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Kapitel 1 – Abiturient Jan

„Wenn die Wurzel aus Pi gleich der Summe aller Elemente von eine natürlichen Zahl und dessen Äquivalent …“, höre ich meinen Lehrer entfernt sagen.

 

Mein Blick gleitet aus dem Fenster. Es ist ein schöner Tag. Die Sonne scheint, die Blätter fallen von den Bäumen, der Himmel ist klar. Blau scheint es von oben, und unten, auf dem Boden, leuchten die bunten Blätter.

 

Im Großen und Ganzen ist es ein wunderschöner Herbsttag. Wenn da nicht dieser öde Schulstoff wäre.

Warum musste auch Frau Kräuser krank werden?, seufze ich gedankenverloren.

 

„Hey Jan, alles in Ordnung?“, flüstert mir Eva entgegen.

„Nein Eva, nichts ist in Ordnung“, gebe ich ihr zu verstehen.

 

„Wenn du drüber reden möchtest…“, fängt sie an.

„Nein möchte ich nicht“, unterbreche ich sie sogleich.

 

Sie kann mir sowieso nicht helfen. Nicht nachdem, was vor ein paar Monaten passiert ist.

 

Die unschöne Trennung von meinem Ex-Freund Christoph, den Hinterhalt mit seinem aktuellen Freund Tai, Tais Schlaganfall und meine ‚mehr schlecht als recht’ - Versöhnung mit den beiden. Seit dem habe ich auch nur noch spärlich mit beiden Kontakt.

 

Ist auch besser so. Was habe ich mir damals nur Gedacht. Die Zeit in den Sommerferien habe ich echt mal zum Nachdenken gebraucht. Über so viele Themen habe ich mir meinen Kopf zerbrochen.

 

Was ich will und wie ich mir mein Leben vorstelle, waren die größten Blasen, die sich in meinem Kopf gebildet haben.

Und immer bin ich nur zu einem Ergebnis gekommen: Coming-Out.

 

Ich muss mich outen. Mein Leben würde …einfacher. Doch eine innere Blockade hält mich ab.

 

Wenn ich mich an die gemeinsame Zeit mit Christoph zurück erinnere. Diese Heimlichtuerei war wirklich unzumutbar. Doch stoisch hat er es ertragen. Wie schmerzvoll muss es für ihn gewesen sein, wenn ich zum Beispiel seine Hand ignorierte, wenn wir im Park spazieren waren. Oder ich ihn als einen guten Kumpel vorstellte, wenn wir zufällig wen Bekanntes trafen.

 

Nicht mal seinen verdammten Wohnungsschlüssel wollte ich, weil ich Angst hatte, dass meine Eltern ihn finden würden.

 

Und so konnte ich mich nicht voll und ganz auf ihn einlassen. Ich hätte ihn lieben können, ich wollte ihn lieben, doch habe es nicht. Konnte es nicht, und dann ging es nicht mehr.

 

Außerdem hatte ich auch noch einen kleinen Fehltritt. Wie ich im Nachhinein erkannte, war das nur ein Werkzeug der Selbstsabotage. Es tut mir alles nur so ungemein leid, wie es gelaufen ist. Ich wünsche Christoph und Tai von ganzem Herzen alles Gute.

 

Mit eifersüchtigem Blick auf ihre Liebe, wünsche ich mir doch auch nur jemanden, mit dem ich so was haben kann. Aber das geht nur, wenn ich mich oute. Noch so ein Versteckspiel kann und will ich niemanden mehr zumuten.

Das steht fest.

 

„Und das Ergebnis ist wie? Jan?“, ruft mich Herr Kiesmer mit spöttischem Ton aus den Gedanken.

„x gleich 39 halbe“, flüstert mir Eva, die mein Dilemma natürlich heroische retten will.

„x gleich 39 halbe“, rufe ich Herrn Kiesmer entgegen.

 

„Richtige Antwort. Eva!“, wendet er sich an meine Sitznachbarin, „aber wenn du nicht ebenfalls auf Jans schulisches Niveau sinken willst, solltest du dich um DEINE Lernerfolge kümmern.“

„Ja, Herr Kiesmer“, ruft Eva ertappt.

 

„Trotzdem danke“, flüstere ich Eva entgegen.

„Kein Problem“, gibt sie zurück.

 

„Ich wünsche mir Frau Kräuser wieder zurück“, gebe ich wieder und schreibe schnell alles von der Tafel ab, was ich verpasst habe.

 

„Ich auch, aber sie ist leider krank. Also sehen wir sie vorläufig nicht wieder“, erinnert mich Eva und fängt dann an, die Aufgaben im Buch zu lösen.

 

 

Drei Unterrichtseinheiten später sitze ich in der Straßenbahn. Eine relativ neue Erfahrung für mich. Bis jetzt wurde ich immer von meinen Eltern abgeholt, aber über den Sommerferien wurden Schienen bis an meine Schule verlegt.

 

Was für ein Glück, stelle ich sarkastisch fest. Darauf hallt mir die Stimme meiner Mutter wieder ins Gedächtnis: Jan, du kannst kostenlos die öffentlichen Verkehrsmittel nutzen. Und außerdem wird der Sprit auch nicht günstiger.

 

Als ob sie sich über die Spritpreise Sorgen machen müssten. Mein Vater ist Architekt und dazu noch hochangesehenes Mitglied des Stadtrats. Meine Mutter hat ihr eigenes Kochstudio, gibt tagsüber Kurse und abends leitet sie ein erfolgreiches Restaurant.

 

Beide sind also erfolgreiche und angesehene Mitglieder unseres sozialen Umfelds. Ein Umfeld, welche Stricke so dünn erscheinen, dass nur der Laut ‚schwuler Sohn’ sie zum Reißen bringen würden.

 

Aber solange ich den Mund halte, ist diese Welt gut so wie sie ist. Nicht perfekt, aber sie läuft.

Es ist ja jetzt auch nicht so, als ob meine Eltern die schlechtesten der Welt sind. Sie lieben mich, und ich liebe sie. Ich möchte ihnen halt nur keine Scherereien machen.

 

Es könnte alles so einfach sein, ist es aber nicht, mit diesem Gedanken lasse ich mein Gesicht gegen die kalte Fensterscheibe nieder. Ein lauer Wind weht mir von hinten entgegen. Die Türen haben sich gerade geschlossen. Wie bei jeder Station verlassen ein paar Fahrgäste den Wagen und neue steigen hinzu. Der Lauf der Dinge. Der Wagon stellt das Leben von einem dar und bei jeder Station verlassen uns Menschen, und neue Gesichter steigen hinzu. Nie wissen wir, wie lang sie in unserer Bahn bleiben.

 

Wie philosophisch, verdreh ich innerlich meine Augen.

 

Aber das war ich schon immer irgendwie. Der stille Nachdenker. Der junge Grübler. Doch viele würden erschaudern, wenn einem die Gabe der Kontrolle entgleiten würde. Wenn alle das sagen würden, was sie denken, würde die Welt in ein Chaos ausbrechen. Oder?

 

Ich habe es doch gesehen, wie es war, als meine Beziehung mit Christoph zu Ende ging. Keine Ahnung, wie oder warum, aber für ein paar Sätze hatte ich mich nicht unter Kontrolle. Und binnen fünf oder weniger Minuten war alles aus.

 

Da kann man mal wieder sehen, was Worte für eine Macht besitzen. Ob geschrieben, oder gesprochen. Beides mächtige Instrumente unserer Gesellschaft. Und was machen wir damit? Wie benutzen sie, um anderen gegenüber grob zu sein. Natürlich nutzen wir unsere kommunikatorischen Hilfsmittel um unser Wissen, unserer Erfahrungen und unser Empfinden mit anderen Menschen zu teilen, aber im Affekt sind diese Buchstabenkombinationen doch nur eins: Werkzeuge zur Demut, Kontrolle und Überlegenheit.

 

Da ist es schon ganz gut, dass wir uns unseren eigenen Teil ‚nur’ denken.

 

„Die Fahrkarte bitte“, höre ich dumpf die Stimme eines Mannes gegen mein Innenohr prasseln.

Ich schrecke aus meinen Gedanken und fahre mein Gesicht ruckartig nach Oben. Die Stimme, welche ich gerade vernommen habe gehört einem Straßenbahnkontrolleur.

 

Einem verflucht attraktiven Straßenbahnkontrolleur.

 

Direkt blicke ich in seine haselnussbraunen Augen. Sie blicken direkt in meine. Eine schmale Nase und dunkle, schmale Lippen warten auf eine Antwort von mir. Doch auch sein gut geschnittener Vollbart macht mein Denkvermögen sehr schwer.

 

Zaghaft blinzle ich ihn an, in meinem Kopf bin ich am Sabbern. Wer war nochmal dieser Christoph?

 

„Die Fahrkarten, junger Mann!“, schallt es nun etwas schärfer an mein Ohr.

„Oh ja, entschuldigen Sie“, stammle ich ihm entgegen und fange an meine Tasche zu durchsuchen.

 

Junger Mann? Der ist doch nicht viel älter als ich, stelle ich im Inneren fest.

„Hier bitte“, halte ich ihm meinen Schülerausweis entgegen. In diesem ist ein Aufdruck enthalten, der mir das kostenlose Bahnfahren bestätigt.

 

„Danke“, sagt mein Traum in Uniform mit tiefer Stimme und reicht mir das Stückchen Papier wieder zurück. Seinen leicht genervten Unterton ignoriere ich großzügig, immerhin hat er mir Stoff für meine einsamen Nächte besorgt.

 

Ich nehme meinen Ausweis wieder an mich und Mr. Sexy Kontrolleur geht weiter. Dabei kann ich noch einen guten Blick auf seine prallen Pobacken erwischen. Zugegeben, die gut gefütterte Uniformhose polstert seinen Hintern etwas, aber ich bin mir sicher, dass dieses Packet, was sich da gerade abzeichnet, nicht zu viel verspricht.

 

Nach viel zu kurzen Minuten hält die Bahn erneut und mein Traum in dunkelblauer Kontrolleursuniform verschwindet wieder aus meinem Leben.

Kapitel 2 – Blütenzauber Grün

 

Weiter frustriert von meinem Leben mache ich mich auf den Weg nach Hause. Von der Bahnhaltestelle bis zu meinem Heim, sind es nur noch ein paar Minuten. Also schlendere ich den Gehweg entlang. An den Seiten stehen alles Einfamilienhäuser. Wir wohnen in einer guten gegen. Hier residieren die Reichen und Schönen. Natürlich zählen wir auch dazu.

 

Zaun an Zaun reihen sich die Grundstücke aneinander. Dahinter kann man die großen und grünen Vorgärten sehen, die von den Angestellten gepflegt werden.

 

Weiß bepflasterte Einfahrten, die zu großen und mächtigen Häusern führen. Alles in allem kann man den Luxus sehen, fühlen und sogar riechen.

 

Oft ist es mir peinlich hier zu wohnen. In meiner Klasse bin ich der einzige, der in dieser Gegend wohnt. Natürlich hat dieser Luxus auch seine Vorteile. Immerhin gehe ich durch mein Leben ohne irgendwo anzuecken. Weder mit Mobbing muss ich mich rumschlagen und auch an Freunden fehlt es mir nicht. Ein paar wenige wahre sind auch dabei. Jedenfalls denke ich das. Darüber mache ich mir wenig Sorgen. Mein Leben könnte besser nicht sein, wenn es da nicht diese eine Sache gäbe.

 

Wenn ich doch nur den Mund aufmachen könnte.

Wenn ich mich doch nur Trauen würde.

 

Noch immer Enttäuscht von allem und jeden schlendere ich nun meine Einfahrt hinein. Das Tor ist Code-gesichert. Also gebe ich die vierstellige Kombination in das Tastenfeld ein.

 

Mit einem Klicken öffnet sich die weiße Eisentür und ich trete hinein. Ein paar Meter gehe ich auf dem weißen Mamorweg und schon erreiche ich meine Eingangstür. Auch hier ist die richtige Kombination gefragt. Erneut drücke ich vier Zahlen in eine Vorrichtung, dann entsperrt sich auch die Haustür.

 

Meine Eltern brauche ich nicht zu rufen. Sie sind kaum hier, Mein Vater eher Abends und meine Mutter meist morgens. Sollten sie doch einmal zusammen Zeit finden gehen sie gern mal in die Oper oder Theater oder Galas oder Benefizveranstaltungen oder was weiß ich.

 

Manchmal fragen sie, ob ich sie begleiten mag, aber die Lust auf dieses vornehmliche Getue geht mir gehörig gegen den Strich. Meinen Eltern aber nicht. Ich mein, sie sind gute Eltern und versuchen ihr bestes. Ich mache ihnen keine Vorwürfe. Sie arbeiten für ihr Geld und sind gute Menschen. Nett, höflich und Zuvorkommend.

 

Vielleicht mach ich mir wirklich den Stress selber? Vielleicht denke ich einfach Falsch.

Vielleicht sage ich es ihnen heute Abend einfach.

 

Aber ich weiß ganz genau, dass ich es nicht machen werde. Der Tag wird erneut zu Ende gehen und ich werde mein Geheimnis für einen weiteren Tag mit mir rumschleppen.

 

Ach wenn ich wenigstens nicht Christoph verloren hätte. Er war meine Zuflucht.

„Jan bist du das?“, höre ich die Stimme unseres Hausmädchens.

 

„Ja Ella. Ich bin es“, rufe ich ihr entgegen. Die Bezeichnung Hausdame wär vielleicht passender. Immerhin ist sie mit ihren 48 Jahren älter als meine Mutter. Aber der Ausdruck Hausmädchen schmeichelt ihr mehr. Immerhin sieht sie auch gar nicht aus wie 48.

 

„Soll ich dir was zu essen machen?“, ruft sie weiter aus der Küche.

„Ja, danke. Das wär nett“, entgegne ich ihr.

 

„Ich bring es dir gleich ins Zimmer“, erklärt sie mir.

 

Darauf ziehe ich mir die Schuhe und Jacke vom Leib, schnappe mir meinen Rucksack und gehe nach Oben. Im zweiten Obergeschoss habe ich mein Reich. Alles meins. Ein großes Zimmer und ein eigenes, kleines Bad sogar.

 

Ich gehe in mein Reich, lege meinen Rucksack ab und setzte mich an meinen Schreibtisch. Mit einem leichten Druck auf den Computertower fahre ich den Rechner hoch.

 

Immerhin muss ich einen Vortrag in Geschichte vorbereiten und das Internet ist die beste Quelle dazu.

Kaum ist der PC endlich oben, klopft es an meine Tür.

 

„Komm rein“, rufe ich und darauf öffnet Ella die Tür.

„Hier dein Snack“, lächelt mich die nette Frau, welche schon ein richtiger Teil unserer Familie ist, an.

„Danke Ella, du bist die beste“, bedanke ich mich, darauf stellt sie das Tablett auf meinem Tisch ab.

 

Ella geht aus dem Zimmer. Ich gebe schnell das Passwort für meinen Computer ein und gehe dann zur Couch. Nachdem ich mich auf der weichen Polsterung niedergelassen habe, begutachte ich das Mitbringsel. Es befinden sich ein kleiner Teller mit einem Käsesandwich und eine kleines Glas mit einer einzelnen Blume darin.

 

Die Pflanze sagt mir so gar nichts, aber ihre grüne Farbe schimmert schön im Sonnenlicht, welches durch mein großes Fenster auf meinen Schreibtisch fällt.

 

Beherzt greife ich mir das Sandwich und beiße genüsslich hinein.

„Mhh“, reibe ich mir den Bauch. Den kleinen Klecks Remouladensoße, den Ella mir immer auf das Toastbrot macht, schmeckt einfach gut.

 

Gierig schlinge ich das belegte Weißbrot hinunter. Dank des zusätzlichen ‚gesunden‘ Belags, bestehend aus Gurken und Salat, ganz ohne schlechten Gewissen. Ella weiß einfach wie man gesundes Essen gut verpackt.

Leider war das Brot doch etwas trocken, sodass in mir ein Wunsch nach Flüssigkeit, für meine trockene Kehle, geweckt wird.

 

Doch weit und breit sehe ich kein Trinken.

 

Komisch, sonst habe ich doch immer eine Flasche Saft in meinem Zimmer rumstehen, wundere ich mich stark.

 

Ach was soll‘s, denke ich mir und nehme das Glas, in der die Blume steckt in die Hand. Das Wasser darin sieht ganz gut aus und durch einen kleinen Blumenstängel wird es auch nicht stark vergiftet sein.

 

Also greife ich mir beherzt die Blüte um sie zu entfernen. Meine Faust umschließt stark die Blütenblätter und ich nehme einen beherzten Schluck aus dem Glas.

 

Nachdem ich das ganze Wasser in meinen Mund fließen lassen habe, stelle ich das nun leere Glas zurück auf das Tablet. Die Blume will ich nun wegschmeißen und führe deswegen meine Hand über den Mülleimer. Meine Faust öffnet sich und da fallen schon schwarze Staubkörner heraus. Die ganze grüne Blüte scheint binnen Sekunden verdorrt zu sein. trockne, dunkle Asche rieselt aus meiner Hand, direkt in den Eimer.

 

Plötzlich halten die Partikel mitten im Flug inne. Für einen kurzen Moment scheinen sie zu schweben. Ich traue meinen Augen kaum. Dann fliegen sie auch schon direkt auf mich zu. Umfliegen meinen Körper. Alles wirbelt wild um her.

 

Wie gebannt beobachte ich das Schauspiel. Dann fangen die schwarzen Teile an, grünlich zu glitzern und schon schweben sie auf mich zu. Bedecken meinen Körper mit grünem Glitzerpuder. Durch den Stoff meiner Kleidung dringen sie auf meine Haut. Und dann in mich ein. Meine Körperoberfläche scheint alles in sich aufzunehmen. Darauf fange ich an von innen zu leuchten, ja förmlich zu strahlen. Bis sich das Licht anfängt in meiner Hand zu sammeln. Ob hundert LED-Lampen in meiner Hand versteckt wären.

 

Geblendet erstrahlt das Licht heller und presst sich in einer Form. Eine runde Form, die sich wie ein großer Tropfen aus meiner Handfläche nach oben drückt. Dann wird es fest und als das Leuchten erlischt, verfestigt sich die Masse und hinterlässt eine kleine, gläserne Kugel.

 

Erstaunt über den Vorgang kann ich nicht meinen Blick von der Sphäre lasse. Da erkenne ich einen Klecks dunklen Rauch darin. Mit in Falten gelegter Stirn nähere ich mich der Murmel. Je näher ich komme, umso deutlicher scheint sich in den Nebelschwaden etwas abzugrenzen. Der Rauch zieht sich zusammen und bildet Formen. Kleine, aber feine Linien formieren sich. Als ich fast die Kugel mit der Nase berühren kann, erkenne ich die schwarzen Buchstaben, welche in der Kugel schweben.

 

Sie fliegen in einer Art Schwerelosigkeit herum und formieren sich. Nachdem sich Letter um Letter aneinander bindet, kann ich endlich eine ominöse Botschaft lesen:

 

Denkst dir deinen Teil, anstatt es auszusprechen.

Doch ab jetzt wird man deine Gedanken hören.

Routine und Zurückhaltung musst du durchbrechen,

bis die Kugel entscheidet mit dem Zauber aufzuhören.

 

„Was soll das denn heißen?“, frage ich mich in Gedanken. Doch Moment. Der Satz hat sich gar nicht so angehört, als ob er in meinem Kopf wär. Eher in meinen Ohren hat es geklungen.

 

„Oh mein Gott“, flüstere ich, obwohl ich es nur denken wollte. Das kommt mir alles so bekannt vor. Da war doch schon einmal etwas, was mich dazu veranlasste Dinge zu sagen, die ich gar nicht wollte. Schlagartig kommt mir Christoph in den Sinn.

 

So hatte doch unsere Beziehung geendet.

 

„Verdammt“, fluche ich. Eigentlich hatte ich damit ja abgeschlossen, aber er ist vielleicht der Einzige der mir bei dieser Sache noch helfen kann.

 

Rasch stecke ich die Kugel ein, fahre den Computer wieder runter, schnappe mir meine Jacke und renne eilig runter zur Tür.

 

„Wo willst du hin?“, höre ich Ella noch rufen, aber da knalle ich auch schon die Tür zu und verlasse fluchtartig das Anwesen.

Kapitel 3 - Erklärung

 

Zu Christoph nach Hause führt leider nur der Bus. Das Straßenbahnliniennetz ist noch nicht bis zu ihm durchgedrungen. Angespannt warte ich an der Bushaltestelle. Laut Fahrplan soll in weniger als fünf Minuten der nächste Bus kommen. Dass sich aber fünf Minuten wie fünf Stunden anfühlen können, konnte ich ja nicht wissen.

 

Nervös schaue ich auf die Uhr, laufe hin und her, wackle ungeduldig mit dem Fuß und wiederhole die ganze Prozedur, bis endlich nach einer gefühlten Ewigkeit endlich der Bus in Sichtweite kommt.

 

Erleichtert seufze ich auf. Doch der Bus scheint in Zeitlupe zu fahren. Endlich erreicht er die Haltestelle. Ein leises Quietschen der Bremsen kündigt das Halten des Fahrzeuges an. Mit einem kurzen Zischen öffnen sich die Türen. Ich eile hinein, presse mich auf den ersten freien Sitz, den ich erspähen kann und murmle: „Wurde auch langsam mal Zeit.“

 

Eine ältere Dame, die in meiner Nähe sitzt, sieht mich argwöhnisch an. Ich verdrehe die Augen und richte meinen Blick aus dem Fenster.

 

Ein erneutes Zischen der Türen signalisiert ihr schließen. Gleich darauf fährt der Bus auch schon los.

 

 

25 Minuten und einen Linienwechsel später stehe ich vor Christoph seiner Haustür.

 

„Scheiße, ich hätte mich vielleicht anmelden sollen“, geht mir durch den Kopf, aber natürlich auch durch meinen Mund.

 

Dieses kleine Detail erinnert mich wieder daran, warum ich hier bin.

 

Also suche ich das Namenschild, welches ich seit Monaten nicht mehr zu Gesicht bekommen habe. Schnell werde ich fündig und drücke darauf. Schon komisch, wie vertraut es wirkt.

 

„Ja?“, erklingt blechern Christophs Stimme aus der Gegensprechanlage.

„Ich bin es, Jan“, gebe ich ihm zu verstehen.

 

„Jan?“, ertönt es klanglich überrascht, „Was willst du denn hier?“

„Lässt du mich rein?“, frage ich vorsichtig.

 

„Eigentlich passt es gerade weniger“, höre ich.

„Christoph es ist wichtig. Bitte“, flehe ich.

 

„Mhm… also gut“, erhört er mein Flehen. Gleich darauf ertönt der Summer der Tür und ich trete in den Flur.

„Hier hat sich gar nicht viel verändert“, stelle ich leise fest.

 

Nach ein paar Treppenstufen erreiche ich die Wohnung. Christoph wartet schon an der Tür auf mich.

„Also was gibt es so wichtiges?“, kommt Christoph gleich zur Sache.

 

„Charmant wie eh und je“, entkommt mir der pure Sarkasmus meinen Lippen, welcher eigentlich nur für meinen Kopf gedacht war.

 

„Hey, du bist doch zu mir gekommen, aber wenn du mir schon so kommst, dann…“, fängt Christoph an die Tür zu schließen.

 

„Nein warte“, halte ich ihn zurück, „entschuldige.“

 

„Na gut. Aber jetzt sag schon, was ist“, wird er eindringlicher.

 

Ich greife in meine Hosentasche, hole die Kugel zum Vorschein und halte sie Christoph unter die Nase: „Das hier!“

Christoph kneift die Augen zusammen, runzelt die Stirn, doch dann klärt sich sein Blick und er fängt an lauthals zu Lachen.

 

„Was ist denn da bitte so lustig?“, frage ich verärgert, weil ich am Rande der Verzweiflung stehe.

„Weißt du eigentlich was du da hast?“, fragt Christoph zurück, als er sich wieder fängt.

 

„Wenn ich es wüsste, wär ich dann hier? Ich weiß nur, dass es was mit mir gemacht hat und mit mir etwas nicht stimmt. Und das letzte Mal, als etwas nicht mit mir gestimmt hat … naja das weißt du ja“, werde ich leiser.

Christoph wischt sich eine Lachträne weg und öffnet nun ganz die Tür.

 

„Ja, das weiß ich, nur zu gut“, wird er seltsam melancholisch und winkt mich in die Wohnung, „komm rein.“

Ich trete ein. In eine leere Wohnung, mit weißen Wänden.

 

„Das letzte Mal, wo ich hier war, hattest du aber mehr Möbel“, stelle ich fest.

„Könnte daran liegen, dass ich am Umziehen bin. Tai und ich ziehen zusammen“, erklärt mir Christoph.

„Das freut mich. Wie geht es Tai denn?“, will ich ehrlich wissen.

 

„Sehr gut, danke der Nachfrage“, bekomme ich zu hören, „ich würde dir ja einen Kaffee anbieten, aber wie du siehst, ist hier nichts mehr.“

 

Christoph zeigt mir eine leere Küche, ein leeres Wohnzimmer und das leere Schlafzimmer. Ein wenig nachdenklich stimmt mich das alles schon. Immerhin bin ich hier auch längere Zeit ein und ausgegangen. Außerdem war ja nicht alles schlecht, in unserer Beziehung.

 

„Wir hatten auch schöne Zeiten“, murmle ich.

„Was hast du gesagt?“, fragt Christoph nach.

 

„Nicht so wichtig“, weiche ich ab.

„Ok, jedenfalls hast du Glück, dass du mich antriffst. Ich bin nur hier, um dem Hausmeister die Schlüssel zu bringen. Einen Tag später und du hättest nicht so viel Glück gehabt“, erklärt mir Christoph.

 

„Muss ja mein Glückstag sein“, flüstere ich, „also was ist das?“

„Das mein lieber Jan, ist eine Prophezeiungskugel. Da schein jemand eine Blume angefasst zu haben, die er lieber nicht berührt hätte“, lächelt mich Christoph wissend an.

 

„Ja stimmt. Und dann…“, sage ich.

„… ist sie zu Staub geworden, der ist dir um die Ohren geflogen, ist in dich eingezogen, du hast geleuchtet und dann erschien in gleißendem Licht diese Kugel in deiner Hand“, vollendet Christoph meinen Satz.

 

„Ja, woher weißt du das alles?“, will ich wissen.

 

„Weil mir das Gleiche passiert ist. Weißt du noch wie ich wollte, dass du mir die Wahrheit sagst? Das war meine Fähigkeit oder Gabe oder wie du es nennen willst. Ich weiß auch noch ganz genau, was in meiner Prophezeiungskugel stand: ‚Scheinst Glücklich zu sein, in deinem Leben. Und keinen deiner Mitmenschen zu hinterfragen. Von nun an kannst du Wahrheit befehlen. Bis es nicht mehr nötig ist, diese Gabe zu tragen.‘ Ja und so war es dann. Wenn ich jemanden befahl die Wahrheit zu sagen, tat er es dann auch. Wie du es ja gemerkt hast“, lausche ich jedem von Christophs Worten.

 

„Ach so war das also. Ich versteh“, nicke ich nachdenkend, „und jetzt?“

 

„Jetzt kann ich es nicht mehr. Als ich die Gabe nicht mehr brauchte, war sie weg. Wie es in der Kugel stand. Die Kugel übrigens auch. Ist zu schwarzen Staub geworden“, zuckt Christoph mit den Schultern.

 

„Du konntest das ganze wenigstens steuern, du hattest ja die Wahl, ob du jemanden zwingst die Wahrheit zu sagen oder nicht“, entgegne ich ihm.

 

„Ja, mehr oder weniger hatte ich die Kontrolle. Aber jetzt erzähl mal. Du hast mich neugierig gemacht. Was ist denn mit deiner Kugel? Was kannst du?“, will Christoph wissen.

 

Ich wiederhole die Worte der Prophezeiung und füge hinzu: „Ich muss sagen, was ich denke, oder so. Glaub ich. Jedenfalls kommt alles, was eigentlich für meinen Kopf gedacht ist, aus meinem Mund.“

 

„Das ist ja doof. Aber ohne Grund wirst du die Wunderblume und diese Gabe nicht erhalten haben. Also Kopf hoch. Das wird sich Regeln“, versucht mich Christoph aufzumuntern.

 

„Dein Wort in Gottes Ohr“, seufze ich und lasse mich gegen eine der kalten, weißen Wände sacken.

Kapitel 4 - Outing

 Nun, da ich wirklich schlauer bin, aber genauso verzweifelter, sitze ich wieder im Bus nach Hause.
Mein Kopf lehnt an der Scheibe, und draußen ziehen die Häuser an mir vorbei. Vereinzelt gefolgt von ein paar Menschen, die auf dem Bordstein ihrer Wege gehen.


Wie ich jetzt mit all den Informationen in meinem Kopf umgehen soll, weiß ich einfach nicht.
Wunderblume … Blütenzauber.


„Sehe ich vielleicht aus, wie die schrullige, alte Frau aus Harry Potter, die immer im Gewächshaus rumsteht und diese schreienden Pflanzen aus dem Boden zerrt?", frage ich vor mich hin.


So langsam geht mir das echt gegen den Strich. Ich kann nichts denken, ohne dass mein Mitteilungsbedürfnis mit mir durchgeht.


„Die Fahrkarten, bitte“, höre ich von Hinten jemanden sagen. Wahrscheinlich ein Kontrolleur.
„Auch das noch“, murmle ich vor mich hin.


Hastig krame ich in meiner Jackentasche nach meinem Fahrausweis. Schnell werde ich fündig. Da erscheint von hinten auch schon ein kleiner, rundlicher Mann.


„Fahrkarten, bitte“, redet er nun mich an.
Ich halte ihm die Karte entgegen. Er nimmt sie mir aus der Hand, kontrolliert sie und gibt sie mir wieder.
„In Ordnung“, bestätigt er meinen erlaubten Aufenthalt in dem öffentlichen Verkehrsmittel.


Mein Schülerausweis gilt leider nur für Straßenbahnen. Und zu Christoph kommt mal halt nur mit dem Bus.
„Das ist doch alles Mist“, fluche ich lautstark, wollte es doch aber nur denken.


Mir entgleiten alle Gesichtszüge, während sich die Fahrgäste zu mir umdrehen, der Kontrolleur grimmig zu mir schaut und ich am liebsten in meinem Sitz versinken möchte.


„‘Tschuldigung“, murmle ich und schaue verlegen wieder aus dem Fenster.
Jetzt könnte die Fahrt ruhig zu Ende sein, doch komischerweise dauert sie länger denn je.

Nach einer gefühlten Ewigkeit erreiche ich endlich mein Zuhause. Erschöpft und niedergeschlagen öffne ich die Haustür und trete ein.


„Wo warst du?“, schallt es gleich von meiner Mutter.
„Bei Christoph“, antworte ich schon ganz automatisch. Und schon wird mir die Auswirkung meines losen Mundwerks bewusst.


„Wer ist Christoph?“, will meiner Mutter sofort wissen, doch ich sprinte einfach nach oben in mein Zimmer und lasse meine verwirrt schauende Erzeugerin zurück.


Natürlich dauert es nicht lange, da öffnet sich meine Tür. Ich liege schon lange auf dem Bett und versuche mich Kraft meiner Gedanken auf den Jupiter zu wünschen. Vergebens! Erneut höre ich die Frage an mein Ohr klingen: „Jan, wer ist dieser Christoph?“


„Ok, jetzt streng dich an“, murmle ich in mein Kissen, „sag ihr ja nicht dass es dein Ex-Freund ist.“
„Dein was?“, erreicht die Stimmlage meiner Mutter ungeahnte Höhen.


„NEIN, NEIN, NEIN, NEIN, NEIN“, sage ich immer wieder.
Ich könnte heulen. Das war alles nicht so geplant.


„Jan, bitte wiederhol das“, werde ich aufgefordert.
„Nein, bitte. Das war doch alles nicht so…“, versuche ich mich zu retten. Aber ich sehe, dass mir meine Mum eigentlich gar nicht mehr zuhört. Auf ihrer Stirn zeichnen sich Falten ab und sie starrt mit leerem Blick aus dem Fenster.
„Mum?“, frage ich sie und zupfe an ihrem Ärmel.


„Ähm… ja. Im Kühlschrank ist etwas zum Abendbrot. Ella wird es dir warm machen. Ich fahr jetzt ins Restaurant. Dein Vater dürfte auch in einer Stunde hier sein“, gibt sie wie auf Knopfdruck wieder, dreht um und verlässt mein Zimmer.
„So hatte ich mir mein Outing nicht vorstellt“, klatsche ich mir meine Hände ins Gesicht und versinke erneut in meinem Bett und in Verzweiflung.

 

Eine halbe Stunde später klopft es an meine Tür.
„Jan?“, höre ich die Stimme der guten Ella.
„Ja?“, nuschle ich.


Sacht geht die Türklinke und Ella tritt vorsichtig hinein. In ihrer Hand hält sie einen kleinen Teller. Meine Mutter hat anscheinend wieder eine ihrer Köstlichkeiten zubereitet.


„Jan, hier ist eine Kleinigkeit“, entgegnet sie mir mit liebevoller Stimme.
„Danke“, richte ich mich nun auf.


Ella reicht mir den Teller. Ich erkenne irgendwas mit getrockneten Tomaten, Fetakäse und geräuchertem Tofu in einer grünlichen Basilikumsoße.


Nachdem mir Ella noch eine Gabel reicht, spieße ich das erste Häppchen auf und nehme es zu mir. Schmeckt ganz gut.
Da legt mir unsere Haushälterin ihre Hand auf meine Schulter.


„Es ist alles gut. Ich habe dich noch genauso lieb wie gestern und deine Eltern werden dich auch noch lieben. Du bist ihr Sohn, warst es und wirst es immer sein“, fühle ich Ellas Mitgefühl.


„Und was ist mit Mum’s Kunden im Kochstudio oder Restaurant?“, versuche ich ihr meine Misere zu erklären.
„Sollen die dich etwa auch lieben?“, scherzt Ella.


„Ach Ella, so meine ich das nicht. Wie wird sich das auf ihren Ruf auswirken?“, erkläre ich ihr.
„Ach ja? Das ist das Einzige, was dir sorgen macht?“, schaut sie mich verwundert an.
„Ja schon am meisten“, entgegne ich ihr.


Darauf nimmt mich Ella in den Arm: „Das ist nicht dein Problem. Außerdem kommen die Leute zu deiner Mum, weil sie die beste Köchin der Stadt ist und nicht wegen dir, mein Kleiner.“
„Und was ist mit meinem Vater?“, frage ich Ella zurück.


„Was ist mit deinem Vater?“, höre ich die tief männliche Stimme meines Vaters, die vom Türrahmen schallt.
„Wann ist der denn hier aufgetaucht?“, murmle ich meinen Gedanken aus.


„DER, ist gerade von der Arbeit gekommen“, höre ich leichte Empörung in der Stimme meines Vaters, der gerade auf uns zukommt.


„Ich lass euch beide mal allein“, flüstert Ella und nickt mir aufmunternd zu.
Ich versuche stark flehende Emotionen in einen Blick an Ella zu schicken, doch diese entschwindet aus meinem Zimmer und lässt mich mit meinem Vater allein.

 

„Also möchtest du? Oder soll ich…“, höre ich die Stimme meine Vaters an meinem Ohr, kann sie aber nicht genau deuten.


„Was meinst du?“, frage ich mit Unschuldsmiene und versuche mich an einem Lächeln. Dieses gelingt mir nur bedingt.
Mein Dad kommt noch einen Schritt näher und steht nun direkt vor mir.


„Darf ich mich setzten?“, fragt er vorsichtig an. Ich zeige einladend neben mich und fordere ihn damit auf, neben mir Platz zu nehmen.


Er kommt dieser Aufforderung nach und setzt sich neben mich.
„Deine Mutter hat mich angerufen…“, beginnt er nun die Unterhaltung. Ich denke mir nur: „Oh Gott.“ Natürlich verlassen auch diese Worte meinen Mund. Doch mein Vater ignoriert sie großzügig.


„Sie war total aufgelöst. Stammelte irgendwelche Wortfetzten vor sich hin und erwähnte deinen Namen und noch eine andere Sache“, schaut er direkt grade aus, zu meiner Tür. Will er etwa flüchten?
„Jetzt kommt’s“, nuschle ich in mich hinein.


„Jan, bitte. Ich möchte es hören. Von dir!“, werde ich aufgefordert. Der eindringliche Blick meines Vaters schwenkt nun wie ein Scheinwerfer eines Leuchtturms auf mich. Ganz aus Reflex werde ich gezwungen seinen Blick zu erwidern.
„Nützt ja nichts mehr. Die Katze ist aus dem Sack“, beginne ich zusammengesunken zu sagen, „ich bin Schwul.“


Kaum haben die Worte meinen Mund verlassen, beginnt sich das Gesicht meines Vaters zu verändern. Doch von der erwartenden Wut, Verzweiflung oder Trauer ist nichts zu sehen. Nicht einmal ein kleines Aufleuchten von Zorn ist zu erkennen.


Stattessen zeichnet sich ein kleines Lächeln auf seinem Gesicht ab. Seine Augen werden etwas enger, scheinen ein wenig zu leuchten und dann schließen sich auch schon zwei kräftige aber vertraute Arme um mich.


Ich weiß nicht, wann mich mein Vater das letzte Mal umarmt hat, aber in diesem Augenblick scheint es das einzig Richtige auf dieser Welt zu sein.


„Es ist alles in Ordnung“, nuschelt mir mein Vater an mein Ohr, „ich hab dich noch genauso lieb wie Vorher und deiner Mum wird es auch noch auffallen.“


„Was wird ihr auffallen?“, brennen sich durch diese liebe Geste und die lieben Wort langsam Tränen hinter meine Augen.
Da lässt mein Vater ein Stück von mir ab und schaut mich an: „Dass du dadurch noch toller bist und sich nichts, einfach gar nichts ändern wird.“


„Danke“, kann ich nun meine Tränen nicht mehr halten und schließe meinen Vater erneut in die Arme.


Aus dem Augenwinkel kann ich Ella erkennen, die sich wieder in den Türrahmen geschlichen hat. Auch ihr perlen die Tropfen von der Wange.

Kapitel 5 - Streit

 

„Also wirklich Miriam. Dein Sohn ist Schwul und kein gefährlicher Terrorist oder Vergewaltiger“, höre ich die Stimme meines Vaters, die mich geweckt hat, aufgebracht durch die geschlossene Tür.

 

„Aber Edgar. Was sollen nur die Leute denken? Und was ist mit Enkeln? Außerdem dieser Lebensstil. Der ist einfach nichts für unsere Familie“, versucht die verzweifelte und aufgebrachte Stimme meiner Mutter in Gegenargumenten aufzuwiegen.

 

„Was ist dir wichtiger? Dein Sohn, oder die Meinung der Leute?“, fordert nun mein Vater eine eigentlich rhetorische Frage.

 

„Natürlich ist mir Jan wichtiger. Aber ich kann einfach nicht ignorieren, dass er durch dieses, dieses, dieses…“, hadert meine Mutter rum.

 

„Was dieses?“, will nun mein Vater genauer wissen.

 

„Dieses abnormale Verhalten seine UND unsere Zukunft sabotiert“, spricht meine Mutter Wörter aus, die ich niemals in meinem Leben aus ihrem Mund vermutet hätte.

 

Habe ich sie etwa all die Jahre falsch eingeschätzt? Ich dachte einfach, dass sie mit der Sache an sich eher weniger Probleme hätten. Aber das nun?

 

„Miriam, dass hast du jetzt NICHT gesagt!“, scheine nicht nur ich entsetzt, sondern auch mein Vater.

„Doch Edgar. Und ich meine es auch so“, scheint Muttern jetzt bockig oder verärgert zu sein.

 

„Miriam. Ich erkenne dich gar nicht wieder“, höre ich meinen Vater nun deutlich leiser, dann höre ich eine Tür zuknallen.

 

Ich habe genug, nehme mein Kopfkissen und lege es auf meinen Kopf. Stark genug, dass mir entweder die Wörter nicht mehr durch den Schädel hallen, oder vielleicht dass mir die Luft weg bleibt und ich ersticke. Damit wird vielleicht dieser Alptraum einfach beendet sein.

 

Doch leider hat mein Wecker andere Pläne mit mir. Denn just in dem Moment, wo ich hoffe endlich durch einen der beiden Möglichkeiten erlöst zu werden, klingelt ein penetrantes Piepen an mein Ohr.

 

Also lege ich mein Kissen bei Seite und drücke den Aus-Knopf dieser Lärmmaschine.

Nachdem ich mir ein paar Mal im Gesicht gerieben habe, lausche ich in die Stille.

 

Unten ist nichts mehr zu hören. Meine Eltern scheinen die Häuslichkeiten verlassen zu haben.

 

Ellas Arbeitszeit beginnt erst in ein paar Stunden. Also scheine ich sicher zu sein. Gerädert stehe ich auf und greife mir frische Anziehsachen aus meiner Kommoder. Dann entschwinde ich rasch ins Badezimmer. Eine warme Dusche wird mich hoffentlich wach machen, und mit ein bisschen Glück, diese Erinnerungen an das Gespräch eben wegspülen.

 

Leider tritt nur einer der beiden gewünschten Effekte ein.

Wach bin ich, doch die Worte meiner Eltern klingen mir noch immer nach.

 

Aber es nützt ja nichts. Ich trockne mich ab, beende meine Morgentoilette und mit hängenden Schultern schlurfe ich danach durch den Flur.

 

Weit und breit ist keiner in dem Haus zu sehen. Wo meine Eltern sich aufhalten, weiß ich nicht. Normalerweise, sind die um diese Uhrzeit noch zu Hause. Mein Vater hat flexible Arbeitszeiten und das Kochstudio meiner Mutter öffnet erst mittags, das Restaurant nimmt sie erst abends in Beschlag. Der Morgen gehört nur der Familie. Oder eher gehörte. Bevor ich alles kaputt gemacht habe.

 

Aber wie soll ich das nur wieder richten?

Ich habe keine Ahnung.

 

In der Küche angekommen, schmiere ich mir ein Pausenbrot, werfe alles in meinen Rucksack und mache mich auf den Weg zur Schule.

 

Der Tag kann ja nur besser werden. Hoffe ich. Doch schon an der Straßenbahnhaltestelle werde ich eines besseren Belehrt. Die Straßenbahn, welche für mich bestimmt war, sah das heute ein wenig anders. Denn sie fährt gerade weg, wehrend ich um die Ecke kommen.

 

„Fuck“, fluche ich vor mich hin. Dabei erkenne ich sogleich, dass die Wirkung dieses Wunderunkrauts noch immer anhält. Als ob sie noch nicht genug Unheil angerichtet hätte.

 

Bei dieser Erkenntnis schlägt meine Laune erneute noch eine Nuance tiefer. Als ob das noch ginge.

Jedenfalls warte ich 10 weitere Minuten und nehme die nächste Bahn. Zum Unterricht komme ich natürlich zu spät.

Doch als wenn das alles noch nicht genug wär, erinnere ich mich, welchen Lehrer ich in der ersten Stunde habe. Herr Kiesmer, der meinen Kopf mit Wurzeln und binomischen Formel quälen möchte.

 

 

„Ach Jan, beehrst du uns auch mit deiner Anwesenheit?“, höre ich Herrn Kiesmer spöttisch, als ich den Klassenraum betrete.

 

„Ja Herr Kiesmer, bitte entschuldigen sie“, versuche ich eine halbherzige Entschuldigung.

 

„Willst du der Klasse vielleicht auch mitteilen, was dich verspäten ließ?“, will mein Mathelehrer nun genau wissen, und die ganze Klasse dreht sich zu mir um.

 

„Nein“, murmle ich und gehe rasch auf den Platz neben Eva.

„Jan, das ist aber nicht sehr nett“, höre ich immer noch Herr Kiesmer in meinen Ohren schallen.

„Genauso wenig, wie ihr Unterricht“, überkommt es mich.

 

Doch diese Gedanken hätte ich einfach nicht sagen sollen. Denn schon wird der Kopf von Herrn Kiesmer viel zu Rot und prompt sehe ich mich im Büro des Schulleiters sitzen.

 

Doch das alles reicht natürlich noch nicht. Denn wer wird benachrichtig, wenn sich ein Schüler daneben benimmt? Die Mutter natürlich. Also habe ich kurze Zeit später nicht nur den Rektor vor mir, sondern auch meine ‚liebevolle‘ Mutter neben mir sitzen.

 

Meine, ach so fürsorgliche Mutter, spart nicht an Entschuldigungen für mein Verhalten.

 

Der Rektor ist ganz kulant. Schnell ist die Sache bereinigt. Ich bin zwar kein Musterschüler, aber einen Fehltritt habe ich mir noch nicht erlaubt. Im Gegenteil, viele meiner Lehrer mögen mich, für meine ruhige und besonnene Art.

 

Das Klingeln der Schulglocke erlöst uns alle von diesem Schauspiel. Ich glaube auch, dass meiner Mutter keine Ausreden mehr für mein Fehlverhalten einfallen. Und der Rektor scheint von seinen gefühlten hundert ‚es ist schon so gut wie vergessen‘ die Schnauze voll zu haben.

 

So langsam glaube ich auch, dass meine Mutter sich nicht für mein Verhalten entschuldigt, so langsam glaube ich, dass sie sich übertragenerweise für mein schwul-sein entschuldigt.

 

Mir wird das Ganze zu unangenehm, und bin froh über das erlösende Bimmeln und dem „Ich habe noch ein anderen Termin“ vom Rektor.

 

Jedenfalls stürzen wir förmlich aus dem Rektorenzimmer. Genau in diesem Moment fallen wir fast der Wurzel allen Übels in die Hände. Herr Kiesmer schaut zufrieden, nachdem er erkennt, wer mit hängendem Blick aus dem Rektorenzimmer stürzt.

 

Kurz bleiben wir stehen und ich höre, wie sich meine Mutter, meinem Alptraum von Lehrer, vorstellt.

Dabei kann ich bei gelegentlichen Schielversuchen meinerseits, einen seltsamen Glanz in den Augen meiner Mutter erkennen.

 

Meine Verwirrung muss mir anzusehen sein, denn schnell richten die beiden ihren Blick auf mich und reißen aus ihrem Kennenlernen aus.

 

„Jan, ich hoffe du siehst diese Maßnahme nicht als Strafe, sondern als Chance“, höre ich hochnäsig die Stimme von Herrn Kiesmer.

 

„Jan, antworte dem netten Herren“, befiehlt meine Mutter.

 

„Ja Herr Kiesmer. Danke Herr Kiesmer. Ich bedauere mein Verhalten und will mich bessern“, lüge ich was das Zeug hält. Innerlich bin ich am Brodel.

 

„Das klingt doch sehr Lobenswert, Jan“, trötet Herr Kiesmer triumphieren.

„Du kannst mich mal gern haben“, murmle ich und bedauere sogleich meine unkontrollierte Wut.

Herr Kiesmers Augen verengen sich augenblicklich.

 

„JAN!“, höre ich meine Mutter rufen, und fühle wie sie meine Schulter krallt. Ihre Fingernägel bohren sich in mein Fleisch und mit entschiedenem Druck drängt sie mich zum Ausgang.

 

Ich höre noch etliche Entschuldigungen zu Herr Kiesmer, bis wir aus der Tür raus sind. Auf der Straße dirigiert mich meine Mutter zum Auto und rasch sehe ich mich auf der kühlen Polsterung sitzen.

 

Neben mir, auf der Fahrerseite, nimmt meine Mutter Platz und schließt mit einem lauten Knall die Tür.

„Was soll ich nur mit dir machen?“, fragt sie eher rhetorisch in den Raum und startet darauf den Motor.

 

„Mum, das war nicht so, wie es scheint“, versuche ich ansatzweise eine Erklärung.

Von ihr kommt jedoch weiterhin schweigen.

 

„Das ist nicht fair“, sage ich leicht erzürnt, wollte es doch aber nur denken.

„Nicht fair?“, tönt die Antwort meiner Mutter höher, als ich es jemals gehört habe.

 

„Ja nicht fair. Ich weiß ja, dass dieses ‚der Lehrer ist dran schuld‘ nicht wirklich glaubwürdig ist. Aber diesmal ist wirklich der Lehrer schuld. Herr Kiesmer HASST mich!“, erkläre ich ihr.

 

„Jan, also wirklich. Erst diese ganze Schwulen-Sache und nun das hier. Bitte sag mir, was habe ich getan, damit du mich so bestrafen willst?“, kommt mir pure Verzweiflung aus der Tonlage von der Frau neben mir entgegen.

 

„Du tust ja so, als ob ich das mit Absicht mache!“, empöre ich mich nun ebenfalls.

„Ist es etwa nicht so?“, will sie wissen.

 

„Verdammt nein. Ich mache das nicht mit Absicht. Und ehrlich gesagt, hätte ich dich da auch etwas offener eingeschätzt“, gebe ich trotzig zu.

 

„Tja, Jan. Dann kennen wir uns beide anscheinend nicht gut genug“, beendet meine Mum das Gespräch und betretenes Schweigen macht sich im Auto breit. Bis zu Heimfahrt teilen wir kein Wort mehr miteinander.

 

Zuhause eile ich sogleich in mein Zimmer. Was meine Mutter noch macht, kann ich nicht sagen. Aber ich schmeiße mich auf mein Bett, drücke mir mein Kissen auf den Kopf und versinke in meinen Gedanken, die ich natürlich in den flauschigen Stoff murmle.

Kapitel 6 - Trennung

 

Mein Zeitgefühl habe ich verloren. Keine Ahnung, wie lang ich in dem sicheren Hafen meines Bettes gelegen habe. Mein ganzes Gesicht brennt. Mein Körper ist taub. Ich möchte nicht mehr. Habe einfach keine Kraft mehr. Es ist alles einfach so schwierig geworden.

 

Mein Vater streitet sich mit meiner Mutter, meine Mutter kann nicht mehr mit mir umgehen und mein Lehrer versucht mich fertig zu machen.

 

Und was bleibt mir in dem ganzen Wirrwarr?

 

Langsam lege ich das Kissen von mir weg. Meine Augen richten sich zu meinem Fenster aus. Es ist Abend geworden. Die Sonne hat sich vom Staub gemacht und die Wellen der Finsternis haben sich über den Himmel gelegt. Vereinzelte Lichtpunkte sind am Himmelszelt zu erkennen. Sachte strahlt das matte Licht einer Straßenlaterne hinein. Ansonsten ist mein Zimmer im Zwielicht gehüllt.

 

Ein Licht an zu machen, halte ich für Sinnlos. Der Weg zum Schalter verlängert sich auf ein Unendliches.

Allein schon meinen Kopf zu bewegen strengt an. Am besten ich schließe einfach wieder meine Augen, und öffne sich nicht wieder. Nie wieder!

 

Klopf Klopf, höre ich ein leises Hämmern. Erst bilde ich mir nur ein, dass es in meinem Kopf ist. Aber eine Wiederholen der Laute lässt mich erkennen, dass doch jemand an meine Tür klopft.

 

„Mhh“, stöhne ich, weil ich gerade kein Wort heraus bekommen.

Mit einem leisen Klacken höre ich den Türknauf sich öffnen und prompt schiebt sich die Tür auf. Eine schwarze Silhouette erscheint im Licht. Ich erkenne eine Frau mit weiblichen Zügen. Es ist Ella.

 

„Jan, du hast Besuch“, verkündet mir unsere Haushälterin mit ruhiger Stimmt.

Prompt erscheint eine kleinere Figur hinter Ella.

 

„Hey Jan“, höre ich eine junge, weibliche Stimme. Sie kommt mir bekannt vor. Ich habe sie schon einmal gehört. Eigentlich ist sie mir ziemlich vertraut. Dann fallen mir die Schuppen von den Augen.

 

„Eva?“, frage ich vorsichtig in die Dunkelheit hinein.

„Ja“, höre ich bestätigend ihre leise Stimme.

 

Dann leise Tapsen, das Schließen der Tür und dann das Betätigen eines Schalters. Schon erhellt sich mein Zimmer in gleißendem Licht.

„Viel zu Hell“, stöhne ich und reibe mir die schmerzenden Augäpfel.

„Ach hab dich nicht so“, schaltete Eva um und kommt zu mir ans Bett.

 

Mit einem Klatschen höre ich ein paar Blätter auf meinen Schreibtisch fallen, dann setzt sich Eva zu mir.

„Was ist das?“, will ich wissen und öffne nun langsam meine Augen, um in Evas Gesicht zu blicken.

„Mathehausaufgaben“, kündigt sie mit schadenfrohem Gesicht an.

 

„Toll“, stöhne ich und schließe wieder meine Augen.

„Hey“, klatscht mir Eva leicht auf den Bauch.

Ich richte mich gespielt empört auf.

 

„Hey, was soll das?“, will ich mit Schmollmund wissen.

„Jetzt erzähl mir endlich was hier los ist!“, fordert sie mit fester Stimme.

„Willst du das wirklich wissen?“, frage ich und schaue zum Fenster.

 

„Ja, Jan. Ich bin deine Freundin und stehe zu dir“, verspricht mir Eva.

„Das habe ich bei meiner Mutter auch gedacht“, lasse ich meinem Gedanken freien Lauf.

 

„Wie meinst du das?“, höre ich Evas Worte an mein Ohr klingen.

„Also gut ich erzähl es dir…“, fange ich an und lasse meine Sorgen meine Stimme übernehmen.

 

 

Nicht nur, dass ich mich nach 15 Minuten bei Eva als schwul geoutet habe, ich habe ihr auch alle meine Familienprobleme ausgebreitet. Das ich meine Gedanken nicht für mich behalten kann, war bei meiner Erzählung nicht besonders hilfreich.

 

„Ach du heilige…“, flüstert Eva. Ich nicke zustimmen.

„Jan, wenn ich das gewusst hätte“, begegnet sie mir.

 

„Was dann?“, will ich wissen, „Hättest du mit deinem Zauberstab alle meine Probleme gelöst?“

„Nein“, antwortet Eva, „aber ich kann für dich da sein. Du bist trotz allem noch mein Freund.“

 

Dann legt sie sich neben mich und legt ihren Arm auf meine Brust.

Es tut gut, jemanden bei mir zu haben. Jemanden, der für mich da ist. Es lässt mich auch wieder hoffen. Natürlich bin ich von Evas Anteilnahme und der Tatsache, dass sich anscheinen nichts für sie geändert hat, positiv überrascht.

 

„Und das macht dir wirklich nichts aus?“, will ich dennoch zur Bestätigung wissen.

„Das du schwul bist? Nein, Jan. Das ist in Ordnung“, flüstert sie mir.

 

„Weißt du, für mein Vater ist es ja auch in Ordnung. Aber er ist Familie“, denke ich nach, „aber meine Mutter ja auch. Und mit der ist das gar nicht einfach.“

 

„Mhm, so hätte ich sie gar nicht eingeschätzt“, nuschelt Eva.

„Ich ja auch nicht“, seufze ich, „eigentlich dachte ich, mein Vater hätte damit ein Problem. Aber nicht meine Mutter. Und nun hat er mich wirklich positiv überrascht und meine Mutter. Naja, du weißt schon.“

 

„Ja“, seufzt nun auch Eva.

Es ist angenehm, sie bei mir zu wissen. Auch, wenn sie versucht mir keine sinnlosen, aber gut gemeinten, Ratschläge zu geben. Sowas kann ich einfach nicht gebrauchen. Eine Freundin, die neben mir liegt, mir beisteht. Das kann ich gebrauchen. Und das macht Eva genau richtig.

 

Irgendwann schaut dann Eva auf ihre Uhr.

„Oh, was? Schon so spät“, flucht sie.

 

„Wie spät ist es denn?“, will ich wissen.

„Schon gegen 22 Uhr. Wir haben morgen doch Schule“, springt Eva hektisch auf und krallt sich ihre Sachen.

„Ich nicht. Meine Mutter hat mich den Rest der Woche befreit, damit ich mir über mein Verhalten in Klaren werden kann“, betone ich vor allem den letzten Teil besonders abwertend.

 

„Oh“, sieht mich Eva traurig an, „Kopf hoch, das wird schon.“

„Klar wird das schon. Und danke für die Hausaufgaben“, zwinge ich mich zu einem Lächeln.

 

Danach verabschiedet sich Eva und verlässt mein Zimmer. Nun sitze ich wieder allein auf meinem Bett. Ich streiche über die Stelle, an der eben noch Eva gelegen hat. Dann seufze ich noch einmal auf und gehe dann zum Schreibtisch. Die Matheaufgaben lösen sich immerhin nicht von allein.

 

Zwar wird mir an den Gedanken daran spei übel, aber auf eine Wiederholung der Klasse habe ich so gar keine Lust. Also werde ich mich wohl oder übel mit der Integralrechnung, den Kurvendiskussionen und vor allem Herr Kiesmers Launen rumschlagen müssen.

 

 

Mit trockenem Mund und schmerzender Gesichtshälfte werde ich wach. Anscheinend habe ich es geschafft, mitten in den Aufgaben, auf meinem Schreibtisch einzuschlafen.

 

Mit einem Schmatzen löst sich ein Blatt Papier von meiner Wange und ein Stift fällt zu Boden. Ich reibe mir schlaftrunken das Gesicht.

 

Langsam komme ich im hier und jetzt an. Ich strecke mich, wobei einige Wirbel in meinem Rücken knacken, und dann stehe ich auf. Erst verschwinde ich für geraume Zeit im Badezimmer, dann gehe ich leise die Treppe hinunter.

 

Doch kaum bin ich in der Küche angekommen, trifft mich der Schlag. An der Spüle gegengelehnt steht meine Mutter mit verärgertem Gesicht und schaut Löcher in die Luft. Mein Vater sitzt mit zerknautschtem Gesicht am Küchentisch und schaut gedankenverloren durch unser Küchenfenster. Ella, die normalerweise erst ein paar Stunden später zum Dienst erscheinen muss, steht an der Kaffeemaschine und begutachtete, wie einzelne, schwarze Tropfen in die gläserne Kanne fallen.

 

Eine erdrückende Stille herrscht im Raum. Die Stimmung ringt meine Laune nieder. Ein dicker Knoten formt sich in meinem Bauch und zieht sich immer weiter zusammen.

 

„Da bist du ja endlich“, schimpft meine Mutter, die mich als erstes entdeckt.

Rasch richten sich alle Gesichter in meine Richtung. Das unbehagliche Gefühl in meinem Bauch erhöht seinen Druck ins unermessliche.

 

„Ja“, japse ich erschrocken.

„Verdammt, Miriam. Jetzt lass den Jungen doch“, höre ich die beruhigende Stimme meines Vaters.

 

Ich trete noch ein wenig näher in die Küche. Plötzlich erkenne ich, was gut versteckt hinter einer Mittelfront, neben meiner Mutter steht. Zwei große Rollkoffer.

 

„Für wen sind die?“, frage ich panisch.

„Für mich“, antwortet meine Mutter kühl, „ich werde hier ausziehen, Jan. So kann das nicht weitergehen.“

„Ist es wegen mir?“, frage ich verdutzt.

 

Prompt mischt sich mein Vater ein: „Nein Jan. Zwischen deiner Mutter und mir läuft es schon länger nicht mehr so gut. Wir konnten es nur gut verbergen, da wir so unterschiedliche Arbeitszeiten haben und sich Ella die meiste Zeit um dich kümmert.“

 

Ich schaue meiner Mutter in die Augen, ihr Blick verrät aber eine ganz andere Antwort.

Natürlich ist es wegen dir!, lese ich aus ihrem Gesicht.

 

„Es tut mir leid“, murmle ich.

„Ja. Mir auch.“, prustet meine Mutter und schnappt sich die Koffer, „Den Rest klären wir später.“

Dann geht sie mit sicherem Schritt zur Wohnungstür. Ein Klacken signalisiert das Öffnen, ein dumpfer Knall das Schließen und dann ist es ruhig.

 

Mir brennen die Augen, doch schon schließen sich kräftige Hände um mich, gefolgt von zierlichen. Mein Vater und Ella schließen mich in eine tröstende Umarmung.

 

Das wollte ich doch alles nicht, denke ich mir. Doch ich höre meine Stimme nicht. Über diese Tatsache versiegen meine Tränen. Mein Gedanke blieb in meinem Kopf. Und auch die nächsten Gedanken sind nicht zu hören.

 

Ich reiße mich aus den warmen Armen und eile in mein Zimmer. Rasch sprinte ich zu einer Kommode. Dort habe ich die Prophezeiungskugel aufgehoben.

 

Nach Christoph seiner Erzählung löst sich das Teil auf, wenn die Prophezeiung erfüllt und der Zauber gebrochen ist.

 

Ich reiße die Schublade auf und da rollt mir schon das runde Ungetüm entgegen. Verwirrt nehme ich die Kugel in die Hand. Sie ist zwar noch da, aber sie hat sich verändert. Ihre Oberfläche ist ganz matt geworden. Ich kann nicht mehr hindurchsehen. Vom schwarzen Rauch ist auch nichts zu erkennen. Eine weiße Schicht hat sich auf die Oberfläche gelegt. Sie sieht aus, als ob sie eingefroren wäre.

 

Ach egal, Hauptsache ich kann wieder denken ohne zu quatschen, denke ich mir, grinse in mich hinein und verstaue das runde Glas wieder in der Schublade.

 

Denn jetzt muss ich erstmal verdauen, was eben da unten in der Küche passiert ist.

Kapitel 7 - Wiedersehen

 

Die Wochen sind ins Land gestrichen. Viele Gespräche mit meinem Vater, viele Telefonate mit meiner Mutter, viele tröstende Leckereien von Ella und eine Menge Zeit mit Eva haben dazu bei beigetragen, dass ich mich so langsam an die neue Situation gewöhnt habe.

 

Nach der kurzen, schulischen Zwangspause meiner Mutter habe ich mit Eva die Zeit genutzt den Mathestoff des letzten Schuljahrs zu wiederholen. Herr Kiesmer ließ mich die meiste Zeit in Ruhe, was mich sehr beunruhigte.

Der Mann heckt was aus, dachte ich immer wieder paranoid.

 

Ja meine Gedanken gehörten wirklich wieder mir, seit dem die Prophezeiungskugel eingefroren war.

Es kamen die Herbstferien. Meine Eltern führten eine Blitzscheidung durch. Mit viel Geld und hohen Ansehen war sowas also möglich. Er ließ es sich selten Anmerken, aber in einigen, wenigen Momenten, konnte man meinem Vater ansehen, wie sehr ihm die Trennung zusetzte.

 

Jedenfalls mehr als meiner Mutter. Sie habe ich seit dem Morgen in der Küche nicht wieder gesehen. Da ich ja schon alt genug war, brauchten wir alle uns keine Sorgen über das Thema Sorgerecht oder Umgangsrecht zu machen. Doch irgendwie verletzte mich es schon. Meine Mutter sagte zwar, ich könnte sie Besuchen, wenn ich einmal das Bedürfnis hätte (wobei sie das Wort Bedürfnis besonders betonte), aber ich müsse halt nicht.

 

Na gut, dann wollte ich auch nicht.

 

Zu meinem Vater habe ich ein noch besseres Verhältnis als vorher. Manchmal besuche ich ihn nun bei seinen Sitzungen mit dem Stadtrat und in den Herbstferien durfte ich eine Woche Praktikum, im Architektenbüro wo er Arbeitet, machen. In beiden Fällen stand er immer hinter mir. Im Büro kam sogar einmal das Thema Homosexualität auf. Dabei berichtete er stolz von seinem schwulen Sohn. Dass dieser schwule Sohn währenddessen anwesend und am liebsten im Boden versunken wär, war ihm egal. Aber selbst dafür liebte ich ihn noch mehr.

 

Jedenfalls gingen auch die Herbstferien vorbei. Nun sitze ich wieder in der Straßenbahn. Mein Gesicht aus dem Fenster gerichtet, gehe ich noch einmal meine Gedanken durch. Ja, seitdem ich mein Mundwerk und meinen Kopf wieder unter Kontrolle habe, genieße ich richtig das Privileg der freien geistigen Arbeit.

 

„Die Fahrkarte bitte“, höre ich dumpf die Stimme eines Mannes gegen mein Innenohr prasseln.

 

Ich schrecke aus meinen Gedanken und fahre mein Gesicht ruckartig nach oben. Die Stimme, welche ich gerade vernommen habe gehört einem Straßenbahnkontrolleur.

 

Einen verflucht attraktiven Straßenbahnkontrolleur. Irgendwie habe ich gerade ein Déjà-vu.

 

Direkt blicke ich in seine haselnussbraunen Augen. Sie blicken direkt in meine. Ich erkenne die schmale Nase und dunkle, schmale Lippen, welche auf eine Antwort von mir warten. Doch etwas fehlt in diesem Gesicht. Ich glaube, dass letzte Mal trug der attraktive Schönling einen Vollbart. Dieser ist nun einem 3-Tage-Bart gewichen.

 

„Die Fahrkarten, junger Mann!“, schallt es nun etwas schärfer an mein Ohr.

 

„Oh ja, entschuldigen Sie“, stammle ich ihm entgegen, öffne meine Tasche, um den Schülerausweis zu suchen. Dabei habe ich immer wieder seine verführerischen Lippen vor Augen. Doch wie nannte er mich eben: Junger Mann?

„Der ist doch nicht viel älter als ich“, stelle ich in Gedanken fest.

 

MOOOOOOOOOOOMENT!!!

 

Mein Kopf schnallt hoch und ich reiße die Augen weit auf. „Das habe ich nicht wirklich gesagt… nein, nein, nein, nein …“, geht der ganze Spuk von vorne los.

 

„Doch“, kommt es trocken von oben. Vorsichtig richte ich meinen Blick auf. Ich kann spüren, wie mir die Farbe aus dem Gesicht weicht.

 

„Was kann ich dafür, wenn du so verdammt heiß bist“, schnellt es aus meinem Mundwerk.

Nun muss der Kontrolleur verwirrt blinzeln. Seine leicht entgleisten Gesichtszüge mindern keineswegs seine enorme Anziehung auf mich.

 

Doch dann schüttelt er sich kurz und meint: „Trotzdem brauch ich die Fahrkarten. Bitte!“

Ich senke wieder den Kopf und krame weiter in meinem Rucksack.

 

„Hey Dennis. Ist bei dir alles in Ordnung?“, schallt eine weibliche Stimme von hinten. Der Kontrolleur dreht sich um.

„Er heißt Dennis“, seufze ich geistesabwesend. Doch sogleich könnte ich mich Ohrfeigen. Da fängt die Straßenbahn an zu bremsen. Ich sehe aus dem Fenster und kann meine Schule erkenne.

 

„Ich muss hier raus“, sehe ich verzweifelt zu dem wunderschönen Mann hinauf.

Kurz legt er seine Stirn in Falten, erweicht sie sodann und beugt sich zu mir runter. Er kommt meinem Gesicht ganz nah und flüstert: „Gib mir dein Handy.“

 

Wie in Trance greife ich in meine Tasche und reiche es rüber. Schnell greift er danach, wischt ein paar Mal kurz über den Touchscreen, überfliegt einige Sekunden etwas und gibt mir mein Telefon zurück.

 

„Und jetzt geh schon“, nickt er in Richtung der Türen, die sich bereits geöffnet haben und einige Fahrgäste entlassen.

Schnell eile ich hinterher und trete mit strammem Schritt auf den Bordstein. Sogleich schließen sich die Türen und mein Blick fängt noch einmal den Blick von diesem Traum ein.

 

Wie ein verliebter Teenager seufze ich noch einmal auf, drehe mich um und gehe in Richtung Schule.

 

Schon klingelt mein Smartphone. Eine SMS von einer unbekannten Nummer. Ich öffne sie: Ich glaub du bist mir was schuldig. Ich werde dich bei Gelegenheit daran erinnern. Und jetzt ab zum Unterricht. – Dennis

 

Wie eine Frau in den Wehen atme ich krampfhaft ein und aus. Wenn ich eben schon wie ein verliebter Teenager geklungen habe, setze ich jetzt noch einen drauf.

 

Aber das ist mir verdammt nochmal egal, denn: „Ich habe Dennis‘ Nummer!!!“

 

Ups, das war ein wenig lauter als gedacht. Aber egal. Beflügelt schwebe ich förmlich in den Unterricht. Selbst die Tatsache, dass ich mein Mundwerk erneut nicht unter Kontrolle habe, schreckt mich nicht ab. Auch dass ich jetzt Mathe mit Herrn Kiesmer habe, fürchte ich nicht. Denn die letzten Wochen gingen ja.

 

Jedenfalls betrete ich die Schulflure. Manche Schüler eilen an mir vorbei, manche schlurfen gelassen. Aber im Ganzen ist es noch, wie vor den Ferien. Alles beim alten.

 

Ich erreiche das erste Obergeschoss, gehe ein paar Schritte und bleibe bei der dritten Tür stehen. Noch einmal hole ich tief Luft. Dann trete ich ein.

 

Eva sitzt schon am gewohnten Platz. Normalerweise liegt um so eine Uhrzeit ihr Kopf noch auf dem Tisch und sie schläft noch eine Runde.

 

Doch heute blickt sie mich mit glänzenden Augen an, ihr Grinsen geht 360 Grad rund und ihr Kopf zuckt nervös in Richtung Tafel. Wenn ich es nicht besser wüsste, könnte man denken, sie hat einen Anfall. Aber da drehe ich meinen Kopf ein Stück und erblicke die Gestalt an der Tafel.

 

„Danke Gott. Das wurde aber auch langsam mal Zeit“, rufe ich meine Erleichterung heraus.

 

„Guten Morgen, Jan. Ich freue mich auch wieder hier zu sein“, begrüßt mich Frau Kräuser mit einem netten Lächeln.

Dieser Tag geht eindeutig in meine persönliche Bestenliste.

 

„Nie wieder dieser grässliche Kiesmer“, seufze ich und eile zu Eva. Wir geben uns ein ‚High Five‘ auf diese Tatsache und freuen uns auf den Tag.

Kapitel 8 - Gleichgewicht

 Der Unterricht endet. Nachdem ich in Ruhe meinen Rucksack durchwühlt habe, fand ich auch meinen Schülerausweis wieder.

 

Also steht der Heimreise mit der Straßenbahn nichts mehr im Weg. Ich verabschiede mich von Eva, mache mit ihr noch einen Lerntermin aus und entschwinde zur Haltestelle.

 

Eine Straßenbahnfahrt später eile ich in mein Zimmer. Natürlich habe ich nicht vergessen, was heute Morgen passiert ist. Zwar wurde ich durch Dennis und Frau Kräuser beflügelt wie noch nie, doch an erstem Ereignis ist mein loses Mundwerk schuld. Und woher das kommt, kann ich nur böse ahnen.

 

In meinem Zimmer angekommen schmeiße ich meine Sachen in die Ecke und reiße die Schublade meines Schreibtisches auf. Durch die Vorrichtung gibt es einen lauten Knall, als die Schiene ihr Ende erreicht. Alles purzelt nach vorne. Und da sehe ich sie schon. Wie in Zeitlupe scheint sie als letztes Vorgerollt zu kommen.

 

Spottend scheint sie mir damit mitzuteilen: Hehe, ich bin wieder daaaaaaa…

 

Ihr strahlender Glanz funkelt prachtvoll. Die Oberfläche schimmert gläserner denn je und in der runden Sphäre wirbelt der dunkle Rauch, als ob er nie weg gewesen wär.

 

„Verdammt“, fluche ich laut.

„Jan? Alles in Ordnung?“, ruft mein lauter Ausschrei Ella herbei.

 

„Nichts ist in Ordnung“, patze ich sie an und halte ihr die Kugel vor die Nase.

„Eine… Murmel?“, wundert sich Ella. Ach stimmt ja. Nur ich erkenne ihr wahres Wesen.

 

„Ja… eine Murmel“, seufze ich, „ich bin drauf getreten. Deswegen hab ich geschrien.“

„Oh ok. Wenn etwas ist. Ich bin unten“, schluckt Ella bereitwillig meine Lüge.

 

„Danke“, entgegne ich ihr und dann verschwindet sie auch wieder.

Ich werfe einen Blick in die Kugel und hoffe, dass sich irgendwas verändert hat.

 

Denkst dir deinen Teil, anstatt es auszusprechen.

Doch ab jetzt wird man deine Gedanken hören.

Routine und Zurückhaltung musst du durchbrechen,

bis die Kugel entscheidet mit dem Zauber aufzuhören.

 

Nein leider nicht. Die Prophezeiung schwebt noch immer so, wie beim ersten Mal. Ich lasse mich auf mein Bett fallen. Mein Kopf ist leer. Am liebsten würde ich in ein Loch fallen. Gibt es da vielleicht noch eins vom letzten Mal?

 

Lange kann ich darüber aber nicht nachdenken, denn da klingelt mein Handy. Nach einem raschen Griff in meine Hosentasche sehe ich den Namen, der auf dem Display leuchtet: DENNIS!!!

 

„Ja?“, frage ich vorsichtig, nachdem ich zitternd den grünen Hörer gedrückt habe.

„Jan?“, höre ich die sexy Stimme von Dennis.

 

„Ja.“, bestätige ich, „Woher weißt du wie ich heiße?“

„Das sag ich vielleicht später.“, teilt er mir mit, „Ich heiße übrigens…“

„Dennis“, falle ich ihm ins Wort.

 

Er lacht auf: „Genau. Hast du nachher Zeit?“

„Ja“, kommt es wie aus der Pistole geschossen.

„Keine Hausaufgaben auf?“, will er wissen.

 

„Doch“, erinnere ich mich an ein Arbeitsblatt in Geographie, „die gehen aber schnell.“

„Ok. Ich schick dir eine Adresse und eine Uhrzeit per SMS. Bis dann“, verabschiedet er sich auch schon.

„Ja bis dann“, gebe ich zurück und lasse mich tiefer in mein Bett sinken.

 

Wenn mich die Niedergeschlagenheit der Prophezeiungskugel nicht auf dem Boden halten würde, dann würden die Millionen Schmetterlinge in meinem Bauch mich vermutlich wegtragen.

 

Da klingelt erneut mein Handy. Eine SMS mit der Uhrzeit und einer Adresse. Wie angekündigt. Also verstaue ich die Kugel und mein Handy in der Hosentasche und mache mich euphorisch an meine Hausaufgaben. Ich habe drei Stunden Zeit dafür. Und ich schaffe sie locker in einer halben Stunde.

 

 

Wie angekündigt brauche ich nur 30 Minuten dafür. Ich lege den Stift beiseite und Just in dem Moment klingelt mein Telefon abermals. Mutter, lese ich auf dem Display.

 

„Was will die denn?“, frage ich mich in Gedanken, natürlich laut.

„Mutter?“, frage ich, nachdem ich rangegangen bin.

 

„Jan, bitte sei in einer Stunde bei mir. Ich muss dir etwas berichten“, höre ich ihre kühle Stimme.

„Ok“, gebe ich kurz wieder, da ich weiß, dass Diskussionen sinnlos sind.

Dann legen wir auf. Darauf gehe ich hinunter zu Ella.

 

„Hey Ella, machst du mir vielleicht was Kleines zu essen?“, frage ich sie ergeben.

„Na klar“, lächelt mich die freundlich Haushälterin an.

 

„Meine Mutter hat eben angerufen“, berichte ich ihr, während sie Sachen aus dem Kühlschrank holt.

„Ach ja? Was wollte sie denn?“, fragt Ella verwundert.

„Mich sehen“, gebe ich kurz wieder.

 

„Entschuldige, aber das wollte sie die letzten Wochen doch auch nicht“, belegt Ella jetzt etwas Toast.

„Ich weiß. Sie will mir etwas sagen“, berichte ich weiter.

 

„Ach ja. Da bin ich ja mal gespannt“, reicht sie mir einen Teller mit einem Sandwich.

„Ich auch“, beiße ich hinein und kaue schnell unter, „aber in einer Stunde bin ich schlauer.“

 

 

Eine Stunde später stehe ich vor der neuen Wohnung meiner Mutter. Es ist ein luxuriöses Apartment in der Innenstadt. Von außen ist sie schon sehr schick anzuschauen. Vor Anerkennung nickend stehe ich vor ihrer Wohnungstür. Meine Finger bewegen sich Richtung Klingel und betätigen den weißen Knopf, über dem das Namensschild klebt.

 

Es läutet und rasch öffnet sich die Tür. Meine Mutter erscheint in einem eleganten, weißen Kleid, was ihrer Figur ungemein schmeichelt.

 

„Siehst gut aus“, stelle ich fest und Ohrfeige mich innerlich, dass ich dieses Kompliment laut ausgesprochen habe.

„Danke. Komm doch bitte herein“, bittet mich meine Mutter. Ich kann gar nicht fassen, dass ich bis vor einem viertel Jahr für diese Frau noch alles gegeben hätte. Doch endlich erschließt sich mir ihr wahres ich. Und ich schäme mich dafür jeden Tag.

 

„Zieh doch bitte die Jacke aus“, bittet meine Mutter im Flur.

„Nein, Danke“, wiederspreche ich, da ich das Gefühl habe, dass die Möglichkeit für einen schnellen Abgang durchaus gegeben sein sollte.

 

„Na gut“, flötet meine Mutter und will anscheinend zum Wohnzimmer gehen.

„Also was möchtest du?“, frage ich, während ich ihr langsam folge.

„Also da ja die Frau Kräuser wieder da ist…“, höre ich sie sagen.

 

„Was ist denn hier los?!“, kann ich nur noch rufen, als ich um die Ecke schaue.

Wen sehe ich da auf der weißen Designercouch lungern, mit einem Gläschen Sekt in der Hand und dunklen Pantoffeln an seinen Füßen?

 

„Hallo Jan“, begrüßt mich Herr Kiesmer.

Ich schüttle so stark meinen Kopf, dass entweder die Bilder in meinem Schädel verschwinden, oder mein Gehirn rauskullert und mich als leere, sabbernde Hülle zurück lässt.

 

„Herr Kiesmer?“, frage ich, meinen Blick direkt zu meiner Mutter Gewand.

„Ja, Jan. Gerald und ich sind seit einigen Wochen ein Paar“, teilt sie mir mit.

Ich atme einmal tief ein, schließe meine Augen und dann zähle ich: „1 … 2 … 3 … 4 … 5“

 

Eigentlich wollte ich das ja in Gedanken machen, aber das geht ja bekanntlich nicht.

Nachdem ich die Zahlen ausgesprochen, und mich wieder gefangen habe, sage ich das einzig Richtige in dieser Situation: „Mutter. Ich wünsche euch alles Glück der Welt.“

 

Verwundert legt sie ihre Stirn in Falten. Doch ich drehe mich um, ignoriere dies und verlasse die Wohnung. Das geht mich alles nichts mehr an. Und sie besuchen muss ich ja auch nicht. Immerhin bin ich alt genug.

 

Aber ein wenig Ironisch scheint mir das schon. Erst die schlechte Nachricht mit dem Blütenzauber, dann die super Sache mit Dennis Handynummer, gefolgt von der positiven Überraschung mit Frau Kräuser und nun dieser Hammer von meiner Mutter, die mit Herrn Kiesmer zusammen ist. Das nennt man wohl das Gleichgewicht der Dinge.

 

Es steht also zwei zu zwei. Dann will ich mal sehen, was der Abend mit Dennis für mich bereithält. Ich hoffe doch nur Gutes.

Kapitel 9 - Bonus

 

„Hey, da bist du ja“, schallt es von Dennis nachdem er mich erkennt. Die Sonne ist bereits unter gegangen. Die Adresse, welche mir von ihm übersendet wurde, führte mich zu einem Lerninstitut.

 

Ich erkannte Dennis sofort, als er aus der Tür trat. Nur war er nicht in Zivil gekleidet, sondern trug die typische Uniform der Verkehrsbetriebe. Dunkelblaue Stoffhose und eine gefütterte, dunkelblaue Jacke mit Logo der Verkehrsbetriebe darauf, minderten sein Ansehen nicht ein bisschen.

 

„Ja klar. Warum den auch nicht?“, frage ich verwundert zurück.

„Triffst du dich immer gleich mit Leuten, die du eigentlich gar nicht kennst?“, fragt Dennis verwundert zurück.

 

„Nur wenn sie so gut aussehen wie du“, ist meine Stimme wieder schneller als der Rest.

„Danke“, nimmt Dennis das Kompliment an.

 

„Und du? Gehst du immer mit Schülern aus?“, will nun ich wissen.

„Hey, du bist 19. Das ist in Ordnung. Außerdem bin ich auch erst 23. Sind dir vier Jahre etwa zu viel?“, schaut mich Dennis nun nachdenklich an.

 

„Nein vier Jahre sind völlig in Ordnung. Aber woher weiß du das denn alles über mich?“, will ich nun wirklich wissen.

„Hast du schon vergessen, dass ich deinen Schülerausweis in der Hand hatte? Da steht dein Name, dein Geburtsdatum und sogar deine Adresse drin“, erinnert er mich.

 

„Und die hast du dir solange gemerkt?“, frage ich verwundert, da mir die Zeitspanne in den Sinn kommt, wo er meinen Ausweis gesehen hat.

 

„Nur bei denen, die gut aussehen“, zwinkert er mir nun zu.

Darauf kann ich nur noch verlegen zur Seite schauen.

 

„Und jetzt komm“, legt mir Dennis die Hand auf den Rücken und dirigiert mich sanft in irgendeine Richtung. Sofort beginnt die Stelle zu kribbeln und meine Haut vibriert förmlich.

 

„Du bist aber kein Verrückter oder sowas?“, frage ich trotzdem nach.

„Würde so einer jetzt ja sagen?“, fragt Dennis zurück und lacht.

„Vermutlich nicht“, überlege ich.

 

Wir halten an. Dennis stellt sich mir gegenüber und schaut mir in die Augen.

„Was sagt dir denn dein Gefühl?“, fragt er mich mit ruhiger Stimme.

 

„Das sagt mir schon seit unserer ersten Begegnung, wie toll du bist“, gebe ich verlegen zu.

Ein kleines Lächeln zuckt über Dennis‘ Mundwinkel, er greift meine Hand und drückt sie sanft. Dann gehen wir weiter.

 

Während des Spaziergangs durch die Nacht reden wir über Gott und die Welt. Dennis verrät mir, was er gerade in dem Gebäude getan hat. Nämlich macht er dort eine Weiterbildung zum Straßenbahnschaffner. Das ist nämlich sein eigentliches Ziel. Nur deswegen hatte er damals eine Ausbildung bei den Verkehrsbetrieben angefangen, damals aber eher noch im Servicebereich.

 

Ich rede über meine Schule. Lausche aber lieber den Worten von Dennis.

Etwa 20 Minuten später stoppt er plötzlich.

„Warum hältst du an?“, frage ich.

 

„Ich wohne hier“, gibt mir Dennis zurück, „und du hast noch nicht deine Schuld getilgt.“

„Ich dachte, dass hätte sich erledigt“, murmle ich und schaue nach unten.

 

„Auf gar keinen Fall“, nimmt er nun mein Kinn zwischen Daumen und Zeigfinger, dirigiert meinen Kopf wieder nach oben und schaut mir direkt in die Augen. Alles fängt bei mir an mit Kribbeln. Die stellen, wo seine Haut meine Berühren, mein gesamter Kopf, wenn Dennis mir so in die Augen schaut.

 

Ich spüre, wie sich ein Gedanke formt, wie er langsam in meinem Unterbewusstsein gepflanzt wird, wie eine Kletterpflanze meinen Verstand hochkriecht, und in meinem Kopf Früchte trägt.

 

„Du willst mich ficken?“, platzt es aus mir heraus, wie aus einer überreifen Kastanie. Verdammter Blütenzauber.

Dennis nimmt ruckartig die Finger von mir. Seinem Gesicht entgleiten die Züge. Ungläubig schaut er mich an. Doch dann fällt er in schallendes Gelächter aus.

 

Verwirrt schaue ich Dennis an. Dieser fängt sich allmählich wieder, wischt sich eine Träne aus dem Augenwinkel und nimmt sprachlos meine Hand.

 

Wie in Trance folge ich ihm zur Tür.

Nun erkenne ich, dass er in einem Neubaublock wohnt. Dennis holt seinen Schlüssel aus der Tasche und schließt auf. Dann geht es weiter. Eine kleine Treppe weiter oben sehe ich Türen eines Fahrstuhls. Kurz nachdem Dennis den Knopf betätigt hat, öffnen sich die Türen. Wir steigen ein und Dennis betätigt den Knopf für die sechste Etage.

Die Türen schließen sich, und ich erkenne erst jetzt, wie eng der Raum ist. Vielleicht ist noch Platz für zwei weitere Personen.

 

In der zweiten Etage hält der Fahrstuhl. Die Türen öffnen sich und eine junge Frau mit Kinderwagen tritt ein.

„Hallo Dennis“, grüßt sie meinen Begleiter und schiebt das Gefährt hinein.

 

Durch den Platzmangel müssen Dennis und ich ein wenig aneinander rücken. Nun drückt sein Körper direkt an meinen. Sein Duft kommt mir in die Nase.

 

„Sorry, war noch nicht Duschen“, murmelt er mir entgegen, als ob er wüsste, was in mir vorgeht.

Ich rieche seinen Geruch ein. Ein wenig salzig und männlich, aber nicht schlecht. Eigentlich ganz erregend.

Mein Körper meint dies ebenso. Eine Reaktion seiner kann ich nicht mehr aufhalten.

Unweigerlich schwillt etwas in meiner Hose an.

 

„Fuck, wann gehen denn die Türen auf“, murmle ich, was ich eigentlich doch nur denken wollte.

„Sorry“, entkommt es Dennis leise. Er versucht ein wenig Platz zu machen, streift dabei mit seinem Schritt meinen Schoß.

 

„Oh“, hat er es nun auch gemerkt, verengt die Augen und legt ein freches Grinsen auf. Dann presst er seinen Schritt noch etwas dichter an meinen. Unweigerlich beginne ich schwerer zu Atmen. Da kommt sein Kopf meinem näher, dreht ihn etwas und bewegt seine Lippen nah an mein Ohr.

 

„Und du fragst mich, ob ich dich Ficken will“, raunt er mit tiefer Stimme in mein Ohr. Sein Atem streift meine Haut.

„Fuck“, stöhne ich auf, schäme mich sogleich für die Ungehaltenheit. Die junge Frau fängt an mit Kichern. Dann erlöst mich das Ping des Fahrstuhls. Die Türen gehen auf und ich presse mich regelrecht herraus.

 

„Tschau Eileen, Bye Nicki “, verabschiedet er die Frau mitsamt dem Kind und geht aus dem Fahrstuhl.

„Sag Wiedersehen zu Onkel Dennis“, höre ich Eileen zu dem Baby sagen und das Kind lächelt Dennis an. Dann gehen die Türen zu und wir sind allein in dem Flur.

 

Alles wirkt irgendwie Kahl. Keine Bilder an den Wänden, keine Pflanzen in den Ecken und die Wandfarbe erinnern eher an Farbreste der DDR.

 

„Hier“, deutet mir Dennis die nächste Tür an und geht sogleich darauf zu. Ich folge ihm weiter. Er schließt auf und geht hinein.

 

Er hält einladend die Tür auf, gibt mir mit dieser Geste aber auch die Möglichkeit einen Rückzieher zu machen. Kurz stocke ich, trete dann aber hinein. Dennis schließt die Tür. Nun stehen wir in einem winzigen, quadratischen Flur. Wir haben zu zweit gerade Platz. An der einen Seite steht ein Regal, an der anderen ein kleiner Schreibtisch mitsamt Laptop.

 

Außer der Wohnungstür sind noch zwei weitere zu sehen. Dennis öffnet die eine und deutet mir einzutreten. Ich nehme an und betrete den Raum.

 

Er ist klein. Vielleicht 25 oder 30 Quadratmeter, wenn es hoch kommt. An der Wand neben der Tür ist ein Teil gefliest und darunter befindet sich eine kleine Singleküche. Gegenüber sehe ich ein Sofa. Rechts an der Wand sind hohe Fenster, gegenüber eine große Kommode mit Fernseher darauf.

 

„Das war‘s?“, entkommt es mir flüchtig.

„Naja und ein Bad“, lacht Dennis auf. Diese freundliche und unbekümmerte Art ist einfach göttlich.

„Und wo schläfst du?“, frage ich direkt heraus.

 

„Die Couch kann man ausziehen“, erklärt er mir.

„Ernsthaft?“, will mein Schock einfach nicht abklingen. Seine komplette Wohnung ist so groß, wie mein ganzes Zimmer.

 

„Jup“, geht er in die Mitte und dreht sich kurz, „damals als Auszubildender konnte ich mir nicht mehr leisten und nach den drei Jahren hab ich die Bude einfach liebgewonnen. Außerdem muss man nicht so viel Putzen.“

 

„Das Problem habe ich zum Glück nicht“, nuschle ich in mich hinein.

„Hotel Mama, was?“, fragt er mit hochgezogener Augenbraun.

 

Ich lache auf: „Wenn du wüsstest…“

„Kannst es mir ja später erzählen, ich geh erstmal Duschen“, entschwindet Dennis aus dem Zimmer.

Nun stehe ich hier. Was soll ich mit mir anfangen?

 

Die Gedanken schießen mir durch den Kopf. So viele gleichzeitig, dass ich nur Wirrwarr rede.

„Also ich… und dann… wenn hier… und nun… Dennis und ich… keine Ahnung… Couch… Wände… Trinken…“, könnte man denken ich hätte einen Schlaganfall.

 

„Bssss“, bringe ich die Stimmen zum Schweigen, „ich soll meine Schuld begleichen? Das kann er haben.“

 

Ich gehe zu der Couch und schaue mir das Teil etwas näher an. Schnell habe ich verstanden und ziehe das Teil auseinander und hier etwas verschieben und dort was runterdrücken und da ist die Bettwäsche und so wird doch ein Schuh beziehungsweise ein Bett draus.

 

Dann streife ich mir meine Klamotten vom Leib und kuschle mich unter das kühle Weich.

 

Die Wäsche riecht leicht nach Dennis. Es gefällt mir. Also schließe ich die Augen und atme tief den Duft ein.

 

„Was machst du denn da?“, holt mich Dennis‘ Stimme wieder zurück. Ich öffne die Augen und erkenne, dass er in Joggings-Hose bekleidet wieder zurückgekommen ist. Sein Haar ist noch etwas feucht und ein angenehm frischer Geruch strömt aus seiner Richtung. Mein Blick gleitet über seinen nackten Oberkörper. Verharrt kurz an seinen dunklen Brustwarzen, scannt die glatte Brust und seinen kleinen, sexy Bauch. Erregt beiße ich mir bei diesem Anblick auf die Unterlippe

 

„Meine Schuld abarbeiten“, erkläre ich ihm verwundert, „warum bin ich denn sonst hier?“

„Oh Jan“, schüttelt Dennis den Kopf, „das denkst du echt von mir?“

„Ich weiß nicht mehr, was ich denken soll“, seufze ich.

 

Dennis geht zu meinem Klamottenberg, fischt meine Unterhose heraus und wirft sie mir entgegen.

„Zieh die wenigstens an“, gibt er mir zu verstehen.

 

Verwundert komme ich der Bitte nach. Dann hebt Dennis die Decke an und legt sich neben mich.

Es ist so schön, ihn neben mir zu haben. Er ist so warm, so schön, so perfekt.

 

Vorsichtig dreht er seinen Körper und legt seinen Kopf auf seinen Arm. Ich sehe in seine Haselnussaugen und möchte schmelzen.

 

„Jan. Ich möchte dich kennenlernen. Ich möchte mit dir reden. Ich möchte Dinge von dir erfahren. Und ich möchte, dass du Dinge von mir wissen willst. Verstehst du das?“, schaut er nun ernst.

 

Ich nicke leicht.

 

„Und was deine Schuld angeht“, redet Dennis nun weiter, „du begleichst deine Schuld, indem wir erst miteinander schlafen, wenn wir uns gut genug kennen.“

 

„Und wann ist das?“, platzt es aus mir heraus, weil ich irgendwie enttäuscht bin, dass wir doch keinen Sex haben.

„Dass“, zieht Dennis nun einen Mundwinkel nach oben und grinst mich frech an, „entscheide ich.“

 

„Einverstanden“, seufze ich. Dann lege ich meine Hand auf seine, fahre seinen Arm nach oben und mache bei seiner Schulter halt.

 

„Was wird das?“, will Dennis wissen.

„Keinen Sex hab ich verstanden. Aber was ist mit kuscheln oder küssen?“, will ich wissen.

Kurz überlegt er, antwortet aber dann: „Das ist ok.“

 

Endlich kommen sich unsere Gesichter näher. Ich schließe meine Augen und dann spüre ich endlich seine Lippen auf meinen. Erst ganz sacht und vorsichtig, dann neugierig und forsch und zu guter Letzt leidenschaftlich. Mein Schwanz pocht hart und auch Dennis seinen kann ich deutlich wahrnehmen. Doch ich halte mich an seine Forderung. Auch wenn ich glaube, dass es für Dennis mehr Strafe ist, als für mich.

Epilog

 Kaum zu glauben aber wahr, wir haben es wirklich ausgehalten. Ohne Sex und vor allem miteinander.

Langsam glaube ich, Dennis kennt mich besser als sonst jemand. Dass eine magische Blume dabei nicht ganz unschuldig ist, ist erstmal egal.

 

Jedenfalls habe ich seine Familie kennengelernt, welche sich als wirklich nette Leute herausgestellt haben. Dennis sieht seinem Vater wirklich ähnlich und wenn er im Alter auch so gut aussieht, kann ich mich wirklich auf etwas freuen. Da Dennis Einzelkind ist, gab es dann nur noch die Großeltern. Diese waren sehr lustig und erinnerten mich an zwei ältere Herren aus einer berühmten Kindersendung.

 

Bei meiner Familie war es ein wenig Komplizierter. Das ich aus gutem Hause komme, schreckte Dennis nicht ab. Erst recht neugierig wurde er, als ich ihm meine Familienverhältnisse erklärte.

 

Er war ganz erpicht darauf alle kennenzulernen. Die Reaktion meiner Mutter reichte aber aus, um ihm diese Neugier wieder auszutreiben. Mein Vater hingegen nahm ihn freundlich auf. Ella und Dennis verstanden sich auf Anhieb, was vor allem daran lag, dass er so selbständig ist und ihr gern einen Teil der Hausarbeit abnimmt. Er meint, wenn er sich hier aufhält, kann er auch einen Teil der Arbeit machen. Ella hat jedes Mal ein Glitzern in den Augen, wenn er das sagt.

 

 

Jedenfalls gingen die Tage ins Land und die Weihnachtsferien begannen. Als kleines Kennenlernritual verdonnerte mein Vater Dennis dazu, mit ihm einen Weihnachtsbaum kaufen zu gehen. Ich war ausgeladen.

 

Nervös erwartete ich die Ankunft der beiden.

Doch als beide die Tür aufschlugen und eintraten, als ob sie schon immer beste Freunde waren, viel mir ein riesen Stein vom Herzen.

 

Den Baum durften dann Ella und ich schmücken. Dad musste noch zum Stadtrat und Dennis auf Arbeit.

Und so kam der 24. Dezember: Weihnachten.

 

Ich liege auf meinem Bett und habe das ungemein angenehme Gewicht meines Liebsten auf mir. Wild Knutschen wir rum und unsere Ständer reiben sich sehnsüchtig aneinander.

 

„Ich will nicht mehr warten“, seufze ich in den Kuss hinein.

„Nur Geduld“, erwidert mir Dennis, „außerdem sind unten alle. Wenn du jetzt das Haus zusammenstöhnst, haben alle den Schock des Lebens.“

 

„Konnte ich ja nicht wissen, dass mein Vater ALLE einlädt“, lass ich nun von ihm ab und schaue in seine Augen, die noch immer wunderschön wie am ersten Tag strahlen.

 

„Irgendwie ist es aber schön so, oder?“, fragt er mit freudigem Gesicht.

 

„Stimmt“, erwidere ich. Immerhin wartet unten nicht nur mein Vater. Auch Ella, ihr Mann Carsten und ihre Tochter Vivien sind eingeladen. Außerdem zählen auch Dennis‘ Eltern und Großeltern zu den Gästen. Auch meine Mutter und *augenrollen* Herr Kiesmer haben eine Einladung erhalten, aber (zum Glück) abgesagt.

 

Eher ist der Kontakt leider noch schlechter geworden, aber was soll es.

„Erzähl es mir“, fordert Dennis.

 

„Was soll ich dir erzählen?“, frage ich verwundert.

„Ich weiß nun so viel von dir“, klaut er sich schnell noch einen Kuss, „und ich bin mit so vielem klar gekommen“, streicht er seine Nase an meiner, „aber eins gibt es da noch. Das Spüre ich.“

 

„Stimmt“, bestätige ich.

„Erzähl es mir. Bitte“, fordert er flehend.

„Das ist zu verrückt“, weiche ich aus.

 

„Versuch es“, versucht er es weiter.

„Ach was soll’s“, seufze ich und schiebe Dennis‘ Körper sanft beiseite. Dann richte ich mich auf und gehe zum Schreibtisch. Aus der Schublade hole ich die Kugel und werfe sie Dennis entgegen. Er fängt sie und schaut sie ungläubig an.

 

„Was ist das?“, will er wissen.

„Was würdest du sagen, wenn ich dir verrate, dass dieses Ding schuld ist, dass ich alle meine Gedanken preis geben muss“, versuche ich es so.

 

„Zu jedem anderen Mensch würde ich ‚du spinnst doch‘ sagen. Aber zu dir?“, richtet er sich auf und schaut mich direkt an. Ich kann seinen Blick auf meiner Haut spüren.

 

„Aber so ist das nun mal. Ich kann keinen Gedanken im Kopf behalten, sondern muss ihn aussprechen“, erkläre ich ihm.

 

„Also“, greift Dennis meine Hand, „hast du mir all die Dinge nur über dich erzählt, weil du es musstest?“

Ich nicke zustimmend: „Jetzt hasst du mich…“

 

„Darf ich dich mal was fragen?“, zieht er mich zu sich ran, „Bereust du denn, dass du mir das alles sagen musstest?“

„Nein“, gebe ich entschieden zurück.

 

„Und meinst du, dass du mir ohne diese Murmel jemals so viel erzählt hättest?“, fragt er weiter.

„Ich… weiß nicht… keine Ahnung…“, stottere ich, mein es aber ehrlich.

 

„Und nun die wichtigste Frage.“, nimmt er mein Kinn zwischen Daumen und Zeigefinger und schmeißt die Prophezeiungskugel neben sich aufs Bett, „würdest du mir denn jetzt auch noch deine Gedanken verschweigen wollen?“

„Niemals“, antworte ich ihm, mit so viel Vertrauen in der Stimme, wie ich aufbringen kann.

 

„Dann ist es egal und natürlich hasse ich dich nicht“, zieht mich Dennis nun auf sich, schlingt mir die Arme um den Hals und küsst mich, dass ich die Welt um mich vergesse.

 

Plötzlich höre ich leises klirren. Ich öffne die Augen und lasse von Dennis ab. Er scheint es auch zu hören, denn unsere Köpfe richten sich nach der Geräuschquelle aus. Ich entdecke die Prophezeiungskugel, die bis zu meinem Schrank gerollt ist.

 

„Ist das normal?“, will Dennis wissen, der nun auch die kleine Glassphäre entdeckt hat.

„Keine Ahnung“, antworte ich.

 

Da strömt plötzlich aus der Kugel ein gleißend helles Licht. Mein ganzes Zimmer ist in weißen Strahlen gehüllt. Geblendet muss ich die Augen schließen, aber selbst da blendet es schrecklich hell.

 

Dann ist das Licht aber auch schon verschwunden. Ich öffne die Augen und schaue auf die Stelle wo eben noch die Prophezeiungskugel lag. Dort liegt nur noch ein kleines Häufchen schwarzer Staub.

„Okay“, höre ich Dennis Worte, „das war seltsam.“

 

„Stimmt“, da erinnere ich mich wieder, dass Christoph so ein ähnliches Verhalten erwähnte, als bei ihm der Zauber aufhörte zu wirken.

 

Kann es wirklich vorbei sein?, denke ich. Und ja ich denke es, ohne zu sagen.

„Es ist vorbei“, sage ich.

 

„Was?“, fragt Dennis verwirrt.

„Ich habe meine Gedanken wieder für mich“, antworte ich ihm.

 

„Und sperrst du mich jetzt aus deinen Gedanken, jetzt wo du sie wieder hast?“, will Dennis wissen.

„Niemals“, antworte ich ihm, schlinge meine Arme um ihn und Küsse ihn, dass alle Zweifel vernichtet werden.

 

Da klopft es an der Tür. Wir lassen voneinander ab und bitten den Klopfenden herein.

Mein Vater kommt zum Vorschein: „Hey ihr beiden. Wenn ihr mit eurer Lightshow und dem Geschmuse fertig seid, kommt runter. Alle warten und es gibt Geschenke.“

 

„Wir kommen schon“, antworte ich ihm.

Darauf verlässt er mein Zimmer: „Diese jungen Leute…“

Wir lachen beide auf.

 

„Ich habe heute Abend auch ein besonderes Geschenk für dich“, reibt Dennis aufreizend seinen Schritt an meinen.

„Hab ich meine Strafe etwa getilgt?“, frage ich mit erwartungsschwangerer Stimme.

 

„Aber sowas von“, gibt mir Dennis einen schnellen Kuss, „und jetzt lass uns gehen, sonst kann ich für nichts mehr garantieren.“

 

„Dann los“, richte ich mich auf, greife mir Dennis‘ Hand und führe uns zur trauten Weihnacht in den warmen und geborgenen Schoß aller unserer liebsten Menschen.

 

 

ENDE

Nachwort des Autors

 

Danke für's lesen meines siebten Blütenzaubers

 

Danke, danke, danke, danke...

 

Handlung, Personen, Orte, etc. sind fiktiv und daher frei erfunden.

Eventuelle Übereinstimmungen sind daher rein zufällig.

 

 

Im echten Leben gelten 3 Dinge immer:

 

Leben und leben lassen!

 

Handelt verantwortungsbewusst!

 

Seid offen und tolerant zueinander!

 

 

Ganz zum Schluss möchte ich noch mein ganz persönliches Lebensmotto mit euch teilen, was ich mir für unsere Gesellschaft wünsche:

 

'mit Einklang zum Gleichklang!'

In eigener Sache

 Am 31.07.2015 habe ich mein erstes Buch auf Bookrix veröffentlich. Außerdem war es auch mein erster Blütenzauber.

Ich weiß noch, wie sich damals die Idee für diese Geschichte geformt hat. Nachdem er geschrieben war, war ich voller gemischter Gefühle.

 

Wie würde er ankommen?

Würden die Leute ihn lesen wollen?

Könnte man vielleicht einen weiteren Teil schreiben?

 

Das waren nur einige der Fragen, die ich mir gestellt habe. Und nun sehe ich die positive Resonanz, welche von euch Lesern zurückkommt.

Allein dadurch habe ich die Kraft, die Inspiration und den Willen für weitere Werke geschöpft.

 

Dafür noch einmal ein fettes DANKE.

 

Jedenfalls habe ich es geschaft innerhalb von FÜNF Monaten SIEBEN Blütenzauber, und FÜNF Kurzgeschichten zu veröffentlichen. Und das ist (für mich jedenfalls) eine verdammte Menge.

 

Aber wie Ihr euch denken könnt, besteht mein Leben nicht nur aus Blütenzauber schreiben.

Nebenbei habe ich mein Studium, Klausuren, Praktikas, Familie und Freunde und (mittlerweile) drei autorische Großprojekte.

Und ich muss es jetzt leider mal so direkt sagen, aber ich brauch eine Pause.

 

Und diese kleine krative Auszeit werde ich mir auch nehmen.

 

In den nächsten Wochen (vllt. auch Monaten) wird hier nichts geplantes von mir veröffentlich. Vllt. mal eine Kurzgeschichte, WENN ich wirklich die Power zu der Story habe.

 

Jedenfalls will ich die Zeit nutzen, um natürlich meine Kreativität aufzuladen.

Außerdem habe ich, wie oben erwähnt, die Großprojekte, die meine Aufmerksamkeit fordern.

Und eine Zusammenarbeit mit der großartigen Momo Harper (checkt mal ihr Bookrix - Profil)  ist in der Planung.

 

Das heißt natürlich nicht, dass Blütenzauber für mich vorbei ist. Auch jetzt gehen mir 1000 Gedanken zu der Reihe im Kopf rum.

 

Nur als kleiner Spoiler und ich lass mich da auch nicht drauf festlegen, aber ich habe bereit sieben weitere Blütenzauber-Cover erstellt, plane den Abschluss als Trilogie und plane eine weitere Reihe, die auf Blütenzauber aufbaut. 

 

Mit diesem kleines Zukunftsblick verabschiede ich mich in meine Pause und hoffe, dass wir uns wiedersehen, wenn die Wunderblumen ihre magische Wirkung entfalten.

 

 

Ich hab euch alle ganz doll lieb ... LG RW

Impressum

Texte: Rolf Weller
Bildmaterialien: Rolf Weller
Tag der Veröffentlichung: 23.12.2015

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Blütenzauber der siebente. Und diesen Teil widme ich ganz besonders einem User. "Keine Sorge, ich habe dich nicht vergessen": TEKA, dieser Teil ist nur für dich. Auf diesem Weg, möchte ich dir für deine lieben Worte danken. Deine Nachricht hat mich erreicht, hat mich gefreut und hat mich ebenso motiviert/inspiriert. Dir und auch allen anderen viel Spaß mit Blütenzauber 7 - GRÜN.

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