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Regel Nr. 1


Regel Nr. 1

"Höre nie auf zu Träumen, nie!"


M

eine langen Beine hatte ich angespannt übereinander geschlagen. Ich musste zweimal seufzen. Dort saß ich auf dem morschen Baumstamm einer alten Eiche, die frierenden Hände eingehüllt in meinen blauen Muff, den restlichen Körper in den veilchenblauen Mantel eingekuschelt. Seit elenden fünf Tagen kam ich nun täglich hierher, einerseits um die friedliche Stille der Natur zu genießen, andererseits um auf etwas zu warten, was nicht ungelüftet bleiben durfte. Denn vor knapp fünf Tagen - an einem kalten Märzsonntag - hatte sich mir etwas offenbart, was ich dringend wiedersehen wollte. Oder? Nein, was ich dringend wiedersehen musste. Seit jenem Sonntag träumte ich immer wieder von diesem geheimnisvoll glitzernden Quarzfels, umgeben von tiefblauen Dornenrosen. Ständig dachte ich daran, wie ich ihn erstaunt und ehrfürchtig berührt hatte. Seine Oberfläche war überraschend kalt gewesen, doch eine tiefe Wärme ging von ihm aus, als würde in ihm ein Feuer brennen. Als ich mich vorsichtig geduckt hatte, um mich zu vergewissern, dass die Wärme nicht von einem Feuer kam, schaute ich in das riesige Rundloch, das mir einen langen Tunnel offenbaren sollte. Ein Schauer huschte über meinen Rücken, als ich diesen Moment innerlich wiederholte. Wieso war ich nur fortgelaufen? Wieso hatte ich nicht meine Freundin alarmiert und mit ihr dieses anziehende Geheimnis erkundet? Nun, ich denke, ich weiß beide Antworten. Ich war fortgelaufen aus großer Angst. Angst, wieder verhöhnt zu werden aufgrund von Halluzinationen oder - mein erfundenes Wort - verwirklichte Fantasierung. Außerdem, was hieß überhaupt meine Freundin? Wie ich nur zu gut wusste, hatte ich keine Freundinnen oder Freunde mehr. Tracy ist nach London gezogen, Lucy!

, erinnerte ich mich widerwillig. Tracy und ich - im übrigen wurde ich Lucy genannt - waren beste Freundinnen seit wir die Welt erblickt hatten und man unsere blauen Augen strahlen sehen konnte, denn unsere Eltern waren ebenfalls Freunde gewesen. Leider mussten Tracy's Eltern - Tina und John - auf Tournee, denn beide sind gute Schauspieler. Deshalb lebte meine Liebste in London für ein knappes Jahr bei ihrer Tante Harriet, sie fuhr vor vier Wochen ab. Nun war ich alleine und konnte so auch keine Freundin mitnehmen, um den Tunnel zu besichtigen. So einfach war das. Meine Wollmütze verrutschte und ich musste eine Hand aus dem Muff ziehen, um sie wieder zurecht zu ruckeln. Weißer Puderschnee hatte sich auf meiner warmen Kleidung abgelegt, solange wartete ich hier bereits. Die veilchenblauen Sachen, die ich trug, leuchteten regelrecht gegenüber der weißen Schneemasse. Die Zeit ging weiter und die Sonne neigte sich zum Untergehen. Da ich mich ohnehin schon fast tot fror, ging ich nicht nach Hause. Meinem Vater hatte ich gesagt, ich hätte Orchesterprobe, denn ich spielte Klavier, und so würde er erwarten, mich erst um 22:00 Uhr wieder zu sehen.

Als ich den Schlüssel zu unserem schmucken, sehr großen Häuschen wegsteckte, trat ich ein. Ich wohnte abseits von Canterbury, fast in Kent und 500 Meter von der Stodmarsh Road entfernt. Mein verwitweter Vater George war Professor in Oxford für Wirtschaft und Politik. Da sein Auto nicht in der Garage stand, ging ich mal davon aus, alleine zu sein. Im Flur legte ich meinen durchnässten Mantel ab und bettete ihn mit den anderen pitschnassen Sachen auf die Heizung, sodass ich nur noch meine Unterwäsche anhatte. Blitzschnell stürmte ich in das gekachelte Badezimmer und drehte den Wasserhahn auf, um das Wasser für die Badewanne einzulassen. Komm schon!

, bibberte ich gedanklich. Die Wanne füllte sich mit warmen Wasser und bald ließ ich mich vorsichtig hinein gleiten. Kaum war ich in der Wärme eingelullt, seufzte ich erleichtert. Ich legte meinen Kopf in den Nacken und dachte nach. Dabei wickelte ich mir eine meiner kurzen, braunen Strähnen um den Finger und zwirbelte sie nachdenklich herum. Muss ich vielleicht einfach bis Sonntag warten?

Sinn würde es ergeben. Doch was, wenn nicht? Was, wenn der Quarzfels schon vor Sonntag wieder erscheinen würde?

Ein bisschen fühlte ich mich wie eine Detektivin und um auch so zu wirken, tat ich, als würde ich mir alles notieren, indem meine blassen Hände merkwürdige Zeichen in den Schaum drückten. Wieviel Uhr war es gewesen, als der Vorfall eintrat?

Zugegeben, etwas kindisch war es schon. Zudem hatte ich ja keine Ahnung, wie spät es gewesen war! Die Sonne hatte nicht geschienen, aber das tat sie sowieso nur selten im englischem Spätwinter. Nachdenklich ließ ich meinen großen Zeh kreisen und ließ die Strähne los. Vielleicht um 18:00 Uhr. Auf jeden Fall vor 20:00 Uhr!

In dem Fall konnte ich mir wirklich sicher sein, denn George und ich hatten um 20:00 Uhr Dinner gegessen [Roastbeef, Yorkshire-Pudding und Gemüse]. Wo war der Vorfall?

Sinnlos, immerhin wusste ich's eh. Außerdem wurde es mir zu albern und ich wollte mich ernst mit diesem mysteriösen Geschehnis befassen. Es gab drei Fragen, die mich am meisten interessierten: Wird der Vorfall noch einmal eintreten? Wenn ja, wann und wo, und wieso habe genau ich es gesehen?!

Anscheinend muss ich auch hier mit den Ermittlungen anfangen. Also von vorne, wenn auch diesmal genau..

Als George kam, lag ich bereits in meinem aufgewärmten Tiefbett und dachte angestrengt nach. Auf dem altem Nachttisch brannte eine rote Wachskerze, die ich schnell auspustete. Mein Vater mochte es gar nicht gerne, wenn in meinem Zimmer Feuer war, und außerdem sollte er nicht mitkriegen, dass ich noch nicht schlief. Deshalb versuchte ich möglichst tief und lang ein- und auszuatmen, als er seinen Kopf zu mir herein in das Zimmer steckte. Anscheinend roch er nicht den Rauch und merkte nicht, dass ich mich so gelegt hatte, dass er nur meinen Rücken sah um nicht mein unterdrücktes Lachen zu zeigen. Zum Glück! George war ein Superdaddy, aber manchmal übertrieb er mit seinen Regeln, meiner sensationellen Meinung nach. So zum Beispiel ist es mir nicht gestattet

nach 23:00 Uhr ins Bett zu gehen [Ausnahmen erlaubt].
Draußen regnete es. Ich mochte das, denn bald würde April sein, und es lag immer noch Schnee. Heute war der 18.03.2011. Mir fiel ein, dass mich morgen keine Schule erwarten sollte

- es aber tat. Die Privatschule, auf die ich ging, hatte neu eingeführt, nur von Montag bis Freitag Schule zu haben, doch da unsere Lehrer meinten, wir sollten uns erst daran gewöhnen, wurde der Samstagsunterricht langsam minimiert, bis der ganze Tag schulfrei sein würde. So hatte ich morgen nur Kunst. Mein Lieblingsfach - eigentlich. Zurzeit hatten wir das Thema Porträt und leider schaffte es niemand mich abzuzeichnen. Ich hatte kurze, glatte Braunhaare und unglaublich hellblaue Augen. Außerdem besaß ich eine sensible, blasse Haut und eine ungewöhnlich hübsche Nase. Zugegeben - was mein künstlerisches Talent anging, war ich schon fortgeschritten. In Kunst und Musik hatte ich eine standfeste 1+, dafür allerdings in Geschichte und Chemie eine 4. Sonst war ich im 2er-Bereich. Doch rasch verscheuchte ich meine trüben Gedanken an den morgigen Tag. Müdigkeit kroch in meine Lider und schon bald schlief ich ein und verfing mich in meinen ruhigen Träumen.

Ungewohnt langsam radelte ich die Stodmarsh Road entlang und ließ mein rotes Fahrrad Schlenker fahren. Meine Schuluniform war frisch gewaschen und dennoch kam ich mir vor wie ein Häufchen stinkendes Elend. Es gab viele Dinge, die ich mochte, und viele, die ich nicht mochte. Schule war eines der letzeren Dinge.
Wenigstens das Wetter munterte mich auf. Die lichtbringende Märzsonne ließ den matschigen Schneerest endgültig schmelzen. Ich stellte erleichtert fest, dass am Montag Frühlingsanfang sei und somit für meine Schule 2 Wochen Ferien begännen. Schneeglöckchen und Krokusse bahnten sich einen Weg durch die Schicht geschmolzenes Wasser und brachten Farbe in die Landschaft. Mein Lieblingsbaum - insgeheim hatte ich ihn Isalya getauft - zeigte schon die ersten Knospen. Nur die Straße versaute das Bild. Die Stodmarsh Road war älter als man dachte, wurde aber nur selten befahren, so kam es mir vor. Mit mulmigen Gefühl im Bauch radelte ich auf den Hof der Privatschule und stellte mein rotes Bike ab. Rinoa und Tom, die beiden Zwillinge, kamen mir entgegen. Sofort tat ich so, als würde ich mein Fahrrad abschließen. Die beiden liefen, ohne mir jegliche Beachtung zu schenken, vorbei und lachten. Ich war für einen Moment lang versucht, jenes Schloss aufzuschließen und wieder nach hause zu radeln, aber ich wusste, dass dies sehr schlimm gewesen wäre. Deshalb holte ich tief Luft und folgte Rinoa und Tom auf die Hauptür zu.

Wir mussten in den dritten Stock zu den Kunstsälen. Weiterhin wurde ich schlichtweg ignoriert und ich hoffte, das blieb auch so. Ich und die Zwillinge waren scheinbar die Letzten, denn alle anderen außer Quentin saßen bereits auf ihren Plätzen. Stumm schob ich mich an den Tischen vorbei in die hinterste Reihe und setzte mich in die Ecke. John, der vor mir saß, drehte mir grinsend den Kopf zu. Sein blonder Lockenkopf hatte es mir nie leicht gemacht, seinen Namen so zu aktzeptieren. Mit seinen hasenähnlichen Vorderzähnen war er für mich ein deutscher Michael, doch das durfte niemand wissen. "Na?", rief er höhnend, "Wie geht es dir denn?" Gelächter hob an. Miss Treehouse war noch nicht da. "Wieder die Dämonen auf dem Hof gesehen?" Ich biss meine Zähne zusammen. Einfach ignorieren, dachte ich verbissen und zerrte den Klettverschluss meiner Schultasche auf. Andere riefen ebenfalls solche Dinge. Jenny, diese Kuh, äffte mich - obwohl sie ganz anders klang! - nach: "Mr. Breakride! Dort... Dort sind Dämonen!" Zum Glück kam in diesen Moment unsere Lehrerin herein und die anderen verstummten. Ich wurde wegen meiner Halluzinationen seit Urtagen verspottet. Obwohl ich versuchte die aufkommenden Erinnerungen zu unterdrücken, sah ich es vor mir, als wäre es gestern passiert...
Wir hatten noch Samstagsunterricht, Geschichte bei Mr. Breakride. Was widerte er mich an, dieser Frauenhasser! Wie fast immer hatte ich am Fenster hinten in der Ecke gesessen [wie heute] und gelangweilt auf den Hof gestarrt. Der Schnee war matschig und die Sonne glitzerte hinter den Wolken hervor. Den ganzen Tag schon hatte ich ein merkwürdiges, stetig aufkommendes Gefühl gehabt, und ich überlegte immer noch, ob das daran lag, weil ich am nächsten Tag - dem Sonntag - den sonderbaren Rosenquarzfels entdecken sollte. 13:00 Uhr war es gewesen, wir sollten gleich Pause kriegen. Noch 15 Minuten. Mr. Breakride quatschte gerade über die Aborigines in Australien und über dessen Sitten, als mich etwas aufrichten ließ. Was war das?

, hatte ich mich gefragt. Hätte ich doch damals nur nicht den Kopf verloren! Wäre ich damals nicht aufgesprungen - den Unterricht hatte ich total vergessen - und hätte mein Gesicht nicht an die Scheibe gepresst, würde heute alles okay sein. Dann hatte ich es nochmal gesehen: die gehörnten Schattengestalten, die mir einen Schauer über den Rücken laufen ließen. Der Schrei, der darauf folgte, war kurz und hell. Mr. Breakride war vor der Tafel herumgewirbelt und hatte mich angestarrt. Rinoa war ebenfalls aufgesprungen, Tracy riss die Augen auf und wollte zu mir rennen. Alle hatten mich angestarrt. Die Gestalten unten auf dem Hof hatten sich anscheinend hektisch umgeguckt. Hatten sie mich gehört? Ich hatte fast durch die vier durchgestarrt, so nebelig schwarz waren sie. Wieso, um Himmels Willen, hatte ich nur "Mr. Breakride! Dort... Dort sind Dämonen!", geschrien? Wieso hatte ich nicht meine verdammte Klappe gehalten und stattdessen gemeint, ich müsste dringend auf Toilette oder hätte Zuckungen? Dumm, Dumm, Dumm! Ich war so dumm! Doch jetzt war es zu spät, um etwas zu bereuen. Tracy war die einzige gewesen, die weiterhin zu mir gehalten hatte. Doch Tracy war weg, für ein verflixtes Jahr. Zurück in die Gegenwart. Miss Treehouse zeigte uns, wie die 2-Punkt-Perspektive funktionierte. Ich hörte wahrscheinlich zum ersten Mal in meinem Leben ihr nicht zu. Wie sollte ich auch? Meine Gedanken fanden keine Ruhe. Ich wusste nicht, was ich tun könnte. Wie lange musste ich noch warten?

Die vier Jahreszeiten

waren meine Spezialität. Mit selbst eingebauten, zusätzlichen Akkorden und der ununterbrochenen Melodie klang das Stück von Vivaldi nahezu göttlich. Ich spielte am Flügel in unserem Wohnzimmer. Vater war da. Er rauchte seine Zigarre und wärmte sich am Kamin auf. Gerade eben erst war er zurückgekommen. Die Fahrt nach Oxford dauerte mindestens drei Stunden, doch als Alleinerziehender konnte er nicht diese außerordentlich gut bezahlte Arbeit kündigen. Am Anfang hatte er sich etwas, was nicht so weit weg war, suchen wollen, doch es gab nichts, was dem Niveau von Oxford entsprach - so arrogant es auch klang. Seine Augen waren geschlossen, damit er ganz und gar in der herrlichen Musik, die ich entfachte, versinken konnte. Früher einmal hatte er zu mir gesagt, als ich mit Klavier angefangen hatte: "Erst, wenn man alles vergisst, wenn du spielst, dann erst bist du gut. Aber wenn man nichts vergisst, und dennoch voll und ganz entspannt, dann

bist du sehr gut, denn Vergesslichkeit sollte man niemals positiv bewerten." Damals hatte ich mit den Augen gerollt. George's Lebensweisheiten nervten manchmal, doch Recht hatte er. Das Stück neigte sich zum Ende, ich war angelangt beim Winter

. Aus Versehen spielte ich einen falschen Ton, doch schnell richtete ich mich nach ihm. Da er eine Oktave tiefer war, als er sein sollte, tat ich so, als hätte ich das ganze Stück tiefer spielen wollen. Vater schien nichts zu bemerken. Ich gähnte. Er gähnte. Wir gähnten. Das Stück war zu Ende. Stille. Dann fragte George: "Spielst du noch einmal?" Ich muss zugeben, ich verneinte. Mein Argument war, dass ich erschöpt wäre und möglichst schnell ins Bett wolle. Vater lächelte, lobte meine Klavierkünste und bot an, den Abwasch zu machen. Dankbar ging ich ins Bett. Morgen war Sonntag. Morgen war es soweit. Morgen.


