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Prolog

Prolog:

 

"Nun reiß dich doch mal zusammen, Madleen! Du willst doch wohl auch, dass deine hübsche Schwester ihren Traum verwirklichen kann. Sei doch nicht immer so egoistisch. Herr Gott nochmal!"

Ich zuckte heftig zusammen, schob meine Brille etwas höher, doch mein Körper rutschte dafür nur noch tiefer in den Stuhl hinein. Wenn das denn überhaupt möglich war. Ganz sicher war ich mir damit allerdings nicht. Sonst wäre ich schon längst mit dem Stuhl verschmolzen. Vermutlich wäre es nicht mal jemanden hier aufgefallen.

"Aber, Dad, ich..."

Er hob eine Hand und ich kniff die Augen zusammen. Musste ich mir etwa schon wieder eine neue Brille kaufen? Das schien langsam zur Gewohnheit zu werden.

"Halt den Mund, du undankbares Ding!", schnaufte er vollkommen in Rage geraten. Leider passierte das öfter. Heute weniger als vor zwei Jahren noch, doch es geschah immer noch häufig genug. Sein Kopf lief schon leicht rot an und drohte zu platzen. Sehe bestimmt witzig aus, ging es mir durch den Kopf und ich musste mir das Grinsen ernsthaft verkneifen.

Aber was er verlangte, konnte ich einfach nicht machen. Das wäre doch dann Betrug! Und so eine war ich nicht. Nicht mehr jedenfalls. 

Jedoch blieb mir vermutlich nichts anderes übrig, wenn ich meine Bleibe behalten wollte.

"Wir machen es, wie besprochen. Und du wirst deinen Teil einhalten, sonst..."

Er musste nicht weiter sprechen, ich wusste genau, worauf er hinaus wollte. Dieser...

Meine Hände ballten sich leicht zu Fäusten, doch ich hielt mich eisern zurück. Nie wieder wollte ich so werden wie vor zwei Jahren! Nein, das war vorbei. Es musste einfach vorbei sein. Etwas anderes blieb mir ja nicht einmal übrig. Ich musste nach vorne schauen, mich unter Kontrolle halten, daher auch die Brille, und tun, was man mir sagte, Einfach, um zu überleben!

"Okay, Dad", sagte ich daher leise und wand mich unbehaglich. Diese Sache war falsch. So unglaublich falsch.

Meine Schwester Leonie klatschte laut in die Hände und kreischte hoch erfreut,

"Juhuuu! Mum! Hast du das gehört? Ich werde wirklich Sängerin werden! Oh mein Gott! Das muss ich sofort meinen Freundinnen erzählen. Oh, und ich muss mir eine Stylistin suchen. Und all den ganzen Kram. Ich darf ja nicht wie ein Bauerntrampel rumlaufen."

Ja, und schon war sie in ihrem Element. Klasse. Wirklich. 

Wenigstens konnte ich in meinen Gedanken noch so sarkastisch sein, wie ich es wollte. Das konnte mir einfach niemanden verbieten. Außerdem wusste es ja auch keiner. Zu meinen Glück wohl. Sonst hätte ich die ein oder andere Ohrfeige bei jeder sich bietenden Gelegenheit kassiert. Kein Allzu schöner Gedanke. Dann doch lieber zu allem ja und Amen sagen. Nur so kam man anscheinend in dieser verkorksten Welt zurecht.

Mit Lug und Betrug.

"Gute Entscheidung, Madleen", sagte meine Mutter zu mir. Ich nickte nur ganz leicht, sah nicht mal wirklich auf. Ein Nicken von ihr entließ mich nun also fürs erste.

Sie hatten genug zu besprechen. Genug zu planen. Genug zum Betrügen. Und ich würde bei der ganzen Sache auch noch eine sehr aktive Rolle spielen.

Bei dem Gedanken fröstelte ich unwillkürlich, stand auf und ging in mein Zimmer hoch.

Wie lange die ganze Masche wohl hielt? Wenn es aufflog würde man sicher wieder mir die Schuld in die Schuhe schieben,

Ja, für meine Fehler aus der Vergangenheit, musste ich noch immer den Preis zahlen. Einen äußerst hohen...

 

In meinem Zimmer setzte ich mich aufs Bett und starrte meine Schuhspitzen an.

Mir gefiel das Ganze absolut nicht. Es war nicht nur falsch und Betrug, es fühlte sich auch sehr schmutzig an. Alles. 

