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1. Neue Stadt, neue Feinde

"Mia! MIAAAA!" Durch das wilde Herumgefuchtele vor meinem Gesicht wurde ich aus meinen Gedanken gerissen. "Ähm ja, was?" Augenrollend warf Stacy mir mein Schwert zu. "Du sollst in Position gehen, hab ich gesagt!" Ich tat, was sie sagte und stellte mich in Angriffsposition. Auf der Stelle steuerte sie auf mich zu und holte mit ihrem eigenen Schwert nach mir aus. Natürlich durchschaute ich sofort, was sie vorhatte und bückte mich gerade rechtzeitig, um der rasiermesserscharfen Klinge auszuweichen. Sie wartete auf meinen Gegenangriff, das konnte ich in ihren hoch konzentrierten Augen nur zu deutlich erkennen. Statt aber wie üblicherweise auf ihre rechte Schulter zu zielen, holte ich weiter unten aus und erzielte einen kleinen Schnitt an ihrem Oberschenkel. Ein triumphierendes Grinsen schlich sich auf meine Lippen, während ich die blutige Klinge an meinem Bein sauber wischte. Diesen kurzen Moment der Unaufmerksamkeit nutzte sie jedoch und brachte mich zu Fall. Ich streckte meine Hand nach dem Griff meines Schwertes aus, das mir beim Fall aus der Hand gerutscht war, doch bevor ich es ergreifen konnte, spürte ich das kalte Metall an meiner Kehle. "Du bist tot, Schwesterherz", lächelte sie zufrieden über ihren Sieg. Schnaubend nahm ich ihre Hand entgegen. "Du weißt, was das heißt!", jubelte sie voller Begeisterung. "Ja ja, du darfst dir unser nächstes Reiseziel aussuchen", murmelte ich beleidigt. Es war mittlerweile zu einer Art Ritual geworden. Wer den Zweikampf gewann, entschied wo wir die nächsten Wochen wohnen würden. Ich seufzte resigniert. Mir war egal, wo es hinging, ich verlor nur nicht gerne.

 

***

"Ich muss kurz tanken. Geh du solange Snacks besorgen." Mhhhh. Essen! Meine Lieblingsbeschäftigung (neben dem Jagen natürlich). Wieder gut gelaunt, sprang ich aus dem Wagen und steuerte direkt auf das Snackregal zu. Ohne genau zu gucken, was ich denn alles nahm, griff ich ins Regal. 5 Tüten Chips, 2 Tafeln Schokolade und eine Familienpackung Gummibärchen später stand ich an der Kassa und legte dort alles ab. Ungläubig wurde ich von dem etwas älteren Mitarbeiter angesehn, der jedoch schulterzuckend anfing, alles abzurechnen. "Ich bin gleich wieder da", meinte ich schnell, als mir einfiel, dass ich etwas vergessen hatte. Ich eilte zum kleinen Kühlregal und packte zwei Flaschen Cola, Eiskaffe und ein paar Dosen Energiedrinks, mit denen ich mich zufrieden zurück an die Kassa begab.

 

***

"Ich wusste, ich hätte dich nicht das Essen besorgen lassen sollen", meinte sie augenrollend, als ich vollgepackt ins Auto stieg. Ich schenkte ihr nur mein schönstes Lächeln und öffnete eine der Chipstüten. "Ich meine, wo bleibt das richtige Essen?! Wenigstens Brötchen hättest du kaufen können!" Wenn sie sich nicht auf die Straße konzentrieren hätte müssen, wäre ich Opfer ihres 'Gesunde Ernährung ist wichtig'-Blickes geworden. "Oh, wir könnten ja schnell zum McDrive!", rief ich voller Vorfreude. Diese verflog jedoch als ich Stacy's angewiedertes Gesicht sah. Traurig blickte ich aus dem Fenster.

 

Ich hab mich schon so auf mein Eis gefreut.

 

***

 

"Wir sind daaaa!!" Grinsend hielt meine Schwester vor einem kleinen Häuschen. Ich fragte mich, wie sie das so schnell aufgetrieben hatte, äußerte meine Gedanken allerdings nicht laut, weil ich von der stundenlangen Fahrt einfach nur todmüde war. Als ich nichts erwiderte, sah sie mich mit ihrem 'Große-Schwester-die-über-alles-bescheid-weiß' Blick an. "Das letzte Zimmer am Ende des Ganges." Verwirrt sah ich sie an, verstand vor lauter Müdigkeit nicht, worauf sie hinaus wollte. Sie kicherte. "Geh schlafen Schwesterchen, ich kümmer mich um die Sachen." "Danke. Gute Nacht, du bist ein Schatz" Mit einem Kuss auf die Wange verabschiedete ich mich und schleifte mich in das besagte Zimmer. Ohne auf die Möblierung zu achten, warf ich mich in mein neues Bett und schlief auf der Stelle ein.

 

***

 

Blinzelnd versuchte ich die Augen zu öffnen, wurde jedoch sofort von den Sonnenstrahlen, die durchs Fenster schienen, geblendet. Murrend drehte ich mich auf die andere Seite und erhaschte dabei einen Blick auf die Uhrzeit. Mit einem gequälten Stöhnen krabbelte ich schließlich doch aus dem Bett, da es Zeit fürs Training wurde.

 

So früh morgens wünsche ich mir manchmal, ich wäre ein Mensch.

 

Aber das war ich nunmal nicht. Ich war eine Jägerin und um die zahlreichen Kämpfe, die ich führen musste, auch zu überleben, war ausgiebiges Training der einzige Freund, den ich mir leisten konnte. Blitzschnell zog ich mir bequemere Sachen an und ging nach draußen, um eine Runde zu laufen. Stacy wollte ich nicht wecken, da sie sich nach so einer langen Autofahrt ihren Schönheitsschlaf reichlich verdient hatte.

 

Zeit die Umgebung ausgiebig zu erkunden.

 

***

 

Bäume. Überall nur grün. Ein nicht enden wollender Wald, in dem es nicht einmal wilde Tiere gab. Also eine langweiligere Stadt hätte sie sich wirklich nicht aussuchen können. Gerade als ich die Hoffnung endgültig aufgeben wollte, merkte ich, dass etwas ganz und gar nicht stimmte. Es war ruhig, viel zu ruhig. Es war fast so, als wäre jedes Tier, jede Pflanze in diesem Wald zu Stein erstarrt. Noch nicht einmal das Rascheln der Blätter war zu hören. Alle meine Sinne waren geschärft, mein Körper zum Zerreißen angespannt. Aus Reflex griff ich an meine Seitentasche, um an meinen Dolch zu kommen und erstarrten sogleich. Ich hatte ihn vergessen.

 

Ein bedrohliches Knurren ertönte hinter mir. Ein kalter Schauer fuhr mir den Rücken runter. Werwolf, schrien all meine Sinne. Ich hatte genau zwei Möglichkeiten.

 

Entweder ich renne um mein Leben und hoffe, dass ich schneller bin...oder ich kämpfe...ohne Waffen.

 

Beides war quasi schon ein Todesurteil, aber hier rumstehen und auf mein Ableben warten war noch schlimmer. Deshalb entschied ich mich kurzerhand für die erste Möglichkeit und rannte so schnell mich meine Beine tragen konnten, ohne mich auch nur ein einziges Mal umzudrehen. Bei meinem Glück würde ich dabei über eine Wurzel stolpern und dem Monster dabei gleich ins Maul fallen. Jeder wusste, wie gefährlich diese Kreaturen waren und dass sie nichts lieber taten als zu morden. Zwar vertrat ich generell die Meinung, dass nicht alle übernatürlichen Wesen böse waren, doch bei Werwölfen war es anders. Ich hatte am eigenen Leib erfahren müssen, wozu sie fähig sind. Wäre ich keine Hunter, hätten mich diese Verletzungen in den Tod geführt. Ich seufzte bei dem Gedanken.

 

Und das alles nur, weil ich den falschen Personen vertraut habe.

 

Ich war nicht schnell genug. Ich merkte es erst, als es schon zu spät war. Trotz meiner Fähigkeiten als Jägerin konnte ich nicht mithalten.  Ich konnte nicht mal blinzeln, da wurde ich auch schon mit der Wucht eines Kleinwagens zu Boden gedrückt. Bei dem Aufprall wurde mir jeglicher Sauerstoff aus den Lungen gedrückt. Nach Luft schnappend lag ich unter ihm und schaffte es gerade noch rechtzeitig, auszuweichen, als er mit seinen Reißzähnen nach meinem Gesicht schnappen wollte. Ich wand mich unter ihm und versuchte alles, um wenigstens ein bisschen Abstand zu ihm zu gewinnen, aber er rührte sich keinen Millimeter. Ich wollte es nicht sehen, seine triumphierend leuchtenden Augen, wenn er mir die Kehle durchbiss, ich wollte nicht sehen, wie mein Blut überall hinspritzt wenn er seine Fänge in mein Fleisch bohrt. Ich wollte nicht meinen letzten Gedanken an ihn verschwenden. Mit zusammengekniffenen Augen dachte ich an meine Schwester, meine verstorbenen Eltern, an die schönen Zeiten, die wir zusammen verbracht hatten. An die Augenblicke, in denen es nicht nur ums Jagen ging, oder die Bürde, die wir mit unseren Genen tragen mussten. Ein kleines Lächeln schlich sich auf meine Lippen, als ich an früher dachte.

 

Hoffentlich geht es schnell.

 

 

2. Fallen for his eyes

 Ein Knurren, ein Zischen, ich bekam wieder Luft. Ich öffnete meine Augen gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, wie der riesige Wolf gegen den nächsten Baum krachte und diesen gleich mit zu Boden riss. Ich wollte mich aufrappeln, um zu sehen, was vor sich ging, aber mein Körper war wie gelähmt vor Angst. Der Schock, dem Tod so knapp entkommen zu sein, saß mir tief in den Knochen.

 

Etwas rührte sich und plötzlich standen zwei Gestalten vor dem, immer noch am Boden liegenden, Wolf. Sie hatten mir den Rücken zugekehrt, weshalb ich ihre Gesichter nicht sehen konnte. Voller Faszination beobachtete ich, wie einer der beiden das Tier packte und der andere dann blitzschnell seine Faust in den Körper des Werwolfs schlug. Im nächsten Augenblick hielt er sein blutiges Herz in der Hand. "War doch gar nicht do schwer", hörte ich einen der beiden sagen. Dann erschien plötzlich ein Gesicht in meinem Blickfeld. "Alles in Ordnung? Bist du verletzt?" Ich öffnete meinen Mund zu einer Antwort, aber ich war zu gebannt von seinen Augen. Sie ließen mich alles um mich herum vergessen. Das fast schon unnatürlich leuchtende Silber-grau hatte mich in seinen Bann gezogen.

 

Reiß dich zusammen, dieser Junge ist ein Vampir!

 

"M-mir geht's gut" Natürlich stotterte ich, was auch sonst. Lächelnd hielt er mir seine Hand hin, die ich dankend entgegennahm. Als ich jedoch wieder auf den Beinen stand, überkam mich ein starkes Schwindelgefühl, das mich gefährlich schwanken ließ. Im letzten Moment wurde ich von zwei starken Armen festgehalten. Stöhnend griff ich mir an den Kopf. Als ich die schmerzende Stelle ertastet hatte, entfuhr mir ein Zischen. Ich musste nicht hinsehen, um zu wissen, dass ich jetzt Blut an den Fingern kleben hatte. Der Vampir vor mir weitete seine Augen. Toll, wirklich fantastisch! Das Blut einer geborenen Jägerin roch für Vampire anders, besser, anziehender, was bedeutete, dass ich so gut wie tot war.

 

Was aber als nächstes passierte, ließ mich sprachlos. Er biss sich ins Handgelenk und hielt es mir hin. "Trink" Angeekelt schüttelte ich den Kopf. Ich wusste zwar, dass Vampirblut Heilkräfte besaß, jedoch widerstrebte es mir, davon zu kosten. Er verdrehte die Augen und sah mir intensiv in die Augen. Oh oh. Ich wusste was jetzt kommen würde. Er würde mich manipulieren, sein Blut doch zu trinken. Zwar war das bei mir nutzlos, aber ich musste trotzdem mitspielen. Denn falls ich mich weigerte, würde er sofort merken, dass etwas mit mir nicht stimmte. "Trink", sagte er wieder, dieses Mal jedoch mit einer weitaus raueren Stimme, die mir Gänsehaut verursachte. Zögerlich ergriff ich seinen Arm. Er drehte mich so, dass ich mit dem Rücken zu ihm stand. Du schaffst das! Ich schloss die Augen und legte meine Lippen auf die kleine Bisswunde. Als ich sein Blut auf meiner Zunge schmeckte, explodierten meine Sinne. Ich klammerte mich förmlich an seinen Arm, während die süße Flüssigkeit meine Kehle hinab floss. Ich hörte den Vampir hinter mir seufzen. Sein Griff um meine Taille wurde fester, er presste mich förmlich an sich. Ein kleines Stöhnen entfuhr meinen Lippen. Unsere Körper trennte nur noch unsere Kleidung voneinander. Sein flacher Atem streifte meinen Hals und ließ einen wohligen Schauer durch meinen Körper fahren.

 

Ein Räuspern. Das hatte gereicht, um mich aus meinem tranceartigen Zustand zu befreien. Wie verbrannt sprangen wir auseinander. Schwer atmend versuchte ich meinen viel zu schnellen Puls zu beruhigen. "Es tut mir ja leid, dass ich euch beide störe, aber wir müssen jetzt wirklich los Mann!" Der Vampir hinter mir seufzte ergeben. "Alles klar. Lass mich nur schnell ihr Gedächtnis löschen" Ha! Dass ich nicht lache! Als würden seine Tricks bei mir funktionieren. Natürlich durfte ich mir nichts anmerken lassen. Wenn er herausfand wer ich war, wäre das mein Todedurteil.

 

Sanft strich er eine verirrte Haarsträhne hinter mein Ohr und sah mich dann wieder mit diesem intensiven Blick an, von dem meine Knie weich wurden. "Du wirst alles vergessen, was heute in diesem Wald passiert ist. Auch dass du uns beiden begegnet bist. Jetzt wirst du wieder nachhause gehen und du wirst nie wieder einen Fuß in diesen Wald setzen, denn es ist hier viel zu gefährlich für dich. Hast du das verstanden?" Ich nickte nur benommen, mehr brachte ich nicht zustande. Er lächelte leicht. Plötzlich beugte er sich zu mir runter und hauchte mir einen Kuss auf die Lippen. Es war nur ein Bruchteil einer Sekunde und trotzdem machte mein Herz einen doppelten Salto. Keine Sekunde später war er wie vom Erdboden verschluckt. Das einzige was mir blieb, war das Gefühl von seinen Lippen auf meinen.

 

***

 

"Hast du etwa nicht mehr drauf?!" Herausfordernd sah Stacy mich an. In ihrem Blick lag Selbstsicherheit. Sie war sich sicher, sie würde gegen mich siegen, aber das konnte sie gleich wieder vergessen. Mit einer unglaublichen Leichtigkeit wich ich ihrer Faust aus und warf sie zu Boden. Sofort war sie wieder auf den Beinen und griff mich an. Ein einziger unachtsamer Moment genügte und schon spürte ich die Wucht ihrer Faust in meinem Magen. Ich keuchte auf. "Du wirst schlechter Schwesterchen", neckte sie mich. Nein wurde ich nicht! Mein Fuß traf ihren Magen und sie schleuderte gegen die Wand, die sofort in sich zusammenbrach. "Scheiße! Stace ist alles in Ordnung?" Ich kniete mich vor sie hin. Entgeistert blickte sie mich an. "Wie hast du das gemacht?" Atemlos fasste sie sich an ihre Brust. "Keine Ahnung" war meine knappe Antwort. Und das war nicht mal gelogen. So viel Kraft hatte ich bei unseren Zweikämpfen noch nie aufbringen können. Ihr skeptischer Blick entging mir nicht. "Du weißt, dass die Hunterkräfte zu benutzen nicht fair ist! Du weißt genau was beim letzten Mal passiert ist!" Natürlich wusste ich das noch! Immerhin war meine Schwester wegen mir im Krankenhaus gelandet. Aber ich hatte meine Kräfte jetzt nicht benutzt! "Ich habe aber-" "Nein lass es! Das war genug für heute!" Sie rauschte ohne ein weiteres Wort an mir vorbei und ließ mich mit meinen Gedanken und dem riesigen Loch in der Wand allein.

 

Mit angewinkelten Beinen saß ich am Boden und gaffte das Loch an, das ich verursacht hatte. Hunderte Fragen schwirrten in meinem Kopf. Woher kam meine plötzliche Kraft? Ich hatte nicht einmal fest zugetreten und trotzdem hatte ich so einen großen Schaden angerichtet. Wieso glaubte Stacy mir denn nicht?!

 

***

 

"Da bist du ja. Du musst zur Schule!" Stacy's kalte Stimme riss mich aus dem Schlaf. Sie war noch immer wütend, wie immer wenn sie dachte sie hätte recht. Augenrollend hievte ich mich vom Boden auf. Ich musste stundenlang hier gekauert haben und sie war nicht einmal gekommen, um nach mir zu sehen. Tolle Schwester! Wortlos stolzierte ich an ihr vorbei und direkt ins Badezimmer. Die fetten Augenringe waren das erste, das mir an mir auffiel. Das ließ sich aber zum Glück leicht abdecken. Ansonsten sah ich aber noch in Ordnung aus. Nach einer kurzen Dusche trug ich noch schnell Make up auf, dann ging ich auch schon aus der der Haustür raus. Meinen Morgenkaffee müsste ich mir wohl oder übel unterwegs holen. Nicht weil ich es sonst nicht rechtzeitig zum Unterricht schaffen würde. Viel eher weil ich die Nähe meiner nachtragenden Schwester im Moment einfach nicht ertragen konnte und wenn sie wütend sein konnte, dann konnte ich das schon lange!

 

***

 

"Kann ich bitte einen Cappuccino zum Mitnehmen haben?" Die etwas ältere Frau hinter dem Tresen lächelte mich mütterlich an. "Natürlich Liebes. Möchtest auch etwas zum Essen haben?" Wenn ich es mir recht überlegte, hatte ich zwar noch keinen Hunger, aber wer wusste schon, was für ein Essen diese neue Schule hatte. "Ähm, ja bitte. Zwei Croissants und einen von diesen Muffins mit Schokosplittern." Ich wusste, dass man meine Ernährung nicht gerade als gesund bezeichnen konnte, aber was solls. Ich lebte nur einmal und dieses Leben wollte ich mir mit so viel Schokolade wie nur möglich versüßen. Nachdem ich bezahlt hatte, verabschiedete ich mich noch von der nett wirkenden Besitzerin und machte mich auf den Weg in meine neue Schule. Ich war es ja gewohnt, immer die neue zu sein. So oft wie wir umzogen, wunderte es mich nicht, dass ich es nicht schaffte, längerfristige Freundschaften zu schließen. Ob mir das etwas ausmachte? Kein bisschen. Je weniger Menschen ich in mein Leben zog, desto weniger Menschen wurden verletzt. Und immerhin war das ja meine Aufgabe als Jägerin: Die Menschen vor dem Bösen zu beschützen, was mich miteinschloss, da ich ja tagtäglich damit konfrontiert wurde.

 

Als ich um die nächste Ecke bog war ich schon da. Hallaway High School. Ich stand mitten auf dem Parkplatz und sah mich um. Dieses Gelände ist ja riesig! Ich wette, ich verlaufe mich hier schon am ersten Tag undzwar vor der ersten Stunde! Seufzend setzte ich meinen Weg fort und ignorierte gekonnt die bohrenden Blicke meiner neuen Mitschüler. Wie immer erntete ich neidische Blicke von den Mädchen und hungrige Blicke von den Jungs. Es war nichts Neues für mich, ich wusste wie ich auf Andere wirkte. Als Hunter hatte man das an sich, um jedes Wesen in seinen Bann locken zu können. Glänzendes Haar, verführerische Augen, perfekte Körpermaße. Doch das war alles nur Fassade. Wie es in mir drin wirklich aussah, das wusste niemand, nichtmal meine eigene Schwester und das war auch besser so. So sehr ich sie auch liebte, ich brauchte dieses Bisschen Distanz zwischen uns. Meine Gefühle offen zu zeigen war noch nie meine Stärke gewesen. Ich war als kleines Kind schon so verkorkst gewesen, dass ich noch nicht einmal beim Tod meiner eigenen Eltern hatte weinen können.

 

Reiß dich zusammen!

 

Ich verbannte diese Gedanken aus meinem Kopf und betrat das Gebäude vor mir. Wo könnte hier nur das Sekretariat sein? Ich erblickte ein Mädchen mit langen, blonden Kringellocken und grauen Augen, die in einem der Schließfächer kramte. Eindeutig ein Vampir. Meine Schwester wäre an meiner Stelle sofort in Angriffsposition gegangen, aber anders als sie, dachte ich nicht, dass jeder Vampir böse war. Das Mädchen sah nett aus, also beschloss ich, sie einfach zu fragen. "Ähm hey, kannst mir vielleicht sagen wo das Sekretariat ist?" Verwundert sah sie mich an. Sie sah aus, als hätte ich sie gerade aus ihren Gedanken gerissen, was mir ehrlich leidtat. "Na klar, komm ich führ dich hin, ich muss sowieso auch dort hin. Du bist die Neue oder? Ich bin Cameron, aber nenn mich Cam." Ich hatte also recht gehabt, sie war wirklich nett. "Ich bin Mia", lächelte ich. Sie lächelte zurück und wir machten uns schweigend auf den Weg ins Sekretariat. Auf dem Weg dorthin bemerkte ich, dass wirklich verdammt viele Vampire und Hexen an diese Schule gingen. Viel mehr als für gewöhnlich. Wenn mich mein Gefühl nicht täuschte, und das tat es nie, waren hier sogar weitaus mehr übernatürliche Wesen als Menschen. Wo bin ich hier nur wieder hineingeraten?

 

***

 

"Wir haben einen ziemlich ähnlichen Stundenplan, toll! Also werden wir oft Zeit miteinander verbringen." Sie schien sich ehrlich darüber zu freuen und ich war überrascht über mich selbst, dass ich genauso empfand. Wir hatten in der ersten Stunde gemeinsam Biologie, weshalb wir uns gleich zum Klassenzimmer begaben. Ich setzte mich neben sie in die letzte Reihe und studierte meinen Stundenplan. Also zuerst Biologie, dann Mathe, eine Doppelstunde Geschichte und zuletzt eine Doppelstunde...Kampftraining? Was soll das denn für ein Fach sein? "Ähm Cam? Wieso gibt es an eurer Schule Kampftraining?" "Achja, das hab ich vergessen zu erwähnen. Weißt du, da es in letzter Zeit so viele Übergriffe in dieser Stadt gab, hat die Schule beschlossen, die Schüler zu trainieren, damit sie sich im Notfall selbst verteidigen können." Das klang logisch.

 

"So liebe Schüler, nehmt Platz." "Scheiße, Überraschungstest!", flüsterte das blonde Mädchen neben mir. "Heute schreiben wir einen Überraschungstest!" Ich hörte einige Schüler laut aufstöhnen. Cam neben mir verdrehte ihre Augen. "Ich habs gewusst! So fröhlich ist er nur, wenn er vorhat, uns zu quälen!" Über ihren grimmigen Gesichtsausdruck konnte ich wirklich nur lachen. "Oh, wen haben wir denn da? Eine neue Schülerin?" Alle Augenpaare drehten sich zu mir. "Willst du dich denn nicht vorstellen?" "Nein" Ich sah ihm geradewegs in die Augen. Ich würde nicht einmal so tun, als wäre ich nett."Junge Dame, Sie wissen, dass Ihr respektloses Verhalten nicht akzeptabel ist!" Ich schnaubte. "Aber es ist akzeptabel, dass Sie sich nicht darüber informieren, wenn Sie eine neue Schülerin zugewiesen bekommen? Ich denke, alles was Sie über mich wissen müssen steht in der Akte, die Ihnen der Direktor spätestens heute morgen auf ihren Tisch gelegt hat!" Der Junge auf der Bank neben mir hielt sich die Hände vor den Mund, um nicht lauthals zu lachen, aber die Tränen, die aus seinen Augenwinkeln flossen, sprachen Bände. Unser lieber Herr Lehrer hingegen lief rot an vor Wut und ich wollte ihm schon sagen, er müsse atmen, damit genug Sauerstoff in sein ohnehin geschädigtes Hirn fließen kann, biss mir aber im aller letzten Moment auf die Zunge. Ich wollte nämlich nicht schon wieder an meinem ersten Tag im Büro des Direktors landen. Ja, das war schon öfters passiert und ja, ich war nicht sonderlich stolz darauf. Aber es war ja nicht meine Schuld, wenn mir die Lehrer immer so gute Gelegenheiten gaben, meine Meinung zu äußern.

 

Mr. Bradshaw, so hieß er glaubte ich, rang nach Atem. Es dauerte einige Sekunden, bis sein Gesicht wieder eine halbwegs normale Hautfarbe annahm. "Ich werde Ihnen das heute durchgehen lassen, weil es Ihr erster Tag ist, doch sollten Sie sich noch einmal so in meinem Unterricht verhalten, sorge ich dafür, dass sie den Rest Ihrer Schulzeit jeden Nachmittag nachsitzen dürfen!" Seine Drohung ließ mich kalt. Selbst wenn es dazu kommen würde, wäre ich nicht lang genug an dieser Schule um auch nur zum Ende dieses Schuljahres zu gelangen. "Der Überraschungstest wird verschoben. Schlagt eure Bücher auf Seite 183 auf!" "Wow" Cameron sah mich mit einer Bewunderung in den Augen an, die mich schon fast rot anlaufen ließ. "Das. War. Unglaublich!", flüsterte der Junge, dessen Namen ich nicht kannte. Aber wie Cam war auch er ein Vampir. Seine schokoladenbraunen Augen leuchteten und er musste sich noch eine letzte Träne aus dem Gesicht wischen. "Ich habe Mr. Bradshaw noch nie in meinem Leben so aufgebracht gesehen!" "Und vor allem hat er noch nie einen seiner Überraschungstests verschoben!", ergänzte Cam. "Hast du die fette Vene an seiner Stirn gesehen?" Ich kicherte. "Ja, ich dachte schon fast, die platzt gleich!" "Mädchen, du bist mein Idol!"

 

 

 

 

3. Das Wiedersehen

 "Hey Mia, warte nach dem Unterricht einfach hier. Wir kommen und holen dich ab, dann können wir uns was zum Essen holen!" Der Junge, der sich mir als Brody vorgestellt hatte, lächelte mich an. Er und Cam hatten jetzt irgendein anderes Fach, was so viel hieß wie, ich war wieder auf mich alleine gestellt. Mit einem Nicken verabschiedete ich mich von ihnen und betrat den Raum. "Ach, da ist ja unsere neue Schülerin. Mia Gold, nicht wahr?" Ich nickte nur lächelnd. Natürlich hatte ich nicht meinen richtigen Nachnamen angegeben, das wäre viel zu offensichtlich gewesen und damit wäre auch sofort meine Tarnung aufgeflogen. "Bitte setz dich doch zu Liam." Ich drehte mich um und suchte nach einem freien Platz. Da es nur einen einzigen gab, ging ich davon aus, dass der Junge an dieser Bank Liam sein musste. Als ich ihn sah, riss ich die Augen auf. Ich kannte ihn! Er war dieser Typ aus dem Wald, der mich gerettet hatte! Nicht der, der mich geküsst hatte, sondern der andere. Beruhige dich! Du darfst dir nicht anmerken lassen, dass du ihn erkannt hast! Zögerlich setze ich mich auf den Stuhl neben ihn. Die ganze Zeit über spürte ich seine skeptischen Blicke auf mir. Genervt drehte ich mich zu ihm. "Wenn du mir etwas zu sagen hast dann spuck's aus oder hör endlich auf mich so dämlich von der Seite anzugaffen!" Ja ja, ich war nicht gerade nett, aber wem würde das denn nicht auf die Nerven gehen? Er hatte wohl nicht erwartet, dass ich ihn anmotzen würde, denn er riss erschrocken seine dunklen Augen auf und räusperte sich dann. "Tschuldigung" Die restliche Stunde schwiegen wir beide, aber ich konnte aus dem Augenwinkel erkennen, dass er mich immer mal wieder ansah. Als es endlich klingelte, seufzte ich erleichtert auf. Noch eine Doppelstunde neben diesem Typ hätte ich nicht ausgehalten. In Windeseile packte ich meine Sachen und stürmte nach draußen.

 

"Woah, da hat's aber jemand eilig!", lachte Cam, als sie mich kommen sah. Ich verdrehte nur die Augen. "Können wir jetzt bitte essen, ich verhungere gleich!" Brody sah mich flehend an, was mich zum Lachen brachte. In der Cafeteria angekommen steuerten die beiden gleich auf einen Tisch zu, an dem schon ein paar Leute, oder besser gesagt Vampire, saßen. Oh Gott, die beiden! Liam und der andere saßen auch an diesem Tisch! "Leute, das ist Mia", stellte Cam mich vor, als wir uns hingesetzt hatten. Wie sonst auch, wurde ich von allen angestarrt. "Mia, das sind Emma-", sie zeigte auf ein Mädchen mit schulterlangen, schwarzen Haaren und genauso dunklen Augen. "-Liam, und mein Bruder Jackson." Dieser Jackson war ihr Bruder! Wieso war mir die Ähnlichkeit zwischen den beiden nicht sofort aufgefallen! "Hi", war alles, was ich sagte, bevor ich mein Essen rauskramte. Brody sah mich belustigt an. "Du weißt, du kannst dir hier auch Essen kaufen?" Als Antwort streckte ich ihm nur die Zunge raus. "Ich wusste nicht, ob es hier was Essbares gibt. Glaub mir du hast keine Ahnung, was die dir in meiner letzten Schule als Essen präsentiert haben." Beim bloßen Gedanken daran, schüttelte es mich. Alle am Tisch lachten, naja alle außer Jackson. Dieser sah mich nur abschätzend an.

 

"Ihr habt keine Ahnung was heute in Mr. Bradshaw's Klasse passiert sein soll! Anscheinend hat ein Mädchen ihn so sehr provoziert, dass er fast einen Nervenzusammenbruch hatte!" Ein Junge mit verwuschelten, blonden Haaren stand völlig außer Puste vor unserem Tisch. "Unmöglich! Den bringt doch nichts und niemand aus der Ruhe!" Emma blickte geschockt zu dem Jungen rauf. Und auch Liam und Jackson schienen verwundert. "Das dürfte wohl Mia's Verdienst sein", lachte Cam. Von allen Seiten wurde ich angestarrt. "Ich hab nichts gemacht! Ich kann ja nicht wissen, dass ich ihn mit einem einfachen 'Nein' fast ins Koma versetze." "Ist das dein ernst Mädchen? Anscheinend ist er sofort zum Direktor gegangen und hat veranlasst, frühzeitig in Pension zu gehen!" Ich lachte, während mich alle mit aufgerissenen Augen ansahen. "Dieses Mädchen ist meine Erlösung." Ich schlug Brody spielerisch gegen die Schulter. Dabei entging mir aber nicht der finstere Blick, den ihm Jackson zuwarf.

 

Cam schien es auch aufgefallen zu sein, denn sie räusperte sich laut und lenkte so die Aufmerksamkeit wieder auf sich. "Es soll ein neuer Club in der Stadt eröffnen. Wer will heute Abend mit mir hin?" Sie wackelte vielsagend mit ihren Augenbrauen. "Mia! Du hast bestimmt Lust, nicht wahr?" "Ich kann heute nicht", kam es wie aus der Pistole geschossen von mir. Am liebsten hätte ich mich dafür selbst geschlagen, aber ich konnte ja wirklich nicht. Ich musste die Gegend erkunden und nach Bestien Ausschau halten. "Wieso denn nicht?" Toll, jetzt hatte ich die ganze Aufmerksamkeit auf mich gelenkt. Denk dir was aus Mia! Irgendeine glaubwürdige Ausrede! "Ähm, ich muss noch ziemlich viel Zeug auspacken und Stacy bringt mich um, wenn sie über noch einen meiner Umzugskartons stolpert." Ich versuchte so entschuldigend wie nur möglich dreinzublicken. "Ach komm schon, wir gehen doch eh erst um elf oder so und bis dahin hast du bestimmt schon alles ausgeräumt!" Perfekt, und was sagst du jetzt? "Dann ist es also abgemacht!", kam mir Brody zuvor und am liebsten hätte ich ihn dafür erwürgt, denn jetzt war das Thema für alle abgeschlossen. Also musste ich heute doppelt wachsam sein. Ich musste meine Tarnung bewahren UND gleichzeitig Ausschau halten ohne verdächtig zu wirken. Das konnte ja mal was werden.

 

Wie soll ich Stacy überhaupt erklären, dass ich mit Vampiren in eine Disko gehen werde? Gar nicht. Sie würde sofort ihre Waffen zücken. Verdammt! Jetzt muss ich auch noch einen Haufen Vampire vor meiner wild gewordenen Schwester beschützen! Schlimm genug, dass sie nur aufs Jagen fixiert war, aber für sie kam es gar nicht in Frage, dass es auch gute Vampire gab. Für sie war die Welt nur schwarz oder weiß. Bis jetzt hatte ich immer nur einzelne Vampire vor ihr in Sicherheit bringen müssen, aber mit so einer riesigen Gruppe hatte ich es noch nie zu tun gehabt! Beruhige dich Mia, du schaffst das schon irgendwie!

 

"Hey, alles in Ordnung mit dir?" Ich merkte erst jetzt, dass alle aufgestanden waren und Brody und Cam anscheinend nur noch auf mich warteten. Hatte es schon geklingelt? Wie hatte ich das nur überhören können? Ich musste mehr Acht auf meine Umgebung geben! "Ähm ja, ich war nur in Gedanken." "Komm, du hast jetzt Kampftraining." Ich hielt inne. "Warte, ICH habe Kampftraining? Sagt mir nicht, ihr lasst mich jetzt alleine!" Cam zuckte entschuldigend mit den Schultern. "Wir haben uns unseren Stundenplan ja nicht ausgesucht!" Brody nickte bekräftigend. "Mach dir keine Sorgen, so schlimm ist es nicht. Außerdem holen wir dich danach gleich ab!" Wenn sie nur wüssten, dass das meine kleinsten Bedenken waren. Ich hatte furchtbare Angst, dass ich die Kontrolle verlieren würde, so wie gestern mit Stacy. Was wenn ich jemanden verletze? 

 

***

 

"So, ich teile euch nun eure Partner für den Rest des Semesters zu!" Mit einem Blick auf seine Namensliste richtete er sich an Jackson. Ja, er war hier und es regte mich aus irgendeinem Grund auf. Vielleicht weil er mich heute den ganzen Tag ignoriert hatte? Oder vielleicht auch weil ich diesen dämlichen Kuss einfach nicht vergessen konnte. "So Jackson, da du letztes Semester mit Abstand am besten abgeschnitten hast, wird es deine Aufgabe sein, unsere neue Mitschülerin auszubilden." Mit aufgerissenen Augen sah ich ihn an. Das konnte doch nicht sein ernst sein! Ich sollte mit einem Vampir trainieren? Ich würde auffliegen! "Mit Vergnügen", kam er mir zuvor und lächelte mich mit einem vielsagenden Blick an. Toll, wirklich fantastisch! Ich bin so gut wie tot!

 

***

 

Ich stellte mich dumm an, wirklich dumm. Ich konnte einfach nicht riskieren aufzufliegen! Ich wurde von Jackson so oft auf die blöde Matte geworfen, dass ich morgen bestimmt überall mit blauen Flecken übersäht sein würde. "Du bist die schlechteste Kämpferin, die ich kenne!", lachte er, während ich mich mal wieder aufrappelte. Ich schnaubte beleidigt. Wenn er nur wüsste! Seine Augen blitzten gefährlich auf. "Versuchen wir es anders! Greif mich an!" Statt das zu tun, stand ich einfach nur blöd rum. Was sollte ich auch tun? Auf ihn losgehen? "Na komm schon! Stell dir einfach vor, du würdest mir gern eine reinhauen." Er zwinkerte. "Hmpf, das ist leicht", rutschte es mir raus. Er ignorierte meine Aussage einfach und wartete auf meinen Angriff. Was soll ich jetzt tun? Gott, in was bin ich hier nur wieder reingeraten! Aber ich hatte keine Wahl, irgendwas musste ich ja tun.

 

Ich ging auf ihn zu, beobachtete seine Bewegungen so wie ich es immer tat, wenn ich vor einem Gegner stand. Dann holte ich aus. Meine Faust verfehlte nur knapp sein Gesicht. Naja, er fing sie einen halben Meter vorher ab, aber FAST hätte ich fast getroffen. "Mehr hast du nicht drauf?" Oh nein, er provozierte mich. Das durfte jetzt nicht außer Kontrolle geraten. Ich atmete tief ein und aus, um mich zu beruhigen. Ich versuchte meine Hand zurückzuziehen, aber er hielt sie eisern fest. Ganz schlecht. Sofort spürte ich den Jäger in mir, der sich aus den Klauen dieser Bestie befreien wollte. Er fühlte sich eingeengt und drohte, die Überhand zu gewinnen und plötzlich sah ich nur noch rot.

 

Mit einem Ruck entzog ich mich ihm. Er war so überrascht, dass er den Schlag nicht kommen sah. Meine geballte Faust traf ihn direkt ins Gesicht. Ich glaubte sogar, seine Nase brechen gehört zu haben. Aus geweiteten Augen sah er mich an und dann seine Hand mit der er sich zuvor an die blutige Nase gefasst hatte. Erst jetzt realisierte ich, was ich getan hatte. Wie erstarrt stand ich da und konnte meine Augen nicht mehr von dem Chaos abwenden, das ich angerichtet hatte. Meine Tarnung ist aufgeflogen! Spätestens jetzt weiß er, was ich bin! Mein Atem beschleunigte sich und mein Herz hämmerte gegen meine Brust. "Es-es tut mir so leid Jackson", hauchte ich. Sein Blick verwandelte sich plötzlich von Verwirrung in Erstaunen und dann in Wut. Er ballte seine Hände zu Fäusten. Einen Moment lang glaubte ich, er würde auf mich losgehen, doch dann drehte er sich einfach ohne ein Wort um und marschierte aus der Halle.

 

Ich kann nicht hierbleiben! Das war mein einziger Gedanke. Meine Beine trugen mich nach draußen. Scheiße, scheiße, scheiße! Ich musste sofort Stacy bescheid sagen und mit ihr abhauen. Sollte er es den anderen erzählen, würde es nicht lange dauern, bevor sie vor unserer Tür stehen. Auf dem Parkplatz angekommen suchte ich alles nach meinem Wagen ab, bis mir einfiel, dass ich zu Fuß gekommen war. Mist!

 

"Ich schwöre Alter, sie hat mir mit einem Hieb die Nase gebrochen!" Er war hier! Ich musste weg, bevor er merkte, dass ich hier war! Aber ich konnte einfach nicht widerstehen, zu lauschen. "Jack, das muss an deinem Blut liegen! Sie könnte niemals so stark sein!" Er redete also mit Liam. Ich konnte ihn zwar nicht sehen, aber ich erkannte seine Stimme sofort wieder. Ich hörte Jackson seufzen. "Ja, das muss es sein! Wir wissen ja beide, dass Vampirblut Menschen manchmal stärker macht und sie hat selbst überrascht gewirkt." Er dachte, sein Blut wäre Schuld? Also hatte er keinen Verdacht geschöpft! Eine Welle der Erleichterung überkam mich. Das war gerade nochmal gut gegangen! "Das ist die einzige logische Erklärung. Solange dein Blut noch in ihrem Kreislauf ist, ist sie stärker. Aber sag mal, wieso machst du dir eigentlich so viele Gedanken um die Kleine? Gestern die Sache mit dem Flohbeutel und heute in der Cafeteria hättest du den armen Brody fast mit deinen Blicken erdolcht", lachte er. Also hatte ich mir das wirklich nicht eingebildet! "Alter du bist doch nicht etwa eifersüchtig?! Ich meine, klar, sie ist heiß aber-" Er wurde durch ein unmenschliches Knurren unterbrochen. "Sie gehört mir!" Die Bedrohlichkeit in seine Stimme ließ mich erzittern. Ich erhaschte einen kurzen Blick auf die beiden und sah erschrocken dabei zu, wie Jackson den armen Liam an der Kehle gepackt hatte. Dieser wand sich in seinem Griff und keuchte nach Luft. "Ist ja schon gut. Sie gehört dir", röchelte er. Erst jetzt ließ er ihn los. "Komm, wir sollten langsam gehen" Scheiße! Ich musste hier weg!

 

So schnell ich konnte rannte ich wieder ins Gebäude hinein. Was hatte ich gerade mitbekommen? Das konnte doch nicht wirklich der Wahrheit entsprechen. Hatte ich jetzt auch noch Halluzinationen? 'Sie gehört mir!' Wieso hatte er das gesagt? Was bildetet er sich eigentlich ein, mich für sich zu beanspruchen? Er kannte mich nicht! Das einzige, was wir hatten, war der Kuss, an den ich mich nicht einmal erinnern können sollte! Und trotzdem konnte ich an nichts anderes denken, seit es passiert war. STOP! DU BIST EINE JÄGERIN MIA! DU DARFST SO NICHT FÜR EINEN VAMPIR EMPFINDEN! Ich hatte keine Ahnung, was ich jetzt tun sollte.

 

Völlig außer Atem rannte ich um die nächste Ecke und prallte sogleich in eine harte Brust. Ich war kurz davor, auf den Boden zu fallen, doch im letzten Moment wurde ich festgehalten. "Hey, wo warst du denn? Ist irgendwas passiert? Wir haben vor der Halle auf dich gewartet." Brody's warme Augen musterten mich besorgt. "Alles-" Ich holte tief Luft. "Alles gut, ich brauchte nur kurz frische Luft. Gehen wir!" Ich packte Cam an der einen Hand und Brody an der anderen und schleifte sie hinter mir her. Am Parkplatz machte ich dann aber halt, weil ich sie ja schlecht zu mir nachhause schleifen konnte. "Soll ich dich heim fahren?", bot mir Brody an. Ich wollte schon verneinen, aber er kam mir wie immer zuvor. "Dann weiß ich gleich, wo wir dich heute Abend abholen müssen." Klasse, jetzt konnte ich nicht mehr nein sagen. Ich konnte nur hoffen, dass Stacy nicht zuhause war.

 

***

 

"Danke fürs nach Hause fahren! Bis später!" Ich schlug die Autotür zu und machte mich auf den Weg ins Haus. "STACE! ICH BIN WIEDER ZUHAUSE!" Keine Reaktion. Perfekt, also war sie nicht da. Wenigstens musste ich ihr jetzt nicht erklären, wieso ich mit Vampiren mitgefahren war. Ich warf meine Tasche in die Ecke und marschierte gleich in mein Zimmer. Ich hatte nicht einmal gelogen, ich musste wirklich noch unheimlich viel auspacken und mein Zimmer einrichten. Zwar würde ich jetzt lieber essen, aber da wir nichts im Kühlschrank hatten, musste ich wohl oder über warten, bis Stacy nachhause kam. Wenn ich recht hatte, war sie gerade im Supermarkt und holte mir hoffentlich auch mein Lieblingseis. So, genug übers Essen nachgedacht! Jetzt wird ausgepackt!

 

Als ich nach gefühlten Stunden endlich damit fertig war, all meine Klamotten in den Schrank zu stopfen und auch den ganzen restlichen Krimskrams auszupacken, hörte ich die Haustür aufgehen. Das hat ja mal lang genug gedauert! "Bitte sag mir, dass du an mein Eis gedacht hast!" Ich wollte mir schon die Tüten schnappen, um danach zu suchen, aber sie ließ mich nicht. "Vergiss es! Du wirst zur Abwechslung mal gesund essen!" Sie marschierte eiskalt an mir vorbei in die Küche. Ist das ihr ernst? Ich verhungere hier gleich und sie lässt mir mein Eis nicht? "Ich will aber mein Eis!", schmollte ich wie ein kleines Kind vor mich her, während ich ihr folgte. "Nein Mia, ich wette, heute in der Schule hattest du auch was Ungesundes!" Ich hasste es, wenn sie sich aufführte, als wäre sie meine Mutter. "Na und? Tu doch nicht so, als würdest du dich um mich sorgen! Das hast du doch auch nicht getan, als du mich gestern im Keller liegen lassen hast!" Sie warf die Tüten einfach auf den Tisch und drehte sich dann wütend zu mir um. "DU hast mich an die Wand geschleudert!" "Und ich hab gesagt, dass es mir leidtut! Was soll ich denn noch tun?" Ihre Augen glühten schon vor Wut, aber es war schon zu spät, die Bombe war kurz davor zu explodieren. "DAS MACHT ES ABER NICHT UNGESCHEHEN MIA! DU TUST NICHTS ANDERES ALS ANDERE ZU VERLETZEN UND IM STICH ZU LASSEN, GENAU WIE DAMALS BEI MUM UND DAD! DU HAST SIE EINFACH STERBEN LASSEN!" Jedes Mal war das ihr Schlusssatz und wie jedes Mal traf er mich direkt ins Herz. Aber diesmal würde ich nicht still bleiben, ich hatte es satt. Tränen der Wut sammelten sich in meinen Augen. "Ich war sieben, verdammte Scheiße! Was hätte ich tun sollen? Es alleine mit all den Vampiren aufnehmen? Du hast ja leicht reden, du warst nicht da als sie gekommen sind! Denkst du es war leicht für mich zusehen zu müssen, wie sie vor meinen Augen ermordet wurden? Seit diesem Tag hasst du mich doch insgeheim, nicht wahr? Aber denkst du ernsthaft sie haben mich einfach so laufen lassen? Nur weil ich ein Kind war?" Tränen ströhmten über meine Wangen, während meine Schwester einfach nur wortlos und sichtlich geschockt dastand. "Denk mal drüber nach, bevor du mir das nächste Mal Vorwürfe deswegen machst." Ich hatte ihr das nie sagen wollen, hatte es all die Jahre für mich behalten, aber jetzt war es schon zu spät. Ohne ein weiteres Wort drehte ich mich um und rannte auf mein Zimmer, während all die schrecklichen Erinnerungen wieder hochkamen, die ich jahrelang zu verdrängen versucht hatte. Nein nein, geht weg, ich will es nicht sehen! Denk an was anderes, an irgendwas anderes! Der neue Club! Cam und Brody würden mich bald abholen kommen. Ich sollte mich wohl langsam umziehen.

