Cover

Kapitel 1 - Bruno

„Nö! Einfach Nö!“, sage ich monoton aber bestimmt und erhebe mich. Ohne eine Gefühlsregung im Gesicht entferne ich mich dem Kreis sitzender Studenten und gehe in die Küche. Die geschockten Augenpaare der Studenten spüre ich genau auf meinem Rücken. Interessiert mich aber nicht. Während ich meinem Becher eine neue Mischung aus Rum und Cola eingieße, schnaufe ich bestätigend aus.

 

Wer konnte denn auch ahnen, dass diese bekloppte Flasche ausgerechnet auf mich zeigen würde. Sieben Mädels haben an dieser Runde teilgenommen. Dazu gehörten noch mein Kommilitone Eric und ein mir unbekannter Typ. Benjamin, soweit ich mich erinnere.

 

Wie hoch konnten denn die Chancen sein, dass eben dieser die Flasche drehen und sie direkt auf mich zeigen würde?

 

„Ich küsse doch keinen Typen“, murmle ich in mich hinein, währen ich den Becher mit der Alkoholmischung an meine Lippen führe.

 

Nachdem ich noch einen kräftigen Schluck meine Kehle runterlaufen lasse, eilt mir Lena hinterher.

 

„Bruno!“, empört diese sich, sogleich sie die Küche betritt.

 

Mit einem Seitenblick lasse ich sie erkennen, dass ich ihren vorwurfsvollen Unterton zur Kenntnis genommen habe. Unweigerliche zuckt meine Augenbraue nach oben. Wohlwissend, jetzt ein anstrengendes Gespräch vor mir zu haben.

 

„Was sollte das denn gerade?“, boxt sie mir hart gegen die Schulter. Fast lasse ich mein Getränk fallen, kann aber rasch ein Überschwappen verhindern.

 

„Was?“, brumme ich undeutlich.

 

„Das weißt du ganz genau!“, klaut sie mir meinen Becher und trinkt ihn aus.

 

„Ey!“, entrüste ich mich ihrer Geste.

 

„Homophobe Arschlöcher bekommen bei mir nichts zu trinken“, erklärt sie.

 

„...bin nicht homophob“, erwidere ich und greife nach einem neuen Becher. Doch auch dieser bleibt nicht lange in meiner Hand.

 

„Und was sollte das dann?“, bekomme ich die nächste Frage an den Kopf geworfen.

 

„...knutsch doch nicht mit nem Typen rum. Bin doch nicht schwul“, murmle ich als Antwort.

 

„Nein. Du liegst mir seit Monaten auf den Ohren, dass ich dir ne Freundin besorgen soll. Nun lade ich dich auf eine Party mit ein paar netten Mädels ein, damit du nicht mehr rumheulst und dann machst du einen auf Macho!“, artikuliert Lisa wild.

 

Darauf zucke ich teilnahmslos mit den Schultern.

 

„Mensch Bruno! Jetzt mach die Zähne auseinander und sag was!“, bekomme ich den nächsten Schlag auf den Oberarm.

 

„Was willst denn hören? Ich knutsche keinen Typen. Doofes Spiel“, brumme ich.

 

„Aber als ich Kathleen geküsst habe, sind dir fast die Augen rausgefallen!“, funkelt sie mich mit ihren braunen Augen böse an.

 

„Joa“, lache ich. da mir der Gedanken prompt zurück in den Kopf schießt. War schon heiß, wie die beiden Mädels innig ihre Münder verbunden haben. Vereinzelt konnte man Lisas Zungen-Piercing sehen und als dann noch Kathleen besitzergreifend in Lisas braune Haare gegriffen hat.

 

Plötzlich höre ich schüchtern eine Stimme hinter uns, die nach Lisa verlangt. Schlagartig schauen wir beide zur Tür. Benjamin steht schüchtern am Türrahmen. Der kleine Rotschopf schaut etwas traurig zu mir. Als sich unsere Blicken treffen, wandert sein Gesicht rasch zu Lisa.

 

„Benjamin!“, ruft diese überrascht.

 

„Danke für die Einladung, aber ich geh jetzt besser“, entweicht ihm zaghaft. Darauf dreht er sich um und ist verschwunden.

 

„Bruno!“, wendet sich Lisa wieder an mich. Ihr Gesichtsausdruck verheißt nichts Gutes. „Wenn du das nicht sofort wieder geradebiegst, dann trete ich dir so fest in die Eier, dass du danach Monate mit Windeln rumlaufen musst.“

 

Unschlüssig, was Lisa überhaupt von mir verlangt, bleibe ich angesichts der Situation erstmal stehen. Ich weiß sowieso nicht, was gerade für ein Drama abläuft. Manchmal fühle ich mich hier echt fehl am Platz. Alle sind so richtige Studenten. Sie haben ihr Abi gemacht und sind dann gleich an die Hochschule gegangen. Währen ihres Studiums machen sie außerdem noch irgendwas super Wichtiges oder Interessantes. Versuche die Welt zu verbessern, gehen auf Demos oder retten - mehr oder weniger legal - unsere Tiere.

 

Da bin ich einfach zu einfach dafür. Auf dem Dorf groß geworden, eine Ausbildung zum Mechatroniker gemacht, drei weitere Jahre als Facharbeiter gearbeitet und mein Fachabitur in der Abendschule erkämpft. Nun studiere ich das einzig Logische: Maschinenbau. Abends trinke ich mein Bierchen und schaue Fußball, tagsüber besuche ich die Vorlesungen und löse meine Mathebelege. Nur eine feste Freundin fehlt mir noch. Aber nicht so ein Püppchen. Sie sollte schon mit beiden Beinen im Leben stehen, keine Tonnen an Make-Up im Gesicht haben, mir meinen Freiraum lassen aber doch für mich da sein. Im Bett nicht zu anspruchsvoll aber auch kein Blümchensex verlangen. Alter, Größe und Figur sind mir erstmal zweitwichtig. Passen sollte es.

 

Dass ich mal ein Problem haben sollte, eine Freundin zu finden, hätte ich eh nicht gedacht. 1,92 Meter groß, circa 80 Kilo schwer und blonde kurze Haare. Kein Waschbrettbrauch, aber auch nicht zu dick. Ein normaler stattlicher Typ halt. Meine Augen sind ein Pluspunkt. Kristallblau und prägnant.

 

Gut, ich weiß, dass ich auch nicht gerade der Einfachste bin. Mein Gesichtsausdruck verrät den wenigsten etwas, weil er eigentlich immer emotionslos ist. Dazu kommt noch, dass ich nicht gerade der Gesprächigste bin. Man muss halt wissen, wie es um mich steht, auch wenn ich keinerlei Informationen preisgebe. Dafür bin ich aber zuverlässig.

 

„Jetzt geh schon!“, schubst mich Lisa in Richtung Tür.