Ich streifte die Schuhe von meinen Füßen, krabbelte weiter aufs Bett und rollte mich in dessen Mitte eifrig zu einer Kugel zusammen. Seid Monaten war das eine meiner liebsten Beschäftigungen geworden, um nicht ständig zu heulen. Es war effektiv und und nicht mal ansatzweise so durchgeknallt wie...

Nein!

Ich kniff die Augen fest zusammen.

Gerade daran wollte ich nun wirklich nicht schon wieder denken. Bloß nicht daran.

Ich atmete tief durch um die aufsteigende Panik im Keim zu ersticken. Ich hatte das sagen. Nur ich alleine. Nicht irgendwas von früher. ich alleine.

Langsam beruhigte ich mich wieder, rollte mich auf den Rücken und starrte an die Decke.

Alles würde sich erneut verändern. Aber nicht für mich. Nicht wirklich. 

Wie es schon so lange war, würde ich mich im Hintergrund halten. In einer stillen Ecke zusehen, wenn alle lachten und glücklich waren. Würde meinen Mund halten und nur nicht auffallen.

War eigentlich gar nicht so schwer. Zudem konnte ich etwas tun, das mir wirklich am Herzen lag, ohne das tausende oder gar Millionen mich ansahen.

Eigentlich gar nicht so schlecht. Wirklich nicht.

Jeden Moment würde ich ganz alleine für mich auskosten. Ihn in mich aufsaugen und in den dunklen Momenten einfach die Gedanken zu diesen Augenblicken gleiten lassen.

Ja, so konnte es was werden. So konnte ich es durchstehen, mir treu bleiben und vielleicht sogar ein wenig glücklich werden.

Kapitel 1: Jason - 4 Monate später

 

4 Monate später.

 

 

Jason:

 

"NIK! Wirf mal eine rüber!", schrie ich grinsend um die lautstarke Musik zu übertönen. Nur wenige Sekunden später musste ich aufpassen, um die Bierdose auch wirklich zu fangen. Ich nickte ihm zum Dank zu, er zwinkerte nur grinsend. Jaja, wir verstanden uns natürlich auch ohne Worte. Naja, so gut wie ohne.

Die Blondine auf meinen Schoß drückte ihre kleinen kecken Brüste gegen meinen Arm und versuchte meine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.

"Schon gut, Schätzchen. Bin doch hier", tröstete ich sie schnell, kniff in ihren appetitlichen Po und erhielt ein vergnügtes Kichern dafür. Hoffentlich tat sie das beim ficken nicht.

Auf solche Geräusche stand ich dabei eher weniger.

"Na, Lust nachher mit in mein Hotelzimmer zu kommen?", fragte ich sie nach einem kräftigen Schluck Bier. Ganz und gar begeistert nickte sie, strahlte mich an, als hätte ich grade irgendwas wichtiges für die Menschheit erfunden. Gut, das wäre auch geklärt.

Sie drückte sich mit ihren halbnackten Po gegen meinen Schritt und warf mir dabei verführerische Blicke unter ihren langen künstlichen Wimpern zu. Oh man. Yammmi!

Würde sicher eine recht amüsante Nacht werden.

Obwohl die Brünette bei Alex auch nicht schlecht wäre. Größere Titten und einen kleineren Arsch.

Aber ich würde Alex natürlich niemals seine Weiber wegschnappen.

Eine der obersten Regeln in unserer Freundschaft und der Band.

Die Girls der Anderen, waren tabu, solange nichts anderes vereinbart wurde.

Und genau das war auch gut so. Einmal kam es vor, dass wir uns tatsächlich um ein Girl gezankt hatten. Einmal. Und damit einmal zu viel.

Ich sah die Blondine wieder an, grinste anzüglich und ließ mich von ihr am Hals küssen. Weiche Lippen hatte sie. Und ihre Zunge an meiner Haut fühlte sich auch nicht besonders schlecht an.

Vielleicht sollte ich mir auch schon jetzt eine kleine Kostprobe gönnen. Nur eine gaaaanz kleine versteht sich. Zu viel des Guten bekam einem ja bekanntlich auch nicht. Und vor einen Auftritt erst recht nicht.

 

Grade wollte ich meine Hände auf ihre Brüste legen, sie ein wenig ärgern bis nach dem Konzert, als mir ein Mädchen ins Auge fiel, die sowas von gar nicht hierher passte.