 

Zum Glück lenkte mich das Fertigmachen von dem Wirrwarr in meinem Hirn ab. Ein kurzes schwarzes Kleid und ein Paar Mörder-High-Heels später war ich auch schon fertig. Naja fast, ich schminkte mich noch etwas und glättete meine leicht welligen Haare, dann hörte ich auch schon ein Auto vorfahren. Das sind sie. Ich schnappte mir noch meine Tasche und hängte mir eine leichte Jacke um, dann war ich auch schon draußen. Ich hatte mir nicht einmal die Mühe gemacht, mich von meiner Schwester zu verabschieden. Wieso sollte ich auch? Nach all den Vorwürfen, die sie mir gemacht hat. Ich konnte aber nur hoffen, dass sie nicht gemerkt hatte, wer oder besser gesagt was mich abgeholt hatte.

 

"Du siehst toll aus!", wurde ich sofort von Cam begrüßt. "Du aber auch", zwinkerte ich. "Danke, ich finde auch, dass ich toll aussehe!", schnaubte Brody beleidigt, weil wir ihn einfach übergangen hatten. Cam und ich lachten nur. Vielleicht würde diese Nacht ja doch nicht so schlecht werden.

4. Der Retter in Not

"Wir werden hier doch ne Ewigkeit warten! Siehst du wie lang diese Schlange ist?" Wir waren gerade erst angekommen und ich bereute es schon jetzt, hier zu sein. "Nicht wenn ihr mich habt." Ein warmes Gefühl umhüllte mich beim Klang seiner Stimme. Was machte er hier? Klasse, er hatte Liam und Emma auch noch im Schlepptau! Wie viele Vampire konnten einem Jäger zugemutet werden? "Und was bringt uns deine Anwesenheit genau?" Ich versuchte kalt zu klingen, wie ich auch sein sollte. Und obwohl jeder Nerv in meinem Körper danach schrie, in seinen Armen zu liegen, geling es mir, abweisend zu wirken. Ich sah kurz Wut in seinem Gesicht aufblitzen, aber schnell änderte sich dieser Ausdruck in Überlegenheit. "Folgt mir einfach!" Er marschierte einfach an der Menschenmasse vorbei und ignorierte dabei die vielen Beschwerderufe der Menschen. "Hey Alter, lange nicht gesehn!", begrüßte er den Türsteher. Natürlich kannte er ihn, was auch sonst. Innerlich verdrehte ich die Augen, denn er war ganz klar auch ein Vampir. Langsam fragte ich mich wirklich, was das für eine Stadt war, in der es fast schon mehr Übernatürliche Personen als Menschen gab.

 

"Wen hast du denn da mitgebracht?" Er starrte mich unverwandt an und leckte sich genüsslich an den Lippen. Ekelhaft! Ich ballte meine Hände zu Fäusten, um ja nicht die Beherrschung zu verlieren. Wie würde es auch aussehen, wenn ich ihn jetzt tötete, vor so vielen Zeugen. "Sie gehört zu mir!", hörte ich ihn mit einem gefährlichen Unterton in seiner Stimme sagen. Überrascht sah ich ihn an. Das nächste, das er sagte, hätte ich ohne meine Superkräfte niemals hören können. "Rührt sie auch nur einer von euch an, seid ihr alle tot!" Er hatte ihm gedroht! Einem Vampir, also Seinesgleichen! Und das nur-um mich zu schützen?- war das überhaupt möglich?

 

"Mia, kommst du?" "Was? Ähm ja!" Die Musik war so laut, dass ich mich nicht einmal selbst denken hören konnte. "Komm, ich will einen Drink!" Brody zog mich an der Hand hinter sich her und steuerte direkt auf die Bar zu. "WAS WILLST DU?", schrie er mir ins Ohr, weil ich ihn sonst nie verstanden hätte. "COLA!" Er sah mich ungläubig an. Ich zuckte daraufhin nur mit den Schultern. Ich hatte keine Lust betrunken zu werden. Erstens musste ich meine Tarnung bewahren und das ginge nicht wenn ich nicht bei allen Sinnen wäre und zweitens redete ich betrunken immer wirres Zeug und fing an zu heulen und über meine Eltern zu reden und das durfte keinesfalls passieren.

 

Während ich auf meinen Drink wartete, sah ich mich ein bisschen um. Auf den ersten Blick sah es hier aus wie in jedem anderen Club. Musik dröhnte in meinen Ohren, auf der Tanzfläche rieben sich verschwitzte Körper aneinander und in jeder Ecke machten Betrunkene miteinander rum. Doch mein Gefühl sagte mir, dass etwas hier ganz und gar nicht stimmte. Dieses Gefühl hatte mich noch nie getäuscht, weshalb ich besonders wachsam sein musste.

 

"Hier, deine Cola!" Mit einem letzten angewiderten Blick auf mein Getränk übergab er mir das Glas. "Jetzt guck nicht so! Irgendwer muss doch auf dich und Cam aufpassen! Nicht dass ihr betrunken in irgendeiner Gasse ermordet werdet!" Ich zwinkerte vielsagend und er schüttelte nur lachend den Kopf.

 

"Sagt mir nicht, ihr habt vor, die ganze Nacht hier nur rumzustehen! Los, ab auf die Tanzfläche mit euch beiden!" Cam schob uns vor sich her. Ich bewegte meine Hüften im Takt der Musik und ich musste zugeben, dass ich Gefallen daran fand. Schon bald spürte ich zwei warme Hände an meiner Hüfte, die mich näher zu sich zogen. Wütend drehte ich mich um und schaute in dunkle Augen und zwei ausgefahrene Fangzähne. Mein Blick huschte zur Seite. Cam und Brody waren wie vom Erdboden verschluckt. Scheiße! "Möchtest du nicht wo hingehen, wo es etwas ruhiger ist?" Ich tat so, als würde seine Manipulation bei mir wirken und folgte ihm nach draußen. Hinter dem Club blieb er stehen. Wir waren komplett allein. Perfekt, wenigstens keine Zeugen! Er drehte sich zu mir und packte mich so schnell, dass ich keine Zeit hatte, meine Waffe rauszukramen. Er hielt mich fest umklammert und fing an, meinen Hals zu küssen. Sofort stieg Ekel in mir auf. Mit einem Ruck hatte ich ihn von mir gestoßen und funkelte ihn nun wütend an. Scheiß Vampir, denkt er kann an meiner Halsschlagader nuckeln! Tja, falsch gedacht! Mein Knie traf sein Ziel und er stöhnte auf vor Schmerz. "Das wirst du bereuen!" Er holte aus, doch im letzten Moment duckte ich mich weg. An der Innenseite meines Oberschenkels hatte ich ein Messer versteckt, sodass man es durch das enge Kleid nicht sehen konnte. Leider kam ich nicht dazu, es zu nehmen, denn der nächste Schlag kam so unerwartet, dass er mich zu Boden riss. Meine Stirn pochte schmerzhaft und ich musste mich zusammenreißen, nicht ohnmächtig zu werden. Meine schmerzenden Glieder ignorierend rappelte ich mich wieder auf.

 

Meine Hand schnellte zum Messer, doch bevor ich es packen konnte, wurde der gruselige Typ vor mir auf einmal durch die Luft geschleudert. Hinter ihm kam Jackson zum Vorschein, der rasend vor Wut auf den Kerl einprügelte. Ich konnte meinen Blick einfach nicht davon abwenden. Verdammt, wieso muss er auch so heiß dabei aussehen! "Ich dachte ich hätte deutlich gemacht, dass sie mir gehört!", hörte ich ihn knurren. Wieso musste er das immer sagen? Ich gehörte niemandem, und erst recht keinem Vampir! Nichts desto Trotz jagten seine Worte angenehme Schauer durch meinen Körper. Keine Sekunde später riss er ihm den Kopf von den Schultern.

 

Langsam richtete er sich auf. Seine Kleidung hatte sich schon vollgesaugt mit all dem Blut, es klebte überall an ihm. An seinen Händen, seinem Hemd, es tropfte sogar seine Mundwinkel hinab. In diesem Moment sah er einfach nur unglaublich gefährlich aus mit seinen ausgefahrenen Reißzähnen und dem unnatürlichen Leuchten in seinen silbernen Augen. Doch überraschenderweise hatte ich keine Angst vor ihm, im Gegenteil, ich fühlte mich sicher in seiner Nähe. Jeder andere wäre vor Panik weggerannt oder hätte zumindest vor Angst um Hilfe geschrien, sogar als Jäger, doch ich blieb einfach weiterhin hier stehen und starrte ihn an. Seine markanten Gesichtszüge, seine verwuschelten Haare und sein betörender Duft, der mir in die Nase stieg, je näher er an mich heran trat machten mich ganz hibbelig.

 

Seine Hand griff unter mein Kinn und hob es sanft hoch. Ich sah, wie er seine Fangzähne wieder einfuhr und mich unentwegt beobachtete, auf eine Reaktion von mir wartete, auf das, was soeben geschehen war, doch ich blieb weiterhin still. "Geht es dir gut Mia?" Sein Atem streifte mein Gesicht und löste eine Gänsehaut auf meinem gesamten Körper aus. Mehr als ein Nicken brachte ich in dieser Situation einfach nicht zustande. "Du hast keine Angst vor mir." Es war eine Feststellung und keine Frage. Mein Herzschlag verriet mich. Er war viel zu ruhig für jemanden, der gerade fast getötet worden wäre. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Mein Kopf sagte mir, ich sollte so schnell wie möglich von hier verschwinden, um meine Tarnung nicht zu gefährden, aber mein Herz wollte einfach nur von ihm in die Arme genommen werden und für immer seinen betörenden Duft inhalieren. So sehr ich es auch wollte, ich konnte mich einfach nicht von ihm lösen, ich war wie in Trance. Diese wunderschönen Augen ließen mich einfach nicht los, sie sahen mich so intensiv an, dass ich für einen Augenblick vergaß zu atmen. Dann nahm er mir die Entscheidung ab. Sein Gesicht kam meinem so nahe, dass ich ihm nicht mehr entkommen konnte, aber das wollte ich auch nicht. Und dann legte er seine Lippen auf meine. Es war ein sanfter Kuss, aber in ihm lagen so viele Gefühle, dass er mir den Atem raubte. Seine Hände zogen mich an seine starke Brust und meine Arme schlossen sich wie von selbst um seinen Nacken. Die Schmetterlinge, die in meinem Bauch tanzten, ließen mich alles um mich herum vergessen. Es zählten nur noch er und ich, wir beide. Je länger wir hier standen, desto mehr schienen meine Sorgen in den Hintergrund zu rücken. All die Zweifel, all die Gefahren, sie schienen keine Rolle mehr zu spielen. Ob er ein Vampir war oder nicht, war in diesem Augenblick nicht mehr von Bedeutung, denn wir beide genossen die Nähe des anderen. Es war, als würde mein Körper in seiner Nähe völlig verrückt spielen. Er weckte Gefühle in mir, die ich noch nie zuvor gespürt hatte und ich wollte nicht, dass dieser Moment je endete.

 

"Was ist denn hier passiert!" Wie verbrannt sprangen wir beide auseinander und starrten in Cameron's erschrockenes Gesicht. "Mia, was ist passiert? Du warst plötzlich nicht mehr da und- Ach du- Ist das ein Vampir, der hier geköpft am Boden liegt??" Ihr Blick wanderte von mir zu ihrem Bruder und dann wieder zurück zu mir. Wieso hatte ich nochmal zugestimmt, mit in den Club zu gehen? Jack seufzte resigniert. "Keine Sorge Schwesterchen, ich hab alles unter Kontrolle. Hol schon mal den Wagen, während ich ihr Gedächtnis lösche." Schon wieder?! War ein Mal in zwei Tagen denn nicht genug? "Ist das denn wirklich nötig? Ich meine, es ist doch klar ersichtlich, dass sie keine Angst vor uns hat, oder? Ich hab sie wirklich gern und ich fühl mich schlecht dabei, ihr so etwas über mich zu verheimlichen. Und außerdem denke ich, dass wir ihr vertrauen können!" Überrascht sah ich zu Cam rüber. "Tut mir leid, aber du kennst das Risiko. Wir sind nicht zum Spaß hier und du würdest es dir doch auch nie verzeihen können, wenn ihr etwas passiert und das nur, weil wir sie in die Sache reingezogen haben." Welche Sache? Wovon reden die beiden da? Konnte es etwa sein, dass in dieser Stadt mehr falsch läuft, als ich dachte? Es hörte sich fast so an, als wären sie auf irgendeiner geheimen Mission! Das müsste ich morgen unbedingt genauer nachforschen!

 

Nachdem mir meine Erinnerungen 'gelöscht' wurden - er hatte sogar den Kuss löschen wollen! - entschied Jack, mich nachhause zu fahren. Die gesamte Fahrt über sagte keiner von uns ein Wort, doch ich konnte deutlich die Blicke spüren, die er mir immer wieder zuwarf. "Geht's dir gut? Du bist so still." Natürlich geht's mir nicht gut! Ich wurde gerade fast von einem Vampir ermordet und hätte mich fast als Jägerin geoutet, was aber noch nicht einmal das Problem ist! Nein, das Problem bist du! Du hast mich geküsst du dreckiger Blutsauger und hast noch nicht einmal den Anstand, es zuzugeben! Stattdessen versuchst du mich zu manipulieren und mir meine Erinnerungen zu nehmen! Und jetzt besitzt du ernsthaft noch die Frechheit mich zu fragen, wie es mir geht?!!! "Bin nur müde, das ist alles." Ich versuchte mir meine Anspannung nicht anmerken zu lassen. Mein Kopf hämmerte noch immer vom harten Aufprall, weswegen ich mich an die kalte Fensterscheibe lehnte und die Augen schloss, um mich etwas zu beruhigen.

 

"Mia hey, wach auf. Süße, wir sind da!" Schlaftrunken öffnete ich die Augen. "Nenn mich nicht so" murmelte ich und wollte die Tür aufmachen. Stattdessen aber fuhr das Fenster runter. "Willst du etwa durchs Fenster steigen?", lachte er. Genervt verdrehte ich die Augen. Wenn ich müde war, war ich nie voll bei Sinnen. Bevor ich mich versah, war er ausgestiegen und hielt mir nun die Tür auf. "Soll ich dich bis zur Haustür begleiten?" Ich schüttelte den Kopf. Zwar war das Angebot wirklich süß, doch meine Schwester würde ihn köpfen, wenn sie etwas mitkriegen würde. "Danke, aber ist nicht nötig. Gute Nacht Jack." Ich gab ihm einen kurzen Abschiedskuss und wackelte dann halb orientierungslos auf die Haustür zu. Im Wohnzimmer sah ich meine Schwester auf der Couch liegen. Sie hatte vermutlich auf mich gewartet und war irgendwann während Gossip Girl und einer Schüssel Popcorn eingepennt. Obwohl ich sauer auf sie war, konnte ich nicht an ihr vorbei gehen, ohne eine Decke über sie zu legen. Den Fernseher schaltete ich auch noch aus und begab mich dann in mein Zimmer, wo ich mich einfach nur ins Bett fallen ließ. Ich machte mir nicht die Mühe, mich umzuziehen. Einzig die Schuhe zog ich aus, dann lullte mich die Wärme meines Betts schon ein. Erschrocken riss ich die Augen auf, als mir klar wurde, was ich vor gerade mal zwei Minuten getan hatte. Ich hatte gerade Jackson geküsst! Freiwillig! "Scheiße!"

 

 

Jackson's Sicht

 

Wie erstarrt stand ich noch immer an meinem Wagen. Die Lichter in Mia's Haus brannten schon seit Minuten nicht mehr, aber ich konnte mich einfach nicht rühren. Sie hat mich geküsst! Als wäre es das Normalste auf der Welt! Hatte ich ihr Gedächtnis nicht richtig gelöscht? Konnte es sein, dass sie sich erinnerte? Aber dann hätte sie sich doch nicht so normal verhalten in der Schule. Mein Gefühl sagte mir, dass ich etwas Entscheidendes übersah. Mein Handy riss mich aus meiner Starre und damit schob ich all diese Gedanken in die hinterste Ecke meines Gehirns und schob es auf ihre Müdigkeit. Etwas anderes konnte es ja nicht sein, oder?

 

"Jack! Wo bist du?" "Ich hab Mia nachhause gebracht. Wieso? Was ist los?" "Mia? Verdammt Jackson! Wir hatten eine Aufgabe! Seit die Kleine aufgetaucht ist, bist du gar nicht mehr bei der Sache! Schlag sie dir endlich aus dem Kopf! Du weißt genau wie wichtig heute Nacht war und jetzt ist er weg!" Frustriert fuhr ich mir durch die Haare. Er hatte recht! Sie hatte mich abgelenkt! Aber als ich spürte, dass sie in Gefahr war, hat die Mission keine Rolle mehr gespielt. Ich muss sie vergessen! "Jackson! Bist du noch dran?" "Ähm ja. Weißt du wann die nächste Lieferung kommt?" "Nächste Woche" Ich seufzte. "Gut, dann müssen wir solange die Füße still halten. Sie dürfen keinen Verdacht schöpfen! Ich will, dass du mir die Pläne des Clubs besorgst und ich brauche alle Passwörter zu den versperrten Räumlichkeiten, verstanden! Nächstes Mal darf nichts schief laufen!" "Alles klar Boss!"

 

Damit legten wir auf. Ich musste mich ablenken, um meine Gedanken von diesem Menschenmädchen zu befreien und ich wusste auch schon genau wie! Ich wählte die Nummer der Person, die mir als Erstes in den Sinn kam. "Jackson?", hörte ich ihre Stimme schon nach dem ersten Klingeln. "Hey Babe, Hast du Zeit für mich?" Ich versuchte so verführerisch wie nur möglich zu klingen. Sofort wurde sie hellhörig. "Aber für dich doch immer, Süßer!" Damit stieg ich in den Wagen und machte mich auf den Weg. So kriege ich wenigstens Mia aus meinem Kopf!

 

5. Ein mieser Tag

"BEEP BEEP BEEP!!" Mein Wecker riss mich ungewollt aus dem Schlaf. "Pssccht!" Ich wedelte mit der Hand und rollte mich einfach auf die andere Seite. Doch das nervige Geräusch hielt weiter an. Stöhnend griff ich nach dem blöden Ding und warf es gegen die Wand. Endlich Stille! Jap, ich wusste jetzt schon, dass das ein beschissener Tag werden würde. Ohne Zweifel. Gerade als ich mich wieder meinem Bett widmen wollte, klopfte es zögernd an der Tür. "Mia? Darf ich reinkommen?" Stöhnend bedeckte ich mein Gesicht mit dem riesigen Kissen, unter dem mein Kopf bis vorhin noch gelegen hatte und murmelte ein unklares. "Ja, komm rein" Obwohl ich keine Lust hatte, mit ihr zu reden und schon gar nicht so kurz nach dem Aufwachen, so wusste ich, dass ich mich nicht ewig vor diesem Gespräch drücken konnte, also wieso einen beschissenen Morgen nicht noch beschissener machen?

 

"Wir müssen reden!" "Und ich muss zur Schule." Sogar das wäre mir lieber, nur um dem hier zu entkommen. Ich musste nicht hinsehen, um zu wissen, dass meine Schwester gerade die Augen verdrehte. "Ich meine es ernst Mia! Wir müssen - Kannst du endlich aus diesem Kissen hervorkriechen und mich ansehen, während ich mit dir rede?" Genervt setzte ich mich auf und sah sie aus zusammengekniffenen Augen an. Sie ließ sich auf mein Bett plumpsen und suchte anscheinend nach den richtigen Worten, um dieses Gespräch anzufangen. Ich wusste schon, was jetzt kommen würde. Sie würde mich fragen, wieso ich ihr das nicht schon viel früher erzählt hatte. Dann würde sie mich aus ihren großen Kulleraugen ansehen und mich dafür bemitleiden, es mit angesehen zu haben. Als nächstes würde sie mich fragen, was genau denn an jenem Tag passiert war und dann kämen die Tränen. Sowohl von ihrer Seite aus, wie auch von meiner. Sie würde sich hundert Mal bei mir entschuldigen, weil sie mir die Schuld gegeben hatte und dass sie nie gemerkt hatte, wie sehr mich das Geschehene innerlich auffraß. Dann würde sie mich in ihre Arme ziehen und mir versprechen, dass alles gut werden würde, dass wir die Mörder und alle anderen Kreaturen von dieser Erde beseitigen würden, um unsere Rache zu bekommen. Was sie allerdings nicht tun würd, war, mich zu fragen, wie es mir damit ging. Ich wollte das alles nämlich gar nicht. Ich hatte so viel in meinem Leben geweint, ich wollte diese Gefühle nicht schon wieder in mir wecken. Ich wollte mit all den schrecklichen Erlebnissen einfach ein für alle Mal abschließen. Darüber zu reden würde das alles für mich nur viel schwerer machen. Alle übermenschlichen Kreaturen zu töten, würde mir auch nicht helfen, ein normales Leben zu bekommen. Nicht einmal wenn meine Eltern noch am Leben wären, würden wir ein normales Leben führen. So war es nun einmal. Wir waren Hunter, dazu bestimmt zu jagen. Doch das schließ meiner Meinung nach nur diejenigen Bestien ein, die auch wirklich Böses getan hatte, diejenigen deren Seelen bereits vollkommen verdorben waren, bei denen keine einzige Chance mehr auf Rettung bestand. Je länger ich darüber nachdachte, desto mehr schien ich einzusehen, dass ich mit meinen Eltern nie so geworden wäre, wie ich jetzt war. Ja, ich war verkorkst und ja, ich hatte Bindungsängste und ja verdammt, ich hatte noch nie jemandem mein Herz ausgeschüttet, hatte noch nie jemandem erzählt wie es tief in mir drin aussah. Aber hätte ich sie an jenem Tag nicht verloren, wer weiß, vielleicht wäre ich dann genauso geworden, wie sie. So wie sie es immer haben wollten. Eine kaltblütige Killerin, die in allem nur das Böse sah, für die es nur schwarz und weiß gab. So wie Stace geworden war..

 

"Mia, wieso hast du mir nie erzählt, was passiert ist? Ich meine klar, ich hab nie nachgefragt, aber ich dachte du wolltest nur nicht darüber reden, weil dich das alles so mitgenommen hat. Ich hätte mir nie vorstellen können, dass sie dir etwas-" Ihr Stimme brach und sie sah mich mit so viel Schmerz in ihren Augen an, wie ich es seit Mom und Dad's Tod nicht mehr gesehen hatte. Ich fühlte mich hilflos, wie ich einfach nur dasaß und sie anstarrte. Mit all meiner Kraft, versuchte ich meine Tränen zu unterdrücken. Als ich mich endlich im Griff hatte legte ich meine Hand auf Stacy's Arm, um ihr zu zeigen, dass ich ihr an nichts die Schuld gab und dass ich sie immer noch liebte, denn das tat ich auch. Obgleich ihrem unerschöpflichen Hass gegen alles Übernatürliche war sie immer noch meine Schwester und damit alles was ich hatte. "Stace, ich rede nicht darüber, weil es so leichter für mich ist. Ich weiß, du willst nur das Beste für mich und du denkst du würdest mir einen Gefallen mit diesem Gespräch tun, aber versteh doch, dass nichts was ich dir sage, irgendwas daran ändern wird. Es wird uns beide nur unnötig runterziehen und das will ich dir nicht zumuten." Benommen nickte sie einfach nur. Sie war es nicht gewohnt, dass ich Sachen vor ihr geheim hielt. Naja, eigentlich tat ich das ständig, aber das war das erste Mal, dass sie das auch wusste. Sie zog mich in ihre Arme und hielt mich so fest, dass ich Angst hatte, mir würde jede Sekunde ein Knochen brechen. "Wenn du dich irgendwann dazu entscheidest, darüber reden zu wollen...Ich bin immer hier für dich, ok Mia?" Ich nickte und lächelte in mich hinein. Dieses Gespräch war besser gelaufen, als ich gedacht hatte. "Jetzt muss ich aber zur Schule!" Entschuldigend löste ich mich aus ihrem Klammergriff und kramte in meinem Schrank nach Klamotten. "Soll ich dich fahren?" "NEIN" Verwirrt sah sie mich über meine so plötzliche Reaktion an. "Ich meine, nein danke Stace, aber ich wollte noch in dem Café vorbeischauen, wo ich gestern war und mir einen von diesen leckeren Schokomuffins holen. Da kann ich auch gleich zu Fuß gehen." "Achso, na dann bis später, ich geh ne Runde joggen" Puuh, nochmal davon gekommen. Ich hielt inne. "Stace warte!" Sie blieb im Türrahmen stehen und drehte sich fragend zu mir um. "Geh nicht in den Wald ok, ich hab vergessen, es dir zu erzählen, aber ich bin letztens nur knapp einem Werwolf davon gekommen." Schock spiegelte sich in ihren Augen. "Ach du- Geht es dir denn gut?" "Mhm, alles gut. Ich wollte nur, dass du bescheid weißt." Sie nickte und verschwand dann.

 

Nachdem ich fertig angezogen war, heute mit einer Tonne Make-up im Gesicht dank meiner dunklen Augenringe, nahm ich meine Tasche und wollte mich auf den Weg zur Schule machen. Zwar war ich viel zu übermüdet und wollte am Liebsten einfach zuhause bleiben, aber in meiner ersten Woche schon zu schwänzen würde wahrscheinlich nicht allzu gut ankommen. Summend schloss ich die Haustür hinter mir ab und bekam fast einen Herzinfarkt als ich die laute Hupe des Autos hinter mir hörte. "Brauchst du ne Mitfahrgelegenheit?" Ein fröhlich grinsender Brody winkte mir aus seinem Geländewagen. "Du hast mich fast zu Tode erschreckt!", beschwerte ich mich, während ich meine Tasche auf den Rücksitz warf. "Du sahst so müde aus, ich dachte du brauchst etwas, das dich aufweckt." Wütend sah ich ihn an. "Mach das ja nie wieder, kapiert! Schleich dich nicht an mich ran, hup nicht, wenn ich in Gedanken bin und mach das erst recht nicht, wenn ich noch keinen Kaffee hatte!" "Du bist ja ein Morgenmensch", lachte er. "Hmpf" "Ich weiß, wie ich dich aufmuntern kann!" Zweifelnd blickte ich ihn an. "Wie wärs mit Frühstück bei Mc Donalds?" Während er das sagte, hob er seine Augenbrauen anzüglich auf und ab. Ein Kichern entfuhr mir, als er dann auch noch anfing zu singen. "Du spürst den Morgen, siehst die Sonne. Wir geh'n zum Frühstück bei Mc Donalds Eaasy Morning." "Hör auf, du quälst meine Ohren mit deinem Gesang", lachte ich, woraufhin er nur noch lauter sang. Er war so vertieft darin, dass er sich nicht mehr auf die Straße konzentrierte. Die rote Ampel war so leicht zu übersehen für jemanden, der in Gedanken versunken war. Ich hätte es wissen müssen. Heute konnte kein guter Tag werden, das hatte mir mein Bauchgefühl gleich nach dem Aufstehen gesagt. Der Wagen raste direkt auf mich zu, viel zu schnell, als dass ich reagieren konnte. Der Aufprall kam so plötzlich, dass ich nicht einmal vor Schreck aufschreien konnte. Innerhalb von einer Sekunde spürte ich die Luft aus meinen Lungen weichen, als ich von rechts und von vorne eingequetscht wurde. Nach Luft röchelnd klammerte ich mich an den Sitz, als ich spürte, wie sich Scherben tief in mein Fleisch schnitten. Ich betete zu Gott, einfach nur ohnmächtig zu werden, aber natürlich passierte das nicht. Stattdessen spürte ich das kalte Metall in meiner Hüfte, wie es sich immer tiefer und tiefer in meine Haut bohrte und die Narbe dabei aufriss, die nie wirklich geheilt war. Nur wage bekam ich mit, wie sich die Welt um mich zwei Mal drehte, während sich das Auto überschlug. Der Schmerz, der in diesem Augenblick durch meinen Körper zuckte, war so überwältigend, dass jeder Versuch zu atmen, das Metall dazu brachte, sich noch tiefer in mein Fleisch zu bohren. Irgendwann kamen wir zum Stehen und der einzige Gedanke, der in meinem Kopf schwebte war Brody. Ging es ihm gut? War er verletzt? "Brody?" Meine Stimme war kaum mehr als ein Keuchen. Blut tropfte aus meinem Mund und ich wusste, dass die Chancen schlecht um mich standen. "Mia?" Seine Stimme drang nur gedämpft in meine Ohren. "Verdammt, es tut mir so leid!" Durch halb geschlossene Lieder sah ich, wie er mich von dem Gurt befreite. Meine Augen waren so unglaublich schwer, doch wenn ich sie jetzt schloss, würde ich sie nie wieder öffnen können und deshalb musste ich stark bleiben. Im schlimmsten Fall hätte ich noch immer Jackson's Blut in meinem Kreislauf was bedeuten würde, ich würde als Vampir auferstehen und das durfte noch weniger passieren."Mia, bleib bei mir, hörst du mich?!" Ich hörte Panik in seiner Stimme mitschwingen. "Hör mir zu Mia, ich werde dir jetzt mein Blut geben! Du musst mir vertrauen ok. Ich weiß, wie abwegig das klingt, aber nur so kann ich dich retten!" Er wartete auf meine Reaktion, aber ich hatte keine Ahnung, was ich sagen sollte, oder ob ich überhaupt die Kraft besaß, irgendwas zu sagen. "Vertraust du mir?", hörte ich ihn fragen. Ohne zu zögern nickte ich benommen. Dann spürte ich schon etwas an meinen Lippen, sein Arm vermutete ich. Die dunkelrote Flüssigkeit klebte an meinen Lippen. Zögernd schluckte ich es runter. Es war nicht wie bei Jackson, zwar löste sein Blut ein angenehmes Kribbeln in meinem Körper aus, doch das kam bei Weitem nicht an das ran, das Jack bei mir ausgelöst hatte. Während ich trank spürte ich, wie Brody vorsichtig, die Splitter aus meinem Körper zog. Ganz langsam wuchsen die Wunden wieder zusammen und das einzige, das blieb, war die Narbe, die mich schon seit Jahren zierte.

 

Befreit atmete ich auf, die Erleichterung, die mich in diesem Moment durchflutete, ließ Tränen in mir aufkommen. Brody zerrte mich aus dem völlig demolierten Wagen und nahm mich in seine Arme. "Es tut mir so leid Mia. Ich hab nicht aufgepasst. Du- du hättest tot sein können!" Ich bildete mir ein, ein Schluchzen zu hören. Konnte es sein, dass ich ihm wirklich so viel bedeutete und das schon nach so kurzer Zeit? "Wie willst du der Rettung erklären, dass ich noch lebe?" In diesem Moment hörte man schon die Sirenen. "Lass das mal meine Sorge sein. Ich bin nur froh, dass es dir gut geht." "Ja dank dir."

 

Brody manipulierte sowohl die Sanitäter und Polizisten, als auch alle Menschen, die etwas mitgekriegt hatten während ich einfach nur daneben stand und ihm dabei zusah. "Kommst du damit klar?" Irritiert über seine Frage, sah ich ihn an. Eigentlich hätte ich erwartet, dass er mein Gedächtnis jetzt auch löschte. "Womit?", fragte ich, um mir wirklich sicher zu sein. "Dass ich ein Vampir bin" Er hatte es nur zögerlich ausgesprochen, als hätte er Angst, ich würde deswegen die Nerven verlieren, was man als normaler Mensch ja eigentlich auch sollte. Doch da ich kein normaler Mensch war, geriet ich auch nicht in Panik. "Brody, du hast mir vor nicht einmal zehn Minuten das Leben gerettet! Denkst du, ich bekomme jetzt plötzlich Angst vor dir?" Ein breites Lächeln zierte sein Gesicht. "Müssen wir jetzt aber wirklich noch zur Schule? Ich meine nach dem, was gerade passiert ist-?" Hoffnungsvoll sah ich ihn an. "Tut mir leid Mäuschen, aber wir dürfen nicht zulassen, dass die anderen Verdacht schöpfen." Die anderen? Meinte er etwa-? "Also willst du nicht, dass Ja- ähm Cam und die Anderen bescheid wissen?" Er schüttelte den Kopf. "Sie dürfen nicht wissen, dass du das über uns weißt. Versprich mir, dass du es für dich behältst!" Wow, er musste mir ja wirklich vertrauen, wenn er mir das anvertraute. Ein warmes Gefühl überkam mein Herz. Es fühlte sich so an, als würde uns etwas verbinden. Dieses plötzliche Vertrauen zu ihm, blindes Vertrauen, so hatte ich noch nie zuvor für jemanden außer für Stacy empfunden. Es fühlte sich fast so an als wären wir zwei Geschwister, die ein Geheimnis bewahrten. Genau das war das richtige Wort: Geschwister.

 

***

 

"Da seit ihr ja endlich! Wo wart ihr so lange und wieso seit ihr ohne Auto hier?" Cam gab mir zur Begrüßung eine kurze Umarmung und sah uns beide dann skeptisch an. "Ja Bro, du gehst doch sonst auch nie zu Fuß zur Schule!" Liam durchbohrte ihn mit seinen Blicken. Er war sichtlich überfordert weshalb ich mir eine schnelle Lüge ausdachte. "Brody wollte mich abholen, aber auf dem Weg hierhin, hat sein Wagen den Geist aufgegeben. Wir mussten den Pannendienst anrufen, deswegen sind wir erst jetzt hier." Zum Glück schienen alle mit dieser Antwort besänftigt zu sein, aber wo war-? Als meine Augen ihn fanden, fuhr ein Stich durch mein Herz. Er stand eng umschlungen mit einer Barbie Blondine an der Schulmauer. Mein ganzer Körper gefror, als ich mitansah, wie seine Lippen ihren Hals entlang fuhren und sie bei seiner Berührung aufseufzte. Der Schmerz, der in diesem Moment in meinem Inneren tobte, war mit dem Unfall kein Stück zu vergleichen. Dort wusste ich wenigstens, dass der Schmerz durch die Splitter verursacht worden war, aber jetzt konnte ich die Herkunft des Schmerzes nicht genau ausmachen. Mir war, als würde mein gesamter Körper in Flammen stehen, als würde ich innerlich Stück für Stück auseinandergenommen. Es tat so weh, dass ich es kaum schaffte, das Gewicht meines eigenen Körpers zu tragen. "Mia? Bist du noch da?"

 

Ich wurde so abrupt aus meinen Gedanken gerissen, dass ich einen Moment brauchte, um zu reagieren. Dank dem riesigen Kloß, der mir plötzlich im Hals steckte, brachte ich kein einziges Wort über die Lippen und nickte stattdessen nur. Ich hoffte, dass sie mein falsches Lächeln nicht als solches enttarnten. Obwohl Cam mich skeptisch beobachtete, sagte sie nichts zu meinem komischen Verhalten. Ich folgte ihr und den anderen ins Gebäude. "Heute haben wir alle Fächer gemeinsam", rief sie freudig, während sie wie ein Kind in die Hände klatschte. "WARTE!" Alle drehten sich erschrocken zu mir um. "Ich brauch noch einen Kaffee bevor ich da rein gehe!" Ich deutete auf Mr. Bradshaw's Klasse. Cam kicherte. "Ich glaube er hat den Kaffee nötiger als du." Alle stimmten in das Lachen mit ein, nur ich streckte ihnen allen ladylike meine Zunge raus.

 

"Ms. Gold, Sie sind zu spät!" Während er mich anbrüllte, stand er mit dem Rücken zu mir. Dass Cam neben mir stand, beachtete er gar nicht. "Bin ich nicht!" Die Schulglocke ertönte zum Unterrichtsbeginn und ich lächelte zufrieden. "Wollen Sie sagen, dass ich lüge?" Die Wut in seiner Stimme war nicht zu überhören. Langsam trieb er es echt zu weit. "Sind Sie taub, oder haben Sie nicht gehört wie es gerade geklingelt hat, NACHDEM ich schon im Klassenzimmer war?!" "Der Unterricht hat begonnen und Sie sitzen noch immer nicht auf Ihrem Platz", antwortete er ruhig und sah mich daraufhin überlegen an. "Weil SIE mich aufgehalten haben!" Meine Stimme war schon fast ein Brüllen. "Langsam reicht es mir mit Ihnen, Ms. Gold! Mit Ihrem respektlosen Verhalten werden Sie es nicht mehr weit bringen in Ihrem Leben! Ihre Eltern müssen sich für Sie schämen!" Der Stich der bei diesen Worten in mein Herz fuhr ließ mich aufkeuchen vor Schmerz. Ich war sprachlos, etwas, das nicht oft vorkam. Doch in diesem Moment konnte ich nichts weiter tun als den Mann vor mir mit großen Augen anzustarren. Meine Augen füllten sich mit Tränen, die ich mit aller Macht zu unterdrücken versuchte. Er hatte meinen einzigen wunden Punkt getroffen, und obwohl er es nicht wissen konnte, so riss es doch die alten Wunden wieder auf. Das Wissen, dass ich nie gut genug für meine Eltern gewesen war, nie kaltherzig genug, um blind drauf los zu töten. All der Schmerz kam wieder hoch. "Jetzt setzen Sie sich gefälligst auf Ihren Platz damit ich endlich mit meinem Unterricht beginnen kann!" Statt seinem Befehl zu folgen, rannte ich einfach aus dem Klassenzimmer. Ich musste mich beruhigen und da drin würde ich meine Tränen nie und nimmer im Zaum halten können. "Wo wollen Sie hin?! DAS GIBT EINEN MONAT NACHSITZEN!" Es war mir egal. Alles könnte ich ertragen, aber nicht, vor all den Menschen zu weinen, dafür war ich zu stolz, zu stark, vielleicht auch zu ängstlich, um meine Schwäche preiszugeben.

 

Während ich orientierungslos aus der Schule und in den angrenzenden Wald rannte, spürte ich, wie mir jemand hinterherrannte. Ich wollte nicht, dass mich jemand so sah. Niemals zeigte ich jemandem meine verletzliche Seite und das würde sich heute auch nicht ändern. Ich beschleunigte mein Tempo und versuchte meinen Verfolger abzuhängen, aber das schien unmöglich. Als mir dann noch eine Wurzel in den Weg trat, gab ich meine Flucht endgültig auf. Mit einem lauten Platsch fiel ich in den matschigen Boden. Ich schaffte es nicht mehr, die Flut an Tränen zurückzuhalten. Langsam bahnten sie sich ihren Weg über meine Wangen und fielen dann lautlos auf den Boden. Zwei starke Arme schlangen sich um meine Hüfte und hievten mich wieder auf die Beine. Sofort drang mir sein vertrauter Duft in die Nase. Er darf mich so auf keinen Fall sehen! "Was ist los, Mia?" Die Art wie er meinen Namen aussprach ließ hunderte Schmetterlinge in meinem Bauch explodieren. Er versuchte mein Gesicht zu sich zu drehen, aber ich ließ ihn nicht. "Geh weg Jackson!" Zum Glück hörte man meiner Stimme nicht an, wie emotional am Ende ich war. Unbemerkt wischte ich über meine nassen Wangen. "Ich werde nicht gehen, bevor du mir nicht gesagt hast, was los ist." Sein Atem kitzelte meinen Nacken, so nahe standen wir aneinander. Sofort musste ich daran denken, wie ich ihn vorhin mit dieser Barbie gesehen hatte. Ich befreite mich aus seinen Armen und drehte mich wütend zu ihm um. "Das geht dich ja wohl nichts an, was mit mir los ist! Verschwinde einfach und lass mich in Ruhe!" Für einen Moment glaubte ich, Schmerz in seinen Augen gesehen zu haben, aber dieser kleine Funke war so schnell verschwunden, dass ich es mir bestimmt nur eingebildet hatte. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren drehte er sich um und ging. Obwohl ich es war, die ihn weggeschickt hatte, tat es doch weh, ihn einfach so gehen zu sehen.

"Ok Mia, beruhige dich! Du hattest einen kurzen Aussetzer, aber alles ist wieder gut. Du musst dich beherrschen!" Jap, ich redete gerade wirklich mit mir selbst, aber erstaunlicherweise half es mir wirklich, mich wieder zu beruhigen. "Piep !Piep!" Mein Handy. Es war Cam.

 

Hey Mia, ist alles in Ordnung? Ich mach mir Sorgen um dich, bitte melde dich! -Cam

 

Ich bemerkte erst jetzt die vielen verpassten Anrufe von ihr und Brody. Wahrscheinlich sollte ich wieder zurück gehen. Vorher schrieb ich ihr aber noch zurück.

 

Ja, alles gut! Ich war nur zu wütend und brauchte etwas frische Luft, aber ich bin gleich wieder in der Schule. Wir sehen uns in der Cafeteria. -Mia

 

Ich wusste selbst, dass das eine miese Ausrede war, aber nach allem was heute passiert war, würde wenigstens Brody Verständnis für meinen Ausraster haben, auch wenn er es wahrscheinlich auf den Unfall schieben wird. Ich war ziemlich weit gerannt, also musste ich meine Kräfte benutzen, um rechtzeitig zur Mittagspause wieder da zu sein. Die Zeit war so schnell vorbeigegangen, dass ich gar nicht gemerkt hatte, wie lange ich weg gewesen war.

 

***

 

Als ich nach einer gefühlten Ewigkeit endlich den Essenssaal betrat, kam mir der herrliche Duft von Spaghetti entgegen. Wenigstens etwas, vorauf ich mich heute freuen kann! Ich sah schon von hier aus, wie Brody aufsprang und auf mich zurannte und mich mit einer stürmischen Umarmung begrüßte. "Süße, du kannst doch nicht einfach so weglaufen! Weißt du, was für einen Schrecken du uns eingejagt hast! Ich dachte schon fast, dir wäre etwas passiert!" Ich lächelte gerührt über seine Sorge. "Keine Sorge, ich bin hart im Nehmen, aber das weißt du ja schon!" Ich spielte auf heute Morgen an, als er mir sein 'Geheimnis' verraten hatte. Er lachte und wollte mich zum Tisch rüber ziehen, aber ich blieb stehen.. Nicht die schon wieder! Meine Hände ballten sich zu Fäusten, als ich Barbie auf Jack's Schoß sitzen sah. Wie nicht anders zu erwarten schienen sie ziemlich vertieft ineinander zu sein. Wieder spürte ich den schmerzhaften Stich in meiner Brust, der mir den Atem verschlug. So sehr ich mich auch dagegen wehrte, er schien meinen gesamten Körper einzunehmen. Fühlte sich so Eifersucht an? Konnte ich denn überhaupt eifersüchtig sein? Nein, niemals, das müsste ja heißen, dass ich Gefühle für ihn habe! Für ihn! Einen Vampir! Einen blutsaugenden, Menschen tötenden, unglaublich scharfen, mir das Leben rettenden,..- STOP! Ich musste aufhören zu schwärmen! Die Schmerzen wurden stärker, je länger ich hinsah, deshalb zwang ich mich, mich auf etwas anderes zu fixieren! Doch das Gefühl in meiner Brust ging trotzdem nicht weg.

 

'Sie gehört mir!' Diese Worte spukten plötzlich wieder in meinem Kopf und ich verstand einfach nicht, wieso er zuerst Anspruch auf mich nahm und dann am nächsten Tag sofort etwas mit diesem Miststück anfing. Es sollte mir egal sein. Es sollte mich nicht kümmern, aber das tat es und es machte mich wütend, wie viel Macht er über meine Gefühle hatte. Ich musste doch irgendetwas tun können, etwas, das ihn rasend machen würde. Er ist doch so durchgedreht, als er gesehen hat, dass ich mich gut mit Brody verstehe... Nachdenklich sah ich zu Brody. "Ich bin dabei!" Mit großen Augen sah ich ihn an. "Woher-?" "Ich kenne diesen Blick nur zu gut Schätzchen. Ich muss sagen, Eifersucht steht dir nicht", neckte er mich. "Ich bin nicht-!", versuchte ich zu bestreiten, aber er unterbrach mich. "Und ob du das bist! Und er wird es auch sein!" Ein creepiges Grinsen schlich sich auf sein Gesicht. Konnte es sein, dass ich wirklich so leicht zu durchschauen war? Ohne Vorwarnung nahm mich Brody plötzlich an der Hand und zog mich neben sich her zum Tisch zu den anderen. "Es muss ja glaubwürdig aussehen", grinste er und gab mir einen Kuss auf die Backe. Etwas überfordert von der Situation nickte ich nur leicht und spürte meine Wangen auch gleich rot anlaufen. Zwar hatte ich mit diesem Gedanken gespielt, aber eigentlich hatte ich nicht wirklich vorgehabt, das auch durchzuziehen. Jetzt war es jedoch zu spät. "Seit wann seid ihr beiden denn zusammen?" Emma grinste uns an und hob anzüglich die Augenbrauen. "Seit heute!", antwortete Brody für mich. Ein bedrohliches Knurren lenkte meine Aufmerksamkeit auf Jackson. Für normale Ohren war es viel zu leise gewesen, aber ich hatte es gehört. Ein tiefes Knurren, das tief auf seiner Brust kam. Innerlich jubelte ich vor Freude, doch äußerlich blieb ich vollkommen ruhig. Mein Kopf sagte mir die ganze Zeit, was für eine dämliche Idee das doch war und dass ich niemandem etwas beweisen musste, schon gar nicht einem Vampir, doch ich konnte einfach nicht anders, als mich zu freuen, weil er anscheinend doch etwas für mich empfand. "Schatz? Hörst du überhaupt zu?" Mit diesen Worten wurde ich wieder in die Realität katapultiert. Ich nickte nur hilflos, weil ich keine Ahnung hatte, was ich gerade gefragt worden war, doch aus dem Augenwinkel konnte ich ganz deutlich sehen, wie Jack das Gesicht verzog beim Wort 'Schatz'. Sofort schlich sich ein schadenfrohes Grinsen auf mein Gesicht, das auch den Rest der Pause nicht wegging.

