Cover

Prolog

Der Mond zog sich an dem weiten Himmelszelt entlang, warf dunkle Schatten von den Wolken auf die regennassen Felder und Wiesen. Die Nacht neigte sich dem Ende entgegen, der Regen wurde stärker, der Wind heftiger. Donner und Blitze durchzogen die Weiten des Landes, ließen alles in hellen Licht erstrahlen, sobald sie die Erde trafen und brachen die Stille, die sich wie eine Decke über das ganze Land gelegt hatte.


„Mylord, es ist etwas geschehen!"Müde öffnete Brayn, ältester Sohn des Duke of Westfield, die dunklen, fast schon schwarzen, Augen. Sein treuer Diener und alter Freund Leon stand an seinem Bett, sein Gesicht angespannt, wie sein ganzer Körper, die Hände zu Fäusten geballt, was deutlich dafür sprach, dass etwas ihn bekümmerte, ja sogar schmerzte.
„Was ist denn los?", wollte Brayn schläfrig wissen und richtete sich in dem gemütlichen Bett auf, seine Neugier war geweckt, was nur weniges in seinem Leben vermochte.
„Eurer Vater! Er wurde angegriffen und verlangt nun nach euch! Ihr habt keine Zeit zu verlieren. Es wird das Schlimmste vermutet", berichtete der Freund ihm und schlagartig war alle Müdigkeit von dem Duke gefallen. Rasch sprang er aus dem Bett und kleidete sich ein. Es musste schnell gehen. Sein Vater war schon lange nicht mehr bester Gesundheit und so könnte es jetzt jeden Moment zu spät sein.
„Was ist genau geschehen?"
„Ich erkläre es dir auf dem Weg!" Beide eilten zu den bereitstehenden Pferden, schwangen sich hinauf und ritten in die Nacht hinaus. Es war so bitterkalt, dass einem schon alleine beim Anblick des Wetters die Glieder gefroren.
Der Wind peitschte ihnen eiskalt ins Gesicht, der Regen nahm ihnen fast gänzlich die Sicht, doch an einen gemächlicheren Ritt dachte keiner der beiden Männer. Bryan war mit seinen Gedanken nur bei seinem Vater Karligen, den er sehr schätzte und respektierte. Mochte das Verhältnis auch so manches Mal recht angespannt sein, so würde er den alten Mann doch schmerzlichst vermissen nach dessen Ableben.

Inzwischen hatte Leon ihn genau ins Bilde gesetzt: Sein Vater war bei einer nächtlichen Jagd, begleitet von seinem Freund Gregory, Earls of Changewick, als es passierte. Aus dem Hinterhalt tauchten einige Männer mit schwarzen Pferden und bewaffnet bis an die Zähne auf und griffen die beiden Männer und ihre drei Diener an.Es sei ein Glück gewesen, dass Earl Changewick so schnell reagierte und auf die Männer hatte schießen können. Dennoch wurde Karligen schwer verletzt durch eines der Messer.
Gregory gab sich natürlich die Schuld daran und grämte sich.
Doch Brayn konnte keine Schuld bei ihm sehen. Womöglich hatte er seinem Freund sogar das Leben gerettet. Doch wie schlimm waren die Verletzungen seines Vaters?Bryan wollte es sich nicht ausmalen. Mit seinen 23 Jahren war er noch sehr jung und hatte kein Verlangen danach, den Platz seines Vaters ein zu nehmen.
Doch seine Brüder waren noch viel zu jung dafür. Grade mal ins Mannesalter gekommen mit 18 und 21 Jahren.
Das hieße wohl oder übel, dass er es tun musste. Egal ob er wollte oder nicht...Und seine Schwester brauchte er dabei wohl gar nicht erst bedenken.

Schnell kamen sie bei dem Landgut seines Vaters an und hastig sprang er vom Pferd. Gar nicht schnell genug konnte er die vielen Stufen hinauf in das Zimmer eilen. Der Duke lag mit geschlossenen Augen und einem Verband um den Kopf in seinem Bett und atmete nur schwach. Viele Kerzen verbreiteten sowohl eine angenehme als auch unheimliche Atmosphäre. Brayn schluckte schwer.
„Vater..." Er ging näher ran, setzte sich aufs Bett, das bei seinem Gewicht leicht knarrte, und nahm die gebrechliche Hand des Vaters. Selten hatte er den stolzen Mann in einem solch jämmerlichen Zustand erlebt.
„Ich bin hier." Auch wenn er ihn vielleicht nicht hören konnte, so wollte Brayn es wenigstens versuchen. Und tatsächlich reagierte der alte Duke. Seine Hand drückte die seines Sohnes ein wenig und er hob die schweren Lider.„Bryan, mein Sohn...", flüsterte er schwach, lächelte jedoch. Ein gutes Zeichen.
„Ja, ich bin bei dir, Vater." Auch über Brayns Gesichtszüge huschte ein kurzes Lächeln. Eine seltene Geste, da Brayn niemals lachte oder nur lächelte.
„Wie geht es Gregory?" Das war so typisch für Brayns Vater. Immer dachte er zuerst an die anderen, bevor er auch nur einen kleinen Gedanken an sich selbst verschwendete.
„Es geht ihm soweit ganz gut. Er hat nur einen gehörigen Schock."
„Das ist gut!" Seine Stimme war schwach und kam stockend hervor.
„Seine Frau und die Töchter müssen benachrichtigt werden."
„Das werde ich selbst erledigen, Vater. Du solltest dich ausruhen." Brayn befühlte die Stirn des älteren Mannes. Er hatte leichtes Fieber.
„Ich danke dir, Brayn!" Sein Vater schloss wieder die Augen und war wenige Augenblicke später fest eingeschlafen. Bryan ging aus dem Zimmer, lehnte sich gegen die Tür und schloss für einen Moment die Augen. Er wollte seinen Vater jetzt nicht alleine lassen, denn vielleicht würde der alte Mann es nicht überstehen.
Doch er hatte sein Wort gegeben und dieses hielt er grundsätzlich immer. Ein paar weitere Stunden konnte er jedoch noch damit warten.