 

Missmutig lasse ich mir es gefallen und trete in den Flur. Benjamin zieht gerade seine Schuhe an und würdigt mich keines Blickes. Starr schaut er auf seine Hände, welche gerade die Schnürsenkel binden. Schon faszinierend wie akribisch der schmächtige Rothaarige seine Schleife bindet.

 

Ich gehe einen Schritt auf ihn zu und trete neben ihn. Sein Parfüm steigt mir in die Nase. Riecht nicht schlecht. Könnte Axe sein. Ich glaube ein Ähnliches zu besitzen.

 

Jedenfalls bleibt mein Erscheinen nicht unbemerkt. Benjamins Hände fangen leicht an zu zittern. Eilig wendet er sich dem zweiten Schuh zu.

 

„Alles gut?“, frage ich in meinem freundlichsten Ton von oben herab.

 

Ein eifriges Nicken kommt als Antwort. Na also. Ihm geht es gut. Vielleicht hat er es auch begrüßt, dass ich ihn nicht küssen wollte. Mit der Erkenntnis und einem gutem Gewissen will ich mich gerade wieder zum Gehen drehen, als ich Lisas erzürntes Gesicht erkenne, welches aus der Küche schielt.

 

Da ich die Botschaft ohne Zweifel verstehe, wende ich mich also wieder Benjamin entgegen. Dieser hat seine Schuhe nun fertig geschnürt und richtet sich auf. Er ist einen ganzen Kopf kleiner als ich. Vorsichtig schauen mich seine grünen Augen fragend an.

 

Innerlich fange ich an mich unwohl zu fühlen. Leider ist eine weitere Kleinigkeit, welche mir fehlt, eine Empathie in solche Situationen. Keine Ahnung, was von mir erwartet wird, aber es wird etwas von mir erwartet.

 

Also gehe ich den Weg, welchen ich in solchen Situationen immer gehe. Ich stelle knappe Fragen, welche viel Interpretationsspielraum geben und meist beginnt dann der Gegenüber zu reden. Irgendwie klärt sich dann meist alles von alleine.

 

„Sicher alles in Ordnung?“, frage ich daher nach.

 

„Warum sollte es nicht?“, bekomme ich klamm zurück. Verdammt. Gegenfragen sind bei meiner Masche nicht eingeplant.

 

„Weiß nicht…“, murmle ich und zucke mit den Schultern.

 

„Aha“, kommt es von Benjamin. Und schon ist eine beklemmende Situation geschaffen. In Gedanken bedanke ich mich sarkastisch bei Lisa. Es hilft ja alles nichts. Irgendwie muss ich aus dieser Situation wieder raus. Die Leute halten mich sicher schon für einen homophoben Arsch. Bin ich aber nicht. Mein einziger Ausweg steht vor mir. Meine Anspannung wächst. Sieht man mir aber zum Glück nicht an.

 

„Du gehst jetzt aber nicht wegen mir, oder?“, frage ich ihn in meiner direkten Art und Weise.

 

Benjamins Augen blinzeln verräterisch. Natürlich geht er wegen mir. Wenn er jetzt geht, ist mein Ruf ein für alle Mal dahin. Verdammt. So bekomme ich doch nie eine Freundin. Die Mädels stehen auf Homos. Jede von ihnen hätte doch am liebsten ihren persönlichen schwulen besten Freund. Da kann ich mir so ein Image nicht leisten. Ganz zu schweigen, dass ich auch nichts gegen Schwule habe. Ich will sie nur nicht küssen.

 

„Ach verdammt!“, stoße ich aus einem Impuls heraus, greife Benjamin an den Schultern und ziehe ihn an mich heran. Hart presse ich meine Lippen auf seine. Benjamins Augen weiten sich vor Schreck und blicken direkt in meine. Das satte Grün beginnt zu schimmern und dann schließen sie sich langsam. Leichte Melancholie strahlen sie dabei aus. Als ob er sich ergibt. Mir ergibt. Es aber nicht will. Prompt kommt mir wieder in den Sinn, was ich für ein gefühlloses Arschloch sein muss. Bin ich ja anscheinend auch. Keine Sekunde habe ich an ihn und seine Gefühle gedacht. Verdammt!

 

Gerade will ich unsere Verbindung lösen, spüre ich wie sich Benjamins Mund zu öffnen beginnt. Was soll das denn jetzt? Mit Zunge? Zwiegespalten, ob ich ihn jetzt einfach von mir stoßen sollte oder einfach mitmache, hat sich mein Körper bereits entschieden. Ich tue es ihm gleich. Langsam öffnen sich unsere Münder. Seine Zunge stupst vorsichtig gegen meine. Ach Scheiß drauf. Jetzt kann ich auch meine Hemmungen über Bord werfen.

 

Also ziehe ich ihn noch fester an mich heran und intensiviere unser Zungenspiel. Leidenschaftlich gehe ich auf seinen Körper ein. Meine Lippen beginnen zu prickeln. Sein Duft steigt mir in die Nase. Das leichte Zittern seines Körpers fühlt sich gut an. Langsam spüre ich, wie in mir so etwas wie Lust…

 

„BRUNO!?“, höre ich hinter mir die Stimmen von Lisa und Eric gleichermaßen entsetzt rufen.

 

Schlagartig lasse ich von dem Kleinen ab und schiebe ihn bestimmt auf Abstand. Geschockt sieht er mich an. Ich wiederum drehe mich zu den beiden Personen hinter mir. Mit den Schultern zuckend entgegne ich ihnen „Pflicht erfüllt“ und trete wieder in das Wohnzimmer zu der Runde.

Kapitel 2 - Benjamin

Gestern diese doofe Feier war echt die blödeste Idee seit langem. Vor allem der Schluss. Doofer Bruno. Wer heißt eigentlich Bruno und hat dazu blonde Haare?

 

Verärgert verlasse ich die letzte Vorlesung für heute. Kunstmarketing war so öde, dass ich mich innerlich richtig gut aufwühlen könnte. Äußerlich bleibt mein Gesicht jedoch immer freundlich und aufgeschlossen. Die Leute würde mich doch auslachen, wenn die kleine schmächtige Waldelfe wütend über den Campus stolziert. Na gut, ich stolziere nicht. Aber meine Erscheinung kann einfach nicht mit meiner Laune mithalten.

 

Also seufze ich innerlich einmal tief aus und mache mich auf den Weg zur Straßenbahnhaltestelle. Dieser Arsch hat mir sowieso schon die meiste Zeit des Tages versaut. Erst macht er so einen Aufriss, weil er mich küssen soll, dann küsst er mich aus heiterem Himmel, wenn keiner zusieht, und dann tut er so als wäre es ein dämliches Spiel gewesen.

 

Fast hätte ich ihm ja geglaubt. Aber sein Körper hat ihm Lügen gestraft. So einen Kuss wie gestern, das kann kein Hetero mit einem anderen Mann. Bei dem Gedanken daran beginnen auch gleich meine Lippen zu kribbeln.