 

6. Beziehungsstatus: vergeben?

 

Die restliche Pause sagte Jack kein einziges Wort, nicht einmal seiner Barbie schenkte er Aufmerksamkeit. Er starrte nur wütend in der Gegend rum und warf hin und wieder einen Blick auf mich und Brody, die die ganze Zeit Händchen haltend dasaßen und uns köstlich mit den anderen amüsierten. Als es zur Stunde klingelte erhob ich mich mühselig von meinem Stuhl. "Hmpf, Kampftraining" "Aber dieses Mal hast du ja mich und Brody dabei!" Sofort hellte sich meine Miene ein wenig auf. "Heißt das, ich kann meinen Partner wechseln?!" "Nein kannst du nicht", zischte Jackson und warf mir dabei einen Killerblick zu, bei dem mir das Blut in den Adern gefror. "Du wurdest mir zugeteilt, das heißt ich bin dieses Semester für dich verantwortlich!" Mit diesen Worten rauschte er davon und ließ uns alle mit offenen Mündern zurück. "Dreht dein Bruder öfter so durch?" Cam schien selbst geschockt über Jacksons Reaktion zu sein, weshalb sie anscheinend kein Wort rausbrachte. Liam war so freundlich, auf meine Frage zu antworten. "Nein, eigentlich erst seit er dich kennt."

 

War das jetzt ein gutes oder ein schlechtes Zeichen, dass er so aufbrausend war, seitdem er mich kannte? "Mia, wir müssen reden", hörte ich Brody in mein Ohr flüstern. "OHO, GIBT ES DA ETWA SCHON ÄRGER IM PARADIS?" "Halt dich da raus Liam!", antworteten wir beide synchron. "Schon gut, schon gut, geht mich ja nichts an. Komm Schatz!" Er zog Emma hinter sich her. Wieso merke ich erst jetzt, dass die beiden zusammen sind? "Ich hab da eine Vermutung, aber ich kann es dir erst sagen, wenn wir alleine sind." Wovon redete er denn jetzt? Achso ja, er wollte ja mit mir über irgendwas reden. "Hmm. Wie wär's nach der Schule. Ich kenn da ein kuscheliges Café wo wir ungestört reden könnten." Beim Gedanken an die leckeren Muffins fing mein Magen sofort an zu rebellieren. "Knurrt dein Magen etwa gerade?", lachte er. Ich zuckte mit den Schultern. "Aber du hast doch gerade eben erst drei Portionen Spaghetti in dich hineingestopft!" Ich rümpfte gespielt die Nase. "Willst du mir damit etwa sagen, dass ich fett bin?!" Seine Augen erkundeten nachdenklich meinen Körper. "Naja, wenn ich ehrlich sein soll, siehst du heute schon etwas aufgebläht aus." Ich schnappte nach Luft. "DAS NIMMST DU ZURÜCK!!" "Vielleicht...", lachte er. "Aber zuerst musst du mir beweisen, dass du vor mir in der Halle sein kannst." "Herausforderung angenommen!", schrie ich und rannte ihm hinterher. Cam belächelte unser Verhalten nur wünschte mir viel Glück. Das konnte ich auch gut gebrauchen. Dieser Junge war schneller als er aussah. Scheiß Vampir! "Na, hast du etwa nicht mehr drauf?" Er dreht sich mit dem Gesicht zu mir und rannte jetzt rückwärts. Und trotzdem war er schneller als ich! "DAS IST NICHT FAIR!" "Ich kann nichts dafür, dass Mutter Natur mir meine Gene gegeben hat!" Von mir aus, wenn er seine Gene einsetzen kann, kann ich das doch auch! Ich beschleunigte mein Tempo und war jetzt auf gleicher Höhe wie Brody. Dieser hatte sich wieder umgedreht und drohte, vor mir das Ziel zu erreichen. Kurzer Hand sprang ich im letzten Moment auf seinen Rücken und krallte mich an ihm fest. In genau diesem Augenblick betrat er die Halle, die zum Glück noch leer war. "Ich hab gewonnen, Fettklops!", lachte er und warf mich von seinen Schultern. "Hast du nicht! Wir sind gemeinsam hier reingelaufen!" "Ich hab ja auch gesagt du musst VOR mir hier sein und nicht zur gleichen Zeit wie ich!" Toll, darauf wusste ich nun wirklich keine Antwort. Beleidigt schnaubte ich und murmelte ihm einige nicht jugendfreie Beschimpfungen an den Kopf, während ich mich auf den Weg in die Umkleide machte. Hinter mir hörte ich sein lautes Lachen und wie er mir sagte, ich sei eine schlechte Verliererin. Damit hatte er noch nicht einmal unrecht. Ich hasste es zu verlieren, ganz besonders gegen Vampire.

 

 

***

 

"Heute werd ich dir zeigen, wie du dich verteidigst." Seine monotone Stimme ließ mich eine Augenbraue heben. "Von mir aus" Er setzte zum Schlag an, dem ich geschickt auswich. "Ich sagte verteidigen und nicht weglaufen!", schnaubte er sauer. "Weglaufen ist auch eine Art der Verteidigung!", verteidigte ich mich. "So oder so kommt man unverletzt davon!" Das hatte ich vor einiger Zeit gelernt, denn manchmal war wegrennen wirklich die bessere Lösung. Hätte ich das damals gewusst, würde ich heute wahrscheinlich nicht diese Narbe an meinem Bauch tragen. Instinktiv fasste ich mir an diese Stelle. Selbst unter dem Stoff des T Shirts konnte ich sie genau ausmachen. Eine ungerade Linie, die meinen Körper auf ewig zeichnen würde. Ich war so in Gedanken, dass ich gar nicht merkte, dass Jackson mich zu Boden warf, bis ich unter ihm lag. "Wo bist du mit deinen Gedanken?! Von deinem Freund kannst du auch nach dem Unterricht tagträumen!" Ich hätte über seine Worte gelacht, wenn nicht etwas anderes meine Aufmerksamkeit beansprucht hätte. Beim Fall war mir das Shirt nach oben gerutscht weshalb die Narbe jetzt mehr als deutlich zu sehen war. Blitzschnell schoss meine Hand an die Stelle und wollte sie verdecken, aber Jack hielt geschickt meine Hand fest. Sein Blick fuhr zu meiner Hüfte und ich sah, wie sich seine Augen weiteten. Ein Kloß bildete sich in meinem Hals, den ich vergeblich versuchte wegzuschlucken. "Was ist da passiert?" Seine Stimme war kaum mehr als ein Hauchen. Jegliche Wut darin war gewichen und machte Platz für die Sorge, mit der er mich jetzt ansah. Ein gequältes Lächeln bildete sich in meinem Gesicht während ich versuchte so gleichgültig wie nur möglich zu antworten. "In diesem Fall wäre wegrennen vermutlich besser gewesen." Es war mir nicht gelungen. Ich war einfach zu durchschaubar. Er konnte genau sehen, wie sehr mich der Gedanke daran quälte. "Wer hat dir das angetan Mia?" Ich hätte es fast getan, hätte ihm fast geantwortet. Alles in mir brannte danach, jemandem davon zu erzählen, meine Seele zu entlasten, mich auszuweinen, weil ich damals so dumm gewesen war, weil ich nicht verstanden hatte, dass es sehr wohl auch Leute gibt, die nicht nur das Beste für dich wollen. "Ich-" "JACKSON! NEULING! Was liegt ihr da so rum! Wir sind nicht zum Kuscheln hier sondern zum Trainieren!!" Ich war so kurz davor gewesen, aber diese Unterbrechung war für mich ein klares Zeichen. Ich konnte es ihm nicht sagen.

 

Die restliche Stunde verlief mehr oder weniger unspektakulär. Jackson zeigte mir einige Tricks, mit denen ich mich verteidigen konnte und überraschenderweise kannte ich einige davon noch nicht. Jedoch blieb die ganze Zeit über diese Spannung zwischen uns erhalten. Er durchbohrte mich mit seinen Blicken, versuchte in meinem Gesicht abzulesen, was damals mit mir passiert sein könnte, doch ich blockte ab und behielt mein Pokerface bei. Als die Stunde endlich zu Ende war, beeilte ich mich, von ihm wegzukommen, doch er hielt mich ab indem er mich am Handgelenk packte. "Mia" Die Art wie er meinen Namen aussprach ließ mein Herz höher schlagen. "Ich kann nicht Jackson. Bitte, dräng mich nicht dazu." Meine gequälte Stimme schien in zu überzeugen, denn er ließ mich - wenn auch zögerlich - los. Schnell ging ich zur Umkleide, wo ich auch sofort von Cam abgefangen wurde.

 

"Hey Mia, was ist denn da zwischen dir und meinem Bruder gelaufen?" "Nichts", antwortete ich unschuldig. "Ist klar, also war es nur Teil des Trainings, dass er so lange auf dir gelegen ist." Der spöttische Unterton in ihrer Stimme war nicht zu überhören. "Glaub mir. Da ist nichts." "Schade, ihr wärt ein echt süßes Pärchen ihr beiden." Ich spürte meine Wangen wärmer werden und wusste sofort, dass ich aussah wie eine Tomate. Wissend schaute sie direkt durch mich hindurch. "Das würde dir gefallen! Ohmeingott ich wusste es! Du stehst auf ihn!" "Ich bin mit Brody zusammen!", verteidigte ich mich, was sie aber nicht überzeugte. "Ach komm schon. Ganz ehrlich. Wenn du die wahl hättest zwischen den beiden, wer würde es sein?" "CAM!" "Schon gut, ich hör ja schon auf, aber wir wissen beide, dass ich recht habe!" Augenrollend warf ich mit meiner Hose nach ihr. "Keine Sorge Süße, dein Geheimnis ist bei mir sicher! Achja Mia, hast du Lust morgen nach der Schule shoppen zu gehen? Da ist dieser Laden in der Stadt und die haben gerade eine neue Kollektion reinbekommen!" Das glückselige Leuchten in ihrem Augen brachte mich zum Schmunzeln. "Wieso nicht, ich brauch e ein paar neue Klamotten!"

 

 

***

 

"Also, was ich dir sagen wollte.." Brody saß mir gegenüber am Tisch und nippte an seiner heißen Schokolade, während ich meinen Cappuccino genoss. "Weißt du, bei uns Vampiren ist es so, sobald wir geboren oder verwandelt werden, entsteht eine besondere Bindung zwischen uns und einem Menschen. Wir müssen ihn oder sie gar nicht kennen, um zu wissen, dass es sie gibt und um uns zu ihr hingezogen zu fühlen. Egal wie sehr du es verleugnest oder verdrängst, begegnet dir dieser Mensch, wird deine ganze Welt auf den Kopf gestellt. Alles was dir einmal wichtig war, verliert an Bedeutung, wenn es nicht zu ihrem Wohl ist. Egal ob mit Absicht oder nur aus Instinkt, alles was du tust, ist, um sie zu beschützen." Was wollte er mir damit sagen? "Brody, mir gefällt nicht in welche Richtung das geht.." "Hör mir doch mal zu! Ich weiß, das hört sich verrückt an, aber so verrückt ist es gar nicht. Unsere Gefährten sind sozusagen unsere zweite Hälfte. Wir wissen nicht, dass wir sie brauchen, bis wir sie haben und dann jemals wieder ohne sie zu sein würde uns brechen." "Willst du mir etwa damit sagen, dass du-? Ich meine, ich hab dich wirklich gern Brody und ich fühle eine Verbindung zu dir, aber ich denke nich-" "GOTT NEIN! ICH MEINE JACKSON! Wie offensichtlich muss ich denn noch sein!" Er hatte diese Worte so laut gesagt, dass sich alle Köpfe in unsere Richtung drehten, aber das nahm ich nur am Rande meiner plötzlich verschwommenen Sicht wahr. Mein Mund war aufgeklappt und ich suchte in seinen Augen nach Anzeichen von Lügen. Ich fand aber nichts. "Du-du- Jack? A-aber-" Mir fehlten die Worte. Das war unmöglich! Er konnte doch nicht?-oder doch? Mein Kopf explodierte vor lauter Fragen, die in ihm herumschwirrten. "Mia, denk doch mal logisch nach. Er ist immer in deiner Nähe, er starrt dich die ganze Zeit über an und beobachtet dich, um sicherzugehen, dass es dir gut geht. Sobald ein männliches Wesen dir auch nur zu Nahe kommt, reißt er ihm mit seinen Blicken den Kopf von den Schultern." Plötzlich fiel mir wieder unsere Begegnung im Wald ein, wie er mich gerettet hatte, wie nahe wir uns gekommen waren, der Kuss! Automatisch griff ich mir an die Lippen und wollte mich an dieses Gefühl zurückerinnern. VAMPIR! schrie mein Innerstes und sofort schlug ich mir innerlich gegen die Stirn. Kopfschüttelnd sah ich ihn an. "Nein, das stimmt nicht, du interpretierst zu viel hinein in die ganze Sache Brody." "Mia-" "Nein, ich will jetzt das Thema wechseln. Und außerdem sollte ich langsam Mal nachhause." Verständnisvoll sah er mich an. "Ich weiß, diese ganze Vampirsache ist bestimmt viel auf einmal für dich, aber du weißt, dass ich immer da bin, wenn du mich brauchst. Egal ob du irgendetwas wissen möchtest, oder einfach eine Schulter zum Ausheulen brauchst, bitte zögere nicht, zu mir zu kommen, ok?" Er hielt meine Hand in seiner umschlungen auf dem Tisch. Das warme Gefühl das in diesem Moment mein Herz überkam ließ mich lächeln. Er war so unglaublich fürsorglich, ich hatte ihn wirklich gern um mich rum. "Danke Brody. Ich weiß das wirklich zu schätzen. Achja und falls dich mal irgendetwas bedrücken sollte, kannst du auch immer mit mir reden." "Danke" "Wozu sind Fake-Freundinnen denn da?" Ich grinste ihn an und er grinste zurück. So saßen wir noch eine Weile am Tisch, bis wir uns entschieden, nachhause zu gehen. Brody zahlte natürlich ganz Gentleman-like für uns beide und begleitete mich ein Stück, damit ich nicht alleine gehen musste.

 

 

***

 

"Ich bin zuhause!" Mit diesen Worten schlug ich die Haustür hinter mir zu. "Ich bin in der Küche!", hörte ich sie rufen. "Hey Mia, was hältst du davon, wenn wir später jagen gehen? Irgendwie sind wir seit unserer Ankunft nicht wirklich dazu gekommen." Dankend nahm ich den Teller entgegen, den sie mir reichte und lächelte freudig über die lecker aussehenden Nudeln. "Klar, ich wollte ohnehin heute Abend jemanden erledigen." Erschrocken sah sie mich an. "Du hast schon jemanden gefunden? Wieso hast du ihn denn nicht sofort getötet? Hast du sie eigentlich noch alle, wer weiß, wie viele Unschuldige er seitdem schon getötet haben könnte??!" "Jetzt halt doch mal die Luft an Stace! Erstens habe ich ihn noch nicht persönlich gesehen, ich weiß nur, dass er sich im Moment hier aufhalten muss und zweitens werde ich bestimmt nicht durch die Gegend spazieren und wahllos übernatürliche Wesen ermorden!" "Bestien zu töten ist unser Job, Mia!" "Du sagst es! Bestien!! Aber niemanden der sich anpasst und einfach ganz normal unter den Menschen leben will!" Der Sessel fiel zurück, als sie aufstand und mich anfunkelte. "Fängst du jetzt schon wieder mit diesem Unsinn an? Das sind Monster Mia! Tötungsmaschinen auf zwei Beinen! Bei Werwölfen sogar auf vier Beinen! Du denkst doch nicht ernsthaft, dass irgendeiner von denen an mehr als seinem eigenen Wohl interessiert ist!" Dreh nicht durch Mia! Verlier jetzt nicht die Nerven! "Weißt du was, vielleicht ist Jagen heute doch keine so gute Idee. Verschieben wir das!" Der ruhige Ton meiner Stimme überraschte mich selbst. Eigentlich war ich kurz vorm Explodieren, alles in mir schrie danach, meine Freunde zu verteidigen, aber ich wusste genau, sollte ich nur ein Wort über sie verlieren, würde sie es sich zur persönlichen Lebensaufgabe machen, sie zu töten. Deswegen ließ ich auch meinen Teller unangerührt liegen und verkroch mich auf mein Zimmer. Auf die vielen Versuche meiner Schwester in mein Zimmer zu kommen, reagierte ich erst gar nicht. Auch wenn es schwer für mich war, das zuzugeben, aber ich war zum ersten Mal verletzt wegen ihrer Einstellung gegenüber Vampiren. Sonst geling es mir immer, locker damit umzugehen, und mir nichts anmerken zu lassen, aber dieses Mal war alles anders. Ich hatte eine Verbindung zu diesen Leuten, diesen Vampiren. Ich musste gestehen, dass ich wirklich Gefühle für sie hatte, jeder von ihnen war mir auf irgendeine Weise wichtig und der Gedanke daran, dass Stacy sie umbringen könnte, ließ etwas in mir brechen. Ich hatte eine derartige Angst um sie, welche ich schon seit langer Zeit nicht mehr um jemanden hatte. Ich muss sie beschützen! Und ich muss ihr Geheimnis herausfinden!

 

Kurzerhand beschloss ich, doch auf die Jagd zu gehen, nur eben alleine. Ausgerüstet mit einer schwarzen, engen Hose und einem genauso engen Top und Lederjacke (natürlich hatte ich diesmal an meine Waffen gedacht), ging ich nach draußen. Die kühle Nachtluft wehte mir um die Nase und ich merkte erst jetzt, wie spät es schon geworden war. Mein erster Halt war der Club, bei dem ich schon gestern gewesen war. Statt jedoch vorne hineinzugehen, suchte ich hinten nach einem Hintereingang, der auch nicht schwer zu finden war. Als ich Stimmen hörte, verdeckte ich schnell meinen Geruch, damit ich ungestört lauschen konnte. Zwei Männer standen vor einer Tür und rauchten. Ich musste mich ziemlich anstrengen, um die beiden von dieser Entfernung aus gut zu hören. "Gestern ist alles nach Plan gelaufen. Wenn alles glatt läuft müssten sie morgen schon im Lager ankommen." Sein Gegenüber nickte. "Wann findet die Auktion statt?" "Nächste Woche, wenn die letzte Ladung angekommen ist. Am Sonntag muss alles vorbereitet sein. Wenn an diesem Tag etwas schief läuft, müssen wir alles verschieben, FALLS uns der Boss am Leben lässt!" Ich muss herausfinden, wer dieser Boss ist! Nur so komme ich an mehr Informationen. Kurz spielte ich mit dem Gedanken, die beiden zu töten, doch das wäre viel zu auffällig. Mit ihrem Tod würde ich nie herausfinden, was am Sonntag für eine Ladung ankommen würde. Als sie wieder ins Gebäude gingen, beschloss ich, mich wieder etwas im Wald umzusehen. Zwar war es mittlerweile mitten in der Nacht und es lauerten wahrscheinlich ein paar Wölfe dort, aber diesmal hatte ich meine Waffen eingesteckt und hatte nach diesem beschissenen Tag wirklich Lust, jemandem die Kehle aufzureißen!

 

 

***

 

Nach ungefähr zehn Minuten in denen ich mich immer weiter in den Wald hineingearbeitet hatte, war noch immer keine Spur von Werwölfen zu sehen. Kein auffälliger Geruch, keine Pfotenabdrücke, nichts. Genau dieses Nichts machte mich aber stutzig. Ich wusste, dass ich nicht weit von hier von diesem einen Wolf verfolgt worden war. Das war erst zwei Tage her, da müsste sein Geruch noch deutlich in der Luft liegen, doch das tat er nicht. Wie war das nur möglich? Ich blieb stehen und blickte mich um. Irgendetwas stimmte ganz und gar nicht in diesem Wald. Wolfsgeheule ließ mich vor Schreck zusammenzucken, doch meine Sinne konnten nicht erkennen, woher die Geräusche kamen. Es waren mehrere Wölfe, das war das einzige, das ich heraushören konnte. Als das Geheule immer näher kam, schoss mir Vampirgeruch in die Nase. Ich zückte meinen Dolch und machte mich bereit, auf alles einzustechen, das jederzeit aus dem Busch springen könnte, doch was ich dann sah, ließ mich sprachlos. Ein riesiger Wolf sprang aus dem Gebüsch und blieb mitten vor mir stehen. In ihrem Maul hielt sie einen kleinen Welpen, der ängstlich wimmerte. Erst jetzt bemerkte ich das viele Blut, das aus dem Rücken der Wölfin floss. Sie wirkte nicht gefährlich, viel eher hatte sie Todesangst um das Leben ihres Jungen. Sekunden verstrichen, in denen sie mich nur anstarrte und ich sie. Keiner von uns bewegte sich, bis plötzlich Stimmen zu hören waren. "Hier sind sie! Beeil dich!" Der panische Ausdruck in den Augen der Wölfin ließ meine Anspannung wachsen. Zwei Vampire. Stark. Alt. Mächtig. Das alles konnte ich durch ihren Geruch wahrnehmen. Ich wusste nicht, was mich zu meinem nächsten Schritt bewegte, doch aus reinem Instinkt stellte ich mich beschützerisch vor die beiden. Nehme ich gerade wirklich zwei Werwölfe in Schutz? Die grausamsten aller Bestien, diejenigen ohne Mitgefühl, nur darauf aus zu töten?

 

Ich hatte keine Zeit meine Entscheidung zu bedenken, denn in diesem Moment schoss ein Messer auf mich zu, das ich dank meiner guten Reflexe rechtzeitig abfing. Als zwei glühende Augen in mein Sichtfeld traten, zögerte ich nicht lange, sondern schoss dasselbe Messer zurück. Ich verfehlte mein Ziel auch nicht. Mein Gegenüber war so überrascht über meinen Angriff gewesen, dass er nicht einmal versucht hatte, auszuweichen. Stattdessen lag er jetzt leblos am Boden. "Eine Jägerin, wie niedlich. Denkst du, du könntest es mit einem so mächtigen Vampir wie mir aufnehmen?" Das Lachen des anderen lenkte meine Aufmerksamkeit nach rechts, wo ein großgewachsener Mann an einem der Bäume lehnte. Hinter mir hörte ich die Wölfin bedrohlich knurren. "Tja, deinem Freund hier hat seine Macht auch nicht viel genützt wie du siehst. Ach und außerdem, ich bin eine Hunter." Mit diesen Worten wechselten meine Augen die Farbe und ich sah, wie dem Vampir jegliche Farbe aus dem Gesicht wich. "Das ist unmöglich! Wir haben euch vor Jahren alle ausgelöscht!" Ich wurde hellhörig bei den Worten 'wir'. "Wer ist 'wir'?" Ich ging einen Schritt auf ihn zu, doch er blieb weiterhin wie angewurzelt stehen und sagte kein Wort. "Ich habe dir eine Frage gestellt!" Mein Arm schoss nach vorne. Ohne ihn körperlich zu berühren drückte ich ihm die Luft ab. Wie ich meine Fähigkeiten doch liebe! Sein Gesicht wurde merklich bleicher, als er sich nach Luft schnappend an die Kehle fasste. "Slayers", keuchte er. Als ich meine Hand runternahm sank er kraftlos auf die Knie. "Wir nennen uns die Slayers, aber mehr erfährst du von mir nicht!" Lachend kniete ich mich vor ihm nieder. Der Dolch in meiner Hand glänzte im Mondschein. "Weißt du was Huntergift ist?", fragte ich ihn zuckersüß. Seine Augen weiteten sich. "Seit Jahrhunderten weiß keiner mehr wie das hergestellt wird!" Ich grinste. "Ein Glück, dass ich von hohem Blut bin und dieses Rezept in meiner Familie von Generation zu Generation weitergegeben wird. Man nehme ein bisschen Hunterblut, tauche einen Dolch in ihn und spreche die magischen Worte und tadaaa! Eine Waffe, mit der man so viel Böses anrichten kann, dass es fast schon verboten gehört!" Ich strich mit der Klinge vorsichtig über seinen Arm, darauf bedacht, ihn nicht zu verletzen. Noch nicht. Er schrie auf vor Schmerzen und zuckte vor mir zurück. "Und jetzt stell dir mal den Schmerz vor, wenn sich diese wunderschöne Klinge durch dein Fleisch bohrt! Vielleicht in deinen Oberschenkel, oder doch lieber in deine Schulter? Wo hättest du es denn lieber?" Sein Körper fing vor Angst an zu zittern. Er kannte zwar nur die Märchen über Huntergift, aber auch die waren schon verstörend genug. Manche sagten, die Wunde würde sich nie wieder verschließen und man würde für den Rest seines Lebens diese Höllenqualen erleiden müssen, andere behaupteten, das Gift würde Furchtbares mit deinem Gehirn anstellen und dich in den Wahnsinn treiben. Beides entsprach der Wahrheit, naja je nach Gebrauch. "Bist du bereit zu reden, Blutbeutel?" Hinter mir hörte ich, wie die Wölfin kraftlos zu Boden sank. "Ich würde mich an deiner Stelle beeilen, denn wenn die Wölfin tot ist, bevor ich meine Antwort bekomme, sorge ich dafür, dass du bis ans Ende deines jämmerlichen Daseins Höllenqualen erleidest!" Als ich noch immer keine Antwort bekam, rammte ich ihm meinen Dolch kurzerhand in den Bauch. Sein schmerzvolles Gebrüll war wie Musik in meinen Ohren. "Muss ich erwähnen, dass ich heute keinen guten Tag hatte?" Ich zog die Klinge aus seinem Körper und machte Anstalten, ihn noch einmal zu versenken, aber er stoppte mich. "Ich sag dir alles was ich weiß, nur töte mich schnell!" Seine raue Stimme ließ mich schmunzeln. "So ists brav, na dann schieß los!" "Wir- wir nennen uns die Slayers und wir sind eine Gruppe Vampiren, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, jede Spezies auszulöschen, die sich uns nicht unterwerfen will! Die geborenen Jäger haben wir vor einigen Jahren ausgerottet, zumindest dachten wir das. Jeder, der sich nicht ergibt, wird entweder getötet, oder gefangen genommen." "Was macht ihr mit euren Gefangenen?", war meine nächste Frage. "Wir-" Er wurde von seinem Husten unterbrochen. "Wir verkaufen sie an den Höchstbietenden." Die Auktion! Scheiße, sie verkaufen keine Ware, sie verkaufen Menschen! "Wo findet die Auktion statt?!" Er blieb still. "ICH HABE DIR EINE FRAGE GESTELLT!!!" Er zuckte zusammen bei meiner lauten Stimme, doch blieb weiterhin still. Langsam riss mein Geduldsfaden, aber ich wusste, wann Schluss war. Um nicht noch mehr Zeit zu vergeuden versenkte ich die Klinge direkt in seinem Herz. Wenn er es mir nicht sagen will, muss ich es eben selbst herausfinden! Um keine Spuren zu hinterlassen, packte ich schnell mein Feuerzeug aus. Ein Glück dass tote Vampire so leicht brennen!

 

 

7. Kindheitstraumas

 Als ich mich der Wölfin zuwendete, sah ich, dass sie in Menschengestalt am Boden lag, regungslos. "Hey, stirb mir jetzt nicht weg!" Schnell kniete ich mich neben ihren leblosen Körper und zog mir kurzerhand das Top aus, mit dem ich versuchte, die Blutung zu stoppen. Der kleine Welpe hingegen rollte sich vor dem Gesicht seiner Mutter zusammen und wimmerte leise. Wieso bricht dieser Anblick mein Herz? Reiß dich zusammen Mia! "Hat er dich vergiftet?" Wenn ja, könnte es sehr schwierig werden, sie am Leben zu halten. "Nein", hauchte sie kraftlos. "Ok gut! Damit kann ich arbeiten. Ich werde alles tun, was ich kann, aber du darfst jetzt nicht einschlafen, hörst du mich? Wenigstens für deinen Sohn, er braucht seine Mutter noch!" Ihre Augen flatterten und man merkte, wie viel Anstrengung es sie kostete, nicht einfach der Dunkelheit nachzugeben. "Shawn, lauf nachhause und hol deinen Dad", krächzte sie. Oh Gott, noch mehr Werwölfe, ich bin so gut wie tot! "Nach wenigen Minuten hörte sie endlich auf zu bluten und ich atmete erleichtert auf. Der erste Schritt war schonmal geschafft. Keinen Augenblick später stand ein großgewachsener Mann vor uns. "Liebling, was ist passiert?! Wer hat dir das angetan?" Sein Blick wanderte zu mir. Ich wollte abwehrend die Hände heben, aber da ich nur im BH vor ihm saß schlang ich die Arme lieber um meinen Körper. "Sie war es nicht. Dieses Mädchen hat mir und unserem Sohn das Leben gerettet!" Wie zur Bestätigung heulte der kleine Welpe auf. "Gut, dann bringen wir dich jetzt nachhause, damit du verarzt werden kannst!" Er hob seine Frau vom Boden auf und sah mich abwartend an. "Ich ähm- ich geh dann mal." "Nein, du wirst mit uns kommen. Ich habe einige Fragen an dich." Ein riesiger Kloß bildete sich in meinem Hals, den ich vergeblich versuchte runterzuschlucken. "Nehmen Sie es mir nicht übel, aber ich habe in der Vergangenheit keine guten Erfahrungen mit Werwölfen gemacht.." Sein skeptischer Blick blieb an meiner Hüfte hängen. Die Narbe, er sieht sie! "Du hast meine Luna und meinen Sohn beschützt. Ich gebe dir mein Wort, mein Kind. Niemand in meinem Rudel wird dir Schaden zufügen!" Bei dem Wort Luna blieb mir der Mund offen stehen. Er war ein Alpha! Ach du- Ok Mia, tief einatmen. Es ist alles gut, er wird dir nichts tun. Aber konnte ich mich wirklich auf sein Wort verlassen? "Folge mir!" Der Alpha ging mit seiner Frau voraus. Unsicher blieb ich weiterhin stehen. Als dann aber der Kleine in meine Arme hüpfte und sich tragen lassen wollte, reagierten meine Beine endlich. So seltsame es auch klang, aber dieser kleine Fellbündel in meinen Armen beruhigte mich ein bisschen. Es steckte so viel Unschuld in diesem kleinen Wesen und doch war er gerade eben fast ums Leben gekommen. Wie konnte man nur so herzlos sein?

 

Nach einigen weiteren Schritten änderte sich plötzlich etwas. Die Umgebung blieb gleich, doch plötzlich nahm ich die Gerüche um mich herum wieder wahr. Das Rudel war riesig! Wie konnten sie sich nur so gut verstecken? Ich hätte ja gefragt, wenn ich nicht so ein Nervenbündel gewesen wäre. Je weiter wir in den Wald hineingingen, desto mehr Rudelmitglieder kamen uns entgegen. Manche in Menschengestalt, manche nicht. Sie alle verbeugten sich respektvoll vor ihrem Alpha und warfen mir misstrauische Blicke zu. Die Tatsache, dass ich obenrum nur einen BH trug, machte die ganze Sache auch nicht besser. Es dauerte nicht lange, bis wir zu einem großen Haus kamen. Schneller als ich schauen konnte, wurde die verletzte Frau nach drinnen gebracht und verarztet, während ich zum Alpha ins Büro geführt wurde. "Hier" Er hielt mir einen Pullover hin, den ich danken entgegennahm. Wenigstens musste ich jetzt nicht halbnackt hier rumlaufen. Das Fellknäul hatte mir beim Eintreten eine Frau abgenommen. Es machte mich unglaublich nervös, hier zu sein, mit einem Alpha zu reden. Nach allem was passiert war, hatte ich mir vorgenommen, nie wieder einem von denen zu trauen und doch hatte ich mich ganz allein in diese Scheiße geritten. "Bitte setz dich doch." Das tat ich dann auch. "Also, erzähl mir doch einmal, wie es kommt, dass so ein junges Ding wie du so spät abends noch im Wald unterwegs ist. Und vor allem, wie du es geschafft hast, zwei so mächtige Vampire einfach auszuschalten." "I-ich hab mich verlaufen" Glückwunsch Mia, das war soeben die schlechteste Lüge, die du jemals jemandem aufgetischt hast! Misstrauisch hob er die Augenbraue. "Kind, ich habe dir bereits gesagt, dass du nichts zu befürchten hast. Ich würde nur gerne wissen, was vorgefallen ist. Also jetzt sag mir bitte die Wahrheit." Seine warmen Augen durchbohrten mich. Aber er sah mich nicht feindselig an, viel eher neugierig. Eine Frage brannte mir so sehr auf der Zunge, dass ich mich einfach nicht zurückhalten konnte. "Warum sind Sie so? Ich meine so nett. Verstehen Sie mich nicht falsch, das ist mir um einiges lieber, als von Ihnen getötet zu werden, aber ich verstehe es einfach nicht. Ich dachte alle Werwölfe sind grausame Monster und dieser Meinung bin ich nur, weil ich einiges an Erfahrung mit Ihresgleichen gemacht habe." Sein Blick wurde plötzlich undurchdringlich. "Habe ich recht in der Annahme, dass du es mit Tony und seinem Rudel zu tun hattest?" "Woher-?" "Tony ist ein mächtiger Alpha. Sein Führungsweg bringt ihm viele neue Mitglieder. In den letzten Jahren ist sein Einfluss so stark geworden, dass wir uns fürs erste zurückgezogen haben, zu unserem eigenen Schutz. Es ist schwer gegen ihn vorzugehen, denn egal was er auch tut, ihm geht es nur darum, mehr Macht zu bekommen. Wie viele Rudelmitglieder er dabei verliert ist Nebensache. Er macht Jagd auf uns, will, dass wir uns ihm anschließen und gemeinsam über die ganze Welt herrschen. Werwölfe an die Macht, das ist seine Lebenseinstellung. Doch ein Leben unter seiner Führung würde Chaos und Vernichtung bedeuten. Nicht nur für Menschen, Vampire und Hexen, sondern auch für uns Werwölfe. Dabei geht er so weit, dass er sich sogar mit Abtrünnigen der Vampire zusammenschließt und sie auf uns hetzt." "Warte, Tony gehört zu den Slayers??" Überrascht sah er mich an. "Woher kennst du sie?" Ich stockte. Konnte ich ihm das wirklich sagen? Das würde auch heißen, dass ich ihm meine Identität preisgeben würde. Konnte ich ihm denn auch wirklich vertrauen? Sonst hätte er mir das alles doch auch nicht erzählt, oder? "Sie- sie haben meine Eltern getötet." "Wieso, ich meine du bist doch ein-" "Eine Hunter" Gespannt hielt ich den Atem an und wartete auf seine Reaktion. Er starrte mich einfach an. Geradewegs in die Augen. Es war mir so unangenehm, dass ich am liebsten einfach im Boden versunken wäre. "Wow, ich dachte eure Art gäbe es nicht mehr." Als er endlich seinen Blick von mir löste, atmete ich auf. "Ich und meine Schwester sind die einzig verbliebenen. Ich denke, das dürfte beantworten, wie ich die Vampire außer Gefecht gesetzt habe." Er nickte. "Eine Frage hätte ich noch, bevor ich dich heim schicke." Fragend sah ich ihn an. "Wenn du so einen Hass auf mein Volk hast, wieso hast du meine Frau und mein Kind gerettet?" "Ähm-" Ja, wieso hatte ich es getan? Aus Mitgefühl? Instinkt? Ich wusste keine Antwort darauf. "Ich-ich denke einfach, dass ich-naja-gespürt habe, dass das die richtige Entscheidung war." Nachdenklich sah er mich an und nickte nach einigen stillschweigenden Sekunden. "Mein Kind, was auch immer dich dazu bewegt hat, ich danke dir aus tiefstem Herzen. Ich stehe tief in deiner Schuld. Solltest du jemals unsere Hilfe benötigen, egal worum es geht, meine Tür steht dir jederzeit offen. Da du schon einmal hier warst, wird es kein Problem für dich sein, unser Rudel wieder zu finden. Und nenn mich ab sofort bitte Travis." Ein kleines Grinsen schlich sich auf mein Gesicht. "Ok, und ich bin Mia." "Soll einer meiner Leute dich nachhause bringen? Es ist schon sehr spät und dunkel draußen." "Danke, aber das ist wirklich nicht nötig."

 

***

 

Wer hätte gedacht, dass dieses Gespräch so gut laufen würde? Ich ganz bestimmt nicht. Vollkommen übermüdet sperrte ich die Haustür auf. Alles was ich in diesem Moment machen wollte, war schlafen. "Wieso zur Hölle klebt Blut an deiner Kleidung?!" So viel zum Schlafen. "Sag mir nicht du warst jagen! Und auch noch ganz allein! Hast du sie eigentlich noch alle! Dir hätte sonst was passieren können!" "STOP! ES REICHT! Ich habe genug von deinen andauernden Ansagen, dass du alles an meinem Verhalten immer nur kritisierst! Ich habe heute Nacht zwei Unschuldige gerettet! Wärst du an meiner Stelle gewesen, wären sie jetzt alle tot und wir wären keinen Schritt näher an den Mördern unserer Eltern. Und weißt du auch wieso, Stacy?" Sag es nicht, nein, nein, sag es nicht! Leider waren die Worte schneller aus meinem Mund raus, als ich darüber nachdenken konnte. "Weil du so bist wie sie! Du bist genauso wie Mom und Dad! Falls du denkst, das ist ein Kompliment, hast du falsch gedacht! Du bist skrupellos und herzlos! Sie haben dich zu einem Monster erzogen, zu einer Tötungsmaschine, die keinen klaren Gedanken fasst, wenn sie einen fremden Geruch wahrnimmt! Ich verabscheue diese Seite in dir zutiefst, Stace! Das habe ich schon immer getan und weißt du auch wieso? Weil ich weiß, wie viel mehr in dir steckt, aber zu sehen, wie du alles Gute in dir wegwirfst, nur um deine bescheuerte Rache zu bekommen, das bricht mir das Herz!" Sie starrte mich mit offenem Mund an. Ihre Augen waren so weit aufgerissen, das ich Angst hatte, sie würden jeden Augenblick einfach hinausploppen. "Du-du hast eine Spur zu den Mördern?" Was? Das war alles, woran sie dachte? "Ist das dein verdammter Ernst Stacy? Hast du mir gerade überhaupt zugehört? Du bist so ignorant, ich glaube es kaum! Weißt du was, ich geh jetzt ins Bett und du kannst solange darüber nachdenken, was ich dir gerade alles an den Kopf geworfen habe!"

 

***

 

In dieser Nacht schlief ich gar nicht gut. Ich träumte von Ereignissen, die so weit in der Vergangenheit lagen, dass ich sie schon längst hätte verdrängt haben müssen...

 

"Mommy, wieso muss ich das tun?" Die 5-jährige Version von mir stand gerade im Wald und hielt eine viel zu große Waffe in den Händen. "Du musst üben, wie du dich verteidigst, mein Schatz." Mit großen Augen sah ich auf die Waffe vor mir hinunter und dann auf den kleinen Hasen, der wehrlos vor mir stand. "Aber ich will das Häschen nicht töten, Mommy." "Jetzt stell dich nicht so an und erschieß es endlich! Sieh dir nur deine Schwester an! Sie hatte nie Probleme mit dem Töten!" Stacy stand lächelnd neben uns und schien sich sichtlich über dieses Kompliment zu freuen. "Nein!" Ich ließ das Gewehr auf den Boden fallen und schnappte mir den Hasen, mit dem ich dann einfach weglief. "Mia! Komm sofort zurück!" Ich achtete nicht auf ihre Stimme, während ich immer schneller davonlief. Ich wollte diesem unschuldigen Tier nichts antun! Nur weil Stacy es tat, musste ich es doch nicht auch gleich tun!

Hinter mir konnte ich deutlich die Schritte meiner Mutter hören. Ich befreite den Hasen aus dem Seil und ließ ihn auf den Boden. "Lauf Häschen, lauf! Schnell, beeil dich!" Das tat er zum Glück auch. Erleichtert sah ich dabei zu, wie er sich immer weiter von mir entfernte. BUM! "NEIN!", kreischte ich, aber es war schon zu spät, sie hatte ihn getroffen. "Gut gemacht, Stacy!" "Danke Mom." Wie erstarrt sah ich dabei zu, wie immer mehr Blut aus dem armen Tier floss. Er war tot, der arme Hase war gestorben. Tränen kullerten über meine Wangen. "Das war eigentlich deine Aufgabe gewesen, Mia! Du weißt, dass solches Fehlverhalten bestraft werden muss!" Traurig sah ich sie an. "Meine Freunde müssen nie Häschen töten, sie dürfen draußen mit dem Ball spielen", schluchzte ich. "Deine Freunde sind auch keine Jäger! Sie spielen mit dem Ball und du mit Waffen. Jetzt wisch dir die Tränen aus dem Gesicht und komm ins Haus. Deine Strafe bekommst du, wenn dein Vater nachhause kommt!"

 

***

 

Die Umgebung verschwamm und der Traum änderte sich.

 

"Mia, Stacy, ihr werdet uns heute auf die Jagd begleiten! Ich erwarte von euch, dass ihr beide eine Bestie erledigt!" Mein Körper gefror zu Eis. Ich wollte niemanden töten, aber leider nahm keiner von ihnen Rücksicht auf das, was ich wollte.

 

Ich war der Köder, ein kleines, unschuldiges Kind. Ich würde sofort die Vampire in meinen Bann ziehen, das hatten Mum und Dad gesagt und genau das passierte auch. "Junges Fräulein, was machst du denn so spät abends alleine hier draußen? Hast du dich etwa verlaufen? Komm, ich bringe dich zur Polizeistation, dort ist es wärmer als hier, dann können wir deine Mom und deinen Dad anrufen, in Ordnung?" Ein nett wirkender, junger Mann kniete sich vor mich hin. Er war um die 25, aber die Weise wie er sich bewegte und sprach, ließ ihn um einiges älter wirken. Er war als Vampir geboren, das konnte ich riechen. Ich wusste auf den ersten Blick, dass er den Tod nicht verdient hatte. So viel Mitgefühl strahlte er aus, dass sich ein kleiner Teil von mir wünschte, er würde mich bei sich aufnehmen, nur damit ich weg von meiner Familie konnte. "Laufen Sie weg!", flüsterte ich. "Was redest du denn da, Kleine?" Verwirrt grinsend sah er auf mich herab, machte aber keine Anstalten, sich zu bewegen. Seine grauen Augen glänzten im Mondschein und ließen sie wie geschmolzenes Silber aussehen. "Hunter, sie wollen, dass ich Sie töte", erwiderte ich mit vor Tränen glänzenden Augen. Seine Augen strahlten plötzlich puren Schock aus. "Aber du bist doch noch so jung mein Kind." Ich nickte. "Bitte, gehen Sie schnell! Sie sehen zu, wenn ich nicht bald etwas mache, tun sie es selbst! Bitte laufen Sie weg, solange Sie noch können!", gab ich mit erstickter Stimme von mir. Ich durfte nicht weinen, Mom und Dad würden es sehen. Einen Augenblick lang war es still, er sah mich einfach nur nachdenklich an und ich betete zu Gott, dass er einfach weglaufen würde. Er tat es nicht. Stattdessen lehnte er sich ein kleines Stück zu mir nach vorne. "Ich habe einen Plan, ok. Wie heißt du meine Kleine?" "Mia", antwortete ich mit zittriger Stimme. "Ok Mia, weißt du, ich bin ein sehr, sehr alter Vampir mit ganz besonderen Kräften. Du hast doch bestimmt ein Messer bei dir, oder?" Ich nickte. "Gut, du musst mir dieses Messer hier hin rammen." Er zeigte auf eine Stelle auf seiner Brust, knapp neben seinem Herz. Ich sah ihn erschrocken an. "Aber das wird Sie töten!" Meine Eltern hatten mir einen Dolch gegeben, der sofort tötet, egal wo man hineinstach. "Nein, mein Kind, wenn du genau hier hin stichst, dann wird es mich nicht töten." "Aber der Dolch ist verzaubert!" "Ich bin auch verzaubert. Wenn du das tust, was ich dir gerade gesagt habe, dann wird mein Herz für fünf Minuten aufhören zu schlagen, dann wache ich wieder auf. Schaffst du es, deine Familie in dieser Zeit hier wegzubringen?" Ich nickte eifrig. Erwartungsvoll sah er mich an. Ich verstand zwar nicht genau, wie es sein konnte, dass ihn das nicht töten würde, aber ich vertraute diesem Mann. Eine andere Wahl hatte ich nicht, denn wenn ich das jetzt nicht tat, würde er durch die Hand meiner Schwester, oder noch schlimmer, durch die Hand einer meiner Eltern sterben. So unauffällig wie möglich zückte ich den Dolch aus meiner Jacke. Ich konnte ganz deutlich die Blicke meiner Familie auf mir spüren, wie sie jeden meiner Schritte studierten. Ich war nur froh, dass wir leise genug geredet hatte, sodass sie uns nicht hätten hören können. Mit einem letzten tiefen Atemzug, stach ihm den Dolch in die Brust, genau auf die Stelle, die er mir gezeigt hatte. Der Dolch leuchtete kurz auf, was ich auf den Vampir vor mir schob. Dann kippte der Mann vor mir leblos zur Seite. Was, wenn ich es falsch gemacht habe und er jetzt nie wieder aufwacht? Ich konnte meine Schluchzer nicht mehr zurückhalten. "Das hast du toll gemacht, Liebling!" Mein Dad schloss mich in seine Arme, aber ich erwiderte die Umarmung nicht. Ich konnte es einfach nicht fassen, dass sie mich dazu gezwungen hatten. "Ich verbrenne die Leiche", gab meine Mom bekannt. "Nein, er gehört mir, ich mach das", schniefte ich. Ich erntete überraschte Blicke von allen. "Wow, ich bin stolz auf dich, Mia." Meine Mutter reichte mir ein Feuerzeug. "Könnt ihr mich bitte alleine lassen. I-ich muss das verarbeiten." Ich hoffte, sie würden meine Lüge nicht erkennen. "Alles klar Schatz, wir gehen schon einmal weiter. Wenn irgendetwas ist, schrei einfach." Ich nickte. Dann waren sie auch schon weg. Minuten, die sich wie Stunden anfühlten, saß ich neben dem leblosen Mann. Hatte ich ihn getötet, oder musste das so lange dauern? Ich war kurz davor durchzudrehen, als ich ihn hektisch einatmen hörte. Erleichtert darüber, dass er lebte, fiel ich ihm und den Hals. Etwas überrumpelt erwiderte er meine Umarmung. "Ist schon gut mein Kind, du hast mir gerade das Leben gerettet, weißt du das?" Er fuhr mir beruhigend über die Haare. "Wirklich?", schniefte ich. "Aber natürlich, hättest du das nicht getan, hätten deine Eltern mich getötet. Ich stehe tief in deiner Schuld, kleine Jägerin. Hier." Er reichte mir einen Diamant aus seiner Hosentasche und hielt ihn an mein Handgelenk, wo er zu vielen kleinen Diamanten wurde, die sich um meinen Arm reihten, wie ein Armband. "Wow, was ist das?" "Es wird dich beschützen vor allem Bösen, du darfst es nur nie abnehmen ok?" Ich nickte. "Ich hoffe wir sehen uns irgendwann wieder, kleine Jägerin." Mit diesen Worten verschwand er.

 

8. Verschwunden

 

Völlig übermüdet warf ich einen Blick auf die Uhr. Vier Uhr morgens, ich hatte kaum zwei Stunden geschlafen. Weiterschlafen war keine Option, nochmal an meine Kindheit erinnert zu werden, würde ich nicht aushalten. Ich setzte mich auf und schlang die Arme um meine angewinkelten Beine, mein Kinn stützte ich dabei auf meinen Knien. Wie hatten sie nur so grausam sein können? Sie haben mich zerstört, haben mir meine Kindheit genommen und als es sie nicht mehr gab, hat Stacy diese Rolle übernommen. Unwillkürlich musste ich an den Mann aus meinem Traum denken. Ich hatte ihn volkommen vergessen, hatte diese Erinnerung verdrängt. Wie es ihm jetzt wohl ging? Ich hoffte, er war noch am Leben.. Was wohl passiert wäre, wenn ich ihn nicht hätte retten können? Ein schreckliches Szenario bildete sich in meinem Kopf. Der Mann lag auf dem Boden, Blut strömte aus seiner Brust. Seine Augenlider flatterten kurz auf. "Du bist ein Monster." Ohgott, hör auf so viel zu denken, Mia! Ich zwang mich, aufzustehen, um mich abzulenken. Ich hatte noch so viel Zeit, bis die Schule anfing, was sollte ich machen? Laufen? Nein, ich hatte genug vom Wald für die nächsten Tage. Ich könnte Messerwerfen üben, genau. Das hatte ich schon eine Weile nicht mehr gemacht.

 

***

 

Schon wieder daneben! Unglaublich wie schlecht ich geworden war! Jetzt konzentrier dich endlich Mia! Ich stellte mir vor, Tony, der Anführer der Slayers, würde vor mir stehen. Obwohl ich ihn nie gesehen hatte, stellte ich mir sein Gesicht vor. Seine schwarzen, hasserfüllten Augen und die kurzen, blonden Haare. Das gruselige Lächeln, das seine Lippen formten, wenn er jemanden kaltblütig ermordete. Mir fiel auf wie viel vorsichtiger ich hätte sein müssen. Viel, viel vorsichtiger. Ich hatte damals zwar noch nichts über die Slayers gewusst, nur dass Tony der Alpha eines Rudels war, und trotzdem hätte es mich fast das Leben gekostet. Leute sagten immer, Wissen sei Macht, aber Wissen konnte genauso gut deinen Tod bedeuten. Hätte ich damals nicht auf mein Bauchgefühl gehört und ausgeplaudert, was ich war, wäre ich jetzt nicht mehr am Leben. Ein wütender Schrei entfuhr mir als ich das Messer auf die Zielscheibe warf. Ich hatte so fest geworfen, dass das Messer durch das Ziel hindurch schoss und in der Wand stecken blieb.

 

Wieso hatte ich ihm vertraut? Wieso hatte ich ihn so nah an mich rangelassen? Allein schon seine Aura hätte mich von ihm fernhalten müssen. Ich war so naiv gewesen, hatte gedacht er würde mich lieben, aber für ihn war ich immer nur ein Spielzeug gewesen. Als ich das endlich realisiert hatte, war es schon zu spät gewesen. Er hätte mich getötet, wenn ich nicht rechtzeitig gehandelt hätte. Die Narbe erinnert mich tagtäglich daran, nicht jedem blind zu vertrauen. Je mehr ich darüber nachdachte, desto schwerer fiel es mir, meine Tränen zurückzuhalten. All die schrecklichen Gefühle kamen wieder hoch. 'Du hast doch nicht ernsthaft geglaubt, ich würde etwas für dich empfinden?' Dieser Satz hallte in meinen Ohren wider, genau wie sein widerliches, selbstgefälliges Lachen, als er mir das Herz gebrochen hatte. Meine Knie gaben unter meinem Gewicht nach. Wie lange war es her, seit ich meinen Tränen freien Lauf gelassen hatte? Wie lange seit ich zu meinen Gefühlen gestanden hatte? Viel zu lange. Alles zu verdrängen konnte nicht gesund sein. Ich beschloss, mir eine Schulter zum Ausheulen zu suchen. Es war zwar mitten in der Nacht, aber ich hielt es nicht mehr aus. Mit zittrigen Fingern wählte ich seine Nummer. "Brody, du hast ja gesagt, dass du für mich da bist, wenn ich dich mal brauche.." Meine Stimme brach ab und wurde zu einem verzweifelten Schluchzen. "Ich bin sofort da!" Als er auflegte starrte ich schockiert auf meinen Display. Ich hatte die falsche Nummer gewählt.

 

Keine zwei Minuten später klopfte es an der Haustür. Mist, wieso bin ich auch so blöd, die falsche Nummer zu wählen? Ich wollte nicht, dass er mich so sah. Jetzt war es aber zu spät. Ich öffnete die Tür und blickte aus verweinten Augen zu ihm auf. Bei dem besorgten Ausdruck in seinem Gesicht kamen mir wieder die Tränen. Seine Hände hielten mein Gesicht fest umklammert. "Was ist los Liebling, was ist passiert?" Hatte er mich gerade Liebling genannt, oder hatte ich mir das nur eingebildet? Ich schüttelte den Kopf, was schwer war, weil er mich noch immer festhielt. "Komm, gehen wir ein bisschen an die frische Luft und dann sagst du mir, was dir auf dem Herzen liegt." Ich war mit meinen Nerven so am Ende, dass ich sogar zwei verschiedene Schuhe anziehen wollte. "Warte, ich helf dir." Er nahm mir den einen Schuh aus der Hand und suchte nach dem passenden Zwilling. "Hier" Ein sanftes Lächeln umspielte sein Gesicht. So hatte ich ihn noch nie gesehen, aber diese Seite gefiel mir an ihm. Nachdem ich es endlich geschafft hatte, zwei passende Schuhe anzuziehen, legte er einen Arm um mich und führte mich nach draußen. Ich wehrte mich nicht dagegen. Ich brauchte das jetzt, seine Berührung beruhigte mich.

 

Während wir gingen überlegte ich unentwegt, wie ich mit ihm darüber reden sollte und ob ich das überhaupt konnte. Ich wusste, es würde mich weiter von innen auffressen, wenn ich still blieb, wusste aber nicht, ob ich stark genug war, dabei nicht wieder in Tränen auszubrechen. Mit Brody zu reden wäre viel leichter gewesen. Er wusste, dass ich bescheid weiß, damit konnte ich auch die Werwölfe zur Sprache bringen, aber mit Jack? Mir wurde klar, was für eine hirnlose Idee das gewesen war. Wenn ich damit anfing, musste ich ihm auch sagen, was ich war. Würde er mich dann umbringen? Oder noch schlimmer, was wenn er mich irgendwo in einen Keller sperrte. Bei diesem Gedanken schüttelte es mich. "Was geht in deinen hübschen Kopf vor?" Vertraute ich ihm? Ich hatte meine Identität noch nie irgendjemandem preisgegeben. Ich hatte Angst vor seiner Reaktion, hatte Angst zurückgewiesen zu werden. "Hey, bist du noch da?" Er wedelte mit einer Hand vor meinem Gesicht herum. "Hmm? Ähm, ja." Ich seufzte. "Du-du wolltest doch wissen woher ich die Narbe habe.." Unsicher sah ich zu ihm hoch. Er nickte ernst. Ich entdeckte eine Bank zu der ich ihn schleifte. "Also dann.." Ich sah ihn nicht an während ich sprach, das hätte es noch schwerer gemacht. Wie viel leichter es gewesen wäre, mit Brody darüber zu reden. Bei ihm wusste ich wenigstens, wo ich bei ihm stand, doch bei Jackson hatte ich nicht die geringste Ahnung. Ich atmete tief ein und aus. "Mia, sieh mich an." Er drehte meinen Kopf mit seinem Zeigefinger zu ihm und sah mir tief in die Augen. "Du kannst mir alles anvertrauen. Ich werde nicht über dich urteilen oder sonst irgendwas, ich will nur für dich da sein ok?" Gerührt nickte ich, sah aber trotzdem weg, als ich zu erzählen begann. "Es war letztes Jahr. Ich lernte diesen Jungen kennen. Er wirkte nett auf mich, nicht wie die anderen. Wir haben uns fast jeden Tag getroffen und ich lernte viel über ihn und seine Familie. Getroffen habe ich sie trotzdem nie, was im Nachhinein betrachtet auch besser so war. Ich wusste, dass er -" Ich überlegte wie ich es umschreiben sollte."-dass er in einer Gang war, aber er wirkte auf mich nicht so. Ich habe ihm vertraut, ich-ich habe ihn geliebt." Ich schloss die Augen und atmete tief durch, das nächste war der schwierige Teil. "Eines Tages sagte er mir, ich solle mich mit ihm an der alten Scheune treffen. Hätte ich gewusst, was er vorhatte, wäre ich dort nie aufgekreuzt." Ein riesiger Kloß machte es mir schwer, weiterzureden. Wortlos zog Jackson mich an seine Brust und gab mir damit die Sicherheit, die ich in diesem Moment brauchte. "Es kam alles so unerwartet, viel zu plötzlich, als dass ich hätte reagieren können. Zuerst schlug er mir so fest ins Gesicht, dass ich den Halt verlor und auf den Boden fiel. Er machte sich lustig über mich, sagte mir wie dumm ich doch gewesen sei, wirklich geglaubt zu haben, ich sei mehr für ihn als ein Spielzeug. Dann trat er mir in den Bauch, zog mich an den Haaren wieder auf die Beine. Ich war wie erstarrt vor Schock, konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Ich fühlte mich, als würde mein Körper nicht mehr mir gehören. Nach weiteren Beschimpfungen und Schlägen, wurde mir klar, dass ich diesen Ort nicht mehr lebend verlassen würde, nicht ohne mich zu wehren. Also tat ich das auch. Ich schlug um mich, trat ihn, biss ihn, versuchte alles, um mich aus seinen Armen zu befreien, aber er war stärker, als ich angenommen hatte." Mittlerweile flossen wieder Tränen über mein Gesicht. Ich war so in meine Erinnerungen vertieft, dass ich gar nicht merkte, wie ich weitersprach. "Ich schaffte es irgendwann mich zu befreien und rannte so schnell ich konnte los. Er hatte diese Kraft von mir nicht erwartet, weshalb ich ein wenig an Vorsprung gewann. Womit ich allerdings nicht gerechnet hatte, war, dass er sich verwandeln würde. Er war so schnell bei mir, dass ich nicht einmal blinzeln konnte und bevor ich es realisierte, hatte er sich schon auf mich gestürzt und seine Zähne in meiner Hüfte vergraben. Es war das schmerzvollste, das ich je erlebt habe. Kein Gift, keine Nahtoderfahrung, nicht einmal der Verlust meiner Eltern hatte so geschmerzt wie dieser Biss. Ich schrie, schlug um mich, aber das machte es nur noch schlimmer. Als meine Schwester mich fand, war ich schon beinahe tot. Sie schoss ihm einen Pfeil in den Kopf und zerrte ihn von mir weg. Was sie mit seiner Leiche gemacht hat, weiß ich bis heute nicht. Aber eines weiß ich: Nur dank ihr bin ich heute noch am Leben." Als ich fertig war, blieb es still. Er jetzt merkte ich, dass ich mich verraten hatte. Er wusste, was ich war! Panik ergriff mich. Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Als er von mir wegrutschte war es, als würde er mir einen Teil meines Herzens aus dem Brustkorb reißen. "Du bist eine Jägerin", hauchte er. Ich nickte ohne ihn anzusehen. "E-Eine Hunter", gab ich zu. Es zu leugnen wäre zwecklos. "Nein, das ist doch wohl ein Scherz!" Er sprang auf und raufte sich die Haare. "Du weißt es also. Alles." Ich musste nicht nachfragen, um zu wissen, dass er die vielen Male meinte, wo er mir das Gedächtnis gelöscht hatte. Ich nickte stumm. Fassungslos drehte er sich von mir weg. Mehr zu sich selbst, als zu mir murmelte er vor sich her. "Meine Gefährtin ist eine Hunter, ich glaub es nicht!" Ohne sich noch einmal umzudrehen, verschwand er und ließ mich allein hier im Dunkeln sitzen. Hilflos, verletzlich, gebrochen, diese Worte beschrieben, wie es in mir drin aussah. Das alles wäre nicht passiert, wenn ich meine Klappe gehalten hätte! Lautlos weinte ich vor mich hin, bis mich die Erschöpfung packte und ich müde die Augen schloss.

 

***

 

Stacy's Sicht

 

Ich hatte verschlafen, mal wieder. Zwar hätte ich mich mit Steven treffen müssen, aber wahrscheinlich hatte er damit gerechnet. Ich machte mich schnell fertig und wollte noch schnell ein Messer holen, nur zur Sicherheit. Man konnte ja nie wissen, was passieren konnte. Unterwegs fiel mir ein Bild ins Auge, das ich beim Einzug an die Wand gehängt hatte. Es war ein Familienfoto. Mum, Dad, Mia und ich. An diesen Tag konnte ich mich noch genau erinnern, es war der Tag, an dem wir zum ersten Mal mit auf die Jagd gehen durften. Mum und Dad, sie hatten mich immer mehr gefordert als meine kleine Schwester. Als Erstgeborene trug man ja immer eine gewisse Verantwortung, musste immer das tun, was einem gesagt wurde. Vielleicht hatte Mia recht, vielleicht war ich wirklich nur eine Tötungsmaschine. Was, wenn wirklich nicht alle Vampire gleich waren? Ich meine Menschen unterschieden sich ja auch alle, wieso sollte es bei anderen Wesen dann nicht genauso sein? Wenn ich so darüber nachdachte, hatte ich nie genauer hingesehen, ich hatte immer nur blind drauflos getötet, weil es mir ja von klein auf so beigebracht worden war. Mia war da schon immer anders gewesen. Sie hatte schon immer so ein großes Herz besessen. Nicht einmal einen Hasen hatte sie erledigen können. Ich fühlte mich unglaublich schlecht, für das, was ich ihr angetan hatte. Sie dachte bestimmt, ich sei eine Tyrannin, ein Biest. Ich war so eine schreckliche Schwester gewesen. All die Jahre war ich nur darauf aus, die Mörder unserer Eltern zu finden und hatte dabei nie gemerkt, was für ein Wrack meine eigene Schwester geworden war. Ich allein hatte ihren psychischen Zustand zu verantworten. Ich hätte für sie da sein müssen, hätte mich nach dem Tod unserer Eltern besser um sie sorgen müssen. Aber ich hatte es nicht getan. Ich hatte nicht gemerkt, was für eine schwere Zeit sie durchmachte, wie sehr sie von ihren eigenen Gedanken und Erinnerungen aufgefressen wurde. Das Klingeln meines Handys riss mich aus meinen Gedanken. "Hey Schatz, wo bist du?" Ich lächelte beim Klang seiner Stimme. Zwar kannte ich Steven erst seit unserer Ankunft, doch ich fühlte mich so unglaublich verbunden mit ihm. Obwohl, oder gerade weil er ein Mensch war, ließ er mich all meine Sorgen vergessen. Allein sein benebelnder Duft ließ mich dahinschmelzen. Seit ich ihn kannte, hatte ich auch kaum Zeit für all den Jägerkram, mit dem ich sonst immer beschäftigt war. Überraschenderweise störte mich das nicht einmal. Ich musste mir eingestehen, dass es mir noch nie besser gegangen war. "Ich hab verschlafen, ich fahr in fünf Minuten los!" Er lachte. "Ja, das hab ich mir schon gedacht. Ach und iss nichts, ich mach uns was Leckeres." Ich wollte gerade antworten, als ein Geräusch meine Aufmerksamkeit weckte. Es war das Klingeln eines Handys. Mia's Handy. Müsste sie nicht eigentlich schon in der Schule sein? Und was machte ihr Handy im Trainingsraum? Als ich das Messer in der Wand stecken sah, gefror mein Körper zu Eis. So viel Kraft setzte sie nur ein, wenn sie etwas beschäftigte. Sorge keimte in mir auf. Ich legte auf und lief in ihr Zimmer, um nachzusehen, ob es ihr gutging. "Mia, ist alles-" Die Worte blieben mir im Hals stecken, als ich ihr Zimmer leer vorfand. Das ist nicht gut, das ist gar nicht gut. Sie verlässt das Haus nie ohne ihr Handy! Panik ergriff besitz von meinem Körper. Was, wenn ihr etwas passiert war? Ich hätte auf sie aufpassen müssen! Ich hatte doch gesehen, wie schlecht es ihr ging! Wenn ihr irgendwas passiert ist... Schnell schüttelte ich den Kopf, um die schrecklichen Bilder aus meinem Kopf zu befreien. Das letzte Mal, als sie verschwunden war, hatte ich sie fast verloren. Das durfte auf keinen Fall wieder passieren! "Steven, wir müssen das verschieben. Ich ruf dich an." Ohne eine Antwort abzuwarten, legte ich wieder auf. Mit ihrem Handy und meinem Lieblingsmesser bewaffnet, verließ ich das Haus. Ich hatte keine Ahnung, wo ich anfangen sollte. Als ihr Handy wieder klingelte, ging ich ran. Es war die beste Chance, die ich kriegen konnte. 'Brody', stand auf dem Display. "Mia wo bist du? Ich hab mir solche Sorgen um dich gemacht. Ich hab dich hundert Mal angerufen, sag nicht, du hast verschlafen?" "Hier ist Stacy, Mia's Schwester. Heißt das, Mia ist auch nicht in der Schule?" "Sie ist nicht zuhause?", kam es panisch von der anderen Leitung. "Nein und ich glaube, ihr könnte irgendwas passiert sein", gab ich zu. "Du weißt nicht zufällig, wo sie hingegangen sein könnte?" Ich hoffte inständig auf eine gute Antwort von ihm, aber leider wurde ich enttäuscht. "Nein, ich habe keine Ahnung. Ist es okay wenn ich vorbeikomme und wir sie gemeinsam suchen?" Ich bejahte. Mit Hilfe würde ich sie bestimmt schneller finden als alleine.

 

***

 

Ein Vampir! Ich traute meinen Augen nicht. Vor mir stand tatsächlich ein Blutsauger, der mir dabei helfen wollte, meine Schwester zu finden! Ganz ruhig, tief durchatmen. Wenn Mia ihm vertraut kann ich das auch! "Hast du irgendwelche Vorschläge, wo wir suchen könnten?" "Es gibt da ein Café wo wir nachschauen könnten. Wenn sie da nicht ist, müssen wir wohl oder übel auf gut Glück weitersuchen."

 

Sie war nicht im Café. Weder dort noch in Parks oder im Wald konnten wir sie finden. Es war zum Haare raufen. Man sollte meinen als Vampir hätte er leicht ihre Spur aufnehmen müssen, aber anscheinend war dem nicht so. Meine Sorge stieg immer weiter. Ich wollte nichts lieber tun als sie in die Arme zu schließen und ihr zu sagen, wie sehr es mir leidtat, alles. "Hey, Kopf hoch. Wir suchen so lange weiter, bis wir sie finden! Und ich weiß, dass wir sie finden werden!" Zwar halfen seine aufmunternden Worte nur begrenzt, doch genug, um mich dazu zu ermutigen, weiterzusuchen. Wir suchten bis spät in die Nacht hinein, ich verständigte sogar die Polizei und Brody bat seine Freunde, bei der Suche zu helfen, aber die Spuren blieben aus. Wir hätten sie schon längst finden müssen! So groß war diese Stadt nicht, sie konnte sich doch nicht einfach in Luft aufgelöst haben! "Stacy, ich denke ich sollte dich nachhause bringen. Du musst was essen und dich ausruhen. Morgen können wir mit der Suche weitermachen.." Ich schüttelte den Kopf. "Ich kann jetzt nichts essen und schlafen erst recht nicht. Ich kann doch nicht einfach nachhause gehen, während Mia gerade sonst was durchmacht!" Er nickte verständnisvoll. "Gut, wir machen weiter, aber lass mich uns wenigstens eine Kleinigkeit zum Essen besorgen, damit wir bei Kräften bleiben, ok?" Ich willigte ein. Zwar hatte ich keinen Hunger, aber noch weniger hatte ich jetzt die Kraft dazu, mit ihm darüber zu diskutieren und wahrscheinlich hatte er irgendwo doch recht. Ich musste bei Kräften bleiben, wenn ich sie so schnell wie möglich finden wollte. Oh Mia, ich hoffe dir geht es gut.

 

 

 

9. Vertrauensprobleme

 

Jackson's Sicht

 

Was hatte ich nur angerichtet?! Wegen mir war Mia jetzt wie vom Erdboden verschluckt. Wir hatten überall nach ihr gesucht, aber ihre Spur ging im Wald verloren. Schuldgefühle krochen in mir hoch. Hätte ich sie nicht so eiskalt abgewiesen, wäre sie noch hier! Aber ich Idiot war einfach abgehauen und hatte sie mitten in der Nacht alleine gelassen. Sie ist eine Jägerin, wisperte eine leise Stimme in meinem Kopf. Sie hatte recht. Mia war eine Jägerin, war dazu ausgebildet worden, Leute wie mich zu töten. Ich sollte nicht so viel über sie nachdenken! Und doch war ich sofort aufgesprungen, als ich erfahren hatte, dass sie verschwunden war.

 

"Was hast du getan, Bruder?!" Cam sah mich mit funkelnden Augen an. "Wovon redest du?", gab ich verärgert zurück. "Ich weiß ganz genau, dass Mia wegen dir verschwunden ist! Glaubst du, ich hab nicht gemerkt, wie du dich letzte Nacht zu ihr geschlichen hast? Also! Was hast du getan oder gesagt, dass sie verärgert haben könnte?!"Auffordernd sah sie mich an, was meine Wut nur noch mehr entfachte. "ES GEHT NICHT DARUM, WAS ICH ZU IHR GESAGT HAB, SONDERN WAS SIE ZUM MIR GESAGT HAT!! SIE IST EINE JÄGERIN CAM, EINE HUNTER!" Mit offenem Mund sah sie mich an. Einige Sekunden sagte sie nichts, starrte mich einfach nur an, dann bildete sich plötzlich ein riesiges Grinsen auf ihrem Gesicht. " Das heißt, ich muss nicht mehr geheimhalten, dass wir Vampire sind, weil sie es eh schon weiß!" Entgeistert sah ich sie an. "Hast du mir nicht zugehört? Mia ist eine Jägerin, sie hätte uns jederzeit töten können!" "Hat sie aber nicht!", konterte sie. "Das könnte sie aber!" Sie verdrehte genervt die Augen. "Wenn sie das wirklich vorhätte, glaubst du nicht, wir wären schon längst tot? Außerdem...wenn du sie wirklich als so eine große Bedrohung ansiehst, wieso stehst du jetzt hier und suchst nach ihr?" Ich war sprachlos. Sie hatte ins Schwarze getroffen. Wieso war ich hier? Weil ich mich schuldig fühlte? Weil ich etwas für sie empfand? Ich konnte es nicht mehr länger leugnen. "Weil sie meine Gefährtin ist", murmelte ich kleinlaut. "WAS??? OHMEINGOTT SIE WIRD MEINE SCHWÄGERIN!!!" Wie ein Kleinkind hüpfte sie auf und ab und klatschte aufgeregt in die Hände. "Worum geht es denn bei euch?", fragte ein skeptischer Liam. Er und Emma waren gerade zu uns gestoßen. Ich warf meiner Schwester einen warnenden Blick zu, doch sie ignorierte mich schlichtweg. "Mia ist Jackson's Gefährtin! Ist das nicht toll?!" "Das erklärt so Einiges", murmelte Liam. "Eine Sache hast du vergessen zu erwähnen, Schwester. Mia ist nicht nur meine Gefährtin, sie ist auch noch eine Jägerin." "Ach du-" Emma war sichtlich schockiert, genauso wie mein bester Freund. Keiner von uns hatte es gemerkt. Sie hatte es wirklich gut verborgen. Wenn sie es mir gestern nicht mehr oder weniger gestanden hätte, wäre ich nie darauf gekommen. "Was werden wir jetzt machen? Ich meine als deine Gefährtin gehört sie an deine Seite wenn du in die Fußstapfen deines Vaters trittst, aber wird unser Volk eine Jägerin als ihre Herrscherin akzeptieren und wird Mia das überhaupt wollen?" Liam sprach genau die Fragen an, auf die ich keine Antwort wusste. Was sollte ich nur tun? Ich konnte nicht leugnen, dass ich mich zu ihr hingezogen fühlte. Noch nie in meinem Leben hatte ich so eine tiefe Verbundenheit zu einer anderen Person gespürt. Noch nie hat sich jemand so leicht in mein Herz und meinen Kopf geschlichen. Sie war alles, woran ich dachte. Um ihre Sicherheit zu gewähren hatte ich sogar den wichtigsten Auftrag meines Lebens versaut. Ohne darüber nachzudenken war ich zu ihr geeilt. Von einem Moment auf den anderen war sie Priorität Nummer eins in meinem Leben geworden. Durch sie fühlte ich mich wieder ganz. Nach allem was passiert war, war sie die erste die mich meine Sorgen vergessen ließ. Ein Lächeln von ihr reichte und alles schien unwichtig. Der Auftrag. Die Suche nach den Mördern. All meine Probleme schienen wie ausgelöscht, sobald sie in mein Blickfeld trat. Was hatte ich nur getan? Sie hat mir vertraut und ich habe sie zurückgewiesen. Ich hatte sie einfach dort zurückgelassen, dabei hatte sie es nicht einmal verdient. Ich musste sie finden! Unbedingt. "Im Moment zählt nur, dass wir sie finden. Alles andere ergibt sich schon! Liam, Emma, ihr beiden sucht noch einmal in der Stadt mit Brody und Mia's Schwester. Ich und Cam nehmen uns wieder den Wald vor. Sucht überall! Dreht von mir aus jeden verdammten Stein um, um sicher zu gehen, aber findet sie!"  "Alles klar, Boss."

 

Mia's Sicht

 

Meine Augen waren so schwer, ich konnte sie einfach nicht öffnen. Wieso fühlte sich mein Körper so taub an? Ich schafft es nicht einmal einen Finger zu rühren. Oder vielleicht spürte ich die Bewegung auch einfach nicht. War ich tot? Fühlte sich das so an? Ein dunkles Nichts, in dem ich mit meinen eigenen Gedanken gefangen war? Oh Gott, bin ich in der Hölle? Bitte nicht, ich war kein schlechter Mensch, nur manchmal, wenn es wirklich sein musste. Moment mal, müsste es in der Hölle nicht heiß sein? Warum war mir denn dann so unglaublich kalt? Meine Zähne klapperten ungewollt durch die Kälte, die meinen Körper plötzlich umfing. "Holt dem armen Mädchen noch eine Decke!" Wer redete da? Die Stimme kam mir irgendwie ziemlich bekannt vor, aber ich konnte nicht ausmachen, wo ich sie schon einmal gehört hatte. Nach mehreren Fehlschlägen, meine Augen zu öffnen, klappte es letztendlich doch. Schwaches Licht strömte in den kleinen Raum, in dem ich lag. Eine herzlich lächelnde Frau beugte sich gerade über mich und steckte mich in mehrere flauschige Decken. Als sie merkte, dass ich wach war, schenkte sie mir ein warmes Lächeln. Erst jetzt erkannte ich sie. Sie war die Werwölfin aus dem Wald, die Luna. "Schätzchen, wie geht es dir?", fragte sie mich mit ihrer mütterlichen Stimme. "Gut und dir? Sind deine Wunden geheilt?" Ich war ehrlich gesagt ein klein wenig besorgt, dass sie jetzt schon auf den Beinen stand. Ihr Lächeln wurde ein kleines bisschen breiter. "Mach dir um mich keine Sorgen, Liebes. Ich bin nicht diejenige die mit unheimlich hohem Fieber im Bett liegt." "Wer?" Wieso war es so anstrengend zu sprechen? Ich fühlte mich ausgelaugt, dabei war ich doch gerade eben erst aufgewacht. "Na du, Dummerchen." "Oh" Ich hatte Fieber? War mir deswegen so kalt? "Was hast du bei dieser Kälte überhaupt da draußen gemacht? Du hast Glück, dass dich eins unserer Rudelmitglieder erkannt und mitgebracht hat. Du hättest da draußen erfrieren können", tadelte sie mich. Es gab mir ein beruhigendes Gefühl, sie so sorgenvoll reden zu hören, so als würde ihr wirklich etwas an mir liegen. Ich wusste nicht, wann ich das letzte Mal so behandelt worden war. Im Moment hatte ich sowieso das Gefühl, niemanden zu haben. Meine Eltern waren tot, Eltern, denen ich vermutlich nie viel bedeutet hatte. Meine Schwester hasste mich, genauso wie Jackson. Es gab nur noch Brody und Cam, aber wenn Jackson ihnen erzählte was ich bin, werden sie mich bestimmt auch von sich stoßen. Tränen traten mir in die Augen. Ich hatte alles vermasselt. "Hey, hey, psscht, es ist alles gut. Du kannst mit mir über alles reden, ich bin für dich da." Das hatte Brody auch zu mir gesagt. Augenblicklich fing ich an zu schluchzen. Gott, ich war so ein Baby! Aber ich konnte es nicht zurückhalten. Vor allem der Gedanke an Jackson tat so unglaublich weh. Der hasserfüllte Blick in seinen Augen, als ich ihm sagte, dass ich eine Hunter bin. Mir wurde mit einem Mal unglaublich heiß. Mit einer einzigen Handbewegung streifte ich alle Decken von meinem Körper. Schweiß rann mir die Stirn hinab und mir wurde schwindelig. "Kannst du bitte aufhören, dich zu drehen", brachte ich mit zusammengekniffenen Augen von mir. Zuerst sah sie mich verwirrt an, doch dann schien sie zu verstehen, dass mir schwindelig war. Sie sagte irgendetwas, doch es schien, als wären meine Ohren in Watte verpackt. Kein einziges Wort drang zu mir durch und dann wurde wieder alles schwarz.

 

"Mia, Mia hörst du mich? Verdammt, ihr Fieber ist schlimmer geworden! So etwas habe ich noch nie gesehen!" Wieso war es hier so unglaublich heiß? Oder war es doch kalt? Ich wusste es nicht, es war mir auch egal, es sollte nur aufhören! Mein Kopf dröhnte schlimmer, als nach meiner ersten und auch letzten Saufparty. Nur vage konnte ich ausmachen, wo unten und wo oben war. "Mein Schädel explodiert", krächzte ich. Ich hörte mich miserabel an. Das konnte ich trotz meines eingeschränkten Gehörs hören. "Mia, bitte sieh mich an!" Etwas kaltes, nasses wurde mir auf die Stirn gelegt. Augenblicklich flatterten meine Augen auf. Der Alpha, sein Name wollte mir einfach nicht einfallen, sah auf mich herab. "Du musst uns sagen, was passiert ist. Nur so können wir dir helfen. Glaubst du, du schaffst das?" Ich nickte und versuchte in kurzen, abgehackten Sätzen zu erklären, wieso ich gestern auf dieser Bank gelandet war. Es fiel mir schwer zu atmen, sprechen ging noch schwerer. Ein Mann, den ich erst jetzt bemerkte, meldete sich zu Wort. "Bringt diesen Vampir so schnell es geht her!" "Du willst einen Blutsauger zu meinem Rudel bringen?", knurrte der Alpha. Travis! Genau, das war sein Name. Wenigstens hatte ich kein Alzheimer. "Bei allem Respekt, aber wenn Sie wollen, dass das Mädchen überlebt, braucht sie sein Blut. So weit ich es mitgekriegt habe, ist er ihr Gefährte, also stehen die Chancen größer, dass sie rechtzeitig geheilt wird. Entweder er kommt her, oder sie wird zu ihm gebracht. Jetzt liegt es an Ihnen." Verschwommen nahm ich wahr, wie sich zwei Arme unter meinen Körper schoben und mich sanft hochhoben. "Es wird alles gut", redete er auf mich ein, während er mit mir durch den Wald rannte. Gefühlte Stunden verstrichen in denen mich einerseits die Eiseskälte zittern ließ und ich gleichzeitig durch die Hitze fast umkam vor Schwitzen.

 

"MIA!" Mein Herz schlug schneller beim Klang seiner Stimme. "Was zur Hölle haben Sie mit ihr gemacht!", knurrte er bedrohlich. "Hör mir gut zu Junge! Erstens ist ihr Zustand ganz allein deine Schuld und zweitens solltest du ihr ganz schnell etwas von deinem Blut geben, bevor es zu spät ist!" Einige Sekunden geschah nichts. Jackson starrte Travis nur bedrohlich an. Dann spürte ich plötzlich etwas warmes an meinem Mund. Der vertraute Geschmack seines Blutes verteilte sich auf meiner Zunge. Ein wohliges Seufzen entfuhr mir. Mit jedem Schluck spürte ich die Schmerzen mehr schwinden, bis sie schließlich ganz verschwanden. Vorsichtig wurde ich auf den Boden gestellt. Zuerst wankte ich ein wenig, aber nach ein paar Sekunden ging es wieder. Ich atmete tief durch. "Mia, wir haben überall nach dir gesucht. Wo warst du die ganze Nacht?" Erst jetzt bemerkte ich Cam, die mich völlig aufgelöst in eine Umarmung zog. "Und wer ist er?" Jackson sah Travis noch immer feindselig an. Ich würde nicht nochmal den Fehler begehen, ihm die Wahrheit zu sagen. "Das geht dich überhaupt nichts an, Jackson!" Provokant verschränkte ich die Arme vor der Brust und sah ihn aus zusammengekniffenen Augen an. Ich hatte ihn an mich rangelassen, ihm etwas gesagt, das ich noch nie jemandem erzählt hatte und er hatte mich verletzt. Ein Ausdruck von Schmerz trat in sein Gesicht, aber der war so schnell weg, dass ich es mir wahrscheinlich nur eingebildet hatte. "Soll ich dich nachhause begleiten?", fragte mich Travis, wahrscheinlich um die plötzliche, peinliche Stille zu brechen. "Nein, schon ok. Aber ich danke dir und deiner Frau für alles. Sieht so aus, als wären wir jetzt quitt", scherzte ich. Er lächelte. "Das ändert nichts an dem, was ich dir gesagt habe, mein Kind. Meine Tür steht dir immer offen." Er legte eine Hand auf meine Schultern und sah mich warm an. Dann verschwand er wieder im Wald und ließ mich mit Cam und Jackson alleine. "Was meintest du mit quitt?", wollte Jack auffordernd wissen. "Ich hab dir gesagt, dass dich das gar nichts angeht!" Nur weil er mir mal wieder das Leben gerettet hatte, sollte er sich ja nicht einbilden, dass ich einfach darüber hinwegsehen würde, dass er mich so eiskalt zurückgewiesen hatte. Er seufzte. "Mia bitte, es tut mir-" "Nein", unterbrach ich ihn. "Glaubst du das macht es wieder gut? Ich habe dir vertraut, und du hast mich ohne ein Wort stehen gelassen. Weißt du, wie viel Kraft es mich gekostet hat, dir das zu erzählen? Natürlich nicht! Du scherst dich kein bisschen um die Gefühle anderer! Lass es einfach bleiben Jackson! Am besten wir gehen uns ab sofort aus dem Weg." Den letzten Satz laut auszusprechen brach alles in mir. Es kostete mich all meine verbliebene Kraft, mich umzudrehen und wegzugehen. So ist es gut. Ein Schritt nach dem anderen. Dreh dich jetzt nicht um Mia, geh einfach weiter. Ich hörte Schritte hinter mir. Zuerst dachte ich es wäre Jackson, aber zu meiner Überraschung war es Cam, die mir folgte. "Mia?" "Hm?" Sie schien nach den richtigen Worten zu suchen. "Sind wir-ich meine, dass du eine Hunter bist-das ändert doch nichts an unserer Freundschaft, oder?" Verwundert sah ich sie an. "Du willst immer noch mit mir befreundet sein?" Sie wusste was ich war und wollte mich trotzdem in ihrem Leben haben? "Natürlich will ich das! Wir alle wollen das! Wir haben dich gern und solange du dich nicht dazu entscheidest, uns alle im Schlaf zu erdrosseln wird das auch so bleiben." Geschockt über ihre Wortwahl sah ich sie mit offenem Mund an. Sie fing schallend an zu lachen und ich stimmt mit ein. Zum ersten Mal hatte ich wahre Freunde. Nie hätte ich erwartet, dass diese Rolle ausgerechnet Vampire übernehmen würden.

 

"MIA! Oh Gott sei Dank, dir geht es gut!" Stacy kam auf mich zugerannt und zog mich in eine stürmische Umarmung. Anfangs war ich zu perplex um zu reagieren. Sie sah furchtbar aus, als hätte sie tagelang geweint. "Ich hab mir solche Sorgen um dich gemacht!", schluchzte sie plötzlich. "Bitte tu mir das nie wieder an!" "D-du hast dir Sorgen um mich gemacht?" "Aber natürlich hab ich das! Du bist immerhin meine kleine Schwester und alles was ich habe." Ich wusste nicht, wann ich das letzte Mal solche Worte aus ihrem Mund gehört hatte, aber im Moment war es mir auch egal. Ich erwiderte ihre Umarmung und drückte sie noch fester an mich, wenn das überhaupt möglich war. "Und jetzt kommen deine Freunde und du mit zu uns nachhause und ich mach uns was schönes zu Essen!", beschloss sie und zog mich an erleichtert wirkenden Gesichtern vorbei. Warte, sie wusste es! Ach du- "Weißt du, du hättest mir ruhig sagen können, dass du und deine Schwester Jäger seid", meinte Brody plötzlich. Schockiert sah ich meine Schwester an, die über meinen Gesichtsausdruck nur lachte. "Es ist alles gut. Ich habe nicht vor, deinen Freunden etwas anzutun. Versprochen." Ich verstand die Welt nicht mehr. Gestern noch war sie ein mörderisches Monster und heute? Wie lange war ich weg gewesen?

 

***

 

"Du willst was?" Entgeistert blickte ich zu meiner Schwester, während ich versuchte zu verarbeiten, was sie mir gerade gesagt hatte. Cam und die anderen waren gerade erst gegangen, da hatte sie mir gesagt, sie wolle mit dem Jagen aufhören. Nicht dass mich das störte, aber sie war die letzte Person, von der ich das erwartet hätte. "Weißt du Schwesterchen, nach allem was passiert ist, wie ich mich benommen habe, ich meine ich war außer mir vor Rachegelüsten. Ich denke einfach, es wird Zeit für mich, mich zurückzuziehen." Ihre Wangen färbten sich leicht rot. Sie wurde nie rot! Außer- "Wer ist er?", rief ich voller Vorfreude. Sie seufzte. "Ich hätte wissen müssen, dass du mich durchschaust. Sein Name ist Steven. Er ist ein Mensch und ich- naja er macht mich einfach glücklich. Indem ich mich vom Jagen zurückziehe, gehe ich wenigstens sicher, dass er nicht hineingezogen wird in die ganze Sache und in Sicherheit ist." Ich lächelte. Nach so langer Zeit sah sie endlich, was wirklich wichtig im Leben war. "Was ist eigentlich mit dir und diesem gutaussehenden Jungen?" Ich verschluckte mich glatt an meiner Spucke und lief rot an. "W-wen meinst du?" Sie verdrehte die Augen. "Na dieser eine, der Bruder von dieser hübschen, kleinen. Der, der als Einziges nicht zum Essen da war", versuchte sie meinem Gedächtnis auf die Sprünge zu helfen. Natürlich wusste ich ganz genau, wen sie meinte. Es war mehr als offensichtlich, dass ich etwas für diesen Idiot empfand. "Mit uns ist nichts!" Skeptisch hob sie ihre rechte Augenbraue und sah mich tadelnd an. Das tat sie immer, wenn sie merkte, dass ich log. "Ach wirklich? Und das obwohl er dir heute das Leben gerettet hat?" Jap, sie wusste bescheid. Brody hatte seine Klappe nicht halten können und hatte es ausgeplaudert. Meine plötzlich nett mutierte Schwester war natürlich mehr als entzückt gewesen. Ich verdrehte die Augen. "Ich weiß nicht, ob ich ihm vertrauen kann, Stacy. Er kann mir noch so oft das Leben retten, aber weißt du, was er getan hat, als er erfahren hat, dass ich eine Hunter bin?" Fragend sah sie mich an. "Er hat mich allein im Dunkeln sitzen lassen! Du weißt, dass ich nicht die emotionalste Person bin, aber wenn es um meine Existenz und meine- Erlebnisse geht, brauche ich jemanden, der nicht jedes Mal davonrennt, wenn ich ihm ein verstörendes Ereignis aus meine Vergangenheit anvertraue!" Sekundenlang herrschte ein bedrückende Stille zwischen uns. "Du hast ihn wirklich gern, oder?", fragte sie dann. Ich war wirklich viel zu leicht zu durchschauen. Leugnen war zwecklos, deshalb nickte ich nur betrübt. "Wenn er dich wirklich genauso gernhat wie du ihn - und davon gehe ich aus - dann wird er sich etwas einfallen lassen, um dein Vertrauen zurückzugewinnen. Glaub mir, du musst nur Geduld haben." Sie zwinkerte mir vielsagend zu, was das Eis endgültig brach. Ich grinste und schloss sie in meine Arme. "Ich weiß, ich sage es nicht oft genug, aber ich hab dich unglaublich lieb, Mia." Mein Herz fühlte sich plötzlich so warm und voller Liebe an, dass es schon fast überquoll. Es war genug, sie war genug, wir waren genug, solange wir uns hatte, konnte die restliche Welt tun und lassen, was auch immer sie wollte. "Ich hab dich auch lieb Stacy."

 

10. The Connection is real

 

Am nächsten Morgen musste ich mich regelrecht dazu überwinden, in die Schule zu gehen. Nicht dass es an anderen Tagen nicht so wäre, aber ich wusste, ich musste Jack aus dem Weg gehen und ich hatte keine Ahnung wie ich das schaffen sollte, wenn ich mit den anderen doch ziemlich gut befreundet war. Wie immer wenn ich nicht weiter wusste, biss ich in meine Unterlippe und sah mich um, als würde die Lösung meiner Probleme auf einer der langweilig weißen Wände geschrieben stehen. Das Klingeln der Haustür riss mich aus meinen Gedanken. Als ich aufmachte blickte mir eine strahlende Cam entgegen. Hinter ihr winkte mir Brody aus dem Auto zu. Ich wurde in eine innige Umarmung gezogen, danach sofort nach draußen gezerrt. "Cam warte! Ich brauch noch meine Tasche!" Sie hob ihren rechten Arm in dem sie- meine Tasche hielt? Sie lachte über meinen verwirrten Gesichtsausdruck. "Ich hab einen Abstecher in dein Zimmer gemacht. Das macht dir doch nichts aus?" Was sollte man auch sonst von ihr erwarten. Ich schüttelte als Antwort nur mit dem Kopf und setzte mich in den Wagen. "Hey Brody, wie hast du denn so schnell ein neues Auto hergekriegt?" Er zwinkerte mir vielsagend zu. "Das ist eins meiner Ersatzautos." "EINS deiner Ersatzautos? Wie viele hast du denn?" Er schien ernsthaft zu überlegen. "Also jeder von uns hat einen eigenen Wagen, aber die Ersatzautos können alle fahren. Hier haben wir... hmm der BMW, der schwarze Van, zwei Audis und einen Range Rover." Ungläubig sah ich ihn an. "Ihr Vampire habt definitiv zu viel Geld", meinte ich nur, woraufhin er nur grinste. "Du bist doch nur eifersüchtig, dass du nicht so viele Wagen hast!" Ich lachte. "Vielleicht wäre ich das, wenn ich eine Ahnung hätte, wie man so ein Ding fährt." Cam drehte sich zu mir um. "Du kannst noch nicht Auto fahren?", fragte sie verwundert. Ich schüttelte den Kopf. "Ich bring's dir bei!", rief Brody aufgeregt vom Fahrersitz aus. Er drehte sich um und sah mich mit vor Vorfreude glitzernden Augen an. "Woah, Blick auf die Straße!" "Tschuldigung" Damit drehte er sich wieder nach vorne. Die restliche Fahrt verlief ruhig und Cam überredet mich, unseren verpassten Shoppingtrip heute nach der Schule nachzuholen.

 

***

 

"Ms. Gold, schön, dass Sie uns mit Ihrer Anwesenheit beehren!" Jap, wieder Mr. Bradshaw und diesmal war ich sogar wirklich zu spät. Zwar nur zwei Minuten, aber genug um diesem Idiot von Lehrer ein triumphierendes Lächeln zu entlocken. Zu meinem Pech war ich diesmal sogar allein. Also ohne Brody und Cam. Die mussten noch irgendetwas vampirmäßiges mit Jackson besprechen. Was genau das war, wollte ich gar nicht wissen. Erst recht nicht, wenn Jackson als ihr 'Boss' mit ihnen sprach. Natürlich musste er ihr Anführer sein! Als könnte diese Rolle kein anderer übernehmen. Augenrollend ließ ich Mr. Bradshaw's Predigt übers zu spät kommen über mich ergehen. "Sind Sie dann fertig, damit ich mich endlich hinsetzen kann? Ich hab heute wirklich keine Lust auf den Scheiß. Entweder Sie lassen mich Nachsitzen oder Sie sehen darüber hinweg und damit hat sich die Sache!" Abwartend sah ich ihn an. Die Vene an seiner Stirn schien wieder gefährlich nach am Platzen zu sein. "ZUM DIREKTOR! SOFORT!" "Weswegen denn bitte? Und sagen Sie jetzt nicht respektloses Verhalten! Wenn Sie mich nicht wie den letzten Dreck behandeln würden, hätte ich bestimmt auch Respekt vor Ihnen, aber so machen Sie sich doch selbst nur zur Lachnummer der Schule!" Ups, ich schien es diesmal wirklich zu weit getrieben zu haben. Seine Augen wechselten die Farbe. Das war der Moment in dem ich realisierte, dass er ein Vampir war. Und ich hatte es nicht gemerkt! Die ganze Zeit über! Mit einer Hand holte er nach mir aus. Erschrocken bückte ich mich gerade noch rechtzeitig weg. "Wollen Sie in den Knast, oder wieso attackieren Sie gerade eine Schülerin?", kam es von irgendjemandem aus der Klasse. Sein Kopf schnellte zu dem Schüler. Als dieser seine Augen sah, wich er mit seinem Stuhl einige Meter zurück. Toll! Ein Raum voller Menschen und ein Vampir, der mich zerfleischen wollte! Aus dem Augenwinkel sah ich eine Schülerin, deren Anwesenheit ich erst jetzt bemerkte. Ihre langen, schwarzen Haare fielen ihr in Wellen bis zur Mitte ihres Rückens und ihre Augen strahlten in so einem eisigen Blauton, dass ich eine Gänsehaut bekommen hätte, wenn sie mich nicht freundlich angelächelt hätte. Sie stand auf und hob beruhigend die Hände. "Mr. Bradshaw, Sie müssen sich beruhigen! Ein Menschenmädchen zu töten, die noch dazu Ihre Schülerin ist, bedeutet für Sie den Tod." Ihre Stimme klang einlullend, so als würde sie ihn beeinflussen wollen. Hexe! schrie alles in mir. Leider hatte ich ihn so aufgebracht, dass nicht mal das half. Außer sich vor Wut sprang er in ihre Richtung, seine Hand so geformt, als wolle er sie an der Kehle packen. Schnell hob ich die Hand und fing ihn mitten in der Luft ab. Erschrocken sah sie mich an, genauso wie der Rest der Klasse. Perfekt, ich hatte gerade meine Tarnung endgültig aufgegeben! "Was bist du?", fragte sie mich neugierig. Hunter, formte ich mit den Lippen, sodass es Mr. Bradshaw nicht mitkriegen konnte. Sie riss erschrocken die Augen auf und sah dann zu dem, noch immer in der Luft hängenden Lehrer. "Kannst du ihn auf den Boden stellen?" Ich nickte und ließ ich langsam runter, behielt aber weiterhin die Kontrolle über seinen Körper. "Was machen wir jetzt mit ihm?" Ich bezweifelte, dass Vampire Vampiren das Gedächtnis löschen konnten, und genug Vertrauen hatte ich zu ihm auch nicht, als dass ich ihn einfach so gehen lassen konnte. Immerhin wusste er jetzt, was ich war. "Wir sollten ihn töten", meinte die Hexe plötzlich gedankenverloren. "Bist du dir sicher?" Sie nickte. "Ich habe schon lange ein Auge auf ihn. Er rennt durch die Gegend und tötet junge Hexen, nur weil ihr Blut ihm einen Kick gibt." Also das änderte die Sache gewaltig! "Ich weiß, du bist eine Jägerin und es interessiert dich wahrscheinlich nicht, was mit meinesgleichen passiert, aber-" "Willst du es tun oder soll ich?", unterbrach ich sie. "I-ich hab noch nie jemanden-" Ich nickte verständnisvoll. "Schon gut, ich erledige das. Kannst du Cam oder Brody holen, damit sie denen-" Ich zeigte auf all die geschockten Menschen in diesem Raum. "-das Gedächtnis löschen können?" Sie nickte. "Achja, und es ist mir nicht egal. Dein Verlust tut mir ehrlich leid." Sie schenkte mir ein kleines Lächeln, bevor sie schließlich verschwand. "So Leute, wer ohne lebenslanges Trauma weiterleben will, dreht sich jetzt lieber mal weg! Das wird sehr unschön werden!", warnte ich die anderen vor, die mich noch immer so ansahen, als wäre ich ein Alien vom Planeten Mars. Verübeln konnte ich ihnen das ja nicht. Mich wunderte es aber, dass bis jetzt noch niemand geschrien hatte. "Bitte, tu das nicht! Ich schwöre, ich werde es nie wieder tun!" Toll! Das ist so typisch! Zuerst versuchen, mich umzubringen und dann um ihr Leben betteln. "Wenn du endlich deine Fresse hältst, mache ich es kurz. Schmerzlos kann ich bei dieser Klinge allerdings nicht versprechen." Ich holte meinen mit Huntergift aufgepeppten Lieblingsdolch aus meiner Tasche. Ein Stich ins Herz reichte und er klappte mit einem letzten schmerzerfüllten Aufschrei vor mir zusammen. Wie aufs Stichwort betrat-oh nein! "Was willst du hier, Jackson!" "Du brauchtest einen Vampir. Hier bin ich." Ich verdrehte die Augen, sagte aber nichts dazu. Beim Anblick der Leiche erntete ich einen anerkennenden Blick von ihm. "Wow, saubere Arbeit! Wie hast du das denn so schnell hingekriegt?" Ich hob meine Hand und deutete auf den blutverschmierten Dolch. "Huntergift", sagte ich nur. "Du weißt, wie man das herstellt?" Ich schnaubte verärgert. "Wieso willst du das wissen? Damit du meine beste Waffe gegen mich verwenden kannst? Oh, und spar dir den Versuch, meinen Dolch zu nehmen, der funktioniert nämlich nur, wenn ich ihn benutze!" Er sah mich mit einem Ausdruck von tiefer Gekränktheit an. "So hab ich das nicht gemeint, Mia. Ich wollte nur-" "Erledige einfach das, wozu du hergekommen bist, ich brauch frische Luft!" Ohne auf eine Antwort von ihm zu warten rauschte ich aus dem Raum und knallte dabei in die Hexe von vorhin. "Tut mir leid", sagten wir beide gleichzeitig und grinsten uns danach bescheuerter Weise total dämlich an. "Ich bin übrigens Valentina, aber nenn mich ruhig Val." "Mia", gab ich zurück. "Ähm wegen vorhin, du weißt schon die ganze Huntersache-", druckste ich rum, weil ich nicht wirklich wusste, was ich sagen sollte. "Keine Sorge, dein Geheimnis ist bei mir sicher." "Wirklich?" Warum sollte sie es für sich behalten, wenn sie es doch als Druckmittel gegen mich verwenden konnte? "Natürlich! Du hast mir heute geholfen, eine große Bedrohung für mein Volk auszuschalten, da ist Geheimhaltung das Mindeste, was ich im Gegenzug tun kann!" "Hey, ich und Cam gehen später shoppen. Hättest du vielleicht Lust mitzukommen?" Sie sah mich etwas verunsichert an. "Nichts gegen Vampire, aber ich bin kein richtiger Fan von ihnen und dass sie mich dabei haben will, bezweifle ich stark. Vielleicht beim nächsten Mal." Ich grinste. "Na gut, aber ich nehm dich beim Wort! Das nächste Mal kommst du mit!" "Abgemacht!"

 

***

 

Mittagspause. Normalerweise die einzige erträgliche Stunde, die man in der Schule verbringt. Doch in diesem Moment wünschte ich mir nichts sehnlicher, als mich einfach in Luft aufzulösen. Wie immer saßen wir alle zusammen an einem Tisch und wie immer unterhielten sich alle ausgelassen. Bis auf mich und Jackson. Er versuchte die ganze Zeit mit mir zu reden und ich tat alles, um seinen Blicken auszuweichen. Leider saß ich genau neben ihm und konnte fast die Wärme seiner Haut auf meiner spüren. Es machte mich verrückt. Er war mir so nahe, dass ich Probleme hatte, zu atmen. Mein Herz schlug mir bis zum Hals und mein gesamter Körper war angespannt. Die anderen warfen uns hin und wieder Blicke zu, beachteten uns aber ansonsten nicht. "Mia, willst du mich jetzt auf ewig ignorieren?" Stur blickte ich auf meine Nudeln, die ich noch nicht einmal angerührt hatte. "Was erwartest du von mir? Dass ich dir um den Hals falle?" Meine Stimme klang kalt und abwesend, aber mein Herz schlug so laut, dass ihn das bestimmt nicht täuschen konnte. "Mia, bitte sieh mich an." Seine samtweiche Stimme verursachte bei mir eine Gänsehaut. Er legte seine Hand auf meine, die ich aber sofort wegzog. Der Schauder, der selbst bei dieser kleinen Berührung von ihm durch meinen Körper lief, ließ mich erzittern. Aus zusammengekniffenen Augen sah ich ihn an. Mir war bewusst, dass uns die anderen hören konnten, doch das war mir in diesem Moment egal. "Was jetzt Jackson, hm? Ich sehe dich an, und? Ändert das jetzt irgendwas daran, was du getan hast? Nein. Ich meine klar, du hast mir das Leben gerettet, aber ohne dich wäre ich doch nie in diese Situation geraten. Also erwarte keine Dankbarkeit von mir! Im Gegenteil, ich hätte dich damals im Wald töten sollen, als ich die Gelegenheit hatte! Wer weiß, wie viele Leben du schon auf dem Gewissen hast! Und ausgerechnet einem wie dir verfalle ich! Einem scheiß Vampir, der denkt er könnte mich küssen, wann immer er will und mir danach einfach das Gedächtnis löschen! Falsch gedacht Mr.! Ich will, dass du mich von nun an in Ruhe lässt, kapiert!" Er sah mich mit offenem Mund an. Dann lächelte er wie ein Honigkuchenpferd. "Denkst du, ausgerechnet jetzt würde ich aufgeben, wo ich weiß, dass du etwas für mich empfindest, Liebling?" Seine verführerische Stimme verschlimmerte meine Kurzatmigkeit nur noch. Mist! Jetzt weiß er, was ich fühle! Wie dumm kannst du eigentlich sein, Mia! Zum Glück läutete es zum Ende der Pause und ich atmete erleichtert auf, weil ich endlich aus seiner Gegenwart verschwinden konnte. "Freu dich nicht zu früh, du hast jetzt Kampftraining mit mir!", grinste er. Ich strecke mein Kinn raus und sah ihn herausfordernd an. "Gut! Dieses Mal kann ich dich wenigstens mit all meiner Kraft fertig machen!" Ich verabschiedete mich von den anderen und machte mich auf den Weg in die Sporthalle.

 

***

 

"Worauf wartest du? Greif mich an! Oder hast du es dir doch anders überlegt?" Er lächelte herausfordernd und ich versuchte das Gefühl von Geborgenheit, dass dieses Lächeln in mir auslöste, zu verdrängen. Das war meine Chance all meine Wut an ihm auszulassen! Und ich wollte sie auch nützen. Ich ging auf ihn zu und wollte ihn mit der Faust ins Gesicht schlagen. Wie erwartet fing er meine Hand ohne Probleme ab. Was er nicht erwartete war, dass ich ihm im selben Augenblick mit meiner anderen Faust in den Bauch schlagen würde. Er krümmte sich vor Schmerzen. "Ich muss zugeben, Liebling, der war gut!", brachte er keuchend hervor. "Nenn mich nicht so!" Ich sah Belustigung in seinen Augen aufblitzen. "Wieso nicht? Stört dich das etwa, mein Schatz?" Mit einer unglaublichen Leichtigkeit warf er mich zu Boden. Mist! Ich hab nicht aufgepasst! Fluchend rappelte ich mich wieder auf und setzte zum nächsten Schlag aus. So ging es einige Zeit weiter. Ich schlug zu und er blockte meine Angriffe ab. Dann schlug er zu und ich blockte ab. Wir waren beide aus der Puste, aber keiner von uns wollte sich als erster geschlagen geben. "Ich hatte schon lange keine Gegnerin, die es mit mir aufnehmen konnte!" Ich lachte. "Dann müssen deine Gegner ja allesamt Anfänger gewesen sein!", versuchte ich ihn zu ärgern und es funktionierte sogar. Er war so darauf erpicht, mir zu zeigen, dass er stärker war als ich, dass er seine Verteidigung vernachlässigte und es damit ein Leichtes für mich war, ihn zu Fall zu bringen. Auf ihm sitzend betrachtete ich sein überraschtes Gesicht. Ich stützte meine Hände neben seinem Kopf ab und sah ihn triumphierend an. "Das passiert, wenn du dich zu leicht aus der Fassung bringen lässt, mein Lieber." Seine Augen durchbohrten mich mit einem intensiven Blick. Ich hatte das Gefühl, seine silbrigen Augen würden direkt durch mich hindurch sehen. Dann hörte ich seine viel zu raue Stimme. "Du bist die Einzige, die mich so aus der Fassung bringen kann." Als ich die Bedeutung seiner Worte verstand, realisierte ich erst, in welcher Position wir uns gerade befanden. Mein Gesicht lief rot an und ich wollte vor Scham nur so schnell wie möglich runter von ihm, doch er hielt mich an der Hüfte fest. "Wieso läufst du immer weg vor mir? Tief in dir drin weißt du doch genauso gut wie ich, dass du das hier willst. Erst die Nähe zueinander vervollständigt uns. Was kann ich tun, um deine Vergebung zu verdienen? Sag es und ich tue es! Nur bitte, hör auf meine Nähe zu meiden." Seine Worte brachten Tränen in meine Augen. Es tat weh, ihn so gebrochen sprechen zu hören, aber ich wusste nicht, ob ich ihm noch vertrauen konnte. Nicht nachdem er mich so abgewiesen hatte. "Es tut mir leid, ich kann nicht.." So schnell es mir möglich war, rappelte ich mich auf und rannte aus der Halle hinaus. Ich wollte nicht, dass er mich schon wieder weinen sah, nur dieses Mal wegen ihm. Wegen dem verletzlichen Ausdruck in seinen Augen. Weil alles was er sagte, direkt ins Schwarze traf. Ich hatte gehört, wie er gesagt hat, ich sei seine Gefährtin. Das hieß, er würde niemals aufgeben und ich könnte diese Gefühle auch nie abstellen! Die Verbindung, die ich von Anfang an zu ihm spürte, war also wirklich real! Das Schicksal war doch beschissen! Bindet eine Jägerin an einen Vampir! Was soll ich nur tun? Er wollte wirklich, dass ich ihm verzeihe, dass hatte ich ja gesehen. Aber nichts woran ich denken konnte, würde mein Vertrauen zu ihm so einfach wieder aufbauen. Und eine Beziehung ohne Vertrauen war für mich unvorstellbar. Da könnten meine Gefühle für ihn noch so groß sein! "Mia? Ist alles in Ordnung?" Ich drehte mich zu der besorgt klingenden Stimme und sah, wie Cam mich von oben bis unten betrachtete. Als sie bei meinem Gesicht ankam, hielt sie inne. "Hey Süße, sind das etwa Tränen, die ich da sehe? Was ist denn passiert?" Sie umarmte mich und spendete mir ein wenig Trost. Ein leichter Duft nach Blumen kroch in meine Nase und beruhigte meine strapazierten Nerven. "Es geht um Jack, nicht wahr? Ach Süße, das wird sich alles zum Guten wenden. Ich weiß, du glaubst nicht daran, aber mein Bruder ist wirklich ein guter Mann. Vor allem seit er dich kennt, hat er sich so unglaublich stark verändert. Ich weiß, er hat dich verletzt, aber ich kenne ihn gut genug, um zu wissen, dass er es wiedergutmachen wird. Du wirst schon sehen!" Ich nickte nur, weil ich nicht wusste, was ich sonst darauf antworten sollte. Er sollte es wiedergutmachen? Wie denn? Ich wusste ja selbst keine Antwort darauf. "Was hältst du davon, wenn wir die restlichen Stunden einfach schwänzen und gleich losfahren?" "Das ist die erste gute Idee, die ich heute gehört habe!" Sie lächelte. "Wir treffen uns gleich beim Auto, ich geh nur schnell Brody holen." Nachdem ich zurückgegangen war, um mich umzuziehen, ging ich zum Parkplatz, wo die beiden schon auf mich warteten. "Können wir los?" Ich nickte und stieg ein. Es war das erste Mal seit langem, dass ich einen entspannten Tag mit Freunden verbringen konnte. Ohne Geheimnisse, ohne meine Identität verbergen zu müssen und ich war unglaublich dankbar, dass ich jemanden wie die beiden gefunden hatte, die mich so akzeptierten, wie ich war.

 

11. Menschenkenntnisse

"Warte, warte! Das hier musst du auch noch probieren!" Gerade als ich wieder umgezogen aus der Kabine trat, in der ungefähr 20 Kleidungsstücke lagen, hielt mir Cam ein Kleid hin. Ich verdrehte die Augen. "Muss das sein? Ich kann nicht mehr!", jammerte ich. Die beiden waren wirklich unglaublich! Wir waren von Geschäft zu Geschäft gegangen und hatten alle Unmengen an Kleidern anprobiert. Noch unglaublicher war, dass die beiden sich alles davon gekauft hatten! Ich fragte mich, wie wir später wieder alle in den Wagen passen sollten bei den vielen Tüten! Das einzige, das ich mir gekauft hatte, war Essen. Jap, Unmengen an ungesundem Zeug, das ich die ganze Zeit über in mich hineinstopfte, wenn ich gerade nicht in der Umkleide steckte. Was hatten die beiden auch anderes von mir erwartet, wenn sie mich in die teuersten Geschäfte überhaupt schleppten! Ich meine 2450 Euro für ein einfaches Kleid?! Das konnte doch nicht ihr ernst sein! "Ach komm schon! Nur noch dieses eine! Biitteee!" Mein ganzer Körper tat mir weh und ich verhungerte gleich und sie wollte, dass ich ein Kleid anprobierte! Brody riss es ihr aus der Hand und hielt es vor meinen Körper. "Das ist nichts für sie. Problem gelöst! Wer will jetzt was essen gehen?" Ich lächelte zufrieden. Wenigstens einer von ihnen war auf meiner Seite. Beleidigt verschränkte Cam ihre Arme vor der Brust, folgte uns aber stumm. "Worauf habt ihr Lust?", fragte Brody in die Runde. Ich überlegte. "Ich kenn mich hier noch nicht so gut aus. Ihr müsst entscheiden." "Oh, ich weiß was!" Mit zusammengekniffenen Augen sah ich ihn an. "Du führst uns aber nicht in irgend so ein Schicki-micki-Restaurant hoffe ich mal." Er lachte über meine Wortwahl. "Nein, nein, keine Sorge. Ich dachte an Pizza." "Das ist ja schon eher nach meinem Geschmack!"

 

Sobald wir den Laden betraten wurden wir von allen Seiten angestarrt. Naja, viel eher wurde ich angestarrt von nach Vampiren riechenden Personen. Sollte ich erwähnen, dass ich vergessen hatte, meine Tarnung aufzubauen? Gott, die sahen mich an, als würden sie mich gleich anfallen! "Was ist das hier für ein Laden Brody! Hier sind ja nur-" "Vampire?", unterbrach er mich und lachte. Einer der Gäste stand auf und sah aus, als wäre er jederzeit bereit zum Kampf. Auf mich wirkte er wie ein Fitnessmodel mit seinen riesigen Oberarmen, die durch sein enges T-Shirt nur noch mehr betont wurden. "Was macht eine Jägerin an einem Ort wie diesem? Wo es doch so einfach für uns wäre, die in Stücke zu reißen, vor allem wenn man bedenkt, dass wir in der Überzahl sind!" Überraschenderweise war Cam diejenige, die sich beschützend vor mich stellte und ihre Stimme hob. "Keiner von euch wird sie auch nur anrühren, ist das klar! Oder ich werde jeden von euch köpfen lassen! Wenn ihr wisst wer ich bin, wisst ihr, wie ernst gemeint diese Drohung ist!" Bei ihrer Stimme bekam ich eine Gänsehaut. So hatte ich meine Freundin noch nie erlebt und wenn ich sie nicht besser kennen würde, hätte ich eine Heidenangst vor ihr gehabt. "Du verteidigst dieses Ding vor deiner eigenen Rasse? Vor deinem eigenen Volk?" Oh, oh. Vielleicht sollten wir einfach verschwinden.. "Brody?", meinte das blonde Mädchen gelassen. Dieser nickte bloß und holte einen silbernen Dolch aus seiner Tasche. Ich war wie gefesselt von dieser Waffe. Sie schien unnatürlich zu glänzen und am Griff reihten sich klitzekleine Diamanten aneinander, die mich ein wenig an mein Armband erinnerten. Brody schritt auf die beiden zu, aber ich stoppte ihn. "Gehen wir einfach! Das ist keine große Sache Leute, wirklich! Wahrscheinlich hätten wir von Anfang an nicht hier her kommen sollen.." Der Muskelprotz sah mich abschätzend an, sagte aber nichts. Vermutlich weil Brody noch immer seine Waffe gezückt hielt. Anscheinend schien mehr hinter diesem Messer zu stecken, als man ahnte. Brody sah unschlüssig zu Cam, die noch immer wütend den Muskelprotz anstarrte. "Nächstes Mal kommst du nicht so einfach davon.", knurrte sie und drehte sich um. "STOP!" Alle drehten sich in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war. Es kam mir vor, als hätte ich diese Stimme schon einmal gehört, aber mir wollte einfach nicht einfallen wo. "Dios mio, tesoro! Wie lange ist es her?" Diesen italienischen Akzent würde ich niemals vergessen. "Paolo?", fragte ich ungläubig. Absolut jeder im Raum starrte uns schief an, als der Besagte vor mich trat und mich in eine Umarmung zog. "Komm, komm! Na los, ich bestehe darauf!" Er führte uns zu einem Tisch und holte uns die Speisekarten. "Paolo, woher kennst du diese Jägerin!", fragte der Muskelprotz, der mich weiterhin hasserfüllt anstarrte und sich noch immer nicht wieder hingesetzt hatte. "Also das wüsste ich auch gern", meinte nun Cam und sah mich neugierig an. "Dieses Mädchen hat mich und meine Frau gerettet vor ihrer Familie! Nur wegen ihr stehe ich heute hier", gab stolz von sich. Ich wurde ein wenig rot um die Wangen. Ja, Paolo und seine Frau waren zwei der vielen Vampire, von denen meine Familie denkt, ich hätte sie getötet. Dabei habe ich alle nur in diesem Glauben gelassen und habe sie stattdessen weggeschickt. So viele Augenpaare auf einmal auf mir zu spüren war nicht gerade sehr angenehm, aber ich musste es über mich ergehen lassen. "Du hast ihn gerettet?", fragte Brody ungläubig. Damit schien er genau die Frage zu stellen, die jedem in diesem Raum im Kopf herumschwirrte. Ich nickte einfach nur. "Nur weil ich bin was ich bin, heißt das nicht, dass ich Leute ohne Grund abschlachte", schnaubte ich. Dachten sie wirklich ich sei so ein schlechter Mensch? Muskelprotz lachte verbittert auf. "Als ob ich dir das glauben würde! Wie viele Vampire hast du in deinem mickrigen Leben schon ermordet?" Wütend stand ich auf. Paolo wollte schon den Mund aufreißen um mich zu verteidigen, aber ich hob die Hand, um ihn davon abzuhalten. "Und wie viele unschuldige Menschen hast du in deinem trostlosen Leben schon getötet?", stellte ich eine Gegenfrage und betonte das Wort 'unschuldige' mit Absicht. Er schnaubte belustigt, doch ich fand das alles andere als komisch. "Wie wär's hiermit. Mein Bruder hier-" Er deutete auf einen, zwar muskulösen, aber im Vergleich zu ihm trotzdem schlaksigen Jungen. "-ist ein wandelnder Lügendetektor. Also wer auch immer von uns mehr Unschuldige getötet hat, stirbt!" Ein Raunen ging durch die Menge, das sofort aufhörte, als ich antwortete. "Gut" "Mia, was tust du da?!" Cam sah mich mit vor Schreck geweiteten Augen an. "Mach dir keine Sorgen um mich. Ich weiß, was ich tue." Muskelprotz' Bruder räusperte sich. "Wer möchte beginnen?" Ich deutete ihm den Vortritt, was er mit einem triumphierenden Lächeln abtat. "Fünf. Ich habe während meines Vampirdaseins nur fünf Unschuldige getötet und das war in meinen ersten Jahren, als ich meinen Blutdurst noch nicht kontrollieren konnte. Der Rest waren alles Vergewaltiger oder Verbrecher, die zählen ja nicht als Unschuldige." Sein Lächeln ließ ihn noch gruseliger wirken, als ich ihn ohnehin schon fand. "Das ist die Wahrheit. Jetzt bist du dran", meinte der Junge an mich gerichtet. Ich spürte, wie sich Cam und Brody hinter mir anspannten, genauso wie Paolo. "Null", antwortete ich schlicht. Alle fingen an zu lachen. Alle bis auf den Jungen. "Bruder, sie spricht die Wahrheit", flüsterte dieser. Augenblicklich wurde es mucks Mäuschen still im Restaurant. "Das ist unmöglich!" "Nein ist es nicht! Ich habe noch nie einen Unschuldigen getötet. Es waren genau ein kaltblütige Mörder, der sich wehrlose Hexen als Opfer nahm und zwei Mitglieder der Slayers und die kann man ja wohl definitiv nicht als unschuldig bezeichnen", verteidigte ich mich. Muskelprotz kam auf mich zu. Plötzlich wirkte er gar nicht mehr so bedrohlich und triumphierend wie noch eben zuvor. Vor mir blieb er stehen. Dieser Kerl war so riesig, dass ich zu ihm hinaufschauen musste. "Ich habe dich unterschätzt, Jägerin." Er sah zu mir hinab. Worauf wartete er denn? "Ähm, danke?", antwortete ich. Als er sich nach ein paar Sekunden noch immer nicht von der Stelle rührte, wurde ich nervös. "Worauf genau wartest du?" Er sah mich an, als hätte ich ihm gerade offenbart, dass Vampire Blut tranken. "Ich hab die Abmachung verloren.." Ich stand ein wenig auf der Leitung. Er hatte die Abmachung verloren, ja und-OH! "Ich werde dich nicht töten." "Aber ich hab verloren?" Ich konnte nachvollziehen, dass er verwirrt war, immerhin war er darauf gefasst gewesen, jetzt zu sterben, aber ich würde es dennoch nicht tun. "Aber du bist kein schlechter Mensch-äh Vampir", gab ich zurück. "Wie kannst du das behaupten, nachdem ich dir gerade eben gebeichtet habe, dass ich fünf Unschuldige getötet habe?" Langsam tat er mir leid. Er wirkte wie ein verlorener Welpe, völlig überfordert mit der Situation. "Du sagtest auch, dass das nur in deiner Anfangszeit war, also bedeutet das, du hast dich verändert, verbessert. Solange du so weiter machst, sehe ich keine Bedrohung für die Menschheit in dir und somit auch keinen Grund für deinen Tod." Verblüffung spiegelte sich in seinem Gesicht wieder. "Ich muss sagen, ich habe dich wirklich unterschätzt. Es tut mir aufrichtig leid." Er deutete eine Verbeugung an und setzte sich zurück auf seinen Platz. "Dios mio. jage mir nie wieder so einen Schrecken ein, principessa!" Ich kicherte, versprach es ihm aber dennoch. Die restliche Zeit unterhielt ich mich fröhlich mit meinen Freunden und Paolo, sogar der Muskelprotz und sein Bruder, Dario und Dean, wie sie sich später vorstellten, setzten sich später zu uns. Sie waren kein bisschen so eingebildet, wie ich sie mir vorgestellt hatte, sondern eigentlich sogar ziemlich nett. Im Laufe des Abends spürte ich immer wieder ehrfürchtige und zum Teil sogar faszinierte Blicke im Rücken, die ich aber gekonnt ignorierte. Paolo ließ die Pizzen aufs Haus gehen, als Dank für seine Rettung, wie er mehrmals betonte und entlockte mir das Versprechen, öfter herzukommen und auch seine Frau zu treffen und seinen kleinen Sohn kennenzulernen. Alles in allem doch ein schönes Ende für einen schönen Tag.

 

***

 

"Ich bin zuhauseee!" Das erste, dass ich tat, war meine Schuhe auszuziehen und mich auf den Flurboden zu setzen, wo ich mir dann meine schmerzenden Füße massierte. "Komm ins Wohnzimmer! Ich möchte dir jemanden vorstellen!", hörte ich meine Schwester rufen. Also hievte ich mich mühselig hoch. Als ich ins Wohnzimmer trat, blickten mir zwei freudig grinsende Gesichter entgegen. Meine Schwester und- "Hey Mia, ich will dir meinen Freund vorstellen. Das ist Steven, Steven, das ist meine Schwester Mia." Seine dunkelblonden Haare fielen ihm lässig in die Stirn und seine Augen waren rabenschwarz, was mir etwas gruselig vorkam. Er gab mir höflich die Hand, die ich auch entgegennahm. Als seine Haut auf meine traf, fuhr ein eiskalter Schauer meinen Rücken hinunter und zwar nicht die gute Sorte. Seine bloße Anwesenheit brachte in mir ein komisches Gefühl hoch. Wieso finde ich ihn so gruselig? "Ich hab schon viel von dir gehört. Es freut mich, dich endlich kennenzulernen." Seine Stimme machte es auf nicht besser. Seine gesamte Haltung kam mir viel zu gespielt vor. Vielleicht ist er ja nur nervös? Ich brachte ein gezwungenes Lächeln über die Lippen. Nichts desto trotz war ich mehr als nur skeptisch ihm gegenüber. "Und? Wie habt ihr beiden euch denn überhaupt kennengelernt?" Ich musste mehr über diesen Typen herausfinden. Was eignete sich da besser, als die neugieriger, kleine Schwester raushängen zu lassen?" Steven nahm die Hände meiner Schwester in seine und sah sie verliebt an während er sprach. Mich überzeugte dieses Getue jedoch kein bisschen. "Sie hat ihren Kaffee auf mein Lieblingshemd geschüttet. So sind wir dann ins Gespräch gekommen. Ich wollte sie schon blöd anmachen, doch als ich sie ansah, konnte ich kein einziges Wort mehr rausbringen, so überwältigt war ich von ihrer Schönheit." Meine Schwester kicherte. Gott, ich könnte kotzen! Kein einziges Wort kaufte ich ihm ab. "Wie alt bist du eigentlich Steven?" Er sah Mitte 20 aus, doch die Art und Weise, wie er sprach, sich bewegte, sogar wenn er einfach nur saß und nichts tat, strahlte er etwas aus, dass ihn aus einer anderen Zeit hätte stammen lassen können. Würde man nur darauf achten, könnte man glauben er wäre irgendein Adeliger um die 50! "Ich bin 25." So wie er diese einfache Zahl betonte, könnte man glatt glauben, er hätte sich chirurgisch verjüngen lassen, weil ihm sein richtiges Alter peinlich war. "Achso. Und was machst du beruflich?" Er lächelte, doch das kurze Zucken in seiner rechten Augenbraue zeigte mir, dass ich ihn nervte. Gut so! Mal sehen, wie weit ich dich provozieren kann, bevor du dein wahres Gesicht zeigst! Ich konnte mir ein kleines, teuflisches Grinsen einfach nicht verkneifen. "Mia, es reicht! Siehst du denn nicht, dass du ihn in Verlegenheit bringst?!" Ich verdrehte die Augen. Mann, musste sie mir immer alle meine genialen Pläne zerstören? "Eigentlich wollte ich dich noch fragen, ob es für dich ok wäre, ein paar Tage alleine zu sein. Steven und ich würden gern einen Ausflug machen." Das freudige Strahlen ihrer Augen brach mir fast das Herz. Ich hatte Angst, sie würde verletzt werden. Durch meine eigenen Erfahrungen hatte ich gelernt, Menschen einzuschätzen und Steven war für mich alles andere als eine vertrauenswürdige Person! Doch wie konnte ich ihr ihren Wunsch auf Glück verwehren, ohne eifersüchtig zu wirken? Genau! Eben gar nicht! "Wann wollt ihr denn los und wohin überhaupt?", fragte ich deshalb stattdessen. "Meine Familie hat eine kleine Hütte in den Bergen. Übermorgen soll es losgehen." In den Bergen? Für mich klang das wie der perfekte Tatort für einen Mord. Niemand würde die Hilfeschreie hören, wenn er seine Waffe auspackte und- OK STOP MIT DIESEN GEDANKEN! Ein paar Sekunden starrte ich einfach nur ins Leere und dachte an eine Lösung für dieses Problem. Wie könnte ich sicherstellen, dass ihr nichts zustoßen würde? GPS ins Handy? Hat man so weit weg von der Zivilisation denn überhaupt Netz? Das bezweifelte ich. Ich könnte mir auch eine von diesen Drohnen besorgen und ihnen damit folgen. Jedoch wäre es doch ziemlich auffällig, wenn mitten im Nirgendwo plötzlich eine kleines, fliegendes Etwas bei ihnen auftauchen würde und so viel Geld für dieses Ding könnte ich auf die Schnelle auch nicht aufbringen. Das war schwerer als ich dachte... Plötzlich fiel mir die perfekte Idee ein. Ich kannte mich in dieser Sache zwar nicht aus, jedoch kannte ich jemanden, der mehr als vertraut mit all dem war. "Er de an Mia! Ich warte noch immer auf deine Reaktion!" Verdattert starrte ich zu Stacy. Ich hatte ganz vergessen, dass sie noch da waren. "Ähm, ja das hört sich toll an! Mir ist nur grad eingefallen, dass ich noch ein Referat fertig machen muss. Entschuldigt mich bitte. War schön dich kennenzulernen, Steven." Die Worte sprudelten nur so aus mir heraus. Ehrlich gesagt konnte ich seine Anwesenheit keine Minute länger ertragen. Ich fühlte mich, als würde man mir die Luft abschnüren und mich von einem Wolkenkratzer werfen. Das Gefühl, wie bei dem Traum irgendwo runterzufallen, nur blieb es konstant und es gab keinen Weg, einfach aufzuwachen. Deshalb verzog ich mich schnellstmöglich in mein Zimmer und schloss die Tür hinter mir ab. Paranoid, ich weiß, aber ich konnte nichts dagegen tun, wenn dieser Typ in mir blanke Panik auslöste. Wie konnte Stacy das nur nicht merken? 'Fake' stand ihm doch quasi ins Gesicht geschrieben. Wenn ich länger darüber nachdachte, konnte ich sie doch irgendwie verstehen. Immerhin hatte ich das Gleiche auch durchlebt. Verliebt und blind. Die ganze Außenwelt wird ausgeblendet, alle Warnschilder fröhlich lächelnd überfahren bis letzten Endes das Unvermeidliche passiert. Man fällt mit voller Geschwindigkeit in die Schlucht. Wenn man den bevorstehenden Sturz bemerkt, ist es längst zu spät. So sehr man versucht, doch noch zu bremsen, der Aufprall trifft einen mit voller Wucht und nachher ist man nicht mehr die selbe Person, wie vorher. Ein Mal gebrochen, für immer verschlossen. Bis man dann jemanden findet, dem man sich doch öffnen kann. Selbst wenn er ein arroganter, selbstverliebter Mistkerl ist, der sich noch dazu mit jedem beliebigen, wasserstoffblondierten Schönheitsopfer einlässt und seine Gefühle erst dann eingesteht, wenn das Vertrauen längst missbraucht ist! Gott, wieso endet jeder meiner Gedankengänge bei einem bestimmten Vampir? Ich könnte mich selbst dafür schlagen, wie viel Platz er in meinem ohnehin schon überfüllten Kopf einnimmt. Am liebsten hätte ich jetzt ein schönes, heißes Bad genommen, aber so müde wie ich war, wäre ich in der Badewanne eingepennt. Deshalb legte ich mich einfach ins Bett und vergaß dabei sogar, mich umzuziehen. Kaum zwei Sekunden später war ich auch schon weggedriftet.

 

 

 

12. Man kann nichts ewig verdängen

Muskelkater! Das war mein erster Gedanke nach dem Aufwachen. Ich würde Brody und Cam umbringen müssen. Vor allem, weil die lieben Mr. und Mrs. Blutsauger ja keinen Muskelkater haben konnten! Wie unfair musste das Leben auch sein? Zumal es auch noch arschkalt war heute und ich bei schlechtem Wetter gleich schlechtere Laune bekam, als ich ohnehin schon hatte. Am liebsten hätte ich meine gemütliche Decke heute überallhin mitgeschleppt. Schön eingewickelt zur Schule spazieren, im Unterricht sitzen, nicht der Kälte von draußen ausgesetzt sein. Danke übrigens, Mutter Natur! Obwohl es mich all meine Kraft kostete, mein geliebtes Bett zu verlassen, so musste ich jetzt die verpasste Dusche nachholen. Wenigstens würde ich so ein bisschen wacher werden, das hoffte ich zumindest.

 

***

 

Meine Schwester war weg, bei Steven, wie sie mir auf einem kleinen Notizzettel mitteilte, aber sie würde heute Abend wieder zuhause sein, um ihre Sachen zu packen. Hätte sie mir das nicht wie jeder normale Mensch über WhatsApp schreiben können? Manchmal verstand ich meine Schwester wirklich nicht. Kopfschüttelnd schüttete ich mir meinen frisch gemachten Kaffee in eine kleine to go Thermoskanne, die mit süßen Glitzereinhörnern bedruckt war. Das Hupen vor der Tür erschreckte mich so sehr, dass ich sie aus der Hand fallen ließ. Gott sei Dank hatte ich sie schon zugeschraubt! So heiß wie der Inhalt war, hätte ich mich mit Sicherheit verbrüht. Das half meinem kleinen Zeh leider wenig, der den Aufprall der Thermoskanne abdämpfen musste. Fluchend hüpfte ich auf einem Bein und hielt dabei meinen Fuß fest, als würde das den Schmerz stillen. Natürlich bemerkte ich dabei nicht den Stuhl hinter mir über den ich fast schon oskarreif stolperte und dabei mit meinem Kopf unsanft an der Tischkante ankam. "VERDAMMTE SCHEIßE! WAS HAB ICH DEM SCHICKSAL DENN GETAN, DASS ES MICH SO SEHR HASST!" Wütend rieb ich mir die schmerzende Stelle, blieb aber auf dem Boden sitzen, bis der Schwindel verschwunden war. "Was ist denn mit dir passiert?" Wie kam denn Brody plötzlich in meine Küche? "Ich hab dich schreien gehört und wollte sichergehen, dass alles OK ist", erklärte er. "Das erklärt aber nicht, wie du in mein Haus gekommen bist" Jetzt mal Spaß bei Seite, konnte er sich etwa teleportieren, oder wie kam er durch eine geschlossene Haustür? "Ich hab die Tür aufgebrochen", gab er peinlich berührt zu. "Du hast WAS?" Er hob die Hände vors Gesicht, als hätte er Angst ich würde ihn gleich schlagen. Nicht dass ich es nicht gern getan hätte, aber vom Boden aus war das dann doch etwas zu knifflig für mich. "Ich lasse die Tür ersetzen, jetzt beruhige dich doch mal." "Ich will mich nicht beruhigen! Meine Lieblings Thermoskanne hat mich hintergangen und mein Gleichgewicht gleich mit, mir ist kalt, ich bin müde und hungrig und hab wirklich keine Nerven, heute auch noch Jackson gegenüberzutreten!", ließ ich meiner ganzen Wut freien Lauf. Brody's Augen wurden plötzlich groß. "Und ich denke du hast gerade deine Tage gekriegt", gab er etwas grinsend von sich. Wie peinlich war das denn! Wie von der Tarantel gestochen sprang ich auf, lief auf Grund des Schwindels erstmal an der Tür vorbei und gegen die Wand, bevor ich endlich den Weg ins Badezimmer fand. "DU MIESER LÜGNER!", schrie ich ihn durch die Tür hindurch an. Er lachte als ich mit hochrotem Kopf wieder hinausspaziert kam. "Das war die einzig logische Erklärung für deinen Wutausbruch." "Ich bin wütend zur Welt gekommen! Das hat nichts mit dem Liter Blut zu tun, das jeden Monat aus mir herausströmt wie ein verdammter Wasserfall!" Er prustete los und kriegte sich gar nicht mehr ein vor Lachen. "Na komm Süße, ich kauf dir ein Schokocroissant, dann sieht die Welt gleich wieder ganz anders aus." Ich seufzte. "Von mir aus auch ein Cappuccino und ein Erdbeersaft, den hast doch so gern, oder?" Er war wirklich süß. Sogar wenn ich ihm den Schädel einschlagen wollte, schaffte er es, mich zum Lächeln zu bringen! "Du hattest mich schon bei Schokocroissant", gab ich zu und stolzierte an ihm vorbei und hinaus zum Auto. "Die Tür will ich trotzdem ersetzt haben!", rief ich ihm über die Schulter zu und hörte ihn danach leise lachen.

 

"Was hat denn da so lange gedauert?", beschwerte sich Cam kaum war ich eingestiegen. "Tu doch nicht so, als hättest du uns nicht belauscht." Sie öffnete den Mund, um etwas zu antworten, schloss ihn dann aber wieder, nur um ihn dann wieder zu öffnen. "Ok du hast recht", sagte sie etwas ertappt. Ich kicherte. "Aber ich will auch was zu essen!", meinte sie an Brody gewandt, der auch endlich den Weg ins Auto gefunden hatte. "Dich hatte ich sowieso schon mit eingeplant, du Fressmonster" Wir mussten beide über ihren empörten Gesichtsausdruck lachen.

Nach einem leckeren Frühstück kamen wir endlich in der Schule an, keine Minute zu früh, denn wir schafften es gerade noch rechtzeitig vor Stundenbeginn in die Klasse. Kein Mr. Bradshaw war zu sehen, was mich selig lächeln ließ. Aber auch sonst war kein Lehrer hier. Ich ließ mich auf meinen Stuhl neben Cam plumpsen und räumte schon mal meine Sachen auf den Tisch, als ein sehr hektisch wirkender Mann den Klassenraum betrat. "So Klasse, tut mir leid, dass ich zu spät bin, aber ich musste noch etwas Wichtiges erledigen. Ich bin Mr. Keller und euer neuer Lehrer." Er ließ sein Zeug einfach auf den Tisch fallen und drehte sich zu uns. Er hatte recht feine Gesichtszüge, die ihn relativ jung aussehen ließen. Dieses Mal erkannte ich sofort, dass er ein Hexer war. Cam neben mir rümpfte angewidert die Nase. Was hat sie denn gegen ihn? Ich fand ihn eigentlich recht niedlich, so wie er sich nervös durch die Haare fuhr. Kaum hatte ich das gedacht fuhr sein Kopf zu mir. Er starrte mich mit einem leicht überheblichen Lächeln an. Oh nein, dieses Lächeln kannte ich. Bild dir darauf ja nichts ein, kleiner Hexer! Ein erstaunter Ausdruck trat ihn sein Gesicht, als er merkte, dass ich über seine Fähigkeit bescheid wusste. Er hatte sich aber schnell wieder im Griff und fuhr mit seinem Unterricht fort.

 

***

 

"Unser neuer Lehrer ist Merlin der Zauberer, ist das zu glauben?", beschwerte sich Cam, kaum hatten wir uns zu den anderen gesetzt. Brody stimmte gleich mit ein. Jetzt lagen alle Blicke abwartend auf mir. Wollen sie, dass ich auch etwas herablassendes über Mr. Keller sage? Aber ich fand ihn doch nett? "Ehrlich gesagt, frage ich mich schon die ganze Zeit, wieso ihr alle so eine krasse Abneigung gegenüber Hexen habt. Also ich finde der neue Lehrer hat was Niedliches an sich." Vielleich hatte ich nicht die beste Wortwahl benutzt, denn Jackson's Gesicht verfinsterte sich schlagartig. "Du solltest dich besser von ihnen fernhalten, Mia. Du weißt nicht, wozu sie im Stande sind." Ich verdrehte genervt die Augen. "Ach, du meinst so wie alle Werwölfe böse sind? Glaub mir ich habe Leute von beiden Seiten gesehen. Gute und schlechte Vampire, genauso wie Hexen, Werwölfe, und wer hätte es gedacht?- sogar Menschen! Also wenn das deine beste Erklärung ist, kannst du sie dir sonst wo hinschieben, denn sowas zieht bei mir nicht!" Boom! Voll versenkt! Alle sahen mich komplett verdattert an und ich lächelte überlegen. Ich sah mich um und entdeckte Valentina an einem der Tische direkt neben uns. Anscheinend hatte sie alles gehört, denn sie lächelte mich strahlend an. Ach ja! Mit ihr wollte ich ja noch reden! "Entschuldigt mich, ich muss schnell mit dem 'Feind' reden", meinte ich sarkastisch und stand auf. Keiner traute sich, mich davon abzuhalten, als ich Val bat, mich nach draußen zu begleiten. Gut so! Sie hätten es ja eh nicht geschafft.

 

"Was ist los, Mia? Du siehst besorgt aus?" War es denn wirklich so offensichtlich? Ich seufzte. "Ich muss dich um einen Gefallen bitten." Ich hatte wohl ihre vollste Aufmerksamkeit, denn sie setzte sich auf die nächste Bank und sah mich abwartend an. "Gibt es einen Zauberspruch um Tote wieder zum Leben zu erwecken?" "Wer ist denn gestorben?", fragte sie erschrocken. "Noch niemand, aber ich mach mir ernsthafte Sorgen um meine Schwester. Sie will mit ihrem neuen Freund wegfahren und ich vertraue diesem Typ einfach kein Stück!" Nachdenklich biss sie sich auf die Lippe, etwas, dass ich auch immer tat, wenn ich nach einer kniffligen Lösung suchte. "Ich könnte sie nicht zum Leben erwecken wenn sie schon tot wäre, aber ich hab da eine Idee, wie wir vorsorgen können. Dafür brauch ich aber dein Blut." "Alles, was nötig ist", sagte ich ohne zu zögern. Sie führte mich in den Biologieraum, wo es weshalb auch immer alles gab, um eine Blutabnahme durchzuführen. "Wie funktioniert das jetzt eigentlich genau?", fragte ich, während sie schon am werkeln war. "Also weil ihr beiden euch das gleiche Blut teilt, habt ihr eine gewisse Verbindung zueinander. Ich spreche einen Zauber und du musst deine Schwester irgendwie dazu bringen, es zu trinken. Falls es wirklich dazu kommen sollte, dass sie getötet wird, wirst du ihre Schmerzen fühlen - das ist der Nachteil an der Sache. Aber nachdem sie gestorben ist, bleibt sie eine halbe Stunde in diesem Zustand, wacht danach aber unversehrt wieder auf. Dieser Zauber wirkt jedoch nur ein Mal und auch nur binnen einer Woche nachdem sie das Blut geschluckt hat." Ich nickte, um ihr zu zeigen, dass ich verstanden hatte. Val hielt die kleine Ampulle mit meinem Blut in der Hand und murmelte ein paar, für mich unverständliche Worte. Dann färbte sich mein Blut plötzlich und wurde durchsichtig. Na das vereinfacht die Sache ja! Ich konnte es ihr einfach in ihren Kaffee oder so mischen, dann würde sie es nicht einmal merken! Ich bedankte mich bei ihr und wollte schon wieder gehen, doch sie hielt mich ab. "Ach ja, falls es wirklich dazu kommen sollte, was ich nicht hoffe, werde ich es auch merken. Ich werde wissen, wo sie ist und sie dann auch holen gehen." "Das würdest du wirklich tun?", fragte ich leicht verwundert. Sie zwinkerte. "Freundinnen helfen sich gegenseitig in schweren Situationen, nicht wahr?" So schnell fand man Freunde. Ich lächelte sie dankbar an. Dann machten wir uns zusammen wieder auf den Weg zur Mensa. "Wir sehen uns", verabschiedete ich mich bei ihr und nahm dann wieder an meinem Tisch platz, wo ich schon misstrauisch beäugt wurde. "Was wolltest du von ihr?", wollte Jackson wissen. Sein Blick wanderte aufmerksam meinen Körper auf und ab. Er suchte nach Anzeichen, ich würde ihn anlügen. Pfft, als würde ihn das irgendwas angehen! "Sie hat mir freundlicherweise einen Gefallen unter Freundinnen getan", antwortete ich mit einem falschen, zuckersüßen Lächeln. Er schnaubte. "Freundinnen also?" Ich nickte und drehte mich dann zu Cam, um nicht weiter mit ihm reden zu müssen. Mit jedem Wort, jedem Blick den wir austauschten, schmerzte mein Herz ein bisschen mehr. Ich hatte das Gefühl, meine Schmerzgrenze schon lange überschritten zu haben. "Gehen wir schon mal in die Trainingshalle vor?", fragte ich, um von meinem Schmerz abzulenken. "Ernsthaft Mia, schaust du nie auf deinen Stundenplan?", lachte sie. Irritiert sah ich sie an. Wir hatten doch sonst auch immer Training nach der Mittagspause? "Jetzt wo das Schwimmbad endlich saniert ist, wechseln sich die beiden Fächer jede Woche ab und heute haben wir schwimmen." Nackte Panik ergriff mich, was Cam und auch die anderen zu merken schienen. "Alles ok mit dir? Du bist plötzlich so blass." Ich nickte nur stumm, doch in Wahrheit wurde mir gerade die Luft abgeschnürt. Ich würde mich diesem Schwimmbecken keine zehn Meter nähern, keine Chance. Ausrede, denk dir eine Ausrede aus und zwar sofort! "Ich hab gar keine Badesachen da", meinte ich mit viel zu rauer Stimme, nachdem ich tief Luft geholt hatte. "Kein Ding, ich hab immer zwei mit, je nachdem, was ich tragen möchte. Ich borg dir einfach was von mir." Toll, wie sollte ich mich jetzt noch rausreden?" Mein Körper fing bei dem bloßen Gedanken an zu zittern. Seit Jahren hatte ich mich in kein Schwimmbecken mehr getraut. Es verursachte bei mit Todesangst auch nur in der Nähe von so einem Ding zu stehen, geschweige denn darin zu schwimmen. Wie sollte ich das nur überstehen?

 

***

 

"Der Bikini steht dir wirklich gut", machte mir Cam gerade Komplimente, aber ich hörte ihr gar nicht zu. Ich konnte da nicht rausgehen. Atme! Sag einfach, dass du deine Tage gekriegt hast, oder dir plötzlich schlecht geworden ist! Genau, das würde ich tun und später würde ich zum Direktor gehen und ihm sagen, er solle mich aus diesem Kurs ausschreiben. Ich nahm ein paar tiefe Atemzüge, aber die Übelkeit wollte einfach nicht verschwinden. "Kommt ihr?", rief uns eine der Mitschülerinnen. "Geh du schon mal vor, ich hab was vergessen. Sag der Lehrerin ich bin in zwei Minuten wieder da." Ich nickte, doch eigentlich wollte ich ihr zuschreien, sie solle mich jetzt ja nicht alleine lassen, aber das würde viel zu viele Fragen aufwerfen. Mit zittrigen Beinen bewegte ich mich zu dem riesigen Becken. Sofort packte mich der Schwindel. Halt durch! "Hey, geht's dir nicht gut?" Ein Junge aus der Schule, dessen Namen ich nicht kannte, sah mich besorgt an. Ich nickte wenig überzeugend. Im Wasser tümmelten sich schon einige meiner Mitschüler und schienen richtig Spaß zu haben. "Was ist denn Kleine, bist du etwa wasserscheu?", lachte plötzlich jemand hinter mir. Wir hatten viele Fächer gemeinsam, trotzdem wusste ich nicht viel über ihn. Nur, dass er der typische Aufreißer war und sich immer hunderte Tussis um ihn herumsammelten. "Hat es dir bei meinem Anblick etwa die Sprache verschlagen?", neckte er mich. Am liebsten hätte ich schnippisch geantwortet, aber meine Stimme war wie von Erdboden verschluckt. "Das können wir ändern", meinte er plötzlich mit einem anzüglichen Ton in seiner Stimme. Bevor ich es realisierte hatte er mich gepackt und zum tiefsten Teil des Beckens verfrachtet, wo kein anderer war, weil sie ja nicht den Boden unter den Füßen spüren konnte.  Dann wurde ich über die Kante des Beckens geschubst. Verzweifelt versuchte ich mich noch an irgendetwas festzuklammern, aber da war nichts, an dem ich mich hätte festhalten können. Nicht einmal ein Schrei entfuhr mir, bevor ich von der Kälte des Wassers überflutet wurde. Mein Körper war wie gelähmt, während ich zusah wie die Oberfläche immer weiter aus meinem Blickfeld schwand. Erinnerungen kamen hoch, Erinnerungen an jenen Tag.

 

Flashback:

 

Sie waren tot. Meine Eltern waren tot. Geschockt sah ich auf ihre leblosen Körper herab. Ich war so überrumpelt, dass nicht einmal eine einzige Träne meine Wangen hinablief. Kraftlos gaben meine Beine nach und ich wurde gerade noch von dem Mann aufgefangen, der mich ihren Mord mit ansehen hatte lassen. "Was machen wir mit dem Kind?", hörte ich ihn durch meine rauschenden Ohren fragen. "Oh, mit ihr hab ich etwas ganz besonderes vor!" Mein Kinn wurde gepackt und ich wurde gezwungen in die kalten Augen des Mannes zu blicken, der meine Eltern auf dem Gewissen hatte. Sein Blick wanderte von mir zu unserem Pool und dann wieder zurück. Als ich realisierte, was er vorhatte, fand ich endlich wieder die Kraft, mich zu wehren. "NEIN!", kreischte ich wie verrückt, doch sie waren viel stärker als ich. Ich hatte einfach keine Chance gegen sie. Rücksichtslos wurde ich ins Wasser gestoßen. Sobald ich auftauchte, um nach Luft zu schnappen, wurde ich nach unten gedrückt. Er hob mich mit einem Ruck hinaus. "Sieh mich gefälligst an!", forderte er und schlug mir mit der bloßen Faust ins Gesicht, nur um mich daraufhin wieder runter zu drücken. Ich bekam keine Luft, zappelte und versuchte um mich zu schlagen, doch unter Wasser hatte das eine noch geringere Wirkung. "Du sollst mich ansehen, wenn ich dich hinunterdrücke habe ich gesagt!" Noch ein Schlag, diesmal fester. Tränen vermischt mit Blut liefen in Strömen mein Gesicht hinab. Noch einmal drückte er meinen Kopf unter Wasser. Ich wollte nicht wieder geschlagen werden, es hatte so wehgetan, also tat ich was er mir befohlen hatte und öffnete unter Wasser die Augen. Über der Wasseroberfläche konnte ich verschwommen sein Gesicht ausmachen. Das Lächeln in seinem Gesicht sah ich trotzdem mehr als deutlich. Langsam konnte ich auch meine Luft nicht mehr anhalten. Früher oder später hätte ich atmen müssen, diesen Reflex konnte ich nicht kontrollieren. Als sich meine Lungen immer mehr und mehr mit Wasser füllte, wusste ich, das würde mein Ende sein. Alles zerren und wehren brachte nichts. Ich war ein Kind, was hätte ich schon ausrichten können? Meine Kraft schwand und schwand. Irgendwann war jede Bewegung für meinen Körper zu anstrengend, sodass er schließlich erschlaffte. Stacy, bitte komm noch nicht nachhause. Das war mein letzter Gedanke bevor sich meine Augen langsam schlossen und sich mein Bewusstsein verabschiedete.

 

Flashback Ende

 

Mein Körper war zu Stein erstarrt. Heiße Tränen mischten sich mit dem eiskalten Wasser um mich herum. Früher oder später würde der Atemreflex kommen, kontrollieren konnte ich es nicht. Ich nahm tief Luft und fühlte erneut das Wasser meine Atemwege hinabwandern, konnte wieder die Hand fühlen, die meinen Kopf umklammert hielt und mich immer wieder hinabdrückte, hatte wieder das beengende Gefühl der Hilflosigkeit eines schwachen Kindes. Schon wieder sank mein Bewusstsein in die unendliche Tiefe, nur würde ich dieses Mal vielleicht nie wieder erwachen...

 

"MIA! Verdammt, bitte komm zu dir! Ich schwöre, ich werde dich in Stücke reißen, wenn sie nicht binnen 10 Sekunden munter wird!" Röchelnd schnappte ich nach Luft und hustete sofort das ganze Wasser in mir aus. Das erste, das meine Augen erblickten war Jack, der triefend nass vor mir kniete und mich erleichtert ansah. "Gott sei Dank! Geht es dir gut?" Er nahm mein Gesicht in seine Hände und sah mich eindringlich an. Ich war noch viel zu geschockt, um seine Worte überhaupt erfassen zu können. Meine Augen wanderten im Raum umher. Sie alle starrten mich an, einige erleichtert, die anderen skeptisch. Jackson folgte meinem Blick. "Raus hier! Alle!", forderte er, was sie dann auch schnellstens befolgten. Nur noch er und ich waren da. "Wieso bist du nicht geschwommen? Was war los?" Seine sanfte Stimme brachte mich in die Realität zurück und ich wurde sofort wieder an den Grund erinnert, weswegen ich mich nicht hatte rühren können. Ich wollte nicht schon wieder vor ihm weinen, aber die Tränen bahnten sich ihren Weg trotzdem unaufhaltsam mein Wangen hinab. Ohne es eigentlich zu wollen klammerte ich mich an ihm fest, als wäre er mein Rettungsanker, während die unkontrollierten Schluchzer immer heftiger wurden. "Schhh, es wird alles wieder gut." Er redete die ganze Zeit beruhigend auf mich ein, während er mich in die Umkleide trug und mich dort in ein Handtuch wickelte. "Willst du darüber reden?" Mittlerweile hatte er wohl verstanden, dass es um mehr ging, als nur mein Beinahe-Ertrinken von gerade eben. Ich schüttelte den Kopf, weil ich ihm nicht schon wieder etwas so persönliches erzählen wollte, nur damit er mich am Ende wieder stehen lassen konnte. "Gut, dann zieh dich schnell um und wir gehen." "Wohin?" "Dahin wo ich immer hingehe, wenn mich die Trauer übermannt", antwortete er mit einem gequälten Ausdruck im Gesicht. Augenblicklich war mein Zusammenbruch vergessen und Sorge breitete sich in mir aus. Was hat er wohl erlebt, dass ihn so sehr mitnimmt? Dieser Junge hatte definitiv zu viel Kontrolle über mich.

 

***

 

"Da wären wir." Er machte eine präsentierende Geste und zeigte dabei auf einen kleinen Felsvorsprung, von dem aus man auf die ganze Stadt sehen konnte. "Wow" "Komm setz dich!" Sobald ich mich neben ihn gesetzt hatte, zog er mich wieder in seine Arme. Ich sollte mich wehren! Aber es fühlt sich so gut an! Als er anfing zu sprechen, wurde ich schließlich aus meinem inneren Kampf gerissen. "Weißt du, egal wo ich hinziehe, ich suche mir überall so einen Ort. Irgendwo abgeschieden, wo ich nachdenken kann und mal nicht Jackson Collins bin." Er holte tief Luft. "Niemand weiß davon." Seine silbrigen Augen bohrten sich in meine. Ich war sprachlos. Diese Seite hatte ich noch nie an ihm gesehen. "Wenn du noch nicht darüber reden willst, würde ich gerne anfangen. Wenn dir das recht ist." Habe ich da gerade Unsicherheit in seiner Stimme gehört? Konnte das möglich sein? Würde er sich mir jetzt auch öffnen, so wie ich ihm letztens?

 

 

13. Geschichten

 

 

Er sah mich abwartend an. Vermutlich wartete er auf meine Zustimmung. Ich nickte und deutete ihm damit weiterzusprechen. Dann räusperte er sich und richtete seinen Blick auf die Stadt. "Ich rede nicht oft darüber, eigentlich habe ich noch nie darüber geredet, weil ich einfach nicht schwach wirken wollte. Vor allem nicht vor meinem Vater und vor meiner Schwester, die mich als Vorbild sah, selbst stark zu bleiben und auch nicht für mein Volk." Er machte eine kurze Pause um sich zu sammeln und während der Stille fragte ich mich, wen er denn mit 'seinem Volk' meinen könnte. Seine Familie? Liam und die anderen, mit denen er sich immer abgab? "Es ist jetzt fast fünf Jahre her. Wir waren unterwegs um irgendwelche Geschäfte zu erledigen, ich und Mutter. Cam und mein Vater blieben währenddessen zuhause. Es ging alles so schnell, kaum waren wir in der Stadt angelangt waren sie überall. Slayers, sie griffen uns an. Selbst die Wachen, die wir zum Schutz mitgenommen hatten, konnten sie nicht aufhalten. Sie waren einfach viel zu viele. Ein geplanter Hinterhalt. Ich tat alles was ich konnte, um uns zu retten, doch irgendwann verlor ich den Überblick. Egal in welche Richtung ich mich drehte, ich sah nur Slayers, keine Spur von irgendwem anderen. Als ich sie schreien hörte, war es wie ein Stich, der durch meinen ganzen Körper ging. Ich rannte so schnell wie noch nie in meinem Leben in die Richtung, aus der ich sie gehört hatte, doch sie war schon weg. Sie hatten sie mitgenommen und ich hatte nichts mehr dagegen tun können." Seine Augen waren geschlossen, sein Gesicht schmerzhaft verzerrt. Es tat so unglaublich weh, ihn in diesem Zustand zu sehen. Ich wollte ihm Trost spenden, irgendwie, egal wie! Aber ich wusste aus Erfahrung, dass es nichts gab, dass ich sagen konnte, um ihm zu helfen. Mitleid bzw. ausgesprochenes Beileid war das Letzte, was er jetzt hören wollte. Das alles waren nur leere Floskeln, die nur erfunden wurden, um höflich auszudrücken, dass man sich eigentlich unwohl fühlte und überhaupt nicht wusste, wie man reagieren sollte. Vorsichtig legte ich deshalb meine Hand in seine und drückte diese leicht, um ihm zu zeigen, dass es mir wirklich ehrlich leidtat und ich genau verstand, was er durchmachen musste. Er schenkte mir ein kleines, jedoch gequältes Lächeln, bevor er weiterredete.

 

"Schlimmer als meine eigenen Schuldgefühle war jedoch, dass Vater mir auch die Schuld daran gab. Er drehte durch, so aggressiv wie an jenem Tag habe ich ihn noch nie gesehen. Er entwickelte einen regelrechten Hass auf mich, der bis heute noch da ist. Als seinen Sohn sieht er mich schon lange nicht mehr an, nur als den Grund, weshalb seine Gefährtin nicht mehr bei ihm ist. Er hat bis heute nicht aufgehört nach ihr zu suchen, das ist auch der Grund warum ich hier bin. Vater hat mich hergeschickt, um die Spur der Slayers zu verfolgen, die uns vielleicht zu ihrem Entführer führen könnte... Anders als mein Vater verarbeitete ich meinen Verlust in Stille. Ich zog mich die meiste Zeit zurück, doch wenn jemand da war, benahm ich mich, als wäre alles in Ordnung... doch das war es nicht, ist es noch immer nicht. Aber es wird von mir erwartet, keine Schwäche zu zeigen, egal wie sehr es wehtut. Cam sieht es, das weiß ich, doch sie traut sich nicht, mich zu fragen. Ich denke sie hat Angst, ich würde explodieren, wenn sie das Wort Mum in meiner Gegenwart auch nur ausspricht. Verübeln kann ich ihr das jedoch nicht. Das eine Mal, als sie mit mir darüber reden wollte, habe ich sie angeschrien, sie solle nie wieder auch nur ein Wort darüber verlieren... Ich glaube das war das erste und einzige Mal, dass ich sie angeschrien habe. Die Arme war erst 13 und wollte nur lernen, ihren Verlust selbst zu verarbeiten. Im Nachhinein hätte ich mich selbst dafür schlagen können. Sie hat im Gegensatz zu mir jedoch gelernt damit zu Leben. Sie ist so viel stärker als ich und manchmal beneide ich sie darum, dass sie Sachen so schnell akzeptieren kann. Weißt du, was sie gesagt hat, als sie erfahren hat dass du eine Hunter und gleichzeitig auch meine Gefährtin bist?" Er sah mich mit einem ungläubigen Grinsen an. "Sie hat vor Freude in die Hände geklatscht und irgendwas gerufen von wegen wie toll es ist, dass du jetzt ihre Schwägerin oder Schwester bist... Ist das zu glauben? Sie hat komplett darüber hinweggesehen, was du bist, sondern hat nur das Gute darin gesehen!" Er schüttelte den Kopf und ich konnte nicht anders als zu grinsen, als ich mir eine freudig umherhüpfende Cam vorstellte. Plötzlich seufzte er resigniert. Es schien, als wäre er wieder zum ursprünglichen Thema zurückgekommen. "Weiß du, wenn ich ehrlich bin, glaube ich nicht, dass sie noch lebt. Sonst hätten sie doch Forderungen gestellt, oder nicht? Aber dann denke ich mir man entführt doch nicht jemand so mächtigen, nur um ihn dann zu töten, wenn man im Austausch alles haben kann, was man will." Er atmete laut aus. "Ich wünschte, ich wäre damals nicht so schwach gewesen, dann wäre das alles nicht passiert und mein Vater wäre noch derselbe." "Denk so nicht!", sagte ich, ohne eigentlich darüber nachzudenken. "Was hätte denn dein Vater an deiner Stelle tun können? Gegen so viele Slayers hat niemand eine Chance, bei mir ist es schon an zwei gescheitert, also weiß ich wovon ich rede." Es dauerte einige Sekunden, bis er antwortete. "So hab ich das noch nie gesehen.. Weißt du, wieso ich dir das eigentlich erzählen wollte?" Ich schüttelte den Kopf, gespannt auf seine Erklärung. "Ich wollte, dass du weißt, dass ich dir vertraue und dass du weißt, dass du mir auch vertrauen kannst. Doch jetzt wo es raus ist, muss ich zugeben, dass ich mich viel leichter fühle... Danke dafür."

 

Er drückte meine Hand, die noch immer in seiner lag. Ich grübelte. Wenn es ihm jetzt wirklich besser geht, sollte ich es dann auch riskieren, und darüber reden? "Du musst nicht darüber reden, wenn du nicht willst", meinte er plötzlich. Fragend sah ich ihn an. Er konnte doch nicht wissen, woran ich dachte. "Du denkst darüber nach, ob du mir erzählen sollst, weshalb du so eine Angst vor Wasser hast, es steht dir ins Gesicht geschrieben, Mia. Du musst wissen, ob du dazu bereit bist, aber ich schwöre bei allem was mir lieb und teuer ist, diesmal renne ich nicht weg. Nie wieder, ok?" Ich schluckte den Kloß in meinem Hals hinunter und begann zu reden. Die Wörter strömten nur so aus mir heraus. "Ich habe meine Familie von klein auf gehasst, aber ich habe sie genauso sehr geliebt. Obwohl sie mich in eine Rolle zwängen wollten, die ich eigentlich nie spielen wollte, waren sie am Ende des Tages doch meine Eltern. Ich war sieben, als ich sie verlor. Stacy war bei irgendeiner Freundin und ich war mit meinen Eltern im Garten und habe meinem Dad beim Grillen zugeschaut, was so viel heißt wie aufgespießte Marshmallows unter das Fleisch zu halten, wenn er mal nicht hinsah. Meine Mum deckte währenddessen den Tisch und lenkte ihn ab, damit ich mehr Zeit hatte. Es war einer der schöneren Momente in meinem Leben. Einer der wenigen Tage im Jahr, in denen es mal nicht nur um meine Gene oder um Training ging. Wir waren eine ganz normale Familie, die das schöne Wetter nutzte. Nur ein unachtsamer Moment hatte gereicht und dieser Tag war zerstört gewesen. Von einer Sekunde auf die andere standen sie plötzlich im Garten. Mein Dad schob mich beschützend hinter sich und steckte mir eins seiner Ersatzmesser zu, während meine Mum ihre Pistole rausholte. Sie kämpften während ich wir erstarrt dabei zusah. Sie dachten, ich hätte schon oft getötet, doch dem war nicht so. Jedes Mal wenn es an mir war, einem Vampir oder einer Hexe das Leben zu nehmen, schickte ich sie weg. Ich hatte ein Gespür dafür, wer böse war und wer nicht, aber davon wusste meine Familie nichts. Es ging so schnell. Einen Augenblick lang stand mein Dad noch beschützend vor mir, im nächsten lag sein Körper leblos vor mir auf dem Boden, sein Brustkorb offen, das Herz herausgerissen einen Meter daneben. Einer der Slayers packte mich und hielt mich mit dem Rücken zu ihm fest, zwang mich, dabei zuzusehen, wie meiner Mum die Kehle aufgeschlitzt wurde. Als sie damit fertig waren, war ich an der Reihe. Sie-sie warfen mich in den Pool. Mein Kopf wurde so oft ins Wasser gedrückt, bis ich letztendlich das Bewusstsein verlor. Sie müssen gedacht haben, ich sei tot, sonst wären sie nicht gegangen, vielleicht war ich es auch, wirklich viel Sinn ergibt es aber trotzdem nicht, dass ich es überlebt habe. Ich bin einfach wieder aufgewacht und habe es irgendwie geschafft, mich aus dem Wasser zu hieven. Als meine Schwester nachhause kam, saß ich zusammengekauerten neben ihnen, die Sonne war schon lange untergegangen und meine Kleidung schon längst trocken. Sie packte mich, alles Geld was sie finden konnte, Waffen und noch ein paar andere Sachen und wir hauten ab. Wir waren Kinder, doch wir schafften es, irgendwie für uns selbst zu sorgen. Zwar gab sie mir zum Teil die Schuld an ihrem Tod, doch sie sagte es nie. Sie war trotzdem immer für mich da, stellte nie Fragen, weil sie wusste, ich konnte nicht darüber reden und war von da an, alles was ich hatte."

 

Stille. Er sagte nichts, doch das musste er auch nicht. Die Stille war schön und er hatte recht gehabt. Es war, als wäre ein riesiger Stein von meinem Herzen gefallen. Diese Erinnerungen, diese Last nicht alleine tragen zu müssen, sondern sie mit jemandem zu teilen, der einen verstand, machte es so viel leichter. "Ich werde sie finden und sie dafür töten, was sie getan haben. Das verspreche ich dir." Sein Gesicht war zu Stein erstarrt, Mordlust strahlte in seinen Augen. Wie von selbst legte sich meine Hand an seine Wange. "Wir werden das zusammen machen. Ich häng da jetzt mit drin als deine Gefährtin, schon vergessen?" Sein Blick wurde weicher. "Also akzeptierst du, dass du meine Gefährtin bist?" "Denk ja nicht, dass ich es dir leicht machen werde!", neckte ich ihn, woraufhin er grinste. "Das ist mir recht. Solange du mein bist, nehme ich alle Schwierigkeiten voller Vorfreude in Kauf." So süß wie er war, konnte ich mir ein Lächeln nicht verkneifen. Seine silbernen Augen zogen mich in seinen Bann und ließen mich alles um mich herum vergessen. Es gab keine Probleme mehr. Nur ihn und mich auf diesem Felsvorsprung, die schon untergehende Sonne, die ihn fast schon wie einen Engel aussehen ließen und der leichte Wind, der mir seinen betörenden Duft in die Nase wehte. Als sich seine Lippen endlich auf die meinen legten, war es, als würde mein Körper überquillen mit Schmetterlingen. Seine Hände wanderte zu meiner Hüfte und zogen mich auf seinen Schoß. Ich grub meine Finger in seine Haare und drückte mich noch enger an ihn, wenn das überhaupt möglich war. Wie lange sehnte ich mich schon nach seiner Berührung und endlich musste ich mich nicht mehr von ihm fernhalten. Seine Hände fuhren meine Oberschenkel auf und ab und ließen meinen Körper erzittern. Er war mein genauso wie ich sein war, das würde sich nie mehr ändern, das wusste ich und zum ersten Mal war ich mir zu hundert Prozent sicher, dass mein Leben eine richtige Wendung genommen hat.

 

 

14. Pyjamaparty

 

Das Klingeln meines Handys unterbrach uns und ich stöhnte genervt auf. Es war doch gerade so schön! Auch Jack schien nicht begeistert zu sein, dass meine Aufmerksamkeit nicht mehr ihm galt, sondern der Nachricht, die ich gerade erhalten hatte. "Mist! Wir müssen los!" "Wieso denn schon jetzt?", fragte er mit leichter Sorge in der Stimme, wegen meiner offensichtlichen Aufregung. "Stacy und ihr blöder Freund wollen schon heute Nacht losfahren und ich muss ihr noch den Trank geben." Mich wunderte es nicht, dass er mich jetzt verständnislos anglotzte, doch dafür hatte ich jetzt keine Zeit. "Ich erklär dir alles auf dem Weg, aber wir müssen jetzt wirklich los!" Er nickte und hob mich auf seine Arme. "Du solltest besser die Augen zumachen, sonst wird dir schwindelig." Oh Gott!! Wollte er jetzt ernsthaft mit Vampirgeschwindigkeit losbrausen? Diese Frage wurde mir beantwortet, als er losrannte und ich mich voller Schreck an ihn klammerte. Als der Schock nachließ, entspannte ich mich etwas und weihte ihn in meinen Verdacht und den vorbeugenden Plan ein. Er zweifelte zwar daran, dass Steven ein Killer war, wie ich vermutete, aber solange er ihn nicht kannte, konnte er das ja auch nicht beurteilen. Trotzdem stand er hinter mir, was ich mit einem zufriedenen Lächeln quittierte.

 

***

 

"Stacy?", rief ich, sobald ich die Tür hinter mir und Jack zugemacht hatte. "Im Wohnzimmer!", hörte ich sofort ihre Antwort. Und wer hätte es gedacht - Steven war auch da und begrüßte uns freundlich. Ich schenkte ihm ein falsches Lächeln und wandte mich dann meiner Schwester zu. "Kann ich kurz mit dir reden?" "Worüber denn Mia?" Gute Frage, worüber wollte ich denn mit ihr reden? "Ähm...-" Mist! Mir fiel kein guter Grund ein, sie wegzulocken. Plötzlich fühlte ich einen warmen Arm an meiner Hüfte und hörte Jackson's samtig weiche Stimme. "Mia wollte um Erlaubnis fragen, bei mir und meiner Schwester bleiben zu dürfen, solange du nicht da bist, damit sie nicht allein in diesem großen Haus sein muss." Warte, was? "Na bei allem was in letzter Zeit passiert ist, wundert es mich nicht, dass du hier nicht allein sein willst. Deswegen warst du auch so komisch, als ich dir erzählt hab, dass ich mit Steven wegfahre, nicht wahr? Mein Gott, wie blind ich bin. Natürlich darfst du, Mia. Das ist gar kein Problem!" Kam es nur mir so vor, oder hatte er das geplant? "Hmpf" Jack gab mir einen Kuss auf die Stirn und grinste mich besserwisserisch an. "Mia, hilfst du mir schnell in der Küche?" Das war mein Stichwort! Ich folgte Stace und ließ Jack schweren Herzens mit dem Psychopathen zurück. "Du und Jack, hm?" Der zweideutige Ausdruck in ihrem Gesicht gefiel mir nicht. Ich zuckte mit den Schultern. "Wir sind Gefährten. Früher oder später wären wir sowieso zusammengekommen. Sich dagegen zu sträuben hat gar nichts gebracht." Sie holte Kekse aus dem Ofen, während sie weitersprach. Obwohl ich ihr Gesicht nicht sehen konnte, war die Aufregung in ihrer Stimme kaum zu überhören. "Dann können wir ja auch auf Doppeldates gehen! Ist das nicht toll?" "Ähm..-" Ein Doppeldate mit meiner großen Schwester und ihrem merkwürdigen Freund? Nein danke. Da lasse ich mich lieber noch einmal fast von einem Werwolf zerfleischen. Ohne auf meine Reaktion zu achten, plapperte sie weiter. "Dieser Jackson kommt mir wirklich wie ein netter, junger Mann vor." Sie machte eine Pause, in der sie sich ein Glas Milch einschenkte und einen der Kekse in den Mund steckte. "Ich weich, dach ih gesaght habe, ih hör mit gem Jagen auf, aber wenn er dir wehtut, hol ich mein Schwet raus!" Ihre Drohung klang nicht sehr bedrohlich, als sie mit vollem Mund redete und dabei sogar Krümel aus ihrem Mund flogen. Wer an meiner Stelle hätte nicht laut losgeprustet? "Schon ok Stacy. Kümmer du dich lieber um deinen eigenen Lover." Sie gab ein beleidigtes Geräusch von sich und drehte sich weg, um Gläser aus einem der Schränke zu holen. Meine Chance! Ich holte die kleine Ampulle raus und schüttete sie unauffällig in Stacy's Milch. "Was machst du da?" Oh-oh. Unbemerkt ließ ich die Ampulle verschwinden und nahm ihr Glas dann in die Hand. "I-ich wollte auch Milch zu meinen Keksen!" Sie nahm mir das Glas aus der Hand und reichte mir stattdessen eins mit Erdbeermilch. "Nimm lieber die." Voller Unglaube starrte ich auf die Verpackung. "Ist das-?" Sie nickte. Ich hatte immer diese Milch zu meinen Keksen gegessen, als ich klein war! Überhaupt war das mein Go-to Getränk gewesen! "Die gibt es doch schon seit Jahren nicht mehr zu kaufen!" "Hier in dem Laden ein paar Blocks weiter schon." "OhmeinGott wirklich? Ich muss nie wieder ohne meine Erdbeermilch leben?" Es musste sich wirklich bescheuert anhören, wie sehr ich mich über etwas so banales freute. Aber wer kennt nicht das Gefühl, wenn das Lieblingsgetränk einfach aus dem Sortiment genommen wird? Damals als Kind, war das mein erster Herzschmerz gewesen. Tagelang war ich traurig gewesen und hatte nur über den Verlust meiner Erdbeermilch geweint. "Du bist die Beste!" Wir tranken beide unsere Gläser aus (zum Glück trank sie auch wirklich alles, denn ich wusste nicht, wie viel sie von dem Zeug trinken musste, damit es irgendeine Wirkung zeigte). Dann begaben wir uns voll beladen wieder zurück ins Wohnzimmer, wo sich Jackson anscheinend prächtig mit Steven zu amüsieren schien. Mit grimmiger Miene setzte ich mich zu ihnen und verbrachte den Rest des Abends viel mehr in der Rolle der Beobachterin als dass ich mich wirklich an den Gesprächen beteiligte. Eigentlich beobachtete ich nur Steven und analysierte auch die kleinste seiner Bewegungen. Je länger ich ihn reden hörte und sah, desto mehr bekam ich das Gefühl, dass er uns allen nur etwas vorspielte.

 

"Ich denke wir sollten uns langsam auf den Weg machen, findest du nicht, Liebling?" Stacy sah auf die Uhr und nickte dann. Das Gepäck war schon verstaut, also verabschiedeten sie sich nur noch und dann waren ich und Jack allein. Das flaue Gefühl in meinem Magen kehrte zurück, sobald sie außer Sichtweite waren. "Also ich weiß wirklich nicht, was du gegen ihn hast. Er ist doch nett!" "Hmpf, ja genau. Bis er dir die Kehle aufschlitzt." "Du siehst wirklich immer nur das Schlechte in Menschen!", neckte er mich und pikste mich in die Seite. Ein ungewolltes Quieken entfuhr mir. Natürlich lachte er mich aus deswegen. Ich pikste zurück und wer hätte es gedacht - ER ZUCKTE ZUSAMMEN! "DAS BEDEUTET KRIEG!!", schrien wir beide wie aus einem Mund und gingen aufeinander los. Am Ende war natürlich ich diejenige die unter ihm lag und mich nicht bewegen konnte vor Lachen. "Sag es! Sag du gibst auf!" Ich schrie auf. "Nur über meine Leiche!" Zwar bekam ich kaum noch Luft, doch aufgeben konnte er gleich vergessen! "Hmm? Und was wenn ich auf eine andere Strategie setze?", seine Augen wanderten zu meinen Lippen. Sofort fing mein ganzer Körper an zu kribbeln. Die Tatsache dass er mehr oder weniger auf mir lag, verstärkte dieses Gefühl nur. "Ich bin bereit zu verhandeln", hauchte ich. Ehe ich mich versah legte er seine Lippen zärtlich auf meine und ließ das gewohnte Feuer in mir aufflammen, das mich immer überkam, wenn er mich küsste. Er konnte es aber auch einfach so verdammt gut! Wie könnte ich ihm jemals widerstehen? Die bessere Frage war, ob ich das überhaupt wollte...

 

***

 

"Ich muss wirklich nicht bei euch schlafen!", versuchte ich nun schon zum hundertsten Mal meinen Standpunkt zu vertreten, doch ich hätte genauso gut mit einer Wand reden können. Wieso verstand er denn nicht, dass ich ihnen allen keine Umstände machen wollte? Noch weniger wollte ich aussehen, als wäre ich auf seine Hilfe angewiesen, denn das war ich ja nicht! "Keine Widerrede! Du packst jetzt schön deine Sachen und dann fahren wir. Cam weiß schon bescheid und sie willst du doch bestimmt nicht enttäuschen" Mit einem Zwinkern ließ er sich auf mein Bett fallen und wartete darauf, dass ich anfing zu packen. Ich verdrehte die Augen und verschränkte - sturr wie ich war - die Arme vor der Brust. Ein frustriertes Seufzen kam aus Jackson's Richtung und ehe ich mich versah, hatte er sich in Vampirgeschwindigkeit vor mich gestellt und nahm mein Gesicht sanft in seine Hände. "Tu es für mich, ok? Ich will dich in meiner Nähe wissen, da wo du sicher bist und ich dich beschützen kann." Ich schnaubte. "Ich brauch keinen Beschützer! Schon vergessen, ich bin eine Hunter!" "Würde es deine Meinung ändern, wenn ich dir sage, dass wir frisch gebackenen Kuchen in der Küche stehen haben?" Mist! Er wusste, jetzt hatte er mich! Ich biss mir auf die Unterlippe, was ihm eine Lachen entlockte. "Ich wusste, darauf springst du an! Na dann beeil dich mal lieber bevor Brody dir alles aufisst!" Innerhalb von 5 Minuten hatte ich alles gepackt, was ich brauchte. So schnell hatte ich es in meinem ganzen Leben noch nie geschafft. Sogar ein Sandwich einzupacken dauerte bei mir normalerweise 10 Minuten! Jack war so lieb meine Tasche zu nehmen. Ich hüpfte einfach auf seinen Rücken, so musste er nicht sein Auto holen. "Daran könnte ich mich wirklich gewöhnen", lachte ich, als die kühle Nachtluft durch meine Haare wirbelte.

Kurze Zeit später standen wir vor der Tür eines riesigen Hauses mit einer protzigen Veranda. "Das Haus ist ja riesig", murmelte ich staunend. Lachend wurde mir die Tür geöffnet. "Wenn du das groß findest, freue ich mich schon auf deine Reaktion meines Erstwohnsitzes."  Ich warf ihm einen ungläubigen Blick zu. "Wie viele Häuser besitzt ihr denn?" "Das willst du gar nicht wissen, Süße. Auf jeden Fall zu viele, um sie alle zu zählen", ertönte die glockenhelle Stimme von Cam, die mit einem freudigen Lächeln auf mich zuschritt und mich in eine kurze Umarmung schloss. "Nur um eins klarzustellen. Ich bin allein wegen dem Kuchen hier!" Sie sah mich an, als hätte ich ihr gerade gesagt, ich würde in meiner Freizeit Clowns jagen.  "Welcher Kuchen denn?" "Duuu!" Blitzschnell drehte ich mich um und stupste mit meinem Zeigefinger an seine Brust. "Du hast mich angelogen!" Meine Augen waren zu kleinen Schlitzen zusammengekniffen. "Ach komm schon. Anders hätte ich dich doch nicht hierher gekriegt!" Abwehrend hob er die Hände. "Das zahl ich dir heim und ich weiß schon wie!" Ein teuflisches Grinsen schlich sich auf meine Lippen. "Camy, dir macht es doch nichts aus, wenn ich bei dir übernachte, oder? Wir können auch eine Pyjamaparty machen", schlug ich zuckersüß vor. "Auf gar keinen Fall! Du schläfst gefälligst bei mir!" Cam ignorierte ihn vollkommen. "Das ist eine tolle Idee! Wir bestellen uns Pizza und essen Popcorn und Eis bis wir platzen und sehen uns schnulzige Filme an! Ich frag Emma gleich, ob sie mitmachen will!" Sie hakte sich bei mir ein und zerrte mich von meinem ziemlich genervt aussehenden Gefährten weg. Über die Schulter hinweg streckte ich ihm noch meine Zunge aus und formte mit den Lippen ein 'Rache ist süß'.

 

***

 

In Cam's Zimmer lagen mittlerweile die leeren Pizzakartons auf dem Boden genauso wie leere Eispackungen und vereinzelte Popcornstücke, die bei unserer Popcornschlacht ihr Ziel verfehlt hatten. Cam heulte Rotz und Wasser, weil gerade ihr Lieblingsdarsteller am Sterben war, während ich und Emma nur die Augen über ihre Reaktion verdrehten. Als der Film damit auch zu Ende war, musste ich gähnen. Mit einem Blick auf die Uhr stellte ich fest, dass es schon zwei Uhr Nachts war. Wie schnell die Zeit vergangen war, unglaublich! "So Ladys, Storytime!", meinte dann Emma und klatschte freudig in die Hände. "Also gut, dann erzähl doch mal das peinlichste, was dir je passiert ist, Emmalein" Cam und ich warteten gespannt auf eine Antwort von ihr. "Mein erstes Date mit Liam war definitiv der peinlichste Abend, der mir je passiert ist. Es ist ungefähr 50 Jahre her. Ich war noch ein Mensch, Liam ein Vampir, was ich zu dem Zeitpunkt auch wusste, weil er es mir gesagt hatte. Jedenfalls sind wir auf den Jahrmarkt gegangen und er schlug vor, aufs Riesenrad zu gehen. Sollte ja romantisch undso werden. Wir sitzen also in diesem Sesselding und sind oben an der Spitze angelangt, als plötzlich der Strom ausgeht. Das wäre ja noch kein Problem gewesen, wenn Liam nicht auch auf einmal ziemlich unruhig geworden wäre. Ich hatte keine Ahnung, wieso er seine Hände an den Griff krallte und einfach stur geradeaus blickte. Er würdigte mich keines Blickes mehr. Ich dachte, ich hätte irgendetwas falsch gemacht, oder dass er mich plötzlich nicht mehr mögen würde... und dann spürte ich es. Das Blut floss wie aus einem Wasserhahn aus mir hinaus. Als ich schnallte, dass er DESWEGEN so komisch war, wurde ich so rot wie noch nie in meinem Leben. Gott, mir war das soooo peinlich, ich hätte mich am liebsten in der Erde vergraben!" Ich und Cam lachten uns kaputt. "Und was ist dann passiert?", brachte ich heraus. "Er ist mit mir vom Riesenrad gesprungen und ist so schnell verschwunden und mit Binden zurückgekommen, dass ich nicht einmal blinzeln konnte. In diesem Augenblick wusste ich aber, dass er der Mann fürs Leben war." "AWWWWW WIE SÜß!!" "Jetzt bist du dran Cam. Wann hattest du einmal eine richtige Angstattacke, aber eigentlich ohne Grund?" Sie fing an zu lachen. "Oh Gott. Ihr werdet mich auslachen!" "Spucks schon aus!" "Also. Ich war ungefähr 13 als das passiert ist. Ich war gerade erst aufgestanden und wollte mir etwas zu essen holen, als ich das vermeintliche Schaben eines Messers hörte. Ihr wisst schon, wenn ihr mit der Klinge über Beton oder so streift und dann dieses ekelhafte, angsteinflößende Geräusch ertönt. Jedenfalls habe ich so eine Panik gekriegt und hab sofort angefangen zu schreien 'Wachen! Ein Mörder!'. Ich war ja erst 13 und konnte noch nicht so gut kämpfen. Es sind ungefähr 10 schwerstbewaffnete Krieger neben mir aufgetaucht innerhalb von Sekunden. Als diese um die Ecke gingen, konnten sie sich nicht mehr auf den Beinen halten vor lauter Lachen. Ich habe den Spachtler mit einem Mörder verwechselt." Wir prusteten los, alle drei. So lange, bis ich keine Kraft mehr dazu hatte. "So Mia, du bist dran. Hmmm, was will ich denn wissen? Ahh, dein erstes Mal, wie war es und mit wem?" Augenblicklich verschluckte ich mich an meiner eigenen Spucke und hustete so lange, bis Emma mir nicht ein Glas Wasser gebracht hatte. Ich räusperte mich. "Ähmm, also. Naja, Mädels-" Gott, ich konnte doch jetzt nicht wirklich zugeben, dass ich noch Jungfrau war, und dass obwohl mich die Jungs unten ganz bestimmt laut und deutlich hören konnten! "Na komm schon Mia! Wir haben auch etwas von uns erzählt!", beschwerten sie sich, als ich nicht weiterredete. "Ja, aber etwas lustig-peinliches. Nicht etwas peinlich-peinliches!", verteidigte ich mich, sehr schlecht, wie ich dazusagen musste. "Raus damit!" Ich nahm einen tiefen Atemzug. Gott, wieso war ich nur so ein Feigling? "I-ich bin noch Jungfrau!", murmelte ich leise, in der Hoffnung die Wände wären dick genug, um es die Jungs nicht hören zu lassen. "Ernsthaft?" Ich nickte peinlich berührt. "Das muss dir doch nicht peinlich sein Süße! Ist doch nicht schlimm, wenn du bisher nicht den richtigen dazu hattest." Ich wurde noch roter, wenn das überhaupt möglich war. "Naja, wenn die Wände Ohren haben schon", meinte ich kleinlaut. Cam lachte los. "Schätzchen, durch diese Wände dringt kein einziges Wort nach draußen! Jackson und die anderen können uns nicht hören!" "Nicht?", fragte ich verwundert und atmete gleichzeitig erleichtert auf. "Aber natürlich nicht. Glaubst du, ich würde sonst solche Fragen stellen?" Sie warf mir eins der Kissen ins Gesicht und lachte mich aus. Aus Rache warf ich es zurück und erwischte stattdessen die arme Emma, die gerade ihre 4. Portion Eis zu Ende essen wollte. Natürlich klebte ihr das schöne Eis danach im Gesicht. "Oh-oh", machte ich und konnte mich gerade noch ducken während das Kissen direkt hinter mir auf die Tür zuflog, die in genau dem richtigen Augenblick aufgemacht wurde, um Jack's verschlafenes Gesicht wachzurütteln. Das lustigste daran war, dass er überhaupt nicht darauf reagierte sondern einfach nur auf mich zugetrottet kam. "Wir gehen jetzt schlafen!" Ich schnaubte. "Ok schlaf gut." Jedoch blieb ich sitzen und wartete darauf, dass er wieder ging. Er verdrehte genervt die Augen. "Du hast es nicht anders gewollt." Kurzer Hand warf er mich über seine Schulter wie einen Sack Kartoffeln und spazierte mit mir aus dem Zimmer. "HEY!" Wehren war zwecklos, er war viel zu stark. "Du gehörst jetzt mir, da will ich dich auch nachts bei mir haben", erklärte er schlaftrunken. "Außerdem kann ich nicht schlafen wenn ich weiß du bist im Zimmer nebenan bist, anstatt in meinen Armen." Gegen meinen Willen musste ich lächeln. Sein müdes Gebrabbel war echt niedlich. Vermutlich wusste er gar nicht, was er da alles von sich gab. Er setzte mich aufs Bett und zog mich demonstrativ an seine Brust. "Hmpf" Bevor ich irgendetwas sagen konnte, hörte ich schon seinen ruhigen Atem, der darauf schließen ließ, dass er eingeschlafen war. Das kriegst du zurück Jackylein. Ich weiß zwar noch nicht wie oder wann, aber es wird passieren! Ich kuschelte mich enger an seine Brust und schlief auch wenige Augenblicke später ein.

 

***

 

Verschlafen öffnete ich die Augen und musste feststellen, dass Jackson schon weg war. Schlaftrunken krabbelte ich also aus dem Bett und suchte mir einen Weg nach unten in die Küche. Mein ganzer Körper schrie nach Kaffee. "Morgen", murmelte ich, ohne mich wirklich umzusehen. Erst als ich ein fremdes Räuspern hörte, sah ich auf und erstarrte sogleich. "Ähm Mia, das ist mein Vater. Vater-", versuchte Jack uns vorzustellen, wurde jedoch unterbrochen. "Kleine Jägerin?" Ich rührte mich noch immer nicht vom Fleck. "Du", hauchte ich ungläubig. "IHR KENNT EUCH?!" Cam sah zwischen uns hin und her, doch keiner von uns machte sich die Mühe, ihr zu antworten. Erst als !!Jackson's Vater!! anfing zu lächeln und die Arme ausbreitete, entspannte ich mich ein wenig. "Lass dich in die Arme nehmen, Kind." Während ich genau das tat, hörte ich Cam murmeln. "Also auf die Geschichte bin ich mal gespannt!"

15. Vorbereitungen

 

"Warte, du hast unserem Vater das Leben gerettet??" Cam war völlig außer sich und starrte uns ungläubig an, während ihr Bruder fast schon teilnahmslos daneben saß und anscheinend nicht wirklich wusste, wie er mit der neuen Erkenntnis umgehen sollte. Irgendwie tat er mir leid. Es war offensichtlich, dass sein Vater ihm kaum Aufmerksamkeit schenkte. Dass er mich jetzt so warmherzig behandelte musste für ihn ein Stich ins Herz sein. "Mich würde aber auch interessieren, woher du meine Cam kennst!" Er erwähnte Jackson nicht mal, war das zu fassen?! "Jackson und ich sind Gefährten", antwortete ich mit fester Stimme und gab Jack einen leichten Kuss auf die Wange um es noch deutlicher zu machen. Seine Mundwinkel zuckten leicht und er hielt meine Hand fest in seiner umklammert, während uns sein Vater ausgiebig musterte. "Na dann, willkommen in der Familie Mia! Wie haben deine Eltern denn auf die frohe Botschaft reagiert?" Bei seiner Frage versteifte sich mein Körper etwas. "Sie drehen sich wahrscheinlich noch immer in ihren Gräbern", versuchte ich zu scherzen, was mir aber nicht gelang, weil meine Stimme am Ende des Satzes brach. "Das tut mir wirklich außerordentlich leid um deinen Verlust." Ich nickte nur. Es tat ihm nicht wirklich leid, dass die Jäger, die ihn tot sehen wollten, jetzt selber nicht mehr am Leben waren. Trotzdem schätzte ich sein Beileid. "Vater, du bist doch bestimmt nicht den weiten Weg hergekommen um zu plaudern!" Jackson's kalte Stimme durchbohrte die Stille und verursachte eine Gänsehaut auf meinem Körper. Obwohl er es nicht zeigte, wusste ich wie schwer es ihm fallen musste, so kalt mit seinem eigenen Vater zu reden. "Du hast recht Sohn-" Er spuckte dieses Wort fast schon verächtlich aus. "Ich war in der Nähe und wollte mich persönlich erkundigen, wie die Suche nach den Slayers vorangeht." "Gut", antwortete ich für ihn, um die Stimmung etwas aufzulockern. "Wenn alles nach Plan läuft haben wir Tony in wenigen Tagen ausfindig gemacht." Er schien nicht überrascht, dass ich in die Mission involviert war, schien sich aber auch nicht sonderlich daran zu stören. "Und wie lautet euer ach so brillianter Plan?" "Morgen Abend findet ein Treffen statt, in dem Ware, also in dem Fall Sklaven übergeben werden. Sie sollten uns direkt zum Auktionsort und damit auch zu ihrem Oberhaupt führen." Nachdenklich starrte er vor sich hin. "Der Plan klingt gut. Ich hoffe, ihr könnt ihn so umsetzen, wie ihr euch das vorstellt. Aber um an den Anführer zu kommen braucht es mehr als nur euch sechs." "Das ist alles schon geklärt. Verstärkung wird morgen früh ankommen, dann können wir alles noch einmal in Ruhe durchgehen bevor es losgeht." Er nickte. "Passt auf euch auf."

 

***

 

Jack atmete erleichtert auf, als sein Vater endlich gegangen war. "Geht's dir gut?", fragte ich ihn, als niemand mehr in Hörweite war. Er schenkte mir ein kleines Lächeln und nickte. "Obwohl ich nicht weiß, wie ich es ohne dich geschafft hätte, mit ihm zu reden. Du hast gesehen wie er ist..." Ich schlang meine Arme um seinen Nacken. "Er kann dich nicht für immer hassen. Immerhin bist du sein Sohn." Er schnaubte verächtlich. "Und Thronfolger" Als die Worte zu mir durchsickerten erstarrte ich. "Thron-was?" Meine Stimme klang in meinen Ohren viel zu schrill. Er kratzte sich verlegen am Kopf. "Mein Vater ist König, hab ich das nicht irgendwann mal erwähnt?" "Nein hast du nicht!" Sein Seufzen stachelte meine Wut nur noch mehr an. "Hör mal Schatz, ich-" "Oh nein! Du hörst mal! Wie hast du dir das vorgestellt? Dass ich - eine HUNTER - mit dir auf dem Thron sitze und über Vampire herrsche? Was glaubst du was für einen Aufstand es deswegen geben wird? Denkst du ernsthaft, die werden mich so leicht akzeptieren wie deine Schwester? Du bist doch selbst aus allen Wolken gefallen, als du herausgefunden hast was ich bin! Ich-ich.." Mir gingen die Worte aus mit denen ich meine Entrüstung ausdrücken konnte. "Sie werden dich lieben, genauso wie ich. Hab doch ein bisschen Vertrauen!" Er kniff mir leicht in die Wange, aber ich war noch zu fixiert auf die Worte, die er soeben ausgesprochen hatte. "Was hast du gerade eben gesagt?", hauchte ich. Meine Beine fingen an zu zittern und ich war mir plötzlich nicht mehr sicher, ob ich mich nicht doch einfach verhört hatte. Er schien nachzudenken. Keinen Moment später sah ich, wie das Lämpchen über seinem Kopf anfing zu leuchten und er die Augen aufriss, bevor sie einen warmen Ausdruck bekamen. "Es stimmt, ich liebe dich. Von dem Moment an, als ich dich im Wald gesehen habe, wusste ich, dass du diejenige bist, die an meine Seite gehört. Du bist das Wichtigste in meinem Leben. Auf alles könnte ich verzichten, solange ich dich habe. Sogar der Thron kann mir gestohlen bleiben, wenn ich dich deshalb aufgeben müsste." Ich liebe dich. Diese Worte geisterten in meinem Kopf umher, während ich versuchte das Ausmaß seiner Worte zu verstehen. Noch nie hatte mir jemand das gesagt. Noch nie hatte ich solche Gefühlte für jemanden gehabt und noch nie wollte jemand alles aufgeben, nur um mit mir zusammen zu sein. Tränen der Freude traten mir in die Augen. "Ich liebe dich auch...und du wirst überhaupt nichts aufgeben. Wir schaffen das schon irgendwie." Obwohl ich mir fast in die Hose machte, wenn ich nur daran dachte, was alles auf mich zukommen könnte und vermutlich auch wird, so war es mir das Wert, weil ich wusste, dass ich ihn immer an meiner Seite haben würde. Er beugte sich zu mir hinunter und legte seine Lippen leicht auf meine. "Das heißt aber nicht, dass ich nicht sauer auf dich bin, weil du mir verheimlicht hast, dass du ein Prinz bist!" Er lachte und wollte mich an sich drücken, doch ich entzog mich ihm und ging wieder in die Küche, wo jetzt auch Emma und der Rest saßen und frühstückten. "Wo wart ihr eigentlich bis jetzt?" Liam lächelte. "Wir wollten das Familientreffen nicht stören. Willst du Pancakes mit Nutella?" Er deutete auf den ordentlich gestapelten Haufen Pancakes. "Du hast gerade meine zwei liebsten Wörter in einem Satz verwendet: Pancakes und Nutella!" Ich leckte mir genüsslich über die Lippen und schaufelte mir ein kleinen Stapel auf meinen Teller. Mein Gefährte schnaubte gespielt beleidigt. "Ich dachte ich wäre das liebste für dich?" Ich zuckte nur mit den Schulter und grinste ihn mit vollem Mund an. "Das nächste Mal überlegst du dir zweimal, was du mir verheimlichst", neckte ich ihn, natürlich erst nachdem ich geschluckt hatte. "Ach komm schon, wie lange willst du dieses Spiel denn noch aufrecht erhalten." Ich lachte. "Das Spiel hat doch gerade erst angefangen mein Lieber!"

 

Den ganzen restlichen Tag über ließ ich ihn nicht an mich ran. Das hieß keine Küsse, keine Umarmungen, noch nicht einmal meine Hand ließ ich ihn halten. Ich merkte natürlich, dass er deshalb fast am durchdrehen war, doch mich ließ das kalt. Naja, zumindest redete ich mir das ein, damit ich es selbst so lange durchhielt. Aber wenn er dachte, er könnte mir erst so etwas Wichtiges verschweigen und dann einfach so damit durchkommen, dann täuschte er sich. Auch so hatte ich manchmal das Gefühl, er würde über alles die Kontrolle behalten und das durfte ich nicht zulassen. Augen zu und durch, Mia! Nur noch bis nach unserem Angriff, dann wäre die Warterei zu Ende!


"Habt ihr hier irgendwo einen Trainingsraum?" Ich wollte mich unbedingt ein wenig aufwärmen, bevor es morgen Abend losging. Ohnehin fühlte ich mich ein wenig aus der Übung. Emma nickte. "Komm mit, ich führ dich hin. Ich wollte so oder so auch ein wenig trainieren gehen." Ich folgte ihr in den Keller, in dem sich uns ein riesiger Raum präsentierte, voll mit Waffen, Matten und diversen Trainingsgeräten. "Das ist ja wie im Hunterhimmel!" Ich hörte Emma kichern. "Wenn du das schon toll findest, solltest du erst die Trainingshalle im Palast sehen!" Mir klappte der Mund auf. "Dort gibt es eine Trainingshalle?" Jetzt wurde ihr Lachen lauter. "Was denkst du denn wo wir alle unsere Kampfkünste herhaben?" "Lebt ihr alle im Palast?" Sie nickte. "Liam ist Jackson's zweite Hand, ich als seine Gefährtin lebe natürlich bei ihm. Brody hingegen war lange Zeit lang Camy's persönlicher Leibwächter, ist aber mit der Zeit Teil der Familie geworden und ist auch dort wohnen geblieben. Im großen und ganzen sind wir fünf eigentlich ziemlich zusammengeschweißt worden über die Jahre und mit dir sind wir jetzt sogar zu sechst." Ihr herzliches Grinsen ließ mein Herz aufgehen. "Dann wollen wir mal!" Ich fing an mit dem Laufband, auf dem ich ganze 45 Minuten verbrachte und machte dann weiter mit Übungen für den Bauch, Squats und natürlich Gewichte heben. Als ich dann völlig aus der Puste war, ließ ich all meine aufgestaute Wut an einem der vielen Boxsäcke aus. Nur noch ein wenig Messer werfen, dann kannst du dich ausruhen! Gesagt getan. Als alle verfügbaren Messer in der Zielscheibe steckten ließ ich mich erschöpft auf den Boden sinken. Mein Atem ging schwer und mein Herz klopfte mir bis zum Hals. Alles in allem fühlte ich mich einfach nur wie neugeboren! "Was machst denn du da?" Emma sah mich belustigt an. "Ich bin tot", brachte ich schwer atmend zustande. "Wir sollten lieber ins Bett gehen. Es ist schon spät und morgen wird ein langer Tag." Kraft um zu protestieren hatte ich nicht, deshalb rappelte ich mich mühsam auf und stolperte mit wackligen Beinen nach oben ins Badezimmer. Als ich die Tür aufmachte, blickte mir ein halbnackter Jackson entgegen. Beim Anblick seiner Bauchmuskeln musste ich schwer schlucken. Ich stotterte eine leise Entschuldigung und drehte mich um, um so schnell wie möglich aus dieser Situation zu flüchten. "Wo willst du denn hin?" Oh nein! Er benutzte seine verführerische Stimme, um mich einzulullen! "I-ich-" Jetzt reiß dich mal zusammen, Mädel! Mit seinen Händen stützte er sich an der Wand ab und klemmte mich damit ein. "Den ganzen Tag über hast du dich mir entzogen, doch jetzt, wo du vor mir stehst mit glänzender Haut und diesem Funkeln in deinen Augen, weiß ich nicht, ob ich dir noch länger widerstehen kann.! Ohne dass ich es wollte, wanderten meine Augen tiefer. Das einzige, das er anhatte, war ein Handtuch. Ich spürte die Wärme in mein Gesicht aufsteigen. Natürlich wusste er welche Wirkung er auf mich hatte, das zeigte mir sein wissendes Grinsen. Genau dieses Grinsen riss mich aber letztendlich in die Realität zurück. Du darfst jetzt nicht nachgeben! Ich räusperte mich und hob meine Augenbraue, während ich versuchte, nicht heißer zu klingen. "Raus aus dem Bad, Liebling, ich will duschen gehen." Ich schubste ihn vor die Tür und ließ ihn völlig verdattert dort stehen, wohlbemerkt immer noch nur mit einem Handtuch bekleidet. Gut gemacht!, lobte ich mich selbst in Gedanken und konnte endlich entspannt meine heiße Dusche genießen.

 

***

 

"Aufwachen Schlafmütze!", war Cam's liebevolle Art mich zu wecken. Ich hatte mich am Vorabend zu ihr ins Bett gekuschelt, weil ich ja so  ein Sturkopf war, und mich mit Jackson's Strafe gleich mit bestrafen musste. "Noch fünf Minuten", nuschelte ich und kuschelte mich tiefer in die Decke, wenn das überhaupt möglich war. "Die Verstärkung ist aber schon da und mehr als gespannt auf dich." Mit einem Mal war ich putzmunter. Erschrocken setzte ich mich auf und bereute diese abrupte Bewegung sofort, als ich die schwarzen Pünktchen vor meinen Augen tanzen sah. "Auf MICH?" Meine Stimme klang schriller als beabsichtigt, wofür ich mich selbst hätte schlagen können. "Nein auf mich" Ihre Stimme triefte nur so vor Sarkasmus. "Natürlich auf dich, auf wen denn sonst? Du bist immerhin Jack's Gefährtin." Ich schluckte schwer, fast schon wollte ich die nächste Frage gar nicht stellen. "Wissen sie...was ich bin?" Energisch schüttelte sie den Kopf. "Nope" Sie grinste teuflisch. "Deswegen kann ich euer Zusammentreffen auch kaum erwarten!" Aufgeregt klatschte sie in die Hände und warf mir einen Bündel Klamotten zu. "Das ziehst du an, dann kommst du runter." Sie hatte mir eine schwarze, bequem aussehende Hose gegeben und dazu einen hellrosa Pullover, der perfekt zum kühlen Wetter passte. In Sachen Mode kennt sie sich aus, das muss man ihr lassen. Während ich meine Gedanken schweifen ließ, zog ich mich an und band meine langen Haare zu einem hohen Zopf zusammen. Bevor ich mich in die Höhle des Löwen begab, atmete ich noch ein paar mal tief ein und aus. Ich konnte ihre Präsenz deutlich fühlen. Mit einem mulmigen Gefühl im Magen begab ich mich nach unten. Selbstverständlich war ich schlau genug, meinen unsichtbaren Schild hochzufahren, der mich nicht gleich als Jägerin outete.

 

Sobald ich im Erdgeschoss angekommen war, hörte ich, wie es plötzlich mucksmäuschenstill wurde. Alle hatten ihre Gespräche eingestellt und begutachteten mich. Die einen neugierig, die anderen regelrecht abwertend. Ich war wie zu Stein erstarrt. Vor mir standen bestimmt 20 fremde Gesichter, die mich von oben bis unten angafften. Ich fühlte mich fast schon nackt vor ihnen. Die ganze Situation ließ meine Konzentration schwanken. Zwar war es nur für den Bruchteil einer Sekunde, doch lang genug um meinen Schild kurz zu deaktivieren. "HUNTER!", schrie einer von ihnen und kam auf mich zugerannt, sein Dolch direkt auf meine Brust gerichtet. Wenigstens besaß ich genug Verstand, um seinen Angriff abzuwehren. Es war fast schon zu einfach, ihm seine Waffe abzunehmen. Bevor ich oder er auch nur einen weiteren Schritt machen konnten wurde mein Gegner gegen die gegenüberliegende Wand gedrückt. Jackson hatte auf Vampirmodus geschaltet und drückte dem armen die Luft ab. "Versuch noch ein einziges Mal, meiner Gefährtin Schaden zuzufügen, und dein Kopf rollt schneller, als du dich vor mir verbeugen und um Vergebung flehen kannst! Verstanden?!" Der Vampir vor ihm nickte nur. Sein Gesicht war so blau angelaufen, dass ich Angst hatte, er würde jeden Moment wirklich ins Gras beißen. "Das gilt für euch alle!" Er ließ von Vampir 1 ab und sah die anderen herausfordernd an, die nur brav nickten. Ich konnte nichts anderes tun, als meinen Gefährten anzustarren. Er sieht aber auch zu verdammt scharf aus, wenn er wütend ist! Vampir 1 saß kraftlos am Boden und röchelte noch immer. Irgendwie tat er mir leid. Klar, er hatte mich angegriffen, aber er hätte ja unmöglich wissen können, was auf ihn zukommen würde. "Also ich weiß nicht was mit dir ist, aber ich könnte jetzt einen Kaffee vertragen." Ich streckte ihm meine Hand aus, meine Art ein Friedensangebot zu stellen, doch er ignorierte mich eiskalt und stürmte nach draußen. Daran musst du dich gewöhnen! Es wird immer Leute geben, die dich nicht akzeptieren werden, egal wie sehr du dich anstrengst! "Also ich hätte nichts gegen eine Tasse Kaffee", mischte sich eine Stimme ein. Ich drehte mich um und erblickte einen relativ jung aussehenden Jungen, der mich freundlich anlächelte. Endlich mal jemand ohne Vorurteile! Er begleitete mich in die Küche, während die anderen nochmal den Plan durchgingen. Ich hätte wahrscheinlich auch dabei sein sollen, aber ich hatte keine Nerven, denen noch länger gegenüberzustehen. Irgendwer würde wohl so freundlich sein, mich später einzuweihen.

"Ich hätte nie gedacht, dass ich mal eine echte Hunter kennenlerne!" Er nippte an seiner Tasse und sah mich mit leuchtenden Augen an. Ich konnte nicht anders, als zu lächeln. "Vermutlich genauso wenig, wie ich je gedacht hätte, an der Seite eines Vampirs zu enden." Wir grinsten uns gegenseitig an. "Weißt du, das ist meine erste richtige Mission als Wächter. Für die anderen bin ich immer noch das Baby in der Truppe, was meine Aufregung nur noch mehr steigert." "Ich weiß wie du dich fühlst. Ich bin die Jüngste in der Familie. Sie werden dich so lange nicht als Gleichgesinnten sehen, bis du dich ihnen beweist. Es klingt zwar hart, aber so ist es und diese Mission ist die perfekte Gelegenheit. Also Kopf hoch und Waffen raus, wie meine Schwester sagen würde!" "Danke, das werd ich mir zu Herzen nehmen."

 

"Schatz?" Jackson stand im Türrahmen und begutachtete mich. Ich sah ihn fragend an. "Soll ich mit dir den Plan durchgehen?" Ich nickte, woraufhin er sich zu uns setzte. "Also um elf geht es los. Wir sechs gehen gleich rein, die anderen warten noch. Die eine Hälfte kommt später nach, die anderen positionieren sich um das Gebäude und Umgebung und beobachten die Lage. So sehr ich mich dagegen sträube, aber du und Emma werdet die Aufmerksamkeit der Slayers auf euch lenken müssen. Wir sind IMMER in der Nähe, also sobald du ein komisches Gefühl bekommst, gibst du uns ein Zeichen und wir holen euch, ok?" Ich nickte ernst. "Wenn alles nach Plan läuft, werdet ihr zu den anderen geführt, wenn das der Fall ist, gebt ihr das Zeichen und wir greifen an. Hier." Er reichte uns beiden ein Armband, das schwarz glänzte und sich perfekt an mein Handgelenk anpasste. "Damit löst ihr ein Signal aus, das die anderen bekommen und sofort wissen, wo ihr euch aufhaltet. Bitte sei vorsichtig." Seine grauen Augen bohrten sich voller Besorgnis in meine. Meine erste Reaktion war, meine Hände auf seine zu legen und diese leicht zu drücken. Obwohl ich ihn noch immer strafte, konnte ich in diesem Moment nicht anders. "Du weißt doch, dass ich hart im Nehmen bin!" Mit meinem Kommentar entlockte ich ihm ein leichtes Grinsen.

 

Den Rest des Tages bereiteten wir uns auf die Mission vor, gingen noch hunderte Male den Plan durch und trainierten ein wenig. Während sich die anderen immer wieder abwechselten, ließ Jackson es sich nicht nehmen, mein einziger Kampfpartner zu sein. Viel machte es mir nicht aus. Auf noch so eine Reaktion wie die von dem dämlichen Vampir diesen Morgen konnte ich verzichten. Als es dann dunkel wurde, zogen wir uns alle um. Es war gar nicht so leicht kampftaugliche Kleidung zu finden, die man obendrein noch in einem Club tragen konnte. Ich entschied mich für eine enge, schwarze Hose und ein Top. Dazu noch meine High Heels und eine Lederjacke und ich war so gut wir fertig. Fehlte nur noch verführerisches Make-up. Ich ließ es mir natürlich nicht nehmen, meinen dunkelroten Lippenstift aufzutragen, um meinen Look noch ein wenig aufzupeppen. Hoffentlich geht alles gut!


 

16. So war das nicht geplant!

Da standen wir nun also in einem viel zu lauten Raum, in dem ich den Bass bis in die Knochen spürte und die Menschen gar nicht mitbekamen, was sich vor ihren Augen abspielte. Emma und ich standen an der Bar und hielten Ausschau nach den Slayers während Jack und die anderen im Club und davor verteilt waren und die Lage checkten. "Ich muss schnell mal aufs Klo. Ich bin gleich wieder da!", gab Emma bekannt, und verschwand auch sogleich in der Menge und ließ mich allein zurück. "Hey Süße, wie wär's mit einem Drink?" Ich drehte mich um, bereit den eklig, schleimigen Typen abzuweisen, doch irgendetwas hielt mich davon ab, als ich das merkwürdige Glänzen in seinen tiefschwarzen Augen sah. 'Slayer!' schrie alles in mir. "Aber gerne doch Süßer." Es kostete mich all meine Mühe, nicht zu kotzen, als er seine Hand auf meine Hüfte legte. 'Spiel einfach mit Mia. Später kannst du ihn töten, aber jetzt noch nicht!' Er bestellte mir irgendeinen Drink, den ich aber nicht einmal anrührte. Eine betrunkene Mia konnte ihren Mund nicht halten und plauderte jedem einfach alles aus und genau das musste ich tunlichst vermeiden. Er checkte sein Handy und sah mich dann mit einem gruseligen Grinsen an. "Wie wär's wenn wir in die VIP-Lounge gehen?" Ohja, sie hatten mich definitiv ins Visier genommen. Unschuldig klimperte ich mit den Wimpern. "Dir würde ich doch überall hin folgen." Ich setzte noch ein zuckersüßes Lächeln drauf, um ihm ja nicht zu zeigen, wie skeptisch ich war. Natürlich glaubte er mir. Slayers waren auch einfach so berechenbar. Er führte mich durch den Raum. Bevor er mich eine Treppe nach oben führte, machte ich Blickkontakt mit Liam. Natürlich verstand er den Wink sofort und tippte sogleich auf seiner Uhr herum. Gleich würde es losgehen.

 

"Wen haben wir denn da?" Ein jung aussehender Mann kam vor uns zum Stehen und sah mich mit einem Blick an, der mir einen Schauder über den Rücken laufen ließ. "Eine Hunter würde unsere Sammlung endlich vollständig machen." Mir entglitten all meine Gesichtszüge. Er lachte. "Dachtest du etwa, ich würde dich nicht erkennen? Sag nicht du erinnerst dich nicht mehr an mich, Kleine. Wie lang ist es her? Zehn Jahre? Länger?" Es war er, der Mann, der mich vor so vielen Jahren ertränkt hatte. Ich war aufgeflogen, wir alle waren aufgeflogen. Ich torkelte ein paar Schritte zurück und wollte die anderen warnen, aber meine Uhr wurde mir sofort vom Handgelenk gerissen. "Das nehme ich dann mal." Das durfte ich ihm nicht durchgehen lassen! Ich streckte den Arm nach ihm aus, doch bevor ich ihn kontrollieren konnte, wurde mir plötzlich etwas ums Handgelenk festgemacht. Ein Armband. Ohne mich davon ablenken zu lassen, konzentrierte ich mich auf den Mann vor mir, doch es geschah nichts. Es war, als wären meine Kräfte weg. Ein Lachen ertönte. "Na, gefällt dir dein Geschenk? Es hält deine Kräfte in Zaum." Mist! Einfach nichts lief nach Plan. Ich tat das Einzige, das mir in diesem Moment einfiel. "JACKSOOON!" Gleichzeitig packte ich meinen Dolch aus. "Nur weil ich keine Kräfte mehr habe, heißt das noch lange nicht, dass ich verlernt habe, zu kämpfen." Ich stach zu. Zwar verfehlte ich sein Herz, aber das Huntergift verfehlte trotzdem nicht seine Wirkung. Vor Schmerzen schreiend fiel er auf die Knie und fasste sich an die Schulter, wo ich ihn getroffen hatte. "Mia, was ist los?!" Ein alarmierter Jack stand neben mir, seine Waffe gezückt. Hinter ihm tümmelten sich die restlichen. "Meine Tarnung ist aufgeflogen." Er nickte und stürzte sich sogleich auf den ersten. Hier waren mehr Slayers als ich erwartete hatte. Überhaupt war das Obergeschoss viel zu groß um in dieses Gebäude passen zu können. Ein Zauber. Unachtsam wie ich war, bemerkte ich die Klinge erst, als sie sich in meinen Arm bohrte. Ein schmerzerfüllter Laut entfuhr mir. Ohne meine Kräfte war meine Aufmerksamkeit viel zu getrübt. Wenigstens war meine Reaktion schnell genug, als dass er mich hätte töten können. Ein Stich ins Herz reichte, um ihn unschädlich zu machen. Ich blickte mich um, sah an den vielen Kämpfenden vorbei. Einer stach mir besonders ins Auge. Er hatte Schwierigkeiten gegen drei der Slayers auf einmal auszukommen. Sofort eilte ich auf ihn zu und erledigte auf dem Weg noch zwei mit meinem Dolch. Bei ihnen angekommen rammte ich dem einen gleich die Klinge von hinten in die Brust. Während er zu Boden sank, sah ich gerade noch die Pistole des anderen vor meinem Gesicht auftauchen. Ohne lange nachzudenken schnitt ich ihm die Hand ab. Der Vampir, den ich als Vampir 1 widererkannte, erledigte den Rest, während ich mich noch dem letzten widmete. Ich hielt ihm meine Waffe an die Kehle, was ihm einen schmerzverzerrten Gesichtsausdruck entlockte. "Wo findet die Auktion statt?" Anstatt mir zu antworten legte er seine Hand auf meine und schlitzte sich selbst die Kehle auf. Wie erstarrt schaute ich auf den leblosen Körper vor mir.

 

"Ich muss dich hier rausbringen und zwar sofort!" Der Vampir zerrte mich hinter sich her, als mich der Schmerz überrollte. Von meiner Brust aus breitete sich das erstickende Gefühl immer weiter in meinem Körper aus und ließ mich zu Boden sinken. Mir wurde die Luft abgeschnürt, was mich röchelnd nach Atem schnappen ließ. Mir war sofort klar, dass das nicht mein eigener Schmerz war. "Was ist los? Bist du verletzt?" Ich brachte kein Wort hinaus, denn das Gefühl vervielfachte sich immer mehr. 'Stacy', versuchte ich zu sagen, doch es kam kein Wort aus meinem Mund. Vampir 1 kniete sich vor mich. "Kannst du aufstehen?" Ich wollte den Kopf schütteln, als plötzlich eine Klinge aus seiner Brust schaute. Nein! "Hallo meine Schöne. Der Boss wird sich bestimmt auf dich freuen." Ich wurde über seine Schulter geworfen, dann wurden die Schmerzen zu viel und ich sank in die Dunkelheit.

 

***

 

Ein heftiges Rütteln weckte mich auf. Als ich die Augen aufmachte, blickten mir ängstliche Gesichter entgegen. Sie alle kauerten in einer Ecke und starrten mich an. Einige von ihnen sahen aus, als hätten sie seit Tagen nichts gegessen. Bei vielen entdeckte ich sogar zahllose blaue Flecken und Schürfwunden. Erst als es noch einmal rüttelte, realisierte ich, dass ich mich in einem fahrenden Auto befand. Sie hatten mich geschnappt, als ich am Schwächsten war. Stacy! Ich musste zu ihr, musste da sein, wenn sie wieder zu sich kam. Ich sprang auf die Beine und machte mich an der Tür zu schaffen. Ich schlug auf sie ein, tritt zu, ich versuchte sogar mich dagegen zu werfen, doch es war zwecklos. Niedergeschlagen setzte ich mich hin und vergrub mein Gesicht in meinen Händen. Dieses blöde Armband! Noch nie in meinem Leben hatte ich mich so nutzlos gefühlt. Ich musste trotzdem einen Weg hier raus finden, nur wie? Meine Waffen hatten sie alle beschlagnahmt, sogar meinen Ersatzdolch, den ich im Schuh stecken hatte. "ARGH!" Ich sah zu den anderen, die mich noch immer angsterfüllt anglotzten. Was würde Stacy jetzt tun? Ich wusste es nicht.

 

Mit einem Ruck hielten wir an. Schritte näherten sich und ich machte mich kampfbereit. Selbst ohne Waffen würde ich mich nicht einfach so geschlagen geben. Sobald sich die Tür öffnete sprang ich hinaus und landete mit meiner Faust auch sofort einen Treffer. "Du kleines Miststück!" Er holte aus, doch ich bückte mich und entkam seinem Angriff so. Doch blöd wie ich war, merkte ich nicht, dass mehr als ein Slayer hier war und bekam auch sofort von hinten etwas an den Kopf geknallt. Der Hieb war so stark, dass es mich zu Boden riss. Kleine schwarze Punkte tanzten vor meinen Augen und mein Schädel fühlte sich an, als würde er gleich explodieren. "Rein mit ihr." Ich wurde zurück ins Innere des Wagens geworfen, ja geworfen!, dann schlossen sie die Tür wieder. So ein Mist aber auch! Fluchend griff ich mir an die schmerzende Stelle an meinem Kopf und spürte auch gleich das warme Blut, das mir im Haar klebte. "DAS KRIEGST DU NOCH ZURÜCK DU ELENDER MISTKERL!", schrie ich, wobei ich mir gar nicht so sicher war, ob er überhaupt noch in Hörweite war. "Mit denen solltest du dich lieber nicht anlegen. Sie schrecken vor nichts zurück, nur um dich gehorsam zu machen." Ein Mädchen, das höchstens ein paar Jahre älter war als ich, sah mich mitleidig an. Ihre Kleidung war aufgerissen und wohin ich auch sah, ihr gesamter Körper war mit Wunden jeglicher Art übersäht. "Du hast es auch probiert, nicht wahr? Zu entkommen, meine ich." Sie nickte. "Bis ich eingesehen habe, dass das die Situation nur noch verschlechtert. Dieses Ding-" Sie deutete auf ein Armband, das dem meinen identisch war. "-macht es mir unmöglich, irgendetwas gegen diese Mistkerle auszurichten." Ich seufzte und starrte verloren auf das Armband, dass mir Jackson's Vater geschenkt hatte, als ich ihn fast getötet hatte. Jenes Armband, dass mich beschützen sollte. "Also können wir nichts tun, außer abwarten."

 

Jackson's Sicht

 

"IHR HABT EINFACH SO ZUGELASSEN, DASS SIE SIE MITNEHMEN?!!!" Mein wütendes Knurren erfüllte den Raum. Wir hatten verloren. Die Hälfte meiner Männer war tot und meine Gefährtin war entführt worden und wofür? Nichts hatten wir herausgefunden, nichts! Ich habe versagt! Maßlos. Was hatte ich mir auch nur dabei gedacht, sie als Köder einzusetzen?! Meine Faust fand ihren Weg in die Wand, wo ich ein riesiges Loch hinterließ, doch das war mir mehr als gleichgültig. Viel wichtiger war die Frage, wie ich so schnell wie nur möglich Mia retten konnte.

Das Klingeln meines Handys unterbrach meinen Wutausbruch. "WAS?", knurrte ich in den Hörer. "Jackson? Hier ist Val. Ich hab Mia mindestens 100 mal angerufen. Geht es ihr gut? Wir hatten eigentlich ausgemacht, gemeinsam zu ihrer Schwester zu fahren, falls Steven ihr etwas tut." Völlig verdattert starrte ich ins Leere. Stacy war tot? Also hatte Mia recht gehabt mit diesem Steven. "Schick mir die Adresse. Ich bin so schnell wie möglich bei dir!"

 

***

 

"Hey, ist sie aufgewacht?" "Nein, aber es dürfte nicht mehr lange dauern. Wo hast du Mia gelassen?" Ich biss die Zähne zusammen. Allein schon der Gedanke daran, dass ich sie nicht hatte beschützen können machte mich wahnsinnig. "Die Slayers haben sie." Bei dem Wort Slayers riss sie die Augen auf. "Was? Wie konnte das denn passieren?" Sie klang ehrlich besorgt um sie, was mich wunderte. Es war nicht normal, dass sich Hexen mit anderen außer ihresgleichen verstanden, geschweige denn Sorge für denjenigen empfanden. "Die Einzelheiten muss ich für mich behalten, aber sie waren in der Überzahl und dann...-dann war sie plötzlich weg..." Ich atmete tief ein und aus. "Das ist alles nur meine Schuld." Val schüttelte energisch mit dem Kopf. "Mia muss während des Kampfes den Tod ihrer Schwester gespürt haben. Das hat sie geschwächt und nur deswegen ist sie weg. Findest du es nicht auch seltsam, dass Stacy genau in dem Augenblick getötet wurde, als Mia ihre Fähigkeiten am meisten brauchte?" Wenn ich länger darüber nachdachte, hatte sie wirklich recht. Mia hatte doch von Anfang an ein schlechtes Gefühl wegen diesem Steven gehabt. Falls er also ein Slayer ist, könnte das alles geplant gewesen sein. Aber woher hätte er von unserer Attacke im Club gewusst haben können? "Ein Maulwurf!", kam es knurrend aus meinem Mund, wofür ich einen erschrockenen Blick von Val erntete. "Weißt du wer es sein könnte?" Ich schüttelte den Kopf. Es könnte jeder von den Kriegern gewesen sein, die gestern mit uns gekämpft hatten. "Wenn du willst kann ich dir dabei helfen, ihn zu finden. Ich kenn da ein paar Tricks." "Das ist sehr nett von dir vielen Dank." Etwas Hilfe wäre wirklich nicht schlecht. Vor allem da meine Konzentration auch so schon getrübt ist, weil ich die ganze Zeit an nichts anderes als an Mia denken kann. Ein ersticktes Husten lenkte meine Aufmerksamkeit auf Stacy, die anscheinend gerade wieder zum Leben erwachtt war. "Wo- wo ist Mia?" Sie machte Anstalten aufzustehen, wurde aber von Val daran gehindert. "Ganz ruhig. Du warst eben noch tot, da steht man danach nicht einfach so auf und spaziert durch die Gegend." Sie sah etwas überrumpelt aus, ließ sich jedoch wieder auf den Boden sinken. "Er hat mich getötet..", hörte ich sie flüstern. Es war ihr anzusehen, wie sehr sie mit den Tränen zu kämpfen hatte, doch sie hatte sich schneller als gedacht wieder im Griff.

 

"Wo ist meine Schwester?" Die Frage ging an mich, an wen denn sonst. Trotzdem war es, als hätte mich jemand mit Eiswasser überschüttet. "Sie haben sie", sagte ich nach kurzem Zögern. Kaum hatte ich diese Worte ausgesprochen, war Stacy auch schon aufgesprungen und funkelte uns beide wütend an. "Worauf warten wir dann noch verdammt nochmal! Wir müssen sie finden und aus den Klauen dieses Biests befreien!" "Wessen Klauen?" Es klang fast schon so, als würde sie auf jemand bestimmten hinauswollen. "Na Tony, wer denn sonst! Bevor Steven... ihr wisst schon... Auf jeden Fall sagte er, Tony würde sich schon auf sie freuen! Wir. Müssen. Jetzt. Los! Gott weiß, was sie ihr in diesem Moment alles antun! Je schneller wir anfangen, desto schneller finden wir sie!" Völlig perplex starrte ich sie an. Ihre Worte sickerten nur langsam in mein Gehirn. Tony. Er will Mia. Meine Gefährtin. Er hat alles geplant. Wie meine Augen die Farbe wechselten nahm ich gar nicht war. Das einzige, was in diesem Moment zählte war, meine Gefährtin zu mir zurückzuholen. Mit einem Ruck drehte ich mich um und rannte los, konnte mich aber schon nach einem Schritt nicht mehr bewegen. Es war, als hätte ich die Kontrolle über meinen Körper verloren. "Was denkst du eigentlich wo du hinwillst? Den Slayers direkt in die Arme laufen? Das wäre dein Todesurteil kleiner Vampir." Stacy hielt mich fest, ohne mich zu berühren, zwang mich, einfach still dazustehen. "Solange ich Mia damit zurückhole ist mir das sowas von egal", knurrte ich. "Na-hein! Auf gar keinen Fall! Denkst du allen ernstes ich lasse den Mann, den meine Schwester über alles liebt in seinen Tod laufen? Das wirst du auf keinen Fall alleine machen und erst recht nicht unüberlegt und wenn ich dich anketten muss!" Ich knurrte, beruhigte mich aber langsam wieder. Langsam sah ich ein, dass sie recht hatte. Alleine würde ich diesen Kampf auf keinen Fall gewinnen. Ich brauchte meine Krieger, aber bevor wir Pläne schmieden könnten, musste noch eine Sache erledigt werden. "Val, hilft du uns jetzt, den Maulwurf zu finden?"

 

***

 

Mia's Sicht

 

Wie lange fuhren wir jetzt schon? Mehrere Stunden? Ich hatte das Zeitgefühl verloren. Meine Beine waren eingeschlafen und ich konnte den Frauen einfach nicht mehr beim Winseln zuhören. Es klang herzlos und ich hatte ja auch Mitleid, aber ich war ja selbst mit den Nerven am Ende. Viel lieber wäre ich jetzt zuhause bei Jack und würde mit ihm gemütlich einen Film schauen und ihn dabei mit all meinem Popcorn bewerfen. Wie es Stacy wohl ging? Ich hoffte inständig, sie wäre aufgewacht und das ohne bleibende Schäden. Ich hab ja von Anfang an gewusst, dass dieser Steven Mistkerl ein hinterhältiges Schwein ist! Der Wagen kam zum Stehen, diesmal schalteten sie auch den Motor aus. Sind wir da? Wo ist 'da' überhaupt? Als die Türen aufgingen wurde ich nicht wie erwartet von der Dunkelheit begrüßt. Stattdessen blendete uns die aufgehende Sonne. "Wenn du noch einmal was versuchst, schlag ich dich K.O. Hast du das verstanden?" Zwei leuchtende Augen schauten mich bedrohlich an. Pfft! Als würde mich so etwas beeindrucken. "Ja, ja. Die Laseraugen kannst du dir sparen, die machen dich auch nicht angsteinflößender." Ich hüpfte aus dem Wagen und streckte mich erstmal. Gott, tat das gut! "Pass gefälligst auf deinen Ton auf!" "Und du pass gefälligst auf deine Eier auf! Ich hab zwar keine Superkräfte mehr, aber trotzdem reicht ein Tritt von mir aus, um dich zeugungsunfähig zu machen!" HA! Da staunte er nicht schlecht. Hätte wohl nicht gedacht, dass ich mich so behaupten würde. Natürlich bekam ich dafür auch sofort die Quittung. Seine flache Hand fand ihren Weg in mein Gesicht. Pfft! Frauenschläger! Als er wegsah, rieb ich dennoch an der schmerzenden Stelle auf meiner Wange. Es hatte nämlich schon ein bisschen wehgetan. Zugeben würde ich das aber niemals. Nur über meine Leiche würde ich ihnen Macht über mich geben! Widerwillig folgte ich den anderen in ein Gebäude, das locker als Lagerhalle durchgegangen wäre. Innen sah es jedoch fast schon aus wie eine Galerie. Es widerstrebte mir hier zu sein. All meine Nackenhaare stellten sich auf, als ich mich umsah und mehrere Podeste sah, auf denen schon Gefangene standen und den Käufern wie auf einem Silbertablett serviert wurden. "Bringt alle in die Kerker. Sie sollen heute Abend verkaufsfähig aussehen! Habt ihr das verstanden?! Der Boss wird da sein. Ihr dürft euch keine Fehler erlauben!" Ein Mann kommandierte alle durch die Gegend. Anscheinend würde die Auktion erst später losgehen. Ich musste unbedingt einen Weg finden, aus diesem Gefängnis hier auszubrechen und das so schnell wie nur möglich!

 

17. Kein Ausweg

Zusammen mit allen anderen Gefangenen wurde ich in eine verhältnismäßig winzig kleine Zelle gesteckt. Während die anderen alle zusammengekauert auf dem Boden saßen, ging ich nervös hin und her. Wie sollte ich es in nur ein paar Stunden schaffen, mir einen guten Fluchtplan auszudenken und ihn auch wirklich umzusetzen? Selbst wenn ich es irgendwie schaffen sollte, den Wachmann auszuschalten, warteten hinter der nächsten Tür doch schon zehn andere auf mich, gegen die ich ohne Kräfte einfach keine Chance hatte. "Arrghh!" Wie sollte ich nur vorgehen? Kampflos aufgeben würde ich auf keinen Fall! Selbst wenn es mich den Tod kostet, muss ich wenigstens versuchen, von hier zu entkommen! "Hier sind die Regeln, für diejenigen von euch, die es bis jetzt noch nicht kapiert haben!" Der Wache vor der Zelle schaute die ganze Zeit über nur mich an. Ich schenkte ihm ein zuckersüßes Lächeln bevor ich antwortete. "Wenn du denkst, dass mich deine bescheuerten Regeln auch nur im Geringsten interessieren, dann weißt du nicht, mit wem du es hier zu tun hast!" Sein Blick verfinsterte sich. Wenn ich Glück hab, kann ich ihn so sehr provozieren, dass er in die Zelle kommt. Dann kann ich ihn hoffentlich überwältigen und von hier abhauen.  "Ich garantiere dir Mädchen, mit diesem Verhalten bleibst du hier nicht allzu lange am Leben." "Du glaubst doch nicht wirklich, dass es auch nur irgendeiner von euch schaffen wird, mich gehorsam zu machen!" Um meine Aussage zu unterstreichen lachte ich verächtlich. "Das werden wir ja sehen." Er kam der Zellentür immer näher und kramte währenddessen nach dem Schlüssel. Wer hätte gedacht, dass meine Provokation Wirkung zeigen würde? Sobald das Schloss klickte, riss ich die Tür auf. Zu meinem Glück ging sie nach außen auf, sodass mein Gegenüber heftig eins gegen den Kopf bekam. Natürlich reichte das nicht, um ihn auszuschalten. Falls mich meine gebliebenen Sinne nicht täuschten, hatte ich hier einen Werwolf vor mir stehen, was bedeutete ich hatte nur so lange eine Chance gegen ihn, solange er in Menschengestalt herumwandelte. Seine Hand schnellte nach vorne und packte mich an den Haaren. Ein Zischen entfuhr mir, als er mich an ihnen hochzog. Mit einer einfachen Bewegung rammte er mein Gesicht gegen die Zellentür. Bleib stark! Ich spürte Blut aus meiner Nase fließen und sah Sterne vor meinen Augen tanzen, aber so leicht würde ich nicht aufgeben. Ich riss mich von ihm los, auch wenn das hieß, dass er jetzt einen Bündel meiner Haare in der Hand hielt und brachte ihn mit einem kräftigen Tritt zu Fall. Noch einer ins Gesicht und er war ausgeschaltet - vorübergehend zumindest.

 

Ohne weiter zu überlegen rannte ich los. Mir war klar, dass ich all diese armen Leute zurückließ, aber ohne meine Kräfte könnte ich sie nicht retten. Deshalb musste ich zuerst hier raus, bevor ich mich um sie kümmern konnte. "ERGREIFT SIE!" Mist! Sie hatten meinen Ausbruch schneller mitbekommen als gedacht! Ich beschleunigte mein Tempo und stürmte die Treppe hinauf, die ich Gott sei Dank erkannte. Von dort aus müsste ich nur noch zwei Mal links abbiegen und ich würde schon vor der Eingangstür stehen. So weit schaffte ich es aber leider nicht. Nachdem ich einmal abgebogen war, standen schon fünf Wachleute vor mir. Zu meinem Pech waren sie diesmal allesamt Vampire. Bevor ich überhaut blinzeln konnte, lag ich auf dem Boden. Auf mir lag ein riesiger und vor allem verdammt schwerer Blutsauger, der mir mit einer Hand die Luft abdrückte, während die andere meine Hände festhielt. Sein hungriger Blick wanderte direkt zu meinem Hals. Oh-oh. Das konnte nichts gutes heißen. Zwei spitze Reißzähne wuchsen aus seinem Mund. Je näher er mir kam, desto heftiger wehrte ich mich. "Geh von mir runter!", war alles was ich dank meines Sauerstoffmangels sagen konnte. Mittlerweile konnte ich schon seinen ekligen Atem auf meiner Haut spüren. "Ihgitt, was musst du auch ausgerechnet Zwiebeln essen, bevor du mich beißen willst!" Eigentlich hatte ich diesen Satz nur denken wollen, aber jetzt war er e schon raus. Der Griff um meine Kehle lockerte sich und der Vampir schaute mich etwas perplex an. Meine Chance! Mit all meiner verbliebenen Kraft hob ich meinen Kopf und stieß gegen seinen. "Verdammt!" Ich hatte nicht gedacht, dass das so wehtun würde! Egal. Es hatte funktioniert. Der Fettwanst löste seinen Griff nun vollständig, sodass ich mich endlich von ihm lösen konnte. Leider hatte ich auf die anderen vier Mistkerle vergessen, die mich sofort von allen Seiten ergriffen. "Hmpf" Ich wurde vor ihnen hergeschubst, wieder runter zu den Zellen. Wäre ja auch zu schön gewesen, wenn mein Ausbruch geklappt hätte. "Der Boss wird uns umbringen, wenn er die Kleine so sieht!" Wie denn? Mit ein paar kleinen Wunden, oder was? Die anderen sahen doch viel schlimmer aus und um die scherten sie sich ja auch nicht. Wieso also machten sie sich bei mir so viele Gedanken? Nur ein Weg mehr herauszufinden. In dem Moment wo wir das Treppengeländer erreichten 'stolperte' ich. So überrascht wie diese Vollidioten waren, dachte natürlich keiner daran mich rechtzeitig aufzufangen. Sollte ich erwähnen, dass es eine Betontreppe war, die ich mich gerade absichtlich hinuntergestoßen hatte? Jap, ich hirngestörte Jägerin ließ mich doch tatsächlich mit Absicht da hinunterstürzen. Wieso tat ich das nochmal? Ach ja, um herauszufinden, wieso sie mich unbedingt heil haben wollten. "Wieso hat sie keiner aufgehalten??!!!" Man konnte deutlich die Panik in seiner Stimme mitschwingen hören. Kein Wunder, wenn ich meine Schmerzen richtig einschätzte, hatte ich mir ganz schön was zugezogen. Platzwunde an der Stirn, verstauchter Knöchel und etliche Schnittwunden. Spätestens in zwei Stunden würde ich auch noch überall blaue Flecken haben. "Wir sind tot! Wir sind sowas von tot!" Gern geschehen! Ich hätte gern böse gegrinst, doch selbst diese kleine Bewegung verursachte mir Schmerzen. "Wir können ihr doch einfach etwas von unserem Blut geben, das wird sie heilen!" "Hast du den Verstand verloren?! Er würde es sofort riechen! Also wenn du riskieren willst, dass er dich an ihr riecht, dann nur zu! Aber lass mich da aus dem Spiel, ich hab nämlich vor, noch eine Weile zu leben!" "Keiner von uns wird leben, wenn wir sie später so präsentieren!" War das ihr ernst? Sie diskutierten da oben, während ich total verkrüppelt hier am Ende der Treppe lag? "Ich hab eine Idee!" Unsanft wurde ich hochgehoben und den Gang entlanggeschleift. Bei jedem zweiten Schritt knickte mein Fuß unter dem Schmerz ein, weshalb ich mich nach einigen Metern einfach kraftlos auf den Boden sinken ließ. "Was soll der Scheiß Mädchen! Steh gefälligst auf!" Ich schnaubte verächtlich. "Bist du blind, oder siehst du mit deinem dämlichen Vampirblick nicht, dass ich nicht gehen kann! Wenn du willst, dass ich irgendwo hingehe, dann wirst du mich wohl oder übel dort hinschleifen müssen, denn aufstehen werde ich sicher nicht! Achja, und das mit dem schleifen würd ich mir an deiner Stelle auch zweimal überlegen. Der Boden hier sieht ziemlich rau aus und du willst doch bestimmt nicht, dass ich mir noch mehr Verletzungen zuziehe, als ich ohnehin dank euch schon hab!" Er öffnete und schloss den Mund wieder, als hätte er etwas sagen wollen, hat aber dann doch eingesehen, dass nichts Schlaues aus seinem Mund kommen würde. Im nächsten Moment wurde ich schon über seine Schulter geworfen, als wäre ich ein Sack Kartoffeln. Ich wehrte mich nicht, denn ich sah einfach keinen Sinn darin. Selbst wenn ich es schaffen würde, mich von diesem Idiot loszureißen, wie um Himmels Willen sollte ich es mit einem verstauchten Knöchel an den anderen vorbei schaffen? Ganz zu schweigen davon, dass mir jede Bewegung wehtat und ich sogar bei diesem Auf und Abgewippe jeden Knochen einzeln spürte.

 

Keine zwei Minuten später wurde ich in einem Badezimmer abgesetzt. Überraschenderweise sah es hier kein bisschen nach Kerker aus. Viel eher machte es den Eindruck, als wäre alles erst kürzlich eingerichtet worden. "Und was hast du jetzt mit ihr vor?" Ich konnte sehen, wie er die Augen verdrehte. "Ich werde dafür sorgen, dass sie präsentabel aussieht, das habe ich vor!" Ich versuchte keinen Laut von mir zu geben, als er anfing, meine Kopfwunden zu versorgen. Zum Glück gelang mir das auch. "Ich muss schon sagen, das war echt mutig von dir, flüchten zu wollen. Das hat bis jetzt noch keiner versucht." Ich schnaubte. Als hätte es mir etwas gebracht. "Du hast Glück, dass der Boss persönlich Interesse an dir hat, sonst hätte wir dich schon längst umgelegt." "Was will Tony überhaupt von mir?" Sein Blick traf meinen. Erschrocken sah er mich an. "Woher kennst du seinen Namen? Den kennen selbst einige seiner loyalsten Krieger nicht." Ich zuckte mit den Schultern. "Ihr habt eure Quellen, ich hab meine." Ich dachte an Travis zurück und wie er mir von seinem machthungrigen Bruder erzählt hatte. Er hatte mich vor ihm gewarnt und ich war ihm direkt in die Arme gelaufen. "Also, was will er nun von mir?", wiederholte ich meine Frage. Es blieb still. "Wieso hat er so viele Anhänger, die Vampire sind? Sind Werwölfe nicht eure größten Feinde?" Wieder sagte er nichts. "Oder hast etwas gegen den König? Hat er dir etwas getan? Vielleicht war es auch ein Familienmitglied? Jackson? Cameron?" Ich sah Wut in seinen Augen aufblitzen, als ich Cam erwähnte. "Also Cam. Was hat sie dir getan? Ich kann mir kaum vorstellen, dass sie zu irgendeiner bösen Tat imstande wäre." "Du hast keine Ahnung!", fuhr er mich an. Seine Augen glühten vor Wut, was bedeutete, ich hatte direkt ins Schwarze getroffen. "Natürlich hab ich eine Ahnung. Du reagierst komplett über und willst alle ausrotten, nur weil eine einzige Person dir Unrecht getan hat!" "SO WAR DAS NICHT!" Er setzte zum Schlag an, doch bevor seine Faust ihr Ziel treffen konnte, ertönte plötzlich ein Schuss und der Vampir sank leblos vor mir zu Boden. Mit geweiteten Augen sah ich die Person an, die den Schuss abgefeuert hatte. Die Ähnlichkeit zu Travis war kaum zu übersehen. Blonde nach hinten gegelte Haare, eisblaue Augen, ein kantiges Kinn mit drei Tage Bart. Er sah gut aus, wirklich gut, naja neben dem tödlichen Blick in seinen Augen, der mir kalte Schauer verursachte. "Ich hatte gesagt, sie soll unversehrt bleiben!", knurrte er, richtete seine Pistole jetzt aber auf einen der anderen Männer. Dieser starrte ihn nur an. Anscheinend hatte er solche Angst vor Tony, dass er kein einziges Wort rausbrachte. "Wenn du nicht als nächster ins Gras beißen willst, dann sorgst du gefälligst dafür, dass sie bis heute Abend vollständig geheilt ist, wie du das anstellst ist mir egal! Haben wir uns verstanden?!" Der Vampir nickte eifrig. So ein feiger Mistkerl. Er war ein einfaches Schoßhündchen, nichts weiter.

 

Nachdem Tony gegangen war, gab man mir Vampirblut. Naja, sie versuchten es zumindest, aber wenn sie wirklich glaubten, ich würde dieses Zeug trinken, dann wussten sie wirklich nicht mit wem sie sich anlegten. "Der Boss hat gesagt ich muss dich bis heute Abend heilen also wirst du jetzt verdammt nochmal mein Blut trinken!" Ich verengte meine Augen zu schlitzen und verschränkte gleichzeitig die Arme. "Keine Chance." Ich hörte ihn fluchen. "Wenn du es nicht tust, wird er mich umbringen!" Ich lachte. "Glaubst du ernsthaft das interessiert mich? Nur so zur Info, hätte ich meine Kräfte, wärst du schon längst tot! Es wäre für alle Unschuldigen Wesen auf dieser Welt das Beste, euch alle einfach auszurotten!" Verzweifelt fuhr er sich durch die Haare. "Wenn du mich heilen willst, musst du wohl oder übel auf eine andere Methode zurückgreifen." Das tat er dann auch. Sie holten eine Hexe, um meine Wunden zu heilen, worüber ich ehrlich gesagt auch froh war. Ich war zwar nicht weinerlich, jedoch bevorzugte ich es dann doch schmerzfrei durch die Gegend zu spazieren. "Wir sehen uns in zwei Stunden wieder. Dann bist du endlich nicht mehr mein Problem."

 

***

 

Da saß ich also nun auf einem kleinen Podest, angekettet um ja nicht noch einmal fliehen zu können. Mit einem Blick durch den Raum stellte ich fest, dass ich die einzige war, die sie gefesselt hatten. Vermutlich waren die anderen alle schon zu gebrochen, um auch nur den geringsten Widerstand zu leisten. Bei jeder Bewegung hörte ich die Ketten rasseln. Ich fühlte mich wie ein angeketteter Hund im Tierheim. Überall standen schnöselige Leute, die mich und die anderen Gefangenen von oben bis unten betrachteten und abschätzten, ob sich ein Kauf lohnen würde. Gott, wie kann man nur so grausam sein? "Du passt perfekt in meine Sammlung." Vor mir stand ein klein gewachsener Mann mit Vollbart und nach hinten gegelten Haaren. Obwohl er einen teuer aussehenden Anzug anhatte, sah er einfach nur widerlich in meinen Augen aus. "Sie ist schon reserviert." Der Mann den ich am aller Wenigsten sehen wollte, stand nun vor mir und nahm Anspruch auf mich. Wenn ich nicht gefesselt wäre, hätte ich ihm ins Gesicht gespuckt. Der kleine Mann sah ehrfürchtig zu ihm hoch und verschwand schneller als ich blinzeln konnte. "Wenn du sowieso der einzige bist, der mich kaufen darf, wieso sitze ich dann überhaupt hier?!" Bestimmt liegt es nur an seinem Ego! "Na weil ich meine Macht demonstrieren will, Schätzchen. Ich werde der einzige sein, der jemals eine Hunter seine Sklavin nennen konnte." Und wieder verspürte ich nur das Bedürfnis, ihn anzuspucken. Nachdem er den kleinen Mann abgewürgt hatte, verschwand er in der Menge. "So liebe Gäste. Ich begrüße Sie zu unserer alljährlicher Auktion. Ich hoffe Sie hatten genug Zeit, unsere Auswahl zu begutachten, denn wir werden in Kürze starten!" Applaus ertönte, bevor sich alle Leute in einen anderen Raum begaben. Ich seufzte. Es gab keinen Weg raus. Ich würde gleich verkauft werden und ich konnte nichts tun, um dies zu verhindern. Eine einsame Träne bahnte sich ihren Weg aus meinem Augenwinkel, die ich aber sofort wegwischte, um nicht so hilflos auszusehen, wie ich mich in Wahrheit auch fühlte.

 

Nach der Reihe wurden die Gefangenen aus diesem Raum in den nächsten gebracht, wo sie versteigert wurden. Nach jeder verkauften Person stieg meine Unruhe. Allmählich bekam ich Angst. Jedes Mal wenn einer von uns geholt wurde, zog sich alles in meinem Bauch zusammen, aus Angst, die nächste zu sein. Letzten Endes blieb ich als Letzte zurück, still betend, dass mich Jackson rechtzeitig finden und von hier befreien würde. Welch lächerliche Hoffnung das doch war. Wie hoch war schon die Wahrscheinlichkeit, dass ich in so einer aussichtslosen Situation auch nur ein Fünkchen Glück haben könnte? Als plötzlich meine Ketten aufgeschlossen wurden, zuckte ich zusammen vor Schreck. "Ich warne dich. Da draußen sind über 30 Wachleute. Solltest du auch nur den Anschein erwecken, flüchten zu wollen, werden wir dich ohne mit der Wimper zu zucken außer Gefecht setzen!" Genervt verdrehte ich die Augen. Als ob ich so blöd wäre einen Fluchtversuch zu starten, wenn sowieso alle Augen auf mich gerichtet sind. Also trottete ich stillschweigend hinter ihm her. Sobald wir den anderen Raum betraten, spürte ich die vielen Blicke auf mir. Ich fühlte mich einfach so bloßgestellt. "Als Highlight für diesen Abend haben wir wirklich eine Besonderheit. Noch nie in all diesen Jahren ist es uns gelungen, eine Hunter für unsere Versteigerungen zu ergattern. Bis heute. Sie galten als ausgerottet und doch steht hier vor ihnen der lebende Beweis für eine Reinblutige ihrer Rasse von höchstem Adel. Das Anfangsgebot für sie startet bei zwei Millionen." Ich traute meinen Ohren kaum. Zwei Millionen? Das Anfangsgebot für die anderen hatte höchstens bei 100 000 gestartet. "Wer bietet zwei Millionen für diese Augenweide?" Mehr als die Hälfte der Leute hier hoben ihre Hand und ich war erschrocken, wie viel Geld sie doch zu haben schienen. Wahrscheinlich verdienen sie alle ihr Geld durch solch abscheuliche Tätigkeiten. "Vier Milliarden", hörte ich eine bekannte Stimme sagen. Jeder im Raum drehte sich erschrocken zu ihm um und verbeugte sich sofort respektvoll vor ihm. Anscheinend hatten sie nicht gewusst, dass er sie mit seiner Anwesenheit 'beehren' würde. 'Vier Milliarden' Diese Zahl geisterte in meinem Kopf umher. Wenn er damit Macht demonstrieren und die anderen einschüchtern wollte, hatte er dies definitiv geschafft. "Verkauft für vier Milliarden an unseren Anführer. Herzlichen Glückwunsch Boss."

 

Keine zwei Minuten später wurde ich aus dem Gebäude gezerrt von Tony höchstpersönlich. Anscheinend hatte er kein bisschen Angst, dass ich ihn überwältigen würde, oder aber er wusste, dass ich nicht annährend stark genug war, um mich gegen ihn zu behaupten. Vermutlich war es eher die zweite Möglichkeit. Was mich aber noch mehr erstaunte war die Tatsache, dass keine Limo auf uns wartete, noch nicht einmal ein Chauffeur. Ich hatte ihn nicht als den Typ eingeschätzt, der selbst fuhr, viel eher hatte ich gedacht, dass er nicht einmal wusste wie man fuhr, weil er es eh nie tat. "Steig ein!", befahl er ohne jegliche Gefühlsregung in seiner Stimme. Leise vor mich hin fluchend tat ich das dann auch. Über 20 Minuten bretterten wir weit über der erlaubten Geschwindigkeit durch eine verlassene Stadt, die ich noch nie in meinem Leben gesehen hatte. Keiner sagte etwas und die Atmosphäre war mehr als nur angespannt. Mal wieder fragte ich mich, wie ich denn nur in so einer beschissenen Situation hatte landen können. Während wir uns immer weiter von der Zivilisation entfernten lenkte ich meinen Blick auf ihn. Seine dunkelblonden Haare hingen ihm mittlerweile leicht in die Stirn, sein Kiefer aneinandergepresst und sein Blick starr auf die Straße gerichtet, während er seine Hände ins Lenkrad krallte. Ich fragte mich, wieso er so angespannt war. Immerhin hatte er genau das erreicht, was er gewollt hatte. Er hatte mich in Gewahrsam. Es war ich, die ein nervöses Bündel hätte sein sollen, doch stattdessen saß ich komplett ruhig auf dem Beifahrersitz. Ich hatte keine Ahnung, was mit mir nicht stimmte, denn diese Reaktion war in so einer Situation alles andere als normal. Doch so war es eben. Weshalb auch immer verspürte ich keine Angst. Vielleicht hatte das auch einfach nur den Grund, dass ich sonst eine Panikattacke kriegen würde. Mein Geist schützte mich selbst vor meiner Reaktion. Das müsste es sein. "Wieso starrst du mich die ganze Zeit so nachdenklich an?" Überrumpelt von seiner plötzlichen Frage, blinzelte ich verwirrt, bevor ich ohne zu zögern antwortete. "Ich überlege, wie ich am besten aus diesem Auto fliehen kann!", meinte ich, ohne meinen Blick von seinem Gesicht zu wenden. Deshalb merkte ich auch, wie seine Mundwinkel amüsiert nach oben zuckten. "Und zu welchem Schluss bist du gekommen?", fragte er, den sarkastischen Unterton kein bisschen versteckend. Ich schnaubte. "Also die erste Möglichkeit wäre, einfach die Tür aufzureißen und rauszuspringen, aber da du wie ein Wahnsinniger fährst und nebenbei gemerkt alle Türen verriegelt hast, fällt das weg. Als zweite Möglichkeit dachte ich daran, irgenwas in diesem Wagen zu finden und dich einfach damit bewusstlos zu schlagen. Das Problem dabei ist aber, dass du fährst und das heißt du würdest vermutlich in einen dieser Bäume krachen. Und weil ich keine Ahnung habe, wie man fährt, könnte ich das auch nicht aufhalten." Er lachte. Er lachte mich aus. Wie nett! "Und die dritte Möglichkeit?", gluckste er und warf einen kurzen, aber verächtlichen Blick zu mir, der all seine Anspannung verfliegen ließ. "Daran arbeite ich noch", gab ich zu, woraufhin er nur den Kopf schüttelte. Das wird noch eine lange Fahrt werden..

 

 

18. Broken

 

"Ich muss pinkeln!", jammerte ich nun schon zum 13. Mal. Wie auch die letzten 12 Mal warf mir Tony nur einen tödlichen Blick zu, bevor er sich wieder der Straße zuwand. Langsam hatte ich echt genug von diesem Theater! "Also wenn du nicht willst, dass ich dir hier auf den Sitz pinkle - und vertrau mir, das würde ich - dann hältst du gefälligst bei der nächsten Tankstelle an und lässt mich meine bis zum Rand gefüllte Blase entleeren!!" Quietschende Reifen klangen in meinen Ohren, als er mitten am Straßenrand stehen blieb. Mit verschränkten Armen sah er mich an. "Worauf wartest du?" Er deutete mit einer Hand nach draußen. "Nicht dein ernst!" "Sehr wohl mein ernst. Wenn du pinkeln willst, ist jetzt deine Chance." "DAS IST EINE LANDSCHAFT OHNE EINEN EINZIGEN BAUM HINTER DEM ICH MICH VERSTECKEN KÖNNTE!!!" Um meine Worte zu bekräftigen warf ich beide Hände in die Luft und deutete anschließend mit fuchtelnden Armen auf die endlose Wiese vor unseren Augen. "Ja und?" "Ja und? JA UND????? WIE STELLST DU DIR DAS BITTE VOR?? SOLL ICH MICH DA EINFACH HINSTELLEN UND MICH VON JEDEM VORBEIFAHRENDEN AUTOFAHRER BEGAFFEN LASSEN??!!" Das konnte er doch nicht wirklich ernst gemeint haben? "Siehst du hier irgendwo Autos rumfahren, Kleine? Diese Straße ist vollkommen verlassen." Genervt über mein Geschrei verdrehte er die Augen, was mich aber nur noch wütender machte. "DU BIST HIER!!! WENN DU ERNSTHAFT DENKST ICH WÜRDE- AHHHH!!" Der Schmerz kam so plötzlich, dass ich aufschrie vor Schreck. Ungläubig sah ich auf mein Handgelenk, von dem aus der Schmerz gekommen war und wo nun das Armband fröhlich vor sich hin blinkte und dann zu Tony, der mich überheblich angrinste und mit einer Art Minifernbedienung vor meinem Gesicht herumfuchtelte. "Wenn du nicht willst, dass ich den Schmerzgrad erhöhe, gehst du jetzt da raus, mir egal ob dir das passt oder nicht. Und ab jetzt wirst du tun was ich sage, ansonsten wird es dir immer so ergehen, haben wir uns verstanden?!" Seine Stimme nahm einen befehlenden Ton an und langsam wurde ich mir dem Ernst der Lage erst richtig bewusst. Sollte ich mich trotzdem auflehnen? Doch was wären die Konsequenzen? Ich starrte auf die kleine Fernbedienung und beschloss, dass es sich nicht lohnte, das Risiko einzugehen. Beschämt stieg ich also aus. Gott, das war ja so demütigend! "Kannst du dich wenigstens umdrehen?" Peinlich genug, dass ich hier im Freien pinkeln sollte, doch währenddessen auch noch angeglotzt zu werden, war mir echt zu viel. Ich sah wie er die Augen verdrehte, aber seinen Kopf trotzdem in die andere Richtung drehte. Na dann los.

 

***

 

Die restliche Fahrt über blieb es still im Wagen. Tony hatte mir eine Augenbinde umgebunden, damit ich auch ja nicht sehen konnte, wo es hinging. Um nicht schon wieder gestromt zu werden (so nannte ich es, weil ich keine passenden Worte für den Schmerz fand, den dieses Armband in mir auslöste), hatte ich mich auch nicht sonderlich gewehrt. Je länger wir fuhren, desto unruhiger wurde ich. Wie sollte ich mich denn auch auf so eine Situation einstellen? Weder wusste ich, wo wir hinfuhren, noch was er mit mir vorhatte. Eins wusste ich jedoch: Was auch immer er vorhatte, es würde mir bestimmt nicht gefallen..

 

***

 

Erst als der Wagen zum Stehen kam, wurde mir die Augenbinde abgenommen. "Aussteigen!" Vor mir lag ein riesiges Grundstück. Und als wäre der tote Garten nicht schon gruselig genug, war die Fassade des Gebäudes tiefschwarz. Alles in mir sträubte sich dagegen, da jetzt rein zu gehen, aber eine Wahl hatte ich ja nicht. "Wilkommen im dunklen Schloss!", hörte ich ihn raunen, als er meine unsichere Miene sah. Der Name passte ja. Unsicher knabberte ich an meiner Unterlippe, etwas dass ich immer tat, wenn ich nervös war. Er ging vor, erwartete wahrscheinlich, dass ich ihm folgte, aber meine Beine waren wie zu Stein erstarrt. "Du weißt, was dich erwartet, wenn du nicht gehorchst", sagte er ohne sich dabei umzudrehen. Nur langsam bekam ich die Kontrolle über meine Beine zurück und trottete ihm dann hinterher zum Eingang. Bei jedem Schritt, den ich dem Gebäude näher kam, hörte sich das Knirschen der Steine unter meinen Füßen lauter in meinen Ohren an. Es verursachte eine Gänsehaut auf meinem ganzen Körper. Als wir schließlich in der Eingangshalle standen, sah zwar alles modern und blitzblank aus, doch es wirkte kalt auf mich. An den Wänden hingen Portraits und doch wirkten sie kahl. Aus dem spiegelglatten Boden stieg Wärme aus der Bodenheizung und doch lief es mir bei jedem Schritt kalt den Rücken runter. Nicht einmal der prunkvolle Kronleuchter, der von der Decke hing, wirkte einladend auf mich. War das die Atmosphäre, die er hier wollte, oder wirkte es nur wegen seiner Präsenz so gruselig hier? Als ich an all die abgestorbenen Pflanzen da draußen dachte, war klar, dass er genau diesen Effekt haben wollte. Er wollte, dass es hier so gruselig aussah, um selbst genauso zu wirken. Nicht dass das notwendig gewesen wäre. Auch so jagte mir dieser Mann eine Heidenangst ein.

 

"Es gibt zwei Möglichkeiten, wie das hier ablaufen kann." Er schloss die Tür hinter mir und sah mich aus blitzenden Augen an, seine Arme vor seiner Brust verschränkt. Misstrauisch wie ich war, hob ich eine Augenbraue und verschränkte ebenfalls die Arme und kopierte ihn so. "Ich höre?" Wow. Meine Stimme klang viel selbstsicherer, als ich mich eigentlich fühlte. Sie zitterte nicht einmal, was ich eigentlich erwartet hätte. "Wenn du tust was ich sage, wird dein Aufenthalt hier sehr angenehm verlaufen. Du musst nur tun, weshalb du hier bist, das ist alles." "Und das wäre?", fragte ich ohne Umschweife. In mir stieg das miese Gefühl auf, dass ich nicht nur als seine Trophäe dienen sollte und diese Erkenntnis ließ mich noch nervöser werden, als ich ohnehin schon war. "Das wirst du früh genug erfahren." Das Grinsen, das seine Lippen bei diesem Satz formten, jagte mir eiskalte Schauer den Rücken runter.

 

Jackson's Sicht (8 Tage nach dem Angriff)

 

"Nimm Platz", deutete ich nun dem gefühlt 3849. Krieger, der beim Kampf dabei gewesen war. Acht Tage waren seit dem Überfall vergangen, acht Tage, die mich langsam auch meinen letzten Nerv kosteten, solche Sorgen machte ich mir um meine Geliebte. Die Befragungen gingen viel zu langsam von statten, da viele Krieger auf ihren Posten bleiben müssen, solange bis die Lage es ihnen erlaubte herzukommen. Die letzten hatten alle eine weiße Weste gehabt, naja, zumindest war keiner von ihnen der Maulwurf. "Möchtest du nichts trinken?" Natürlich wollte er das. Valentina hatte den Raum so hergerichtet, dass man das Gefühl bekam, man würde gleich verdursten. Ich hatte es selbst gefühlt, als ich reingekommen war. Jedoch verschwand das Gefühl sofort wieder, wenn man etwas trank. Auch das hatte Val zu unserem Vorteil genutzt, und irgendeinen Wahrheitstrank gemacht, wie sie ihn nannte. Sobald er getrunken hatte, fing ich an zu reden. "Ich denke mal, du weißt, weshalb ich euch alle hierher bestellt habe?" "Natürlich eure Hoheit, Ihr wollt wissen, ob wir etwas über den Verbleib Eurer Gefährtin herausgefunden haben. Nur ist mir nicht klar, weshalb dazu jeder einzeln befragt werden muss." "Ich habe meine Gründe", gab ich nicht gerade freundlich zurück. Wie sollte ich auch eine gute Miene aufsetzen, wenn wir bis jetzt keine Erfolge gesehen hatten. "N-natürlich. Ich wollte Ihre Entscheidungen unter keinen Umständen in Frage stellen", stammelte er nervös vor sich hin. "Schon gut, beginnen wir einfach." Ich begann damit, wieder die gleichen Fragen zu stellen. Jede beantwortete er ohne zu zögern und ohne Verdacht, dass er der Maulwurf sein könnte. "Und woher hätten die Slayers deiner Meinung nach wissen können, wo und wann wir zuschlagen würden?" Ich sah ihn schon vor meinem inneren Auge 'Ich weiß es nicht' sagen und rechnete mit einer erneuten Niederlage. "Na weil ich es ihnen verraten habe", kam es wie aus der Pistole geschossen von dem hinterhältigen Mistkerl vor mir. Während er seine Augen voller Schock aufriss über das, was er mir gerade verraten hatte, schoss meine Hand über den Tisch und zog den Krieger an der Kehle zu mir." "Du bist es! Du bist der Mistkerl, der Schuld an der Entführung meiner Frau hat!!! Ich werde dich in meinem Kerker aufhängen lassen und dir jedes Körperteil einzeln ausreißen! Ehe du dich versiehst, wirst du-" "Stop!", unterbrach mich Val und legte eine Hand vorsichtig auf meinen Arm. Erst jetzt merkte ich, dass der Krieger vor mir schon blau angelaufen war, jedoch wusste ich nicht wieso es sie kümmerte. Er verdiente noch viel mehr als einfach nur von mir erdrosselt zu werden! Vor Wut drückte ich noch fester zu, nur um zu sehen wie sich seine Augen verdrehten. "Wir brauchen ihn lebend!", hörte ich die weibliche Stimme neben mir rufen. "WIESO?!" Blind vor Zorn funkelte ich sie aus blutroten Augen an. Kaum merklich wich sie einen Schritt zurück, fasste sich aber gleich wieder. "Jackson! Wenn du ihn tötest, könntest du unsere einzige Informationsquelle verlieren! Er ist im Moment unsere einzige Chance, Mia wiederzufinden!!" Kaum sickerten ihre Worte ihn mein Gehirn, schnellte meine Hand zurück und ließ den, nun bewusstlosen, Verräter auf den Boden sacken. Für einen kurzen Moment schloss ich die Augen, um wieder Kontrolle über meine Sinne zu erlangen. Meine Augen wurden wieder normal und ich blickte auf den leblos aussehenden Körper vor meinen Füßen.

 

"Kannst du Liam bescheid geben, dass er ihn in den Kerker bringen soll? Ich brauch mal frische Luft." Aus dem Augenwinkel sah ich sie besorgt nicken, dann stürmte ich schon aus dem Raum. Ich fühlte wie meine Hände mal wieder anfingen zu zittern. Je länger sie weg war, desto heftiger reagierte mein Körper. Das Zittern wanderte von meinen Händen über meine Arme bis es schließlich meinen ganzen Körper einnahm. Ich hatte es gerade außer Hörweite geschafft, als der gewohnte Schmerz zuschlug. Keuchend fasste ich mir ans Herz, meine Beine wollten mich nicht mehr tragen, also ließ ich mich auf die Knie sinken. Ich spürte sie, wusste dass sie da draußen war und ich wusste sie konnte es auch fühlen. Ich wusste nicht woher ich das wusste, doch ich wusste es einfach. Nach Luft ringend versuchte ich irgendwo Halt zu finden, doch es war, als würde mir der Boden unter meinen Füßen weggezogen. Meine Umgebung drehte sich und verschwamm so sehr, dass ich nur noch ein Gewirr aus Farben wahrnehmen konnte. Unterdessen raubte mir der Schmerz auch die restliche Kontrolle über meinen Körper. 'Gleich ist es vorbei' Ich biss die Zähne zusammen, um ja keine Aufmerksamkeit auf mich zu lenken, doch anstatt dass sich meine Sicht langsam wieder klärte, wurde es auf einmal ganz schwarz.

 

***

 

Mein Schädel dröhnte. Das war alles, was ich wahrnahm, als ich zu mir kam. 'Wieso bin ich ohnmächtig geworden?' Ich versuchte meinen Kopf nach rechts zu drehen, aber ich stieß stattdessen an etwas. Ich stöhnte auf vor Schmerzen, als ich versuchte mich aufzusetzen. Meine Hand fuhr wieder zu meiner Brust, wo mein Herz viel zu schnell schlug. Mit einem tiefen Atemzug versuchte ich, mein Herz zu beruhigen, was mir glücklicherweise auch gelang. Als ich endlich die Kraft dazu aufbrachte, öffnete ich meine Augen einen Spalt, nur um in einen tiefschwarzen Himmel zu blicken. 'Wie lange war ich weggetreten gewesen?' Die anderen mussten sich bestimmt schon Sorgen machen, wo ich blieb. Mit einem letzten Schnaufen erhob ich mich. Meine Arme stützte ich dabei am Boden ab, doch statt eine gerade Fläche, spürte ich etwas anderes unter meiner rechten Hand. Ich bewegte meinen Kopf nach unten, nur um voller Schreck ein blutiges Körperteil unter meiner Hand zu sehen. Reflexartig wich ich zurück, nur um wieder gegen etwas zu stoßen. Leichen. Überall um mich herum tummelten sich Leichen. Es war so viel Blut auf dem Boden, dass die Erde nicht einmal alles aufsaugen konnte. 'War ich das etwa?' Aber ich tötete keine Unschuldigen! Nein! Das musste ein Missverständnis sein. "Ich hab mich unter Kontrolle. Ich war das nicht. Das war ich nicht. Ich mache sowas nicht." Je länger ich mir das einredete, desto schlechter wurde mir. Ekel stieg in mir auf. Ekel vor mir selbst, vor dem, was ich vielleicht getan hatte. "Ich bin kein kaltblütiger Mörder, das bin ich nicht!" Mit zittrigen Fingern griff ich in meine Hosentasche und schaffte es kaum, mein Handy herauszufischen. Als ich es doch endlich schaffte und meine rechte Hand anrufen wollte, fiel mein Blick auf das dunkle Display meines Handys, viel eher auf mein Gesicht, das sich darin spiegelte. Bei meinem Anblick, setzte mein Herz aus & mein Handy glitt mir aus der Hand. Mit einem kleinen 'Platsch' hörte ich es aufkommen. Ich war voller Blut, getrocknetes Blut, das mir wahrscheinlich vorher aus dem Mund gelaufen war als ich... "JACKSON? JACKSON ICH KANN DICH HIER DRAUßEN RIECHEN, WO BIST DU??" Sie hatten mich gefunden. Wie sollte ich ihnen das erklären? Wie, wenn ich ja selbst nicht wusste, was passiert war? "Jackson, was-" Der Satz blieb ihm im Hals stecken, als er die vielen Toten sah. "Was hast du getan?", hauchte er ungläubig. "Liam! Kannst du nicht einmal warten, bevor du- ach du Scheiße." Toll. Jetzt war Cam auch noch da. "Jack, was ist passiert?" Ich konnte ihnen nicht mal in die Augen sehen, als ich sprach, so beschämt war ich von meiner Tat. "Ich hab die Kontrolle verloren.. Das denke ich zumindest, denn ich kann mich beim besten Willen nicht erinnern, was geschehen ist." "Das ist nicht gut, das ist gar nicht gut", murmelte meine Schwester vor sich hin, während sie unentwegt auf und ab lief. Nach einer kurz andauernden Stille, in der jeder versuchte, die Situation gedanklich zu verarbeiten, ergriff Liam das Wort. "Ich denke, es wäre das Beste, wenn wir dich hier wegbringen und dieses Chaos beseitigen, bevor wir nach Auslösern suchen. Denkt nur mal daran, was passieren würde, wenn ein Mensch hier vorbeikommt, und dieses Massaker sieht." Meine Schwester nickte zustimmend und auch ich hielt dies für die best mögliche Lösung für diesen Moment. Etwas wacklig richtete ich mich auf und wählte die Nummer eines Freundes, die ich schon lange nicht mehr benötigt hatte. "Chris? Ja ich bins... Ja mich freut es auch, wieder von dir zu hören... Nein.. hör zu, ich brauche den Einsatztrupp und zwar sofort.. Ich weiß, dass ich damit aufgehört hatte, tu einfach was ich dir sage und hör auf so viele Fragen zu stellen!" Fluchend legte ich auf. Ich hatte mir vor Jahren geschworen, diese Nummer nie wieder wählen zu müssen. "Komm Bruderherz, ich bring dich nachhause. Heute war ein langer Tag für dich." Mitfühlend griff sie nach meinem Arm und führte mich weg von dort, doch der Anblick all dieser Unschuldigen würde mir trotzdem für immer im Gedächtnis bleiben..

 

Mia's Sicht (8 Tage nach dem Angriff)

 

"Du willst, dass ich was tue?!" Meine Stimme war eine Oktave zu hoch, doch das bemerkte ich in meiner Rage nicht einmal. Eine Woche war ich nun schon hier. Eine Woche, in der dieses Arschloch keine Anstalten gemacht hatte, mir den Sinn meiner Entführung zu nennen. Er hatte mir ein Gästezimmer bereit gestellt mit Kleidung und Essen. Ich war skeptisch gewesen, sehr skeptisch, hatte nur darauf gewartet, dass er die Bombe platzen ließ und jetzt hatte er es getan. Endlich kannte ich den Grund meiner Entführung. "Niemals! Das kannst du vergessen!" Tony's Augen blitzten mich an. In ihnen spiegelte sich aber keine Wut, viel eher Triumph, dabei hatte ich nicht vor, seinem Befehl folge zu leisten. "Entweder du stellst mir Hunterwaffen her, oder ich werde zu anderen, nicht so schönen Mitteln der Überredung greifen." Mein verächtliches Schnauben ließ ihn kalt. "Denkst du ernsthaft, ich würde unter Folter nachgeben? Ich hab schon schlimmeres erlebt", gab ich mit einem leichten Lächeln bekannt, von dem ich wusste, es würde ihn wütend machen. Stattdessen aber lächelte er zurück und kam mir einen Schritt näher, sodass er mir jetzt direkt gegenüber stand. Diese Situation missfiel mir. Am liebsten wäre ich sofort mehrere Meter nach hinten gewichen, doch mein Stolz ließ es nicht zu, dass ich mich von der Stelle bewegte. "Ach, du meinst so schlimm wie ein gebrochenes Herz?" Bevor ich fragen konnte, wanderte seine Hand zu meinem Bauch, genau zu der Stelle, an der sich meine Narbe befand. Bei seiner Berührung erstarrte ich zu einer Statue. Er wusste es... und das musste bedeuten, dass er seine Finger mit im Spiel gehabt hatte. Ich versuchte den erdrückenden Kloß in meinem Hals runterzuschlucken, doch es gelang mir nicht. Man musste mir meine Entrüstung wohl angesehen haben, den Tony fing an zu lachen, wich jedoch wieder etwas von mir zurück, was mich aufatmen ließ. "Du fragst dich jetzt bestimmt, woher ich das weiß und ob ich der Grund dafür bin. Natürlich bin ich das. Das alles war genauestens geplant schon seit du ein Kind warst, Mia. Oder denkst du, es wäre ein Wunder gewesen, dass ausgerechnet du überlebt hast, als ich deine Eltern ermorden ließ? Natürlich war es das nicht. Du solltest überleben, um mir später einmal von Nutzen zu sein, da du als einzige in deiner Familie genug Macht hast, um Hunterwaffen zu erschafften. Und deine Schwester war einfach nur Mittel zum Zweck. Zu schade, dass sie jetzt tot ist." Voller Wut setzte ich zum Schlag aus, den er zu meinem Frust abwehrte. "Womit ich allerdings nicht gerechnet hatte, war die Unterstützung, die du von den Vampiren genossen hast, oder war es umgekehrt? Wieso sollten zwei so verschiedene Rassen zusammenarbeiten?" Fast hätte ich gekontert, doch dann wurde mir klar, dass es für mich nur von Vorteil sein konnte, wenn er nichts von meiner Verbindung mit Jackson wusste. Von neuem Selbstbewusstsein durchflutet, streckte ich trotzig den Kopf hoch. "Mit Dingen, die ich nicht ändern kann habe ich abgeschlossen, doch Fakt ist, dass du von mir niemals Waffen mit Huntergift bekommen wirst!"

 

Sein Schlag kam so unerwartet, dass ich keine Zeit hatte ihm auszuweichen. Stattdessen stolperte ich einige Schritte zurück und versuchte mir den Schmerz nicht anmerken zu lassen, der meine rechte Wange pochen ließ. Meine Reaktion schien ihm zu missfallen, genau wie ich gehofft hatte. Zwar versuchte er sich die Wut nicht anmerken zu lassen, doch seine geballte Faust, gab mir genug Auskunft über seinen Gemütszustand. "Jetzt wird mir auch endlich klar, wieso du mich so lange so gut behandelt hast, du dachtest doch ernsthaft, ich würde dir nach einer Woche schon so sehr vertrauen, dass du nur danach fragen müsstest." Wider erwarten wurde er durch meine Aussage nicht provoziert, stattdessen legte sich wieder das selbstsichere Lächeln von vorhin auf seine Lippen, bei dem es mir kalt den Rücken runterlief. "Das war nicht der Grund." Während er das sagte, kam er langsam näher. Automatisch wich ich gleichermaßen zurück. Sein Verhalten verursachte ein Unbehagen in mir, das es mir schwer machte, Stärke zu zeigen. Mittlerweile stand ich mit dem Rücken schon zur Wand, und sah keine Fluchtmöglichkeiten mehr. Ich konnte seinen warmen Atem an meinem Ohr spüren, als er sich zu mir hinunterbeugte. "Wenn ich erstmal mit dir fertig bin, wirst du alles tun was ich will, und zwar ohne dass ich dich dafür bitten muss." Bevor ich die Bedeutung seiner Worte realisieren konnte, wurde ich schon in den nächstgelegenen Raum geschubst. Ich hörte noch die Tür zufallen, dann spürte ich schon die weiche Matratze unter mir. Nein! Das kann jetzt nicht ernsthaft passieren! Für einen kurzen Moment war ich wie gelähmt vor Schreck, doch sobald er sich an meinem Shirt zu schaffen machen wollte, erlangte ich die Kontrolle über meinen Körper zurück und stieß ihn mit all meiner Kraft von mir. Mit einem Knall fiel er vom Bett, während ich wie von der Tarantel gestochen aufsprang und Richtung Tür eilte so schnell mich meine Beine trugen. Kaum hatte meine Hand die Türklinke umfasst, spürte ich schon seine Hände an meiner Hüfte die mich wieder zurück zerrten. "Stop! Hör auf! Lass mich gefälligst los!" Wie eine Verrückte schlug ich um mich und hoffte dabei, dass ich ihn irgendwie genug verletzen konnte, um von ihm zu verschwinden. "Dass du dich so wehrst, macht es für mich nur umso spannender Kleine. Wenn ich ehrlich bin, genieße ich es sogar richtig, dich so wehrlos vor mir zu haben." Mein Puls schlug viel schneller als er sollte, als er mich achtlos aufs Bett warf. Er hatte recht, ich könnte mich nie gegen ihn durchsetzen, doch würde ich es so lange versuchen, wie es meine Kräfte zuließen! Meine Hand griff nach der Lampe, die am Nachtkästchen stand. Ohne zu überlegen warf ich sie ihm entgegen und verfehlte mein Ziel auch nicht. Fluchend griff er sich an die Stirn, aus der jetzt Blut lief. Dann wanderte sein Blick zu mir. "Oh, das hier werde ich genießen." Er war so schnell auf mir, dass ich nicht einmal blinzeln konnte. Seine Lippen drückte er drängend gegen meine, während ich verzweifelt versuchte ihn von mir zu stoßen, doch mein Zerren und Treten, bewirkte rein gar nichts. Keinen einzigen Millimeter bewegte er sich von der Stelle. Panik durchflutete meinen Körper, als ich mich unter ihm wand und mit meinen Händen versuchte irgendeine Waffe zu greifen, mit der ich ihn unschädlich machen könnte. Nicht eine Sekunde hörte ich auf zu schreien. "Geh gefälligst runter von mir!" Er ignorierte mich natürlich. Seine Hände wanderten an meinem Körper auf und ab. Jede seiner Berührungen ließ die Panik in meinem Inneren größer und größer werden, bis mir schließlich Tränen ihn die Augen stiegen. Daran störte er sich aber auch nicht, sondern riss mir einfach das Shirt vom Körper, genau wie meine anderen Sachen, bis ich entblößt vor ihm lag. Nein nein nein nein! Bitte nicht, das muss ein Albtraum sein! Mittlerweile schluchzte ich schon und kreischte, er solle aufhören. Meine Hände versuchten Abstand zwischen ihn und mich zu bringen, den er jedoch überwand. "Bitte tu das nicht!", flehte ich all meinen Stolz überwindend. Niemals zuvor hatte ich um etwas gefleht, doch dieses Erlebnis würde ich nicht verkraften können, niemals. Sein dreckiges Grinsen ließ jegliche Hoffnung, die ich noch hatte, verpuffen. Als er in mich eindrang, wünschte ich mir nichts sehnlicher als zu sterben, und ein Teil von mir tat genau das, er starb.

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Tag der Veröffentlichung: 01.10.2016

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