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Begegnung

"Okay können wir los?" Ich betrachtete mich noch einmal kritisch im Spiegel. Jeansshorts, ein schwarzes Top und ebenfalls schwarze Ledersneaker. Meine blonden, am Ansatz hellbraunen Haare fielen in lockeren Wellen bis zu meiner Hüfte. Ich kniff eines meiner eisblauen Augen zu und trug den dunklen Lippenstift auf, den Maya mir in die Hand drückte. "Komm!", sagte sie, packte entschlossen mein Handgelenk und zog mich in den Flur. Wir schlichen auf Zehenspitzen durch das hochmoderne Wohnzimmer. Schließlich standen wir auf der Dachterasse und blickten auf die nächtliche Skyline der Stadt. "Und wie wollen wir jetzt hier rauskommen?", fragte sie. "Wo sind eigentlich deine Eltern?", fragte Maya mich leise. "Hmmm, mein Dad ist wie immer in seinem Arbeitszimmer und Mum schläft schon", flüsterte ich. "Alles klar." Maya grinste und schob mich wieder in das Wohnzimmer zurück. Wir tasteten uns bis zur Tür und schoben sie dann vorsichtig auf. "Liv? Liv bist du das?", erklang die fragende Stimme meines Vaters. Dann waren Schritte zu hören und die Türklinke wurde heruntergeschoben. Maya sah mich panisch an. "Schnell!", flüsterte ich und zog uns beide hinter die überteuerte, weiße Ledercoach. "Liv, bist du hier?" Dad stand im Türrahmen, schaltete das Licht an und blickte sich suchend im Zimmer um. Er ging langsam auf das Sofa zu. Wir hielten den Atem an, als das Telefon uns rettete. Offensichtlich hatte Gott Mayas und meine stummen Gebete erhört, denn mein Dad lief, ohne uns zu entdecken, zum Telefon, dessen rote Lichter hektisch blinkten. Ich schnappte erleichtert nach Luft. Maya packte mich am Arm und wir krochen, ohne auch nur ein einziges Geräusch zu verursachen, zur Tür. Im Hintergrund hörten wir meinen Dad telefonieren. Irgendetwas schien ihn nervös zu machen, denn er lief seufzend in Raum umher. "Komisch!", dachte ich, machte mir aber keine weiteren Gedanken. Wieder schlichen wir uns zur Wohnungstür und Maya drückte vorsichtig die Klinke nach unten. Schnell gingen wir nach draußen und ich schloss die Tür. Ein leises Klicken war zu hören, dann war es still. Ich schaltete mein Handy an, um uns beiden Licht zu machen. Wir liefen zum Aufzug und standen anschließend endlich auf der Straße. Maya atmete tief durch. "Das war knapp", meinte sie. Ich nickte nur bestätigend. "Warum lassen deine Eltern dich nach halb elf nicht mehr auf die Straße? Ich meine, du bist Sechzehn", meinte Maya verständnislos. "Ich habe keine Ahnung", antwortete ich. Es war kalt und dunkel draußen.

 