Sie saß auf einen kleinen Hocker, in einer Ecke neben der Tür, und blickte nach unten. Die Hände hatte sie zwischen die Beine geklemmt, ihre schwarzen Haare zu einen strengen Knoten am Kopf fixiert. Dazu hatte sie eine alte, hässliche Strickjacke an, die bis zum Hals geschlossen war, und einen knöchellangen Rock. Nicht mal ihre Schuhsorte konnte ich richtig erkennen. Dafür aber das hässliche Nasenfahrrad auf ihrer Nase. Und ihre langen Wimpern. In Anbetracht ihrer sonstigen Aufmachung, mussten es ihre echten Wimpern sein. Wer sich so anzog, machte sich nicht die Mühe, falsche Wimpern anzukleben. Zu recht wohl.

Was hatte sie hier zu suchen? War sie vielleicht ein Fan und hatte es, grade durch ihr Aussehen geschafft, sich hier einzuschleichen? Dem musste ich unbedingt auf den Grund gehen.

Wenn das Sicherheitsteam so versagte, mussten wir uns andere Leute suchen, ganz einfach.

Etwas anderes stand erst gar nicht zur Debatte. Nur wir Jungs allein entschieden, wer hier sein durfte und wer nicht. So lief das Geschäft nun mal, wenn man an der Spitze stand.

Ich machte mich bereit aufzustehen, um die Kleine zusammen zu stauchen, als diese verflixte Leonie sich mir in den Weg stellte und der Kleinen kurz ein Handzeichen gab.

Neugierig beobachtete ich das Ganze. Auch, als sie zusammen aufbrachen.

Mensch, ich kann ja auch nichts dafür, das ich meine Neugier nicht zügeln konnte. Okay, vielleicht wollte ich das zu diesem Zeitpunkt auch nicht einmal. So war ich schon als kleines Kind gewesen. Und so würde ich vermutlich für den Rest meines Lebens sein! Punkt und aus.

Leonie ging vor, die Kleine folgte ihr mit gesenkten Kopf und sichtlich hängenden Schultern. Damit ich nicht sonderlich weiter auffiel, was bei meinem fantastischen Aussehen vermutlich so oder so schwer werden würde, schnappte ich mir einfach zwei Girls nahe der Tür und folgte den Mädels.

Die Chicks an meiner Seite waren sichtlich zufrieden mit meiner Aufmerksamkeit und versuchten sich gegenseitig eins auszuwischen. Lächerlich. Einfach nur lächerlich. Keine von beiden würde ich heute Nacht vernaschen. Hatte ja noch die Blondine von eben.

Leonie sprach grade mit den Leuten, die für den reibungslosen Ablauf zuständig waren, da ja gleich ihre kleinen fünfzehn Minuten anfangen würden, und beachtete mich nicht weiter. Auch die Kleine schien sich plötzlich in Luft aufgelöst zu haben. Merkwürdig.

"Können wir zu Leonie?", fragte die Olle zu meiner rechten grade. Ich sah sie skeptisch an.

"Warum? Sie war doch grade die ganze Zeit mit im Raum. Da hättest du sie ansprechen können", sagte ich sichtlich ärgerlich. Sie zuckte leicht zusammen und druckste herum.

"Ich mag sie. Sie hat eine unglaubliche Stimme! Ich meine, kein Vergleich zu deiner, du bist ein Ausnahmetalent! Aber ihre Stimme. Ich bekomme jedes Mal so eine Gänsehaut."

Sie schwärmte ja richtig! Himmel, was war denn hier los?

Bisher hatte ich mir nicht die Mühe gemacht, etwas von dieser Leonie anzuhören. Sie war seid knappen vier Monaten im Geschäft, stieg immer weiter auf und unser Manager hatte uns geraten, sie heute auftreten zu lassen. Gute PR und so weiter. Blabla.

Ich hatte nur mit den Schultern gezuckt, was wohl meine Zustimmung ausgedrückt hatte. Nun gut, so war es halt. Mich interessierte nur selten, wer unser Vorakt war. An uns kam derzeit so gut wie niemand ran.

Ich seufzte theatralisch.

"Das bricht mir wirklich das Herz, Schätzchen. Wird bei meiner Stimme etwa dein Höschen nicht mehr ganz nass?", fragte ich ganz und gar schmollend. Das hatte ich verdammt gut drauf. Nun ja, jahrelange Übung. Zu irgendwas musste das ja gut sein.