Grade wollte er die Treppe hinunter gehen, als Leon ihm schon entgegen kam.
„Brayn! Gregory ist verschwunden." Leon war aschfahl.
„Was soll das heißen? Verschwunden?" In Brayns Kopf begann es zu arbeiten.
„Ich wollte nach ihm sehen und man sagte mir, dass er schon vor unserer Ankunft nach draußen gegangen ist. Angeblich um etwas Luft zu schnappen!"
„Das wäre doch gut möglich." Leon schüttelte den Kopf.
„Aber doch nicht mit dem Pferd im schnellen Galopp. Man kann die Spuren auch jetzt noch gut sehen."
Brayn fluchte ungehalten und stürmte nach draußen, um sich die besagten Spuren selbst anzusehen. Leon hatte Recht, sie zeugten von einen schnellen Aufbruch des Reiters.
„Was hat das zu bedeuten?", murmelte Brayn fragend. Sein Freund legte ihm eine Hand auf die Schulter und schüttelte den Kopf, um ihm zu sagen, dass er es auch nicht wisse.

Eine ganze Woche verging, ohne dass sie eine Spur des Earls hatten. Oder auch nur eine Ahnung, was zu seinen schnellen Abgang beigetragen hatte.War es womöglich nur eine Falle für seinen Vater gewesen, fragte sich Bryan heute Morgen, nicht zum ersten Mal.
Gemeinsam mit Leon war er grade auf den Weg zum Anwesen der Changewicks. Ihm graute schon jetzt vor den Reaktionen der Familienmitglieder. Ganz besonders der jüngsten Tochter, Caroline.
Er hatte das Mädchen schon etliche Male gesehen und sich, trotz ihres noch sehr jungen Alters, wunderbar unterhalten können. Sie war lebhaft und sehr schnell für etwas zu begeistern. Des Weiteren war sie sehr intelligent und recht niedlich. Jedenfalls für ein Kind.Und sie vergötterte ihren Vater sehr! Genau wie es umgekehrt der Fall war. Gregory liebte seine jüngste Tochter von all seinen Kindern am meisten. Sie war sein ganzer Stolz und sein ganzes Herz, wie es schien.Noch nie hatte er schlecht über sie gesprochen oder sie zur Vernunft geschellten.
Brayn wurde unbehaglich zumute, wenn er an die schlechte Nachricht dachte. Auch regte sich sein schlechtes Gewissen, da er insgeheim die Gedanken einer Falle einfach nicht los werden konnte.
„Wir sind da, Mylord!" Leon holte ihn aus seinen Gedanken. Das Anwesen lag direkt vor ihnen und man öffnete bereits das Tor.
Wie leichtsinnig! Wenn sie nun gar Banditen gewesen wären...
Er wollte es sich gar nicht erst ausmalen.
„Seid Willkommen, Mylord!", wurde er formell von der Hausherrin begrüßt. Er küsste ihre nackte Hand und versuchte ein wenig zu lächeln.
„Was verschafft mir die Ehre eures Besuches?", fragte sie weiter.
„Lasst uns bitte hinein gehen. Es ist nicht für aller Ohren bestimmt." Sie nickte nur und führte ihn in den Salon.
„Setzt euch doch. Fergus, bringe eine Erfrischung für unseren Gast. Er muss ganz müde von der Reise sein!", wies sie den treuen, älteren Diener an, der sich höflich verbeugte und hinaus eilte, um das ihm Gebetene zu holen.
„Also, nun sprecht."
„Es geht um euren Manne." Sie zog eine Augenbraue hoch und setzte sich ihm gegenüber. Die Hände verschränkte sie im Schoß.
„Was hat Gregory nun schon wieder angestellt? Wieder einmal einen jungen Ding nachgestellt?" Ihre Miene wurde missmutig, wusste sie doch schon längst von seinen ganzen Fehltritten. Sie billigte sie auch nur aus einem Grunde; eine Scheidung würde ihrem Ruf schaden und auch den Kindern nicht gut tun.
Doch Brayn schüttelte den Kopf und berichtete ihr das Geschehen.
Im Augenwinkel sah er die erschrockenen Kinderaugen der kleinen Caroline, die immer fassungsloser wurde...
Am liebsten hätte er sie sofort hinaus geschickt und dann weiter mit ihrer Mutter gesprochen, doch auch sie sollte es sofort erfahren. Vielleicht konnte dies den Schmerz lindern.

Kapitel 1

5 Jahre später:

Für Caroline, jüngste Tochter des Earls of Changewick, begann der heutige Tag wie jeder andere auch. Man weckte sie frühzeitig, half ihr beim Ankleiden und steckte ihr das lange, blonde Haar kunstvoll hoch, ein paar kleine Locken heraushängend.
Beim Frühstück mit ihren drei älteren Schwestern und der Mutter schwieg sie wie immer die meiste Zeit. Die Themen der anderen Familienmitglieder interessierten sie kaum, störten sie eher, da es jeden Morgen das Gleiche war.
Dort gab es einen neuen Laden mit Kleidern, hast du schon gehört der oder die haben dies und das getan, das Essen war nicht gut genug...
So ging es eigentlich auch den restlichen Tag immer weiter. Caroline mochte derartige Themen nicht ein bisschen. Lieber zog sie Reitkleidung an und ritt in den Wald hinaus, über die vielen Felder und Wiesen, die zum riesigen Familienanwesen gehörten. Sie mochte es, wenn der Wind ihr hart ins Gesicht peitschte und sie alle Sorgen vergessen konnte.Wenn sie einfach nur ein ganz normales Mädchen sein könnte, ohne lästige Verpflichtungen oder dergleichen. Nicht immer perfekt angezogen und frisiert. Nicht immer zu freundlichen Smalltalk verpflichtet und immer lächeln zu müssen.
Ihr Vater verschwand vor fünf Jahren, kurz nach einem missglückten Jagdausflug mit dem Duke of Westfield. Kurze Zeit später, mögen es drei oder vier Monate gewesen sein, erhielten sie Kunde von dessen Tod. Doch einen Leichnam hatte man nie gefunden. So glaubte Caroline all die Jahre daran, dass ihr Vater noch lebte.
Und auch jetzt noch, so viele Zeit später, hatte sie diese Hoffnung nicht verloren, glaubte noch immer daran. Immer wieder mal holte sie sich Erkundigungen diesbezüglich ein, stand aber jedes Mal vor einer Sackgasse.