 

So ein attraktiver Mann. Nicht so ein typischer Student, wie sie hier zu Hauf auf dem Campus rumlaufen. So groß, so einfach, so undurchsichtig, so männlich, so hetero. Warum muss ich Idiot auch immer auf diese Art von Mann abfahren? Gleich sein Erscheinen gestern hat mich total in seinen Bann gezogen. Aber was mich am meisten gereizt hat, war das Wissen, dass er unerreichbar ist.

 

Doch als er so einen Aufriss vor den anderen gemacht hat, war sein Zauber auch schnell verflogen. OK, das war gelogen. Trotzdem hat mir sein Aufstand aber weh getan. Genauso wie seine Reaktion, nachdem er mich geküsst hatte. Ja genau, er hat mich geküsst. Soll er doch einfach dazu stehen.

 

„Pfff“, entkommt mir verächtlich. Ist er sich seiner Sexualität etwa so wenig selbstbewusst, dass er so eine Show abziehen muss?

 

An der Haltestelle krame ich meinen MP3-Player aus der Tasche und stecke mir die Kopfhörer in die Ohren. Ich brauche jetzt irgendwas zum Abreagieren. Also durchsuche ich meine Playlist. Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie meine Tram einfährt. Noch immer auf den Player fixiert, hält vor mir die Straßenbahn. Glücklicherweise kommt auch direkt vor mir eine Tür zum Stillstand.

 

Endlich eine passende Musik für meine Gefühlslage gefunden, drücke ich auf Play und die ersten Klänge der Punk-Rock-Band Night Moon erklingen. Zeitgleich öffnet sich die Straßenbahntür und ich gehe einen Schritt drauf zu. Ebenso taucht blitzartig eine Gestalt vor mir auf, welche aus der Tram eilt und geradlinig gegen mich prallt. Unwillkürlich falle ich zu Boden. Die Kopfhörer werden aus meinen Ohren gerissen und mein Musikplayer fliegt davon.

 

„Aua“, schreie ich auf und sehe meinen Player unter die Straßenbahn fliegen.

 

„Sorry“, murmelt irgendwer und entfernt sich eiligst aus meinem Sichtfeld.

 

Es reicht mir. Die Wut nimmt überhand. Ungestüm stoße ich „Wixer“ aus. Lauter als eigentlich beabsichtig.

 

„Wie bitte?“, knurrt die Stimme zurück. Die Schritte kommen auf mich zurück.

 

„Wixer!“, stoße ich nochmals aus und schaue nun endlich vom Boden auf. Die Straßenbahn fährt weiter. Im Hintergrund vernehme ich knackendes Metall und Plastik. Das war dann wohl mein MP3-Player. Doch dieser rückt gerade in den Hintergrund. Vor mir baut sich Bruno auf. Sein Gesicht scheint keine Emotion durchzulassen, doch sein Tonfall verrät mir, dass er die Beleidigung persönlich nimmt.

 

„Sorry, Bruno“, senke ich entschuldigend meinen Blick. Noch immer sitze ich auf dem Bordstein. Vielleicht sollte ich mich davon erst einmal nach oben erheben.

 

„Kennen wir uns?“, fragt mich Bruno verdutzt, während ich mich wieder auf die Beine bringe. Ist das sein Ernst? Reflexartig schaue ich ihn geschockt an. Kurz blinzle ich und mein Mund öffnet und schließt sich wieder. Doch mein Hirn kann einfach keinen Satz formulieren. Da steht der Typ, um den wegen so einem doofen Kuss die ganze Zeit meine Gedanken kreisen, vor mir und erkennt mich nicht einmal.

 

„Ja, wir kennen uns!“, stoße ich aus. Seine Stirn legt sich in Falten. Anscheinend denkt er wirklich gerade scharf nach, woher wir uns kennen könnten. Ob er heute noch darauf kommt?

 

„Und woher?“, fragt er nun wieder mit entspanntem Gesicht. Das kann doch wirklich nicht sein Ernst sein. Meine Wut ist schlagartig wieder anwesend. Scheiß auf den Player, dieser Mann bringt mich noch um den Verstand. Fest presse ich die Lippen aufeinander. Die Option, ihn einfach stehen zu lassen und abzuhauen kommt mir plötzlich sehr verlockend vor.

 

Bruno scheint auf die Beantwortung seiner Frage nicht mehr zu bestehen. Er zuckt mit den Schultern und dreht sich zum gehen um. Perplex reiße ich die Augen auf. So ein mieses Schwein. Eilig stoße ich zu ihm auf, gebe ihm einen kräftigen Schubs von hinten und brülle: „Du Arsch!“

 

Bruno taumelt ein wenig, doch fängt sich schnell wieder. Böse starren mich seine eisblauen Augen an: „Ey!“

 

Doch ich zeige ihm nur den Mittelfinger und laufe los. Eilig renne ich zurück auf den Campus hinein ins nächste Gebäude. Ich glaube es gehört den Wirtschaftlern. Meine Lungen brennen. Für solche Sprints ist mein schmächtiger Körper einfach nicht geschaffen. Trotzdem versuche ich noch ein paar Treppen zu erklimmen. Im zweiten Obergeschoss angelangt muss ich nun trotzdem innehalten. Erschöpft lehne ich mich an die Wand und hole tief Luft. Nachdem mein Puls und meine Atmung sich wieder einigermaßen gefangen haben, höre ich in die Stille. Keine Schritte, kein Gebrüll. Bruno scheint mir nicht gefolgt zu sein. Sicherheitshalber werde ich trotzdem einen anderen Weg nach draußen nehmen. Nicht, dass Bruno draußen auf mich wartet. Dieser blonde Hüne könnte mich sicherlich kurz und knapp dem Erdboden gleich machen.

 

Verstohlen schleiche ich mich den Flur entlang, bis ich einen Fahrstuhl finde. Wenn mich nicht alles täuscht, hat das Wirtschaftsgebäude einen Fahrstuhlausgang zum Innenhof. Von dort aus kann ich mich sicher unbemerkbar zur Haltestelle zurückschleichen. Also betätige ich den Taster und warte bis das typische Signal den ankommenden Lift ankündigt.

 

Kaum das sich die metallenen Türen öffnen, packt mich eine Hand am Kragen und zieht mich in den Fahrstuhl. Bruno! Mir entkommt ein Ächzen. Diese bedrohliche Geste jagt mir sofort einen unbehaglichen Schauer ins Mark.

 

„Was zum Geier sollte das!?“, faucht mir Bruno ins Gesicht.

 

„Wie…?“, will ich eigentlich nur wissen, wie er auf die Idee gekommen ist, mich im Fahrstuhl zu erwarten.

 

„Na meinst du, ich bin blöd?“, bekomme ich prompt zu hören. Also eigentlich denke ich das. OK, vielleicht nicht blöd. Aber frei von jeglicher Empathie, unsensibel und verdammt schwer von Begriff. Also vielleicht doch blöd.