Vielleicht hätte ich doch besser Schauspieler werden sollen.

Sie sah mich geschockt an und schüttelte den Kopf, sodass ihre langen kupferroten Locken umherwirbelten.

"Nein! Oh Gott, Jason! Du bist natürlich der Tollste! Und mein Höschen ist ganz nass. Nur für dich", beeilte sie sich zu sagen. Ich musste mir so sehr das Lachen verkneifen, das ich mir auf die Wange biss.

"Na Gott sei Dank. Aber von mir aus geh ruhig hin", erwiderte ich dann nur lapidar, ließ den Arm um sie fallen und nickte. Merkwürdigerweise zappelte auch die andere nun rum.

"Ich will auch."

Na klasse!!!!

Verdammt, war Leonie wirklich so toll? Unfassbar!

Beide Mädels gingen gemächlich zu der neuen Popprinzessin, die allerdings schon auf der Bühne stand. Ihr Show begann. Die sollte sie besser auch nutzen.

 

Ich wollte grade weiter gehen, als ich dann ihre Stimme hörte. Ohh...

Ich erschauderte tatsächlich! Obwohl ich so eine Musik nicht ausstehen konnte, überlief es mich eiskalt, so sehr rührte mich die Stimme. War mir sowas schon mal untergekommen? Nein, eigentlich nicht. Jedenfalls war es so, das ich mich nicht an derlei erinnern konnte.

Ein wenig versucht, ihr zuzusehen, war ich schon. Ihr wisst schon, Konkurrenz checken und so weiter. Naja, kann sich ja jeder denken.

Doch ich widerstand diesem Drang, seufzte schwer und ging weiter. Ich brauchte dringend noch ein Bier. Die komische Kleine war ja eh verschwunden, das Problem gelöst. Mehr sollte mich im Moment nicht interessieren.

Lieber besprach ich mit Nik, Alex und Tay noch die letzten Einzelheiten. Immerhin sollte heute alles glatt laufen. Das neue Album kam in einer Woche raus und heute würden wir drei der neuen Songs vorspielen. Als kleines Zuckerschlecken sozusagen.

Irgendwie musste man die Leute ja immerhin bei Laune halten. Und außerdem wollte ich es auch. Die neuen Lieder waren wirklich gut. Nicht so toll, wie das letzte Album, da hatte Tay echt Kummer gehabt, was man an den Texten erkannte, aber es war okay wieder.

Ich zuckte die Schultern, lief weiter und bekam fast den Schock meines Lebens.

Das komische Mädchen stand an der anderen Seite der Bühne, mit einem Mikro in der Hand und den Blick starr auf die Bühne gerichtet. Ihre Lippen bewegten sich, formten exakt die Worte, die jeder dort draußen hören konnte. Jeden einzelnen Ton, jede Silbe, jedes Wort, kam von...ihr!

Es war die Stimme von diesem komischen Mädchen, die mein Herz zum rasen brachte, wie schon lange nichts mehr. Die Schaue rüber meinen Rücken jagte. Verdammt!!!!

 

 

