Das besondere Blau - mein Leben mit Mexiko
Do Solis Rangel
... hat viele Facetten, Familiäres, Reise- und kulturelle Erfahrungen vielschichtige Erinnerungen, Gesichter ...
Es gibt einen roten Faden, der sich durch mein Leben zieht, von Münster/Düsseldorf nach Mexiko und zurück, ein Weg mit schönen und schmerzhaften Erlebnissen.
Ich möchte versuchen, verschlungene Fäden zu entwirren, um besser zu verstehen. Ich habe in Mexiko nach mir selbst und nach Antworten gesucht.
EINLEITUNG
Es war, als hätte der Oktober all sein Grüngold, Braungelb und Ocker für die letzten Tage vor November aufbewahrt und streute es großzügig über das Land. Die Luft war lau und würzig. Ein leichter Windhauch streichelte mit Kupferfingern mein Haar, ließ Blätter wie Schmetterlinge durch die Luft tanzen und raschelnd meinen Schritt begleiten. Meine Augen tranken Farben, meine Haut atmete letzte Sonnenstrahlen.
Etwas wie Abschied lag in der Luft, Sehnsucht nach Heimstatt, Nestwärme. Ich schlenderte durch den Park, meine Sinne weit geöffnet. Fast schmerzhaft empfand ich die wehmütige Atmosphäre, nahm die Umwelt wie durch einen Schleier wahr, plaudernde Menschen, lachende Kinder, spielende Hunde. Vom Hofgarten aus erreichte ich die Altstadt. Mein Blick fiel auf ein Restaurant-Schild: Casita Mexicana. Jetzt wusste ich, was mich hierhin gezogen hatte, die unbewusste Erinnerung an Mexiko, wo ich in dieser Zeit die Tage der Toten erlebt hatte. Ich nahm Platz, lauschte den mexikanischen Liedern, dem von mir geliebten Tonfall mexikanischer Sprache. Dazu schlürfte ich eine Margarita. Zucker vom Glasrand blieb an meinen Lippen haften.
Ich schmeckte Mexiko, trank Mexiko.
VORWORT
Ich unterteile mein Leben in zwei große Abschnitte:
Vor Mexiko und danach bis heute. Wie schaffe ich es, ein Lebenspaket so erheblichen Umfangs aufzuschnüren und in bekömmlichen Portionen zu präsentieren? Ich muss dabei immer zwischen Mexiko und Deutschland hin und her pendeln, nicht auf Jahressprünge achten, sondern versuchen, die Linie im Verknüpfungen sichtbar zu machen, vor allem auch den Lebenslauf des Kindes, das aus dieser Synthese entstanden ist.
Die Route unseres Lebens zurückgehen,
das Skript der Story wie einen Film abrollen,
ein Drehbuch, das viele Seiten hat.
Herausgefallen aus dem morschen Nest meiner Nachkriegskindheit in Münster, abgeschlossen die unge- trübte Zeit der Jugend am Niederrhein, war Düsseldorf mein nächstes Ziel. In die Buchstaben dieses Namens legte ich all meine Erwartung. In einer größeren Stadt wollte ich schon immer leben. Grün erschien mir Düsseldorf, als ich im Hofgarten meine Entscheidung traf. Dass Düsseldorf ein Pool von Hektik und Lärm war, erlebte ich später. Anonymität wurde die erste Erfahrung, Einsamkeit die zweite. Ich fühlte mich wie ein frisch geschlüpfter Vogel, kannte hier niemanden.
Bei einer Werbeagentur am Rande der Altstadt fand ich Arbeit, das Pflaster dort kennt meine ersten Gehversuche im neuen Leben. Viele Apartment-Adressen markierten fortan meine Route. Bald machte mich ein Bekannter vom Niederrhein ausfindig, der etwas zum Festhalten suchte, so wie ich. Er hielt mich fest, wir heirateten, nicht kirchlich ganz in Weiß, sondern ich trug ein Minikleid und Federn im Haar. Es war Anfang der 70er-Jahre. Nun war ich eine Ehefrau wie einige meiner Freundinnen. Seine Wohnung wurde unser Domizil. Bald flogen die Fetzen - seinem explosiven Temperament war ich nicht gewachsen. Er war zwar nicht exotisch, aber neurotisch. Ich trug wie immer die Folgen, ging und bezahlte die Zeche. Er soll nach der Scheidung noch dreimal geheiratet haben, erfuhr ich später. Ich mietete ein 25 qm-Apartment, richtete es konsequent im Brigitte-Stil ein, ganz in Orange.