 

„Es… tut mir… leid“, krächze ich heraus, weil die Faust an meinem Hals allmählich anfängt mir zu schmerzen.

 

„Spar dir das!“, werde ich gegen die metallene Wand und teils an das Geländer gedonnert. Das hat weh getan. Schmerzverzerrt reibe ich mir über den Rücken. „Also, woher kennen wir uns?“

 

„Von der Party gestern“, gestehe ich nun endlich ächzend. „Du hast mich geküsst.“

 

„Ich küsse doch keinen Typen“, wiederholt er sein Mantra von gestern.

 

„Hast du nen Filmriss oder was?“, will ich aus einem Impuls heraus wissen.

 

„Joa“, gibt er unverblümt zu.

 

„Na das passt dir ja super, was?“, fahre ich ihn an. Bei dem glücklichen Zufall für ihn vergesse ich auch prompt meinen Rücken. Bruno zuckt mit den Schultern. Das könnte ihm vielleicht so passen. Schnaufend trete ich auf ihn zu. Mein Entschluss steht fest und mein Ärgernis gibt mir das Selbstvertrauen für meine Tat.

 

„Was wird das?“, weiten sich seine Augen, doch da schlinge ich bereits meine Arme um ihn und presse meine Lippen auf seine. Bruno versucht mit allen Mitteln sich gegen meine Attacke zu wehren, doch ich klammere mich verzweifelt an ihm fest.

 

Hinter mir geht die Fahrstuhltür auf und Bruno nimmt dies als Anlass nochmal all seine Kräfte zu mobilisieren. Mit einem kräftigen Ruck stößt er mich weg. Ich fliege in hohem Bogen aus dem Lift direkt auf den Boden, vor eine Gruppe Studenten. Der Aufprall tat verdammt weh und ich glaube auch etwas in meinem Steiß knacken gehört zu haben. Jedenfalls zieht sich ein höllischer Schmerz in alle meine Körperregionen.

 

„Verdammt Bruno!“, höre ich aufgebracht die Stimme von Kathleen hinter mir.

 

„Nö! Einfach Nö!“, stoßt dieser sichtlich frustriert und verzweifelt aus. Dann schließen sich wieder die Fahrstuhltüren. Der Lift scheint nun hinunter zu fahren. Doch mehr kann ich auch gar nicht mehr mitbekommen, denn der Schmerz überwältigt mich. Tränen schießen mir in die Augen und ich muss mich unweigerlich krümmen.

 

Kathleen eilt sofort zu mir runter und versucht mich ruhig zu halten, währen einer ihrer Leute bereits den Krankenwagen ruft. Jedenfalls denke ich, dass es die 112 ist, weil er sofort die 5 W-Fragen runterrattert.

 

Nach kurzer Zeit höre ich dann schon die Sirenen und gleich darauf werde ich von zwei Sanitätern mittels Trage in den Rettungswagen transportiert. Wenig später liege ich dann auch schon unter dem Röntgengerät.

 

Verdammter Bruno, ist das letzte was ich denken kann, bevor mich die zuvor injizierten Schmerzmittel wegschlummern lassen.

 

Kapitel 3 – Bruno

Na ganz toll. Nicht nur, dass ich seit einer Woche – also nach diesem hässlichen Vorfall – als homophober Schläger gelte, jetzt muss ich auch noch bei der Rektorin antanzen. Irgendwie hat diese Sache schneller die Runde gemacht, als mir lieb ist. Dass jetzt aber nun auch die Professoren und Mitarbeiter davon Wind bekommen haben, geht mir am meisten auf den Keks. Eigentlich wollte ich mein Studium ohne groß aufzufallen durchziehen. Das kann ich ja nun vergessen.

 

Angespannt warte ich vorm Büro der Rektorin. Frau Prof. Dr. Klein ist ja eigentlich ganz nett. Nur glaube ich nicht, dass sie bei solch einem Thema gut zu sprechen ist. Seufzend erhebe ich mich und strecke den Rücken durch. Sie hat mich sicher 30 Minuten hier warten lassen.

 

Doch endlich geht die Tür auf und die kleine, zierliche Frau Ende 40 holt mich in ihr Amtszimmer. Nach einer kurz und knappen Stellungnahme meinerseits und einem ausführlichen Vortrag ihrerseits, dass an dieser Hochschule weder Gewalt, Homophobie oder Rassismus in jeglicher Form toleriert werden, darf ich mit einer kleineren Strafarbeit wieder gehen. Zum Glück wurde ich nicht rausgeworfen.

 

Fürs Erste erleichtert verlasse ich das Verwaltungsgebäude. Auf dem Weg vom Campus laufen mir Eric und Lisa über den Weg. Während Lisa mich keines Blickes mehr würdigt, zuckt Eric entschuldigend die Schultern. Wer in dieser Beziehung die Hosen an hat, merke ich schon. Wer hätte auch gedacht, dass die beiden zusammenfinden würden. Vor allem, dass Eric der Aufreißer zu so einem Schoßhund mutieren kann. Was Liebe so alles anstellt.

 

Mir passiert das schon nicht. Ich weiß mich durchzusetzen. Doch dafür müsste ich auch erstmal wen finden. Zu meinem Leidwesen kommt mir Benjamin wieder in den Sinn. Tut mir ja schon leid, dass ich von der Party einen Filmriss hatte. Nachdem er mich aber im Fahrstuhl überfallen hatte, kam alles wieder. Aber vor allem, dass mir der Kuss viel weniger ausgemacht hat, als ich zugeben will. Im Gegenteil. Verwirrt und geschockt über diese Erkenntnis floss der Alkohol ungebremst. Auch der Kuss im Fahrstuhl war zwar überraschend, aber trotzdem irgendwie schön. Doch war das Auftauchen der Studentengruppe ein Auslöser für mein Verhalten.

 

Ich kann doch nicht schwul sein! Aber vielleicht Bi? Nein, ich nicht. Bis jetzt habe ich mich nur von Frauen angezogen gefühlt. Der Sex mit ihnen war auch immer gut und erfüllend. Eigentlich war ich mir meiner Heterosexualität immer recht sicher. Jedenfalls, bis Benjamin auf dem Schirm auftauchte.

 

Ach verdammt. Ich sollte erst einmal diese doofe Strafarbeit hinter mich bringen. Einen 10-seitigen Aufsatz über sexuelle Intoleranz und dessen Auswirkungen auf Angehörige von Betroffenen. Passt jetzt nicht unbedingt in meinen Studienplan, aber immer noch besser als exmatrikuliert werden.

 

Somit mache ich mich auf den Weg in die Bibliothek. Recherchearbeit… wie ich sie hasse. Lieber baue ich etwas mit meinen Händen oder konzipiere auch gern mal ein Projekt. Aber schnödes Bücherwälzen ist echt nicht mein Ding.