Kapitel 2: Madleen

 Madleen


Ich sah ihr dabei zu, wie die Menschen da draußen, laut ihren Namen kreischten und sie bejubelten. Sah zu, wie sie erneut von allen geliebt und angehimmelt wurde. Und erneut brach ein Teil meines ohnehin schon kaputten Herzens in kleine Teile. Schon bald würde nur noch ein kleiner Berg voll winziger Körner, wie feiner Sand am Strand, davon übrig sein. Aber immerhin sang ich!
Ich durfte singen und man hörte mir zu. Hörte meine Worte.
Auch wenn alle dachten, das sie aus dem Munde meiner Schwester kamen, so waren es doch die meinen.
Meine Worte.
Meine Gedanken.
Meine Gefühle.
Jedes einzelne von ihnen, das in den zahlreichen Songs vorkam, die ich schon seid Kindesbeinen an geschrieben hatte. Zwar hatte ich von Seiten meiner Eltern nie ein Instrument spielen dürfen, zu viel Geldverschwendung für jemanden wie mich, doch ich hatte mir schon so einiges selbst beigebracht.
Für einen kurzen Augenblick schloss ich die Augen. Und mit ihnen schloss ich auch die harte Realität aus.
Ich fühlte die Worte ganz tief in mir drin, spürte die Tragweite. die bittere Illusion.
Schnell öffnete ich die Augen wieder, um mich daran zu erinnern, was die Wirklichkeit war. Die Fakten. Nur darauf kam es an. Das alles hier war nur ein schöner Schein. Betrug und Verrat. Sie bestimmten schon eine gefühlte Ewigkeit mein tägliches Leben.
Und ganz sicher würde es irgendwann auffliegen. Oder noch wahrscheinlicher war es, das meine kleine Schwester die Lust daran verlor, denn ob man es glaubte oder nicht, es war wirklich harte Arbeit in diesem Geschäft voran zu kommen und aufzusteigen.
Selbst mit Eltern wie unseren im Background, musste man sich tatsächlich anstrengen.
Naja, und natürlich hasste Leonie es zu arbeiten. Fast so sehr, wie sie mich hasste, obwohl ich ihr nie auch nur ein Haar gekrümmt hatte. Sie hasste mich einfach nur so. Vielleicht auch zu ihren eigenen Spaß. Ich wusste den Grund einfach nicht, nur, das es eben so war.
Wie dem auch sei, ich musste mich auf andere, viele wichtigere Sachen, konzentrieren, als den bedeutungslosen Hass meiner Schwester. Wie den derzeitigen Liedwechsel im Moment. Leonie und ich mussten es synchron machen, sonst flog alles auf.
Nur noch eines, dann hatte ich es für heute auch schon wieder geschafft.
Gott sei Dank!
Ich hasste es, ihr meine Stimme zu geben, aber da musste ich durch. Nur noch ein Jahr und drei Wochen. Dann war ich einundzwanzig, was mich an meinen nächsten Geburtstag in drei Wochen erinnerte, und die konnten mich alle mal kreuzweise.
Jawohl!
Dann war ich endlich frei und konnte von hier abhauen. Das packte ich schon irgendwie. Zumindest hoffte ich es. Ein Bisschen hatte ich schon sparen können.
Meine Eltern wussten das nicht einmal, doch ich ging nebenbei arbeiten. Nachts. Mit einen Eimer Wasser und einen Putzlappen. Mir war es egal, ob es ihnen oder anderen Leuten passte, das ich meine Hände schmutzig machte.
Ich verdiente mir schon jetzt mein eigenes Geld. Auf meine Weise.
Es war nicht besonders viel, doch solange ich die Füße still und meine große Klappe geschlossen hielt, war es mir möglich, jeden einzelnen Cent beiseite zu legen.
Auf diese Weise hatte ich bereits fast dreitausend Dollar zusammen bekommen. Es war ein wirklich gutes Startkapital. Und das Versteck würde sicherlich auch niemand finden.
Und da ich nicht viel brauchte, war es noch besser. Schminke war Vergangenheit, Klamotten mussten nur noch nützlich sein und nicht mehr schick. Und da ich eh keine Freizeit hatte, vielen solche Dinge wie Kino und mit Freunden weggehen, die ich eh nicht mehr besaß, auch einfach weg. Und schon wieder konnte man eine ganze Menge Geld sparen. Es war eigentlich schon sehr erstaunlich so.
Das Lied endete, ich stellte das Mikro in meiner Hand aus und atmete erst einmal ganz tief durch.
Wieder ein viel zu langer Abend vorbei.
Wieso mich meine Schwester davor unbedingt mit zu den Jungs hatte nehmen wollen, verstand ich bisher auch nicht wirklich.
Ja, sie sahen verdammt gut aus. Einer sogar ziemlich heiß. Es war ja nicht so, das ich blind war. Oh nein, ganz sicher nicht. Aber alles, was mit solchen Tatsachen zu tun hatte, war in meinem Leben gestrichen. Ich würde eine von diesen kauzigen Ladys mit Millionen von Katzen werden. Früher hätte ich allerdings mitgefeiert, nur, solcher Unfug lag viel zu weit hinter mir.
Und nun konnte Leonie machen, was sie wollte, ich wollte definitiv nur noch ins Hotel fahren und mich schlafen legen.
Naja, vielleicht auch noch ein paar Seiten lesen. Je nachdem wie schnell ich von hier zum Hotel kommen konnte. Besser in kurzer Zeit.

