzte Wort sprach er mit vollem Hass aus. „Wenn ich verwandelt bin, weiss ich nicht mehr, was ich tue. Ich habe keine Kontrolle mehr über mich.“
Das wusste ich schon. Doch ich konnte nicht glauben, dass Hollywood tatsächlich die Wahrheit erzählte. „Und was hat das mit der Grenze zu tun?“, fragte ich. Er schaute zum Himmel. Die Sonne ist fast untergegangen. „Ich muss dich schnell nach Hause bringen, bevor…“, sagte er. Ich konnte mir vorstellen wie der Satz endete. Bevor ich sein Abendessen werde. Ich antwortete: „Ich wohn aber eine Viertelstunde von hier entfernt. Die Sonne ist in fünf Minuten untergegangen.“ Ich geriet in Panik. „Keine Angst“, beruhigte er mich, „Mit mir bist du in zwei Minuten dort. Ich werde heute wieder im Traum zu dir kommen.“
Er drehte sich um und duckte sich. Anscheinend soll ich auf seinen Rücken klettern. Ich klammerte mich an ihm fest. Und kaum war ich oben, schon peitschte mir der Wind ins Gesicht. Noch nie habe ich eine solche Geschwindigkeit gesehen, nicht einmal mit dem Auto. Es stimmte. Innerhalb zwei Minuten war ich vor meiner Wohnungstür.
Sedric setzte mich ab. Ich drehte mich um, um mich von ihm zu verabschieden, doch er war schon weg. Enttäuscht schloss ich die Tür auf. Ich drückte auf einige Lichttasten und erhellte somit meine Wohnung.
Wie üblich sah ich ein Chaos. Doch es interessierte mich im Moment nicht gross. Ich wollte schlafen. Ihn wiedersehen. Doch ich war nicht müde. Ich ging in mein Zimmer, zog meinen Pyjama an und legte mich in mein Bett. Ich schloss die Augen und versuchte trotz des Adrenalinschubes zu schlafen. Und tatsächlich. Es funktionierte. In fünf Minuten schlief ich ein.
Ich stand wieder auf dieser Wiese. Doch ich war allein. Ich wartete, setzte mich auf den Boden. Dann sah ich ihn kommen. Er was so wunderschön. Ich betrachtete ihn einige Minuten. Seine vollen Lippen waren zu einem Lächeln geformt. Er hatte wunderschöne braune Augen. Sein Haar war schwarz und schimmerte ein wenig im Licht der Sonne. Ich hätte ihn tagelang einfach nur anschauen können, ohne dass auch nur ein kleiner Teil seines Körpers nicht göttlich gewirkt hätte. Ja. Er sah aus wie ein Gott.
Seine Schritte glichen denen, eines stolzierenden Löwen. Ich schauderte. Nicht vor Angst, sondern vor Ehrfurcht. Wenn ich ihn sah, konnte ich nicht mehr klar denken. Ich zwang mich zu blinzeln. Er stand schon vor mir und reichte mir seine Hand um mir aufzuhelfen. Nun stand auch ich. Wir sahen uns an. Seine Haut wirkte so zart. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass ein solch atemberaubendes Wesen sich in eine Bestie verwandeln könnte.
Dann verschwand sein Lächeln. Sein Gesicht wurde hart und konzentriert. Wir waren wieder im Wald und vor uns war die Grenze. „Also was hat die Grenze für eine Bedeutung?“, fragte ich, um die Stille aufzuheben. Er schaute mich einen Moment lang an, dann seufzte er. „Die Grenze“, sagte er, „hat für mich eine grosse Bedeutung. Auf der anderen Seite werde ich zu dieser Bestie.“
„Aber du wolltest doch immer, dass ich die Grenze überquere“, sagte ich, „Willst du mich etwa verwandeln?“ Sein Gesicht blieb hart. Doch es schien ein Hauch von Überraschtheit darin zu liegen. Er antworte: „Nein. Nur ich werde verwandelt, wenn ich die Grenze überschreite. Doch nur du kannst mir helfen, ein normaler Mensch zu werden. Deshalb bitte ich dich. Hilf mir! Ich werde dir zeigen wie ich als Monster aussehe. Komm mit.“
Er ging auf die Grenze zu. Ich war beinahe erstarrt. Ich versuchte ihm zu folgen. Wieder sah es sehr unbeholfen aus. Während ich vorsichtig einen Fuss vor den anderen setzte, ging er schon über die Grenze. Ich erschrak als ich merkte, dass man die andere Seite der Grenze gar nicht sehen konnte. Sedric verschwand. Nun war auch ich vor der Grenze angelangt. Ich schloss meine Augen und ging ebenfalls hinüber.
Ich öffnete meine Augen. Doch ich sah fest nichts. Es war Nacht auf dieser Seite. Ich hielt Ausschau nach Sedric oder dem Wesen, das Sedric als Bestie bezeichnet. Ich fand nichts. Ich war allein. Auf einmal raschelte etwas im Gebüsch. Mein Herz raste wieder. Gespannt schaute ich in das Gebüsch.
Und dann wachte ich auf. Mein Zimmer war noch dunkel. Ich war wieder schweissgebadet. Doch diesmal weckte mich etwas. Ein Geräusch. Ich setzte mich auf und schaltete meine Nachttischlampe an.
Da sah ich es. Ich schrie. Es war grauenhaft. Es lief auf zwei Beinen und war über und über mit Pelz bedeckt. Sein Kopf war riesig und es besass riesige Klauen. Sein Maul bestand aus einer Reihe rasiermesserscharfen Klingen und seine Augen waren blutrot. Es knurrte. Ich schrie wieder. Ich hoffte es gehörte immer noch zu meinem Traum. Ich betete darum.
Doch es war blanke Realität. Ich hatte heute die Grenze in die Welt des Mystischen überschritten. Und jetzt sollte ich dafür bezahlen. Die Bestie setzte zum Sprung an. Ich schloss weinend meine Augen.

 

Impressum

Texte: BlackStar
Bildmaterialien: BlackStar
Lektorat: BlackStar
Übersetzung: BlackStar
Tag der Veröffentlichung: 29.09.2013

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