 

Die gläsernen Türen der Bücherhalle öffnen sich und sofort schlägt mir die Stille um die Ohren. Die innerliche Gegenwehr kann ich kaum unterdrücken. Müdigkeit und die typische Kein-Bock-Stimmung macht sich in mir breit. An der Information steht eine große aber elegante Dame im schwarzen Kleid. Kleinlaut erkundige ich mich bei ihr nach dem gesuchten Thema. Nach kurzer Suche am Computer schickt sie mich, mit einem Zettel in der Hand wo ein paar ausgewählte Bücher notiert sind, in die vierte Etage. Dort stehen die gesammelten Werke der Kategorie „Soziales“.

 

Im Obergeschoss angekommen durchsuche ich die Regale nach den empfohlenen Werken. Die Blicke lernender Studenten gehen nicht an mir vorbei. Ebenso wenig ihre skeptischen Gesichter, während ich mir mit drei der gesuchten Bücher einen freien Tisch suche. Anscheinend bin ich Campusgespräch Nummer eins. Aber sollen sie doch. Die Gemüter werden sich schon wieder beruhigen.

 

Nachdem ich einen freien Platz gefunden habe, nehme ich mir den ersten Wälzer vor. Angestrengt lese ich Seite für Seite. Vieles überfliege ich auch nur. Hier und da mache ich mir noch ein paar Anmerkungen, wo ich am besten Zitate verwende. Doch geht es mir vorrangig nur darum, einen Einblick zu bekommen.

 

Es vergehen die Stunden, aber am Ende des Tages schaffe ich sogar das erste Buch komplett durchzuarbeiten. Mein Kopf brummt von diesen vielen neuen Einblicken in eine mir gänzlich unbekannte Welt. Doch entwickle ich so langsam einen echten Respekt vor homosexuellen Menschen. Die Erfahrungsberichte sind wirklich spannend. Sie erzählen von der eigenen Erkenntnis, dass ihre Sexualität nicht mit der von anderen übereinstimmt. Einen Entwicklungsprozess, bis sie eine eigene Akzeptanz entwickeln. Vom Outing und ihrem Kampf gegen Normen und die Gesellschaft.

 

Ein Bericht fesselt mich ganz besonders. Zu dem Thema, welches er beschreibt habe ich mir besonders viele Fragen aufgeschrieben, auf die ich gerne noch mehr Antworten hätte. Es geht um Heterophobie. Bis jetzt dachte ich nur, dass es diese Art von Hass nur auf Seiten von Heterosexuellen gäbe. Aber anscheinend können auch Schwule gegen Heteros ganz schön zornig und wütend sein.

 

„Entschuldigung, wir schließen gleich“, holt mich die Stimme einer Bibliothekarin aus den Gedanken. Ich nicke ihr zu und packe die Bücher zusammen. Erst jetzt fällt mir auf, dass ich alleine an den Arbeitstischen sitze. Also stehe ich auf und beeile mich nach unten an die Rezeption. Dort angekommen, leihe ich mir meine Lektüre aus. Gerade als ich das erste Buch in meine Tasche stecken möchte entgleitet es meiner Hand und fällt auf den Boden. Während ich mich runterbeuge um das Buch aufzuheben höre ich wie die Bibliothekarin, welche mich auf das Schließen der Bibliothek aufmerksam gemacht hat, vom Treppenhaus kommt. Sie gibt ihrer Kollegin an der Rezeption Bescheid, dass sie hier den letzten Besucher hat.

 

Neugierig schaue ich nach, wer denn neben mir ebenso lange an diesem Ort verweilen kann. Geschockt stelle ich fest, dass es Benjamin ist. Ebenso überrumpelt erkennt er mich und hält sofort inne. Auch ich sehe mich, unfähig mich zu bewegen. Eine viel zu lange Zeit schauen wir uns einfach nur an. Erst die beiden Bibliotheksmitarbeiterinnen reißen uns ins Hier und Jetzt zurück.

 

Benjamins Blick festigt sich und mit strammen Schritt geht er an mir vorbei. Ich packe eilig meine Bücher und aus einem inneren Impuls heraus folge ich ihm.

 

„Warte!“, rufe ich dem davonlaufenden Rotschopf zu, als ich das Gebäude verlasse. Sofort stoppt er in seiner Bewegung, dreht sich jedoch nicht um.

 

„Was willst du?“, fragt er zitternd, mir immer noch den Rücken zugewandt. Vorsichtig gehe ich auf ihn zu. Hoffentlich verschrecke ich ihn nicht wieder.

 

„Mich entschuldigen“, sage ich ruhig.

 

„Kann ich drauf verzichten“, entgegnet er mir. „Lass mich einfach in Ruhe.“

 

„Benjamin…“, lege ich nun meine Hand auf seine Schulter. Sofort zuckt er merklich zusammen.

 

„Du kennst ja meinen Namen…“, scheint er wahrlich überrascht und dreht sich nun doch zu mir um. Ich zucke nur mit den Schultern und nicke ihm zu. Natürlich kenne ich seinen Namen. Ist ja nicht so, als ob ich nach unserem kleinen Vorfall nicht stundenlang mit Lisa alles bequatschen musste. Das sage ich ihm natürlich nicht. Er würde es sicher nur wieder missverstehen.

 

Doch jetzt habe ich erst einmal seine Aufmerksamkeit. Also darf ich es nicht verbocken.

 

„Also nochmal… tut mir leid“, quengle ich hervor. Ein Freund großer Worte bin ich wahrlich nicht. Tiefschürfende Entschuldigungen sind erst recht nicht meine Stärke. Benjamin entspannt sich etwas. Ich nehme die Hand von seiner Schulter und hoffe, dass sich das Thema damit gegessen hat.

 

„Okay… angenommen“, lächelt er mich nun sacht an. Auch ein wenig Glanz ist wieder in seine grünen Augen eingekehrt.

 

„Fein“, lache ich. Jetzt muss ich ihn nur noch überzeugen, mir bei meiner Hausarbeit zu helfen. Zögernd schaut Benjamin mich an. Anscheinend wartet er noch auf eine Reaktion. Vielleicht hat er auch das Gefühl, dass noch etwas von mir kommt. Feinfühliger kleiner Rotschopf. Also gut, dann einfach frei heraus: „Kannst du mir bei was helfen?“

 

„Was denn?“, wirkt er nun sichtlich überrascht.

 

„Ich habe da so eine Hausarbeit und keine Ahnung von dem Thema“, gestehe ich kleinlaut. Schwächen zuzugeben ist ebenfalls keine von meinen Stärken.

 

„Bei welchem Thema könnte ICH dir denn bitte helfen?“, scheint seine Verwunderung noch größer zu werden. Wie er mich mit seinen großen Augen anschaut, schon irgendwie süß der Kleine.

Verlegen krame ich meine Tasche hervor und öffne sie einen Spalt breit, damit Benjamin hineinschauen kann. Zögerlich blickt er auf meine Bücher, welche ich mir eben in der Bibliothek ausgeliehen habe.