Mein Eldorado war längst die Atmosphäre in einer großen Werbeagentur geworden. Lifestyle, Show und Kreativität. Was hinter den Spiegeln lag, blieb mir noch verborgen. Kreativität, auch wenn es hier darum ging, zum Kauf von Produkten anzuregen, war der Einstieg zu der in mir schlummernden Autorin.
Du passt hier nicht hin, sagten einige Kollegen, und ein Texter formulierte: Sie ist ein Biedermeier-Sofa mit Mahagoni-Beinen, als er mich im grünen Samtkleid mit braunen Strümpfen sah. So etwas gefiel mir. Es waren die wilden 68er-Jahre. Wir arbeiteten im Sound der Beatle-Songs, fütterten die Agentur-Meerschweinchen, drückten Kippen im Schoß von Skulpturen aus. Ich gehörte nicht zum Inner-Circle, wo beim Brainstorming die Köpfe rauchten, wo Anzeigen-Texte und Werbekampagnen geschmiedet wurden. Ich tippte sie auf der IBM-Kugelkopf-Schreibmaschine ab, nippte den Cocktail der hippen Atmosphäre und inhalierte den Duft der Stuyvesant-Welt. Mit den Nonnen der bekannten Charles-Wilp-Werbung schwebte ich im Africola-Rausch, begann zu rauchen. Die Agentur swingte und groovte und wurde mein glitzerndes Erfahrungsfeld.
Damals wohnte ich mitten in der Altstadt, später auf der Münsterstraße, wo ich eine Zeit lang einen tunesischen Freund beherbergte, den ich von einer Urlaubsreise her kannte. Flokati-Flausch, Janis Choplins Song „Try just a little bit harder“, Ravels Bolero, diese drängenden, sich steigernden Klang-Kaskaden, in einen arabischen Burnus gehüllt Sonnenuntergänge am Rheinufer. Dieses Märchen aus tausendundeiner Nacht fand zwangsläufig auch wieder ein Ende. Wohin gehöre ich?
Anruf um Mitternacht – Klang der Vergangenheit –
Sprache leiser Laute, sandfarben und weich,
Duft von Jasmin quer über Horizonte.
Eine Sandrose zur Erinnerung, arabische Musik und
Seelen-Blessuren.
Die nächste Adresse war eher eine Schlafstelle für mich, denn ich war viel unterwegs, machte Individual-Urlaub in Griechenland, Inselhopping. Da lernte ich junge Backpacker aus der ganzen Welt kennen. Sie hatten ihren Kerouak im Rucksack oder lasen Miller. Ich liebte Leonhard Cohen.
Susanne takes you down to her place near
the river and you can hear the boats go by and
you can spend the night forever ...
Auch Joan Baez, Mercedes Soza oder Santana waren von mir bevorzugte Interpreten.
Mexikanische Mariachi-Musik hörte ich zum ersten Mal bei einem Werbekollegen, fremdartig fand ich sie.
Und ich saugte alles auf wie ein Schwamm, vor allem die Hippie-Ideologie. Es war der Anfang meiner Befreiung. So reiste ich durch sechs amerikanische Staaten. Es war in Santa Fé, wo mein Interesse für Mexiko erwachte. Indianische Ponchos, Tex-Mex-Nachos, nicht das authentische Mexiko. Ich aber war auf den Geschmack gekommen.
Der Name Mexiko hatte sich in meinem Kopf festgesetzt.
AUF NACH MEXIKO
Im Nachhinein scheint mir, als wurde ich magnetisch zu
meinem Thema hingezogen. Zunehmende Unzufriedenheit mit meinem Leben schrie nach Veränderung. Ich dachte gar nicht weiter nach, vertraute blind. Es war einfach an der Zeit, ganz allein unterwegs zu sein. Was anderes sehen, fremde Kulturen schnuppern. Doch hätte ich mich, bevor ich nach Mexiko reiste, unter anderem mit dem dort herrschenden Machismo, von dem man las, beschäftigt, wäre mir mein späterer Irrtum vielleicht erspart geblieben. Hätte, hätte!