„Caroline, was sagst du dazu?" So plötzlich aus ihren tiefen Gedanken gerissen, zuckte das junge Mädchen zusammen und sah ihre älteste Schwester, Leandra, verwirrt an.Das Gesicht des ältesten Mädchens sah fragend zur Jüngsten. Was hatte sie verpasst?
„Ähm, verzeih. Ich habe nachgedacht und nicht mitbekommen, worum es ging." Wieder einmal wurde sie von ihren Schwestern ausgelacht. Ihre Mutter sah sie nur missbilligend an und rümpfte die Nase. Ein eindeutiges Zeichen für ihren Unmut.
„Ich erzählte Mutter grade, dass Duke Bryan zur nächsten Saison wieder in London sein wird. Bisher ist er noch immer unvermählt. Dabei sieht er unglaublich gut aus. Grade auch durch seine Narbe am Hals. Die hat er sich vor zwei Jahren bei einen Gefecht am Hofe des Prinzen zugezogen."
Ach, darum war es gegangen. Auch für so etwas interessierte sich Caroline nicht im Geringsten.Ihr stand einfach noch nicht der Sinn nach einem Ehemann. Zu sehr würde ein Mann sie in ihren Unternehmungen und ihrem ganzen Leben einengen. Diesbezüglich verlief alles hier sehr altmodisch.
Aber vielleicht könnte ein Mann, sofern es denn der Richtige wäre, sie auch gleichzeitig unterstützen und ihr den Rücken decken... Doch solche Männer gab es hier nicht. Alle waren stocksteif und richteten sich immer danach, was der "Ton" angab. Selbst Gespräche verliefen nur stockend, wenig amüsant bis hin zu langatmig. Es war Caroline einfach nur ein Graus. Am liebsten würde sie zu keinen der vielen Bälle mehr gehen, doch ihre Mutter wollte sie unbedingt verheiraten. Leandra hatte dieses harte Los schon gehabt, wurde jedoch glücklicherweise davon befreit, als ihr Mann, der gut und gern zwanzig Jahre älter gewesen war, in den Krieg zog und nicht zurück kehrte. Keine einzige Träne hatte ihre Schwester für ihn vergossen.Leandra schwärmte immer weiter von diesem Duke. Dabei hatte er den Titel noch nicht einmal inne. Duke Karligen lebte noch immer. Und auch wenn er nicht mehr laufen konnte, so blieb der Titel weiterhin bei ihm.
„Und, was ist nun deine Meinung, Caroline?" Wieder sah Leandra sie an und legte den Kopf leicht schräg.
„Mich interessiert es nicht wirklich, Schwester. Er ist auch nur ein Mann wie jeder andere auch."
„War ja klar! Unsere Caroline interessiert sich doch nur für ihre Bücher", warf Cassandra ein. Sie war die zweitälteste im Hause und bildschön. Mit ihren langen, blonden Haar und den strahlend blauen Augen, verdrehte sie den Männern scharenweise den Kopf. Nur gut, dass sie bereits seit zwei Jahren verheiratet war. Dabei konnte man ihren Mann am Anfang nicht einmal leiden und verurteilte ihn für das, was sein Zwillingsbruder getan hatte. Nur Caroline hatte von Anfang an gewusst, dass er ein guter Mann war und dass er ihre Schwester aufrichtig lieben würde. Auch etwas, das in dieser Welt von Seltenheit gezeichnet war. Männer liebten nun mal nicht.
„So ist das nicht, Cass. Ich würde mich schon für einen Mann erwärmen können, wenn er zu schätzen wüsste, dass es mehr als gutes Aussehen gibt. Allesamt sind das jedoch nur Gockel und so fixiert auf ihr Erscheinen, dass sie nicht einmal etwas Gescheites im Kopf haben."


Cassandra sah sie zutiefst amüsiert an. Sie liebte ihre kleinste Schwester über alles und hatte schon immer ihren hellen Verstand bewundert und respektiert. Caroline sah die Dinge anders als die meisten und folgerte immer die richtigen Schlüsse daraus. Doch leider verscheuchte sie auch jeden anständigen Mann damit. Nur gut, dass sie erst zarte 18 Jahre war und somit vom Biologischen her noch eine Menge Zeit hatte, um eine Familie zu gründen.
„Findest du auch, dass Jonas ein Gockel ist?", fragte sie Caroline schmunzelnd und wusste die Antwort schon. Nur ihrer kleinen Schwester war es zu verdanken, dass sie ihren Mann gefunden und dass sie ihn nicht gleich aufgegeben hatte. Caroline sah Cass schockiert an.
„Nein, natürlich nicht. Er ist ein guter und schlauer Mann."
„Da siehst du es. Und für dich werden war auch einen solchen finden."
„Ich habe nicht das Verlangen einen Mann zu bekommen! Nicht solange Vater noch immer vermisst wird. Und sei es nur sein Leichnam!" Ihre Mutter stellte die Teetasse so heftig auf den Tisch, dass ein lautes Klacken zu hören war und sich der morgendliche Kaffee über den Tassenrand ergoss.
„Hör auf mit diesen Unsinn, Caroline! Euer Vater ist tot und sein Körper sicherlich schon von den Maden und Käfern zerfressen! Ich dulde nicht, dass du weiterhin diese Flausen im Kopf hast!" Caroline schwieg betreten und starrte auf ihren Teller.
„Verzeih mir, Mutter", flüsterte sie, stand auf und entfernte sich aus dem Raum.