 

„Hast du dich deswegen bei mir entschuldigt?“, schlägt seine Überraschung in Skepsis um, nachdem er die Titel gelesen hat.

 

„Auch…“, gebe ich kleinlaut zu, „…hätte die Arbeit aber so oder so schreiben müssen.“

 

Benjamin seufzt genervt aus, als ob er über seine Worte welche er gleich sagen wird, wenig begeistert sein wird. „Wie kann ich dir helfen?“

 

„Kannst du mir ein paar Dinge erklären? Habe Fragen…“, meine ich.

 

„Was denn so für Fragen?“, wirkt Benjamin ein wenig neugierig.

 

„Willst du das hier wissen?“, finde ich den Bordstein vor der Bibliothek nicht gerade einen passenden Ort für solche Gespräche.

 

„Gib mir ein Beispiel. Wenn deine Frage gut ist, helfe ich dir. Ist es eine bekloppte Frage, kannst du alleine dahinterkommen“, lockt er mich mit seiner Bedingung.

 

Angestrengt denke ich nach. Woher soll ich bitte wissen, ob meine Frage eine gute oder blöde Frage ist? Verdammt. Einer spontanen Eingebung heraus antworte ich: „Warum mögen manche Schwule Heteros nicht?“

 

„Wie kommst du auf sowas?“, mit so einer Frage scheint Benjamin nicht gerechnet zu haben.

 

Ich zucke mit den Schultern: „War so ein Gefühl, nachdem ich das eine Buch hier durchgearbeitet habe.“

 

„Naja von nicht mögen kann nicht die Rede sein. Es ist kompliziert“, entkommt es leicht gequält aus seinem Mund.

 

„Aha“, gebe ich mit einem Unterton in der Stimme wieder, welcher andeuten soll, dass ich keine Ahnung habe was er damit meint.

 

„Okay ich helfe dir. Aber nur unter zwei Bedingungen!“, fordert Benjamin. Fragend schaue ich ihn an. „Erstens du stößt mich nicht wieder auf den harten Boden…“

 

„…, wenn du mich nicht wieder überfällst“, unterbreche ich ihn sofort.

 

„Und zweitens zeige ich dir was es damit auf sich hat. Dann kannst du dir deinen eigenen Eindruck machen.“

 

Ist mir eh lieber. Was zu beobachten oder zu machen, ist tausend Mal besser als so ein schnödes Buch abzugeben.

 

„Abgemacht!“, halte ich ihm meine Hand zum besiegeln hin.

 

Zögernd nimmt Benjamin diese und schlägt ein. So ganz traut er mir anscheinend immer noch nicht über den Weg. Naja, das werde ich schon ändern.

Kapitel 4 – Benjamin

Angespannt warte ich auf einer Bank im Park. Der Tag ist sonnig, das Gras ist grün und ein lauer Wind liegt in der Luft. Der perfekte Ort für mein kleines Projekt. Doch ob ich mir das alles wohl überlegt habe, weiß ich nicht. Eigentlich war es eher eine Schnapsidee. Ich wollte Bruno doch nur ein wenig reizen. Schauen, ob er es auch ernst meint.

 

Die Gerüchte sind ja nicht vollkommen an mir vorbei gegangen. Eigentlich war es ja auch nicht mal seine Schuld. Ich habe mich ihm aus dem Affekt heraus an den Hals geworfen. Seine Reaktion war vielleicht ein wenig hart und unüberlegt, aber böse war ich eigentlich nicht. Es war auch nur halb so schlimm. Ein paar Prellungen und blaue Flecken. Nach einer Woche war die Sache eigentlich schon wieder gegessen. Ab und an bekomme ich noch etwas Kopfschmerzen und mein Rücken zieht hier und da noch etwas. Doch mein Arzt sagt, dass es keine Folgeschäden gibt und ich in ein paar Tagen so gut wie neu bin.

 

Während ich mir noch etwas über den Rücken reibe, sehe ich Bruno. Er sieht verdammt sexy aus. Eine enge ausgewaschene Jeans, ein schnittiges weißes Shirt und diese Augen. Verdammt, aber selbst, dass er so grob zu mir gewesen ist, hat seine Wirkung auf mich nicht geschmälert. In der Hand trägt er zwei Kaffeebecher und an seiner Seite hängt locker eine Tasche.

 

„Hey“, begrüßt er mich mit einem kecken lächeln. Ich erwidere den Gruß und bitte ihn sich neben mich zu setzen. Bruno nimmt die Einladung an und lässt sich auf der Bank nieder. „Ich wusste nicht, wie du deinen Kaffee magst…“

 

„Mit Milch und ohne Zucker“, falle ich ihm ins Wort.

 

„Perfekt.“, erwidert er gelassen und reicht mir einen der beiden Becher.

 

„Danke“, murmle ich, freue mich aber innerlich sehr über diese kleine Geste.

 

„Also was machen wir hier?“, will er ohne lange Rede wissen und nippt an seinem Kaffee.

 

Ich trinke ebenfalls einen Schluck von dem Heißgetränk und deute dann auf ein Pärchen, welches uns gegenüber auf der Wiese liegt. Er hält sie fest im Arm. Sie presst ihre Nase an seinen Hals und schmust zärtlich mit ihm. Sie schauen sich ein wenig verliebt an und dann beginnen sie sich zärtlich, aber innig zu küssen.

 

Bruno schaut mich fragend an. Anscheinend weiß er nicht, warum ich gerade auf das Pärchen gezeigt habe. Für ihn ist das die normalste Sache der Welt. Ist es ja auch. Doch genauso normal ist, wenn sich zwei Männer oder zwei Frauen küssen.

 

„Ein normales Pärchen, was sich küsst“, sage ich ihm. Bruno nickt immer noch rätselnd, was ich meine. „Und jetzt küss mich.“

 

„Was?“, weiten sich seine Augen geschockt.

 

„Küss mich genauso, wie die beiden sich küssen“, werde ich etwas deutlicher.

 

„Wieso?“, zieht er seine Augenbrauen zusammen und leichte Falten legen sich auf seine Stirn.

 

„Tu es einfach. Ist ja nicht so, als ob es das erste Mal wäre“, versuche ich zu lächeln, merke aber wie gequält es aussehen mag.

 

„Du springst mich aber nicht wieder an“, fordert Bruno zu seiner Absicherung. Ich pruste los, weil die Vorstellung gerade so witzig in meinem Kopf aussieht. „Was ist so witzig?“

 

„Nichts…“, fange ich mich wieder. „Willst du jetzt nun was lernen oder nicht?“

 

Bruno schnauft, doch gibt sich einen Ruck. Seine freie Hand wandert an meinen Nacken. Bestimmt, aber vorsichtig zieht er mich an sich. Sein frischer Duft steigt mir in die Nase und auch wenn ich eigentlich wissen sollte, dass dieser Mann doch eh nie etwas von mir will, versuche ich den Moment zu genießen. Kurz bevor sich unsere Münder berühren, schließe ich die Augen. Und dann ist es soweit. Seine Lippen streichen über meine und schon jagen mir lauter kleine Stromstöße durch den Körper. Auch Bruno scheint nicht unberührt zu bleiben, denn er verstärkt seinen Griff an meinem Nacken und öffnet seine Lippen. Dem werde ich sicher nichts entgegensetzen und tue es ihm brav gleich. Seine Zunge schnellt hervor und sucht nach meiner. Auch ich werde etwas mutiger und komme ihm entgegen. Er schmeckt so gut. Nach Kaffee und seiner ganz eigenen Note. Zärtlich umspielen sich unsere Münder und ich fühle mich wie berauscht. Das soll bitte nie zu Ende gehen.