Schnell liefen wir, über unsere gelungene Flucht lachend, durch die Straßen unserer Kleinstadt zum Club. Schon von weitem sah man die Neonreklame und konnte die laute Musik und den Bass hören. Der Türsteher musterte uns genau, legte sogar skeptisch den Kopf schief. Ich drückte Mayas Hand und war mir plötzlich nicht mehr so sicher, ob wir hineindurften. "Die gehören zu mir", sagte eine raue Stimme plötzlich unmittelbar neben mir. Eine große Hand legte sich auf meinen Rücken. Mein Herz setzte einen Schlag aus. Dann schlug es mit doppelter Geschwindigkeit weiter. Der Türsteher nickte und ließ uns durch. Ich drehte mich um und sah diesen Typen, der immer noch seine Hand zwischen meinen Schulterblättern liegen hatte an. Er war ungefähr zwei Köpfe größer als ich, hatte dunkle verwuschelte Haare und dunkelbraune Augen. Seine Mundwinkel zierte ein unverschämt wirkendes, schiefes Grinsen. Er zwinkerte mir zu und verschwand in der Menge. Fassungslos starrte ich ihm hinterher, während das blitzende Licht im Nachtclub mein Gesicht erleuchtete. Maya sah mich mit weit aufgerissenen Augen an. "W-w-was?", stotterte ich noch leicht benommen. "Weißt du, wer das gerade war? Oh Gott, oh mein Gott. Ich glaub' das ja nicht!", schrie sie über die Musik hinweg in mein Ohr. "Wer ist das denn und was meinst du damit?", fragte ich ungeduldig. "Warte kurz. Ich brauch 'nen Drink!", rief Maya. Sie drängte sich durch die eng tanzenden Leute zur Bar durch und kam mit zwei Gläsern wieder. Eines davon drückte sie mir in die Hand. Zögernd setzte ich das Glas an meine Lippen. Ich spürte einen Blick im Nacken und drehte mich um. Diesmal lehnte dieser Typ an der Bar. Er hatte sich lässig mit den Unterarmen an einem Barhocker abgestützt und sah zu mir herüber. Seine dunkelbraunen Augen, die mich an flüssige Schokolade erinnerten, blitzten. "Trink!", forderte Maya mich auf. Ich legte den Kopf in den Nacken und tat, was sie sagte. Ich musste husten und Maya klopfte mir auf den Rücken. Meine Kehle brannte. Ich drehte mich wieder zur Bar, doch der mysteriöse Junge stand nicht mehr dort. "Also wer ist dieser Typ?", wollte ich wissen. "Das war Dean McAdams. Er ist total beliebt und Kapitän des Footballteams", antwortete sie mit bedeutungsschwerer Stimme. "Genauer gesagt, war er der Kapitän", fügte sie, nachdem sie kurz nachgedacht hatte, hinzu. "Und warum ist er das nicht mehr?", hakte ich nach. "Das ist eine ziemlich gute Frage. Das weiß keiner so genau. Allgemein weiß niemand viel über Dean. Aber es gibt viele Gerüchte. Darüber, dass er die ganzen letzten zwei Monate nicht da war und warum er jetzt nicht mehr Kapitän ist. Dabei ist er der beste Spieler von unserem Team." "Das ist echt merkwürdig. Aber wir sind ja nicht hier, um über irgendeinen Typen zu reden", meinte ich, denn plötzlich hatte ich kein Interesse mehr. "Stimmt! Komm, lass uns tanzen." Mein Herz pochte zusammen mit dem Beat und ich ließ meine Hüften kreisen, warf meine Arme in die Luft und schloss die Augen. Meine Haare flogen durch die Luft, als ich mich im Takt der lauten Musik bewegte. Irgendwann legte sich eine Hand auf meine Hüfte. Ich schob sie weg und tanzte weiter. 

 

Als ich gefühlte Stunden später wieder die Augen aufschlug, war Maya bereits verschwunden. Ich ging zur Bar und ließ mich erschöpft auf einen Barhocker fallen. Ich nahm mein Handy aus der Tasche und schaltete es an. Sofort wurde eine Nachricht von Maya auf dem Display angezeigt. Sie schrieb, dass sie schon weg musste und wir uns morgen in der Schule sehen würden. Seufzend ließ ich mein Handy wieder zurück in meine Hosentasche gleiten und verließ anschließend den Club. Draußen atmete ich die frische Luft ein und lehnte mich kurz gegen die Wand. Ich hörte Schritte und sah den Jungen von vorhin. Er starrte mich an. Sein Blick war mir unangenehm und so stieß ich mich von der Wand ab und lief eilig davon, um ihm zu entkommen. Etwas an ihm, für das ich keine Definition fand, hatte mir Angst gemacht. Es war so, als wüsste er, was ich fühlte, und konnte hören, was ich dachte.

 

 Nachdem ich mich in die Wohnung geschlichen hatte, lief ich ins Badezimmer, das komplett aus schwarzem Mamor bestand. Ich drehte die Dusche auf und stellte mich wenig später unter das warme Wasser. Völlig entspannt schloss ich die Augen, doch plötzlich spürte ich einen stechenden Schmerz an meinem Handgelenk. Alles begann sich zu drehen und mir wurde schwarz vor Augen. Es wurde kalt und eine Gänsehaut breitete sich auf meinem Körper aus. Das Wasser wurde immer kälter und klebte ekelhaft auf meiner Haut. Keuchend taumelte ich aus der Dusche. Der Schmerz ging durch meinen ganzen Körper und mir kamen Deans blitzende Augen in den Sinn. Ich versuchte, mich an der kühlen Glaswand der Dusche festzuklammern, doch es funktionierte nicht. Mich vor Schmerzen krümmend, fiel ich

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 28.08.2015
ISBN: 978-3-7396-1119-8

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