Da stand ich nun. Das kalte Gefühl der Angst stieg in mir hoch und drohte mir den Kopf zu vernebeln. In Büchern stand immer, dass das Herz pochte. Meins pochte gar nicht. Es war ganz flach, als würde es bald seinen Geist aufgeben. Meine Hand ruhte auf dem Quarz, sie zitterte leicht. Was würde geschehen, sobald ich mich in den Tunnel geschwungen hatte? Würde ich dort entlangrutschen, wie in Ice Age

, oder - was wesentlich wahrscheinlicher war - lange in der Dunkelheit krabbeln, bis es zu eng wurde, und ich dort verkümmerte? Mir fiel George ein. Würde er sich Sorgen machen? Das war sehr wahrscheinlich. Ich war sein einzigstes Kind. Mein Bruder war in North-Irland verunglückt, als er gerade 16 Jahre alt war. Seitdem hütete mich mein Vater noch mehr als seinen Augenapfel und den alten Schmuck von Mum. Mum war tot, lange Zeit schon, ich erinnere mich nicht mehr an sie. Denn kaum lebte ich drei Tage, war sie verschollen. Werde ich auch bald als verschollen gelten, wird mich dieser Stein noch um mein Leben bringen? Es schneite. Ich mochte Schnee eigentlich, aber zuviel war doof. Jetzt war es zuviel. Wie lange stand ich hier bereits? Eine Stunde? Eine Welle der Entschlossenheit überkam mich. Dumm. Ich war so dumm! Dennoch tat ich es, ich bückte mich und sprang in den Tunnel. Ja, ich sprang - und hier begann meine Dummheit, denn ich knallte voll gegen den Stein. In Büchern würde ich jetzt Sternchen sehen und dann bewusstlos werden. Ich jedoch spürte nur einen dumpfen Schmerz, sodass ich mit zusammengebissenen Zähnen die Luft einzog. Ich starrte dorthin, wo meine Füße waren und der Tunnel. Ehe ich überlegen konnte, ließ ich mit meinen Händen den Rand los. Als erstes passierte gar nicht. Ich schoss nicht schnell davon oder so. Nee, ich kam mir vor, als wäre ich ein Ball, der nicht in die Röhre passt. Deshalb fing ich an, mich mit den Händen zu schieben. Das tat zum Glück nicht weh, denn der Steintunnel war ebenfalls aus glattem Rosenquarz. Mir fiel etwas ein. Ich hatte nichts - kein Proviant, keine Klamotten, nichts! Aber jetzt war ich wie in einem Buch, denn ohne dass ich es bemerkte, schoss ich den Tunnel herunter. Wie in Ice Age

das Mammut. Lustig war das, aber ich wusste nicht ganz, ob ich träumte... Keine Sorge, Lucy, du träumst nicht. Ganz sicher nicht.



When I sit and wait for the stone


Regel Nr. 2


Regel Nr. 2

"Schaue nach vorne und blicke nicht zurück!"


E

s roch wie das Vanilleeis vom Eis-Café

Happy Forever!

- künstlich, voller Chemiekalien und ungenießbar. Aber mir war klar, das ich auf keinem Fall an der verhassten Eisdiele bei uns war, sondern auf einem feuchten Mooshaufen. Ich merkte, wie ein kleines, ekeliges Tierchen auf meiner Hand umherwanderte, war aber zu faul, um es zu verscheuchen. Mir wurde bewusst, das ich meine Augen aufmachen musste. Also tat ich es - ich war ja ein braves Mädchen! - und schnappte wort wörtlich nach Luft. Hier war nicht die vertraute und erwartete Schneelandschaft, oh nein. Mir war nicht aufgefallen, dass es nicht schneite, sondern die Sonne mich fast kochte. Stechendes Gras in einem dunkelgrün umgab mich, die eine oder andere Blumes dazwischen gewachsen. Zugegeben - einerseits machte es mir scheußliche Angst, andererseits war da eine große Neugier... und ein mir bisher verborgenes Gefühl der Freiheit.

Wie ich festgestellt hatte, sah ich fast unverändert aus. Mein Haar war nicht mehr kinnlang, sondern reichte bis zu den Schultern, war aber immer noch so tiefbraun wie davor. Bei meinen Augen vermutete ich, dass sie immer noch so blau waren wie eh' und je. Die Haut war nach wie vor [fast] so weiß wie der Schnee in Grönland. Jedoch trug ich - als erstes hatte ich mich gesorgt, dass dort ein Stalker war, der mich umgezogen hatte, aber ich hatte kein Indiz... - andere Kleidung. Mein warmer Mantel war verschwunden, stattdessen hatte ich ein dunkelgrünes, einfaches Stoffkleid an und lief barfuß. Unterwäsche trug ich keine. Gerne würde ich mich in einem Bach oder Spiegel betrachten, aber dies schien mir vorerst unwichtig. Mein derzeitiges Ziel war nichts anderes, als diesen geheimnisvollen Ort zu erkunden. Als erstes hatte ich mich gefragt, ob ich in New-Zealand oder Australien gelandet war. Dann aber musste ich mir eingestehen, dass dies schlicht unmöglich sein konnte und gab mich vorerst

ahnungslos zufrieden.
Hätte man mich gefragt, was das erste war, dass ich sah, hätte ich geantwortet: "Eine merkwürdige Raupe, die auf meiner Hand herumwuselte." Hätte man mich gefragt, was das zweite war, dass ich sah, hätte ich geantwortet: "Luft und viel Natur." Mit anderen Worten: Ich schien der einzigste Mensch zu sein. Belustigt überlegte ich, wie es in Büchern so wäre... Ein Mädchen, dass durch ein Ice Age

-Tunnel rutscht, sich dann woanders wiederfindet - mystisch! - und herausfand, dass eine Fantasiewelt hier trohnte... Verrückt. Ich stapfte weiter. Meine Füße hatten kaum Hornhaut, denn ich lief nur selten barfuß, und so waren sie schon bald zerschunden und bluteten. Ein Stück Haut war an meinem Fußballen umgeflappt, widerlich. Zuhause würde ich Mrs. Church, unser Hausmädchen, sagen, dass sie sich nach guter Fußcréme umgucken sollte. Hinter mir knacktes es plötzlich. Hektisch fuhr ich herum, sodass ich mich im Saum verhedderte und längst umkippte. Au. Es knackte nocheinmal - Scheiße, hatte ich eine Angst! - und plötzlich stand über mir... ein Wolf?!

"Wer bist du?" ,flüsterte ich. "Wieso bist du hier?" Meine Vermutung, der einzigste Mensch hier zu sein, wurde klitzeklein. "Das müsste ich eher dich fragen, Elizabeth." Bäääm. Woher wusste dieses Tierchen meinen Namen und konnte reden?! Gestatten, Elizabeth Lucy Cold, genannt Lucy. "Im Übrigen bin ich Yume" ,setzte die Wölfin monoton nach. "Yume ha hatori." Mir war klar, dass dies nur japanisch sein konnte, daher fragte ich: "Und was bedeutet das?" Yume schwieg, bis sie sagte: "Yume heißt Traum, Elizabeth." Stumpf antwortete ich: "Nenn mich Lucy." - "Hm, Lucy." Jetzt betrachtete ich Yume genauer. Ihr Fell war dicht und tiefdunkelblau bis schwarz. Ihre Augen leuchteten in einem geheimnissvollen Indigo [Sehr ungewöhnlich, wie ich fand!]. Die Ohren waren so groß wie die einer Katze und ziemlich flauschig - das Linke wurde von einem unglaublich scharfem Zahn, der nicht so aussah, als würde er von einem Wolf stammen, durchbohrt. Er fing messerscharf an und hörte genau so spitz auch wieder auf, nur dort, wo er durch die dünne Ohrhaut rammte, wurde er dicker. Verhältnismäßig lang war ihre Schnauze, endete auf einer feuchten Nase. Nadelspitz und lang sind ihre Zähne, kaum so wie die eines echten Wolfes. Ihr Körperbau war eher klein und schmächtig, aber wie ich feststellte hatte sie dafür sehr puscheliges Fell. Die Rute [Schwanz] war normal lang, ähnelte allerdings dem eines Fuchses. An ihrem rechten Hinterbein waren zwei Schellen. Sie berührten nicht das Hinterbein, schwebten nur um es herum und glitzerten grün. Ihre Tatzen waren eigentlich sehr groß und besaßen lange, wenn auch nicht allzu spitze Krallen, die sie ein- und ausfahren zu scheinen konnte. Ich war mir nicht sicher, aber ich glaubte, dass sie ihre Fellfarbe wechseln konnte, denn zuvor hatte ich nicht das schwarze Fell in der grünen Landschaft gesehen. Unwirklich standen wir da; glotzen uns an. Plötzlich säuselte jemand: "Oho, ist das wahr? Was sehe ich denn da? Mein Fantasieradar, er dreht sich, fragt mich, ob er liegt richt'. Deshalb denke ich, es geht dir nicht gegen den Strich, wenn ich sprich: Du bist ein Fantasieträger!" Ich zuckte zusammen. Die Stimme hatte sich angehört, als würde ein großer Wind die Worte tragen und mein Haar zerkrausen - was natürlich nicht geschah. "Was war das?!" Ich japste nach Luft, so merkwürdig war es. Yume erwiderte monoton: "Eli... Lucy, ich bin hier, um dich aufzuklären. Dies gerade war im übrigen Ventus, und dies hier, ist Veritas..." Augenblicklich fing jemand an zu lachen, ganz hell und tückisch: "Kishishishishi, Kishishishii!" Obwohl ich keine Ahnung hatte, ob ich richtig lag, sagte ich: "Hi, Veritas." Tatsächlich antwortete die gleiche helle Stimme, die soeben gelacht hatte: "Halloo, Lucy, Kishishii!" Yume schnaubte und rollte mit ihren seltsamen Augen. Ich sah sie an. Sie sah mich an. Dann seufzte sie und legte sich hin, die Rute um ihr Hinterbein. "Jetzt hör' mal gut zu, klar? Ich sag nicht's ein zweites Mal!" Ich nickte, setzte mich ebenfalls hin und berührte ganz kurz ihr Fell. Als sie nichts dagegen tat, musste ich sie einfach streicheln. Yume sah mich als erstes genervt an, dann seufzte sie noch einmal und fing an...

"Wie gesagt, bin ich Yume. Veritas bedeutet Die Wahrheit

und Ventus Der Wind

. Der Zahn in meinem linken Ohr stammt von Veritas, als er... einen Auftrag

erledigte. Leider.... erschwerte ich den Auftrag

und so fing er sich selbst in seinem Zahn ein. Ventus ist der ältere Bruder von Veritas, der Herrscher der Winde. Als er Veritas bei dem Auftrag

durch den Wind sah, wollte er ihm helfen und zauberte mir Schellen

an, sodass ich... gehindert werden würde." Es schien mir, als würde Yume der sanfte Druck meiner Streicheleinheiten gut gefallen, denn sie entspannte sich. Fast wollte ich "Wobei?" fragen, aber sie redete schon weiter: "Seitdem leben sie in mir und sprechen. Soviel zu mir. Jetzt zu dem Part, den ich erzählen soll: Du, Elizabeth Lucy Cold, bist gewissermaßen die Gründerin von Eskoul. Wir befinden uns in dem Lou'shé

-Tal, dem Land der Atom-Engel. Eskoul ist im Übrigen die Welt deiner Fantasie." Ich sagte nichts. "Ich wurde von Azurya geschickt, sie ist die Alpha von dem Rudel Flora

. Du bist eine Fantasieträgerin, daher müssen wir dich gut hüten." Jetzt sprach ich doch: "Fantasieträgerin?" - "Sag bloß nicht, du kennst nicht dein Wesen?!" ,rief Yume unwirklich. Ich sagte wieder nichts, schüttelte nur meinem Kopf. Das sah sie nicht, weil sie ja vor mir lag, aber sie sprach eh weiter: "Fantasieträger gibt es nur einmal. Eskoul ernährt sich von dessen Fantasie.... Leider gibt es Gesandte von der Süd-Nord-Ost-West-Wüste, dem einzigsten Land, dessen Energie nicht von der Fantasie abhängt, sondern von dem Unglück. Deshalb haben sie Fantasiejäger ausgebildet, Leute, die Fantasieträger die Fantasie entsaugen - und somit die Fantasieträger umbringen." Ich nickte, und diesmal sah sie es. "Okay... Das war's dann auch" ,meinte sie und erhob sich prompt. Ich stand ebenfalls auf, klopfte das Kleid ab und folgte der Wölfin. "Das war's noch nicht, oh Gute! Ich mag eine Geschichte erzählen",meinte plötzlich Ventus. Ich dachte, es wird noch dauern, bis ich mich nicht mehr erschrecken würde, wenn aus dem Nichts Ventus oder Veritas sprach. Yume ging weiter, sie schien Ventus zu ignorieren. Ich folgte ihr weiterhin und Ventus schwieg. Leise hörte man Veritas kichern.

Wir liefen Richtung Süden. Die Sonne, die unentwegt auf uns strahlte, wurde hinter hohen Bäumen verdeckt, denn Yume führte mich auf einen Wald zu. Dessen Bäume waren höher als die Hochhäuser in New York. Aber nicht alle waren so hoch; es gab auch kleinere, die der Höhe eines Reihenhaus entsprachen. Jetzt, wo ich gelassener war - immerhin begleitete mich eine "Einheimische"! - und mich von der ersten Erstaunung erholt hatte, beschaute ich mir die Gegend näher. Als erstes fielen mir die unglaublich vielen Schmetterlinge auf, in den verschiedensten Farben [mir gefiel ein Marganiroter mit schneeweißen Schnörkeln und der Nachtschwarze mit den dunkelblauen Schimmern besonders] und die lustigen Pflanzen. Kaum waren wir etwas tiefer in den Wald eingedrungen, schnappte eine fleischfressende Blume nach Yumes Ohr. Diese knurrte laut, dann ging sie weiter. Schatten wurden von den Ästen auf das wilde Gras geworfen und ich fragte mich, wie lange wir noch gehen würden, als die Wölfin neben mir stehen blieb und in der Luft schnupperte. "Was ist los?" ,fragte ich erschrocken, doch sie antwortete nicht. Dann lockerte sie sich sichtlich und Veritas säuselte: "Kishishishii, hat sich Yume erschreckt? Kishishi, Pech gehabt! Nur Yolanda, Kishishishiishii!" Beschämt stellte ich fest, dass ich unglaublich schlechte Sinne hatte, denn ich hatte nicht bemerkt, dass eine Wölfin innerhalb kürzester Zeit vor mir stehen konnte und es jetzt tat. "Willkommen, Willkommen, Miss Cold!" ,quietschte die Wölfin vor mir heraus. Sie hatte ein braunes Seidenfell, dass mir mindestens solang vorkamen wie die Haare eines Sennenhundes. Die Rute war ungewöhnlich lang - insgesamt war sie ungewöhnlich!!! - doch neben ihr stand etwas, was ich erst beim zweiten Hinschauen wirklich wahrnahm - eine Hirschkuh! Die Hirschkuh wirkte recht normal, wenn auch unglaublich edel und ruhig. Ich glotzte eine Zeit lang die quietschende Wölfin an, die langsam zu Yume sah und die Ohren aufstellte. Kann-sie-sprechen?

fragte ihr Blick, und bevor es zu Missverständnissen kam, rief ich: "Hallo, ich bin Lucy! Und du? Yolanda?" Den Namen hatte ich mir eher durch Zufall als beabsichtigt gemerkt, doch die Braune nickte und verzog die Leftzen zu einem Lächeln.
Nachdem ich und Yolanda und dessen Hirschkuh Kaasa "Bekanntschaft" geschlossen hatten, gingen wir weiter. Yume und Yolanda - beide mit Y am Anfang, wie mir auffiel! - schienen sich sehr gut zu verstehen. Ich selbst versuchte, mit Kaasa zu kommunizieren. Das Tier wirkte noch eleganter, wenn es es lief. Mit kleinen Sprüngen setzte Kaasa über das Unterholz hinweg, kam lautlos auf und sprang weiter.

Das Fell war azurblau und schimmerte mystisch. An den Hinterläufen war es dunkelblau und der Bauch besaß einen cremigen Blaubton, der heller wurde. Sonst hatte sie noch braune, sanfte und treue Augen. Sie war kräftiger gebaut als für gewöhnliche Weibchen, hatte einen starken Kiefer und große Tatzen. So sah die Apha des Rudels - Azurya - aus, exakt so. Ich mochte die Wölfin auf Anhieb, und obwohl ich das Gefühl hatte, dass sie mehr über mich wusste, als ich, vertraute ich ihr. Mit Yume (Ventus und Veritas), Yolanda und Kaasa war ich in das Lager gestoßen. Meiner Meinung nach, das beste Lager, dass ich je gesehen hatte - mal abgesehen davon, das es mein erstes war, wenn man Playmobil nicht gelten lässt. Die Waldschonung, auf der wir standen, war - wie erwartet - von hohen Bäumen umgeben und nördlich ragte ein riesiger, wilder Brombeerenbusch hervor und war die optimale Verteidigung. Östlich bis Südlich zog sich ein kleiner, plätschender Fluss entlang und bei mir Richtung Westen versperrte der umgestürzte Stamm einer Eiche den Weg. Fast überall wuchs Gras, nur dem Platz, wo die meisten Wölfe sich schläfrig ausruhten, war staubiger Erdboden. Überall waren Felsen, in den meisten kleine Höhlen. Ein kleiner Baum in der Mitte spendete Schatten. Azurya kam auf uns zu, neben ihr ein schwarzer, strubbeliger Rüde mit glatten, weißen Krallen und tiefgrünen Augen. "Hallo, liebe Lucy" ,begann Azurya. Yume, die mir davor recht frei vorkam, senkte respektvoll den Kopf und Yolanda verbeugte sich regelrecht. Ich kam mir ziemlich fehl vor, erwiderte aber den Gruß: "Guten Tag.. Azurya." Mir kam eine Frage in den Sinn: Dutzt man Wölfe? Oder Sietzt? Ich beschloss abzuwarten, wie sie mich ansprach. Doch jetzt erhob der Rüde seine tiefe Stimme: "Ich bin Adamas, der Partner von Azurya. Ich denke, du [Dutzen also!] bist erschöpft. Bald geht die Sonne unter, willst du dich nicht ausruhen? Yolanda und Honey werden dich mit in ihren Bau nehmen. Yume, danke, dass du sie begleitet hast. Ich denke, auch du wirst in den Bau unterkommen. Wenn du nichts dagegen hast, werden wir dir Lucy ein bisschen überlassen." Damit neigte er seinen Kopf. Tatsächlich fiel mir auf, wie müde ich langsam wurde. Bevor ich die richtigen Worte für meinen Dank gefunden hatte, trabte das Alpha-Paar weg. Ventus flötete: "Yume, ich denke, wir werden tatsächlich Lucy unter unsere Fittiche nehmen, oder?" Irgendwie war ich glücklich. Hier schien ich mir... gewollt. Sprechende Wölfe, lachende Zähne, schwebende Schellen, springende Hirschkühe, wunderbare Hauptlager... Doch, es schien so echt... Ist es nun ein Traum oder nicht?



Honey stellte sich als etwas pummelige, aber auch sehr gutmütige Fähe heraus, die recht klein war. Ihre Fellfarbe war bernsteinfarbend, so wie Honig und die schwarzen Augen glänzten vor Lebensfreude. Als sie mich sah, schein sie einem Freudenausbruch nahe. Als ich mit ihr, Yolanda und Yume in eine Höhle neben dem Fluss kam und mich auf dem Moos ausstreckte, fiel mir auf, wie absurd es doch war, ich lag mitten in Wölfen! Yume legte sich an den Höhleneingang und leckte sich über die Leftzen, denn vor ihnen lag ein junges Karibu - tot. Ich sah nicht hin, als die drei Wölfinnen sich auf das Fleisch regelrecht stürtzten, es auseinander rissen, heftig kauten. Erst als ich nur noch das letzte Schmatzen hörte, blickte ich wieder zu Yume, Yolanda und Honey. Und plötzlich kam ich mir wieder fehl vor. Schon immer war ich stimmungsschwankend gewesen, doch jetzt,wo ich die drei sah.. wie sie lachten... Ich dachte an George. Wo war er überhaupt? War dies jetzt ein Traum, oder nicht?

Müdigkeit kroch in meine Lider. Ich hörte Yolanda sagen: "Ich denke, unsere Lucy will langsam schlafen" und dann das zustimmende Gemurmel. Kurz darauf spürte ich drei warme Leiber um mich. Es kam mir sehr fern vor, als ich Kaasa's Sprünge in die Weite hörte. Die Hirschkuh ging weg? Doch weiter dachte ich nicht nach, die Wärme ließ mich einschlafen....

Es regnete stark. Ein heftiger Wind zerzauste meine Haare, ließ mich zittern. Wer war da? Ich hörte Schritte, nur ganz leise, aber dennoch hörbare. Es kam jemand! War es George? Wollte er mich von hier wegholen? Oder war es ein Feind? Der Schatten einer Fremden huschte über das Gras. Der Mond schien nur sehr schwach, die Wolken hatten ihn verdrängt. Neben mir stand Yume. Ihr Fell klebte an ihrer Haut und sie zitterte. Dennoch lief sie nicht davon, blieb bei mir. Veritas war stumm, Ventus ebenso. Die Regentropfen nässten mein Gesicht, sodass ich nicht wusste, ob ich weinte oder nicht. "Wer ist da?" ,rief Yume. Obwohl sie versuchte, stark und herausfordernd zu klingen, hörte man die Unsicherheit heraus. Der Schatten auf dem Gras zuckte zusammen. Wieso blieb nur die Fremde in dem Dickicht? Ich wollte ebenfalls rufen, ebenfalls fragen, doch meine Stimme versagte. Wo war Yolanda, wo Honey? Die Hilflosigkeit vernebelte mir den Kopf, ich krallte mich in das durchnässte Fell von Yume. "Lucy, ist alles okay?" Sie klang besorgt, fast wie eine Mutter. Stumm nickte ich, ohne das Gefühl zu haben, ihr eine Lüge aufzutischen. Mit mir war alles okay - eigentlich. Plötzlich löste sich die Gestalt von den Bäumen, trat auf die Wiese. Es war eine Sie, wie ich schon vermutet hatte. Kinnlange, hübsche Haare hatte sie, welche im Wind wehten. Ein luftiges, rosa Kleid hatte sie an und eine Kette mit grünem Band und einem merkwürdigen, geheimnisvollen Jadestein. Von dem Stein aus gingen kleine Ranken, welche unter dem Kleid verschwanden. An ihrem rechtem Arm wuchsen die Ranken, blattgrün. Dort, wo sie ihre Hand hatte, entsprang eine einzelnde, rote Blume. Auch ihr rechtes Bein war umwachsen von Ranken, von Fingern der Natur. Mit ihren tiefgrünen Augen sah sie mich lange an, kam langsam auf mich zu. Sie streckte ihre linke Hand aus, öffnete den Mund. Doch was sie sagte, hörte ich nicht, das Grollen der Donner übertönte sie, der Regen prasselte auf uns ein. Mir fiel auf, dass obwohl auch sie ganz nass war, das mädchenhafte Kleid wehte und trocken aussah. Yume schaute zu mir hoch, ihre Gabe der Fellveränderung hatte sie benutzt, statt dem dunklem Fell hatte sie einen hellroten, stechenden Pelz. "Yume?" ,fragte ich leise. Meine Stimme versagte doch nicht! "Ich habe Angst." Die Wölfin nickte, flüsterte: "Ich auch, Lucy, ich auch." Die Mysteriöse vor uns lächelte sanft, ihre Augen strahlten Verständnis und Beruhigung aus. "Kommt" ,formten ihre Lippen. "Kommt her, ich tue euch nichts!" Zitternd standen wir beide da, Yume und ich. Veritas und Ventus waren ganz leise, doch man hörte sie flüstern.



Urplötzlich wachte ich auf. Meine Hand zitterte, schweißgebadet war ich. Draußen war kein Regen, nur eine sanfte Brise, wie ich feststellte, als ich heraustrat. Immer noch saß mir der harte Schock in den Glidern. Was um Himmels Willen war das gewesen? Eine Prophezeiung? Ein Blick in die Vergangenheit? Oder nur ein einfacher Traum? Ich beschloss, dieses Thema zu belassen und mich stattdessen der Gegenwart zu widmen. Ich sah mich um. Yume, Yolanda und Honey schliefen noch immer in der Höhle, hatten sich aneinander gekuschelt. Unwirklich fiel mir auf, wie mysteriös ich Yume und Yolanda fand, und spürte Stolz in mir, dass ich mit ihnen befreundet war. Yolanda wirkte so... weise, doch es war, als würde sie eine Maske tragen, um Schweres zu verdauen. Ihre sanfte Art ließ einen in ihrer Gegenwart wohl und sicher fühlen. Doch ich beschloss, mich über Kaasa zu erkundigen. Die Hirschkuh war, so spürte ich, mehr als nur ein Begleiter. Yume hatte Kaasa als "Schatten von Yolanda" bezeichnet. Yume... Ich fragte mich wirklich, wieso Ventus und Veritas sie ... wie hatte sie es nochmal ausgedrückt? Veritas hatte einen Auftrag

erledigt, den sie gehindert hatte. Ventus wollte seinem Bruder helfen und hat ihr Schellen angezaubert... Wieso hatte sie denn Veritas gehindert? Oder, eher: War der Auftrag

im negativen oder positiven Sinne? Überhaupt fragte ich mich, was sie mit Auftrag

meinte... Hatte Yume vielleicht ein Verbrechen begangen? Möglich wäre es, obwohl... "Worüber denkst du nach, Lucy?" Ich wirbelte herum, urplötzlich fing mein Herz an zu pochen. Wer war da? Doch es war nur Azurya, wie ich feststellte. Sie lächelte belustigt über meine Reaktion und kam auf mich zu. "Du siehst nachdenklich aus." Matt erwiderte ich das Lächeln und entgegnete: "Bin ich auch, ich konnte nicht schlafen. Aber wieso bist du hier?" Die Wölfin setzte sich neben mir nieder und blickte friedlich in den Sternenhimmel, ließ sich mit der Antwort Zeit. "Ich konnte auch nicht schlafen. Sag, Lucy, über was denkst du denn nach?" Zuerst zögerte ich, wusste nicht, ob ich es ihr sagen sollte. Es schien, als spürte Azurya das und sie sprach weiter: "Du musst wissen, dass ich eine Coniectrix bin. Weißt du, was das bedeutet?" Ich schüttelte ratlos den Kopf. "Traumdeuterin. Also, bitte, erzähle mir, was hast du geträumt, was hat dir keinen Schlaf gelassen? Ich zwinge dich nicht, doch es beschäftigt auch mich." Für einen Moment war ich versucht, abzulehnen, setzte mich dann jedoch neben sie und sah ebenfalls in den Nachthimmel. Langsam, bis auf das kleinste Detail erzählte ich schließlich meinen Traum, wühlte die Erinnerung wieder auf. Azurya hörte mir gebannt zu, und als ich geendet hatte, blickte sie nachdenklich und schüttelte ihren blauen Pelz. "Yume war dabei?" ,hakte sie nach. Ich nickte und fragte mich, wie sie den Traum verstand. Wir saßen so lange, wirklich lange. Der Mond schien, es war Halbmond, und ich stellte mir vor, was George gerade tun würde, wenn er auch hier wäre. Es schien mir alles so echt.... und einen Traum im Traum zu haben, war unwahrscheinlich, daher... "Ich denke ganz einfach, das es Lya war" ,murmelte plötzlich Azurya und wandte den Blick von den Sternen ab, guckte mir in die Augen. "Lya ist eine Zelé, ein Volk, das Eifer

bedeutet. Es scheint, als würde sie dich fortführen. Yume und du scheinen eine besondere Verbindung zu haben, ein Grund, wieso ich euch zusammenlasse. Es tut mir Leid, Lucy, ich bin nicht imstande alles zu deuten. Bitte geh jetzt wieder schlafen, morgen wird man dir das Rudel und unsere Sitten zeigen. Außerdem werden wir dir einem Training unterziehen." Ratlos sah ich sie an, doch sie neigte nur noch ihren Kopf, stand auf, streckte ihre Hinterbeine und trabte wieder in die Richtung der
alten Höhle, wo sie und ihr Gefährte Adamas schliefen. Kurz bevor sie verschwand, meinte sie noch leise zu mir: "Aber tu immer das, was dein Herz sagt." Ich saß noch einige Zeit da, starrte mit leerem Kopf die Sterne an. Schließlich erhob ich mich und ging langsam, zögernd zurück in die Höhle, rollte mich zwischen Yolanda, Yume und Honey ein und versuchte wiederholt einzuschlafen.