Rasch legte ich das Mikro auf den kleinen Tisch neben mir, so wie ich es immer tat, drehte mich zum gehen um und prallte gegen einen Berg. Zumindest fühlte es sich im ersten Moment für meinen nun schmerzenden Kopf so an, denn ich wurde leicht zurück geworfen und schlug mit dem Kopf an eine Eisenstange neben uns.
Als sich dann jedoch starke Hände an meine Oberarme legten, vermutlich um meinen Hintern an eine Bekanntschaft mit dem Boden zu hindern, erkannte ich, dass es sich um einen Mann handeln musste.
Einen Mann, der verdammt gut roch und Tattoos an seinen Armen hatte, soweit ich es erkennen konnte.
Ich ätzte und schnappte unwillkürlich nach Luft. Scheiße, das tat weh!
"Hey, geht´s dir gut? Alles okay? Hey!"
Ich konnte in diesen Moment nun wirklich nicht einfach antworten.
Vor meinen Augen begannen Sterne zu tanzen und mein Blick verschwamm leicht. Dazu stieg bittere Übelkeit in mir auf und der Gallegeschmack ließ mich leicht würgen.
"Ganz ruhig atmen! Konzentriere dich auf meine Stimme, Baby. Komm schon, du schaffst das!"
Na, der hatte leicht reden! Sein Kopf fühlte sich auch garantiert nicht so an, als wäre ein tonnenschwerer Laster drüber gerast.
Aber seine Stimme bewirkte tatsächlich, dass sich zumindest meine Atmung etwas normalisierte.
"Ja, so ist richtig, Schön tief durch atmen."
Zuerst blinzelte ich, damit die Sterne sich wieder vom Acker machten, dann schloss ich zur Sicherheit auch noch die Augen. Ja, schon viel besser. Die Übelkeit ließ nach und auch der Schmerz war nicht mehr ganz so schlimm.
"Oh Shit, du wirst doch jetzt nicht einfach ohnmächtig werden? Du hast doch noch gar nicht in meine Augen gesehen, damit so etwas passieren könnte."
Wie bitte?! Wovon, zum Teufel, quasselte dieser Kerl da? Wer würde denn durch einen Blick in seine Augen ohnmächtig werden? Vielleicht hatte er ja ein paar Drogen zu viel genommen und nun irgendwelche Wahnvorstellungen.
"Quatsch", konnte ich endlich hervor presse, ohne gleich mein mageres Mittagessen wieder preis zu geben, rieb mir die schmerzende Stelle am Kopf und öffnete die Augen wieder. Dabei sah ich genau in seine Eisblauen!
Okay, ich revidiere meine vorherige Aussage. Man KONNTE tatsächlich in Ohnmacht fallen bei seinem Anblick. Nur ich nicht. Dafür bekam ich allerdings erneut solch wildes Herzrasen, wie vorhin, als ich den Raum betreten hatte und mein Blick auf ihn fiel.
Ich hatte gesehen, wie er sich benahm, vor allem Frauen gegenüber, denen er so gar kein Respekt entgegen brachte und sie einfach nur wie Lustobjekte behandelte.
Na schön, man musste fairerweise auch zugeben, das diese Mädels und jungen Frauen sich nicht so benahmen, als das man hätte Respekt vor ihnen haben können oder müssen.
Ganz ehrlich mal, was die trugen, ähnelte eher Bändern und Schnüren anstatt richtigen Klamotten. Wenn ich ein Wort für sie finden müsste, würde es vermutlich auf Schlampen hinaus laufen. nicht besonders nett, dafür jedoch umso wahrer. Bei einigen würde ich sogar das Wort Huren vorziehen, denn sie taten so einiges, um für eben solche gehalten zu werden.
Plötzlich grinste er ganz frech. Anders konnte ich es einfach nicht beschreiben. Sein Grinsen war ganz eindeutig frech.
"Ha! Ich hab´s gewusst! Die langen Wimpern sind tatsächlich echt. Wow, Baby, das ist stark."
Baby? So hatte er mich eben auch schon mal genannt. Naja, so nannte er vermutlich alle Mädels, weil er sich nicht die Mühe gab, irgendwelche Namen im Kopf zu behalten.
"Ja, sie sind echt;" bestätigte ich seufzend und rieb mir erneut die Stelle.
"Oh, Fuck, Sorry. Tut´s sehr weh? Brauchst du einen Arzt?"