Langsam ging sie aus dem Haus und zu den Stallungen hinüber. Normalerweise ritt sie nur in Reitkleidung, doch jetzt war es ihr herzlichst egal. Sie ließ ihren schwarzen Hengst satteln und machte sich wenig später auf den Weg. Der Wind peitschte ihr durch den schnellen Galopp ins Gesicht, löste einige Strähnen ihres blonden Haares aus den Spangen. Die wilden Locken flogen wie der Schweif eines Pferdes im Wind und die Sonne warf funkelnde Lichter hinein. Carolines Blick verschwamm von den Tränen in ihren Augen. Dabei vermochte sie noch nicht einmal zu sagen, woher diese rührten. War es nur der Wind, der die Flüssigkeit in ihre Augen trieb oder war es die bittere Traurigkeit wegen ihrem Vater?
Sie schlug den Weg zum Wald ein und wurde immer langsamer, als sie die ersten Bäume erreichte.
Ihr Hengst, Silver, trabte gemächlich durch die hohen und alten Bäume hindurch, hielt hier und dort mal kurz inne, um dann einem kleinen Tier auszuweichen oder einfach nur die Richtung ein Stück zu ändern. Caroline ließ es geschehen, waren ihre Gedanken doch viel zu weit weg und sie vertraute dem Tier ihr Leben an. Doch ganz plötzlich sträubte er sich und wollte nicht einen Schritt weiter gehen.
„Was ist denn, mein Großer?", fragte sie das Tier liebevoll und strich über den kräftigen Hals mit der langen Mähne. Er wieherte nur und sträubte sich weiterhin. Seufzend stieg sie ab, nahm die Zügel und führte ihn zu Fuß weiter. So gut es ging jedenfalls, da der Hengst sich immer wieder dagegen wehrte.
„Du bist manchmal so ein stures Tier", murmelte sie angestrengt atmend und seufzte schwer. So hatte das doch alles wirklich keinen Sinn.
Etwas enttäuscht, drehte sie um und führte den Hengst aus dem Wald hinaus. Grade als sie wieder aufsteigen wollte, ertönten ein paar Schüsse und Caroline zuckte erschrocken zusammen.
Waren das Jäger? Ganz gewiss. Und plötzlich ging Silver durch. Er bäumte sich auf, riss ihr damit die Zügel aus der behandschuhten Hand und galoppierte davon.
„Warte!", schrie sie noch hinterher, doch er war schon bald nicht mehr zu sehen.
„Das konnte auch nur mir passieren. Ich habe wirklich immer..."
Weitere Schüsse fielen und Caroline versteckte sich hinter einem Baum. Nun war sie sich vollkommen sicher, dass es Jäger im Wald gab. Dabei war keine Jagd verkündet worden und somit auch nicht erlaubt. Es waren also Wilderer.


Angst beschlich das junge Mädchen, sie begann zu zittern.
„Was mache ich nur?", fragte sie sich selbst flüsternd und machte ein paar Schritte rückwärts, stieß jedoch gegen etwas Festes und Warmes.
Erschrocken drehte sie sich um und sah in grüne, klare Augen, in denen eine Menge Leid zu sehen war.Der Mann hielt sie an den Oberarmen fest, da sie vor Schreck fast nach hinten gefallen wäre. Die Hitze, die von ihm ausging, drang durch den leichten Stoff und brannte auf ihrer kühlen Haut.
„Was machst du hier alleine, kleine Lady?", fragte er mit rauer Stimme.
Caroline zitterte nur noch mehr. Der leichte Wind, zerzauste sein Haar und ließ ihn sehr verwegen aussehen... und gefährlich.

Kapitel 2

Seine schwarzen, etwas längeren Haare wehten seicht im Wind, passten perfekt zu den strahlend blauen Augen und den markanten Wangen. Noch nie hatte Caroline einen schöneren Mann gesehen oder sich auch nur gedacht, dass sie einen Mann anziehend finden könnte.
„Ich..." Sie erkannte ihre Stimme selbst kaum wieder, kratzig und rau, als könne sie die Wörter nicht finden. Nur dieses Gefühl brannte in ihr. Ein Gefühl des Erkennens und des Vergessens.
„Du...?" Eine leichte Gänsehaut bildete sich auf den Armen des jungen Mädchens und sein Blick brannte sich in ihren eigenen Augen ein, die sie einfach nicht von ihm lassen konnte.
„Bitte... Lasst mich los", flüsterte sie und spürte, wie die Angst plötzlich von ihr wich. Aus einen unerfindlichen Grund hatte sie das Gefühl, dass sie ihm voll und ganz vertrauen konnte, dass keine Gefahr von ihm ausging. Ganz im Gegenteil. Sie fühlte sich vollkommen sicher. Und dann wusste sie warum, denn ihr Blick glitt zu seinem Hals und der Narbe daran...


Brayn starrte das Mädchen vor sich an und versuchte zu ergründen, was in ihr vorgehen mochte.Sie war wirklich eine schöne Erscheinung mit ihrem blonden, leicht gewellten Haar, das die Sonnenstrahlen einfing, und den haselnussbraunen Augen. Ihre Haut war makellos und rein, die feine Stupsnase wurde ab und zu aufgebläht bei ihrem schnellen Atem, die Wangen leicht gerötet. Ihr Busen bewegte sich schnell auf und ab und riefen den Blick eines jeden Mannes sofort auf sich. Doch sicherlich war sie nicht mehr ungebunden. Kein Mann, der bei klaren Verstand war, würde ein solches Juwel gehen lassen.
Er sah wie ihr Blick zu seinem Hals ging, woraufhin er die Lippen fest aufeinander presste. Würde sie sich nun auch abwenden, einen Schrei ausstoßen, so wie die meisten Damen es taten? Oder würde sie womöglich gar ohnmächtig werden? Endlich ließ er ihre Arme los und sah, wie sie ihre Hand hob, um über das vernarbte Gewebe zu streichen.
Unwillkürlich erstarrte er und ballte die Hände zu Fäusten, wobei er sich seine Nägel fest ins weiche Fleisch grub.
„Brayn Westfield", flüsterte sie und er erstarrte nur noch mehr, das Blut wich ihm aus dem Gesicht. Nun erkannte er ihre Stimme, auch wenn sie sich verändert hatte. Und Himmel, er hatte auf ihren Busen gestarrt! Das hätte er nicht tun dürfen.

Caroline ließ die Hand wieder sinken, nachdem sie die Narbe ein paar Mal nachgezogen hatte, ganz wie sie es früher getan hatte, vor so endlos erscheinender Zeit. Verlegen wurde ihr bewusst, wie sie ihn angestarrt hatte. Auch hatte sie bemerkt, wie er bei ihrer leichten Berührung erstarrt war und die Hände zu Fäusten geballt hatte.
„Caroline Changwick", erwiderte er daraufhin und versuchte zu lächeln.
„Ihr habt euch wirklich verändert. Ich habe euch kaum wieder erkannt. Ihr seid eine echte Schönheit geworden."
Sie wurde rot und wandte den Blick ab. Wenn er doch nur wüsste, was seine Worte in ihrem Innersten auslösten, hätte er sie ganz gewiss zurückgezogen.
„Vielen Dank. Das ist sehr nett von euch zu sagen."
„Es ist nur die Wahrheit, verehrte Lady." Er nahm ihre Hand und hauchte einen sanften Kuss darauf, was sie noch verlegender machte.
Sie sah ihm wieder ins Gesicht. Ihre Schwester hatte leider Recht gehabt. Er war wirklich ein sehr gut aussehender junger Mann. Aber nicht gut genug für sie selbst.Und das war kein Gedanke der Eitelkeit. Nein, viel mehr ging es noch immer darum, dass Männer keine klugen und gebildeten Frauen wünschten, sondern nur eine kleine Trophäe an ihrer Seite. Das war immer wieder aufs Neue sehr ernüchternd. Besonders wenn man bedachte, dass es doch eigentlich die Frauen waren, die immer die schwierige Entscheidung hatten, welchen Mann sie denn nun wählen sollten. Nicht selten kam es immerhin dazu, dass es mehr als nur einen Verehrer gab.
„Und was macht ihr nun so ganz alleine hier draußen?", fragte er wieder. Als er sie erkannt hatte, war er automatisch wieder zu der höflichen Form der Anrede über gegangen.
„Ich wollte etwas den Kopf frei bekommen und bin ausgeritten. Als jedoch die Schüsse losgingen, ist mein Pferd durchgebrannt", erklärte sie mit rosigen Wangen.
Brayn war vollkommen von ihr eingenommen. Ihre ganze Haltung war so anders als früher. Sie war nicht mehr so lebendig und lebensfroh, das erkannte er sofort.
„Verstehe. Dann lasst es mir eine Ehre sein, euch nach Hause zu geleiten. Ich wollte eurer Familie eh einen Besuch abstatten und nach dem werten Befinden fragen."
Sie nickte leicht und ging an ihm vorbei.
„Ich danke euch."„Nennt mich doch Bryan und erlaubt mir euch, wie früher, Caroline sein zu nennen."
Er lächelte sie freundlich an, doch sie schüttelte den Kopf, ihre Wangen glühten noch immer.
„Gern will ich euch wie früher Brayn nennen, doch ihr sagtet nie Caroline zu mir. Caro habt ihr mich genannt. Oder auch Line."
„Verzeiht, aber ihr ward noch ein Kind. Jetzt passt Caroline wahrlich viel besser zu euch." Wieder nickte sie, hatte er doch recht damit, dass sie noch ein Kind gewesen war.
'Gott sei Dank war es nicht ganz so weit bis zum Haus, sodass sie gut zu Fuß gehen konnten.Caroline hielt sich nie sehr weit vom Gebäude entfernt auf, falls noch einmal so ein Überfall wie auf ihren Vater stattfand.

Zügig waren sie angekommen und gingen hinein.
„Mutter! Wir haben einen Gast", rief sie leise, ohne jegliches Gefühl in der Stimme. Die Herrin des Hauses erschien sogleich oben am Treppenansatz und sah ihre jüngste Tochter wieder einmal missbilligend an.
„Ich sage dir ein jedes Mal, du sollst nicht schreien", ermahnte sie das junge Mädchen, kam elegant herunter und lächelte Brayn wohlwollend an.
„Wie schön euch zu sehen, Brayn." Sie reichte ihm die Hand, die er sogleich an seine Lippen führte.Unwillkürlich fragte sich Caroline, wie sich seine Lippen wohl anfühlen würden, wenn er sie küsste.Ob der unanständigen Gedanken, schüttelte sie leicht den Kopf und stieg Stufe um Stufe in ihr Zimmer hinauf.
Schon vorhin kamen ihr derlei Gedanken, die nicht recht schicklich waren für sie. Obwohl es sie nicht störte ein wenig aus der Reihe zu tanzen. Alle in der Gesellschaft waren nur bornierte Lackaffen. Männer wie Frauen.Einfach unerträglich für ihr hitziges Temperament, das sie gezwungen war immer im Zaum zu halten. Das entsprach nicht ihrer Natur. Dabei wusste Caroline selbst, dass sie viel Leidenschaft besaß. Zu viel, wie ihre Mutter immer wieder betont hatte, bis Caroline es leid war und ihr Temperament unterdrückte.
Nicht nur einmal hatte sie eine Zofe mit dem Stallmeister erwischt und sich sofort gefragt, ob es immer so tierisch zuginge im Ehebett. Auf solche Art des Zeitvertreibs legte sie nun wirklich keinen Wert.
Falls sie eines Tages doch einen Mann ehelichen müsste, würde sie zwar ihre Pflicht erfüllen und ihm einen Erben schenken, jedoch nichts dagegen sagen, wenn er sich, hoffentlich, anderen Frauen zuwenden würde. Es wäre ganz und gar in ihrem eigenen Interesse. Aber noch wollte sie keinen Gedanken daran verschwenden. Viel wichtiger war es ihr, endlich ihren Vater zu finden.
Caroline stellte sich an eines der hohen Fenster und sah hinaus in den Garten. Ihre Gedanken schweiften jedoch sofort wieder ab, da sie nur den Sohn des Dukes im Kopf hatte. Derlei Gedanken und Gefühle schickten sich einfach nicht für sie. Und doch war es eben so.
Sie stellte sich vor wie seine kräftigen Hände, die sie vorhin an ihren Armen gespürt hatte, über ihre zarte Haut strichen und ihren Puls erhöhten. Wie sein Mund über ihren wanderte, den Hals hinab bis zu ihren Brüsten. Sie war außerstande sich gegen die Bilder in ihrem Kopf zu wehren. Ein aufs anderen bestürmten ihren sonst so klaren und nüchternen Verstand.


Plötzlich wurde sie aus ihren Gedanken gerissen, als man nach ihr rief. Pflichtbewusst eilte sie sogleich hinunter in den Saloon.
'„Du hast gerufen, Mutter?"
„Ja, Liebling. Ich habe mich grade mit dem Duke unterhalten und ich bin zu dem Schluss gekommen, dass es endlich Zeit wird für deine erste richtige Saison. Leider kann ich jedoch nicht von hier weg, sodass wir entschieden haben, dass du mit Brayn mitgehen wirst nach London. Seine Schwester verweilt im Moment in seinem Stadthaus und wäre somit die perfekte Anstandsdame."
Caroline glaubte sich verhört zu haben.
„Wie bitte?", fragte sie daher nach und versuchte ihre Stimme unter Kontrolle zu halten, was ihr recht gut gelang. Niemand sah sie skeptisch an, wie sie es sonst gewohnt war.
„Du wirst mit dem Duke nach London gehen als sein Schützling. Es ist längst überfällig, dass du einen Mann bekommst, der dir deine Flausen austreibt. Beginne bitte umgehend mit dem Packen. In zwei Tagen werdet ihr abreisen."
An dem Blick und der starren Haltung ihrer Mutter, erkannte das junge Mädchen schnell, das Widerworte nichts nützen würden. Sie musste sich wohl oder übel fürs Erste in ihr Schicksal fügen. Doch in ihrem hellen Köpfchen begann es schon zu arbeiten, wie sie wieder heraus kommen könnte. Dabei fiel ihr auch ein, dass sie in London vielleicht sogar besser an Informationen zum Verbleib ihres Vaters kommen könnte. Das stimmte sie wieder fröhlicher. So versuchte sie sich an einem zaghaftes Lächeln, was ihr mehr oder weniger gelang.
„Wie du wünschst, Mutter." Diese nickte nur.
„Gut, dann packe endlich..."
„So viel wird sie nicht benötigen, Madam. Wenn das was sie trägt ihre Kleidung im Allgemeinen beinhaltet, braucht sie eine vollkommen neue Garderobe", mischte sich Bryan mit ein.
„Oh, ihr habt vollkommen Recht. Wie hatte ich das nur übersehen können?" Lady Changwick lachte etwas schrill und rief eine Zofe herbei.
„Packe bitte nur ein paar Habseligkeiten des Mädchens. Alles weitere wird sie dort bekommen. Und du gehst mit ihr mit." Das Mädchen, Gisele, nickte höflich und entfernte sich wieder. Die Herrin des Hauses wandte sich wieder Brayn zu.
„Ich bete, ihr gebt gut auf meine Jüngste Acht."
„Selbstredend, Ma'am." Er verbeugte sich galant und lächelte Caroline an.
„Ich hoffe, dass Ihr euch bei mir und meiner Schwester wohl fühlen werdet. Es wird Euch an nichts fehlen", meinte er ruhig. Caroline nickte demütigst.
„Ich gedenke schon, dass es mir bisweilen an nichts fehlen wird." Ihr eigenes Lächeln fiel einige Grade kühler aus und so seufzte Brayn innerlich. Vermutlich würde es viel schwieriger werden, als er es sich grade noch ausgemalt hatte. Um einiges schwieriger sogar.

Kapitel 3

Zwei Tage später war es bereits soweit. Die Kutsche des Dukes machte sich auf den Weg in die Hauptstadt. Caroline saß gegenüber von Bryan auf der samtbezogenen Kutschbank und sah schweigend aus dem Fenster. Immer weiter rückte das Anwesen in die Ferne und damit ihre Familie und alles, was ihr so vertraut war.

Sie spürte Beklommenheit in ihrem Inneren, ließ es sich jedoch keineswegs anmerken. Ihre Begleitung war auch so ruhig wie und je.

Sie warf einen kurzen Blick zu ihm, nur um fest zu stellen, dass er seinen Blick direkt auf sie fixiert hatte. Ihr Herz begann wilder zu schlagen, ihre Handflächen wurden feucht.Warum verspürte sie ein solches Gefühl? Warum so plötzlich?

Das war ihr wirklich noch nie passiert. Sie machte sich doch nichts weiter aus Männern. Und schon gar nicht aus solchen wie ihm. Bryan Westfield war im ganzen Lande als Frauenheld bekannt. Überall wo er in Erscheinung trat, fielen die Frauen reihenweise in Ohnmacht, was Caroline immer ein kleines Schmunzeln entlockte. Hysterie war noch niemals ein Thema für sie gewesen. Genau wie falsche Koketterie. Was diese Damen wirklich bewusstlos werden ließ - nach Carolines eigener Meinung - war sein beachtliches Bankkonto.

Kaum ein Gentleman in ganz England konnte es mit dem des jungen Lords aufnehmen.

Für sie selbst zählte das allerdings nur gering. Zwar hatte sie nun auch nicht ein solches Konto, was es ihr erlaubt hätte, auf weiteres Geld seitens eines Mannes zu verzichten, sie befand sich aber auch nicht am Rande des Ruins.Ein paar Jahre würde sie auch ohne die Unterstützung der Familie auskommen können.

So etwas schickte sich jedoch nicht, dachte sie seufzend.

Wieder hob sie den Blick in seine klaren Augen. Seine Miene verriet nicht, woran er im Moment dachte. Dabei war es denkbar einfach.

Carolines Busen hob und senkte sich rasch, ein Blickfang für jeden Mann. Bryan runzelte über seine verwirrenden Gedanken die Stirn und wandte den Blick ab.

Was dachte er sich nur dabei? Miss Caroline war nichts für ihn. Zu jung. Zu ruhig. Da war keine Leidenschaft bei ihr zu sehen. Kein Hauch von allem, was ihm an einer Frau gefiel.

Sie war einfach nur still, kontaminiert und nicht mal auf eine belanglose Konversation aus.

Warum er sie dennoch mit nach London nahm, verstand er selbst nicht.

Die Einladung war einfach aus einen unerfindlich Impuls heraus geschehen und ließ sich jetzt schlecht widerrufen. Schon gar nicht für jemanden in seiner wichtigen Position.

So musste er wohl oder übel die Anwesenheit dieser jungen Dame in Kauf nehmen. Und vielleicht konnte er dabei ja auch noch ein wenig herausfinden.

 

Sie hatte ihrem Vater immer am nächsten gestanden. Bryan hegte nämlich den gewagten Verdacht, dass ihr Vater nicht so unschuldig war, wie alle glaubten. Und wie seine Familie dachte. Diese stand vollkommen hinter dem Familienoberhaupt, das sich nirgends sehen ließ.

"Mylady? Dürfte ich Euch wohl eine Frage stellen?", setzte er plötzlich zum Reden an und Caroline erschrak zunächst.

"Sicher, Sir, was wollt Ihr wissen?"

Ihre Blicke lagen aufeinander und wieder war ihr Herzschlag ausgesprochen schnell, was ihr so gar nicht gefiel. Sie wollte so etwas nicht fühlen.

"Glaubt Ihr Euer Vater lebt noch?"

Zuerst glaubte die junge Schönheit sich verhört zu haben, dann, dass er nur scherzen würde. Zum Schluss war sie sich jedoch sicher ihn richtig verstanden zu haben und an seiner entschlossenen Miene erkannte sie auch die Ernsthaftigkeit seiner Frage und seines Interesses.

"Wollt Ihr die Antwort einer jungen Frau, die schon einiges erlebt hat, oder die einer liebenden Tochter?"

Was für eine merkwürdige Antwort, dachte Brayn ein wenig irritiert und versuchte dieses Gefühl schnell wieder abzulegen.

"Wie wäre es mit der schlichten Wahrheit? Ich halte nichts von Täuschungen jeglicher Art", legte er ihr nahe. Kaum konnte er sich von ihren Augen lösen, die so unendlich leidvoll in die Welt schauten.

"Nun, wenn Ihr es so wünscht."

Leider brach sie den Blickkontakt ab und sah wieder auf die vorbeiziehende Landschaft hinaus.

"Ich denke, dass man meinem Vater übel mitgespielt hat und er sich daher verstecken muss. Er ist von seiner Familie getrennt und vermutlich verzweifelt deswegen. Also ja, ich glaube, dass er durchaus noch lebt."

Ihr Kopf drehte sich erneut, doch sie sah eher durch ihn hindurch."Und ich muss gestehen, ich bin Ihrer Einladung, wenn man es denn so nennen dürfte, nur aus einem Grund gefolgt. Die Stadt an sich und vor allem die kommende Saison interessieren mich nicht sonderlich. Ich will ihn finden und nach Hause holen. Egal was damals vorgefallen ist, er gehört zu seiner Familie und den Menschen, die ihn lieben."
Brayn hatte zwar eine ehrliche Antwort erhofft, doch dass sie diese so offen aussprechen würde, passte ihm nicht ganz.
"Ihr habt diese Vorstellung also noch immer nicht aufgegeben, wie ich leider sehen muss. Nun, das ist schade. Ich hatte gehofft Ihr seid inzwischen von dieser fixen Idee geheilt."
"Wie soll ich je davon geheilt werden, wenn man den Leichnam meines Vaters nie gefunden hat? Selbst wenn er tot sein sollte, wurde er nie richtig bestattet. Lediglich ein leerer Sarg liegt auf dem Friedhof!" Ihre Stimme wurde kälter, als er sie je zuvor gehört hatte und ein Schauer lief über seinen Rücken. Nicht mal ein Heer von Männern hatte es so schnell geschafft, dass er sich unwohl fühlte.
"Offiziell ist er dennoch tot und Eure Mutter eine Witwe. An dieser Tatsache kann man nichts mehr verändern", sprach er das Offensichtliche aus."Oh doch, Mylord, daran kann man einiges verändern. Wenn ich ihn erst einmal gefunden habe, werden wir die ganze Sache aufklären und ich werde ihn mit nach Hause nehmen."
"Und wenn er doch der Schuldige damals war?"
Das hätte er nun wirklich nicht sagen dürfen, erkannte er schnell an dem Blick des jungen Mädchens. Sie sah ihn an, als hätte er den Verstand verloren. Und als würde sie sogleich auf ihn losgehen. Die behandschuhten Hände ballte sie undamenhaft zu Fäusten und ihre Augen blitzten ihn regelrecht an.
"Wie könnt Ihr es wagen so etwas auch nur zu denken? Euer Vater ist ganz fest der Überzeugung, dass ihn sein Freund gerettet hat! Wie kommt Ihr überhaupt darauf? Mein Vater hat den Euren beschützt und wurde dabei verletzt. Und der Einzige, der etwas davon hätte, wenn Euer Vater tot wäre, seid Ihr selbst, Mylord." Sie war aufgeregt und ihr Herz klopfe nun wieder so stark wie zuvor, nur dieses Mal aus Wut. Was erdreistete dieser Kerl sich einfach Ihren Vater zu beschuldigen?
Hatte er denn keinerlei Ehre im Leibe? Oder verbarg sich vielleicht noch mehr dahinter als der Lord preisgeben wollte?Egal wie sie an die Sache heran ging, eine Lösung wollte sich nicht einstellen.
"Fürwahr, ich hätte tatsächlich etwas davon. Leider nur will ich dieses nicht haben. Ich will nicht der Nachfolger meines Vaters werden. Einer meiner jüngeren Brüder kann diesen Platz gerne einnehmen."
Im ersten Moment war sie zu überrascht um überhaupt ein Wort raus zu bekommen, dann sah sie ihn scharf an.
"Ihr wisst aber sicherlich, das dies nur passieren wird, wenn Euch auch der Tod ereilt? Ansonsten geht der Titel und alles, was damit verbunden ist, ganz automatisch an Euch über, beim Ableben des Dukes." Er zuckte nur mit den Schultern bei ihren Worten und war nun derjenige, der seinen Blick nach draußen richtete. Caroline versuchte hinter seine gleichgültige Fassade zu schauen, doch es wollte ihr einfach nicht gelingen. Dabei war ihr vollkommen klar, dass er ein Geheimnis dahinter verbarg. Und leider war sie viel zu neugierig, als dass sie sich jetzt hätte abweisen lassen.
"Habt Ihr denn keine Angst vor dem Tod? Ist es Euch tatsächlich so gleichgültig, wie Ihr euch im Moment gebt?"
Wieder zuckte er die Schultern und sah beharrlich auf die vorbeiziehende Landschaft.
"Ihr wollt also nicht weiter mit mir darüber reden? Nun gut, so sei es."
Schmollend sah auch sie nach draußen und schwieg ab diesem Moment. Er sagte ja auch nichts mehr, wie sie bekümmert feststellte. Vielleicht hatte sie einen empfindlichen Nerv getroffen...



Ein paar Stunden später kamen sie bei einen kleinen Gasthof an und Brayn entschloss spontan dort zu nächtigen, anstatt die ganze Nacht noch weiter nach London zu reisen.
"Wir nehmen uns hier ein paar Zimmer. Ich werde veranlassen, dass man Euer Gepäck hinauf bringt", informierte er sie monoton und half ihr beim Aussteigen.
Caroline sah sich neugierig um und fand es auf Anhieb sehr sympathisch. Das Haus war aus Holz und die hohen Balken beim Eingang waren kein wenig hinderlich. Es roch nach den frischen Blumen, die in großen Kübeln zu beiden Seiten aufgestellt waren und in denen wilde Rosen und Vergissmeinnicht wuchsen. Direkt über der Tür hing noch ein kleines Sträußchen mit Gänseblümchen und die Tür quietschte leicht beim Öffnen.
Brayn hielt sie ihr auf und legte eine Hand auf ihren Rücken, der nur durch ein dünnes Kleid geschützt wurde. Sofort spürte sie die intensive Hitze seiner Berührung und wäre beinahe zusammen gezuckt.
Wieso reagierte sie nur so auf diesen Mann? Warum grade jetzt? Es war doch nicht das erste Mal, dass sie ihn sah. Oder dass sie sich leicht berührten. Immerhin war es ja auch nicht so, dass er sie unsittliche anfasste. Oder gar...
Nein, daran durfte sie gar nicht erst denken. Energisch schüttelte sie den Kopf und sah über zur Seite, wo er nun stand und mit dem Gastwirt sprach.
"Oh ja, bitte kommen Sie doch richtig hinein. In der Nacht wird es immer so fürchterlich kalt. Setzen Sie sich doch." Er bot den beiden einen schönen Tisch an, auf dem eine kleine Vase mit Vergissmeinnicht stand. Einige andere Gäste sahen zu ihnen, tuschelten sogar hinter vorgehaltener Hand und ließen sie nicht aus den Augen, doch Caroline störte sich nicht daran.Brayn rückte ihr den Stuhl zurecht und sie setzte sich ordentlich hin. Genau ihr gegenüber nahm auch er Platz, lehnte sich entspannt nach hinten und durchbohrte sie mit seinem Blick.
"Wenn Ihr irgendwas sagen wollt, dann tut es einfach. Das Anstarren stört mich zutiefst", teilte die junge Frau ihm mit, total ungerührt von dem Getuschel am Nebentisch.Sofort war ihr aufgefallen, wie die ganzen Damen ihn angesehen hatten. Als wäre er ein junges und unschuldiges Fuchskind bei der Jagd. Caroline bezweifelte auch nicht, dass die Damen ihn genau so auch wirklich sahen. Er sah gut aus. Zu gut, für ihren Geschmack. Männer mit einem solchen Aussehen verstanden sich perfekt darauf, die Welt der Frauen zu verdrehen und mit dem anderem Geschlecht nur zu spielen.
"Wenn ich etwas zu sagen habe, werde ich es auch tun. Nur im Moment steht mit nicht der Sinn danach, mit Euch zu reden!", informierte er kühl und der Wirt kam mit einer Flasche Wein und zwei Gläsern. Nachdem er ihnen eingeschenkt hatte, fragte er noch, ob sie denn etwas zu Essen wünschten, doch beide verneinten.
Caroline trank nur ein paar Schluck ihres Weines und erhob sich dann auch rasch. Dieses Schweigen von ihm gefiel der jungen Frau nicht.
"Ich wünsche Euch eine gute Nacht, Mylord", verabschiedete sie sich und drehte sich zum Gehen um.
Er folgte ihr nicht, was für sie nicht weiter verwunderlich war. Eigentlich hatte sie nicht mal den Wunsch, dass er ihr folgte...

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 15.01.2014

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für meine beste Freundin, Ann Shavi

Nächste Seite
Seite 1 /