Der nächste Morgen begann früh, genauer gesagt kurz nachdem die Sonne aufging. Ich hatte nur noch wenig Schlaf gefunden und mich eher herumgewälzt. Yume war nach Sonnenaufgang aufgestanden und hatte sich geschüttelt, ihren Pelz in einem fröhlichem Gelb gefärbt [Ich hatte Recht, sie konnte ihre Fellfarbe ändern!] und mich angewedelt. Yume und Yolanda - Honey schlief noch - boten mir an. das Rudel und dessen Mitglieder zu zeigen. "Azurya und Adamas, das Alphapäärchen, kennst du ja schon. In unserem Rudel herrscht keine allzu strenge, aber dennoch geltende Hirachie: Alpha, Beta, Gamma, Omega und Welpen. Yume zum Beispiel ist ein Einzelgänger, ich bin eine Betawölfin. Ich werde dir jetzt die restlichen Wölfe zeigen." Als erstes gingen wir zu dem Platz, auf dem gestern sich die Wölfe ausgeruht hatten. Der Boden war tatsächlich sehr staubig und trocken, wie ich mir gedacht hatte. Hier lagen zwei weitere Wölfe, ein Kleiner, Runder, der mich an einen ungezähmten Jack Russel erinnerte, und einer, der glattes, graues Strubbelfell hatte. Die Rute des Grauen war sehr schmal und endete auf einem Stachel, der mich an eine Biene erinnerte und an seinem rechten Hinterlauf war ein deutlicher Würgeabdruck. "Das ist Free" ,meinte Yume und zeigte auf den Jack-Russel-Wolf, "und das ist... Zorro." Mir fiel sofort auf, dass Yume und er offensichtlich Feinde waren. Der graue Rüde blickte auf und sah mit seinen schildpattfarbenden Augen Yume mit einem undefinierbaren Blick an. Yolanda schien dies auch zu bemerken und drängte zum Weitergehen, Yume kam mit.
Als nächstes wurde ich zu einem recht großem Felsen geführt, sein Stein brodelte geradezu in der Hitze. "Hier ist der Stammplatz der Gammawölfe" ,erklärte Yolanda und zeigte in die Höhle. Eine alte Fähe kam auf uns zu, wedelte freudig. Ihr Fell besaß eine hellbraune, leicht gräuliche Färbung. An ihren Pfoten schlängelte sich Altrosa hoch - ziemlich merkwürdig, wie ich fand! - und vermischt sich mit dem braunem Fell. Ihre Rute war dürr und lang, ihr Pelz spröde und trocken. Ihre Augen waren blau und um ihren Hals hing eine rostige, altgoldene Kette, welche umschnörkelt war mit Rosen und im Licht der Sonne glitzerte. Wie auch Azurya, Yolanda, Yume und Honey mochte ich Rose auf Anhieb. "Guten Tag, Yolanda, Hallo, Yume. Und du bist Lucy, habe ich Recht?" Roses Stimme hatte einen englischen Aktzent und da sie auch Englisch ausgesprochen wurde, fragte ich mich, ob auch hier, in dieser Welt

England exestierte. "Hallo, Rose" ,entgegnete Yolanda und Yume erwiderte das Wedeln. "Ja, du hast Recht - dies hier ist Elizabeth Lucy Cold." Ich wurde etwas rot und nuschelte irgendeinen Schwachsinn. Rose lachte, als hätte ich einen guten Scherz gemacht. Mit sanften Augen sah sie mich an und neigte ihren Kopf. "Stay und Lee sind jagen, ich muss mich ausruhen. Meine Knochen werden porös!" Wiederholt lachte sie. Yume nickte und sagte: "Okay, danke, Rose. Stay und Lee wird unsere Lucy noch zu sehen bekommen, besonders Lee, sie ist eine der Ältesten, wie Rose. Lee besitzt ein langes, goldbraunes Fell. Außerdem hat sie besonders flauschiges Nackenfell, weshalb sie auch 'Little Lee Lion' genannt wird. Stay ist ein sehr leiser, brauner Rüde. Na Ja, Rose, wir sind dann schon wieder weg!" Die Alte mit der Kette nickte lächelnd und trabte wieder zurück in die schwüle Höhlenluft. Als wir an den Brombeerranken angelangten, viel mir auf, dass dort ein kleiner Baumstamm ist, hinter dem ein grünes Fleckchen war. "Hier sind unsere Omegawölfe, Roxy, Bella und der kleine Welpe von Lee, Clay." Ich nickte und kam mir vor, wie im Zoo, als ich mir die Wölfe ansah. Bella hatte schokoladenbraune Augen und genauso braunes Fell und die Schnauze eines Collis. Fragend sah ich Yolanda an, die mir erklärte: "Das ist Bella. Roxy und Clay sind dort hinten, die beiden sind sehr oft zusammen - obwohl Lee es ihrem Welpen verbietet. Lee ist die Schwester von Adamas und dachte, sie darf ebenfalls Welpen gebären, was bei uns aber nur die Alpha dürfen - und hat Clay gebärt. Wer sein Vater ist, weiß nur sie selbst. Ah, da hinten kommen sie!" Ich folgte dem Blick der braunen Wölfin und sah einen kleinen, tapsigen Rüden mit schwarzem Zottelfell, großen Pfoten und bernsteinfarbenden Augen auf uns zukommen. Neben ihm war ein noch ein Rüde, mit dem verrücktesten Pelz, den ich je gesehen habe. "Eigentlich besitzt Roxy ein ganz normales, graues und verstrubbeltes Fell. Als er ein Welpe war hat er sich jedoch in Farbe der Menschen gewälzt, und besitzt nun einen roten Rücken, einen blauen Oberkopf und eine grüne Rute. Er selbst freut sich jedes mal darüber, bitte wundere dich nicht. Er ist wirklich verrückt" ,erklärte mir Yume. Ich nickte, verstand - merkwürdigerweise - sofort, was sie meinte. Roxys Lache hörte man schon aus der Ferne, Clay neben ihm hörte anscheinend zu. Yolanda, Yume und ich wechselten einen Blick - und machten uns so schnell es ging aus dem Staub.

Nach der Herumführung wurde Yolanda zu Azurya gerufen und musste sich mit ihr, Adamas und Honey (die bereits aufgestanden war) beraten. Yume musste als Einzelgängerin nicht an der Beratung teilnehmen und bot mir an, dass Revier von dem Rudel zu zeigen. Natürlich nahm ich an. "An dem Ort, an dem du aufgewacht bist, ist die Grenze" ,erklärte mir Yume und fragte mich, was genau ich sehen wollte - den Westen kannte ich ja bereits mit seiner Wiese. Im Süden, so sagte sie, war ein kleiner See und ein kleines zweites Lager, sollten sie aus dem Hauptlager vertrieben werden. Im Osten begann der Wald und im Norden war ebenfalls Baumgebiet. Da ich in Canterbury nur selten das Meer zu Gesicht bekam, wollte ich nach Süden. Außerdem interessierte mich es, wie das Fluchtlager aussah. Yume nickte und nachdem sie die streitenden Brüder Veritas und Ventus zur Ruhe gebracht hatte, trabte sie los. Die Vögel zwitscherten und die Bäume warfen ihren Schatten auf den verwucherten Boden. Das Gras hier war wahres Wildgras, so heftig und stark wuchs es. Es stach mir in die Füße und immer wieder verhedderte ich mir den Saum in den wilden Ranken von Brombeeren. Ich hatte Glück, dass es hier kaum Brennesseln gab, denn sonst wäre ich weiß Gott nicht so gelassen. Gegen Spinnen hatte ich generell noch nie etwas gehabt und es störte mich nicht, kleine Insekten auf meinem Körper zu entdecken. Die Hitze, die hier herrschte, war einer der wenigen Dinge, die mich zu schaffen ließen. Manchmal kam ich mir vor wie ein Stück ChickenWings in einer Bratpfanne - und das war ein Scheiß Gefühl. Dann wiederum manchmal kam ich mir vor wie ein Afrikaner am Nordpool - und wieder wann anders wie ich in dieser Welt.
Der abgetrampelte Pfad auf dem wir stumm entlang gingen, führte uns zu einer Gabelung. "Hier geht es zum See und dem Lager" ,meinte Yume und bog links ein. "Und der andere?" Die Wölfin - zurzeit mit schwarzem Fell - sah mich merkwürdig an und sagte schließlich: "Dorthin, wo du nicht hinsolltest." Dann ging sie weiter. Ohne ein weiteres Wort. Und ich? Ich folgte ihr...

In der nächsten Zeit sollte ich mich oft fragen, ob es Schicksal war, dass ich Süden wählte, denn als ich auf das Gebiet des zweitens Lagers kam, fiel mir sofort eine Sache auf: Es war der gleiche Ort wie in meinem Traum. "Yume, mache dein Fell rot und lasse es Regnen!" ,wollte ich fast sagen, da viel mir ein, dass Yume nichts von dem Traum wusste... "Siehst du den azurblauen See dort? Er ist so klar wie Azurya's Herz, deshalb nannten wir dieses Gebiet nicht nur zweites Lager

, sondern auch Azuryasee

." Tatsächlich konnte ich mir gut die sanfte Wölfin hier vorstellen, wie sie ihre Schnauze in den Wind hielt, ihr weiches Fell im Wind wiegte. "Und wieso ist hier niemand?" Obwohl die Frage an Yume gerichtet war, antwortete Ventus wiederholt: "Weil dieses Lager nicht genug geschützt ist. Manchmal kommt das Alphapaar hierhin, wir sehen sie oft, aber sonst ist hier nichts los." Ich nickte stumm und sah mich weiter um. Sonst war hier nur noch saftige Wiese, welche teilweise von Löchern bestückt war. Gänseblümchen, Löwenzahn und die einen oder anderen Blumen wuchsen hier, sowie drei Felsen, die vor einem kleinem Bäumchen hervorragten. "Yume" ,fragte ich plötzlich. "Gibt es hier eigentlich auch noch andere Wesen?" - "Was verstehst du unter anderen Wesen

?" Unschlüssig sah ich Yume an, meinte dann: "Na ja... bis jetzt seid 'nur' ihr da - vielleicht nicht normale, aber auch keine Fantasywölfe!" Sie lachte und mir fiel auf, dass sie, Yume, ein Fantasywolf war. Zumindestens hatte ich bisher noch keine Wölfin gesehen, die eine sprechende Schelle um das Hinterbein und einen lachenden Zahn im linken Ohr hatte! Ich musste lächeln als ich ihren Blick bemerkte. Schließlich setzte sie sich und klopfte mit der Rute auf das Gras neben ihr. Sofort folgte ich ihrer Aufforderung und setzte mich neben sie. Wie bei meinem ersten Treffen streichelte ich Yume und sie klärte mich auf: "Natürlich gibt es hier andere Wesen

- du als Fantasieträgerin solltest das am Besten wissen! Immerhin bist du hier diejenige, die sich das hier alles ausdenkt.. Na ja, auf jeden Fall exestieren viele andere Wesen... Wir Wölfe sind gerademal 2% der Bevölkerung, wenn man es so sagen möchte." Nachdenklich nahm ich ihre Worte in mir auf und hakte nach: "Was heißt andere Wesen

?" Yume lachte und erwiderte: "Was denkst du

denn?" Überrascht sah ich sie an und versuchte in mich hinein zu horchen. "Zwerge, Elfen, Magier, Einhörner, Feen, Nixen..." Ich wollte meine Liste fortsetzen, da lachte die Wölfin. "Nixen? Einhörner? Du scheinst dich zu irren, meine Süße! Zwerge, Magier und Feen, die gibts, auch wenn sie ein bisschen anders aussehen als früher, glaube ich. Den anderen Kram hast du verwechselt oder so, Einhörner sind schon längst zu Horahörnern

geworden, Nixen nur noch als liber Mare

bekannt und was eine Elfe sein soll, weiß ich nun wirklich nicht! Es stimmt zwar, dass es mal Elfen geben sollte, doch soweit ich weiß, ist ihr Stamm seit Jahrhunderten ausgestorben." Verwirrt nickte ich. "Und... was gibt es dann noch für Wesen? Du scheinst mehr als ich zu wissen!" ,grinste ich. "Recht hast du...Kishishishii!" ,säuselte Veritas und Yume fuhr fort. "Es gibt auch noch Zelé, ein eifriges Volk. Dann noch Refy... ich finde, ein viel zu gruseliges Gemüt. Drachen und Eulen existieren hier auch... Dann natürlich noch Dämonen, Schattenfresser, Nachtmahre und Alpträume. Dafür gibt es aber noch Lichtfänger und Blumenzauberer, sodass die Nachtmahre und Schattenfresser nicht alles verwüsten können!" Verwirrt nickte ich, die Namen quetschen sich in mein bisher noch so unwissendes Gehirn. "Und wieso verwüsten die ... Nachtmahre und Schattenfresser alles? Wieso bleiben sie nicht einfach dort, wo sie sind?" Darauf erhielt ich statt einer ausführlichen Antwort einen ziemlich vernichtenden Blick, der sagte Was-für-eine-dämliche-Frage-ist-das-denn

?! Beschämt erließ ich die Lacher von Veritas und die Schmunzler von Ventus über mich ergehen. "Okay, schon verstanden", murmelte ich und Yume brachte Veritas und Ventus schließlich zum Schweigen. Sie stand auf und schüttelte sich. "Sollten wir nicht eh langsam zurück?" ,hakte sie nach und ich erhob mich ebenfalls. Stumm nickte ich.

Die Zeit verging wortwörtlich wie im Fluge. Morgens jagte ich mit den verschiedenen Wölfen - meistens mit Yolanda, Honey und Stay, Yume ab und zu. Mir wurde - oft hatte ich mich gefragt, woher Wölfe

Waffen herhatten, aber - ein Bogen und dessen Pfeile gegeben, mit denen ich übte. Meine Treffsicherheit erstaunte Azurya, als sie sah wie ich einen Falken erlegte, und meine geschickte Schnelligkeit ließ mich nie im Stich. Was die Defensive mit dem Bogen anging, hatte ich Probleme. In einer "Trainingsstunde" griff Yume mich an, doch anstatt den Bogen vor mich zu heben, hatte ich ihn weggezogen. Heute war ein windiger Tag, die Sonne hatte sich hinter dicke Wolken verschanzt und zeigte nur wenig von ihrem Licht. Neben mir stand Yolanda und Kaasa, die beiden waren mir in den letzten Wochen sehr ans Herz gewachsen. Wie lange ich schon hier war? Keine Ahnung. Ein Gefühl in mir sagte, mehr als einen Monat, doch, zugegeben: Ich hatte keineswegs die Tage gezählt.
"Kommst du?" ,fragte die braune Wölfin mich und wedelte sanft. Wir beide sollten im Auftrag von Adamas, dem Alpharüden, jagen für Clay, den Welpen. Ich nickte und folgte Yolanda. Das taufeuchte Gras striff an meinen nackten Beinen - das dunkelgrüne Kleid, dass ich getragen hatte, war schon bald abgerissen, und jetzt ging es mir etwas kürzer als bis zu den Knien. Nachts frierte ich nicht, denn obwohl ich nur "Unterwäsche" [ein paar Tücher, die mir Azurya zur Verfügung gestellt hatte] und das Baumwollkleid anhatte, waren die wärmenden Felle der Wölfe da.

Nachdem ich einen bunt gefiederten Vogel, den es nur hier gab, erlegt hatte und Yolanda - mithilfe von Kaasa - einen Hasen in die Enge getrieben getötet hatte, kamen wir zurück in das Lager. Früher hatte ich aus dem Buch Warrior Cats

erfahren, dass Katzen durchaus von einer Maus satt werden konnten. Hier war das nicht so, die Wölfe aßen genausoviel wie ich, wenn nicht sogar mehr. Yume hatte heute rotes Fell, denn sie hatte sich mit Ventus und Veritas gestritten [Veritas wollte einfach nicht glauben, dass Ventus höflicher war, als er, die Wahrheit!]. Daher machte ich mir nicht viel aus der gebrummten Befgrüßung. Der Wind war stärker geworden - hierzu muss ich sagen, dass ich Ventus verdächtigte! - und hatte schwarze Wolken herbeigetragen. Kaum hatte der Regen eingesetzt, flohen die Wölfe in ihre Höhlen. Da es sowieso bald Nacht sein würde, rollte sich Yolanda neben Honey zusammen und schlief ein. Überhaupt schliefen bald alle. Nur ich nicht, ich und Yume. Blitzschnell kam mir das Bild von meinem Traum vor die Augen. Es war wie... "Lucy!" ,zischte Yume. Urplötzlich hatte sie ihr Nackenfell gesträubt. "Lucy, Lucy!" Überrascht sah ich zu ihr und erwiderte: "Was?!" - "Dort ist... etwas!" Der Traum! Der Traum, er verwirklichte sich! Die Hellrote schlich aus der Höhle auf die Lichtung, zum Waldesrand, dort, wo der Schatten entlanghuschte. Eilig folgte Yume dem Schatten, und ich folgte Yume, bis wir an den Azuryasee ankamen, wo mein Traum stattgefunden hatte! Wie im Traum regnete es stark, durchnässte mein Kleid und Yumes Fell. Der Wind ließ meine Haare herumflattern, ließ sie zerzausen, sodass ich zitterte. Ich wusste, wer da war. Ich hörte die Schritte, obwohl sie noch leiser als im Traum waren. Gleich würde sie da sein, die... Zelé. Ihr Schatten huschte über das Gras, das dunkle Gras, kaum erkennbar, denn der Mond schien nur spärlich. Neben mir stand Yume, auch sie zitterte. Ventus und Veritas schwiegen. Im Traum war mein Gesicht sanft genässt worden, aber in der Realität schlug es nur so ein, zerplatschte auf meinen Wangen. "Wer ist da?" ,flüsterte Yume, ihre Stimme ängstlich. Wusste sie, dass ich mehr wusste? Am liebsten hätte ich laut gerufen: "Zelé, komm her!" Doch mir war vor Spannung die Kehle wie zugeschnürt. Urplötzlich machte ich mir Sorgen um Yolanda, um Honey und den Rest des Rudels. Tatsächlich vernebelte mir die Hilflosigkeit den Kopf, obwohl ich doch wusste, was geschehen würde! "Lucy, ist alles okay?" ,flüsterte die Wölfin neben mir. Meinen Bogen umklammert nickte ich. Jetzt war es soweit! Die Gestalt löste sich von den Bäumen und "schwebte" auf die Wiese. Innerlich verglich ich sie mit der, aus meinen Traum: Es waren die gleichen kinnlangen, mildebraune Haare, die im Wind wehten, das gleiche luftige, rosa Kleidchen das ihr bis zu den Oberschenkeln ging, die selbe Kette mit dem grünem Band und dessen geheimnisvollen Stein, aus dem die grünen Ranken gingen. Ihre tiefgrünen Augen hatten die Farbe wie mein Kleid, wenn nicht sogar dunkler. Langsam schritt sie auf mich zu, setzte ihren einen Fuß vor den anderen. Vorsichtig streckte sie ihre linke Hand nach mir aus und sprach etwas, was übertönt wurde von einem Donner. Ich hatte gedacht, nur im Traum wäre ihr mädchenhaftes Kleid nicht nass, sondern trocken, aber auch hier war es so. Yume und ich blickten uns an. "Yume?" ,wisperte ich. "Ich habe Angst." - "Ich auch, Lucy, ich auch." Die Zelé, dessen Auge verständnisvoll und beruhigend dreinblickten, sahen uns unverwandt an. "Kommt" ,formten ihre Lippen. "Kommt her, ich tue euch nichts!" Meine Hand krallte sich in Yumes nassem Pelz fest. Plötzlich machte ich, wie von alleine, einen Schritt nach vorne. "Wer bist du?" Der Regen ließ mich blinzeln. "Lya." Azurya hat also Recht gehabt!

, dachte ich mir und nickte. Langsam fingen Ventus und Veritas an zu flüstern, wurden etwas lauter. "Doch!" ,protestierte Veritas. "Das ist sie, Lya, eine von dem Rat der Ältesten!" - "Von wegen!" ,schnaubte Ventus. Yume folgte mir, ich merkte, wie wir beide Angst hatten. "Lya." Ich versuchte, mit meinen Lippen den Namen auszukosten, so süß klang er. "Wieso bist du hier?" Lya kicherte, ihre blasse Haut war hell wie der Mond. "Weißt du das nicht, Lucy?" Überrascht weiteten sich meine Augen. "Nein!" ,rief ich aus, stolperte zur Seite, denn der Wind tobte und der Regen schlug auf Yume und mir wie Lya nieder, als würde Gott soeben all sein Hab und Gut verloren haben. Lya lächelte, meinte: "Ist auch nicht schlimm, komm." Yume schüttelte ihren Kopf, doch hörte sie auf, als sie meinen Blick sah. "Aber... Lucy! Was ist mit Honey, mit Yolanda und vorallem, was ist mit Azurya und Adamas? Du kannst nicht einfach gehen, du weißt nicht, wohin sie dich führen wird!" Einen Moment horchte ich in mein Inneres und fragte mich, ob ich es wirklich wollte, wirklich von hier gehen wollte. Doch dann viel mir Azurya ein: Tu das, was dein Herz sagt

. "Yume" ,flüsterte ich. "Azurya... weiß von dem, was jetzt passiert. Und Yolanda und Honey... wer sagt, dass wir nicht wiederkommen?" In mein Herz schoss ein Stich. Wer sagt, dass du wiederkommst?

, flüsterte eine Stimme in mir, doch ich verscheuchte sie. Ungläubig sah Yume mich an, nickte dann schließlich und senkte ihren Kopf, trabte langsam auf Lya zu, zog mich sanft mit. Lya lächelte wie ein junges Mädchen, dass gelobt wurde. Sanft drehte sie sich um, wir folgten der Zelé. Yume nickte mir besänftigend zu. "Danke" ,wisperte Lya und verschwand in dem Wald, hinter sich uns.

Wir folgten Lya durch die halbe Nacht, ließen den Wald hinter uns und, so sagte Yume mir, verließen die Grenzen des Reviers. Irgendwann blieb Lya stehen, hob ihre rechte Hand und hebte sie gen Himmel. Mir fiel auf, dass die Ranken, die ihr rechtes Bein und ihren rechten Arm überwucherten, in der Hand auf einer kleinen, roten Blume endete. Diese schoss auf ein Flüstern von Lya in die Höhe, versprühte dort kleine Funken und schwebte wieder zurück. "Rikku kommt" ,meinte Lya. Die Frau, die kurz darauf vor mir stand, schien auch eine Zelé zu sein. Ihr Name lautete Rikku und sie hatte ebenfalls dunkelgrüne Augen und bis zum Po reichende, dunkelbraune, verzauste Haare. Anstatt der rosa gekleideten Lya, schien Rikku Stammeskleidung zu tragen. Es schien mir als hätte man ein riesiges Ahornblatt für ein ärmeloses, dunkelgrünes und warmes Top geschneidert. Es hatte nur einen Träger und endete auf den Ahornblätternzacken, die bis zur Hüfte gingen. Dort war ein Rock, ein aus Gras, aufwendig geflochtener Rock. An ihrem rechten Oberarm war eine Art kleine Stulpe, die auch an ihrem rechten Unterarm über den Ellbogen, nur größer und zerfetzter war. Im Gegensatz zu Lya, die nur die rechte Seite voller Ranken hatte, gingen von dem weißen Stein an Rikku's Kette weitaus mehr Ranken aus. Der komplette rechte Arm und das komplette rechte Bein, bis zum Knie beim linken Bein und bis zu der zerfetzten Stulpe am linken Arm. Alles war überwuchert. Rikku war mit einem Dornenschwert bewaffnet und blickte Yume und mich herausfordern an. "Rikku!" ,rief Lya, sie schien sich zu schämen. Wenn Lya in dem Rat der Ältesten ist

, ,dachte ich, muss Rikku dort auch drin sein, denn sie ist doch älter, oder?

Schon kurz darauf sollte sich meine Frage klären: Etwas gereizt meinte Rikku schließlich: "Du bist meine ältere Schwester, wieso muss ich dann Begleitschutz geben?!" - "Weil du nunmal die stellvertretende Anführerin bist, Schwesterherz!" Entnervt gab Rikku, die stellvertrende Anführerin, sich geschlagen. Yume flüsterte mir grinsend zu: “Und ich dachte immer, Ventus und Veritas seien nervig!”

Rikku stellte sich als eine sehr starke, äußerst ehrgeizige und höchst selbstbewusste Frau heraus und verlor dennoch in meinen Augen ihre ruppige Art. Lya, die keineswegs stark, ehrgeizig oder selbstbewusst war, dackelte ihr hinterher und benahm sich so kindisch, dass ich ehrlich überlegte, ob wir überhaupt irgendwas gemeinsam hatten. Trotzdem war sie mir so... vertraut. So vertraut nah. Auch ihr Geruch. Sie roch nach George. In meiner Brust war ein kleines Loch. Die lange Zeit, die ich bereits hier war, war meine schönste Zeit im ganzem Leben bisher gewesen. Ich hatte entdeckt, gelernt und vorallem: gelebt. Doch meinen Vater vermisste ich sehr. Auch Klavier spielen, mein hübsches Häuschen und die Stodmarsh Road. Mir fehlte mein Lieblinsgessen - Roastbeef, Schwarzwälder-Kirschtorte und Nudeln - und sogar ein bisschen die Schule. Wenn ich ehrlich war, vermisste ich alles ein bisschen. Aber auch nur ein bisschen.
Denn während in der alten Welt innerlicher Krieg meiner Gefühle herrschte, durfte ich hier... leben

. Ich lebte hier anders, als in England. In England hatte man Regeln. Hier gab es keine Regeln. Keine Regeln der Vernunft, hier gab es wenn überhaupt nur eine Regel, und diese lautete: Lebe

.

Was in Büchern wie Eragon Elfen genannt wurde, waren hier Zelé, auch wenn sie eher klein waren. Es war nahezu magisch, denn kaum betrat ich das Lager, überkam mich eine Woge der Entschlossenheit, ebenfalls zu helfen. Eifrig wollte ich mit anpacken, ließ mich anstecken von der feierlichen Stimmung. Ich erinnerte mich an Azuryas Worte: "Zelé ist ein Volk, das Eifer bedeutet." Damals dachte ich nur: Wie kann ein Volk denn so eifrig sein? Jeder möchte mal helfen, ja, aber doch nicht immer?!

Jetzt, in diesem Moment, verstand ich es. Schon allein die Atmosphäre war aufbauend und ich beneidetet Lya und auch Rikku, ein solch wichtiger Teil des Volkes zu sein. "Willkommen" ,lächelte Lya fröhlich und Rikku nickte, gleich viel entspannter, als zuvor. Ich blickte zu Yume und stellte fest, dass sie das gleiche wie ich verspürte. Schnell verabschiedete Rikku sich und entwischte Lya's Rufen. "Doofe Schwester" ,meinte Lya scherzhaft und zog eine Schmolllippe. Dann fügte sie hinzu: "Keine Sorge, sie muss nur zum Anführer." Wortlos nickten Yume und ich. "Ich werde euch rumführen" ,bot Lya an und lief sofort los - auch sie war anscheinend eifrig.
Es war ein großer Platz auf dem Weideland. Nur wenige, Schatten spendene Bäume wuchsen auf dem Land. Die Zelé wohnten in Baumhäusern, die zwei Meter hoch waren und riese Platten hatten. Ein paar hatten zwei oder drei Etagen, doch die meisten besaßen nur fünf, mittelgroße Räume. Auf den Holzhäusern wuchsen Efeuranken in Massen, Weintrauben auf dem Balkon und Tomaten unter dem Dach. Das Dorf sah man aus der Ferne kaum, so grün war es. Es gab einen Teich, der schlammbraunes Wasser enthielt, doch neben dem Teich saßen drei Frauen und zwei Männer, die mit Siebähnlichen Blättern das Wasser klärten - und letzendlich klares Trinkwasser enthielten. Wenn sie den Korb, in den sie das klare Wasser füllten, voll hatten, so erklärte Lya uns, schütteten sie in das riesige Fass hinter ihnen. Wenn diese fertig waren, wurden sie auf den Platz geschoben, wo zurzeit weitere drei standen. Auf dem Platz gab es auch Stände, wie in einem Markt in England, nur war der Boden aus Schlamm und die Stände aus Bambus und Efeu. In den Bambusständen befanden sich Weintrauben, merkwürdige rote Früchte, ein schleimiges Kraut und Wassermelonen. Zudem auch noch unzählige von Nussarten, Oliven, Erdbeeren, Tomaten und - überraschender Weise - Drachenfrucht. Das schleimige Kraut, Schleimwurzel, und die merkwürdigen roten Früchte, Queenbaumfrucht, sowie die Wassermelonen wurden hinten, weiter hinten auf dem Feld angebaut. Die Nussbäume wuchsen unter den Baumhäusern, die Tomaten auf den Baumhäusern und die Weintrauben überall bei den Baumhäusern. Olivenbäume waren in einem kleinem Bambuskäfig und die Erdbeeren und Drachenfrüchte wuchsen wild. Mir jedoch fiel auf, dass jedes Baumhaus eine Vorratskammer hatte, in dem auch Pfirsiche, Salat, Äpfel, Birnen, Pflaumen und anderes Gemüse und Obst befanden. Was das Fleisch anbetraf, gab es eine kleine Schafherde, aus dessen Fell man Wolle und somit Kleider für den Winter machte, und Lya gab zu, dass sie, sobald sie über zehn Jahre alt waren, geschlachtet wurden. Der Schlachter und Hirte war ein stämmiger, untergesetzer Mann, der knubbelige Knie und knollige Augen hatte. Er winkte uns fröhlich zu, als wir an ihm vorbei gingen. Überall im Dorf wuselten Zelé herum, errichteten um ihr Heim einen Zaun aus angespitzten Ästen und Stämmen. "Und hier ist das Haus vom Rat der Ältesten

, und darüber das von dem Anführer und von Rikku." Neugierig blickte Yume zu dem Haus der Ältesten, und stellte fest, dass es unterirdisch war. Lediglich eine Treppe aus alten Steinen führte herunter, wo ein geflechteter Vorhang aus Farn die Sicht versperrte. Doch auf dem Gras, das über der Höhle war, prangte das prächtigste Baumhaus aller. Sieben Pflöcke steckten im Boden, um die gewaltigen, vier Platten zu halten. das Baumhaus hatte, anstatt der anderen, keine Leiter, sondern eine hölzerne Treppe. Auf dieser Treppe stand Rikku. Sie winkte uns herbei und rief: "Kommt, Ceylon will euch sehen!" Überrascht nickte Lya, bedeutete uns ihr zu folgen und sprang zu Rikku auf die Treppe.

Die Vorhalle, die das Anführerhaus besaß, war nicht allzu groß, aber edel eingerichtet. Weißer Mosaik bedeckte den Boden und eine Statue aus Feuerstein stand in der Ecke. Die Schwarze Kommode, die an der Wand lehnte, war voller Papierformularen und ähnlichem, viele Vasen aus Ton, die mit den buntesten Blumen gefüllt waren, standen in der anderen Ecke. In der Mitte des Raumes war eine bunte und unglaublich gute Nachbildung des akutellen Standes des Dorfes. Man erkannte jedes einzelnde Baumhaus, in dem Stand eine Melone und neun Haselnüsse, in den anderen anderes, und das Feld herum des Dorfes. "Komm" ,befahl Rikku und ging in einen kleinen Raum, einer Besenkammer nicht unähnlich. Doch dieser Raum würde, wenn er einen Namen hätte, "Treppenraum" heißen. Eine Wendeltreppe aus Marmor ragte empor. Yume, die ja auf vier Pfoten lief, musste sich den Spott von Veritas anhören, denn sie lief total lahm und unsicher auf der Wendeltreppe. Schließlich hob Rikku die ausgewachsene Wölfin kurzerhand hoch und trug sie in die dritte Etage. Die dritte Etage bestand aus zwei Räumen, dem Treppenraum und dem Königssaal. Als wir in den Königssaal eintraten, fiel mein Blick sofort auf den schönen Zelé, der dort an dem rundem, glaslosen Fenster stand. Er hatte seine Hände auf dem Rücken gefaltet und drehte sich um, als wir eintraten. Ceylon war lang, blass und zart, trug einen langen Mantel aus Blumenranken. Seine Kette, die er trug, ging ihm bis zu der Brust und besaß einen grauen Stein. Seine langen, hellschwarzen Haare schimmerten im Licht und seine mit Ringen beschmückte Hand löste er aus der anderen, um mich zu begrüßen. Mir fielen zwei Dinge auf. Erstens, dass er die Ohren eines Wolfes hatte, und zweitens, dass sein kompletter linker Arm Fell hatte, graues Wolfsfell. Seine Hand, die er mir hinhielt, war die mit den Ringen, doch er konnte nicht verbergen, dass die andere keine Hand mehr war, sondern eine handähnliche Tatze mit Krallen. "Guten Tag, Lya, guten Tag, Elizabeth", begrüßte er. "Lucy! Kishishishii... Sei gegrüßt, Ceylon, Kishishi..." Überrascht blickte Ceylon zu Yume, ohne seine Augen zu öffnen, und orientierte sich an der Quelle der Stimme. Das ist also der Anführer

, dachte ich und lächelte leicht. Ich mag das Volk, Zelé...

Doch da sprach Ceylon: "Veritas?!" ,und überraschte Stille herrschte. Schließlich schaltete sich Ventus ein, und Ceylon grinste. "Auch ich bin hier, ich, Ventus... Ceylon, Ceylon... Es ist lange her, seit wir uns sahen." - "Oh ja, das ist es, Ventus. Doch, sprich, wo seid ihr beide? Meine Augen sind zwar blind, doch die Wahrheit sah ich immer, und den Wind hörte ich immer." Erst jetzt fiel mir auf, das Ceylon blind war. Lange Narben zogen sich über sein Auge, und ich vermutete, dass sie noch jung waren. Ist er etwa auf beiden Augen blind?, dachte ich überrascht, da öffnete er seine Augen. Das linke, das blinde, war das Auge eines Wolfes, leer und tot. Doch das andere lebte, sah, was vor ihm stand. "Wo seid ihr?!" ,wiederholte er. Yume trat vor, zeigte ihm den nadelspitzen Zahn und die schwebenden Schellen. "Das hier sind Ventus und Veritas." - "Aber...! Veritas, ich sah dich nie in deiner wahren Gestalt, und Ventus, wenn du bei mir warst, trug ich immer eine Augenbinde, außerdem war ich noch nicht erleuchtet, habe nur deinen Wind gehört." Neugierig hörte ich zu, und selbst Rikku horchte auf. Nur Lya schien sich nicht sonderlich dafür zu kontzentrieren, sondern beschaute sich die Blumen und den Holztisch, die in dem Raum standen, und sie flauschte das Schaffell auf dem Boden. "Ceylon, erinnerst du dich nicht? Unser letzter Auftrag..." Ceylon schlug sich seine Wolfstatzte gegen die Augen und erinnerte sich, murmelte: "Was bin ich dumm..." Dann fügte er laute rhinzu: "Ja, ich erinnere mich. Aber.. halt, dann bist du... Kiba? Kiba vocat? Das ist wirklich span..." Der Zelé wollte weiterreden, doch ein bedrohliches, lautes Knurren ging von Yume aus. Überrascht blickte ich zu ihr. Ihre Zähne hatte sie gefährlich gefletscht, und ihre Rute war dominant erhoben. "Sei leise! Sonst schlitz ich dich auf" ,drohte sie und hob ihre Pfote, die scharfe Krallen hatte. Die Wolfsohren von Ceylon zuckten überrascht zurück. "Aber... was habe ich denn falsch gesagt? Du heißt doch Kiba vocat, oder?" Ein lautes Krachen folgte, und Yume stand auf dem Holzstisch und schleuderte eine - zum Glück nicht brennende - Öllampe davon, sodass sie an der Wand zerschlug. Ihr Fell war schwärzer als sonst, es glitzerte bedrohlich, und ihre Augen fingen an rot zu glühen. Ich bekam Angst, und auch Lya schien sich zu fürchten. Rikku, die gerade noch Yume vorsichtig hochgetragen hatte, sprang auf und rief: "Diener! Los, Los! Fangt den Köter ein!" Lya war erstarrt und machte den Befehl rückgängig, sah vorwurfsvoll ihre Schwester an und erhob sich. Ihr rosa Kleid wehte in einem heftigem Wind, der plötzlich in dem Raum explodierte. Meine Angst wuchs, als ich an die Wand geschleudert wurde. Ich hatte keine Angst davor, dass Ceylon etwas geschehen würde. Viel mehr fürchtete ich mich um Yume! Was geschah da mit ihr? Und wieso wurde sie Kiba vocat

genannt? Aus dem Schulunterricht wusste ich, dass vocat

aus dem Lateinischen von vocare

kommt und "rufen, nennen" heißt und die Personalendung der 3. Person Sg. Präsens vocat

lautete. Und das Kiba

Japanisch war und Der Fangzahn

hieß, wusste ich ebenso. Der Fangzahn ruft?

, dachte ich verwirrt. Durch den Wind blickte ich zu Ceylon, der schützend seinen Wolfsarm vor sich hielt. Er war zu Boden gerutscht und blinzelte heftig, Yume befand sich auf der Seite seines blinden Auges. "Aggressive Wölfchen kann man nicht zähmen" ,säuselte Yume. Sie knurrte nochmal, laut, dann sprang sie wieder vom Tisch und schüttelte sich, wurde wieder zu dem ursprünglichem schwarzen Fellknäul und bekam wieder ihre Indigo farbenden Augen. Auch der Wind beruhigte sich und Yume fuhr fort: "Aber ich bin ja nicht aggressiv." Geschockt blickte Rikku Yume an, hatte den 'Neeeeiiiiin-Gar-Nicht

'-Blick aufgesetzt und hustete verlegen. Ceylon erhob sich leicht zitternd, strich sich das lange Haar aus der Stirn und strich die Falten aus seinem Mantel. "Ich bin der gleichen Ansicht" ,erwiderte er kühl und fragte noch: "Wie heißt du denn? Offenbar ist eine Verwechslung vorgefallen." Yume zuckte mit den Ohren und sagte, dass sie Yume hieß und es sich tatsächlich um eine fatale Verwechslung handeln würde, zudem ja Ventus und Veritas mehrmals Auftrage erfüllt hatten. Doch ich glaubte, dass keiner das

glaubte. Vielmehr glaubten ich, Lya, Rikku, wahrscheinlich Ceylon und vermutlich sogar Yume, dass es die Wahrheit war. Nein... wir wussten es. Wir versuchten, das Geschehen aus dem Blickwinkel zu verlieren und ich fragte daher: "Wieso wurden wir zu ihnen gerufen, Ceylon?" Der Anführer der Zelé nickte ernst und stellte seinen Stuhl wieder hin - der Wind hatte ihn umgeworfen - um sich auf ihn niederzulassen. Dann stützte er die Ellbogen auf den Tisch und faltete seine Hände. "Dies ist eine gute Frage, Elizab... nein, ich sollte dich Lucy nennen, laut Veritas." Keinem in diesem Raum entging der verbitterte Unterton, bei dem Namen Veritas. Wahrscheinlich ist er sauer auf Ventus, denn der hat den Wind erschaffen, und da Veritas und Ventus verbrüdert sind...

, kombinierte ich und stimmte ihm zu, dass ich Lucy genannt werden wollte. "Nun gut, Lucy. Doch bevor ich anfange, setzt euch bitte zu Lya auf das Schafsfell!" Rikku, die ja die Stellvertretende Anführerin war, setzte sich anstatt auf das Fell auf einen Hocker neben dem Tisch und blickte stur zu uns herüber. Yume ließ sich dicht hinter mir nieder, sodass ich ihr flauschiges Fell durchwuscheln konnte und Lya legte sich neben mir auf den Bauch. "Gut... Zuallererst, will ich sagen, dass ich dich willkommen heiße im Namen aller Zelé. Wir waren sehr erfreut, als Lya, die zweit Älteste des Stammes, uns mitteilte von ihren Träumen von dir. Als danach der Ältestenrat beschloss, dich aufzunehmen, stimmte das komplette Volk ohne Widerspuch zu. So kam es, dass Lya im Auftrag von mir loszog, um dich zu suchen. Nun bist du hier, vor meinen Augen, und hast eine Gefährtin gefunden. Yume" , er betonte den Namen, "ist eine starke Wölfin und wird dir Schutz geben. Doch wir kamen zu dem Schluss, dass du als Fantasieträgerin wahre Begleiter benötigst. Begleiter, die dir... gehören, die in dir sind." Nachdenklich nahm ich die Worte auf und merkte, wie sich Yume hinter mir verspannte. "Soll das etwa heißen, ich bin nicht in ihr?!" ,forderte sie Ceylon heraus. "Das stimmt" ,gab ich zu. "Yume ist auch in mir!" Überrascht blickten sich Ceylon und Rikku an, und mir fiel auf, dass Ceylon mit den Ohren zuckte. "Dann..." ,murmelte er ungläubig und starrte sie an. "Dann ändert sich das alles. Wenn ihr eine direkte Verbindung zueinander habt, kann ich alles laut erklären, denn dann ist sie ebenfalls eine Eingeweihte, sowie Rikku, der Ältestenrat, ich und bald auch ihr es seit. Nun gut... Wir, die Zelé, haben eine erhitzte Verbindung zu den Zwergen. Anders gesagt, droht ein Krieg. Daher wollten wir dir besonderen Schutz geben. In der tiefsten Höhle, die Höhle, die jede Zelé und jeder Zelé nur einmal im Leben betritt, und zwar die Höhle Versus Lux

. In der Höhle muss man psychische Fragen und Aufgaben meistern. Das Endergebnis bei Zelé, ist, welcher Fluch auf einem lastet. Bei mir ist es der Fluch der Fauna, bei Lya und Rikku der Flora. Jeder hier bei den Zelé hat den Fluch er Fauna oder Flora." Um es zu beweisen, streckte mir Ceylon seinen Wolfsarm entgegen, Rikku zeigte ihre Seite, auf dem die Ranken wuchsen und Lya streichelte die Kletterranken auf ihrem Arm. "Du bist die erste Fantasieträgerin in unserem Dorf, daher wissen wir nicht, welche Wirkung genau Versus Lux

auf dich hat, vermuten aber, dass es deinen wahren Begleiter dir eröffnet... Scheinbar hast du mehrere, Yume wird dich ebenfalls in die Höhle begleiten." Ich nickte interessiert. "Wann soll ich das tun?" - "Sobald du willst." Zufrieden sahen Yume und ich uns an. Plötzlich klopfte es an der Tür und eine junge Zelé mit rotem Haar trat mit gesenktem Kopf ein. Rikku sprang auf und fragte sofort: "Was ist los?" Auch Ceylon blickte zu der Dienerin und befahl rüde: "Sprich!" Plötzlich fiel mir auf, wie lieb ich von Ceylon behandelt worden war. Und mir fiel auf, wie sanft Rikku im Gegensatz zu Ceylon war. "Der Rat der Ältesten

will Elizabeth und ihre Gefährtin zusammen mit Lya sehen. Und ein Brief ist eingetroffen - mit dem Siegel von Treé Van, dem Zwergenkönig." Ceylon nickte. "Danke, du kannst jetzt gehen. Rikku, lies mir gleich vor, was in diesem Brief geschrieben steht. Lya, Lucy und Yume... Ich wünsche euch noch einen schönen Abend. Und Lucy, ich würde mich an deiner Stelle beeilen, was der Höhle anbetrifft..." Damit winkte er uns weg.

Yume, Lya und ich wurden heftig begrüßt als wir die Treppe heruntergingen. Mit erhobenem Haupt stolzierte meine Gefährtin Yume die Treppe herunter und wurde von kleinen Kindern mit Händen überstreut. Jeder wollte ihr weiches Fell streicheln, jeder Ventus weisen Spruch zu seinem Schicksal hören, jeder mit Veritas lachen. Die Zelé bergrüßten mich ehrfürchtig, boten mir Früchte, Schmuck und Texte an. Als erstes lehnte ich all die Gaben ab, es war mir unangenehm Gold zu nehmen, seltene Früchte anzunehmen und alte Familienerbstückte zu lesen, doch sie beharrten auf die Geschenke und Lya riet mir, sie anzunehmen. So kam es, dass Lya, Yume und ich vollbepackt durch den Vorhang aus Farn schoben. Kurz darauf halfen uns acht weitere Hände, all die Dinge vom Volk auf den Boden zu legen. Als mir das letzte Amulett von den Fingern glitt, schaute ich mir die vier Zelé an. Lya, die zweite vom Rat der Ältesten

, forderte ihre Kollegen auf sich hinzustellen. Dann ging sie nach ganz links und sprach: "Dies hier ist die grüne Ino, unsere Jüngste." Ino hatte schwarze Haare, die sie geflochten über die eine Schulter gelegt hatte. Anstatt Ohren hatte sie die eines Hasen's und ihr grünes Kleid war wie das von Lya. "Willkommen" ,begrüßte Ino uns und trat vor, schüttelte mir die Hand und Yume die Pfote. "Die lilane Cecilia, die Viertälteste" ,fuhr Lya vor und zeigte auf die braunhaarige im lila Kleid. Auch sie hieß uns Willkommen, strich sich das lila Kleid glatt und grinste uns an. Sie hatte strubbelkurzes Haar, sowie ein Junge, und einen strähnigen Pony. An ihrem Körper klebten Ranken, sie besaß den Fluch der Flora. Der dritte war ein Er, nämlich der schwarze Jagú. Jagú trug anstatt eines Kleides, einen schwarzen Mantel, wie auch Ceylon es getan hatte, und trat respektvoll vor. "Mein Name stammt von Jagúar, meinem Vater ab" ,erklärte er und zeigte uns seine Tatze. "Der Fluch der Fauna" ,wisperte Yume und sah den Zelé an. "Halb Mann, halb Jaguar." Jagú nickte, verbeugte sich vor mir und der Wölfin. Lya sprach: "Mich kennt ihr ja bereits, die zweitälteste - die rosane Lya. Das hier ist die weiße Amila." Amila, die Älteste, blickte uns an. Ihr rotes Haar war Schulterlang und zu zwei Zöpfen gebunden. Ihr halber Körper hatte die Gestalt einer riesigen Echse, sie war immer wieder geschuppt wie ein Feuer-Salamander. 'Ihr Gesicht ist hart, ihre Haut alt und ihre Erwartung hoch' ,sagte später Yume und ich stimmte ihr zu. Doch jetzt, in diesem Moment, verbeute ich mich vor Amila und Yume senkte ihren Kopf so tief, dass ich schon dachte, Veritas würde sie zu Boden ziehen mit seinem Gewicht als Zahn. Auch die Geschwister Ventus und Veritas grüßten vorsichtig. Ino, Cecilia, Jagú, Lya und Amila. Grün, Lila, Schwarz, Rosa und Weiß. Fauna, Flora, Fauna, Flora und Fauna

, wiederholte ich gedanklich.
Wir wurden durch einen gelben Farnenvorhang geführt, hinter dem sich ein langer und breiter Buchenholztisch befand. Eine schöne Decke befand sich auf ihm, grün und voller Schnörkel, sowie einige Kerzen, die angezündet wurden. Dann setzten sich die Ältesten und ich auf die ausgepolsterten Stühle, während Yume sich auf dem Boden neben mir niederließ. Amila, die gegenüber von mir saß, schaute mir ernst in die Augen. "Ist dir bewusst, weshalb wir, der Ältestenrat, dich riefen?" ,erkundigte sie sich forsch und blickte mich herausfordernd an. "Nein." - "Nun gut... Cecilia, wenn du so freundlich wärst... Mach ein Bett für Lucy und eine Kammer für Yume klar" ,befahl Amila. "Ino, beschaffe für unseren Gast Klamotten, sie muss ja dieses zerfetzte Wollding ausziehen! Jagú, gehe in die Küche und sage, dass sie einiges Fressen für einen Wolf ebenfalls zubereiten sollen. Reste gehen auch!" Vorsichtig fragte Lya: "Und ich?" Ihre zarte, kindliche Stimme war der extreme Gegensatz zu der weißen Ältesten. "Du bleibst hier" ,erwiderte Amila bestimmt. Dann sagte sie zu mir: "Dann will ich dir das auch erst morgen erzählen. Dein Tag war anstrengend, und nachdem wir gegessen haben, wirst du dich zu Ruhe legen. Morgen ist ein neuer Tag!" Ich nickte, stand auf und ging langsam zu dem Vorhang. Im Hintergrund hörte ich Amila und Lya auch aufstehen und kurz darauf rauschte die Älteste an mir vorbei. "Sie ist immer so" ,erklärte Lya, die hinter mir stand und ich drehte mich zu ihr. "Was meinst du?" - "Na ja, sie ist immer so barsch." Ich lächelte und wollte etwas erwidern, doch da stolperte Cecilia herein. Ihre kurzen Haare waren zerzaust und sie grinste mich wie zuvor auch schon an. "Ich habe ein Zimmer für dich gefunden" ,lächelte sie, fasste mich an der Hand und zog mich mit. Cecilia ist voll nett. Sie ist so... kindisch, wie auch Lya. Und sie hat kurze Haare!