Lieber Gott, der quasselte aber echt viel, für einen Kerl. Dabei hatte ich immer gedacht, Rocker blieben kühl und ruhig, bis man sie zu sehr reizte. Dieser Kerl demonstrierte mir das genaue Gegenteil.
Und so viel Aufmerksamkeit war mir auch nicht Recht. Leonie bekam es sonst noch mit und das war´s dann für mich.
Ich wollte den Kopf schüttelt, besann mich aber noch rechtzeitig. Das hätte nur noch mehr Schmerzen verursacht und viel mehr konnte ich im Moment wirklich nicht vertragen. Nicht nur tat mein Kopf höllisch weh, auch meine Brust schmerzte aus einen unerfindlichen Grund.
"Nein, danke, alles in Ordnung", brachte ich ganz beherrscht heraus und sah zur Seite. Gott, bitte mach, dass er endlich geht!
Nur leider wurde mein Gebet nicht erhört. Wie hätte es auch anders sein sollen.
"Bist du dir sicher? Weißt du, blass ist gar nicht mehr so IN, wie manche denken. Und du bist definitiv so weiß, wie die Wände im Krankenhaus."
Oh Mist, so schrecklich sah ich im Moment aus? Vielleicht sollte ich mir doch angewöhnen, ein wenig Puder zu benutzten, das dunkler war. Nur zur Sicherheit versteht sich.
Ganz ruhig bleiben, Madleen, ermahnte ich mich selbst.
"Ich bin mir sicher. Vielen Dank für deine Anteilnahme. Leb wohl."
Als ich den Blick hob, als eine Art Verabschiedung, hätte ich fast nach Luft geschnappt. Warum sah er denn jetzt plötzlich so wütend aus? Hatte ich was falsches gesagt? Falsch geguckt? Mich falsch verhalten?
Und es passte nicht in sein schönes Gesicht.
Herrgott, ja! Ich fand ihn schön. Und rau. Und maskulin, Und umwerfend. Und...
Nein, nein, nein! Schluss damit, du verräterischer Körper!
Ich musste wirklich dringend hier weg, doch er machte nicht den Eindruck, als würde er mir aus den Weg gehen, sodass ich leicht seufzte. Was musste ich denn noch machen?
"Denkst du echt, ich lasse dich jetzt einfach gehen? Du hast dich wegen mir verletzt und könntest eine Gehirnerschütterung haben. Ich..."
Während er sprach, nahm ich meine Brille ab und stemmte meine geballten Fäuste in meine etwas breitere Hüfte.
"Wenn es darum geht, das du glaubst, ich würde dich auf Schmerzensgeld verklagen, wenn du dich jetzt nicht um mich kümmerst, liegst du mächtig daneben, Freundchen! Mir wäre es wirklich sehr viel lieber, wenn du deinen süßen Rockerarsch einfach aus meinen Weg räumst und mich zum Hotel fahren lässt!", ließ ich meinen angestauten Ärger heraus, atmete einmal tief durch, setzte die Brille wieder auf und versuchte wieder milde zu lächeln.
Jetzt ging es mir schon sehr viel besser, wie ich erstaunt feststellen konnte.
Gott, seid sehr langer Zeit hatte ich nicht mehr so offen gesprochen und mich dabei so unendlich frei gefühlt. Fast schon geborgen.
Ich riskierte einen vorsichtig Blick nach oben in sein Gesicht. Perplex weiteten sich meine Augen. Er grinste wieder.
"Na, hat sich das gut angefühlt? Ja, oder? Ist immer gut, ein wenig Dampf abzulassen, Baby. Vielleicht solltest du das öfter versuchen. Und ohne diese scheußliche Brille, kommen deine Augen viel besser zur Geltung. Solltest es mal mit Kontaktlinsen versuchen."
Wieder dieser Kosename! Und wenn er wüsste, dass ich die Brille eigentlich gar nicht brauchte, würde er zu viele Fragen stellen. Das wollte ich nicht. Weder jetzt noch sonst wann.
"Und keine Sorge, ich mache mir wegen sowas keine Sorgen, aber mit so einer Verletzung ist echt nicht zu spaßen."
Sein Gesicht wurde ernst.
"Lass mich wenigstens mal sehen, ob es blutet." Ohne meine Antwort abzuwarten, umfasste er sanft mein Gesicht, drückte meinen Kopf nach unten und besah sich die Beule. Ich zog scharf den Atem ein als mir sein Duft in die Nase stieg. 
Oh.Mein.Gott!

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 21.03.2017

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