Frau Gele von Altenstein stand am Fenster und sah ins Abendrot. Die Hände hielt sie gefaltet gegen die Brust gedrückt. Sie betete in Gedanken, wie es ihre Gewohnheit war, zur Zeit des Sechsuhrläutens ein Vaterunser. War es ihr zur Gewohnheit geworden, so tat sie es dennoch mit Inbrunst. Ihr erschienen diese sieben Bitten wie eine meisterliche Zusammenfassung aller menschlichen Not. Und so oft sie in Gedanken sprach: Und vergib uns unsere Schuld, als auch wir vergeben unsern Schuldigern, wurden ihre blauen Augen dunkler, und heute knirschte sie sogar mit den Zähnen. Gele hatte längst ausgebetet, und die Glockentöne waren verhallt – aber heute vergaß sie Zeit und Weile über den Gedanken, die der Vergangenheit wie der Zukunft galten.
Der Widerschein der Abendröte verklärte ihr Gesicht und ließ sie jünger erscheinen. –
»Unsere Schuld – unseren Schuldigern. – Wer ganz frei von Schuld sein könnte. – Wer das Recht hätte, zu richten, zu hassen! Darf der richten, der voll Haß ist?« –
Ihre gefalteten Hände lösten sich, und die eine lag festgeballt da, wo ihr betrogenes Herz schlug. – In diesem Augenblick wurde es dunkler im Zimmer, weil die Sonne hinter dem Waldrücken verschwand, der die Burg wie eine Mauer von der Welt abschloß. Von der Welt und ihrem wilden Kriegsgetümmel. Aber nicht von dem Leid, das aus Liebe und Haß erwächst.
Gele lauschte, Schritte kamen über die Diele. Es klopfte. Sie öffnete und fand sich Berlt Eselskopf gegenüber. –
»Ganz allein bist du, Gele? Ist niemand vom Gesinde daheim? Nicht einmal dein Kaplan Jürgen Kleinhans?« – –
»Das Gesinde ist im Heu. Der Sommertag ohne Regen will ausgenützt sein, und Jürgen Kleinhans, den du so gern zum Narren hältst und herabdrückst, ist nach Weidelsbach gegangen. Es gibt dort einen Streit aus der Welt zu schaffen, der um eine Kuh und ein Weibsstück entbrannt ist.« – –
»Es ist leichtsinnig gehandelt, wenn du jeden wehrhaften Mann aus dem Hause schickst. Wer soll dich gegen herumschleichendes Gesindel schützen?« –
Gele wehrte ab. »Wer soll kommen? Der Altenstein liegt wie in einer Sackgasse. Nicht einmal der Tilly hat ihn ausgespürt. Du lieber Herrgott – was hätte er auch gesunden!« – –
»Genug, um sein Mütchen zu kühlen.«
Berlt Eselskopf sah seine Base an und fand sie schöner denn je zuvor, wie sie dastand: groß stolz, leidgeschüttelt und nicht zerbrochen.
»Und wenn einer käme, Berlt, ich wollte mich schützen.« Sie zeigte auf den Dolch, den sie im Gürtel trug.
»Den solltest du von heute ab nicht ab nicht mehr tragen, Gele.«
»Den trage ich seit fünfzehn Jahren und denke ihn niemals abzulegen. Und wenn ich dir für vieles im Leben zu danken haben, so am meisten für diese Waffe.«
Sie legte ihre schmale Hand auf den Dolch und sah an Bertl vorbei nachdem Farbenspiel am Himmel und nach den alten Buchen, die auf dem Waldrücken standen, der die Burg gen Abend von der Welt abschied. Berlt folgte ihren Blicken und dachte: Sie will dich nicht ansehen. Laut sagte er: »Wie hätte ich Gott danken wollen, wenn ich etwas Besseres in dein Leben hätte bringen können als diese Waffe.«
»Ehe du kamst, Berlt, dachte ich an das, was war, und an das, was nun kommen kann. . . . Ich prüfte mich ernstlich, ob ich das Rechte tat.« – »Du tatest, was du tun mußtest.« – »Ich bin dessen nicht ganz gewiß. Aber ich weiß, daß ich es diesem Dolch verdanke, wenn ich noch lebe. Weil es in meiner Hand lag, mir, wenn ich wollte, den Tod zu geben, wurde ich nicht mutlos oder eine Beute der Verzweiflung. Und diese Wohltat kam von dir, Berlt.«
»Hätte ich geahnt, als du mir den Dolch abschmeicheltest, wozu du ihn brauchen wolltest, ich hätte ihn nie in deine Hand gegeben. Du sagtest mir damals, du brauchtest ihn zu deiner Verteidigung.« – »Ja – zu meiner Verteidigung. Dieser kleine Stahl schließt die Pforte auf, hinter der ich sicher bin vor jeder Beschimpfung.«
»Gele!«
»Ach – laß uns schweigen von diesen vergangenen Dingen. Es gibt soviel anderes, was zur Sprache kommen muß – heute noch.«
Berlt Eselskopf seufzte und sah seine Base bittend an. Wie gerne hätte er heute seine Sache zu Ende gebracht. Wie lange schon lag ihm der Antrag auf der Zunge – und wie schwer kamen die Worte über die Lippen. Er wollte sagen: Komm mit auf den Honstein – sei dort geborgen durch meine Liebe – ich will dich alles vergessen machen, was dein Leben freudlos machte. Aber er sagte stattdessen: »Lege doch den Dolch ab, jetzt, da Haus Heymart zurückkehrt. Was willst du ihm sagen, wenn er fragt, weshalb du in Waffen gehst?«
Wieder legte Gele die Hand auf den Dolch und sagte: »Ich trenne mich so wenig von diesem Dolch als von einem treuen Freund. Und was ich dem Knaben sagen werde, weiß ich heute noch nicht. – – In meiner Erinnerung lebt ein wilder Knabe – und ist doch in den fünfzehn Jahren zum Manne gereift. – Wenn er so ist, wie ich ihn wünsche – sage ich ihm die Wahrheit. – – Am besten sage ich ihm die Wahrheit auf jeden Fall. Es ist wohl nicht schade um den, der an der Wahrheit zerschellt. Ich bin nicht sicher, ob mein Sohn der Stimme meines Herzens Antwort gibt. Wer weiß, was die Fremde aus ihm gemacht hat.«
»Warum quälst du dich mit diesen Gedanken? Freue dich auf deines Sohnes Heimkehr. Du bist zu viel allein – du bist noch zu jung, um einsam zu leben. Das wird nun anders werden, wenn Heymart hier ist. – Er war in guten Händen, er wird dir ein guter Sohn sein – und ich bin allezeit dein Freund – wollest über mich und alles, was ich besitze, gebieten.«
Gele sah Berlt an und wurde bleich. Sie hob abwehrend die Hände. »Bist du so sicher in deiner Meinung, daß Heymart ein guter Sohn sein wird? Wilke von Altenstein war sein Vater!«
»Und du bist seine Mutter. Versündige dich nicht an ihm durch Mißtrauen.« Er hätte gerne hinzugefügt: Und ich – gelte ich dir nichts? Aber da sie sein Anerbieten überging – schwieg er.
»Er gleicht seinem Vater – ich sah es oft mit Grauen. Die gerade Nase – den Mund mit den Zähnen, die an ein Wolfsgebiß erinnern – die beim Lachen weiß wie Elfenbein durch den roten, krausen Bart blitzten – und im Ärger die Lippen blutig bissen – das wird jetzt genau so bei ihm sein. – Die Ansätze waren vorhanden. Trotz und Eigenwille waren bei dem Zwölfjährigen schwer bändigen.«
Berlt Eselskopf sagte: »Er gleicht euch beiden. Die Farbe seines Haares ist zwar rot wie die Wilkes, aber Stirn und Kinn ist ihm von deiner Sippe überkommen – und bedenke, er war bei den Binsinger in guten Händen, und im Regiment Eberstein hat er Maß halten lernen. Dort lobte ihn Freund und Gegner, als ich im letzten Herbst im hannoverschen Land war, um wegen seiner Heimkehr zu verhandeln. Und wenn ich ihn auch selbst nicht sah, weil er zum Landgrafen geritten war – nahm ich doch die Gewißheit mit, daß aus dem trotzigen, eigenwilligen Knaben ein starker Mann unter harter Zucht geworden ist.«
Gele seufzte. »Gott gebe es. Aber gehört nicht die Muttersorge neben die harte Manneszucht? Das linde Streicheln, das wie Morgensonne für eine junge Pflanze ist?«
»Du sprichst nach Frauenart.« – »War es nicht feige von mir, als ich ihn fortgab, daß er mein Elend nicht sähe?«
»Wenn mich nicht alles täuscht, hat dir das der Kleinhans eingeblasen?«
»Du hast es erraten. Aber nicht eingeblasen – er sagte mir ganz ohne Umschweife und begegnete damit meinen eigenen Gedanken, daß der Sohn zur Mutter gehöre, bis ihm der Bart wächst. Erst dann gibt sie ihn an die Welt ab, daß er sein eigenes Schicksal erlebe. Ich machte es umgekehrt. Ich rufe ihn heim, da ihm die Heimat zur Fremde geworden ist, und die Fremde ein Teil seines Lebens.«
»Du solltest diesen Pfaffen entlassen« – »Und den Dolch ablegen« – »Gewiß – das wäre wohlgetan.«
»Nein Berlt, ich habe nicht vor, das zu tun.«
»Also gilt dir mein Wort – mein Rat – und ich dir gar nichts mehr?«
»Ach Berlt« – Sie hob beschwörend die Hand. Dann ging sie nach der Türe und sagte: »Verzeih, daß ich dir noch keinen Imbiß anbot. Ich will es nun nachholen – und fragte nicht, ob du mir giltst – ich kann dir nicht antworten.«
»Bleibe – ich bin weder durstig noch hungrig. Es hat Zeit, bis die Mägde kommen.«
Sie schüttelte den Kopf, nahm aus dem Wandschrank einen Korb mit dunkelroten Äpfeln, stellte ihn auf den Tisch am Fenster, an dem sich Berlt niedergelassen hatte.
»Die behielt ich zurück, als ich heute die letzten aus dem Keller unter das Gesinde verteilte. Prinzenäpfel, wie sie nach alter Sitte zur Heuernte gehören. Komm, nimm einen an. Sie sind saftig, obgleich sie fast ein Jahr im Keller lagen. Ein Apfel löscht den Durst, stillt den Hunger und kühlt das Blut.«
Berlt Eselskopf nahm den Apfel und wog ihn sinnend in der Hand.
»Weißt du noch, Gele, wie uns ein Apfel vor fast drei Jahrzehnten, als wir im Julimond auf der Osterburg weilten, ein Orakel kundtat?«
»Das hast du nicht vergessen? Sieh, ich dachte heute daran, als ich die Äpfel austeilte – und daß es log.«
»Das war unsere Schuld, Gele.«
Gele schüttelte den Kopf und sah Berlt fest in die Augen.
»Du solltest nicht sagen – das war unsere Schuld. Es war so vorherbestimmt. Wir tanzten einen Abend lang miteinander und blieben gute Freunde bis auf diese Stunde.«
»Bis auf diese Stunde. Wenn ich heute, nachdem Wilke fünf volle Jahre neben seinen Vätern schläft, von diesen Dingen spreche – du aber abwehrend die Hände hebst und meinst, das Orakel habe gelogen – so wollen wir nie wieder darauf zurückkommen. Ich hatte mir den Ausgang dieser Abendstunde anders vorgestellt.«
»Sprich nie wieder von diesen Dingen – ich will dich nicht verlieren – und das könnte geschehen – wenn« – »Wenn ich mehr begehrte – als deine Freundschaft. Sei stille – ich kann schweigen.«
Berlt trat dichter ans Fenster und sah hinaus. Er biß die Zähne zusammen und zwang sich zur Ruhe.
»Meine Absicht, dir eine Erquickung anzubieten, ist fehlgeschlagen«, sagte Gele, und ihre Stimme zitterte.
Berlt wendete sich ins Zimmer zurück, nahm den roten Apfel wieder auf und sagte mit bitterem Spott: »So wahr ich Berlt Eselskopf heiße und Hohnstein noch von keinem genommen werden konnte – ich schlage niemals einen Apfel aus, den mir eine schöne Frau anbietet. Ich esse ihn und wenn ich kurz vorher ein Paradies verlor.«
»Du solltest nicht spotten!«
Er biß in den Apfel und fuhr fort: »Dieser Apfel schmeckt sogar süß. Süß wie die Weisheit, von der König Salomo so köstliche Dinge rühmt.« Es war für Augenblicke ganz still im Zimmer. Gele hatte den Kopf gegen die Hinterwand der Bank gelehnt und die Augen geschlossen.
Ein Lächeln lag um ihren Mund, das im Widerspruch mit der Falte auf ihrer Stirn stand. Aber es klang wie ein leises Freudenspiel durch ihre Worte, als sie sagte: »Ich erinnere dich noch an einen anderen Tag auf der Osterburg. Es war im Winter. Die alte Mechtild Diebe, unsere gemeinsame Eller, erzählte eine Geschichte von einem, der ausgezogen war, um das Wasser des Lebens für eine Todkranke zu holen. Da riefst du: ‚Gele, das tue ich für dich wenn du einmal krank wirst.‘ Ich nehme an, du hast das nicht vergessen obgleich dieser Wintertag viel weiter zurückliegt als jener Sommertag mit dem Apfelorakel?«
»Ich habe nichts vergessen von dem, was mit deinem Leben zusammenhängt.«
»Und damals, als Wilke mich allein ließ, um mit der anderen in Unehren zu leben und seines Sohnes Erbe verpraßte, da gabst du mir mehr als ein anderer Mensch. Du setztest mir Hans Heymart auf den Schoß und sagtest: ‚Sieh auf den und bleib stark.‘«
»Das war, als ob du mir das Wasser des Lebens gebracht hättest. Und wenn du mir jetzt deine Freundschaft nehmen willst« – »Weil ich dir mehr geben wollte« – Gele bat: »Laß doch – es geht nicht« – »Das Orakel log – und das andere stammt aus einem Märchen« – rief Berlt bitter.
»Ich habe mehr als einmal versucht, die Vergangenheit auszulöschen, es war umsonst. Dir will ich es sagen – dir, meinem besten Nothelfer, angesichts der Ankunft meines Sohnes: In mir brennt ein Feuer, das nie verlöschen wird. Ich weiß nicht einmal, ob es Liebe oder Haß ist. Das Feuer hat Wilke angezündet. Es wird in alle Ewigkeit brennen.«
Berlt Eselskopf hatte die Arme auf den Tisch gestützt und das Gesicht in den Händen verborgen. Gele fuhr fort: »Vielleicht, wenn ich Rache genommen hätte an der Seilerstochter.«
»Gele!« Berlt war aufgesprungen. »Wohin geraten wir denn! Ich wollte dir keinen Schmerz bereiten – laß ruhen, was nicht zu ändern ist – laß ab von Haß und Rache« – Gele sagte mit schneidendem Hohn: »Um Heymarts willen? Die Dinge sollen ruhen, damit er die Achtung vor seinem Vater nicht verliert?«
»So meine ich.«
»Gut. So meinst du. Aber nun schmähe mir nie wieder den Jürgen Kleinhans, meinen Kaplan. Du bist mit ihm einer Meinung.«
Berlt Eselskopf sah erstaunt seine Base an.
»Was seid ihr Männer für ein weichherzig Volk. Wenn die beleidigte Wahrheit sich eines Tages rächte?«
Berlt antwortete nicht. Er blickte durch das Fenster auf die Waldwiese, die sich schmal in einer Schlucht hinabzog. Ein Fußweg durchschnitt sie. Das Heu war in Schwaden zusammengelegt. Durch das halboffene Fenster zog ein würziger Duft. Jetzt wurden Stimmen laut, das heimkehrende Gesinde bog, von den Wiesen jenseits des Waldes kommend, in die Schlucht ein.
Auch der Kaplan war unter ihnen. Seine hagere Gestalt überragte die Knechte, von denen er noch durch seine Tracht abstach.
»Da kommt ja die lange Latte« – entfuhr es Berlt.
Gele bat: »Laß doch den Mann in Ruhe. Du schätzest ihn zu gering ein. Wollte ich dir erklären, was er mir wert ist, würdest du kaum zuhören.«
»Zuhören würde ich wohl – aber begreifen würde ich es nicht. Im Herzen jeder Frau ist ein dunkler Winkel, den weder Sonne noch Mond erhellen können.«
»Wie kam dir solche Weisheit?«
»Ich gewann sie, als meine jüngste Schwester, die rein wie ein Lilienblatt war, eines Nachts mit einem Hauptmann aus Tillys Heer davonlief.«
»Du machst unziemliche Vergleiche – das bemerkte ich vordem niemals an Berlt Eselskopf.«
»Verzeih – mir wallt das Blut zum Herzen.«
Sie sahen beide eine Weile dem heraufziehenden Gesinde entgegen. Dann wendete sich Gele zuerst wieder zurück, sie fragte: »Du willst Hans Heymart entgegenreiten bis Walhausen?«
»Ja – aber habe ich deine Verzeihung?«
»Du hast meine Freundschaft für Zeit und Ewigkeit.«
Sie ging dem Gesinde bis zur Schwelle des Schloßtores entgegen. Sie gab den Leuten den Abend zum Tanz frei, als Vorfeier für die Ankunft des jungen Herrn und beschied den Kaplan zu sich, damit er Bericht erstatte.
Als sie nach einiger Zeit in das Zimmer zurückkehrte, war Berlt fort. Sie erfuhr, daß er sich sein Pferd hatte an die Hintertür führen lassen und ungesehen davongeritten war.
* * *
Gele schritt im Zimmer auf und ab. Langsam, die Hände im Genick verschränkt. Sie blieb jedesmal am Fenster stehen und sah auf die mondbeschienene Wiese – wie ein stiller See lag sie da. Sie hatte diese Stunde und Berlts Fragen kommen sehen. Berlt Eselskopf – ja gewiß, wenn einer auf dieser Welt es treu und ehrlich mit ihr meinte, so war er es. Und sie? Sie hatte zeitlebens nur den einen geliebt, der sie verraten und verlassen hatte. Sie fuhr sich mit dem Handrücken über die Stirne. Fort mit diesen Gedanken – Liebe und Haß sollten für ewig begraben sein. – Morgen kam Heymart – der neue Herr, dann sollte ein neues Leben beginnen. Sie würde beiseite treten, nur noch Beraterin wollte sie sein . . .
Ob Heymert sich einleben würde in der Stille dieses Weltwinkels? Die adligen Vettern in der Runde waren keine geselligen Herren. Ein jeder hatte mit sich zu tun – die aufsässigen Bauern machten ihnen Not – sie wollten Rechte – die Pflicht taten sie nur notgedrungen. . . . Der Reichtum der Edelleute war zusammengeschmolzen – die langen Kriegsjahre hatten den Ertrag der Felder geschmälert. Da waren nur der Eselskopf auf Honstein – und der Diede vom Fürstenstein, die sich gehalten hatten. – Die Diedes – Geles Mienen hellten sich auf. Adelheid von Diede – wenn Heymart die auf den Altenstein bringen wollte. – In den langen Jahren, da sie hier allein die Herrschaft geführt hatte, war manche Unordnung eingerissen. Gerechtsame waren verloren gegangen – die zurückerlangt werden mußten. Ja, wie hätte es sein können, wenn Wilke an ihrer Seite gestanden – anstatt seinen tollen Neigungen nachzugehen. –
Sie trat mit dem Fuß auf und ballte die Hand zur Faust. Ach, was hatte Gele von Altenstein ertragen um ihres Sohnes willen, dem sie das Erbe erhalten wollte.
Wie würden sie zueinander stimmen?
Eine Magd kam herein und fragte mit Wichtigkeit, wie viel Kissen für das Bett des jungen Herrn bezogen werden sollten. Die Schaffnerin habe drei aus der Bettkammer hergegeben – sie aber meine, vier seien nicht zu viel.
Gele lachte – »Wohl vier, wenn es sein muß fünf – wenn alles so reichlich vorhanden wäre auf dem Altenstein wie Federbetten!« Dann gab sie das feinste Leinen heraus, das mit den köstlichen Säumen, und ein Übertuch mit Brabanter Spitzen. Sie fragte, ob das Silber noch einmal geputzt sei. – Und da alles geordnet schien, ließ sie den Kaplan hereinrufen, der auf der Diele saß und wartete. Das Zimmer war fast taghell beleuchtet durch das weiße Mondlicht. Gele saß auf der Bank am Fenster, die vorher Berlt Eselskopf eingenommen hatte. Sie winkte dem Eintretenden zu und zog unwillkürlich, wie schon oft, einen Vergleich zwischen den beiden Männern. Sie dachte, was sie oft gedacht hatte, daß sie einander ähnlich seien, nur daß der eine der Welt, der andere dem Himmel diene. Daß der eine ein Ritter, der andere aus bäuerlichem Geschlecht stamme.
Jürgen hatte Mühe, einen Ruf der Bewunderung zu unterdrücken. Denn die Frau auf
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Tag der Veröffentlichung: 08.10.2017
ISBN: 978-3-7438-3551-1
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