, dachte ich munter und wechselte mit Yume, die mir folgte, einen fröhlichen Blick. In den nächsten drei Minuten schwor ich mir, nie wieder zu denken, dass die Erde nicht tief sein konnte. Wie auch schon im Anführerhaus, gab es eine Art Treppenraum. Auch hier gab es eine Treppe. Sie war aus Stein und ging immer tiefer. Alle 50 Stufen folgte eine Plattraum, durch dessen Vorhang man gehen konnte um in den Flur der jeweiligen Etage zu gelangen. Wir liefen 250 Stufen, Veritas zählte laut und deutlich jede Stufe mit, die ich lief, währen Yume nur jede zweite benutzte und insgesamt 3 Minuten und 15 Sekunden, Ventus zählte laut die Sekunden. Als wir endlich, erschöpft und genervt von all den Zahlen, in der fünften Etage durch den Farnvorhang mit der draufgepinselten 5 eintraten, wuselte uns Ino entgegen. "Ich habe dir Klamotten auf das Bett gelegt, und die Diener haben deine Geschenke sortiert auf den Tisch gestapelt." Dann zwinkerte sie Yume noch zu und flatterte mit ihrem grünem Kleid heraus. Cecilia zeigte Yume eine kleine Kammer, in die eine Decke geworfen war. Doch die Wölfin knurrte verächtlich. "Darin schlafe ich nicht" ,sagte sie bestimmt und meinte: "Ich schlafe bei Lucy." Da keiner ihr widersprach, war es so beschlossen. So kam es, dass wir durch einen geflochtenen, silber und roten Vorhang gingen. Ich war überrascht, was alles hinter diesem kleinen Vorhang lag und lächelte fröhlich, während Cecilia die Decke für Yume holte. Der Raum, in dem ich stand, war mit hellem Holz ausgelegt und der Raum hatte weiße Wände. Ein großes Himmelbett in rot war an der Wand und ein riesiges Wandregal aus Bambus war voll mit Klamotten, Kissen, Decken und alten Pergamenten. Tatsächlich waren drei riesige Haufen auf dem großem Tisch in der Mitte - einmal Talismane, Amulette, Ketten und anderer Schmuck, dann noch alte Texte und Dokumente und der letzte, dritte Stapel: Früchte und Geld. Doch ich war zu erschöpft, um sie zu lesen, sie anzuschauen und umzulegen oder gar zu essen. Ich ging zu dem Wandregal, beschaute mir die Kleider und dachte nach, als Yume sprach: "Guck, hier, auf dem Bett!" Cecilia kam rein, legte die Decke neben das Bett, lächelte mir zu und verabschiedete sich. Vorsichtig ging ich zu meiner Gefährtin, die es sich bequem auf der Decke machte, und schaute auf das Bett. Erleichtert stellte ich fest, dass dort Kleidung lag. Nachdem ich mein zerfetztes, dreckiges und stinkendes Wollkleid ablegte, atmete ich erleichtert auf und kleidete mich um. Als ich mich fertig angezogen in einem neuem Spiegel beschaute, lächelte ich und stellte fest: Ich sehe aus wie eine Zelé!

Meinen Bogen, den ich von den Wölfen geschenkt bekommen hatte, lehnte an der Wand. Schließlich zog ich eine warme Weste über mein langes Nachtkleid aus Blumen und legte mich zu Yume. Und obwohl ich großen Hunger hatte, dauerte es nicht lange, bis ich tief und fest schlief....

Als ich aufwachte, schlief Yume neben mir auf dem Bett. Ihr warmes Fell wärmte mich, sowie es in dem Rudel gewesen war. Ich überlegte, wie es wohl Yolanda und Honey geht. Immerhin bist du plötzlich verschwunden, mit einer Freundin. Ich hoffe, Azurya versteht mich und wird auch Yolanda Esperanza und Honey sowie... Kaasa davon überzeugen

. Überrascht dachte ich darüber nochmal nach - und ich fragte mich, wieso es mir so wichtig war, dass Kaasa es ebenfalls versteht. Ich kenne sie kaum, gab ich zu und beneidete Yolanda ein bisschen, dass sie diese Hirschkuh.... als Freundin nennen konnte. Wenn ich sie das nächste mal treffe, werde ich Yolanda fragen, wie sie Kaasa kennenlernte. Und vorallem, das Thema, dass mich am aller meisten beschäftigt... wer und was Kaasa ist!

Kurz nachdem ich diesen Entschluss fasste, blinzelte Yume störrisch, knurrte leise und wachte auf. Auf die Frage von mir, wie sie denn geschlafen hatte, blickte sie mich nur kühl an und ich interpretierte dies als großen Hunger und schlechte Laune. Zu unserem - in letzer Zeit nicht allzu großen - Glück, trat kurz darauf eine mir müde erscheinende Cecilia ein mit der Nachricht, dass der Tisch oben gedeckt und aufgetischt war. "Danke, Cecilia" ,erwiderte ich, "wir werden glech kommen." Tatsächlich hatte ich bald ein weinrotes Kleid an, das aus demselben Stoff wie der von dem Rat der Älstesten-Kleider und Yume fühlte sich etwas wacher. Daher gingen wir wieder diese vernichtenden 250 Stufen erneut - diesmal aufwärts - und schafften es, uns heil und ganz in das Esszimmer zu schleppen. Die Ältesten saßen bereits am Tisch, mit geschlossenen Augen und gefalteten Händen. Es kam mir vor wie in der Church Street

in Chester, in meinem geliebten England. Als ich und Dad dort das erste mal waren - wir sind Kommunisten und Atheisten, wohl bemerkt - kamen wir uns so vor, als wären wir nicht in einer Straße sondern schon in der Kirche selber. Auch jetzt war eine ruhige, bestimmte Atmosphäre im Raum und Yume und ich wussten nicht Recht, was wir tun sollten. Schließlich herrschte Amila uns an: "Steht nicht dumm rum, sondern setzt euch. Gestern habt ihr kein Abendessen bekommen und ihr müsst hungrig sein." Obwohl die Worte gut gemeint waren, hatte sie einen so rauen Unterton, dass Yume ihre Ohren anlegte. Dennoch beließen wir es dabei und ließen uns - ich auf einem hölzernen Stuhl, Yume auf dem weichen Holzboden - nieder. Hungrig schaufelte ich in mich das saftige Brot und das Trinken - Milch - hinein, während Yume einen Hasen zerkaute. Zu meiner Überraschung war Ino nicht anwesend und Lya schien keinen Appetit zu haben. Leise flüsterte ich zu Cecilia, die neben mir saß: "Wo ist Ino?" Doch sie blickte mich nur trocken an und lächelte falsch, murmelte etwas, was sich gut anhören sollte und aß dann dumpf weiter. Auch Jagú antwortete nicht auf meine Frage und ich kam mir merkwürdig unwissend vor.

Ino erschien bis zum Ende des Essens nicht. Yume und ich wollten gerade mit den anderen aufstehen und uns an Cecilia oder Lya heften, als Amila uns zu ihr rief. Herrschend baute sie sich vor uns auf als wir herbeigeeilt waren. "Nun zum Grund, für unsere Bitte für eure Anwesenheit" ,erklärte sie uns und schob mir einen der Stühle zu, während sie sich hinsetzte. "Ich denke, ihr wurdet bereits von Ceylon und Rikku unterichtet, dass ihr in die Höhle Versus Lux

- wahres Licht - gehen sollt. Ich werde euch jetzt mit Einzelheiten versorgen." Interessiert nickte Yume und ich ließ mich auf dem Stuhl nieder, schwieg. "In Versus Lux

musst du, Lucy, zusammen mit dir, Yume, psychische Aufgaben bestehen. Es kann sein, dass ihr scheitert - und krepiert. Dies ist zu mindestens 80% Wahrscheinlichkeit. Allerdings könnte es sein, Lucy, dass ihr alle Aufgaben schafft. In dem Falle wirst du deine wahre Begleiterin oder deinen wahren Begleiter kriegen. Da Yume bereits deine Begleiterin ist, kann es gut sein, dass sich kein Begleiter offenbart. Auch dies hat mehr als 80% Wahrscheinlichkeit." Ich starrte Amila an, hatte eine trockene Kehle und brachte kein Wort heraus. Doch sie selbst sprach meine Frage aus: "Du willst wissen, warum du dann in Versus Lux

gehen solltest? Nun, ich sage es dir: Wenn du die Aufgaben schaffst, und sich dir ein Begleiter offenbart... dann hast du etwas ewig

." Ich schrak auf. "Nichts kann ewig sein" ,meinte ich ernst und runzelte meine Stirn. "Das müsstest du selbst doch wissen?" Amila sah mich an. "Geh jetzt" ,meinte sie plötzlich kühl. "Am Abend wirst du in die Höhle gehen, ich weiß es genau." Ihre Stimme erinnerte mich an Eisen, welches an eine Kreissäge geriet. Schrill, beängstigend und gruselig. Daher traute weder Yume noch ich mich, sie zu fragen, was mit Ino los sei.

Weder Yume noch ich fanden weiteres über Ino heraus. Da wir nicht in unserem Zimmer uns langweilen wollten, gingen wir nach draußen. Freundlicherweise wurde uns das komplette Dorf vorgestellt, und alle Zelé wünschten uns viel Glück in der Höhle, und bevor wir uns versahen, hatte das Volk uns vor den Pfad der zum Eingang der Höhle Versus Lux

führt geführt. Ich muss zugeben, ich denke, es war Amilas Werk. Der abgetrampelte Pfad mit dem trockenem Boden führte erst über einen hohen Hügel und dann steil bergab. Plötzlich säumten immer mehr Steine den Pfad, bis es zu einer prachtvollen Treppe wurde. Veritas murmelte: "Kishishishii... Wahrlich, wahrlich, ich bin gespannt, wie ihr mein Werk findet, Kishishishii!" Ich blieb überrascht stehen. "Dein Werk?" ,hakte Yume nach und zuckte mit ihren Ohren. "Versus Lux

ist dein Werk?" Der Zahn, in Yume's Ohr, fing an zu kichern. "Kishishishiii... Kishishii, Was bedeutet Versus Lux

denn?" - "Wahres Licht!" Ventus klang erschrocken. "Oh Bruder, du hast mir davon nie erzählt! Schäme dich, Schäme dich!" Yume knurrte: "Leise, ihr Trottel! Veritas? Könntest du..." Beruhigend blickte sie mich an. "...vielleicht Lucy etwas helfen?" - "Kishishishii, oh nein! Das ist eine Schande, kishishishii! Aber... Kishishishii.. Ich mag Schanden, Kishishisii!" Sofort zeterte Ventus los: "OH BRUDER, du bist so peinlich! Das ist eine Schande, oh ja, eine Schande, das bist du! Eine schreckliche Schande!" Ich hörte dem Gezeter nicht zu, das nun anfing, sondern sah zu Yume. Auch sie schien positiv überrascht zu sein. Wenn Veritas die Höhle erschaffen hat, kann er uns bestimmt helfen... Stimmt, dass ich nicht eher darauf gekommen bin!



Der Eingang war länger entfernt als erwartet. Noch öfter mussten wir hoch und runter gehen, und die steinernde Treppe wechselte mal zu einem Pfad aus Matsch, mal zu einer Rampe aus altem Holz oder einer edlen Treppe aus Marmor. Schließlich standen Yume und ich vor einem kleinen Loch, das eine pflaumenlilafarbende Tür hatte. Wir alle waren überrascht, und Ventus knurrte genervt, als Veritas anfing, einen Lachflash zu kriegen: "Veritas... Sag nicht, dass du dir diese Farbe ausgesucht hast!" Die Antwort könnt ihr euch wohl schon denken, denn wenn man eine pflaumenfarbende Tür und einen lachenden Veritas zusammenzählt, kommt ein Ja heraus. Ventus, Yume und ich wurden von Veritas Lache angesteckt und jetzt, im Nachhinein, wo ich das alles überlege, fällt mir auf, wie dumm es ausgesehen haben musste: zwei Gestalten, vier verschiedene Lachen.
Kurz nachdem wir uns erholten, versuchte ich, die Tür zu öffnen. Vergebens. "Veritas? Wie kriegt man die Tür auf!?" ,knurrte Yume, nachdem sie sich mit mir zusammen gegen die Tür gestemmt und geworfen hatte. Doch die Wahrheit schwieg - so ziemlich zum ersten mal in seinem Leben, denke ich - und es dauerte bestimmt noch eine Stunde, als Yume und ich gerade zurückgehen wollten, als wir den Schalter auf dem Boden bemerkten. Reichlich schlecht gelaunt trat Yume auf den Schalter, und die Pflaumenfarbende Tür ging lautlos auf, als wäre sie frisch geölt worden. Ich kam mir vor, wie ein dummes Mädchen, das sich ein riesiges Märchenschloss vorgestellt hatte und auf ein Besenkämmerchen stieß, als ich in die Höhle blickte. Heruntergekommene Wände, die von einem goldenen, halb von Motten zerfressenen Teppich überzogen worden waren, ein moderiger Geruch und eine Menge Spinnen, Ohrenkneifer und Kellerasseln, die davonhuschten, ein von Schlaglöchern gesäumtes Steinpflaster und viele, viele blaue Laternen, die an den Wänden hingen. Angeekelt wechselten Yume und ich einen Blick, als Veritas aufseufzte. Sein sonst so fröhliches lachen klang dumpf: "Kishishishii... Alles kaputt, alles weg... Kishishiihi..." Ich wusste zwar weder, wie Veritas aussah, noch, wie eine traurige Wahrheit aussehen könnte, doch mir tat Veritas irgendwie leid. Ich erinnerte mich daran, als ich neun Jahre alt war. Stolz hatte ich George ein selbstgemaltes Porträt meiner vorgestellten Mutter präsentiert, als er es zornig wegwarf in den Müll und mich anknurrte: "Du kennst deine Mutter doch gar nicht! Außerdem, was lungerst du hier noch herum? Du bist erst neun Jahre alt, mach, dass du in dein Bett kommst!" Damals war ich fürchterlich traurig gewesen, war in mein Zimmer gerannt und hatte hemmungslos geheult. Aber nicht, weil mein Vater mich angeschrien hatte, nein. Ich wusste, dass er es nicht so meinte - ich hatte geheult, weil das schöne Bild weggeworfen worden war. Nachdem George sich entschuldigt hatte, und erschöpft zu Bett gegangen war, war ich aufgestanden und hatte den Mülleimer und die Mülltonne nach dem Bild durchsucht. Leider fand ich es nicht, doch im Kamin war eine Asche gewesen, und ich war und bin immernoch davon überzeugt, das es jenes Bild war. Ich hatte die Asche in ein kleines Fläschchen gesperrt und sie versteckt. Ich glaubte, Veritas fühlte sich jetzt genauso. "Naja" ,fing ich an, "es hat schon etwas mystisches." Yume blinzelte mich dankbar an, und stimmte mir leise zu. "Vorallem das blaue Licht.." - "Kishishishishishiii! Ist ja auch mein Werk, kishishisshii!" Veritas schien seine Fröhlichkeit zurückerlangt zu haben und rief: "Kishishishiii... Yume, rein mit uns, rein mit uns! Kishishishii! Ihr werdet es liiieben!"
Es war eine kleine Überwindung, letzendlich wirklich einzutreten. Überrascht war ich, weil kaum trat ich ein, wurde mir eisig kalt. Auch Yume fing an zu zittern, doch Veritas zuliebe sagten wir nichts wie "Ist das Kalt" oder "Boah, ich friere voll!" oder anderes dergleichen. "Wo lang müssen wir?" ,fragte ich und Ventus antwortete: "Drei Tunnel, jeder hat ein anders Ziel. Welchen werden wir wählen?" Ich blickte überrascht auf, und tatsächlich: An der Seite waren drei Eingänge zu drei Tunneln, keiner von ihnen war mir zuvor aufgefallen. Yume ging näher an die Eingänge heran. "Lucy, hier steht etwas!" Sofort eilte ich zu ihr. Yume hatte Recht; neben den verschiedenen Eingängen war jeweils ein Bild, welches von Text umgeben war. Ich ging zum ersten Bild und las vor: "Eifer ist dein Volk, verflucht sei deine Seele. Ob du zum Tier wirst oder dich die Pflanze zerfrisst, es sei die Entscheidung deines Herzens." Der Text wirkte platt, doch als ich das Bild sah, klammerte ich mich unwirklich an Yume fest. "Was ist? Was siehst du? Steht da noch mehr? Nun sag schon!" Die Wölfin stupste mich an, und wirkte sehr besorgt. Wortlos ging ich einen Schritt zurück, sodass ich hinter ihr stand, schob meine Hände unter ihre Voderbeine und hob sie mühsam hoch, sodass sie auf zwei Pfoten stand. Als erstes legte Yume die Ohren an und knurrte leise, aber auch sanft, dann sah sie die Abbildung. "...Aber...!" Sie fletschte ihre Zähne. Auf dem Bild sah man eine Abbildung einer Zelé, die schrie. An ihrem Arm bildete sich eine lange Tatze und sie heulte vor Schmerz, während das Tier in ihr wuchs und wuchs. Neben der Fauna-verfluchten sah man eine Flora-Verfluchte. Das Blut spritzte aus ihren Wunden, wo sich Ranken bildeten, und man sah, wie blass sie war, wie leblos. Unter den jeweiligen Abbildungen stand "Fauna" oder "Flora". Und dann sah man einen heftigen Pfotenabdruck, mit langen Krallen. Sähe man nur dies, wäre es ... aktzeptabel gewesen. Doch zu allem Überfluss stand unter der Pfote in Schnörkelschrift: Kiba vocat