 

Erst jetzt realisiere ich, dass ich mich in Bruno doch stärker verliebt habe, als mir zuvor bewusst war. Ja, ich fand ihn schon immer reizvoll, auch wenn er mich nie mitbekommen hat. Auch dieser eine Kuss auf der Party war für mich sehr erregend und die Überreaktion meinerseits letzte Woche war auch ein deutliches Zeichen. Aber nun muss ich mir es doch eingestehen.

 

Bevor ich in mein Unglück renne, sollte ich die Sache mit Bruno vielleicht wirklich unterbinden. Diese Aktion jetzt gerade war echt eine blöde Idee von mir. Also überwinde ich mich von ihm abzulassen. Bruno schaut mich an, doch aus seinem Gesicht ist keine Emotion abzulesen. Also versuche ich zum eigentlichen Thema zurückzukehren.

 

„Und jetzt schau dich um“, deute ich ihn auf die vielen Gesichter in unserem Umfeld. Sie starren uns an.

 

„Warum glotzen die alle so?“, scheint es Bruno auch aufgefallen zu sein.

 

„Weil sich gerade zwei Männer geküsst haben“, erkläre ich. „Für alle ist es normal, wenn sich ein Junge und ein Mädchen küssen. Doch wenn zwei Männer Zärtlichkeiten austauschen, ist dies abnormal. Manche schwule sind daher eifersüchtig oder zornig, weil die Gesellschaft Heterosexuelle als normal einfach akzeptiert und Homosexualität für so ein Aufsehen sorgt. Verstehst du das?“

 

Bruno nickt. Anscheinend hat er es verstanden. Doch mich hat diese Aktion mehr aufgewühlt als mir lieb ist.

 

„Gut“, presse ich hervor, weil das Gefühl in mir aufkommt, dass mir gleich die Tränen kommen. Hinter meinen Augen brennt es schon verräterisch. Schleunigst erhebe ich mich von der Bank und wende mich ab. „Dann noch viel Erfolg bei deiner Arbeit. Mach’s gut.“

 

Darauf laufe ich los. Hinter mir höre ich noch Bruno nach meinem Namen rufen. Seine Verwunderung klingt eindeutig an mein Trommelfell. Ich weiß, dass es nicht die feine Art ist. Doch glaube ich, dass ich ihn nur noch überfordern würde, wenn meine Gefühle ausbrechen. Und das hat er sicher nicht verdient. Bruno soll unbeschwert weitermachen können und sich nicht ständig um mich Sorgen machen müssen. Er soll sich nicht unbehaglich in meiner Gegenwart fühlen, nur weil ich ihm sagen muss, dass ich mich in ihn verliebt habe.

 

Außerdem werde ich morgen mit Lisa sprechen. Sie soll erfahren, dass Bruno kein homophober Schläger ist, dass die Sache gegessen ist. Dann soll sie es auch weitersagen. Diese Gerüchte über ihn sind mir nämlich genauso unangenehm. So im Mittelpunkt – als Opfer – zu stehen, finde ich nämlich überhaupt nicht toll. Und dann hat sich hoffentlich die Sache ein für alle Mal gegessen.

Kapitel 5 – Bruno

Es war nicht leicht, aber nach einer Woche intensiver Mühe habe ich meine Strafarbeit fertig. Dabei war die Aktion von Benjamin schon eine große Hilfe für meine Recherche, doch sogleich auch für mich persönlich eine Tortur. Natürlich konnte ich mich nach unserem öffentlichen Auftritt besser in einen Homosexuellen einfühlen, doch für meinen Geschmack kam mir dieses Thema zu nah.

 

Schon die ganze Woche musste ich – wenn ich nicht gerade an der Arbeit saß – an Benjamin denken. Unseren Kuss und auch die anderen Küsse vorher. Auch wenn ich es nicht wollte, meine Zuneigung stieg. Dabei konnte ich mir eine Beziehung zu einem Typen doch noch nie vorstellen. Ich stand doch schon immer auf Frauen!

 

Und jetzt?

 

Jetzt bin ich auf dem Weg zum Briefkasten der Rektorin um meine Hausarbeit einzuwerfen. Überall halte ich Ausschau, ob mir zufällig Benjamin über den Weg läuft. Doch nirgends kann ich ihn ausfindig machen. Dabei entgehen mir natürlich nicht die Blicke der anderen Studenten. Die Gerüchteküche scheint immer noch geöffnet zu sein und ich stehe auf dem Speiseplan ganz oben.

 

Seufzend erreiche ich den Briefkasten und werde meine Arbeit in den Schlitz. Da es Freitag ist und ich heute keine Vorlesungen mehr habe, entscheide ich mich den Campus zu verlassen und mich auf den Weg zu machen. Meine nächste Vorgehensweise habe ich mir bereits die ganze Woche überlegt.

 

Wenn es meinen Körper und Geist nach einem Typen verlangt, dann werde ich dem nachgeben. Gegen Schwule hatte ich ja nun noch nie was, da werde ich nicht anfangen damit, nur weil ich selber schwul sein könnte. Mit so einer Art von Selbsthass werde ich erst gar nicht anfangen.

 

Also gehe ich zielstrebig zur Bahnhaltestelle und steige in die passende Linie. Natürlich habe ich über Umwege – Eric und Lisa – die Adresse von Benjamin rausbekommen. Er wohnt in einem Studentenwohnheim ganz in der Näher der Uni.

 

Vier Stationen weiter erreiche ich mein Ziel und suche das passende Gebäude. Schnell werde ich fündig und nutze die Gelegenheit, dass gerade zwei Mädels das Haus verlassen, und schlüpfe durch die Eingangstür. Nun muss ich nur noch die Wohnung finden. Zum Glück konnte ich sogar die Wohnungsnummer aus Eric und Lisa rauskitzeln.

 

Mit dem alten knatternden Fahrstuhl fahre ich in den fünften Stock. Eine kleine Runderneuerung für den Lift wäre vielleicht nicht verkehrt. Runter laufe ich auf jeden Fall. Aber jetzt gehe ich erst einmal zur Wohnung mit der Nummer 513. Ich hole erst noch einmal tief Luft und beim Ausatmen klopfe ich an die Tür. Es dauert nicht lange und mir wird aufgetan. Doch schaut mich jetzt kein kleiner Rotschopf mit grünen Augen an, sondern ein Mädel, welches mir auch noch von der Party im Gedächtnis geblieben ist: Kathleen.