Und so war ich eines Tages in Mexico City gelandet. Ich hatte keinerlei Plan, einfach drauf los, der inneren Landkarte folgen. Erstaunlicherweise fand ich ohne viel Orientierungstalent zu den touristischen High-Lights, dem berühmten anthropologischen Museum, den Pyramiden von Teotiuacán, den Atlanten von Tula. Ich war in Acapulco und kam irgendwann in einem Reisebus, der durch Landstraßen schlingerte, die durch sintflutartigen Regen überschwemmt waren, nach Puerto Angel, einem Fischerdorf. Dort mietete ich eine Hängematte zum Schlafen und traf auf PEPE.
URLAUBSBEKANNTSCHAFT
Pepe, ein drahtiger junger Mexikaner, bunte Ketten auf brauner Haut, lebte am Strand, an dem sich kleine braune Schweinchen tummelten. Mit Nahrung wurde er vom schwulen Koch des einzigen Restaurants am Ort versorgt. Frühmorgens fuhr er mit Einheimischen zum Fischen aufs Meer hinaus, Berge von Tortillas an Bord.
Delfine sprangen in den glitzernden Wellen, der Himmel strahlte tiefblau. Idyll! Hier taten sich Bilder auf, hier waren Gerüche, Töne aus einer ganz anderen Welt. Es reizte mich, in solch exotisches Ambiente einzutauchen. Pepe und ich verliebten uns. Vielleicht sah Pepe in mir nur eine Chance, aber er wollte mit mir reisen. Herrlich einen sich sprachlich und im Land auskennenden Begleiter an der Seite zu haben. Aus Fotos, die er mir zeigte, hatte ich den Eindruck, dass er aus einer guten Familie stammte. Dass er sich unterwegs recht rücksichtslos verhielt, übersah ich großzügig. Er lebte auf meine Kosten. Dass er mein Geld wohl auch für Drogen ausgab, bekam ich gar nicht mit. Wir hatten keinerlei wirkliche Verständigungsmöglichkeiten, denn ich sprach kein Spanisch und er kein Englisch. „Huelga, Mexico City“ war das, was er mir zu erklären versuchte. Ich schaute im Wörterbuch nach, „huelga“ heißt Streik. Erstaunlich, dass ich damals fähig war, mich unter diesen Umständen auf ihn einzulassen. Ich war blauäugig, so nannte man mich oft und ließ mich von einer aufschäumenden Welle in mir tragen, wie berauscht.
Wir reisten zusammen weiter bis nach Guatemala, zurück über die Grenze nach Mexiko wollte er aus unerklärlichen Gründen nicht. An das Ende dieses verlockend neuen Lebens erinnerte mich mein Flugticket. Die Rückreise stand bevor, und damit die Trennung von Pepe. Wir verabredeten, dass er mir nach Deutschland folgen würde, ich überwies ihm Geld für den Flug. Wie naiv musste ich sein! Argwohn und Vorsicht waren Fremdworte für mich, ich war lebensunerfahren. In meinem Rucksack befand sich keinerlei Misstrauen, um zu erkennen, dass er seine Chance nutzte, die ich mit Liebe verwechselte. Wochen später - ich hatte ihm ein Flugticket geschickt - kam Pepe nach und stand vor meiner Tür – ein Moment nüchterner Wahrnehmung – der Paradiesvogel wurde zur Realität, eine Ferien-Atmosphäre wurde Alltag.
Zwei Welten prallten aufeinander, ich stand auf einmal zwischen zwei Stühlen. Pepe hatte sein Modell von Männlichkeit im Kopf, ich eine Illusion von Verschmelzung der Kulturen.
Die Kollegen der Werbeagentur standen Spalier, mein naives Herantasten im Roulette-Spiel zu kommentieren. Ich versuchte zu beweisen, dass Integration möglich ist, ich bemühte mich, die fremde Mentalität zu verteidigen.
Bald forcierte Pepe, dass ich das für ihn sündige Werbe-Milieu verließ. Zufälligerweise suchte eine deutsch-mexikanische Vereinigung eine Sekretärin. Wie passend. Für mich war es wiederum eine neue Welt.
Beim Mexiko-Ball im Interconti saß ich an der Kasse. Pepe hatte darauf bestanden, in einem weißen Smoking zu brillieren. Typ „Latin Lover“ würden manche hier sagen.
Mariachis sangen „México lindo y querido“ Pepe, Tränen in den Augen, sang mit.
Hinterher bekam ich Ärger, weil er im Hotelzimmer die Minibar geleert hatte.
Das Trinken war mir auch schon aufgefallen, wenn er mich von der Arbeit abholte, stand er schwankend vor der Tür.
DAS WAGNIS EINER EHE
Es wurde Zeit, dass er Arbeit fand, was mit dem Touristenvisum nicht erlaubt war. Also heirateten wir. Das hatten wir vorher nicht geplant. Auch eine Freundin ehelichte einen farbigen Brasilianer. Wir schwelgten in einer Multi-Kulti-Blase, unbeirrbar mein Glauben an eine bunte Welt, zäher Widerstand gegen Kritik. Es ist alles möglich, wir schaffen das.
Die kulturellen Unterschiede waren bald nicht zu übersehen. Seine Eifersucht - vor den Umkleidekabinen der Kaufhäuser stand er Wache. Sauna verbot er mir. Sein Machismo - er bestimmte, was ich zu tun oder zu lassen hatte, unterband sogar die Telefonate mit Freundinnen. Scharfkantig wie mexikanisches Obsidian-Gestein, so erlebte ich nun den realen Alltag.
BESUCH AUS MEXIKO
Bald kam Unterstützung. Seine Eltern besuchten uns. Da schwappte eine warme Woge in mein winziges Apartment, das bald einen exotischen Touch bekam, Koffer voller Dinge, ihren verlorenen Sohn in der Fremde mit Heimat zu versorgen, Spezialitäten, damit er einheimische Küche auch in Deutschland nicht entbehren müsste. Dass ich mich nicht für die Bemutterungsrolle eignete, konnten sie nicht wissen. Mein Hunger wurde durch die Aufmerksamkeit gestillt, die sie hier erregten, die rassige Mexikanerin mit ihren indianisch-langen Haaren, das virile Mannsbild des Vaters. Wie „Mc Cartwirght aus Bonanza“, sagten die Freunde. Die Eltern schlossen mich gleich in ihr Herz, erleichtert, dass er bei mir Unterschlupf gefunden hatte. Wieso? Doch das interessierte mich eigentlich gar nicht, zu vital spürte ich die prickelnde Gegenwart und die Warmherzigkeit der Eltern, ein Bad an Zuwendung. Pepe wurde in ihrer Gegenwart zu einem zuvorkommenden Sohn. Das konnte ich später bei all seinen Geschwistern beobachten. Autorität der Eltern war oberstes Familien-Gebot. Ich durfte mich mit ihnen schmücken, ihre Zuneigung genießen. Von ihnen fühlte ich mich angenommen. Wir machten zusammen Urlaub in der Schweiz und reisten herum. Ich konnte noch nicht viel Spanisch, aber lernte es im Kontakt mit ihnen.
Pepes Freunde kamen später einer nach dem anderen in den Genuss, Gäste seiner Eltern zu sein. Das machte ihn stolz. Meine Freundin kam aus der USA angereist, um die mexikanische Familie zu besuchen. Der Señor gefiel sich in der Rolle, rühmte sein Gastgeber-Format.
Was hatte ich da in Gang gesetzt mit meinem unbedachten Abenteuer, eine Lawine losgetreten, aus der ein weitreichendes Beziehungsnetz entstand.
EHEDRAMA
Allein mit Pepe zu leben war ein Desaster. In rasendem Tempo stolperten wir in ein Ehedrama.
Als der Reiz des Neuen vorbei war, hatten wir uns nichts mehr zu sagen. Da hast du dir nun einen Exoten geangelt und er in dir eine Dumme gefunden, las ich unausgesprochen in den Mienen meiner Kollegen.
Die deutsche Sprache lernte Pepe nach und nach im Alltag. Dadurch konnte er nun Arbeit finden, große Hotels beschäftigten viele junge Ausländer. Nach kurzer Zeit begann er, nicht regelmäßig nach Hause zu kommen. Als ich Liebesbriefe in seiner Tasche fand, erkannte ich, dass er mich betrog. Dann wurde ich schwanger, für einen Mexikaner selbstverständlich, Nachkommen zu zeugen. Doch mit der Sorge, ein gesundes Kind auf die Welt zu bringen, hatte er nichts zu tun, Frauensache. Er kümmerte sich um nichts, war nur an Geld interessiert.
GEBURT EINES SOHNES
Unter diesen unmöglichen Umständen wurde unser Sohn geboren, durch Röteln-Infektion in der Schwangerschaft nur 1000 Gramm wiegend und in der Frühgeburten-Station einer Klinik gelandet. Zu all jenem weigerte sich mein Körper nach der Geburt, weiter zu funktionieren. Ich fühlte mich schwach, die Muskeln schmerzten und meine Arme schwollen von Tag zu Tag mehr an. Mein Mann hatte keinerlei Blick für meine Probleme. Freunde beobachteten beunruhigt meinen Zustand, brachten sie mich kurzerhand in die Ambulanz eines Krankenhauses.
KRANKHEIT
Unmittelbar darauf wurde ich stationär in der Neurologie aufgenommen. Diagnose: Dermato Myositis, eine autoaggressive Muskelerkrankung. Auf der schmalen Matratze des Krankenbettes liegend, starrte ich gegen die weißen Wände. Draußen war Sommer. Aber in der Krankenhausatmosphäre fror ich in meinem Nachthemd. Ein scharfer Geruch von Desinfektionsmitteln erfüllte den Raum. Frauen in den Betten rechts und links von mir unterhielten sich. All das interessierte mich wenig. Ich hatte genug mit mir zu tun, mit der Krankheit und dem Grübeln über meine Probleme. Was hatte mich nur hin und her geschleudert? Was war mein Weg und ureigenes Ziel? Ich erkannte, die Ehe mit Pepe war für mich auf keinen Fall eine Zuflucht und keine wirkliche Beziehung. Und nun lag ich bereits seit Wochen krank in der Klinik. Wie sollte es weitergehen? Cortison half, die Krankheit zu heilen. Langsam kehrten die Kräfte zurück. Bald würde ich entlassen werden. Was dann? Immer deutlicher wurde mir klar, dass ich so nicht weitermachen durfte. Wir passten nicht zueinander und hätten nie heiraten dürfen. Bisher hatten wir ja noch kein einziges Mal ein richtiges Gespräch miteinander geführt. Mit Empörung dachte ich an Pepes Verhalten. Sinnlos, einen nochmaligen Versuch zu wagen, jetzt wo wir ein Kind hatten. In meinem Kopf drehten sich die Gedanken. Würde ich es allein schaffen?
Ich sehe mich in grüner Schutzkleidung
vor einem gläsernen Kasten stehen,
angeschlossen an Kanülen und Schläuchen
schläfst du deinen betäubten Schlaf,
Tag und Nacht von elektrischem Licht beleuchtet.
Wer war für dich diese schemenhafte Gestalt
hinter der Scheibe, die mit gummibehandschuhten
Händen dich zu streicheln versuchte,
konntest du mich spüren, deine Mutter?
Hast du mich als Embryo vielleicht hören
können, kennst meine Stimme?
Oder den Rhythmus meines Herzschlags?
Ich will mein Leben selbst in die Hand nehmen, beschloss ich, mich künftig nur um mich und das Kind kümmern. Hatte ich nicht immer nach einer Aufgabe gesucht? Ich werde allen zeigen, wer ich wirklich bin. Führte mich dieses Schicksal möglicherweise zu meiner Bestimmung?
War nicht Frau, nicht Schoß, gewünschtes Leben
lange genug in mir festzuhalten, nicht Brust es zu
nähren, nicht Mutter, es allein aufzuziehen.
So wurde ich Mutter, die ich werden sollte –
eine besondere Mutter.
SCHEIDUNG
Nach überstandener Krankheit wurde ich aus der Klinik entlassen. Blass aber entschlossen trat ich mit meinem Koffer in die sommerliche Luft hinaus. Der Himmel war blau, die Vögel sangen. Ich hatte das Gefühl, von einer langen Reise zurückgekehrt zu sein. Jetzt konnte ich meinen Sohn nach Hause holen. Von Pepe würde ich mich trennen, in die Rolle sein Kind aufzuziehen hineinwachsen, durch die
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Tag der Veröffentlichung: 28.02.2021
ISBN: 978-3-7487-7601-7
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Für meinen Sohn Kolja