. "VERITAS?" ,knurrte Yume laut und ich ließ sie wieder auf ihre vier Pfoten. Veritas antwortete nicht. "Veritas!" So aufgebracht hatte ich Yume noch nie gesehen, noch nicht einmal bei Ceylon. Sie tobte richtig und ihr Nackenfell war horizontal aufgestellt. Mit der Rute peitschte sie umher, wie eine Katze, sie hatte die Zähne gefletscht und die Augen zusammengekniffen. "Sag nicht, dass du das warst!" Ich kontaktiere dich per Gedanken, oh Lucy, weil Veritas zu eingeschüchtert ist. Da wir beide jeweils in der Fessel, die wir für Kiba eingesetzt haben, eingefangen sind, spürt er es, wenn Yume richtig aufgebracht ist. Ich als Schelle habe es nicht so, da ich mit ihr ja nicht direkte Berührung habe. Er war es nicht! Durch die Angst, in die er gerade versetzt geworden ist, und die Fassungslosigkeit, die in ihm herrscht, hat er vergessen, wie unsere Sprache geht. Er hat gerade mich gebeten, da ich der einzigste bin, der seine wahre Sprache versteht, dich zu beten, Yume zu sagen, dass er es nicht war. Ich rede nicht laut, da sie mir nicht zuhören wird - dir schon. Übrigens... Fall's du es noch nicht mitbekommen hast, ich bin es, Ventus, der Herr der Winde! Ich riss meine Augen auf und hielt den Atem an, während Ventus mit mir redete.

Per GEDANKEN redete! Yume redete auf mich ein, doch ich hörte sie kaum. Es war, als würde sich mein Magen erst wieder sammeln müssen, und so redete ich erst nach fünf Minuten: "Yume, Veritas war es nicht."
Ich denke, es reicht, wenn ich noch erzähle, dass wir auf den zwei weiteren Tunneltafeln ebenfalls Text und Bilder sahen, die dem Schema der ersten Tafel entsprachen, und dann den dritten Tunnel währten, der mit dem kitschigen Namen: "Der Weg deines Herzens" benannt worden ist. Unwillkürlich erinnerte mich an den Tunnel, durch den ich aufgrund der Anreise in meine Welt durchrutscht hatte. Zwar musste ich diesmal krabbeln, eine keuchende Wölfin folgte mir bemüht und ein vor sich hin lachender Veritas und ein betender Ventus verwirrten mich, doch...

Als wir das Ende des Tunnels erreicht hatten, bemerkte ich, wie erwartungsvoll ich mich umblickte und enttäuscht mit Yume einen Blick wechselte. Keine Marmorwände aus meinen Träumen, keine riesigen Portale und lilanen Lichter. Es war eher ein langes Loch, dass in die lehmige Erde gebuddelt worden war. Die blauen Laternen waren auch hier an allen Wänden angehängt, sodass die gespenstische Atmosphäre des vorherigen Raumes erhalten blieb. Yume hatte sich ihr Fell in ein geschecktes Blau-Grau gefärbt und mit ihren indigo farbenden Augen, dem im Ohr steckenden Zahn und den leuchtend grünen, schwebenden Schellen wirkte sie ebenfalls geheimnisvoll und ich kam mir seltsam verloren, normal vor. Dann gingen wir los. Als erstes marschierten wir auf dem Pfad, immer weiter und weiter, durch das riesige Loch, bis mir plötzlich schlagartig schwindelig wurde. Mit panischen Augen krallte ich mich in die Erdwand, die jedoch wegbrökeln zu begann, und mir wurde klar, dass es keinen Gegenstand gab, an den ich festen Halt haben könnte, wenn ich ohne Yume gegangen wäre. Diese sah mich mit großen Augen an, fluchte leise vor sich hin und stupste mich wie eine Elefantenmutter unermüdlich an. "Komm schon, Lucy, reg dich ab, alles ist feine Sahne!" Ich dachte, ich hätte mich gerade abgeregt, da war es, als fiele ich in ein leeres, langes Loch, das für mich maßgeschneidert war, sodass Yume nicht mitfallen konnte.
Es war ein Raum, von dem ich in diesem Augenblick der festen Überzeugung war, er wäre rot, später aber dachte ich, er war weiß und heute, dass er blau war. Ich stand alleine in diesem Raum, und war unfähig meine Gliedmaßen zu Bewegen. Mein Herz pochte, es war, als wolle es aus der Brust springen und fliehen, weg von diesem Raum, der rot, weiß oder blau war. Da hörte ich die Stimme das erste mal. Sag, was ist dein Lieblingstier, Cyu?

Verwirrt blickte ich umher. Cyu? War ich damit gemeint? Ja, bist du. Dein Name ist weder Lucy, noch Elizabeth. Du heißt Cyu.

Perplex blinzelte ich. "Du kannst meine Gedanken lesen?" Du beantwortest nicht meine Frage. Was ist dein Lieblingstier?

Nervös strich ich durch meine braunen, feinen Haare. Bei den Zelé hatte ich ein göttliches Bad genossen, sodass sie wieder ganz seidig waren. "Katzen, Füchse und Eulen. Und natürlich auch Drachen, Wölfe und Pferde." Cyu ist also nicht sonderlich wählerisch?

Während die Stimme mich das fragte, bildeten sich vor mir eine Katze, ein Fuchs, eine Eule, ein Drache, ein Wolf und ein Pferd. "Nun ja" ,setzte ich an, "so ist das nicht. Ich mag nicht alle Katzen, Füchse, Eulen, Drachen, Wölfe und Pferde." Welche Katzen mag denn Cyu am meisten?

Cyu. Mein neuer Name? Mein wahrer Name? Mein alter Name? Mein Kopf schwirrte vor Fragen. "Raubkatzen." Cyu weicht der Frage aus, denn sie hat andere Fragen. Claire will aber die Antworten haben.

Claire? Wer um Himmels Willen war bitte Claire? "Ozelote und Löwen." Von der Katze kam ein amüsiertes Schnurren, und sie teilte sich plötzlich auf. Die anderen Tiere, die nur eine schwarze Form waren, blieben weiterhin bewegungslos stehen. Und welche genau mag Cyu lieber?

Instinktiv antwortete ich: "Ozelote." Die Katzen, von der sich eine in einen Ozelot und die andere in einen Löwen verwandelt hatten, zerplatzen und mit ihr die anderen Tiere. Cyu verwirrt Claire. Claire mag das nicht, aber sie will sich dir beugen. So sag den Grund, warum du Ozelote mehr magst?

Meine Sinne spielten verrückt, denn mir verschwamm das Bild vor den Augen und meine Ohren dröhnten, die Nase juckte und ich hatte den Geschmack von angesabberten Spinat auf meiner Zunge. "Ozelote sind Einzelgänger, Löwen leben in Gemeinschaften." Wenn ich nicht gleich aus diesem Raum rauskommen würde, müsste ich mich erbrechen. Cyu ist weise. Sag, Cyu, wenn du drei Tiere hättest, drei Wünsche, welche Tiere würdest du nehmen?

- "Ich denke, Katzen, Wölfe und Füchse." Wiederholt war da dieses amüsierte Geräusch, welches ich gerade noch als Schnurren angesehen hatte. Ich würgte und kniete mich hin, während in meine Augen Tränen standen. Cyu ist wirklich sehr weise. Doch warum ein Einzelgänger, ein Ozelot, ein Rudeltier, ein Wolf und ein ängstlicher Genosse, ein Fuchs? Claire sieht nicht durch Cyu.

Cyu, Cyu, Cyu. Immer Cyu! Ich hieß Lucy, Elizabeth Lucy Cold. Nicht Cyu! "Mein Herz hat entschieden, nicht mein Verstand." Das gefällt mir, gefällt Claire. Cyu wird für Vollkommen befunden. Doch Cyu soll wissen, Claire und Red Line leben schon viel länger. Und außerdem gefällt Cyu der Name Cyu nicht. Wie willst du dich nennen? Es soll dein Name sein, aber deinen Wahren Namen - Cyu - darfst du niemals vergessen. Erleichterung.

Ich durfte mir meinen Namen endlich aussuchen, kein Cyu mehr! Gerade wollte ich Lucy sagen, dann stoppte ich. "Darf ich mir jeden beliebigen Namen aussuchen?" Er sollte schon zu Cyu passen.

"Dann würde ich gerne Lyra heißen."
Stille. Dann plötzlich verschwand der Raum, der rot, weiß oder blau war und ich lag plötzlich wieder neben Yume. Sie atmete erleichtert auf. "Endlich" ,lächelte sie sanft und rieb ihre weiche Schnauze an meine Wange. "Wir dachten schon, du wärst ohnmächtig." - "Wir?" Meine Stimme klang überraschend dumpf. "Na, Ventus, Veritas, Claire, Red Line und ich?" Mein Bewusstsein hatte es gewusst seit ich wach war. Diese Claire und dieser Red Line waren da. Doch als ich mich umdrehte, bekam ich plötzlich ein Gefühl der Wohligkeit. Ich fühlte mich sicher, als ich die drei erblickte. Yume hatte wieder ein tiefes pechschwarzes Fell bekommen und lächelte mich geheimnisvoll an. Die Katze, die neben ihr stand, so vermutete ich, war Claire. Es war ein Ozelotweibchen, die mich mit ihren blauen Augen lange ansah. Sie war schlang gebaut, so, als wäre sie besonders wendig, natürlich gefleckt, so wie jeder Ozelot, und ein bisschen kleiner als Yume, die ja neben ihr stand, und ein ganzes Stückchen kleiner als Red Line. Red Line war ein sehr muskilöser, kräftig gebauter Fuchs mit starken Krallen. Er ähnelte eher einem Wolf, doch da er rotes Fuchsfell, einen großen, buschigen und zu meinem Entzücken auch sehr flauschigen Schwanz besaß, wusste man nunmal, dass er ein Füchschen war. Das Fell war auf seinem Rücken eher Hart - Deckhaar eben - aber ansonsten puschelig weich. Red Line besaß zwei Lilientode, einen Lichttod und einen Schattentod. Ich erkannte sie sofort, denn ich hatte sie früher erfunden, die Lilientode, aufgezeichnet. An beiden Schulterblättern begann jeweils eine blaue, ein Meter lange und geflochtene Schnur zu wachsen. Beide endeten in zwei großen, ca. 30 cm. langen, feinglidriegen Blättern. Sie sahen aus, als wären sie aus dem Material wie Schmetterlingsflügel, fast durchsichtig. Der Lichttod, das linke Blatt, war weißlich, so, als würde man in einen dichten Nebel blicken, und das rechte Blatt, der Schattentod, schwarz. Beide zuckten an ihren Schnüren lustig herum.
Ich muss zugeben, es war, als wären sie schon immer da gewesen. Besonders Claire. Als sie in meine Augen blickte, erinnerte ich mich plötzlich an keinen Tag, an dem sie nicht an meiner Seite stand. Und ich mochte dieses Gefühl der Vertrautheit. "Ich heiße Claire the blue sea. Yume heißt Yume ha hatori. Red Line heißt Red Line hunts. Du heißt Elizabeth Lucy Cyu Lyra Cold."Claire's Stimme war hell, klar und menchalonisch: "Elizabeth wurde zu Lucy, Lucy war schon immer Cyu und nannte sich Lyra." Damit sagten alle fünf, Yume, Ventus, Veritas, Claire und Red Line: "Lyra

."


YOU saw me and I saw you.



Regel Nr. 3


Regel Nr. 3

"Lerne zu Leben, zu Verlassen und zu Vertrauen!"



I

nnerhalb weniger Minuten erinnerte mich wirklich und vollkommen an keinen einzigen, winzigen Moment, an dem ich ohne Claire war. Wir kannten einander sofort, ich wusste ihre Geschichte, als hätte ich sie durchlebt und nicht Claire - und ich war mir gar nicht sicher, ob das falsch war. Und sie kannte mich. Wir blickten uns einmal an, es genügte. Auch bei Red Line war es, wenn vielleicht nicht allzu extrem. Seine Geschichte war in mein Gedächtnis eingraviert, jeder seiner Charakterzüge vertraut, doch ich wusste, dass er im Gegensatz zu Claire nicht von Anfang an dabei gewesen war. Das er neu war. Das er ein Teil von mir war, der noch unentdeckt schlummerte in der Tiefe des Lebens. Es war anders als bei Yume. Auch sie hatte ich sofort in mir gehabt. Aber ihre Geschichte war für mich unerklärlich, unbekannt, fremd. Aber, weißt du was? Ich fühlte etwas. Es pochte in mir, schrie um Aufmerksamkeit. Was es war? Glücklichkeit, der ich nicht traute.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 21.05.2012

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