 

„Was machst du denn hier?“, fährt sie sich wirsch durchs Haar.

 

„Ich wollte zu Benjamin“, gebe ich ebenso verdutzt wieder.

 

„Der ist in seinem Zimmer“, gibt Kathleen preis. Aha. So wird ein Schuh draus. Der Kreis schließt sich. Benjamin und Kathleen sind Mitbewohner, Kathleen und Lisa in einem Kurs, Lisa und Eric stehen aufeinander und ich bin Erics Kumpel. Schon interessant, wenn man die Verbindungen durchschaut.

 

„Kann ich ihn sehen?“, frage ich direkt heraus.

 

„Ich weiß nicht…“, wird Kathleen vorsichtig. Anscheinend ist auch an ihr nicht vorbeigegangen, was so über mich im Umlauf ist.

 

„Ich tue ihm schon nichts“, fange ich an mit meiner Überzeugungsarbeit. „Schau mal. Die Adresse habe ich von Eric und Lisa und wenn die beiden überzeugt gewesen wären, dass ich Benjamin was antue, hätten sie mir doch nie die Adresse und die Wohnungsnummer gegeben.“

 

Kathleen scheint kurz über mein Argument nachzudenken und entscheidet mir zu glauben, denn ich werde reingelassen. In dem kleinen Flur frage ich noch, welches Zimmer Benjamins ist und nach einer Deutung von Kathleen stehe ich auch schon vor seiner Tür. Einmal klopfe ich an und drücke dann auch schon die Klinke runter. Eine Antwort warte ich gar nicht erst ab. Die Tür geht auf und während Benjamin mich beim Eintreten erkennt, stockt ihm der Atem. Er sitzt auf dem Bett mit einem Buch in der Hand.

 

„Hi“, Grüße ich einfach und unverblümt.

 

Benjamin blinzelt sich die Ungläubigkeit von den Augen und grüßt dann ebenso kurz zurück. Er wirkt total geschockt, verlegen aber auch etwas verwundert. Jedenfalls sehr schön diese Mischung, welche der Glanz in seinen grünen Augen wiedergibt.

 

Zielstrebig trete ich an sein Bett und lasse mich auf die Bettkante nieder. Nun drehe ich mich zu ihm um und sehe ihn an. Mein Bauch beginnt zu kribbeln. Automatisch denke ich an unsere Küsse und meine Lippen beginnen zu kribbeln.

 

„Was machst du hier?“, fragt mich der kleine Rotschopf.

 

„Hab meine Hausarbeit abgegeben“, gebe ich wieder.

 

„Das ist keine Antwort auf meine Frage“, kritisiert Benjamin sofort.

 

„Wollte mich für die kleine Lektion letzte Woche bedanken“, zucke ich mit den Schultern.

 

„Aha“, scheint er immer noch nicht zu wissen, dass ich wegen ihm hier bin. „Ähm… bitte.“

 

„Können wir den Stoff nochmal durchgehen?“, frage ich klar und deutlich mit einem Schmunzeln auf den Lippen. Vielleicht ein wenig plump der Spruch aber innerlich bin ich, bereits seitdem ich den Raum betreten habe, ein nervliches Bündel. Doch bei Benjamin scheint er sofort einzuschlagen. Nur leider nicht so, wie ich das will.

 

Er weitet die Augen und springt aus dem Bett: „Du willst was?“

 

„Nennen wir es Kussstudien“, lächle ich und zucke mit den Schultern.

 

„Versteh ich das richtig? Du willst…“, ruft er aus, doch wird prompt durch mich unterbrochen: „Du verstehst richtig.“

 

„Soll das heißen…?“, stammelt er etwas. „Aber ich denke...?“

 

„Denk nicht zu viel und komm endlich wieder her“, klopfe ich einladend auf die Matratze.

 

Wie in Trance folgt Benjamin meiner Einladung. Plötzlich sitzt er neben mir. Unsere Arme berühren sich. Ich mag es, doch möchte ich noch mehr. Aber eines muss ich noch loswerden.

 

„Benjamin, es tut mir wirklich leid, was da im Aufzug geschehen ist“, fange ich an. „Ich war verwirrt und überrascht.“

 

„Mir tut es auch leid. Ich war wütend und hätte dich nicht so überfallen sollen“, gibt auch er kleinlaut zu. Ich lächle zur Anerkennung.

 

„Oh man… du weiß ich bin kein Mann großer Worte“, kratze ich mir am Hinterkopf.

 

Benjamin lacht auf: „Ja das ist mir schon aufgefallen. Aber…?“

 

„Aber… ich bin nicht, beziehungsweise ich war nicht schwul oder wer weiß ob ich es überhaupt bin. Aber… ich mag dich und wenn es OK ist, würde ich es gerne probieren… mit dir… aber langsam…“, fange nun ich an nervös zu stammeln.

 

Benjamin legt seine Hand auf meine. Bestätigend nickt er mir zu. Sein Gesicht und seine Geste strahlen eine unendliche Wärme aus. Auch mich überkommt ein seltsam angenehmes Gefühl.

 

Ich lächle und kann dem Drang einfach nicht mehr wiederstehen. Meine freie Hand schleicht sich an seinen Nacken und zieht ihn an mich ran. Die andere verschränkt sich mit Benjamins Hand. Kaum dass sich unsere Lippen berühren, füllt sich mein Inneres mit Wärme und Geborgenheit. Gefühle, welche ich schon so lange ersehnt habe. Nur konnte ich nicht ahnen, dass sie mir mal ein anderer Mann beschert.

 

Vorsichtig umschlingen wir uns. Unsere Münder lassen nicht voneinander ab, sondern scheinen ihre Bemühungen zu intensivieren. Sacht lassen wir uns auf das Bett gleiten und aus Nö! Einfach Nö ist Ja! Einfach Ja! geworden.

 

ENDE

Nachwort

Mein Beitrag zum 39. Gay Romance Wettbewerb

 

Handlung, Personen, Orte, etc. sind fiktiv und daher frei erfunden.

Eventuelle Übereinstimmungen sind daher rein zufällig.

 

Kleine Unstimmigkeiten in Sachen realness bitte ich zu übersehen. Mir ist bewusst, dass man z.B. wegen einem Konflikt dieser Art nicht gleich exmatrikuliert wird. Die Geschichte wollte einfach so von mir geschrieben werden ;)

 

Im echten Leben gelten 3 Dinge immer:

 

Leben und leben lassen!

 

Handelt verantwortungsbewusst!

 

Seid offen und tolerant zueinander!

 

Danke für's lesen

 

Impressum

Texte: Rolf Weller
Bildmaterialien: 2018 Pixabay
Cover: Rolf Weller
Tag der Veröffentlichung: 26.05.2018

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /