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Coming Home

Alles begann vor über zehn Jahren damit, dass ich einen unvergesslichen Sommer in meiner Heimat Florenz verbracht hatte und ihn dort kennen und lieben lernte. Es war die Rede von Claudio, der mir nach wie vor nicht aus dem Kopf gehen wollte. Wie denn auch, wenn er mir von dem ersten Augenblick an den Kopf verdreht hatte?
Nun war ich also zurück. Endlich. Das erste was ich tat, als ich aus dem Flugzeug stieg, mit dem ich nach Florenz zurückgekehrt war, war kräftig ein und auszuatmen. Himmel, wie hatte mir diese Stadt gefehlt! Das war auch kein Wunder, immerhin wurde ich hier geboren und hatte dort meine Kindheit verbracht.
Nur wegen meinem Studium zur Bibliothekarin war ich nach erst Deutschland gezogen, da ich wie meine beste Freundin Giulia De Lorenzi, in Italien super Noten gehabt hatte. Ich hatte sogar eine Klasse übersprungen, weshalb ich auch schon seit einem Jahr fertig mit dem Studium war. Schließlich hatte ich die vier Jahre bis zu meinem Bachelor und noch ein weiteres Jahr zum Master studiert. Während meiner Studienzeit hatte ich mir ein Leben in Deutschland aufgebaut, was ich eigentlich nicht so schnell aufgeben wollte. Trotzdem sah ich Florenz als meine Heimat an, was auch der Wahrheit entsprach.
Kein Wunder also, dass meine fatale Sehnsucht irgendwann über mich gesiegt hatte und ich mir in der Stadtbibliothek einen Job als Bibliothekarin gesucht hatte. Nun war ich also wieder hier. Zum Glück wurde ich eingestellt und schon bald meinen neuen Arbeitsort besser kennenlernen.
Außerdem sah das meine beste Freundin aus Sandkastentagen genauso. Nur fand ich es etwas übertrieben, dass sie gleicht mit ihrem neuen Freund Jakob Di Izmir zusammenzog, von dem jeder wusste, dass er der Herzensbrecher schlechthin war.
Natürlich freute ich mich für Lia, doch musste man sich deswegen gleich eine Wohnung oder besser gesagt ein Haus zusammen suchen? Nein. Ich vertraute den Hosenscheißer, wie ich ihn gern nannte, kein bisschen. Na gut, er war nur ein paar Monate jünger als ich, doch im Kopf noch deutlich ein Teenager.
Er war nichts gegen Claudio. Schon allein der Name von meiner großen Liebe war wie Musik in meinen Ohren. Mir wurde immer wieder klar, wie sehr er mir fehlte. Und das obwohl er mir mein Herz gebrochen hatte. Na gut, ich war teilweise auch zurückgekehrt, weil ich ihn suchen wollte, um ihn zur Rede zu stellen. Niemand machte so etwas mit mir, Fabrizia Da Ferro! Wenn, dann war ich diejenige, die ein gebrochenes Herz zurück ließ, aber niemals umgekehrt.
Ich war gewiss nicht auf Rache aus, ich wollte nur eine Erklärung von Dio, wie ich ihn gerne genannt hatte. Schließlich hatte er mir versprochen, dass wir uns eines Tages wieder sehen würden und auch, dass er mich auf Händen tragen sowie mir einen Stern vom Himmel holen würde. Nachdem er all diese liebevollen Worte, die vermutlich nur daher gesagt waren, zu mir gehaucht hatte, hatte er mir einen Kuss auf die Stirn – was eigentlich so viel mehr bedeutete, als ein Kuss auf den Mund! - gegeben und war gegangen.

 

„Fabrizia? Kommst du?“, riss mich die Stimme von Justin aus meinen Gedanken. Ach ja, den gab es ja auch noch. Sicherlich wunderte sich manch einer darüber, was er mit mir in Italien machte. Die Antwort war eigentlich ganz simpel, kaum hatte er davon Wind bekommen, dass ich zurück nach Florenz wollte, hatte er mir angeboten, mitzufliegen und mir dabei zu helfen, meine vielen Umzugskisten in meine Villa zu schaffen.
Ganz der Gentleman hatte er mir einen Transporter gemietet, mit dem er darauf bestand, mich zu meinem Anwesen zu fahren. Ein höhnisches Schmunzeln umspielte meine Lippen, wenn ich nur daran dachte, dass er vermutlich wirklich dachte, dass er so mehr Chancen bei mir hatte.
Der Blonde machte überhaupt keinen Hehl daraus, dass er mich liebte. Ich dagegen fand sein gesamtes Verhalten ziemlich peinlich. Das musste er aber nicht unbedingt wissen, immerhin brauchte ich nur mit dem Finger zu schnipsen und schon tat er das, was ich wollte. Ach, mein Leben war schon herrlich!
Trotz allem wandte ich mich aber nun an Jus, da ich ihn nicht warten lassen wollte. „Ja, bin schon bei dir“, erwiderte ich mit einem Lächeln auf meinem Gesicht, was ihn zum Strahlen brachte. Das war mir so klar gewesen. „Wie hast du es eigentlich geschafft, den Privatjet von dem Hosenscheißer zu bekommen?“, fragte ich ehrlich interessiert, da es mich sehr wunderte, dass er das Flugzeug so einfach organisieren hatte können.
Jetzt war es Justin, der mich anlächelte. Stolz wie eh und je antwortete er: „Ich habe ihn für dich angelogen. Ich habe ihm einfach nur gesagt, dass ich Urlaub in Florenz machen möchte und schon bestellte er einen Piloten für mich her und orderte diesen an, mich nach Italien zu fliegen“.
Oh je, dachte er wirklich, er konnte mich damit beeindrucken? Ganz bestimmt nicht! Um ehrlich zu sein, fand ich sein Verhalten gegenüber seines angeblich besten Freundes, der gleichzeitig sein Cousin war, ziemlich abgedroschen. Ehrlich mal, man log seine besten Freunde nicht an!
Meine Güte, da war ich wirklich froh, dass Giulia nicht so zu mir war. Umgekehrt war es natürlich genauso. Sie wusste, wie ich tickte und konnte sich daher auch sicher sein, dass ich sie für nichts auf dieser Welt anlügen würde. Typen zum Beispiel kamen und gingen, wann sie wollten, doch eine beste Freundin blieb ein Leben lang.
Im nächsten Moment widmete ich mich aber wieder Justin, der mich hungrig nach einer Antwort auf seine vorherigen Worte ansah. Ich erwiderte jedoch: „Das macht man nicht, aber mir kann es egal sein“. Die Enttäuschung breitete sich sofort auf seinem Gesicht aus. Er war zugegeben nicht gerade hässlich, doch kam er niemals an Claudio heran. Das würde er auch nie können.
Zum Glück wusste er aber nichts von dieser Geschichte. Nur Giulia wusste davon. Nicht einmal meine Eltern – Giaccomo und Francesca – hatten den blassesten Schimmer davon. Diese erwarteten mich bereits in meiner Villa und fiel es mir von Schuppen in den Augen. Ich und Justin sollten uns mit dem Beladen des Transporters beeilen!

 

Als ich ihm sagte, dass wir schneller arbeiten mussten, beschleunigte er sein Tempo, was mich dann doch etwas beeindruckte, doch das würde ich natürlich nie vor ihm zugeben! Nach einer halben Stunde waren wir schließlich fertig und fuhren auch schon los.
Die Fahrt nahm einige Zeit in Anspruch, da sich meine Villa in der Nähe vom Meer befand. Während wir durch Florenz fuhren, atmete ich die tolle Luft ein und sah mich um. Es hatte sich nicht viel in dieser wunderschönen Stadt verändert. „Freust du dich schon darauf, deine Eltern wiederzusehen?“, fragte mich Justin plötzlich, woraufhin ich leicht zusammenzuckte. Erst da bemerkte ich, dass ich lächelte.
Leicht verlegen räusperte ich mich und antwortete ihm schließlich: „Ja und wie! Und natürlich darauf, mich hier einzurichten“. „Schade, dass du nicht in Deutschland geblieben bist, so sehen wir uns so gut wie gar nicht mehr“, bemerkte er sichtlich traurig und sah auch etwas nachdenklich auf den Verkehr. „Du kannst mich ruhig ab und zu besuchen kommen, das weißt du hoffentlich“, sagte ich schnell, bevor er noch sentimental wurde.
Dafür hatte ich gerade nämlich überhaupt keinen Nerv. Außerdem hatte ich das nur gesagt, damit er mir nicht ständig sagte, wie toll er mich fand. Das tat er schon seit Jahren. Um genau zu sein, seitdem ich ihn kannte. Jedenfalls erhellte sich seine Miene blitzschnell und er fragte voller Enthusiasmus: „Wirklich? Das wäre echt super!“.
Nun war er wieder ganz der Strahlemann. Bevor ich auch nur ein Wort sagen konnte, meinte er: „Wenn du möchtest, kann ich auch länger hier bleiben“. Okay, das ging mir dann doch zu weit. „Das ist zwar sehr lieb von dir, doch ich möchte mich erst einmal hier zurechtfinden. Alleine, wenn du verstehst? Du wirst auch nicht die ganze Zeit hier sein und mir ist es sehr wichtig, dass ich selbstständig bin“, druckste ich herum und lächelte ihn an.
Der Mann kam erst gar nicht auf die Idee, mir zu widersprechen, nein, er war förmlich Wachs in meinen Händen und das obwohl ich ihn nicht berührte. Das hatte ich auch nicht vor, immerhin sollte er mir nur meinen Kram zu meiner Villa fahren. Nicht mehr und nicht weniger.

 

Schon bald befanden wir uns an der Einfahrt zu meiner Villa, die schon offen war, da meine Eltern bereits auf mich warteten. Als ich sie schließlich vom Auto aus sah, wie sie da vor der offenen Eingangstür standen, wurde mein Herz schwer. Ich hatte sie einfach zu lange nicht mehr gesehen.
Daher war es kein Wunder, dass ich sofort zu ihnen rannte, als der Transporter still stand. Mama und Papa taten es mir gleich und nahmen mich sofort in den Arm. Bei beiden floss die ein oder andere Träne. „Fabrizia, mein Kind! Endlich bist du wieder da! Ich habe dich so vermisst! Wehe, du gehst noch einmal weg!“, sagte meine Mutter, während sie sich einige Tränen aus dem Gesicht wischte.
Schuldbewusst nickte ich. Es war ursprünglich nämlich so ausgemacht, dass ich nur für das Studium nach Deutschland ziehen würde. Ich konnte verstehen, wenn sie es mir ziemlich übel nahmen, dass ich dort meinen Aufenthalt etwas verlängert hatte, immerhin war ich ihre einzige Tochter. Bei Giulia war es genauso, sie hatte ebenfalls keine Geschwister.
So kam es auch, dass wir uns wie Schwestern fühlten. Wir hatten beide nur unsere Eltern und daher hatten wir sehr viel gemeinsam unternommen. Wenn ich so daran zurück dachte, wie oft wir uns einst gesehen hatten, als wir noch in Italien zur Schule gingen, musste ich lächeln. Ja, es hatte sich einiges geändert.
Doch nun wieder zurück zur Gegenwart. Meine Mutter sah mich nämlich ebenso fragend an, wie Justin vorhin. „Natürlich, Mama. Du weißt gar nicht, wie sehr ich mich freue, wieder hier zu sein. Lasst euch noch mal drücken“, sagte ich und musste zugeben, dass mir das Gespräch beziehungsweise die Situation im Allgemeinen sehr nahe ging.
Jedenfalls ließen sich meine Eltern das nicht zwei Mal sagen und erdrückten mich schon fast. Zudem wurde ich schon fast mit Küssen auf mein Haar und meine Wangen überhäuft. So waren meine Eltern eben. „Wie ist es euch so ergangen?“, fragte ich und wies die beiden an, mit mir zum Transporter zu gehen, an dem noch immer Justin wartete. „Sehr gut, unsere Firma boomt seit geraumer Zeit noch mehr als früher“, antwortete mein Vater sichtlich stolz, worüber ich mich sehr freute.
Während wir zu Justin gingen, fragten mich meine Eltern, was es bei mir so zu erzählen gab. Ich antwortete ihnen: „Alles super bei mir. In Deutschland wurde mir gesagt, dass ich das Zeug dazu hätte, meine eigenen Bibliothek aufzumachen und diese auch zu führen. Mit dem Modeln läuft es auch hervorragend“. Sie lächelten mich voller Freude an und meinten, dass sie sehr stolz auf mich seien.

 

Wir kamen schließlich an dem Transporter an. Erst da erblickten meine Eltern Justin, den sie meines Erachtens noch nicht kannten. „Hallo“, sagte er und machte den Hofknicks vor meiner Mutter. Diese war entzückt davon, erst Recht, als er ihr einen sanften Kuss auf die Hand gab. Meinem Vater dagegen gab er nur die Hand. Es würde total komisch aussehen, wenn er dasselbe bei Giaccomo machen würde.
Erwartungsvoll blickten mich meine Eltern an. Was wollten sie hören? Dachten sie etwa, dass...? Oh nein! „Mama! Nein, Justin ist nur ein Freund. Ein Kumpel, nicht mehr und nicht weniger“, meinte ich etwas schockiert, woraufhin sie mich anlachten. „Was gibt es zu lachen? Das ist wahr!“, bestand ich darauf, dass sie bloß nicht auf die Idee kamen, dass der Blonde mein Freund sein könnte.
Glücklicherweise begannen sie lieber damit, die ersten Kisten aus dem großen Auto zu hieven. Ich brauchte ihnen erst gar nicht sagen, in welchem Zimmer sie hin mussten, denn ich hatte auf jeder einzelnen dieser dreißig Kisten geschrieben, in welchem Raum sie gehörte. Meine Villa war dagegen ausgeschildert, wie es zu welchem Raum ging. Dazu hatte ich meine Eltern damit beauftragt, auf jeder Tür ein Schild zu kleben, auf dem stand, um was für ein Zimmer es sich handelte. Ich vertraute ihnen blind, denn sie kannten mich am Besten und so brauchte ich auch gar nicht kontrollieren, ob alle Türen richtig beschriftet waren.
Nach fast vier Stunden hatten wir es geschafft, die ganzen Kartons in die richtigen Zimmer zu stellen. Ich war heilfroh, dass meine Möbel schon aufgebaut waren, da ich in Deutschland meine Eltern damit beauftragt hatte oder besser gesagt, sie unsere gesamte Verwandtschaft, die sich in und rund um Florenz befand, zusammengetrommelt hatten, die ihnen dabei geholfen hatte.
Das nannte ich Familienzusammenhalt. Natürlich hatte ich mir schon etwas für alle überlegt. Meine Villa war groß genug, um zig Menschen unterzubringen, also hatte ich beschlossen, dort eine große Party zu geben. Natürlich kam ich ganz allein für die entstehenden Kosten auf, was für mich okay so war. Immerhin hätte ich es ohne meine Verwandten nie geschafft, dass alles so zeitig fertig wurde.
Ein gutes Stichwort, wie mir gerade einfiel. Ich ging zu Justin, der es sich auf meinem weißen Sofa bequem gemacht hatte und fing ein Gespräch mit ihm an. „Wie lange möchtest du eigentlich bleiben?“, wollte ich von ihm wissen, da ich endlich alles auspacken wollte und dazu brauchte ich keine Hilfe.
Er sah mich etwas erschöpft an, was ich ihm auch nicht verübeln konnte und antwortete mir: „So lange, wie du möchtest“. „Nun ja, die ganzen Kisten ausräumen würde ich lieber alleine machen und sonst ist alles soweit fertig“, sagte ich ihm und sah, wie sich die Enttäuschung darüber, dass er schon jetzt fahren sollte, auf seinem Gesicht ausbreitete.
Gespielt mitfühlend legte ich einen Arm um ihn und meinte: „Kopf hoch, ich bin dir sehr dankbar, dass du mein Zeug nach Florenz gebracht hast. Du hast mir damit sehr viel Arbeit abgenommen, dafür danke ich dir“. Um meinen Worten Nachdruck zu verleihen, gab ich ihm jeweils einen raschen Kuss auf seine Wangen.
Wie von der Tarantel gestochen wurde er feuerrot, was eigentlich ziemlich süß war. Nur wollte ich ihn endlich los haben. Außerdem saß er schon lang genug auf meinem Sofa. Als ob er meine Gedanken geahnt hätte, stand er auf. Ein erleichtertes Seufzen entfuhr mir, doch im nächsten Moment hätte ich ihm Erdboden versinken könnten.
Als er nämlich meine Eltern sah, verabschiedete er sich so, wie er sich begrüßt hatte. Meine Mutter war natürlich wieder ganz entzückt von ihm und auch mein Vater sah nicht so aus, als ob er dagegen etwas einzuwenden hätte. Wir gingen also zu viert zu dem Transporter. „Kommen Sie mir gut nach Hause“, sagte Giaccomo, woraufhin Jus erwiderte. „Ich würde ja gerne bleiben, aber Ihre Tochter...-“. Ich unterbrach ihn etwas barsch, indem ich druckste, dass er nun unbedingt los müsse. Das ließ er sich nicht zweimal sagen, was mich unheimlich erleichterte.
Auch meine Eltern liefen zu ihrem Haus, da sie mich erst einmal alleine lassen wollten, wofür ich ihnen sehr dankbar war. Kaum hatte ich die mächtigen Eingangstüren geschlossen, breitete sich ein Lächeln auf meinem Gesicht aus. Jetzt konnte ich endlich damit beginnen, mich hier schön einzurichten!

 

Ich sah die vielen Kisten um mich herum, die noch immer darauf warteten, von mir ausgepackt und weggeräumt zu werden. Dazu würde ich auch noch kommen, immer schön der Reihe nach. Was würde es mir bringen, wenn ich mir durch den Umzug unnötigen Stress machen würde? Richtig, nämlich gar nichts.
Meine erste Station war natürlich mein Schlafzimmer gewesen, von dem ich einen sehr tollen Blick auf meinen Garten hatte, über den ich innerhalb von zehn Minuten am Meer war. Nicht alles war in Florenz voller Tourismus, worüber ich sehr froh war. Außerdem hatte mein Grundstück einen hohen Zaun, der auch noch durch sehr dichte Bäume geschützt war. Hier konnte also niemand so schnell eindringen.
Im nächsten Moment widmete ich mich aber wieder dem Einräumen meines begehbaren Kleiderschrankes und das obwohl es draußen um die dreißig Grad hatte. Das schöne Wetter kannst du noch oft genug genießen, dachte ich, Willkommen zurück, liebe Fabrizia! Keine halbe Minute später unterdrückte ich ein Fluchen. Himmel, Giulia hatte so was von Recht, wenn sie immer sagte, dass ich viel zu viele Klamotten besaß!
Mein Blick glitt zu dem Schrank, der schon ziemlich voll war. Dabei hatte ich noch eine Kiste, die ich noch einräumen musste! Mit allerlei Tricks schaffte ich es sogar, meine restliche Kleidung ordentlich einzusortieren, ohne dass der Schrank so aussah, als ob er jeden Moment in allen Nähten aufzuplatzen drohte.
Mit einem breiten Lächeln auf den Lippen betrachtete ich erneut mein Werk. Vielleicht hätte ich doch etwas mit Mode machen sollen, anstatt Bibliothekswesen zu studieren. Nun ja, Modeln reichte mir völlig aus.
Nach einiger Zeit war ich ziemlich fertig von dem Auspacken. Mittlerweile hatte ich nämlich schon das Nötigste im Bad und in der Küche ausgepackt. Ich beschloss kurzerhand, mich in meiner Heimat umzusehen.

 

Da ging ich nun die Straßen entlang. Mit meinen weißen Shorts und dem lindgrünen Top sah ich gar nicht mal so übel aus. Dazu trug ich Sandalen in derselben Farbe wie mein Oberteil. Meine Haare fielen mir locker über meine Schultern und reichten mir schon fast bis zu meinem Po. Meine weiße Handtasche durfte natürlich auch nicht fehlen und meine schwarze Sonnenbrille.
Immer wieder starrten mich die Menschen an. Ja, eine ihrer berühmten Töchter war in ihre Stadt zurückgekehrt! Ich bedachte alle mit einem Lächeln und zwinkerte ihnen kess zu. Ihre Reaktionen machte mich ziemlich stolz. Manche hatten nämlich den Mut und fragten mich nach einem gemeinsamen Bild. Natürlich hatte ich nichts dagegen und lachte unbeschwert in die Kameras.
Auf den Straßen von Florenz war Einiges los. Der Tourismus war im vollen Gange und die Händler machten reichlich Umsatz. Ich dagegen war nur hier, um mir die Stadt anzusehen. Außerdem liebte ich die Altstadt. Diese war nicht sehr weit vom Meer entfernt. Dazu würde ich auch noch kommen.
Jedenfalls setzte ich meinen Weg fort. Es erstaunte mich immer wieder, das mir alles noch total vertraut war. Als ob ich nie weg gewesen wäre. Das machte mich sehr glücklich, denn ich hing sehr an der Kunststadt Italiens. Für mich gab es einfach keinen schöneren Ort auf der Welt als diesen hier. Ich wusste wovon ich sprach, denn als Model flog man um den halben Erdball.
Schon fast ächzend wedelte ich mir die warme Luft aus dem Gesicht. Die Sonne machte mich noch fertig! Ich sollte mich dringend an die hitzigen Temperaturen gewöhnen. Das hatte ich nun davon, dass ich so lange nicht mehr hier gewesen war. Zum Glück wusste ich aber nach wie vor, wo ich Abkühlung finden konnte.
Hastig rannte ich zu einem der vielen Brunnen und klatschte mir Wasser in mein Gesicht. Man, das tat so was von gut! Danach setzte ich mir meine Sonnenrille wieder auf, die ich dazu abgenommen hatte und starrte in das Wasser, das so klar war, dass man meinen könnte, man sähe in einen Spiegel.
Mein Blick glitt zu dem Boden des Brunnens, in denen allerlei Münzen lagen. Ein sehr bekannter Brauch. Es wurde gesagt, wenn man Münzen in den Brunnen schmiss und sich dabei etwas wünschte, dann würde dieser Wunsch eines Tages in Erfüllung gehen. Ich war zwar alles andere als abergläubisch, doch aus einem plötzlichen Impuls heraus nahm ich meinen Geldbeutel und nahm eine Münze in die Hand.
Sie war für mich sehr besonders. Es war noch eine italienische Lira, die man heute kaum mehr fand, dass es schon längst den Euro gab. Ich schloss meine Augen und versuchte alle Hintergrundgeräusche auszublenden. Konzentriert schnippte ich schließlich die Lira in den Brunnen und wünschte mir nichts sehnlicher, als dass ich meine große Liebe Claudio eines Tages wieder sah.

 

Nachdem ich das getan hatte, öffnete ich meine rehbraunen Augen wieder. Seufzend warf ich noch einen letzten Blick in den Brunnen, in dem irgendwo meine Münze lag und entfernte mich von ihm. Langsamen Schrittes ging weiter, doch dann horchte ich im nächsten Moment auf.
Dieser betörende Klang! Was war das? Für mich hörte es sich auf Anhieb nach einer Geige an. Wie mechanisch trugen mich meine Beine zu dem Ursprung hin. Als ich ankam, hielt ich den Atem an. Ein junger Mann spielte mit geschlossenen Augen. Man konnte ihm förmlich ansehen, dass das eine große Leidenschaft von ihm war.
Anmutig bewegte er sich leicht hin und her, stets darauf bedacht, ja keinen Fehler zu machen. Um ihn herum stand eine Traube von Menschen, die ihm begeistert applaudierten, obwohl er noch gar nicht fertig war. Wer war er?
Ich begann ihn ausgiebig zu mustern. Er hatte braune Haare, die ziemlich wuschelig waren und ihm locker in das markante Gesicht fielen. Seine Haarfarbe war weder großartig dunkel noch hell,. Auf seinem Kinn befanden sich leichte Bartstoppeln, die ihn unheimlich sexy machten.
Mein Blick glitt über seine Kleidung. Die leicht abgewetzte Anzughose war schwarz und schmeichelte trotz dem schlechten Zustand seinen Körper ungemein. Dem weißen Hemd, das er oben aufgeknöpft hatte, erging es ähnlich. Die Ärmel hatte er hochgekrempelt. Seine Schuhe, die ebenfalls schwarz waren, schienen auch nicht mehr die neuesten zu sein. Von dem einst so glänzenden Lack war nicht mehr viel zu sehen.
Trotz allem musste ich zugeben, dass ihm das Outfit sehr gut stand. Ich fragte mich, was für eine Augenfarbe der Fremde hatte. Als ob er meine Gedanken erhört hätte, machte er mit einem Ruck seine Augen auf und schien mich mit ihnen förmlich zu durchbohren. Rehbraun traf auf Schokoladenbraun.

Don't Let Go

Ich musste schwer schlucken. Seine Augen komplettierten nun sein Aussehen, was mich sehr beeindruckte. Meine Güte, der war vielleicht ein Leckerbissen! Wer war er? Leider konnte ich in diesem Moment nichts anderes tun, als ihn überaus fasziniert anzustarren. Auch er schien verblüfft über mich zu sein, denn er setzte einen Takt lang mit dem Geigenspielen aus, ehe er sich wieder fing.
Unsicher beschloss ich, einen Weg durch die Menschenmasse zu finden, die mich von ihm trennte. Als ich schließlich in der ersten Reihe stand, weiteten sich meine Pupillen. Vom Nahen sah er sogar noch besser aus! Zu meiner leichten Verwunderung sah er noch immer überaus ernst aus.
Das konnte und wollte ich nicht glauben! Jeder Mann, der von mir fixiert wurde, lächelte mich an! Wusste er überhaupt, wer ich war? Das fiel mir schwer zu glauben, denn sonst hätte er mich schon längst auf einen Kaffee eingeladen. Ich war noch verwirrter als zuvor, da er zwar weiterspielte, mich aber nach wie vor ansah.
Leicht panisch drehte ich mich um, konnte aber keine besondere Person ausmachen. Meinte er nun mich oder nicht? Ich musste es herausfinden! So warf ich etwas Geld in seinen Geigenkoffer, der genau vor ihm auf den Boden lag. Nicht einmal da nahm er seinen Blick von mir. Himmel, war dieser Kerl ein Psychopath?
Obwohl mir dieser Gedanke durch den Kopf schoss, konnte und wollte ich nicht gehen. Dafür spielte er nämlich eindeutig zu schön. Ich konzentrierte mich nur auf die Geige, die so wohltuend in meinen Ohren klang, dass ich mir wünschte, er würde niemals mehr aufhören zu spielen.
Die Zeit zog sich wie Kaugummi in die Länge und ehe ich mich versah, stand ich hier schon seit ein paar Stunden an derselben Stelle. Zum Glück taten mir nicht meine Füße weh, durch das Modeln und meiner Arbeit war ich reichlich abgehärtet. Die Menschen um mich herum gingen dagegen nach ein paar Minuten weiter, doch da neue hinzukamen, konnte ich nicht sagen, ob es weniger oder mehr waren seitdem ich hier war.
Erneut sah ich mich um und erkannte, dass die Sonne schon am Untergehen war. Und als der Mann schließlich aufhörte, Geige zu spielen und sich mit einer ausgiebigen Verbeugung für das Geld bedankte, wandte ich mich zum Gehen um. Im nächsten Moment tippte mir aber jemand auf die Schulter.

 

Überrascht drehte ich mich um, erschauderte aber im nächsten Moment so sehr, dass ich prompt gegen einen ziemlich muskulösen Oberkörper stieß. Ein heiseres Lachen drang aus der Kehle meines Gegenübers. Es war tatsächlich der Violinist! „Wohin des Weges, hübsche Dame?“, fragte er mich und seine Stimme klang wie Musik in meinen Ohren.
Warum spielte er nur ein Instrument und sang nicht dazu? „Ich wollte gerade zum Meer“, antwortete ich ihm, woraufhin er noch einmal lachte. „Und da hören Sie mir stundenlang beim Spielen zu?“, entgegnete er frech, klang dabei aber immer noch sympathisch. Etwas verlegen strich ich mir eine Strähne aus meinem Gesicht und meinte: „Ja, du kannst nämlich wunderschön spielen“.
Da ich ein ziemlich offener Mensch war, hatte ich ihn sofort geduzt. Er überging das einfach und sagte: „Danke für das Kompliment, hätten Sie etwas dagegen, wenn ich Sie begleiten würde? Ich habe gerade nichts zu tun und könnte Ihnen etwas über das Geigenspielen erzählen, natürlich nur, wenn Sie wollen“. „Sehr gerne, aber bitte duze mich, wir sind doch bestimmt noch etwa zu jung, um so förmlich zu sein, oder nicht?“, ging ich auf sein Angebot ein, woraufhin er mich sichtlich erfreut ansah.
Er packte schließlich seine Sachen und dann machten wir uns auf den Weg. „Wie heißt du eigentlich?“, wollte ich von ihm wissen. „Cedric. Mein Name ist Cedric Cancellara, du kannst mich aber auch gerne Ced oder Ceddy nennen und deiner?“. Cedric war also sein Name. Er gefiel mir auf Anhieb. „Ich bin Fabrizia Da Ferro oder einfach nur Fabi“, stellte ich mich vor, woraufhin sich seine Pupillen weiteten.
Mit einem zaghaften Lächeln fragte ich ihn, ob er mich denn endlich erkannt hätte. „Wieso?“, fragte er mich, was mich etwas enttäuscht seufzen ließ. „Na ja, ich bin ein relativ bekanntes Model, mich kennt eigentlich jeder“, klärte ich ihn schließlich auf. Er sah mich anerkennend an und sagte: „Ach so … ja! Ich wusste doch, dass ich dein Gesicht irgendwo schon einmal gesehen hatte, aber ich muss dich warnen. Es ist schön und gut, dass du modelst, aber du solltest auch auf dich und deine eigenen Bedürfnisse achten. Wenn man andauernd im Rampenlicht steht, hat man kaum mehr Privatsphäre“.
Süß, er wollte mich belehren, doch das hatte ich nicht nötig. „Keine Sorge, ich mache das schon seit Jahren“, beschwichtigte ich ihn sofort und er beließ es dabei. Lieber blickte er überaus starr geradeaus, was mich etwas verunsicherte. „Ist etwas?“, fragte ich ihn, doch er antwortete mir nur, dass alles in Ordnung sei.
Schweigend gingen wir die Promenade am Meer entlang. Die Führung überließ ich vollkommen dem Mann. Ich mochte es, wenn Männer wussten, was sie zu tun hatten. Das zeugte von ganz großem Selbstbewusstsein. Genau das hatte ich nämlich auch in Cedric gesehen, als er Geige spielte.
Das war ein gutes Stichwort und so wollte ich wissen, seit wann er dieses schwierige Instrument beherrschte. Er meinte: „Schon seit meiner frühesten Kindheit. Ich habe Stunden damit verbracht, zu üben und wollte immer besser werden. Selbst heute noch ist das so“. „Wow, hört sich wirklich super an“, lobte ich ihn, doch seine Miene verdunkelte sich etwas. „Nun ja, wie man's nimmt“, erwiderte er monoton.
Anscheinend war das für ihn ein etwas schwierigeres Thema, was mich dazu veranlasste, nicht weiter darauf einzugehen. „Wohin bringst du mich eigentlich?“, fragte ich lieber und hoffte, so die Laune von Cedric verbessern zu können. Glücklicherweise funktionierte mein kleiner Plan, denn auf seinem Gesicht breitete sich ein Lächeln aus.
Während er in die Ferne blickte, meinte er nachdenklich: „Wir sind gleich da. Es ist eine kleine Bucht, da sind wir ungestört. Weit weg vom nervigen Tourismus“. Hatte er etwas vor? Skeptisch beäugte ich ihn, doch er sah mich nicht einmal von der Seite an. Nein, er sah nicht so aus, als ob er daran interessiert wäre, mir etwas anzutun, geschweige denn als ob er an mir interessiert wäre, was leicht an meinem Ego kratzte.

 

Manche Kerle würden so ziemlich alles dafür tun, um mit mir Zeit verbringen zu dürfen, aber dieser Fremde, der irgendetwas an sich hatte, was mich in seinen Bann zog, schien sich darüber gar nicht im Klaren zu sein. Im Gegenteil, mir kam es vor, als ob es ihm gleichgültig wäre. Mit geschürzten Lippen fragte ich ihn, ob er mich verschleppen wollte.
Er lachte leise, was sich unheimlich sexy anhörte, da er eh schon eine ziemlich rauchige Stimme hatte. „Nein, ich mag es nur nicht, unter vielen Menschen zu sein“, antwortete er mir noch immer leicht kichernd. „Und wieso hast du dann Violine gelernt? Vorhin waren doch auch bestimmt über fünfzig Menschen um dich herumgestanden und haben deiner Musik gelauscht“, lautete mein Kommentar zu seinen vorherigen Worten.
Ich fand es sogar berechtigt, ihn da auf den Zahn zu fühlen. Es ergab doch überhaupt keinen Sinn, sich vor anderen Leuten zu zeigen, wenn man eigentlich eher für sich sein sollte, oder? Zum Glück lieferte mir Ced sofort eine Antwort: „Beim Spielen versinke ich in eine völlig andere Welt. Da gibt es für mich nichts und niemand, der mir auf die Pelle rücken kann. Ich vergesse alle meine Sorgen und konzentriere mich nur auf das, was zählt“.
Fasziniert wie eh und je glitt mein Blick über ihn. Eine weitere Frage brannte mir auf der Seele, die ich nicht länger zurückhalten konnte. „Wo lebst du? Wenn ich mir deine Kleidung so ansehe, könnte man glatt denken, du würdest auf der Straße leben“, sprach ich meinen Gedanken laut aus, was Cedric abermals zum Lachen brachte. Nahm er mich überhaupt ernst? Manchmal bezweifelte ich das sehr, doch seine Reaktion überzeugte mich davon, dass er es sehr wohl tat.
Abwesend strich er sich über sein weißes Hemd, dann sagte er: „In einem Loft. Du musst wissen, dass ich mich – anders als du - dem Adel entsagt habe. Sicherlich wirst du dich nun fragen, warum ich dann auf der Straße spiele und mich so heruntergekommen kleide. Die Wahrheit ist, dass ich früher einmal ein bekannter Stargeiger war und ich nicht erkannt werden möchte. Den Rest kannst du dir bestimmt selber denken“.
Abrupt blieb ich stehen. „Hast du mich deswegen vor dem Rampenlicht warnen wollen?“, fragte ich unnötigerweise. Schuldbewusst nickte Cedric, dann nuschelte er etwas davon, dass er am eigenen Leib spüren musste, was der ganze Rummel um die eigene Persönlichkeit aus einem machen konnte.
Er tat mir leid. Sehr sogar. „Wie alt warst du da?“, harkte ich nach, woraufhin er antwortete: „Ich war fünfzehn, als ich meine Karriere schließlich beendete“. „Heißt das, du warst schon seitdem du ein Kind warst, Violinist?“, bohrte ich weiter nach und hoffte, dass ich dabei nicht auf Wunden herum trat. Leider schien ich das zu tun, da der Mann erstarrte.
„Mit drei Jahren hatte ich das erste Mal eine Violine in der Hand. Meine Eltern zwangen mich aber nie dazu, ich tat es, weil ich es wollte und im Nachhinein wären sie sogar ziemlich töricht gewesen, wenn sie mein Talent nicht gefördert hätten“, stand er mir dann doch Rede und Antwort.
Ich musste ein wenig über seine Worte nachdenken, da ich mir sicher war, dass irgendetwas faul an der ganzen Sache war. „Und … was haben sie dazu gesagt, dass du mit dem professionellen Spielen aufgehört hast?“, fragte ich ihn, woraufhin sich seine Haltung nur noch mehr versteifte. „Gar nichts“, stammelte er. Darauf konnte ich nur eine schüchterne Entschuldigung murmeln, was mir gar nicht ähnlich sah.

 

Rasch überlegte ich mir ein neues Thema, wobei ich gar nicht so viel nachdenken musste, da mich dieser Mann einfach nur total interessierte. „Warum hast du dich noch dem Adel entsagt? War das nur wegen dem Rampenlicht?“, fragte ich ihn. Ceddy wirkte sichtlich entspannt, ehe er mir sagte: „Nicht nur. Ich spiele auch auf der Straße, um den Menschen nahe zu bringen, sich um andere zu kümmern. Das Geld, was in meinem Geigenkoffer landet, spende ich an verschiedene Stiftungen. Es ist zwar nicht viel, aber besser als nichts und ich habe mir nie etwas aus meinem Adelstitel gemacht. Außerdem finde ich, dass Cedric Cancellara besser klingt als Cedric Del Cancellara“.
Dieser Kerl war doch echt nicht von dieser Welt! Wie konnte man nur so selbstlos sein? Das war doch heller Wahnsinn! In mir breitete sich tiefste Bewunderung für ihn aus. „Wie alt bist du eigentlich?“, stieß ich lieber hervor. „Sechsundzwanzig und du?“, stellte er mir berechtigt dieselbe Frage, nachdem er mir sein Alter verraten hatte.
„Du gehst schon langsam auf die dreißig zu“, zog ich ihn kichernd auf, was ihn zum Grinsen brachte. Dabei bildeten sich ganz süße Grübchen oberhalb seiner Mundwinkel, auf die ich unentwegt starren musste, weil sie einfach so perfekt zu ihm passten. „Ich bin mit meinen dreiundzwanzig Jahren ein junges Gemüse“, neckte ich ihn unverhohlen weiter.
Ich kicherte noch so lange vor mich hin, bis Cedric stehen blieb. Erst da realisierte ich, dass wir endlich an der Bucht angekommen waren. Sie war wunderschön, doch im nächsten Moment musste ich schwer schlucken. Dieser Ort rief in mir Erinnerungen hervor, die ich gar nicht mehr haben wollte.
Meine Begleitung merkte sofort, dass etwas ganz und gar nicht stimme. „Hey, warum bist du auf einmal den Tränen nahe? Habe ich etwas falsch gemacht? Das wollte ich nicht, tut mir leid“, redete er behutsam auf mich ein, was mich aufschluchzen ließ. Mit geradezu erstickter Stimme krächzte ich: „Claudio“. „Was für ein Claudio?“, wollte Ceddy erstaunt wissen und da wurde mir erst klar, was ich gesagt hatte. Jetzt war ich diejenige, die ihm Rede und Antwort stehen musste und nicht er.
Nachdem ich mich auf einem Felsen gesetzt hatte, sagte ich: „Claudio ist so etwas wie meine erste Liebe oder wohl die Liebe meines Leben. Vor zehn Jahren verbrachten wir hier einen Sommer. Nun ja, diese Bucht war immer unser Treffpunkt. Wir blieben Stunden hier und vergaßen alles um uns herum“. „Ich glaube, ich kenne dich“, meinte Cedric, woraufhin ich ihn mit geweiteten Pupillen anstarrte.
Er suchte nach den richtigen Worten, ehe er flüsterte: „Claudio hat mir von dir erzählt. Du hast ihm doch deine Liebe gestanden, oder nicht?“. Peinlich berührt sank ich den Blick und nickte leicht. „Er sagte mir, dass er dir versprochen hätte, dich eines Tages auf Händen zu tragen, nicht wahr?“, vergewisserte er sich, dass wir auch wirklich von der selben Person sprachen, was ich ihm mit einem weiteren Nicken bestätigte.
Schwermütig atmete Cedric ein und aus. Dann stand er auf und lief zum Meer. Als das Wasser seine Schuhe berührte, blieb er stehen. Während er in die Ferne blickte, sagte er: „Er war mein bester Freund“. Was für ein toller Zufall, vielleicht konnte er mich zu ihm führen! Ruckartig stand ich auf und gesellte mich zu ihm.
„War? Was ist denn passiert? Warum seid ihr keine besten Freunde mehr? Kannst du mich zu ihm bringen?“, bombardierte ich den Mann schon fast mit meinen Fragen, der sich daraufhin durch das Haar fuhr. „Glaube mir, ich würde nichts lieber als das tun, aber … er ist bei einem Brand ums Leben gekommen“, hauchte er mir leise zu und sah mir dabei in die Augen, die sich danach nur umso mehr mit Tränen füllten.

 

Das konnte doch wirklich nicht wahr sein! „Bitte, Cedric! Ich weiß, dass wir uns erst vor ein paar Stunden kennengelernt haben, aber ich muss mit ihm reden! Sag' mir nicht, dass das wahr ist! Bitte, ich weiß genau, dass Claudio mich auch sehen möchte!“, flehte ich ihn danach an, mich doch zu seinem besten Freund zu führen.
Ced wusste nicht, wie ihm geschah. Er schien um Fassung zu ringen, fing sich aber dann wieder und meinte leise: „Fabrizia, ich wünschte, es wäre nicht wahr, aber es ist so. Er schien zu ahnen, dass ihm jemand nach dem Leben trachtete, denn er beauftragte mich kurz vor seinem Tod damit, auf dich Acht zu geben“.
Seine Stimme klang dabei so ernst und traurig, dass ich ihm doch Glauben schenkte und mich an ihn festhielt, was mir nicht dabei half, Halt zu finden. Ich brach schließlich doch vor Cedric zusammen, der mich danach zaghaft in den Arm nahm. „Aber … woher wusste er, dass ich wegen ihm zurückkehren würde?“, fragte ich verzweifelt mit einem Blick auf das Meer.
Der Mann neben mir zuckte nur mit den Schultern und antwortete: „Das kann ich dir auch nicht sagen. Er dachte aber sehr oft an dich und wünschte sich nichts sehnlicher, als dich wiederzusehen“. Ich weinte Rotz und Wasser, während ich mein Gesicht in die Brust von Cedric vergrub, der mir manchmal über das Haar oder den Rücken strich.
Immer wieder dachte ich mir, dass das nicht wahr sein durfte. „Ich bin wirklich nur nach Italien zurückgekehrt, um ihn wiederzusehen, stattdessen muss ich von dessen Tod erfahren“, schluchzte ich untröstlich. „Das tut mir sehr leid für dich“, stand mir Ced bei, wofür ich ihn sehr dankbar war.
Vorsichtig fragte er mich, ob er das Thema wechseln durfte, um mich abzulenken. Ich schwieg lange, bis ich ihm dafür mein Okay gab. „Du kennst mehr oder weniger meinen Job, da würde ich gerne wissen, was du für einen hast“, erkundigte er sich mit bebenden Herzen. Das merkte ich daran, dass es ziemlich heftig gegen seinen Brustkorb schlug, als ich mich von ihm löste.
„Ich habe in Deutschland Bibliothekswesen bis zum Master studiert und fange bald an, in unserer Stadtbibliothek zu arbeiten“, antwortete ich ihm, während ich in meiner Handtasche, die ich die ganze Zeit dabei hatte, nach einem Taschentuch suchte. Als ich endlich eins fand, wischte ich mir damit über die Augen und hätte am liebsten im Erdboden versinken können. Meine ganze Schminke war nämlich verwischt und vermutlich sah ich nun wie ein Zombie aus.
Das schien Cedric aber nicht zu stören, im Gegenteil, er amüsierte sich über mein Verhalten und sagte: „Das hast du eigentlich überhaupt nicht nötig. Du bist auch so eine sehr hübsche Frau. Dass du noch so derartig gut gebildet bist, macht dich nur umso attraktiver“. So ein schönes Kompliment hatte ich noch nie bekommen!
Er hatte mich damit so nervös gemacht, dass ich nur ein fahriges Danke zustande brachte und wieder auf das Meer blickte.

 

Meine Gedanken überschlugen sich förmlich und drehten sich nur um Claudio. Dass er Cedric damit beauftragt hatte, auf mich aufzupassen rührte mich sehr. Ich hätte ihn gerne noch ein letztes Mal gesehen. Er konnte nicht wirklich tot sein. Seinetwegen war ich doch wieder in Italien.
Stattdessen war ich auf Ced getroffen. Meine Güte, es gab schon komische Zufälle. Nur, wie sollte es weitergehen? Ich stand geradezu vor den Trümmern meines Herzen, immerhin habe ich in all den Jahren nur an Claudio gedacht, was völlig umsonst gewesen war. „Und was soll ich nun machen?“, fragte ich aus einem plötzlichen Impuls in die Stille hinein und lauschte dem sanften Rauschen des Meeres.
Ich wusste wirklich nicht, wie es weitergehen sollte. Immerhin war Claudio trotzdem nicht vergessen und gerade weil ich eben erst von seinem Tod erfahren hatte, war ich völlig durch den Wind. „Ich wünschte, ich könnte dir irgendwie helfen. Leider kann ich dir deinen Schmerz nicht nehmen, aber wenn du möchtest, kann ich versuchen ihn zu lindern, indem ich für dich da bin“, hörte ich Cedric leise sagen.
Meine Güte, er war so ein toller Mann! Nur kannte ich ihn so gut wie gar nicht. Konnte ich ihm da vertrauen? Ich wusste es nicht, wobei er der beste Freund von Claudio gewesen war. Und auch so schien er ein sehr lieber Mensch zu sein. „Ich weiß nicht so recht“, legte ich meine Skepsis über ihn offen vor ihm dar und fuhr fort: „Ich kenne dich doch kaum und auch wenn du wahnsinnig nett bist, bin ich unsicher“.
So, jetzt war es raus. Hoffentlich war er nicht sauer auf mich. Er konnte mir wohl kaum einen Vorwurf machen. Es stimmte schließlich, dass wir uns kaum kannten. Manche Frauen wären nicht einmal mit ihm mitgegangen. „Keine Angst, ich bin kein Triebtäter oder Ähnliches. Es war auch nur ein Angebot, wenn du es ablehnst, ist es auch nicht sehr schlimm. Ich spiele eh immer an derselben Stelle Geige. Wenn du mich also aufsuchen magst, weißt du nun meine Adresse“, nickte mich Ceddy verständnisvoll an.

 

Erleichtert über seine Reaktion ließ ich mich erneut auf den Sand nieder, nachdem ich ein paar Schritte zurück gegangen war. Immerhin war es da trocken und mir tat meine Kleidung schon jetzt sehr leid. Im Moment interessierte mich das aber nicht weiter. Viel zu sehr hatte ich mich das Gespräch um Claudio mitgenommen. Dazu kam noch, dass ich seinem besten Freund – Cedric – begegnet war und dieser auf mich aufpassen sollte.
Das passte sehr zu dem Bild von Dio. Vor zehn Jahren hatte er auch stets ein Auge auf mich gehabt und sich um mich gekümmert. Nur verstand ich nicht, weshalb er meine Gefühle nie erwidert hatte. Mir war auch schleierhaft, weshalb er mir zuerst sagte, er fühle nicht dasselbe wie ich für ihn und mir aber dann bei unserem Abschied einen Kuss auf die Stirn gab.
Die Stimme von Cedric riss mich aus meinen Gedanken. „Ich schätze, ich sollte dich erst einmal alleine lassen. Du musst das sicherlich erst alles verarbeiten, wenn etwas ist, weißt du, wo du mich findest“, sagte er zu mir und wandte sich zum Gehen um. Zuerst realisierte ich gar nicht, was er tat.
Als mir schließlich klar wurde, dass er sich immer weiter von mir entfernte, verstand ich so richtig, was er gemeint hatte. Konnte und wollte ich ihn wirklich gehen lasen? Nein, ich konnte und wollte ihn nicht gehen lassen! „Warte!“, rief ich ihm hinter her, doch der Mann ging einfach nur lässig wie eh und je weiter.
Andere Männer wären schon längst stehen geblieben, schoss es mir durch den Kopf, er schien wohl so etwas wie die goldene Ausnahme zu sein. So musste ich mich also aufrichten und zu ihm rennen. „Cedric, bitte bleib' stehen“, bat ich ihn, als ich bei ihm angekommen war und hielt ihn an der Schulter fest.
Widerstandslos blieb er stehen und drehte sich zu mir um. „Heißt das, du änderst deine Meinung oder wie soll ich deine kleine Aktion sonst verstehen?“, fragte er mich und sah mir erwartungsvoll in die Augen. „Wenn Claudio wirklich gewollt hat, dass du auf mich Acht gibst, dann soll es so sein. Ich möchte ihm seinen letzten Willen erfüllen“, bejahte ich seine Frage vorsichtig.
Auf seinem Gesicht breitete sich daraufhin ein Lächeln aus, was mich abermals aus der Fassung brachte. Flirtete er nun etwa doch mit mir? Plötzlich spürte ich seine Hand auf meinen Kopf. Während er mir über das Haar strich, sagte er: „Das freut mich sehr. Wollen wir Nummern austauschen, damit du mich nicht immer beim Geigenspielen aufsuchen musst?“.
Überrumpelt von seiner Frage ging ich einen Schritt zurück, wobei ich dann doch wieder einen auf ihn zumachte. „Ähm, ja“, antwortete ich und kramte mein Handy aus meiner Handtasche. Nachdem wir die Handynummer vom jeweils anderen hatten, blickten wir uns sichtlich zufrieden an.
„Es ist schon spät, ich würde vorschlagen, wir gehen nach Hause“, übernahm Cedric wieder das Kommando, was mir ganz gelegen kam. Es war schon zwanzig Uhr durch und eigentlich wollte ich noch meine Villa weiter einräumen. Zum Glück musste ich das nicht so schnell machen, so konnte ich mir mal erlauben, etwas weniger zu machen.
Schweigend gingen der Mann und ich die Promenade entlang. Er sagte erst wieder etwas, als wir uns in der Nähe seines Loftes befanden. „Ich muss nun in eine andere Richtung. Hat mich sehr gefreut, Fabrizia“, verabschiedete er sich von mir, was mich etwas traurig stimmte. Ich mochte ihn nämlich schon jetzt ziemlich sehr und das lag sicherlich nicht nur an seinem guten Aussehen.
„Meldest du dich bei mir?“, fragte ich ihn gespannt, da ich Angst hatte, dass er es sonst nicht tun würde. Wieder lächelte er und antwortete mir: „Natürlich. Ich denke, ich werde es in den nächsten Tagen machen“. „Danke“, meinte ich noch und dann trennten sich unsere Wege vorerst.

Won't Go Quietly

 Als ich in meiner Villa ankam, übermannte mich der Schwermut. Mein geliebter Claudio war tot! Weg von dieser Welt. Für immer. Da hätte ich auch in Deutschland bleiben können, wobei ich dann vermutlich Cedric nie über dem Weg gelaufen wäre. Dieser Mann war wirklich sehr faszinierend und das obwohl ich so gut wie gar nichts über ihn wusste.
Mir fiel nach einiger Zeit ein, dass ich das ganz schnell und und kompliziert über das Internet herausfinden könnte. Immerhin hatte er erwähnt, dass er einmal Geiger gewesen war und das nicht gerade vor kleinem Publikum. Kaum hatte ich das getan, sah ich viele Bilder von ihm als Kind, aber auch als Jugendlicher, was mir beinahe die Sprache verschlug.
Genau so hatte ich nämlich Dio in Erinnerung! Das konnte doch kein Zufall sein, oder etwa doch? Ich beschloss kurzerhand auch auf Wikipedia nach ihm zu suchen. Binnen weniger Minuten las ich einen Artikel über ihn, stockte aber beim letzten Teil. Dort stand nämlich, dass er bei einem Brand auf seinem Elternhaus alles verloren hatte. Drei Personen kamen dabei zu Tode. Welche es waren wurde leider nicht erwähnt.
Für mich war es aber klar. Claudio war nicht sein bester Freund gewesen, sondern sein Bruder! Bestimmt sein Zwillingsbruder. Anders konnte ich mir diese verblüffende Ähnlichkeit nicht erklären. Die anderen beiden Personen, die bei dem Brand ums Leben gekommen waren, waren bestimmt die Eltern der Brüder gewesen. Was für eine traurige Geschichte. Ganz zum Schluss las ich etwas davon, dass man die genaueren Umstände nicht klären konnte.
Ich wusste genau, wenn Dio noch leben würde und wir uns über dem Weg gelaufen wären, hätte er sich mir gegenüber sofort zu erkennen gegeben. Vielleicht sollte ich Cedric noch einmal auf ihn ansprechen. Auf der anderen Seite fragte ich mich, ob das nicht vielleicht etwas taktlos wäre. Immerhin kannte ich Ced überhaupt nicht und wer wusste schon, ob er sich auch wirklich bei mir melden würde.
Kaum war ich wieder in Italien, befand ich mich in einer ziemlich verzwickten Lage. In mir schreite alles danach, den Geigenspieler über meine große Liebe auszufragen, doch waren mir die Hände gebunden. Sicherlich sprach Cedric nicht gerne über den Tod seiner Familie, wenn überhaupt.
Also musste ich noch etwas warten. In der Zeit konnte ich sein Vertrauen erhaschen, wobei ich das nicht nur aus Eigennutz wollte. Dieser Mann war nämlich wirklich sehr faszinierend. Mich interessierte seine Geschichte, die ihm zu dem gemacht hatte, was er nun war. Und das obwohl ich gar nicht wusste, wie facettenreich er war.
Eigentlich wollte ich noch mehr über diesen sonderbaren Geigenspieler lesen, doch fand ich keinen weiteren Artikel über ihn. Wie seltsam, schoss es mir durch den Kopf. Wenn Cedric wirklich ein bekannter Violinist war, dann müsste man doch viel mehr über ihn finden, oder etwa nicht? Bei mir war es schließlich genauso. Rasch machte ich einen Test und sah in sekundenschnelle x-beliebige Artikel über mich.

Mein Blick glitt zu meinem Handy. Keine neuen Nachrichten. Vermutlich hatte ich Recht und Cedric würde sich wirklich nicht bei mir melden. Oder meine Ungeduld kam gerade gehörig mit mir durch. Das wird es wohl eher sein. Außerdem war ich erst seit einer viertel Stunde wieder in meiner Villa.
Ich hatte so oder so zu tun und da wäre es äußerst unvorteilhaft, wenn ich dabei jemanden Nachrichten schrieb. Auf jeden Fall würde nicht ich es sein, die sich meldete, sondern der Mann. In der Hinsicht war ich nämlich etwas altmodisch und außerdem würde ich niemanden hinterher rennen. Nein, es war eher andersherum und daran würde sich auch nichts ändern.
Da meine Gedanken immer gehässiger wurden, beschloss ich, diese beiseite zu schieben. Lieber räumte ich doch noch das ein oder andere aus und das obwohl ich ziemlich müde war. Als ich später erschöpft in meinem Bett lag, dachte ich über meinen ersten Tag in Florenz nach.
Dafür, dass ich hier noch nicht einmal vierundzwanzig Stunden war, war schon viel passiert. Zu viel für meinen Geschmack. Eigentlich wollte ich alles entspannt angehen, doch wegen Cedric konnte ich das vergessen. Wieso musste ich auch diesem verdammt attraktiven Kerl begegnen?
Vielleicht war es auch besser so, denn sonst wüsste ich nicht, dass meine Suche nach Claudio vergebens war. Dann hätte ich nämlich meine Zeit damit verschwendet, nach einem Toten zu suchen. Anderseits erschlug mich fast die traurige Gewissheit, dass ich die Liebe meines Lebens nie wieder zu Gesicht bekommen würde.
Im Gegenzug hatte ich wohl Ced, der auf der einen Seite offen war, aber auf der anderen Seite ein Mysterium war. Nur wusste ich nicht, ob er wirklich eine Stütze für mich war. Ich schätzte eher nicht, denn sonst wäre ich wohl kaum so unfassbar stark ergriffen von ihm. Wahrscheinlich war das nur eine Phase, zumindest hoffte ich das. Es war schon verrückt genug, dass ich unbedingt auf eine Nachricht von ihm hoffte.
Für heute blieb mein Handy leider Gottes stumm, was mich noch trauriger stimmte. Zumal mich eine Tränenflut erneut übermannte. Mit Tränen, die mir über das ganze Gesicht liefen, schlief ich schließlich ein. In einem traumlosen, aber dafür umso unruhigeren Schlaf.

Der darauffolgende Morgen verlief nicht besser. Müde öffnete ich meine Augen und stellte erschrocken fest, dass an meinem Gesicht noch immer Tränen hafteten. Immerhin hatte ich etwas geschlafen, was für mich nur ein schwacher Trost war, wenn überhaupt. Außerdem war es gerade einmal sieben Uhr morgens.
Normalerweise schlief ich an meinen freien Tagen bis um zehn Uhr. Das war nicht zu spät, aber auch nicht zu früh. Also genau richtig. Perfekt. Hoffnungsvoll sah ich auf mein Handy, was ich auch schon getan hatte, bevor ich mich mehr oder weniger in den Schlaf geweint hatte.
Wieder konnte ich nichts Neues darauf finden, was mich traurig stimmte. Vermutlich hatte mich Cedric wirklich so schnell vergessen. Dabei dachte ich, dass mir alle Männer zu Füßen lagen. Das schloss auch ihn mit ein. Sollte ich ihn vielleicht doch anrufen? Bestürzt schüttelte ich den Kopf.
Meine Güte, ich benahm mich gerade wirklich dämlich! Die Uhr zeigte nicht einmal halb acht an und ich wollte Ced schon anrufen. Bestimmt schlief er eh noch und da wollte ich ihn ganz bestimmt nicht stören. Nur hatte ich leider sonst niemanden, mit dem ich so richtig über Claudio reden konnte.
Wenn ich so genauer darüber nachdachte, machte ich mich ziemlich abhängig von Cedric, da er meine einzige Verbindung zu Dio war. Es war sogar eindeutig. Niemand konnte den Menschen, den man seit Jahren liebte, rasch vergessen. Bei mir war das nicht anders. Ich war also so gut wie geliefert.
Hoffentlich würde das Ced nicht irgendwann ausnutzen. Das würde alles nur noch schlimmer machen. Bis jetzt schien er mir aber eher selbstlos zu sein. Jedoch kannte ich noch nicht sein wahres Gesicht. Wie denn auch, wenn wir uns gestern zum ersten Mal gesehen hatten?
Es dauerte Jahre, bis man sagen konnte, dass man die Facetten von einem Menschen kannte. Vermutlich würden sich die Wege von Cedric und mir bis dahin schon längst getrennt haben. Bei diesem Gedanken fühlte ich mich noch unwohler als ohnehin schon. Nein, das wollte ich nicht. Zumindest jetzt nicht. Ich brauchte ihn gerade sehr und daran würde sich so schnell auch nichts ändern.

Genug nachgedacht, sagte ich mir im Gedanken, es wird Zeit, dass ich endlich mal etwas anderes tue. Da kam es mir sehr gelegen, dass ich noch viele Kisten hatte, die nur darauf warteten, von mir ausgeräumt zu werden. Ich verbrachte damit den ganzen Vormittag und gönnte mir nur durch das Mittagessen eine Pause.
Während ich lustlos in meinen Nudeln herumstocherte, wurde mir schmerzlich bewusst, wie einsam ich eigentlich war. Ich hatte so gut wie niemanden an meiner Seite. Sicher, meine Eltern waren immer für mich da, doch auch sie konnten mir keinen Freund oder Freunde ersetzen.
Letzteres war ein gutes Stichwort. Ich schämte mich dafür, dass ich mich nicht von Giulia verabschiedet hatte, doch ich konnte es einfach nicht. Wenn ich so darüber nachdachte, war ich nämlich tierisch neidisch auf ihr Liebesglück. Ja, sie war glücklich mit Jakob. Sehr sogar, wie ich hin und wieder in den Nachrichten hörte.
Scheinbar meinte es dieser Kerl wirklich ernst mit ihr. War auch besser so, denn würde er ihr auch nur ein Haar krümmen, so würde ich ihn höchstpersönlich in die Hölle schicken. Das hatte ich ihm geschworen, als ich ihn im Fernsehen gesehen hatte. Meine arme beste Freundin war nämlich schon gebrochen genug, da brauchte sie keinen Menschen an ihrer Seite, der sie noch mehr in den Abgrund trieb.
Seufzend stellte ich meinen halbvollen Teller in den Kühlschrank und wusch sofort das Geschirr ab. Ich hatte heute sowieso nichts zu tun und daran würde sich wohl auch nichts ändern. Da konnte ich es nur umso mehr kaum erwarten, bis ich endlich in der Florentiner Stadtbibliothek arbeiten würde.
Leider dauerte das noch seine Zeit. Mein Vertrag fing nämlich offiziell erst in zwei Monaten an. So hatte ich keinen Druck, um mich hier einzuleben, doch würde es bestimmt auch das ein oder andere Mal langweilig werden.

Ein paar Stunden vergingen – ich war eben erst damit fertig geworden, das Wohnzimmer herzurichten, als ich mein Handy klingeln hörte oder besser gesagt dessen Klingelton, wenn mich jemand anrief. Es war der Refrain von dem Lied Wake Me Up, welches von Avicii und Aloe Blacc komponiert wurde. Da ich noch voll im Arbeitsmodus war, dachte ich erst gar nicht daran, dass es Cedric war, der mich sprechen wollte.
Erst als ich auf den Display blickte und seinen Namen sah, registrierte ich, dass ich endlich meinen langersehnten Anruf bekam. Schnell hob ich ab, damit ich seine wohlige Stimme hören konnte. „Hey Ced“, begrüßte ich ihn erfreut, woraufhin er locker sagte: „Hallo Fabrizia. Ich wollte dich fragen, ob du nicht Lust hast, heute Abend mit mir auf eine Party zu gehen“.
Meine Güte, wie er gleich zur Sache ging! Wenn er das immer tat, würde er mich schneller verrückt machen, als ich dachte. Bislang war das nämlich noch keinem Mann gelungen. „Klar, wann soll es losgehen und wo soll ich hin?“, ging ich auf sein Angebot ein. Ceddy antwortete mir: „Super. Ich würde sagen, du kommst um einundzwanzig Uhr an den Strand. Es ist nämlich eine Strandparty. Du dürftest die Party nicht verfehlen“.
Eine Erkenntnis schoss mir durch den Kopf und ehe ich weiter darüber nachdenken konnte, meinte ich: „Ich glaube, ich weiß welche Veranstaltung du meinst. Bestimmt die alljährliche Summer Party. Ich habe davon nämlich schon zig Plakate gesehen“. „Ja genau die meine ich! Gut, dass du gleich Bescheid weißt. Ich würde vorschlagen, dass wir uns an der Bar treffen“, freute sich Ced deutlich darüber, dass ich nicht von einem anderen Stern kam.
Danach beendeten wir das Telefonat. Kaum hatte ich aufgelegt, machte ich Luftsprünge. Ich würde ihn wirklich wieder sehen und das schon heute! Wahnsinn, dachte ich, anscheinend habe ich doch mehr Eindruck bei ihm hinterlassen, als ich dachte. Sofort sauste ich zu meinem Schlafzimmer, um mir ein geeignetes Outfit zusammenzustellen.
Das stellte sich relativ einfach heraus und das obwohl ich eine Vielzahl an Klamotten besaß. Ich entschied mich für ein locker anliegendes schwarzes Top, welches einen tiefen Ausschnitt besaß, aber auch nicht zu viel von mir zeigte. Dazu würde ich einen Rock mit Spitze in derselben Farbe wie mein Oberteil anziehen. Meine neuen, eher unauffälligen schwarzen High Heels komplettierten mein Outfit.

Die Stunden vergingen und so gönnte ich mir um achtzehn Uhr ein ausgiebiges Schaumbad. Ich könnte ewig in meiner großen Badewanne, in der locker drei Personen Platz hätten, liegen. Wenn ich so darüber nachdachte, war es das erste Mal, seitdem ich von dem Tod von Claudio erfahren hatte, dass ich mich richtig entspannen konnte
Schnell verdrängte ich jedoch die aufkommenden Gedanken um Dio, indem ich aus der Wanne stieg und mich eincremte. Schon bald roch ich nach Kirschen, woraufhin ich ungeheure Lust bekam, welche zu essen. Mit einem Schmunzeln schüttelte ich den Kopf und begann mir die Haare zu föhnen. Sonst würde meine lange Mähne ewig brauchen, um zu trocknen. Außerdem musste ich mich auch noch schminken.
Das war ein gutes Stichwort. Meine Gedanken gingen zu Giulia, die mir immer wieder sagte, dass ich keine Schminke bräuchte. Ich fand mich zwar auch ohne all dem Make Up schön, doch hatte ich Angst, dass man mir so hinter meiner selbstbewussten Fassade blicken konnte. Nicht alles im Leben war einfach.
Als Model schlüpfte man nun mal in so gut wie jede Rolle, da hatte das wahre Ich keinen Platz. Zumal ich mich selbst in meiner nervenaufreibenden Suche nach Claudio verloren hatte.
Mein Blick schweifte daraufhin demonstrativ durch mein Bad, da ich dringend Ablenkung benötigte. Ich sah ein paar Spangen herumliegen und so beschloss ich, mir eine komplizierte Hochsteckfrisur zu machen. Zuvor aber stylte ich meine Mähne, indem ich mir Locken und Wellen verpasste. Als ich endlich fertig damit war, bewunderte ich mein Werk. Ja, ich sah wirklich verdammt gut aus!
Um halb neun machte ich mich schließlich auf dem Weg zum Strand, da ich es kaum erwarten konnte, Cedric wieder zu begegnen.

Als ich an dem Strand ankam, war die Party schon im vollen Gange. Hoffentlich bekam ich Ced bei der Menge zu Gesicht! Wie abgemacht setzte ich mich auf einen der freien Hocker, die sich direkt an der Bar befanden. Die Menschenmasse zog es wohl lieber vor, zu tanzen, anstatt es sich gemütlich zu machen.
Ich sah mich um und erkannte, dass es auch sehr viele Handtücher und Liegen gab, auf die man es sich bequem machen konnte. Diesen waren auch sehr beliebt, da alle Plätze bereits belegt waren. Mir konnte es recht sein, denn so hatte ich meine Ruhe. Zumindest dachte ich das.
Kaum hatte ich zwei Cocktails für Ced und mich bestellt, wurde ich nämlich schon von hinten angetippt. Ich hatte natürlich mit ihm gerechnet und so sagte ich, während ich mich umdrehte: „Hi, ich habe uns gerade einen Piña Colada bestellt. Ich hoffe, du-“. Ich brach schließlich ab, als ich einen unbekannten Mann ausmachen konnte, der direkt hinter mir stand.
Fragend sah ich ihn an und war gespannt, was er zu sagen hatte. „Was macht so eine hübsche Lady alleine auf einer Strandparty?“, fragte er mich. Jetzt musste ich taktieren. Ich klimperte mit den Wimpern und antwortete: „Meine Begleitung dürfte gleich zurück sein. Was kann ich für Sie tun?“.
Seine Miene erhellte sich, da ich somit zugegeben hatte, noch alleine hier zu sein. Die Bedienung – eine junge Frau, die mich voller Bewunderung ansah – stellte mir meine Cocktails hin. Sie wollte, dass ich sofort bezahlte. Mein Blick glitt zu dem Fremden, dem ich einen Platz neben mir anbot.
Gerade als er sich hinsetzen wollte, meinte ich: „Du wirst mir doch bestimmt die Drinks spendieren, wenn du mit mir reden willst, oder?“. „Ja, klar“, stammelte er und bezahlte für mich tatsächlich die Cocktails. „Danke“, sagte ich und schenkte ihm ein falsches Lächeln. Ach ja, Männer waren doch so manipulierbar!
Plötzlich sah ich Cedric. Dieser sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. Anscheinend hatte er mich schon eine Weile beobachtet, denn er sah nicht sehr begeistert aus, als er sich neben mich stellte. „Hey“, begrüßte ich ihn lässig. Den Mann neben mir beachtete ich gar nicht mehr. Dieser suchte auch schnell das Weite.
Sofort hatte Ced seinen Platz übernommen. „Was war das denn?“, wollte er sofort wissen, woraufhin ich ihm antwortete: „Ich habe uns schon einen Cocktail bestellt. Magst du?“. Dabei stellte ich das Glas genau vor ihm hin. „ Piña Colada?“, fragte er und schnüffelte daran, was ich etwas seltsam fand, bejahte ihm aber trotzdem seine Frage.
Ceddy schien auf einmal fieberhaft zu überlegen, fing sich aber dann wieder und meinte: „Danke, das ist nett von dir“. Seltsamerweise griff er nicht nach dem Glas, sondern in seine Sakkotasche. Daraus nahm er einen Blister für Tabletten, in dem noch vier Stück waren, die anderen sechs hatte er schon zuvor zu sich genommen, da in den Fächern keine Tabletten mehr vorhanden waren.
Interessiert sah ich ihm dabei zu, wie er eine Tablette überaus geschickt mit dem Finger heraus drückte. Zu guter Letzt landete sie in seinem Mund, wo er diese mit dem Piña Colada herunterspülte. „Was war das denn?“, fragte ich ihn, doch er meinte nur barsch: „Tabletten. Hast du doch gesehen“. „Ja klar, aber was für welche und jeder weiß doch, dass man Medizin nie mit Alkohol einnehmen sollte“, meinte ich altklug.

Cedric zuckte aber nur mit den Schultern und prostete mir zu. Ich beließ es dabei, da ich merkte, dass ihm das Thema nicht taugte. „Übrigens siehst du verdammt toll aus“, hörte ich ihn mit offensichtlichen Blicken auf meinen Körper sagen. „Danke“, meinte ich leicht verlegen, da es mich stolz machte, ausgerechnet von ihm ein Kompliment zu bekommen. Ced ließ aber nicht locker und hauchte: „Eigentlich solltest du für die Masse hier verboten gehören. Jeder starrt dich an“.
Okay, das war jetzt übertrieben. Wobei ich zugeben musste, dass mich doch sehr viele Leute ansahen. Die Männer warfen mir lüsterne Blicke zu, während die Frauen mich am liebsten mit ihren Augen erdolchen würden. Wie primitiv! Ich störte mich nicht weiter daran, zumal mich Ced zum Tanz aufforderte, den ich natürlich annahm.
So konnte ich ihn endlich mustern. Er hatte sich nicht großartig aufgestylt, um genau zu sein überhaupt nicht. Ich fand es schade, denn es hatte mich nämlich brennend interessiert, wie er aussah, wenn er etwas aus seinem ohnehin schon wahnsinnig guten Aussehen gemacht hätte. Das musste ich nun so hinnehmen.
Mich erstaunte aber in Anbetracht dieser Tatsache, dass er ein Sakko trug. Dieses war mir nämlich erst jetzt so richtig aufgefallen, obwohl er zuvor daraus seine Tabletten genommen hatte. Es sah ziemlich teuer und neu aus. Umso mehr verstand ich nicht, weshalb er es achtlos neben sich auf den Sandboden schmiss. Dann fingen wir auch schon an zu tanzen. Dafür, dass er unangemessene Kleidung trug, tanzte er verdammt gut. Immer wieder warf er mir geradezu verführerische Blicke zu, die ich nicht zu deuten wusste. Warum tat er das?
„Du solltest aufpassen, meine Schöne!“, hörte ich plötzlich jemanden sagen und fand mich in zwei Armen wieder, bevor ich fallen konnte. „Netter Tanga“, kommentierte Cedric mit einem anzüglichen Grinsen. Erst da wurde mir klar, dass mein Rock ziemlich weit nach oben gerutscht war und ich mich in den Armen eines Fremden befand.
Sofort befreite ich mich daraus, stammelte ein wirres Danke und begab mich zu Ced, dem ich erst mal eine leichte Ohrfeige gab. Dann sagte ich lachend: „Man sieht einer Frau nicht unter den Rock“. Dieser lachte ebenfalls und rieb sich gespielt dramatisch über die Wange. „Selber Schuld, wenn du mir so eine grandiose Vorlage gibst“, prustete er ungehalten, was mich dazu veranlasste, ihm noch einen Schlag auf den Hinterkopf zu geben.
Als wir uns wieder gesammelt hatten, blitzten seine Augen gefährlich auf. Hatte ich etwas falsch gemacht? „Genug getanzt, lasse uns wieder an die Bar gehen. Da können wir uns noch mehr kennenlernen“, schlug mir Cedric lieber vor, wofür ich ihm sehr dankbar war. Noch mehr eisiges Schweigen hätte ich nämlich nicht ertragen können.

Glücklicherweise lockerte sich die Stimmung aber wieder. Unsere Plätze waren genau so, wie wir sie verlassen hatten. Mit raschen Zügen leerte ich mein Glas, da ich wirklich Durst hatte. Danach fixierte ich einen jungen Mann neben mir, der mich unentwegt anstarrte. Ich sprach ihn an und fragte ihn unverblümt, ob er denn Lust hätte, mir einen Drink auszugeben. Er hatte nichts dagegen. Natürlich.
Keine fünf Minuten später hatte ich einen Sweet Ladykiller vor mir stehen. Ich bedankte mich mit einem zarte Kuss auf dessen Wange, was ihn rot werden ließ und drehte mich wieder zu Cedric um, der mich argwöhnisch betrachtete. Sieh an, ich kann alles! „Schmeckts?“, fragte er mich, woraufhin ich antwortete: „Oh ja“. Daraufhin sagte er nichts mehr, sondern bestellte sich ein Wasser, was ich ziemlich merkwürdig fand.
Wer trank schon nonalkoholische Getränke, wenn man auf einer Party war? Das ergab für mich keinen Sinn. Der Mann allgemein schien ziemlich undurchsichtig zu sein. Erst nahm er eine Tablette, die er mit Alkohol in seinen Magen beförderte und nun hatte er etwas gänzlich anderes vor sich stehen.
Da kam in mir die Frage auf, ob er tablettensüchtig war. „Hatten wir das Thema nicht vorhin schon?“, wollte Ced auf einmal genervt von mir wissen. Wie...? Oh, anscheinend hatte ich meine Frage laut ausgesprochen. Na super, jetzt wusste er, dass ich mir darum Gedanken machte! „Ich möchte nur sicherstellen, dass ich nichts mit Junkies zu tun habe“, versuchte ich ihn aus der Reserve zu locken.
Mein Plan schien zu funktionieren, denn Cedric sah mich mit geweiteten Pupillen an. Wider Erwarten meinte er jedoch locker: „Da musst du mich schon genauer kennenlernen, wenn du das unbedingt herausfinden willst. Ich werde es dir aber nicht so leicht machen, wie die anderen Männer“. Als er das gesagt hatte, hatte er die ganze Zeit auf mein fast leeres Glas gestarrt, das ich nun austrank.
Fieberhaft überlegte ich, was er damit meinte, obwohl ich die Antwort kannte. Ich wollte es aber nicht wahrhaben. Immerhin kam ich immer leicht an Männer heran. Da würde es bei ihm nicht anders sein. „Hättest du nicht auch Lust, mir einen Drink auszugeben?“, fragte ich ihn ohne jegliches Schamgefühl und sah ihm dabei genau in die Augen.
Diese blitzten erneut gefährlich auf, ehe er mit den Kopf schüttelte und sich einen großen Schluck von seinem Wasser gönnte. Dann meinte er: „Was hast du gesagt?“. Ich wiederholte meine vorherigen Worte, was ihn seufzen ließ. „Bestellst du mir nun etwas? Ich hätte gerne einen Swimming Pool“, überging ich einfach sein Verhalten.

Er lehnte sich zurück, machte es vorhin so wie ich bei ihm und sah mir genau in die Augen. Dann antwortete er: „Nein“. Mit großen Augen starrte ich ihn an. Hatte er es gerade wirklich abgelehnt, mir etwas auszugeben? „Wie?“, fragte ich trotzdem noch einmal nach, was ihn leise lachen ließ. Dann sagte Ced: „Du hast mich schon verstanden. Warum sollte ich dir einen Drink bezahlen, wenn du schon selbst genug Geld dafür hast?“.
Mit so einer Reaktion hatte ich nicht gerechnet. Da blieb mir schon fast die Spucke weg. Er schien eine harte Nuss zu sein, die ich knacken musste. Würde mir auch gelingen. Egal ob früher oder später. Ich bekam immer das, was ich wollte und daran würde sich auch nichts ändern.
Daher meinte ich: „Gentlemen machen so etwas eben“. „Merke dir eins, meine Liebe: Es kommt nicht darauf an, ob man einer Frau etwas ausgibt, sondern wie man mit ihr umgeht. Wie man sie gefühlsmäßig behandelt. Stelle dir mal vor, ich würde dir einen Drink nach den anderen ausgeben, würde das aber bei anderen Frauen genauso tun, was wäre dann?“, forderte er mich mit erhobenem Haupt heraus.
Ich schürzte meine Lippen und lehnte meinen Kopf gegen meine rechte Hand. Mein Ellbogen lag auf den Tresen. Was wollte er von mir nun hören? Die Wahrheit. Trotzdem klimperte ich mit meinen Wimpern und sagte ruhig: „Nun ja, mir ist es egal, ob du anderen Weibern etwas ausgibst. Immerhin bist du mit mir hier und darauf kommt es doch an“. Um meinen Worten Nachdruck zu verleihen, legte ich mein rechten Bein auf mein linkes und gewährte ihm so einen überaus guten Ausblick auf meine Oberschenkel.
Das schien Cedric aber nicht im Geringsten zu interessieren, sein Blick lag nach wie vor auf meinen Augen. „Falls es dir missfallen sollte, waren deine Worte ein glattes Paradoxon. Es stimmt, dass ich mit dir hier bin, doch da wäre es doch wirklich mies von mir, wenn ich anderen Frauen etwas ausgeben würde oder nicht?“, belehrte er mich altklug. Innerlich musste ich leider zugeben, dass er verdammt recht hatte.
Mit knirschen Zähnen bestellte ich mir schließlich einen Swimming Pool bei der weiblichen Bedienung, die nichts Besseres zu tun hatte, als Ced schmachtende Blicke zuzuwerfen. „Ich bin mit ihm hier und nicht Sie! Tun Sie gefälligst Ihre Arbeit, anstatt Gäste so offensichtlich anzugaffen und bringen Sie mir einen Swimming Pool, aber pronto!“, wies ich die junge Blondine sofort in die Schranken.
Eingeschüchtert wie eh und je machte sie sich ans Werk und kaum eine Minute später hatte ich meinen Cocktail vor mir stehen. Mit deutlich geröteten Wangen entschuldigte sie sich bei mir, doch ich beachtete sie gar nicht mehr. Lieber widmete ich mich wieder den Leckerbissen namens Cedric, der mich missbilligend ansah.
Was hatte er denn? Wie auf Kommando, fragte er mich, ob ich denn immer so wäre. „Wie bin ich denn?“, wollte ich von ihn mit einem überlegenen Grinsen auf den Lippen wissen, da ich mir denken konnte, was er nun im Folgenden sagen würde. „Du bist ziemlich … wie soll ich sagen … arrogant? Arrogant, aber auch nett. Eine komische Mischung, wenn du mich fragst“.
Meine Kinnlade fiel kilometertief. War das sein Ernst? Kaum einer traute sich, so offen mit mir zu reden wie er. Zumal wir uns noch gar nicht lange kannten. Cedric war wohl so ein Mensch, der genau das sagte, was er dachte. Das gefiel mir. Er gefiel mir. „Tja, so bin ich eben“, meinte ich nur und probierte von meinem Cocktail, den ich bis jetzt noch gar nicht angerührt hatte. Glück für die graue Maus am Tresen, dass er mir schmeckte, sonst würde sie wohl weinend das Weite suchen.

Der Abend zog sich nur so in die Länge und so erfuhr ich einiges über Ced. Beispielsweise, dass er es liebte, Strandspaziergänge zu machen, womit wir auch schon eine Gemeinsamkeit hatten. Dann erzählte er mir, dass er gerne Lieder schrieb und komponierte, was mich nicht sonderlich überraschte, da er Geige spielte. Dafür war ich umso erstaunter, als ich erfuhr, dass er in seinem Garten Sonnenblumen züchtete.
Vermutlich hatte er das von Claudio, denn ich erinnerte mich nur zu gut daran, dass dieser mir zum Abschied eine Blüte ins Haar gesteckt hatte. Ehrlich gesagt habe ich jene Blume in ein dickes Buch gesteckt, um sie zu trocknen und sie so zu behalten. Glücklicherweise war mir das gelungen.
Unüberlegt wie eh und je meinte ich: „Weißt du, Claudio hatte mir an unserem Abschied eine Blume ins Haar gesteckt“. Überrascht sah er mich an. Vorsichtig fragte er: „Lass mich raten, es war eine Blüte von einer Sonnenblume?“. „Er hat dir scheinbar sehr viel erzählt“, zählte ich eins und eins zusammen, woraufhin Cedric mit einem hinreißenden Lächeln auf den Lippen sagte: „Wir waren beste Freunde, das darfst du nicht vergessen. Ihm zu Ehren habe ich angefangen, jene Blume zu züchten“.
Hatte ich es also gewusst! Oder besser gesagt es mir denken können. „Eines Tages werde ich dir meinen Garten zeigen“, fuhr er nachdenklich fort. „Wozu?“, wollte ich verwundert wissen. Der Mann fuhr sich durch die Haare, ehe er antwortete: „Weil mein bester Freund und ich es uns einst versprachen. Seine Eltern selbst hatten nämlich ebenfalls einen Garten voller Sonnenblumen. Wir verbrachten dort oft schöne Momente und sei es nur, um uns zu verstecken. Das hat uns geprägt“.
Schwermütig von seinen Worten legte ich eine Hand auf seine Schulter. Dann murmelte ich leise in sein Ohr: „Du scheinst ihn auch sehr zu vermissen, nicht wahr?“. Daraufhin tat Ced etwas, was mich wirklich erstaunte. Er nahm meine Hand und lehnte sich daran. Mit einem leichten Nicken meinte er: „Natürlich. Das Leben ist eben nicht einfach. Das war es noch nie, schon gar nicht meins und so wird es auch immer sein“.
Seine Worte stimmten mich abermals nachdenklich, zumal sich einige Erinnerungen schmerzlich in meinem Gedächtnis einbrannten. Außerdem hatte er mich nie seinen Eltern vorgestellt, was ich unheimlich schade fand. Gerne hätte ich Ced gefragt,was es mit den Eltern von Claudio auf sich hatte, doch mir war klar, dass jetzt ein gänzlich falscher Zeitpunkt dafür war.

Da ich überhaupt nicht wusste, wie ich mit dieser Situation umzugehen hatte, schwieg ich beharrlich. Jedoch löste ich mich trotzdem langsam von Cedric, der das gar nicht realisierte. Zumindest kam es mir so vor.
Fieberhaft überlegte ich, wie ich aus dieser doch unangenehmen Lage befreien konnte. „Ich denke, es wäre besser, wenn ich nun gehe. Bringst du mich bitte heim?“, fragte ich schneller, ehe mir klar wurde, was ich da eben von mir gegeben hatte. Hoffentlich dachte er nicht, dass ich mich wie eine Prinzessin fühlte, der man jeden Wunsch erfüllen musste!
Überrascht sah er mich an. „Wieso?“, fragte mich Cedric. Stammelnd antwortete ich: „Mir ist nicht mehr zum Feiern zumute, entschuldige“. War er zuerst noch überrascht, so war er jetzt traurig. Das konnte ich deutlich in seinen Augen, die mich zuvor wie flüssige Schokolade angestrahlt hatten, sehen.
Jetzt waren sie glanzlos, geradezu leer. Mich interessierte es zwar brennend, was in ihm vorging, doch wollte ich den Abend nicht noch mehr kaputt machen, als es ohnehin schon der Fall war. „Verständlich, aber du hälst mich jetzt nicht für einen Vollidioten?“, wollte er von mir wissen, was mir ein Lachen entlockte. Dann meinte ich: „Wenn, dann solltest du mich wohl dafür halten oder besser gesagt für ein arrogantes Miststück, was ich auch bin“.
Cedric hielt inne, als er ob er nicht glauben konnte, was ich da eben gesagt hatte. „Denkst du das wirklich? Wenn es so ist, warum änderst du es dann nicht?“, harkte er perplex nach. „Ich habe keinen Grund dazu. Ich bin glücklich mit meinem Leben. Sehr sogar“, gab ich betont lässig zurück, was auch stimmte.
Abermals überraschte ich den Mann mit meinen Worten, denn er rang mit sich. Das sah man ihm auf einige Meter Entfernung an. Dazu musste man ihn nicht kennen geschweige denn jemals ein Wort mit ihm gewechselt haben. „Du verwirrst mich immer wieder, Fabrizia. Also macht es dir mehr oder weniger Spaß, so zu sein?“, gab er sichtlich nachdenklich von sich, was ich ziemlich süß fand.
Lächelnd strich ich mir eine Strähne, die sich von meiner Hochsteckfrisur gelöst hatte, aus dem Gesicht. Dann meinte ich: „Was heißt Spaß, ich bin nun mal so wie ich bin. Da könnte ich dich genauso fragen, warum du Tabletten nimmst. Vermutlich gehören sie zu dir, wie meine Arroganz zu mir“. Um zu verhindern, dass ich den jungen Mann wütend machte, wollte ich erneut wissen: „Bringst du mich nun bitte nach Hause?“.

Verständnislos sah er mich an. „Was … Wieso das denn auf einmal?“, brachte Ced mühevoll hervor. „Ich möchte nach Hause, da ich müde bin und bestimmt schon angetrunken bin“, antwortete ich, da ich im Verlauf des Gespräch nur zu gut gemerkt hatte, wie meine Konzentration nachließ.
Im nächsten Moment blickte er mich jedoch ziemlich belustigt an. Dann sagte er: „Das meinte ich nicht. Ich meinte es in dem Sinne, warum du nicht alleine nach Hause gehst? Also, weshalb ich mitkommen soll“. „Hat man dir nicht beigebracht, dass man eine Frau nicht alleine nach Hause gehen lässt?“, entfuhr es mir aufgebrachter als geplant.
Cedric trank noch einen Schluck von seinem Wasser, bevor er erwiderte: „Nein, hat man mir nicht. Dafür kann ich aber Violine spielen und Sonnenblumen züchten“. „Na super“, zischte ich, da es mir absolut nicht gefiel, dass er auf meine sarkastische Bemerkung einging. Lieber setzte er noch einen drauf, indem er mir kess zuzwinkerte.
So leicht würde ich aber nicht aufgeben. Ich verschränkte meine Arme vor meiner üppigen Brust und meinte: „Dann wird es Zeit, dass man es dir beibringt. Ehrlich mal, mir könnte etwas passieren!“. „Wenn ich mir so deine Absätze und Fingernägel ansehe, kann ich mir sehr gut vorstellen, dass du dich bestens wehren kannst“, kam es nur von dem Mann zurück, der mich allmählich zur Weißglut trieb.
Ehrlich mal, was dachte er sich da eigentlich? „Es wäre einfach nur eine nette Geste. Nicht mehr und nicht weniger. Außerdem ist es schon spät“, entfuhr es mir genervt. Wenn dieser attraktive Mann, der für mich eine echte Herausforderung darstellte, dachte, dass ich mich so schnell von ihm unterkriegen lassen würde, täuschte er sich gewaltig! Oh ja. Ich würde bestimmt nicht klamm und heimlich verschwinden!

Pretty On The Outside

Cedric holte tief Luft, ehe er sich geschlagen gab. „Na gut, du störrische Dame. Dann lasse uns mal zu dir gehen“. „Geht doch“, sagte ich mit einem triumphalen Lächeln auf meinen Lippen und harkte mich bei einem seiner Arme ein, die er lässig in seine Hosentaschen gesteckt hatte.
Anfangs herrschte geradezu eisiges Schweigen zwischen dem Mann und mir, was mir gar nicht behagte. „Ein schöner Abend war es alle Male, nicht wahr?“, fing ich schließlich etwas schüchtern an, ihn in ein Gespräch zu verwickeln. Was machte dieser Kerl nur mit mir? Sonst konnte ich doch reden wie ein Wasserfall, aber bei ihm fiel es mir zunehmend schwerer. So unsicher kannte ich mich überhaupt nicht.
Glücklicherweise schien Ced von meinen Grübeleien gar nichts zu merken, denn er meinte: „Das stimmt. Nur musst du anscheinend noch sehr viel lernen, was den Umgang mit anderen Menschen angeht“. Oh nein, spielte er etwa schon wieder darauf an, dass ich mir ein paar Drinks auf der vorherigen Party ausgeben lassen habe?
Gelangweilt zuckte ich mit den Schultern und sagte: „Man muss aus einer Mücke nicht gleich einen Elefanten machen“. Neben mir lachte Ceddy auf. Es klang schon fast finster. Zu finster für meinen Geschmack. Ehe ich darauf reagieren konnte, nahm er zu meinen vorherigen Worten Stellung. „Gewiss nicht, nur frage ich mich, warum du so bist“, griff er auf das Thema zurück.
Das stimmte mich leicht nachdenklich. Ja, warum war nutzte ich eigentlich andere Kerle aus? Weil ich es konnte, so einfach war das. Außerdem waren sie selbst Schuld, wenn sie das mit sich machen ließen. „Es ist nicht mein Problem, wenn Männer denken, sie hätten eine Chance, mir näher zu kommen, indem sie mir etwas ausgeben. Ich bin nicht bestechlich“, ließ ich Ced wissen.
Dieser seufzte niedergeschlagen auf. Dann sagte er glockenklar: „Trotzdem nutzt du ihre Gutmütigkeit schamlos aus“. Wie bitte? War das sein Ernst? Das konnte doch echt nicht wahr sein! „Was bildest du dir ein? Du kennst mich gerade mal einen Tag und schon urteilst du über mich!“, zischte ich leicht säuerlich und blieb stehen.
Mit vor der Brust verschränkten Armen sah ich zu ihm auf. Sein Blick traf auf den von mir. Wartend, ja sogar abschätzend starrte er mich an. Wenn er dachte, ich würde aufgeben, indem ich von ihm weg sah, so täuschte er sich gewaltig. Ich wusste nicht, wie lange wir so da standen, doch nach einer gefühlten Ewigkeit zuckten schließlich seine Mundwinkel und er ging einfach weiter.
Was sollte das denn schon wieder? Ich lief ihm hinterher, was ihm gefiel. Das merkte ich daran, dass er sagte: „So ist's brav, mein Luxusmädchen“. Dabei drehte er sich zu mir um und grinste mich verschmitzt an. „Sag mal, geht’s noch? Ich bin weder dein Mädchen noch auf Luxus aus!“, regte ich mich ungehalten über ihn auf.
Irritiert sah er mich an. „Wie jetzt? Bist du nicht?“, stellte er sich mit voller Absicht so auffällig dämlich, dass ich am liebsten wütend davon gestampft wäre. „Nein“, sagte ich nur ruhig und bemühte mich, es so echt wie möglich klingen zu lassen. Innerlich drohte ich nämlich zu explodieren. „Dann ist ja gut“, beließ er es dabei.

 

Irgendetwas stimmte mit diesem Mann ganz und gar nicht. Er war ziemlich seltsam. Und doch hatte er etwas an sich, was mich faszinierte, in seinen Bann zog. Nur deshalb war ich ihm hinterhergelaufen. Zuvor hatte ich das nie getan. Warum auch? Bisher war ich niemanden begegnet, der auch nur ansatzweise so wie Cedric war.
„Wie weit ist es eigentlich zu deiner Wohnung?“, riss er mich mit seiner Frage aus meinen Gedanken. „Villa, ich besitze eine eigene Villa“, stellte ich zuerst klar, was ihm einen tiefen Seufzer entlockte. „Es ist nicht weit, nur fünfzehn Minuten von hier“, fuhr ich fort und hoffte, dass er nichts dazu sagte, dass es mir wichtiger war, klarzustellen, Eigentümerin einer Villa und nicht einer Wohnung zu sein.
„In Ordnung“, entgegnete er nur glücklicherweise. Erleichterung durchfuhr mich, da er wirklich nicht seinen Senf zu meinen vorherigen Worten dazu gab. „Wie fandest du eigentlich die Party?“, wollte ich von ihm wissen. Seine Miene erhellte sich daraufhin. Mir kam es sogar so vor als ob er sich entspannte.
Mit einem Lächeln auf den Lippen antwortete er: „Sehr schön. Vor allem finde ich dich sehr schön. Du siehst wahnsinnig toll aus“. „Danke“, stammelte ich etwas verlegen, da ich nicht mit einem Kompliment gerechnet hatte. Das entsprach auch der absoluten Wahrheit. Ich dachte, dass er wieder damit ankommen würde, dass ich mir einige Drinks auf Kosten anderer gegönnt hatte.
Dass er mein Outfit lobte, war für mich der Beweis, dass er dann doch irgendetwas an mir gut fand. Dafür hatte ich einige Zeit investiert. Ich würde Cedric schon noch knacken. Umso länger er mich so sehen würde, desto schneller würde er mir aus der Hand fressen. So einfach war das.
„Bei so einer hübschen Frau habe ich doch gar keine andere Wahl“, gab er charmant wie eh und je zurück und holte mich wieder in das Hier und Jetzt. Dafür war ich ihm schon fast dankbar. Manchmal geriet ich nämlich in gewaltige Gedankengänge, sodass man mich erst bremsen musste, damit ich damit aufhörte.
Jedenfalls trieb mir Ced immer mehr eine verräterische Röte ins Gesicht, die ich zu verstecken versuchte, indem ich mich von ihm wegdrehte. „Als ob ich nicht merken würde, wie verlegen du bist“, zog der Braunhaarige mich ohne den geringsten Skrupel auf und konnte sich ein Lachen nicht verkneifen.
Dafür boxte ich ihn spielerisch in die Arme. „Oh, jetzt wirst du auch noch gewalttätig“, machte Cedric weiter, woraufhin ich auch schon von ihm abließ. „Ach, du bist doof!“, warf ich ihm grinsend vor. Plötzlich spürte ich zwei Arme, die sich um meine Taille schlossen. Ein heißer Blitz durchfuhr mich. „Was ...“, hauchte ich davon total überrascht, spürte aber im nächsten Moment den Boden nicht mehr unter mir.
Dieser Schuft hatte es tatsächlich gewagt mich kopfüber auf seiner Schulter zu nehmen! „Was soll das denn werden?“, schimpfte ich leicht und strampelte mit meinen langen Beinen. Damit würde ich ihn doch sicherlich in Schach halten können, oder? Meine Hoffnung war leider umsonst. Er hielt meine Beine einfach fester und so war es mir nicht mehr möglich gegen ihn etwas auszurichten.
Also versuchte ich es mit etwas anderem. „Du solltest mich lieber runter lassen, ich bin mir sicher die Leute starren schon auf meinem fast nackten Hintern“, meinte ich, woraufhin Cedric es doch tatsächlich wagte, meinen Rock nach unten zu schieben. „Tja, dann solltest du beim unserem nächsten Date nicht so etwas Knappes anziehen“, schlug er mir vor.
Im nächsten Moment hielt ich inne. Er sah unser Treffen als Rendezvous an? Ced schien wohl bemerkt zu haben, dass ich aufgewühlt war, denn er stellte mich wieder auf meinen Beinen hin und sah mir genau in die Augen. „Du … willst mich wiedersehen?“, fragte ich ihn stammelnd, da ich es einfach nicht glauben konnte.
So ein Mann wie er konnte doch sicherlich viele Frauen haben oder verrannte ich mich da ganz doll? Besagter Braunhaarige antwortete mir: „Natürlich möchte ich dich noch einmal treffen. Und noch mal und noch mal“. „Gerne, sehr gerne“, nuschelte ich und konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen, welches er erwiderte.

 

Anscheinend hatte ich doch nicht so einen schlechten Eindruck bei ihm hinterlassen, wie ich gedacht hatte. Vielleicht fraß er mir doch schon aus der Hand. Warum sonst wollte er mich wieder sehen? Außerdem konnte mir niemand widerstehen. Das war schon immer so gewesen. In der Schule war ich stets die gewesen, zu der alle aufsahen.
Ich erinnerte mich an meine Zeit in Deutschland zurück. Dort konnte ich den Männern reihenweise den Kopf verdrehen. Nur war Cedric doch eine andere Liga. Immerhin war auch er ein Italiener. Und wir waren in Florenz, also Italien.
Eigentlich hatte ich nichts zu befürchten, denn er würde nicht umsonst gesagt haben, dass er sich noch mal mit mir treffen wollte. Nur hätte ich ihn jetzt gerne noch länger bei mir. Leider waren wir aber fast an meiner Villa angekommen. Kurzerhand beschloss ich einen Umweg zu gehen.
Dabei bedachte ich nicht die Stelle, an der ich einen hohen Bogen um mein Anwesen machte. Cedric sagte nämlich: „Müssen wir nicht hier lang? Immerhin haben wir uns vorgestern hier getrennt“. Verdammt! Er hatte mich sofort entlarvt. Was machte ich denn nur? „Äh … ja, na klar! Ich muss wohl im Gedanken gewesen sein, entschuldige“, redete ich mich schließlich heraus und hoffte, dass er nicht ahnte, was ich eigentlich damit hatte bezwecken wollen.
Ced bedachte mich nur mit einem Grinsen, steuerte aber dann die richtige Richtung an, was mir einen Stich versetzte. Okay, dann wollte er eben doch nicht mit mir Zeit verbringen, was ein kompletter Widerspruch zu seinen vorherigen Worten war. Doch was er konnte, konnte ich schon lange. Dann würde ich ihm eben auch die kalte Schulter zeigen. Darin war ich nämlich eine Meisterin.
Leider musste ich den jungen Mann erst einmal gehen lassen, da wir bereits vor meiner Villa standen. „Da wären wir“, meinte er, woraufhin ich fragte: „Möchtest du noch noch etwas trinken?“. Entschieden schüttelte Cedric mit dem Kopf und sagte: „Danke für das Angebot, aber ich sollte lieber schlafen gehen“. „Das kannst du auch bei mir. Oder mit mir“, rutschte es mir heraus.
Spätestens jetzt brauchte ich mich nicht mehr darüber wundern, wenn er mich für eine totale Schlampe hielt. Meine Güte, das war wirklich peinlich! Ced bedachte mich jedenfalls mit einem erstaunten Blick. Nein, ihm schienen förmlich die Augen herauszufallen. Jetzt lag es an mir, die Situation zu retten.
Lässig wie eh und je sagte ich: „Das war nur ein Scherz. Meinetwegen kannst du gehen“. Kurz sah der Mann mich noch überaus skeptisch an, wobei ich fast in schallendes Gelächter ausbrach. „Du bist schon ein Leckerbissen, aber so schnell bekommt man mich dann doch nicht“, brachte ich zwischen etlichen Kicheranfällen hervor.
Cedric umarmte mich daraufhin und flüsterte mir ins Ohr: „Noch, aber ich bin mir sicher, wenn ich dich verführen wollen würde, dann würden wir schon längst in deinem Bett liegen. Falls wir es bis dahin überhaupt schaffen würden“. Eine Gänsehaut legte sich über meinen gesamten Körper.
Ich war nicht einmal in der Lage, meine Arme um ihn zu legen. Ehe ich das konnte, ließ er von mir ab und meinte in seiner typischen Manier: „Mach's gut, Fabrizia“. Und schon hatte er sich wegdreht und entfernte sich als ob nichts gewesen wäre. „Ciao“, konnte ich nur leise sagen. Was zur Hölle wollte er mit diesem Verhalten bezwecken?

 

Kaum hatte ich den Eingangsbereich meiner Villa betreten, übermannte mich eine ungeheure Müdigkeit. Wie von selbst fiel ich in mein Bett und hatte nicht einmal mehr Lust, mich abzuschminken oder auszuziehen. Lieber kuschelte ich mich in meine weiche Decke, die geradezu nach mir schrie und schlief sofort ein.
Am nächsten Morgen wachte ich dafür ziemlich spät auf. Es war bereits halb elf durch, was mich dazu veranlasste, rasch aufzustehen. Danach gönnte ich mir ein ausgiebiges Schaumbad. Mein Blick glitt dabei immer wieder zu meinem Handy, das ich neben der Badewanne gelegt hatte.
Keine neuen Nachrichten. Zumindest keine von Cedric, was mich unheimlich traurig stimmte. Dafür hatte mir aber Giulia geschrieben. Sie wollte wissen, wo ich bin und was ich machte. Ach ja, da war ja noch etwas. Nachdem sie mit Jakob zusammengekommen war, hatte ich mich deutlich von ihr distanziert.
Ja, ich ertrug es nicht, dass meine beste Freundin nun einen Freund hatte. Zumindest so einen. Meinetwegen hätte sie sich in Justin verlieben können, doch nein, sie musste ja unbedingt Jake lieben. Ich hatte große Angst um sie. Es würde nicht lange dauern und da würde Jakob sie betrügen oder gar verlassen.
Insgeheim wartete ich auf den Tag, an dem Lia mir genau das mitteilte. Dann würde ich es natürlich sein, die ihr treu zur Seite stand. Jetzt konnte ich ihr aber einfach nicht gegenüber treten. Dafür war ich noch nicht bereit. Erst einmal wollte ich mich hier einleben und das würde noch ein paar Wochen dauern.
Außerdem konnte ich nichts mit Pärchen anfangen. Mich nervte es ungeheuer, wenn sie sich die Zungen in den Hals steckten oder nicht die Finger voneinander lassen konnten. Ehrlich mal, sollten die sich doch ein Zimmer nehmen. Ich fand es geradezu peinlich, solche Menschen in der Öffentlichkeit zu sehen.
Genug darüber nachgedacht, ich lenkte meine Gedanken auf etwas ganz anderes. Auf den Leckerbissen namens Cedric Del Cancellara. Er sah so verboten gut aus, dass ich mich beim Sabbern ertappte. „Beruhige dich!“, sagte ich laut und schimpfte mit mir selbst.
Es fiel mir schwer, die Kontrolle über mich selbst zu behalten, denn bei so einem Mann wie ihm konnte man doch gar nicht anders als zu sabbern. Dazu kam noch, dass er ein Gentleman war. Er wusste, wie man mit Frauen umzugehen hatte, was mir gefiel. Mit schüchternen Männern konnte ich eh nichts anfangen. Da war Ced genau der Richtige für mich.
Ich fand es unheimlich attraktiv, wenn Männer wussten, was sie wollten. Das hatte ich bei Cedric sofort erkannt. Schon allein mit welcher Hingabe er mit seiner Violine umging. Nein, er machte das nicht nur einfach so, sondern ging alles wohlüberlegt an. Zumindest kam es mir so vor.

 

Das Klingeln meines Handys riss mich aus meinen Gedanken.Voller Vorfreude sah ich auf dem Display. Leider wurde ich enttäuscht. Nicht Ced rief mich an, sondern meine Mutter. Na super. „Hey Mama“, sagte ich in den Hörer hinein und hoffe, dass sie nicht merkte, wie betrübt ich eigentlich klang.
Zum Glück kam sie sofort zur Sache. „Na mein Schatz, was haltest du davon, wenn du zum Mittagessen zu uns kommst? Wir haben uns so viel zu erzählen!“, bequatsche sie mich schon fast voll, was mich zum Grinsen brachte. Ja, so war sie nun einmal. Sie redete nicht um den heißen Brei herum, sondern brachte die Sache auf den Punkt.
Da ich heute eh nichts weiter vorhatte, meinte ich: „Klar, gerne. Wann soll ich da sein?“. „Um halb eins. Du kannst natürlich auch früher da sein, wenn du möchtest“, antwortete meine Mama. „Ich werde sehen, was sich tun lässt. Ansonsten bin ich pünktlich da“. „Super, ich freue mich mein Kind. Bis dann“, verabschiedete sie sich auch schon von mir. „Ciao“, sagte ich nur und legte auch schon auf.
Nach einem Blick auf die Uhr stieg ich schließlich aus der Wanne und machte mich fertig. Ich hatte noch über eine Stunde, um da zu sein. Das würde ich locker schaffen. Und so konnte ich Ablenkung von diesem sonderbaren Geigenspieler namens Cedric finden. Ob meine Eltern ihn vielleicht vom Spielen her kannten? Kurzerhand beschloss ich sie nach ihm zu fragen.
Zuvor machte ich mich aber weiter fertig. Meine Haare brauche ich mir nicht zu föhnen, denn hier war es so warm, dass sie durch die Sonne trocknen würden. So sparte ich Stromkosten und Energie, auch wenn ich das überhaupt nicht nötig hatte. Nur war mir gerade danach. Als ich mich schließlich im Bad eincremt und geschminkt hatte, ging ich in mein Schlafzimmer und suchte nach einem schicken Kleid, was ich anziehen konnte.
Da frage ich mich, welches ich anziehen sollte. Ich besaß eindeutig zu viel Klamotten. Wie wäre es mit dem weißen Strandkleid? Ja, das würde ich nehmen. Dazu zog ich Sandalen an, die mich an Römer erinnerten. Die Handtasche dagegen wechselte ich nicht.
Auf dem Weg zu meinen Eltern genoss ich das wunderbare Wetter. Meine Haare waren im Nu trocken, so wie ich es mir gedacht hatte. Mit meiner aufklappbaren Handbürste, die idealerweise über einen Spiegel verfügte, kämmte ich mir noch meine schwarze Mähne. Jetzt war ich perfekt gestylt.
Um kurz vor halb eins stand ich schließlich vor dem Haus meiner Eltern und klingelte. Hier hatte sich kaum etwas getan. Im Gegenteil, mir kam es eher so vor, als sei ich noch immer das kleine Mädchen, das seine Ferien bei seinen Eltern verbrachte. „Fabrizia“, riss mich eine Stimme aus meiner Nostalgie. „Ja? Oh … Dad!“, freute ich mich riesig, meinen Vater zu sehen.
Dieser führte mich auch schon in die Küche, nachdem wir uns innig umarmt hatten. Dort deckte meine Mutter den Tisch und gab mir einen raschen Kuss auf die Wange. Ich setze mich auf einen der drei Plätze und wartete geduldig auf das Essen. „Erzähle schon, wie ist es so wieder in Florenz zu sein?“, begann sie mich sofort auszuquetschen.
„Es ist toll. Mir kommt es sogar so vor, als ob sich nichts geändert hätte“, antwortete ich lächelnd auf ihre Frage. Sie erwiderte mein Lächeln. Dann meinte sie: „Das ist doch schön. Du ahnst nicht, wie sehr ich mich darüber freue, dass du wieder da bist“. „Oh doch, Mama, das tue ich“, sagte ich lachend.
So waren wir Italiener eben. Wenn ich so darüber nachdachte, erfüllte meine Familie genau das Klischee. Wir achteten penibel darauf, dass unsere Familie zusammenhielt und wir auch mal etwas unternahmen. Auch kochte meine Mutter aus Leidenschaft italienisch. Das stellte ich auch jetzt fest. Vor mir dampfte eine Auflaufform voller Lasagne.
Meine Güte, das duftete herrlich! Wenn das so weiter ging, würde ich anfangen zu sabbern. Ich verwarf den Gedanken und stürzte mich lieber auf das Essen. „Das habe ich so vermisst! Du kochst einfach himmlisch!“, sagte ich mit vollem Mund und musste aufpassen, dass mir nicht etwas auf den Teller fiel. Mein Vater lachte und meinte: „Haben wir dir nicht beigebracht, dass man mit vollem Mund nicht spricht?“.
Daraufhin mussten wir alle lachen. Es war einfach nur herrlich! So verbrachten wir das Mittagessen voller Spaß und Harmonie. Nach dem Essen half ich meinen Eltern beim Abwaschen und wir redeten im Wohnzimmer noch über belangloses Zeug. Um kurz nach vierzehn Uhr verabschiedete ich mich schließlich wieder von Francesca und Giaccomo. Wenn ich die beiden mir so ansah, verschlug es mich an einen bestimmt Ort.

 

Mein Herz klopfte wild gegen meine Brust, als ich an den Brunnen in der Stadt vorbeiging, an dem ich vor Kurzem noch eine Münze hineingeworfen hatte. Ich wurde immer nervöser, als ich dem Platz immer näher kam, an dem ich Cedric das erste Mal gesehen hatte. Ich wusste nicht einmal ob er da war.
Zum Glück wurde ich nicht enttäuscht. Sein unverkennbarer Geigenklang war auch schon von einigen Metern Entfernung zu hören. Außerdem sah ich erneut eine Traube von Menschen, die ihm begeistert zuhörten. Voller Vorfreude beschleunigte ich meine Schritte und gesellte mich zu den Zuschauern.
Nach einiger Zeit konnte ich mich sogar durch die Menge kämpfen und ergatterte einen Platz ganz vorne. Eigentlich brauchte ich nur die Männer nett anzulächeln, schon waren sie zur Seite gegangen, um mich vorzulassen. Dass sie mir dabei auf meinen Hintern starrten war mir egal, denn daran sah man, wie einfach sie gestrickt waren.
Selig lächelte ich vor mich hin und gab mich der Musik hin. Erst als ich den erstaunten Blick von Ced sah, wurde mir klar, dass ich ihn die ganze Zeit angestarrt hatte. Nur hätte ich eher mit einem Lächeln als mit geweiteten Pupillen gerechnet. Das brachte mich aber trotzdem nicht davon ab, bei ihm zu bleiben und geduldig darauf zu warten, bis er fertig mit dem Spielen war.
Als es endlich soweit war und die Menschen gegangen waren, ging ich auf ihn zu. Er bückte sich zu seinem Geigenkoffer, in dem er wieder ein paar Euro angesammelt hatte und steckte die Münzen in einen separaten Beutel. Danach legte er vorsichtig seine dunkelbraune Violine hinein und verschloss den Koffer sorgfältig.
„Hey“, begrüßte ich ihn, doch er sagte nichts. Auch nicht, als wir uns gegenüberstanden. Lieber sah er sich um, als ob er sich vergewissern wollte, dass uns niemand sah. „Was machst du hier?“, blaffte er mich aus heiterem Himmel an. Erstaunt darüber stammelte ich: „Ich .. na ja, ich dachte mir, dass ich dich beim Spielen aufsuche“.
Er verdrehte die Augen und erwiderte: „Na das hast du ja jetzt und nun sieh zu, dass du gehst!“. „Wie bitte?“, harkte ich verständnislos nach. Was war denn mit ihm los? Gestern war er noch geradezu hin und weg von mir und jetzt wollte er mich nicht sehen? „Ich sagte, dass du gehen sollst!“, bestand er darauf, mich loszuwerden.
So leicht würde ich ihm das bestimmt nicht machen! „Einen Teufel werde ich tun! Was hast du? Ich dachte, du wolltest mich auch wiedersehen!“, entgegnete ich wieder ganz selbstischer und um das zu unterstreichen, reckte ich mein Kinn in die Höhe und sah ihm herausfordern in die braunen Augen.
Ced seufzte, ehe er meinte: „Das stimmt auch, aber nicht jetzt!“. „Ach ja und wieso nicht?“, bohrte ich nach. „Weil ich jetzt keine Zeit habe. Ich wollte mich in ein Café setzen und eine Pause einlegen, bis ich weiterspiele“, sagte er sichtlich genervt, biss sich aber im nächsten Moment auf die Unterlippe.
Natürlich hatte ich sofort durchschaut weshalb. Trotzdem würde ich mich nicht so einfach abspeisen lassen. „Na, wenn du eh in ein Café willst, dann komme ich mit. Ich habe gerade eh nichts zu tun und da können wir uns nett unterhalten“, drängte ich mich ihm auf, was er aber nicht zulassen wollte.
Leicht abwesend sagte Cedric: „Ich wollte eigentlich meine Ruhe haben“. „Eigentlich – du sagst es. Jetzt sei nicht so störrisch und dann heißt es immer, wir Frauen wären es“. Nach meinen Worten bewegten sich zwar seine Mundwinkel nach oben, bis er jedoch lachen konnte, wurde er wieder ernst.
Er verschränkte die Arme vor seiner muskulösen Brust und überlegte. Nebenbei wippte er leicht mit seinen Füßen auf und ab. „Nein“, blieb er schließlich dabei. „Warum bist du auf einmal so … hart zu mir?“, wollte ich von ihm wissen, woraufhin er antwortete: „Ich habe nie behauptet, es nicht zu sein“.
„Denkst du ernsthaft, ich merke nicht, dass du nur ablenken willst? Jetzt beantworte mir gefällst meine Frage!“, verlor auch ich schon langsam die Geduld. Ehrlich mal, was sollte das? Äußerlich war er so hübsch, aber innerlich... Ja, er kam mir gerade sehr kalt und genervt, schon fast finster vor. Trotzdem würde ich mich nicht von ihm abwimmeln lassen! Ich ganz bestimmt nicht!

Stranger

Cedric sah eindringlich auf mich herab, als ob er mich einschüchtern wollte. Das spornte mich nur noch mehr an. Ich regte mein Kinn in die Höhe und sah ihm ebenfalls starr in die Augen. „Ist ja gut“, gab er sich schließlich geschlagen, woraufhin ich mich bei ihm einharkte und gut gelaunt meinte: „Geht doch“.
Zu meiner leichten Überraschung tat Ced nichts gegen meinen Annäherungsversuch, sondern ignorierte ihn gekonnt, was für mich schon ein kleiner Erfolg war. Eigentlich traurig, aber in Verbindung mit ihm freute mich das ungemein. „Ich bestimme aber in welches Café wir gehen“, sagte er.
Das war zwar nicht sehr charmant, aber ich erwiderte trotzdem nichts darauf, sondern nickte nur. Dafür war ich nämlich viel zu sehr erleichtert über die Tatsache, dass ich es geschafft hatte, Cedric ein klein wenig zu brechen. Ehrlich mal, alle anderen Männer würden ohne zu Zögern ja sagen, im Gegenteil, sie würden mich anbetteln, dass ich mit ihnen einen Kaffee trank.
Nur war jener Violinist nicht irgendein Mann. Er war schon jetzt für mich etwas ganz Besonderes. Vielleicht gerade deshalb, weil er mir nicht sofort verfallen war. Nein, er machte sein eigenes Ding, was andere davon hielten war ihm vollkommen gleichgültig. Ein klein bisschen beneidete ich ihn ja schon, doch mochte ich die Aufmerksamkeit, die mir erteilt wurde, viel mehr.
Immer wieder dachte ich mir: „Sieh' mich an Claudio, ich bin eine begehrenswerte Frau, die du nicht wolltest!“. Nur leider würde er davon nie etwas erfahren. Weil er tot war. Weil er mich nie wieder sehen würde. Weil ich ihn nie wieder sehen würde! Es war schrecklich. Dafür hatte ich zwar einen sehr interessanten Menschen kennengelernt, doch würde dieser Dio nie ersetzen können.
Ein schwermütiges Seufzen entfuhr mir. „Was ist?“ wollte Cedric auch schon wissen. Traurig antwortete ich: „Mir will einfach nicht aus dem Kopf gehen, dass ich meine große Liebe für immer verloren habe. Hätte ich damals gewusst, dass ich ihn das letzte Mal sehen würde, dann hätte ich ihn geküsst“.
Im nächsten Moment bereute ich meine ungewohnte Offenheit gegenüber diesem sensiblen Thema, denn Ced brach in schallendes Gelächter aus. „Also wirklich, du warst dreizehn! Da hat man von Liebe doch nicht den blassesten Schimmer“, brachte er mühevoll hervor, was mich wütend machte. „Ach ja, ist das so? Dann verrate mir mal, weshalb ich ihn nicht vergessen kann, du Klugscheißer!“, schimpfte ich.
Dummerweise wusste der Braunhaarige sich zu helfen. „Hey, ich kann doch auch nichts dafür, dass ich es wirklich besser weiß!“, sagte er mit einem Schmunzeln, wurde jedoch ernst. „Und zu deiner Frage, ich denke mal, das liegt daran, weil du dich ihm so nahe gefühlt hast und es noch immer tust. Du scheinst zu ihm sehr emotionale Gefühle zu haben und in einem so jungen Alter verwechselt man das oft mit Liebe“, antwortete er mir schließlich doch auf meine Frage.
Nachdenklich entgegnete ich aber: „Du musst es ja wissen“. „Das weiß ich mehr als du denkst“, ließ er mich etwas niedergeschlagen wissen, fuhr aber fort, bevor ich auch nur einen kleinen Murks machen konnte. „Liebe entwickelt sich erst nach einiger Zeit. Wenn man frisch mit jemanden zusammen ist, hat man sowieso noch die rosarote Brille auf und sieht nur die guten Dinge in einem Menschen“.
Seine Worte berührten mich auf einer mir unerklärlichen Art und Weise. Irgendetwas Großes beschäftigte ihn zutiefst, da war ich mir sicher. Nur was? Daraus konnte ich mir keinen Reim machen. „Wenn man erst einmal merkt, was für Schwächen jemand hat, dann nutzt man diese eiskalt aus, um diese zu seinen persönlichen Vorteilen zu machen. Und du willst mir erzählen, dass das Liebe sein soll?“, endete Cedric mit einer rhetorischen Frage.
Ich ging trotzdem darauf ein. „Ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung von Liebe. Zumindest nicht von so einer. Natürlich liebe ich meine Eltern und Freunde, doch ist das etwas anderes. Claudio ist der einzige andere Mensch, den ich jemals geliebt habe“, gab ich mich ein Stück weit geschlagen, was mir nicht schmeckte.
Nein, denn eigentlich war ich eine starke Frau, die sich bestimmt nicht von einem Mann in Grund und Boden sprechen lassen würde. Bei Ced war das aber etwas anderes. Er war anders. Ich musste unbedingt herausfinden, was an ihm so besonders war, dass ich gar nicht mehr aufhören konnte an ihn zu denken.
„Du widersprichst dich“, teilte mir eben dieser Ceddy mit, was mich stutzen ließ. „Du sagst, dass du keine Ahnung von Liebe hättest, bist dir aber trotzdem sicher, dass du unseren besten Freund geliebt hast. Findest du das nicht etwas skurril?“, gab er mir prompt neuen Stoff zum Nachdenken.

 

Mittlerweile waren wir in einem Café angekommen, welches uns einen super Blick auf das endlose Meer gewährte. Sofort kam ein junger Kellner, der uns mit einem strahlendem Lächeln begrüßte. Dabei zwinkerte er mir zu, wobei ich jedoch keine Miene verzog, was ihn einschüchterte.
Darüber konnte ich nur grinsen. Brav bestellte ich mir einen Milchshake, der nach Erdbeere schmeckte und dazu zwei Stück Erdbeer-Panna Cotta-Torte. Innerlich lief mir das Wasser im Munde schon zusammen. Ich hatte eine Schwäche für Süßes und dadurch, dass ich ab und zu Joggen ging nahm ich nicht zu. Zudem übertrieb ich es nicht maßlos mit Kalorienbomben, sondern achtete auf meine Ernährung.
Cedric entschied sich für einen Eiskaffee. Dabei musste ich an Giulia denken, die das Zeug schier in Massen verschlang. Die beiden würden sich sicherlich gut verstehen, nur schade, dass sie mit Jakob zusammen war. Egal, schoss es mir durch den Kopf, Ced ist eh für mich reserviert. Jener Mann nahm zu dem Getränk noch ein Stück Straciatella-Torte.
Als das erledigt war, griff ich das vorherige Gespräch wieder auf. „Du hast Recht“, stimmte ich Cedric zu, der mich zufrieden ansah. Verdammt, er wusste sofort, was ich gemeint hatte! Vermutlich hatte er nur auf meine Zustimmung gewartet. Mistkerl. Das würde ich ihm aber nicht so leicht durchgehen lassen. Also fragte ich lauernd: „Was ist mit dir? Was ist für dich Liebe?“.
Nachdenklich starrte der Braunhaarige mich an. „Guter Konter. Mir geht es so ähnlich wie dir. Ich habe auch nicht viel Ahnung davon, da ich jemanden mal etwas versprochen hatte und mich seitdem Frauen nicht sonderlich interessieren. Nichtsdestotrotz kann Liebe alles sein. Liebe kann eine Sklaverei sein, die als Vergnügen empfunden wird. Oder höllische Sehnsucht, nur um zwei Beispiele zu nennen“, räumte er vor mir ein.
„Aha, aber mich willst du belehren“, gab ich spitz von mir, da es mir absolut nicht behagte. Zudem schränkte das seine Autorität ungemein stark ein. Im nächsten Moment überraschte er mich aber dann doch wieder, in dem er sagte: „Man kann Liebe nicht verallgemeinern. Jeder muss für sich selbst wissen, wie er sie definiert. Für manche ist sie nur ein Gefühl, für manche aber mehr. Viel mehr. Als ob die Seele ein Zuhause gefunden hätte, bei dem sie sich frei entfalten kann“.
Mit der Zeit war seine Stimme leiser, gar traurig geworden. Ich vermutete stark, dass er dabei von sich selbst gesprochen hatte. „Nette Definition“, kommentierte ich daher, klang aber selbst nicht so kess wie sonst.

 

Meine Begleitung sagte dazu nichts, sondern starrte auf das Meer, das aussah wie ein wunderschöner Teppich, der im Sonnenlicht mit Diamanten besetzt war. Ich sog die kühle Luft in Massen ein, die ich dringend benötigte. Zur Unterstützung bekamen wir unsere Bestellung an den Tisch gebracht, wofür ich dem Kellner sichtlich dankbar war, der in meiner Gegenwart sehr nervös wurde.
„Danke“, sagte ich und schenkte ihm eines meiner falschen Lächeln. „B-Bitte“, stammelte er wirr und wusste nicht, wie ihm geschah. Im Gegenteil, beinahe wäre ihm mein Milchshake aus der Hand geglitten, die unaufhörlich zitterte. Daran sah man, dass nicht alle Italiener Machos waren.
Cedric dagegen rollte mit seinen Augen. Oh, war da jemand eifersüchtig? Tja, da konnte er mal wieder nur sehen, wie begehrt ich war. Kaum waren wir wieder alleine, erhob er auch schon seine Stimme. „Macht es dir Spaß, andere Menschen nach deinem Belieben zu manipulieren?“, wollte er von mir wissen.
Bei seiner Frage musste ich lachen. Ehrlich mal, was dachte er da von mir? „Ich kann auch nichts dafür, dass die Menschen so ergriffen von mir sind“, erwiderte ich grinsend, doch er verzog nicht einmal eine Miene. Eher musterte er mich intensiv, als ob er hoffte, dass sich etwas anderes hinter meinen Augen verbarg.
Nach einer gefühlten Ewigkeit sagte er jedoch: „Wie kannst du nur solche unschuldigen Bambi-Augen haben, obwohl du aus allem und jedem deinen Vorteil ziehst?“. „Siehst du doch“, konterte ich ohne jegliche Skrupel. Warum auch? Ich ging meinen Weg, nicht mehr und nicht weniger.
Sein Kompliment über meine Augen war mir dennoch nicht entgangen. Daher lächelte ich in mich hinein. Nur leider musste Ced mich abermals aus meinen Gedanken reißen. „Wenn Claudio wüsste, was aus dir geworden ist, dann würde er sich im Grabe umdrehen“, hörte ich ihn sagen, woraufhin sich meine Pupillen weiteten.
Hatte er das wirklich ausgesprochen? „Was … Was hast du da eben gesagt?“, hauchte ich atemlos und merkte, wie mir Tränen in die Augen schossen. Und trotzdem würde ich nicht zulassen, vor diesem ungehobelten Mann zu weinen, jawohl! „Dass er sich im Grabe umdrehen würde, wenn er wüsste, was aus dir geworden ist“, ging dieser tatsächlich auf meine Frage ein, obwohl er wusste, dass ich ihn klar und deutlich verstanden hatte.
Leider. Ich atmete tief ein und aus, ehe ich meinte: „Dir ist wirklich nicht zu helfen. So dreist wie du bist, ist es kein Wunder, dass du völlig alleine bist und meine Nähe suchst“. „Ach, ich bin also alleine und brauche dich? Es ist eher umgekehrt so. Was würdest du denn tun, wenn ich den Kontakt zu dir abbrechen würde? Vermutlich würdest du in Selbstmitleid versinken. Dir ist hoffentlich klar, dass ich deine einzige Verbindung zu Claudio bin, also überlege dir gut, wie du zu mir bist“, wusste Cedric sich überaus unverschämt zu helfen.
Er wollte unseren besten Freund dazu benutzen, mich kleinzubekommen, das war wirklich das Allerletzte! Dummerweise steckte in seinen Worten die ein oder andere Wahrheit. Nur er, Cedric Del Cancellara, konnte mir etwas von Claudio, meinem besten Freund und große Liebe, erzählen.

 

Nein, ich sollte es mir mit ihm wirklich nicht verscherzen. Ich lehnte mich also zurück und probierte endlich etwas von meinem Milchshake. Ja, er schmeckte ganz in Ordnung. Es musste wohl an Ced liegen, dass ich keine Lust mehr auf meine Tortenstücke verspürte. Daher schob ich den Teller von mir.
Dessen Blick legte sich sofort auf mich. Mit hochgezogener Augenbraue tat ich es ihm gleich. Was wollte er nun? „Wieso isst du nicht?“, fragte er mich gefährlich ruhig, was mich in innerlicher Aufruhr versetzte. Leicht verunsichert antwortete ich: „Mir ist der Appetit vergangen“.
Cedric blieb einen kurzen Augenblick still, ehe er meinte: „Und deswegen würdest du es lieber wegschmeißen lassen als es mitzunehmen?“. „Und wenn schon, das geht dich gar nichts an!“, entgegnete ich leicht gereizt. Aus diesem Mann wurde ich wirklich nicht schlau. Was kümmerte es ihn schon, wenn ich Essen wegwarf?
„Wie wohl dein Leben verlaufen wäre, wenn du kein Model geworden wärst?“, wollte er auf einmal wissen. Mir schien es aber eher so, als ob er sich das nur im Gedanken hatte fragen wollen. Dafür war es nun zu spät, denn ich ging tatsächlich darauf ein. „Dann hätte ich mir vermutlich einen reichen Mann geangelt, der mir den Luxus gibt. Bei meinem Aussehen raube ich jedem Mann den Atem“, erwiderte ich und zwinkerte dabei.
Ced verdrehte die Augen, was ihn unheimlich gut stand. Ich hatte Gefallen daran gefunden, wenn er sich über mich aufregte. Dafür konnte ich schließlich auch nichts. „Da überschätzt du dich ganz schön“, bot mir der Braunhaarige Paroli.
Innerlich fing ich an zu kochen. Was erlaubte er sich eigentlich? Leicht wütend zischte ich: „Ach und das weißt du woher bitte?“. „Ganz ehrlich? Ich denke einfach, dass du damit deine Unsicherheit verbergen willst. Das mag zwar bei allen anderen Menschen funktionieren, aber nicht bei mir. Und ich glaube sogar den Grund zu kennen“, blieb Cedric sachlich, was mich überraschte.
Mit geweiteten Pupillen sah ich ihn an. Das Gespräch total aus dem Ruder gelaufen. Krampfhaft überlegte ich, wie ich die Stimmung wieder auflockern konnte. Nein, ernste Themen taugten mir überhaupt nicht. „Der Grund ist einzig und allein Claudio oder genauer gesagt, seine Ablehnung gegenüber dir und deinem Liebesgeständnis“, flüsterte Ceddy etwas mitleidig, aber auch so triumphierend, dass ich nicht wusste wie mir geschah.
Grenzenlose Wut übermannte mich. „Was bildest du dir ein?“, schrie ich, während ich mich von meinem Platz erhob, mit so einer schneidenden Stimme, dass sich alle Gäste zu mir drehten. Im nächsten Moment setzte ich mich aber wieder hin, schließlich wollte ich nicht noch mehr Aufsehen erregen oder sogar vom Café fliegen.
Mein Gegenüber sah mich mit offenem Mund an. Tja, da schien ich jemanden sprachlos gemacht zu haben. Das interessierte mich nicht weiter, denn ich wollte ihm auf gar keinen Fall zeigen, dass mich das weiter berührte. Also fing ich doch noch an, meine Torte zu essen. Ja, mit etwas Wut im Bauch schmeckte sie hervorragend!
„Also stimmt es, was ich sagte“, mutmaßte Cedric, doch ich reagierte trotzdem nicht. Im Gedanken lobte ich mich dafür ungemein und lächelte in mich hinein. Trotzdem war ich weiterhin angriffslustig. „Ehrlich gesagt hätte ich nicht gedacht, dass dein Horizont so eingeschränkt ist“, sagte ich mit zuckersüßer Stimme und leckte mir mit der Zunge Sahne von meinen Lippen.
Ced mied meinen Blick, womit ich ihn hatte. Also hatte er doch mehr für mich übrig als er zugeben wollte. Im nächsten Moment lachte er jedoch. Erst unterdrückte er es, doch desto mehr Zeit verging, umso diabolischer lachte er. Fast bekam ich schon mit der Angst zu tun. In mir tat sich der Gedanke auf, dass er deswegen Tabletten nehmen musste.
Vielleicht hatte er so etwas wie eine dunkle, ja sadistische Seite, die er mit aller Macht versuchte zu unterdrücken. Gebannt wartete ich darauf, was als Nächstes passieren würde. Er jedoch vergewisserte sich nur darüber, ob seine Geige noch da war. Oh, die hatte ich schon vergessen und überhaupt, dass er ein fantastischer Violinist war.

 

„Du hängst sehr an deiner Violine, oder?“, fragte ich mit einem Anflug von Schwärmerei, was Ced wohl bemerkte. Zu meinem Glück aber sagte er nichts dazu, sondern ging auf meine Frage ein. „Ehrlich gesagt schon. Sie ist eine der letzten Dinge aus meiner Vergangenheit und ich habe noch nie auf einer anderen als auf ihr gespielt. Wir sind quasi ein eingespieltes Team“, antwortete er und lächelte seine braune Geige an.
Aus irgendeinen Grund fand ich das ungeheuer süß und musste auch lächeln. „Man könnte meinen du redest von deiner Geliebten“, entfuhr es mir, biss mir aber im nächsten Moment auf die Lippe. Gott, wie dumm das klang! Cedric schien mir das aber nicht übel zu nehmen, im Gegenteil, er meinte nämlich: „Sie ist auch meine Geliebte. Sie ist die Einzige, die mir treu zur Seite steht“.
Und das gab er vor mir einfach so zu? Wow! Mir wurde klar, dass ihm das Geigenspielen sehr viel bedeutete. Er hatte es wirklich im Blut und spielte nicht nur so. Nein, er lebte es! „Erzähle mir bitte etwas darüber“, bat ich ihn und legte meinen Kopf interessiert in meine linke Hand. Mein Ellenbogen ruhte auf den Tisch und so hatte ich eine bequeme Haltung eingenommen.
Klar konnte man diese Position falsch verstehen, aber ich war mir sicher, dass Ceddy es nicht tat. Dafür leuchteten meine Augen viel zu sehr, denn er schien sich in ihnen zu verlieren. Warum sonst sah er mich mit offenem Mund an? So schnell er seine Fassung auch verloren hatte, so schnell besinnte er sich wieder und lächelte.
Dann begann er auch schon zu sprechen. „Ich könnte dir so vieles sagen, aber dann würden wir vermutlich so lange hier sitzen, bis wir alt und grau sind“, eröffnete er das Gespräch über seinen ehemaligen Hauptberuf. Strahlend erwiderte ich: „Das macht nichts“. Sein Lächeln wurde nach meinen Worten größer, was mich berührte.
Er reagierte auf mich! Also verfügte ich noch immer über eine enorme Aura. „Das Spielen befreit mich von all den Sorgen und Kummer, den ich mit mir herumschleppe. Ich vergesse wirklich alles um mich herum und konzentriere mich nur noch auf dieses Instrument. Eines Tages werde ich dich auch mal mit Feli spielen lassen“, fuhr Cedric enthusiastisch fort, womit er mich glatt ansteckte.
Meinem Strahlen wich jedoch einem aschfahles Gesicht. Feli? Er nannte seine Geige tatsächlich so, wie...? Das musste ich erst einmal verdauen. „Ist etwas?“, fragte mich Ced, doch ich wehrte ab, in dem ich meinte, dass ich nicht darüber sprechen wollte. Trotzdem würde es mich einige Zeit beschäftigen, weshalb er sein Instrument so nannte.
Abwartend starrte Cedric mich an. „Es ist wirklich alles gut, du hast mich nur an etwas erinnert und darüber muss ich erst einmal mit mir selbst im Reinen werden“, antwortete ich und bevor er weiter darauf herum stichelte, meinte ich: „Du erwähntest etwas von Sorgen und Kummer. Findest du nicht, dass auch mal bessere Zeiten auf einen zukommen?“.
Das hatte gesessen. Ced hielt mitten in der Bewegung inne. Abwesend strich er über die Saiten von seiner Violine oder besser gesagt von Feli. „Was will er hier?“, hauchte er beinahe benommen. „Was will wer hier?“, fragte ich leicht beunruhigt, da ich keinerlei Ahnung hatte, von was er da redete.
„Lass uns lieber gehen. Wir sind eh mit unserem Kaffee fertig“, schlug der Braunhaarige in einem lockeren Plauderton vor. Ruckartig drehte ich mich um, um zu sehen, was er vorher so fixiert hatte, doch da war nichts! Komisch. Bildete er sich nachher nur Dinge ein oder war da wirklich etwas dran?

 

Leider hatte ich keine Zeit, mir darüber Gedanken zu machen, denn Cedric winkte den Kellner zu uns, der sich nicht zwei mal bitten ließ. „Wir möchten bezahlen“, ließ Ced ihn wissen und sofort zückte der Gastronom seine Arbeitsgeldbörse. „Das macht dann bitte neun Euro und siebzig Cent“, sagte er zu meiner Begleitung.
Na bitte, er hatte wenigstens Manieren! „Wir bezahlen getrennt“, sagte Cedric doch tatsächlich und ich hätte am Liebsten im Erdboden versinken können. Der Kellner dagegen starrte Ced mit hochgezogenen Augenbrauen an, tat jedoch dann, was ihm befohlen wurde und kassierte uns getrennt ab.
„Also so etwas Peinliches ist mir schon lange nicht mehr passiert!“, regte ich mich sofort über die Unverschämtheit von Cedric auf, als wir das Café verlassen hatten. „Du solltest lernen, dich von Dingen, die dir einen Strich durch die Rechnung machen, nicht so aus der Fassung bringen zu lassen“, kommentierte der Braunhaarige nur ungerührt.
„Ach, fahre doch zur Hölle!“, ließ ich meiner Wut weiterhin freien Lauf. Ced meinte jedoch: „Ich gehe bereits seit Jahren durch die Hölle, aber danke“. Ich hielt inne und blieb stehen. Er tat es mir gleich. Einige Sekunden blickten wir uns wortlos in die Augen. Dummerweise konnte ich in seinen schokoladenbraunen nichts lesen.
So ein Mist aber auch! Irgendwie musste ich doch etwas über ihn herausfinden! Ich konnte ihn schlecht direkt über ihn ausfragen, so pfiffig wie er war, würde er mich sofort enttarnen. „Du kannst mich noch so lange anstarren, aber meine Augen werden nicht das Tor zu meiner Seele sein“, durchschaute er mich auf Anhieb.
Wahnsinn, da hatte ich ihn sogar noch etwas unterschätzt. Ich hatte nicht einmal ein Wort gesagt und er wusste schon, was ich vorhatte. „Was dann?“, ging ich dennoch auf seine Worte ein, um ihn herauszufordern. Siegessicher lächelte er mich an, ehe er antwortete: „Das darfst du gerne selber herausfinden. Nur so viel, wer wünscht sich denn nicht vom ganzen Herzen, seine Vergangenheit in Flammen aufgehen zu sehen?“.
Purer Schwindel überkam mich oder war es nur die Sonne, die meinen Körper auf einmal so entsetzlich in Hitze versetzte? „Geht's dir gut?“, wollte Cedric, der mich in seinen Armen hielt, sofort wissen. Seit wann standen wir so eng umschlungen hier? Ich wusste nicht, wie mir geschah. Es kam mir so vor, als ob ich irgendetwas Böses spürte.
Genau in diesem Moment tauchte eine Gestalt ein paar Meter vor uns auf. Kalte Augen, die aus seiner schwarzen Kutte hervorstachen, versuchten meine zu erdolchen. Ein Frösteln überkam mich und das obwohl es in der prallen Sonne um die dreißig Grad Celsius betrug! Wer war der Fremde? Wieso sah er ausgerechnet Cedric und mich so an?
Cedric war ein gutes Stichwort. Er rührte sich nicht, sondern hatte mitten in seiner Bewegung inne gehalten. Nur sein Herzschlag beschleunigte sich stetig. Wusste er etwa, wer uns da so anstarrte? „Ced...“, flüsterte ich stammelnd, da ich mich unwohler fühlte, umso mehr Zeit verging.
Das erste Mal sah ich zu ihm auf, doch er schien wie in Trance zu sein. Seine Pupillen hatten sich geweitet und auch sein Mund stand weit auf. Er versuchte etwas zu sagen, doch ihm wollte kein Ton entweichen. Zudem war sein Gesicht aschfahl, was mich an die Szene im Café erinnerte.
Hatte er den Kuttenträger etwa schon da gesehen? Erst da bemerkte ich, dass sich ein schmaler Schlitz genau über dessen Lippen befand. Er war also doch nicht komplett verhüllt! Gerade als mich diese Kenntnis traf, verzog sich sein Mund zu einem überaus diabolischen Lächeln.
„Was … was soll das?“, hauchte ich leicht benommen und lehnte mich noch stärker an Cedric, der trotz seiner Paralyse reagierte. Kräftig umklammerte er mich, als ob er Angst hätte, dass der Fremde mich aus seinen Armen zerren wollte. Dieser sah uns jedoch nur regungslos an.

 

Stunde um Stunde schien zu vergehen, dann endlich verzog sich der Fremde und auch die Welt um uns herum schien sich wieder zu drehen. „Cedric“, versuchte ich es erneut, meinen Begleiter anzusprechen, der dem Kuttenträger hinterher sah. „Das … das hätte nicht passieren dürfen!“, platzte es aus ihm heraus und ich war froh, dass er endlich wieder eine Reaktion zeigte.
Es ging sogar weiter, denn ehe ihm klar wurde, dass ich mich noch immer in seinen Armen befand, stieß er mich leicht groß von sich. „Verdammte Scheiße, was um alles in der Welt sollte das? Du kannst dich doch nicht einfach so mich an den Hals schmeißen!“, sagte er barsch, woraufhin ich leicht zusammenzuckte.
Betreten sah ich ihn an. „Entschuldige, ich … ich hatte nur Angst“, gab ich kleinlaut zu und blickte sofort auf den Boden. Bestimmt hielt er mich für ein kleines Mädchen, dass sich vor alles und jedem fürchtete. Das schien er zum Glück nicht zu denken. Im Gegenteil, ich hatte ihn wohl eher milder gestimmt, denn er meinte: „Tut mir leid, ich wollte dich nicht so anfahren, aber bitte halte dich von mir in Zukunft fern“.
„Fern halten? Wie meinst du das nun? Heißt das, dass wir uns doch nicht wiedersehen? Ich dachte, du wolltest mir in dieser schweren Zeit beistehen“, spielte ich auf den Tod von Claudio an, den ich natürlich nicht vergessen hatte. Bei dem Gedanken, in Zukunft auf mich allein gestellt zu sein, was dieses Thema betraf, traten mir Tränen in die Augen und ich vergrub mein Gesicht in beide meiner Hände.
Oh Gott, hoffentlich weinte ich nicht vor Ced! Als ich in einem Anflug von Mut leicht meinen Kopf hob, erkannte ich sehr deutlich, dass dieser mit sich rang. „Ich … ich weiß es nicht!“, gab er dann schließlich zu, was mir innerlich einen starken Stich nach dem anderen versetzte.
„Aber warum denn? Warum möchtest du auf einmal nichts mehr mit mir zu tun haben?“, wollte ich traurig von ihm wissen. „Von möchten ist hier nicht die Rede. Ich muss dich schützen“, räumte Cedric schließlich vor mir ein, was ich nicht verstand. Ahnungslos entgegnete ich: „Vor wem oder was? Vor dem Kuttenträger? Was sollte er schon von mir wollen? Außerdem kann ich mich alleine wehren“.
Der Braunhaarige wusste weiterhin nicht wie ihm geschah, erwiderte dann aber: „Es ist egal, um was es geht. Es wird schon reichen, wenn wir uns nicht mehr sehen. Ich konnte doch auch nicht ahnen, dass sie mich zum ungünstigen Zeitpunkt aller Zeiten aufgespürt haben!“. „Ced, bitte erkläre es mir! Du kannst doch nicht einfach so den Kontakt zu mir abbrechen!“, verlor ich langsam aber sicher die Geduld.
Was zur Hölle verschwieg er mir nur? Ging es mich wirklich etwas an? Eigentlich kannte ich ihn doch kaum. Seine Stimme holte mich sofort in das Hier und Jetzt zurück. „Ich kann dir nur raten, dich mir nicht mehr zu nähern und genau auf deine Umgebung zu achten. Was du daraus machst, liegt bei dir“, redete Ced unbeirrt auf mich ein.
Gerade als ich zu einem Konter ansetzte, griff er sich mit seiner linken Hand an den Kopf und raufte sich sein dichtes, volles Haar. „Fabrizia, bitte!“, flehte er mich an und hatte dabei sogar seine Hände auf meine Schultern gelegt. Eindringlich sah er mich an, was mich den Blick sinken ließ.
Das schien er falsch verstanden zu haben, denn er gab mir einen Kuss auf die Stirn und meinte: „Danke“. Danach ergriff er aufgewühlt die Flucht. „Aber... aber ich habe damit doch nicht gemeint, dass ich damit einverstanden bin!“, schrie ich ihm hinterher, wurde jedoch ignoriert und das obwohl er genau gehört hatte, was ich gesagt hatte. Warum sonst sollte er eine abwehrende Handbewegung gemacht haben?

Total Eclipse Of The Heart

Cedric's Sicht!
Unruhig schloss ich die Augen und horchte in die Stille hinein. Es war gerade nicht wirklich einfach für mich Geige zu spielen. Zumal ich den Songtext vor kurzem erst vollendet hatte und ihn zum ersten Mal auf meinem Instrument spielen wollte.
Ständig sah ich sie vor mir. Ihre rehbraunen Augen, die auf mich gerichtet waren sowie ihre schwarzen Haare, die wie Seide glänzten. Noch mehr konnte ich allerdings nicht ihre Angst aus meinem Gedächtnis verdrängen, als wir dem Fremden begegnet waren. Dass ich ihn kannte, hatte ich ihr verschwiegen.
Ich wollte diese Frau nicht beunruhigen, außerdem war das mein Problem und nicht ihres. Als ich sie kennengelernt hatte, war sie verdammt taff gewesen. Innerlich schien das aber anders zu sein. Vermutlich wollte sie nicht, dass ich mehr über sie herausfand. Oder sie hatte davon keine Ahnung.
Allgemein war Fabrizia ein ganz schwieriger Mensch, aber wenn ich so an mich dachte, konnte ich ihr das nicht verübeln. Nur hatte sie von manchen Dingen nicht den blassesten Schimmer. Das hatte ich bereits früh erkannt. Sie war einfach nur verwöhnt. Richtig klischeehaft, wenn man die Tatsache bedachte, dass sie reich war.
Diese Frau war es gewohnt, dass Männer nach ihrer Pfeife tanzten und sie umgarnten wie eine Trophäe. Wenn ich so genauer darüber nachdachte, dann fragte ich mich, ob sie überhaupt so etwas wie Würde oder Stolz besaß.
Zugegebenermaßen war sie wirklich überdurchschnittlich attraktiv, doch waren mir Frauen zuwider, die es vorzogen, von mehreren Männern Aufmerksamkeit bekommen zu wollen und dies auch mit aller Macht durchsetzten. Ich wollte eine Frau an meiner Seite, die Klasse besaß und nicht darauf bestand, dass man sie zum Trinken oder Essen einlud. Der ein Mann ausreichte. Nein, in diesem Punkt war Fabrizia wirklich primitiv gestrickt.
Ob sie wohl wusste, das mehr in ihr steckte? Das wagte ich zu bezweifeln. Sie schien eher in ihrer eigenen Welt verloren zu sein und den Blick für wirklich wichtige Dinge aus den Augen gelassen zu haben.
Es würde mit ihr also nicht langweilig werden. Wenigstens etwas Gutes, wenn ich da an all die Probleme, die mich umgaben, dachte. Diese Frau brachte frischen Wind mit, den ich bitter nötig hatte.
Zudem fragte ich mich, wie weit ich bei ihr gehen konnte. Da ich mit ihr sowieso keine feste Bindung eingehen würde, brauchte ich mir auch über die Folgen meines Spiels keine Gedanken machen. Oh, wenn ich doch gewusst hätte, wie fatal dieses sein werden würde!

 

Lustlos legte ich meine Violine, die von Antonio Stradivari höchstpersönlich gebaut worden war, beiseite und ging in meinem Zimmer, das ich ausschließlich fürs Komponieren nutzte, auf und ab.
Irgendwie musste ich die Katastrophe, von der ich schon jetzt ahnte, verhindern. Es gab zu Vieles, das mich daran hinderte, ein normales Leben zu führen. Schon als ich vorhin aufgestanden war, musste ich daran denken. Meine Taschenuhr hatte mir angezeigt, dass es kurz vor acht Uhr gewesen war.
Meine Hand glitt daraufhin in meine Hosentasche, in der ich das kostbare Stück stets mit mir herumtrug. Wenn ich Giovanni glauben schenken konnte, dann war diese einst in dem Besitz von – wie sollte es anders sein – Antonio Stradivari gewesen. Es handelte sich um eine Halbsavonette, einer silbernen Uhr, die im Gegensatz zur Savonette einen geöffneten Sprungdeckel besaß und man somit die Uhrzeit, die durch römische Ziffern gekennzeichnet war, auch ohne diesen zu betätigen ablesen konnte.
Mein Blick lag noch immer darauf, wohingegen sich meine Gedanken überschlugen. Die Uhr war unfassbar alt und hatte schon viel erlebt. Ich fragte mich, was für Geschichten sich hinter ihr wohl verbergen mochten. Und welche folgen würden.
Immerhin war sie seit ein paar Jahren mein Eigentum und ich noch nicht alt. Vielleicht würde sie eines Tages meinem Sohn gehören, doch ob ich je Kinder haben würde war ungewiss. Ich machte mir darüber auch noch keine ernsthaften Gedanken, immerhin war für eine Beziehung kein Platz in meinem Leben, was auch sehr gut so war.
Generell wollte ich keine Personen, die mir auch nur eine Kleinigkeit bedeuteten, um mich herum haben. Es war besser so. Das konnte und wollte ich nicht mit meinem Gewissen vereinbaren. Ja, das Leben konnte wirklich grausam sein. Kein Wunder also, dass ich mich voll und ganz der totalen Verfinsterung meines Herzen hingab.
Und wenn ich da so an Fabrizia dachte, fühlte ich mich nur umso gestrafter. Diese Frau nahm sich das, was sie wollte. Sie also von mir fernzuhalten schien mir zwecklos und doch würde ich mein Bestes geben. Auch wenn sie schon einem meiner Geheimnisse auf der Spur war. Ich traute ihr aber nicht zu, dass sie ebenso rasch dahinterkommen würde.
Das war ein gutes Stichwort. Mechanisch lief ich ins Bad, wo sich mein Medizinschrank befand und holte mein Medikament. Voller Ehrfurcht starrte ich die rechteckige Packung an und nahm einen Blister heraus. Seufzend drückte ich zwei der großen Tabletten heraus. Seit acht Jahren waren sie mein ständiger Begleiter und daran würde sich wohl auch nie etwas ändern.
Schwermut überkam mich. Es war zum Verrücktwerden, so in seiner Freiheit eingeschränkt zu sein. Doch, wenn ich so genauer darüber nachdachte, fragte ich mich, wer schon wirklich frei war. Alle Menschen waren doch nur Sklaven eines Systems. Das System, das sich Leben nannte.
Scheiß drauf, dachte ich, entzweite die beiden Tabletten und spülte sie mit einem Glas Wasser herunter. Erleichtert darüber, dass der bittere Geschmack ausblieb, atmete ich aus. Den bekam ich auch nur dann zu spüren, wenn ich mein Medikament mit einem süßen Getränk zu mir nahm.

 

Mein Weg führte mich schließlich zurück in das Zimmer, in dem ich zuvor gewesen war. Sanft strich ich über meine Violine, die einen Namen trug. So würde ich sie nicht quälen, sondern stets darauf bedacht sein, sie zu achten und zu pflegen. Und schon gar nicht würde ich sie kaputt machen.
Giovanni würde sie mir zwar reparieren, doch ich wusste nur zu gut, dass er mir einen Vortrag darüber halten würde, dass ich es gar nicht verdient hatte, so ein außergewöhnliches und wertvolles Instrument mein Eigen nennen zu dürfen. Generell wollte ich ihm nicht begegnen und doch passierte es hin und wieder.
Im nächsten Moment schüttelte ich unbekümmert den Kopf und lachte. Ich lachte über mich und meine Gedanken. Der Kontakt von Gio und mir beschränkte sich sowieso nur auf alles, was mit meiner Geige zu tun hatte. Also eigentlich eine ganze Menge. Immerhin war sie mit das Kostbarste, was ich besaß.
Und trotzdem würde ich mein eigenes Leben leben. Da konnte der alte Mann mir noch so viel versuchen hineinzureden, er würde mich nicht brechen. Schlimmer konnte es nicht mehr werden, denn in vielerlei Hinsicht war ich schon gebrochen genug.
Ach, es war doch immer dasselbe. Ein sich wiederholendes Szenario, ein Déjà-vu. Und was machte ich? Ja, letztendlich gab ich mich auch nur meinem Schicksal hin. Was sollte ich auch dagegen tun? Manchmal gab es Momente, in denen ich glaubte, dass jedes irdische Dasein schon vorher einen bestimmten Platz hatte. Das Schicksal vorherbestimmt war.
Dagegen vermochte sich niemand zu wehren. Wie denn auch? Ich zum Beispiel ließ alles auf mich zukommen, doch wenn es darum ging, dass ich andere in Gefahr brachte, kannte ich keine Gnade. Es war ein Wunder, dass sie Giovanni noch nichts antaten, obwohl sie von seiner Existenz wussten. Vermutlich war ihnen ebenso sehr bewusst, dass er mir nichts bedeutete. Ich somit unverwundbar war.
Natürlich hätten sie mich schon längst töten können, doch war ich mir sicher, dass sie es lieber genossen, zu sehen, wie ich stets auf meine Umgebung achtete und penibel darauf bedacht war, niemanden in diese Sache hineinzuziehen. Anfangs war ich davon überzeugt gewesen, dass sie mich umbringen wollten, was mir hinterher lieber gewesen wäre.
Irgendwann hatte sich meine Denkweise verändert und ich war dahintergekommen, dass sie Sadisten waren. Wie blind ich doch vorher gewesen war und ich einst tatsächlich zu ihnen aufsah. Darüber konnte ich heute nur noch den Kopf schütteln. Selbst über mich. Und über meine Torheit.
Als Kind und Jugendlicher war man so blind und verblendet von den schönen Dingen, dass man das Wesentliche aus dem Augen verlor. Ich hatte früh lernen müssen, dass man Gutes nur mit Vorsicht genießen sollte. Viel zu früh. Mein Blick glitt zu der großen Glaswand, durch die ich einen wunderschönen Ausblick auf das Meer hatte. Und davor prangten sie in voller Pracht: Große, strahlende Sonnenblumen.

 

Voller Sehnsucht glitt meine Hand langsam zur Scheibe und ich lehnte mich mit der Stirn dagegen. Meine Augen schloss ich. Oh, wie sehr ich mir wünschte, Claudio würde noch leben! Leider war er damals ums Leben gekommen.
Mit ihm auch ein Teil von mir. Ab jenem Zeitpunkt ging es stetig bergab für mich. Ich konnte von Glück reden, noch am Leben zu sein. Nur fragte ich mich, ob es nicht doch eine Tortur war. Eine Flucht war zwecklos, sie würden mich sowieso finden und so bekannte ich mich dazu ein Abtrünniger zu sein.
Für sie war ich nun ein Freiwild und meine einzige Chance, ihnen zu entkommen war der Tod. Nur war ich viel zu feige dafür, mir das Leben zu nehmen. Zwar hätte dann alles ein Ende und ich war endlich frei, doch würde ich nicht mehr unter den Lebenden weilen. Das wollte ich nicht.
Ich hatte noch so Vieles zu erledigen und seitdem ich Fabrizia begegnet war, wurde mir klar, dass ich weitermachen musste. Komme was wolle. Immerhin hatte ich es Claudio – ihrem besten Freund – versprochen. Wenigstens dieses eine Versprechen wollte ich nicht brechen. Das war ich ihm schuldig und mir selber auch.
Kopfschüttelnd begab ich mich zurück zu meiner Violine. Als ich schließlich mit dem Spielen fortfahren wollte, merkte ich wie unruhig ich war. Meine gesamte Haltung war zittrig. Als ob ich mich jeden Moment verkrampfen würde.
Hoffentlich war es nicht das, was ich dachte. Rasch setzte ich mich auf den Boden und wartete. Wartete darauf, ob sich mein Verdacht bestätigen würde oder nicht. Fünf Minuten starrte ich meine Taschenuhr an und war erleichtert, dass alles in Ordnung war.
Somit startete ich einen neuen Versuch meiner Komposition. Glücklicherweise war das Zittern schwächer geworden, doch kaum nahm ich auch nur den ersten Ton wahr, zuckte ich erschrocken, aber auch gleichzeitig überrascht und angewidert zusammen.
Seit wann spielte ich so mies Geige? Eigentlich war ich doch ein Meister darin. Im nächsten Moment schweiften meine Gedanken zu meinen ersten Unterrichtsstunden. Dort sagte man mir, ich sei ein Wunderknabe und, das ich dieses Instrument irgendwann im Schlaf beherrschen würde.
Davon merkte ich jetzt überhaupt nichts. Dafür umso mehr, dass eine Saite gerissen war. Verdammter Mist! Mir blieb auch gar nichts erspart. Ein Gutes hatte der Gang zu Giovanni dann doch: Ich würde gleichzeitig meine Violine zur Säuberung geben können.

 

Bevor ich das jedoch tat, gönnte ich mir an diesem frühen Morgen einen Spaziergang zum Meer. Feli legte ich in ihren Koffer und machte mich sofort auf dem Weg. Es dauerte nicht lange, bis ich da war.
Kaum atmete ich die frische und zugleich salzige Meeresluft ein, entspannte ich mich. Ja, hier war es immer noch am Schönsten! Und diese Ruhe empfand ich auch als äußerst wohltuend. Zum Glück waren um diese Zeit noch nicht viele Touristen da, dennoch zog ich die kleine Bucht vor.
Dort konnte ich mir sicher sein, dass ich alleine und ungestört war. Ich suchte mir einen Felsen zum Anlehnen. Meine Geige dagegen hielt ich fest in meinem Arm. Dann entspannte ich mich. Endlich. Mit einem Lächeln auf den Lippen schloss ich meine Augen und lauschte dem Meeresrauschen.
Wie herrlich das war! Manchmal hatte das Alleinsein auch etwas Schönes an sich. Man musste sich niemandem stellen und ebenso wenig reden. Da gab es nur mich selbst. Und das war das Wichtigste.
Viele Menschen stellten das Wohl anderer über das ihres. Wie töricht von ihnen! Immerhin gingen allein sie ihren Weg und nicht andere. Spätestens wenn es mal schlechte Zeiten gab, war man ohnehin auf sich allein gestellt.
Also wozu sich an jemanden binden? Es reichte doch völlig aus, wenn man alleine den Pfad durchs Leben ging. So war man auf emotionaler Ebene von niemandem abhängig. So etwas Dummes wollte ich auch nicht begreifen. Vermutlich lag das in der Natur des Menschen, sein Wohlbefinden in die Hände anderer zu legen.
Seufzend schüttelte ich den Kopf, wurde im nächsten Moment aber hellhörig. Leider war es vorbei mit meiner Ruhe. Kaum war sie stehen geblieben, sagte ich schon: „Na das ist aber eine nette Überraschung, Fabrizia!“.
Hörbar schnappte sie nach Luft. Vermutlich fragte sie sich, woran ich sie erkannt hatte, obwohl meine Augen geschlossen waren. Ja, ich döste weiterhin auf dem Sand. Weshalb sollte ich auch von ihrem Auftauchen erstaunt sein?
Im Gegenteil, ich hatte gewusst, dass sie mich irgendwann aufsuchen würde. Sie war ein gutes Beispiel für emotionale Abhängigkeit. Sie brauchte die Aufmerksamkeit anderer und ich war ihre einzige Verbindung zu Claudio. Es würde also ganz bestimmt amüsant mit ihr werden.
Ein diabolisches Lächeln zeichnete sich auf meinem Gesicht ab und ich musste den Drang, zu lachen unbedingt zurückhalten. Schließlich gab ich meinen Widerstand auf und konnte gar nicht mehr aufhören mich über diese Frau zu amüsieren.
Diese meldete sich sofort zu Wort. „Was zu Hölle... Wie hast du mich erkannt?“, wollte sie stammelnd wissen. Ruhig wie eh und je antwortete ich: „Tja, als Violinist entwickelt man ein verdammt gutes Gehör und ist für so gut wie jedes Geräusch offen. Um es mit anderen Worten zu sagen, ich habe dich anhand deiner Gangart erkannt“.

 

Das war für mich der Moment, meine Augen zu öffnen. Ich sah direkt in ihre Maske aus Schminke. Diese hatte sich verzerrt. „Hast du einen Geist sehen oder weshalb starrst du mich so entgeistert an?“, zog ich sie unverhohlen auf, woraufhin sie erwiderte: „Nein und du hast wohl zu viel Pillen geschluckt“.
Dieses Mal war ich es, der überrascht war. „Schlagfertig bist du ja, nur wird dir das bei mir nichts bringen“, überging ich ihre Worte äußerst unverschämt. Sie sollte bloß nicht ahnen, was für eine Wirkung ihre Bemerkung hatte.
Damit war auch nicht zu spaßen. Vermutlich würde sie es genauso sehen, wenn ich mit ihr darüber sprechen würde. Nur tat ich es nicht. Um genau zu sein mit niemanden. Wen hatte ich auch schon? Niemanden.
Allgemein war ich eher ein Mensch, der seine Probleme alleine bewältigte. In diesem Augenblick fragte ich mich, wie Fabrizia da war. Und auch eine andere Frage beschäftigte mich mit einem Mal. „So bekannt kannst du nicht sein, denn sonst würdest du mich nicht andauernd aufsuchen, sondern mit deinen Freundinnen etwas unternehmen“, gab ich meine Gedanken offen kund.
Abermals entglitten der Frau die Gesichtszüge. Ich dagegen war wieder die Ruhe selbst. Glücklicherweise hatte mein Ablenkungsmanöver sein Resultat nicht verfehlt. „Ähm... Also“, stammelte Fabrizia völlig aus der Bahn. Fragend zog ich eine Augenbraue nach oben und grinste sie süffisant an.
Ihr Blick veränderte sich daraufhin. Sie schien etwas sauer zu sein, was ich aber nur mit einem noch dreisteren Grinsen quittierte. Als sie jedoch ihren Blick sank, beließ ich meine Stichelei. „Ehrlich gesagt habe ich nur eine richtige Freundin“, offenbarte sie mir seufzend und gar nicht mehr so selbstbewusst wie sonst.
Da wurde ich hellhörig. Ehrlich gesagt erstaunte mich diese Tatsache dann doch etwas und das obwohl mir klar war, dass kaum jemand etwas mit einer arroganten Schnepfe zu tun haben wollte. Mehr war sie in meinen Augen nämlich nicht und dennoch war da etwas in ihr, was sie tief in sich vergraben hatte.
Scheinbar ließ mich meine Menschenkenntnis nicht im Stich. Warum sonst war sie auf einmal so am Boden zerstört? Vermutlich konnte sie selbst nicht fassen, dass sie vor mir so zerbrechlich wie Glas war.
„Und was ist mit dieser richtigen Freundin? Wo ist sie? Warum bist du so alleine?“, bereitete ich meinem Nachdenken ein jähes Ende. Ihre Augen, die zuvor noch so verletzlich wie die eines Rehkitzes waren, verengten sich zu Schlitzen. Barsch antwortete sie mir: „Ich wüsste nicht, was dich mein Leben und die Personen, die darin eine Rolle spielen, angehen!“.
Oh, sie versuchte es wieder auf diese Art und hatte dabei nicht den blassesten Schimmer, wie sehr diese mir gefiel. Völlig unbeeindruckt entgegnete ich: „Gib dir keine Mühe, ich kann in dir lesen wie ein offenes Buch. Du bist einsam, verdammt einsam und hast niemandem, mit dem du sprechen kannst. Wenn du nicht schleunigst etwas an dir änderst, wirst du alleine zugrunde gehen“.
Nach meinen Worten war es still. Die Schwarzhaarige überlegte und ich machte keinen Hehl daraus, dass ich sie anstarrte. Sie sollte ruhig sehen, dass ich sie im Visier hatte. „Als ob! Ich bin wie ein Labyrinth. Wann immer du denkst, du wärst am Ausgang so tun sich neue, mysteriöse Wege auf“, versuchte sie Haltung zu bewahren.
Das funktionierte bei mir nicht. Oh nein, da war sie an der komplett falschen Adresse! Lässig wie eh und je konterte ich: „Ja, du bist ein Labyrinth. Aus Glas. Also spare dir deine Mühe, dich auf irgendeiner Weise interessant zu machen. Das bringt dir eh nichts“. „Wohl eher aus Milchglas. Du meinst mir in die Karten blicken zu können und doch kann der Schein trügen“, bot sie mir die Stirn.
Ja, dieses Gespräch gefiel mir immer mehr! „Kann, aber muss nicht“, blieb ich hart und ließ sie nicht gewinnen. Im Gegenteil, sie gab sich damit geschlagen, indem sie schwieg und zum Meer blickte.

 

„Sie ist mit ihrem Freund irgendwo in der Nähe hingezogen“, flüsterte Fabrizia irgendwann und griff damit das Thema um ihre beste Freundin auf. Dazu wusste ich auch etwas zu sagen. Schon fast bewundernd meinte ich: „Ein schönes Paar sind die beiden ja“.
Damit hatte ich sie scheinbar provoziert, denn die Frau schnaubte verächtlich. Erbost erwiderte sie: „Als ob! Es ist doch nur eine Frage der Zeit, bis dieses Arschloch ihr das Herz bricht!“. „Entweder bist du einfach nur neidisch auf ihr Liebesglück oder du machst dir unheimliche Sorgen um sie“, schlussfolgerte ich aus ihrer Bemerkung.
Anstatt sich über mich aufzuregen, lachte sie über meine Vermutung. So so, sie konnte auch anders. Kichernd klimperte sie mit ihren perfekten Wimpern, die einen Mann um den Verstand bringen konnten und sagte: „Also bitte! Ich gönne ihr doch, dass sie glücklich ist, aber nicht mit ihm! Und außerdem mache ich mir nichts aus der Liebe. Nur nehme ich stark an, dass sie eines Tages bitter enttäuscht wird und dann darf ich sie wieder aufbauen“.
Also stimmte es, was ich gedacht hatte. Deutlich ruhiger gab sie dann schließlich zu: „Weißt du, du hättest sie sehen sollen, als sie am Boden zerstört war. Ich hatte zeitweise wirklich gedacht, dass sie sich etwas antun würde. Ich kann und mag sie nicht noch einmal so leiden sehen“.
Es war doch immer dasselbe mit Menschen! Da konnte ich von Glück reden, dass ich nicht mehr verletzt werden konnte, da ich eh nichts mehr zu verlieren hatte. Mein Leben bedeutete mir sowieso nichts, von daher war ich aus der Sache fein raus. „Großer Gott, ihr seid wirklich zu bemitleiden. Bestimmt hat sie nicht einmal ersucht mit dir Kontakt aufzunehmen“, frotzelte ich.
Fabrizia, die mir bis eben total schwach vorkam, baute sich direkt vor mir auf. Ihr Antlitz glich dem eines Stiers. Wütend wie eh und je schrie sie: „Was hast du schon eine Ahnung vom Zusammenleben? Mir scheint eher, als ob du große Baustellen hast anstatt ich. Ja, ich bin arrogant und nutze auch andere Menschen aus, aber du, mein Lieber, bist sozial inkompetent und das auf höchstem Niveau!“.
„Wie war das?“, erkundigte ich mich gefährlich ruhig über das, was ihr Mund soeben so schlagfertig verlassen hatte. Zuckersüß wiederholte sie ihre Worte. „Nun, ich sagte, dass du es nicht fertig bringst dich in die Gesellschaft zu integrieren“. Damit war es mit meiner Selbstbeherrschung vorbei. Ruckartig erhob ich mich von meinem Platz, wobei meine Violine auf den Sand fiel.
Ertappt sah ich sofort nach, ob sie noch unversehrt war. Erleichterung durchströmte mich, als ich feststellte, dass noch alles beim Alten war. „Warum verschwende ich überhaupt meine Zeit mit so einem arroganten Miststück wie dir? Ich wollte schon längst meine Geige zur Reparatur geben“, entfuhr es mir laut.

 

Damit machte ich mich auf dem Weg oder besser gesagt ich wollte es. Natürlich stellte mir diese verdammte Pute nach. Dass sie es nicht einfach mal lassen konnte. Nein, sie musste sich in allen Dingen einmischen! Da bereute ich gleich noch mehr, dass ich mich mit ihr abgab.
„Was willst du noch? Musst du nicht arbeiten?“, wollte ich genervt wissen. Lächelnd antwortete Fabrizia: „Das dauert noch ein paar Wochen“. „Na dann. Gut, musst du nicht noch deine Villa einräumen?“, startete ich einen weiteren Versuch, sie loszuwerden. Unschuldig wie eh und je erwiderte sie: „Dafür habe ich auch noch später genug Zeit. Oder Morgen, ach was sage ich da übermorgen oder doch nächste Woche?“.
Ich konnte und sollte sie unmöglich mit zu Giovanni nehmen! Das wollte ich ihr nicht antun. „Du musst auch alles über mich wissen, oder?“, entfuhr es mir mit knirschenden Zähnen. „Ich kann auch nichts dafür, dass du so ein Leckerbissen bist“, schnurrte sie, was mich aus dem Konzept brachte, doch nie würde ich das vor ihr zugeben!
Lieber lachte ich wohlig, woraufhin Fabrizia mich noch mehr anflirtete. „Du ahnst nicht, wie sexy das klingt. Wie sexy du klingst“, hauchte sie. „Das ist mir gleichgültig“, mimte ich den Unbeeindruckten, obwohl es es mich überraschte, dass sie keinen Hehl aus ihrem Interesse mir gegenüber machte.
Ihr Mund verzog sich zu einer Schnute, was unheimlich niedlich aussah. Meine Güte, ich musste diesen Gedanken sofort aus meinem Kopf verbannen! „So reserviert wie du bist, ist ja selbst ein Eiswürfel wärmender als du“, regte sie sich über mich auf, woraufhin ich nur sagte: „Dann verstehe ich nicht, was du noch von mir willst“.
Das war eine berechtigte Frage. Und doch kannte ich die Antwort. „Nun, es macht dich unheimlich sexy und interessant“. Hatte ich es doch gewusst. Na super, dabei wollte ich alleine sein! „Ich kann aber keine Nervensäge gebrauchen“, wies ich sie in ihre Schranken und hoffte so, dass ich endlich meine ersehnte Ruhe zurückbekam.
Da hatte ich die Rechnung aber ohne eine gewisse Frau Ferro gemacht. Oder besser gesagt Frau Da Ferro. Diese überging meinen bösen Kommentar einfach und flötete gut gelaunt: „Na wie gut, dass wir das geklärt haben. Da kannst du mir zeigen, wo es langgeht“.
Auch wenn ihr zweiter Satz mit jeder Menge Zweideutigkeit gepaart war, ging ich nicht weiter darauf ein, dass sie mich nicht alleine gehen lassen wollte. Im Gegenteil, ich erwiderte lieber: „Vermutlich wäre es dir lieber, wenn ich dir im Bett zeigen würde, wie der Hase läuft, was?“.
„Lenke nicht ab, sondern nehme mich lieber mit. Mich interessiert es gerade nämlich brennend, wie man so eine Violine repariert und was man dabei beachten muss“, ließ sie mich zu meiner großen Überraschung eiskalt abblitzen.
Und noch etwas ging mir nicht aus dem Kopf. Heuchelte sie ihr Interesse gegenüber meinem Instrument nur vor oder wollte sie wirklich mehr darüber erfahren? Aus irgendeinen Grund glaubte ich ihr nämlich. Und so ließ ich ihr schließlich doch gewähren.

Shot Yourself In The Foot Again

Nichtsahnend war ich zum Strand gegangen und prompt Cedric über den Weg gelaufen. Ich hatte nicht die Ambition gehabt, ihn zu treffen, aber ich war trotzdem hocherfreut gewesen, ihn zu sehen.
Nur leider schien ihn das ganz und gar nicht zu gefallen. Im Gegenteil, er wollte mich eher loswerden und damit hatte er nur noch mehr meine Neugier geweckt. Dieser Violinist war mit allen Wassern gewaschen und so geheimnisvoll, dass ich mich ihm schon lange nicht mehr zu entziehen vermochte.
Im Gegenteil, es wurde immer schlimmer, umso öfter ich ihn sah. Er war so nah und doch so fern. Zu meinem Entsetzen hatte er keinerlei Interesse an mir. „Wieso gibst du dich eigentlich mit mir ab, wenn du eh so reserviert bist?“, fragte ich ihn ganz direkt, als wir die kleine Bucht verließen.
Sein Blick glitt zu mir. Vermutlich suchte er nach den richtigen Worten, denn er sah äußerst nachdenklich aus. Ihm schien plötzlich ein Licht aufzugehen, denn voller Enthusiasmus antwortete Cedric: „Ich habe dir doch versprochen, dir zu helfen, über den Tod von Claudio hinwegzukommen“.
Es ging ihm also ausschließlich darum? Diese bittere Erkenntnis versetzte mir einen Stich nach de anderen im Herzen. Wie kleine Nadeln bohrten sie sich immer tiefer in das Zentrum meines Körpers.
Körper war ein gutes Stichwort. Passte ihm etwas nicht an mir? Wenn ich so über mein Aussehen nachdachte, konnte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass es da Baustellen gab. Bei einer Größe von einem Meter und einundachtzig Zentimetern besaß ich ein Gewicht von vierundsiebzig Kilo.
Ich hatte also satte Kurven zu bieten, die aber nicht übertrieben waren. Mein Bauch war flach und meine Brüste hatte eine üppige Größe von 75 C, die eine sehr deutliche Tendenz zum D-Körbchen hatten . Nicht zu vergessen wies mein Antlitz tiefste Reinheit vor und auch an meinen langen Haaren hatte ich nichts auszusetzen. Sie waren tiefschwarz und schimmerten wie Seide. Und meine braunen Augen waren voller Sinnlichkeit.
Was zur Hölle hatte also Cedric an mir zu meckern? „Du kannst nicht fassen, dass es mir nur darum geht, oder?“, holte mich auch schon seine Stimme zurück in die Wirklichkeit. „Wie bitte?“, harkte ich nach, da er mich mit seiner unerwarteten Reaktion völlig aus der Bahn warf.
Er wiederholte seine Worte und sofort war ich wieder bei klarem Verstand. Ungerührt sagte ich: „Du bist nicht der einzige Mann auf dieser Welt, also keine Sorge, ich kann mir meinen Spaß holen, wann immer ich will“. Das sollte reichen. Zumindest dachte ich es. „Ja, nur dumm, dass du keinen anderen außer mir willst“, überging er mich einfach.
War er von allen guten Geistern verlassen? Wie konnte man nur so arrogant sein? „Du bist unmöglich!“, regte ich mich über ihn auf, was ihn zum Grinsen brachte. Dann meinte er: „Damit habe ich ins Schwarze getroffen“. „Ach, sei doch ruhig du selbstgefälliger Casanova!“, blaffte ich ihn an.

Dieser Schnösel konnte mir wirklich gestohlen bleiben! „So nicht, junge Dame. Hast du schon mal etwas von Respekt gehört?“, tadelte mich der Braunhaarige, was mich zum Lachen brachte. Ungehalten kicherte ich: „Ausgerechnet du willst mir etwas von Respekt erzählen? Also bitte! Du bist doch derjenige, der mich nicht an sich heranlässt!“.
Gott, wie mich dieser Mann aufregte! Und gleichzeitig machte genau das aus ihm einen sehr speziellen Menschen. „Eines Tages wirst du verstehen, was ich meine und dann wirst du mir dankbar sein“, erwiderte Cedric nur mit einem schwachen Lächeln. Täuschte ich mich oder hatte er es sich wirklich in den Kopf gesetzt, mir genau das zu zeigen?
Abermals verwirrte er mich, doch im nächsten Moment richtete ich meine Augen auf das imposante Gebäude, was sich vor uns aufbaute. Wahnsinn, das sah fast aus wie ein Schloss! Und doch war es nur ein Geigenbauatelier.
Sofort war meine Neugier geweckt. Ich fragte mich, wie es wohl von innen aussah. Es war aus weißem Marmor gebaut, was unheimlich edel aussah. Zudem wurde es durch Säulen getragen, was sehr antik wirkte.
Im Inneren traf mich der nächste Schlag. Vor mir erstrecke sich ein langer Korridor an dessen Seiten sich hohe Fenster befanden. Cedric sah mich überrascht an, anscheinend überraschte es ihn zutiefst, dass ich mich so interessiert umsah.
Tja, da konnte er mal sehen. In mir stecke viel mehr als man auf den ersten Blick erkennen konnte. „Möchtest du lieber hier warten?“, fragte er mich, woraufhin ich energisch mit dem Kopf schüttelte. Ebenso sicher erwiderte ich: „Ich möchte diesen Giovanni sehen“. „Glaube mir, das möchtest du nicht“, versuchte mich der Braunhaarige zu beschwichtigen, doch ich bestand darauf mitzukommen.
Ergeben seufzte er auf und sagte: „Dir ist wirklich nicht mehr zu helfen. Sage mir danach aber nicht, dass ich dich nicht gewarnt hätte“. „Ist gut“, blieb ich bei meinem Vorhaben. Schweigend gingen wir den Korridor entlang und ich war immer wieder von der fantastischen Aussicht überrascht.
Vor einer dunkelbraunen Holztier blieb Cedric schließlich stehen. Fast wäre ich gegen ihn gestoßen, doch konnte ich noch rechtzeitig stocken. Der Mann vor mir rang mit sich. Langsam glitt seine Hand zur Tür, doch ließ er diese kurz davor wieder sinken. Täuschte ich mich oder zitterte er sogar etwas?

Es ging so weiter, bis ich es schließlich nicht mehr aushielt. „Geh weg“, erhob ich entschlossen meine Stimme und klopfte kräftig am Eingang. Ced sah mich daraufhin mit geweiteten Pupillen an. Warum verstand ich nicht. Selbst war die Frau!
Von innen hörte ich nur ein Schnauben. „Herein!“, schrie eine mir auf Anhieb unsympathische Stimme. Cedric packte mich am Arm oder besser gesagt er wollte es. Doch da hatte ich schon die Tür aufgemacht und trat in den Raum.
Vor mir erstreckte sich ein äußerst großes Zimmer. Überall sah man Violinen oder Teile davon. Mein Blick wandte sich jedoch zu dem Mann, der mich fixierte. Er war recht groß, fast so groß wie Ced. Seine Haare waren sehr dunkel und an einigen Stellen schon grau. Er trug einen Vollbart und seine korpulente Figur erfüllte vollständig das Klischee eines unansehnlichen älteren Mannes.
„Was kann ich für Sie tun, Signorina?“, fragte er sichtlich verblüfft über mein Auftauchen. Vermutlich kam es nicht alle Tage vor, dass so eine hübsche Frau wie ich hierher kam. Seine Blicke sprachen Bände.
Hinter mir tauchte schließlich Cedric auf. Den hatte ich schon fast vergessen. Dieser trat an mir vorbei und blieb genau vor dem Geigenbauer stehen. „Du schon wieder. Sag bloß sie ist deine Freundin? Was findet eine so hübsche Frau nur an einem Unnütz wie dir?“, blaffte der ältere der beiden.
Was waren das bitte für Töne? Hatte er keine Manieren? Ceddy antwortete nur: „Nein, ist sie nicht. Sie hat sich mir aufgedrängt. Ich hielt es ja für keine gute Idee, sie mitzunehmen, aber Thusnelda musste ja unbedingt mit“. „Hey, ich kann dich sehr gut hören!“, zischte ich und ärgerte mich über seine Unverschämtheit.
Aus der Kehle des Mannes drang ein höhnisches Lachen. „Unhöflich wie eh und je, aber das bin ich von meinem Neffen schon lange gewohnt“, amüsierte er sich offensichtlich über Cedric.
Mein Mund klappte weit auf. Die beiden waren verwandt? „Gio, das ist Fabrizia, Fabrizia, das ist Giovanni, mein Onkel“, machte uns Cedric miteinander bekannt. Wir reichten uns die Hände, wobei mich der Mann mittleren Alter anzüglich ansah. Dann sagte er: „Lassen Sie sich bloß nicht von ihm um den Finger wickeln“.
Das war leichter gesagt als getan, denn dummerweise hatte Cedric etwas an sich, was mich nicht zur Ruhe kommen ließ. „Ich doch nicht“, druckste ich etwas verlegen herum. „Ich hätte auch nicht gedacht, dass er mal ein Model mitbringt oder überhaupt eine Frau“, sprach Giovanni weiter.
Ehe ich etwas sagen konnte, meldete sich Cedric zu Wort. „Hast du etwa Feline vergessen?“, wollte er brüskiert wissen. Giovanni antwortete: „Du hast sie lange nicht mehr mitgebracht. Daher bin ich davon ausgegangen, dass ihr euch getrennt habt. Ich habe sowieso nie verstanden, was sie an dir gefunden hat“.
Wer zur Hölle war sie? Und vor allem, fragte ich mich, warum Ced mich angelogen hatte. Mir gegenüber hatte er noch geäußert, dass er emotionale Nähe verachtete und dann das. Na warte, dieser Schuft konnte was erleben, wenn wir wieder alleine waren!

Genau er riss mich aus meinen Gedanken. Ruhig entgegnete er: „Nein, wir wollen noch immer heiraten und daran wird sich nichts ändern. Jedoch bin ich aus einem anderen Grund hergekommen, du müsstest Feli reparieren“.
Meine Augen wurde riesengroß. Wie bitte? Er war mit irgendeiner Schlampe verlobt? Und trotzdem wagte er es mich anzubaggern? Ich konnte nicht glauben, was ich soeben mitbekam. Zumal mir nun klar wurde, dass er mit Feli nicht Felicitas, sondern seine Verlobte gemeint hatte.
„So verkorkst wie du bist, wundert es mich wirklich, dass das arme Mädchen nicht schon längst das Weite gesucht hat“, machte Giovanni keinen Hehl daraus, dass er seinen Neffen verachtete.
Ich dagegen fand sein Verhalten unter aller Würde. Meine Verwandten würde nie so mit mir umgehen! Wir hielten zusammen, egal um was es ging Und falls es doch mal Diskussionen gab, dann wurde man nicht ausfallend, sondern blieb sachlich.
Cedric blieb zu meiner Überraschung stumm, was seinen Onkel nur noch mehr anspornte. An mich gewandt meinte er: „Ich verstehe wirklich nicht, wie man nur so töricht sein konnte, seinen Adelstitel herzugeben. Dazu kommt noch, dass er es zu nichts gebracht hat. Früher einmal glaubte ich, er hätte Potenzial, doch dieser Nichtsnutz wirft es einfach so weg. Hoffentlich sind Sie da anders“.
„Es reicht!“, brüllte Ced auf einmal, was mich erschrocken zusammenzucken ließ. Hätte ich gewusst, was passieren würde, wenn ich mitkam, dann wäre ich dem Atelier wohl in der Tat  lieber ferngeblieben.
Giovanni war wirklich ein unsympathischer Mensch. Da hatte mich mein erster Eindruck von ihm wirklich nicht getäuscht. Wie kam man auch auf die absurde Idee, seinen Neffen so sehr bloßzustellen? Kein Wunder, dass Cedric sehr wütend war.
Mein Mitleid verflog allerdings schnell, denn Cedric schrie: „Und wie sie anders ist! Sie macht lieber für mehrere Männer die Beine breit und lässt sich von ihnen aushalten, obwohl sie selbst genug Geld hat!“. „Sag mal, geht’s noch? Was kann ich dafür , dass ihr Differenzen habt?“, regte ich mich über sein Verhalten auf.
Mir war zwar mein Lebensstil nicht unangenehm, aber hier ging es wirklich nicht um mich. Oder hatte ich etwas von ihrem Gespräch nicht mitbekommen? Kurz überlegte ich, kam jedoch zu der Erkenntnis, dass mir nichts missfallen war.
Giovanni hatte nur ein bitterböses Lachen für seinen Neffen übrig. Dann sagte er: „Er lenkt seit jeher von sich ab. Wirklich schwach der Knabe, nicht wahr?“. „Ich hasse dich!“, spie Cedric äußerst verächtlich.
Sein Onkel blieb ruhig und meinte nur: „Du ahnst ja nicht, wie gleichgültig mir das ist, wie gleichgültig du mir bist. Du bist eine Schande für unsere Familie!“. „Ja genau deswegen komme ich auch nur zu dir, damit du meine Violine reparieren kannst“, erwiderte der Jüngere der beiden und sprach damit den Grund für sein Auftauchen an.
Da wurde Giovanni hellhörig. „Was hast du denn nun wieder damit angestellt?“, wollte er auf einmal ganz sachlich wissen. Auch Cedric beruhigte sich. Dann antwortete er: „Eine Saite ist gerissen und es wäre gut, wenn du sie reinigen würdest“. „Du hast es wirklich nicht verdient, eine Stradivari dein Eigen nennen zu dürfen“, war sein Onkel wieder ganz der unangenehme Mann.

Trotzdem befahl er Ced ihm seine Violine zu übergeben. Dieser schlug jedoch auf den Tisch. Dann zischte er: „Und wie ich das habe! Vermutlich bekommt dir dein Atelier nicht gut!“. „Ich verbiete mir solche Respektlosigkeit!“, brüllte Giovanni und riss ihm sein geliebtes Instrument aus der Hand.
Danach holte er es aus und gab Cedric eine kräftige Ohrfeige. Während dieser von der Wucht zur Seite flog verdrehte er die Augen. Sofort rappelte er sich auf, doch hielt er im nächsten Moment inne.
Ein ungutes Gefühl beschlich mich. Was hatte er denn? Er begann am gesamten Körper zu zittern. „Cedric?“, fragte ich, doch bekam keine Reaktion. Perplex starrte ich ihn an. Was sollte das? Ging es ihm etwa nicht gut?
Urplötzlich fiel der Braunhaarige rückwärts auf den Boden und verkrampfte sich. Er streckte seine Beine von sich, wohingegen seine Hände gekrümmt waren. Seine Augen dagegen waren starr nach vorn gerichtet. An seinem Mund hatte sich Schaum gebildet.
Angst überkam mich und kroch mir bis in die Zehenspitzen. Ich wusste nicht wie mir geschah, denn ich hatte so etwas vorher noch nie gesehen. Giulia konnte mir mit Sicherheit sagen, um was es sich handelte oder es zumindest einschränken, aber ich hatte nach wie vor jeglichen Kontakt zu ihr abgebrochen.
Zum Glück war ich nicht alleine, doch seltsamerweise störte sich Giovanni nicht an dem Bild, was sich ihm und mir bot. „Was ist mit ihm?“, fragte ich panisch, doch er antwortete nur: „Lass ihn seinen Unsinn machen, er möchte eh nur Aufmerksamkeit“.
Wie konnte man nur so ungerührt bleiben? Nein, für mich sah da alles andere als gespielt aus! Cedric machte nämlich komische Laute. Als ob er aggressiv wäre und nach Luft rang. Panisch wich ich vor ihm zurück.
Er rührte sich nach wie vor nicht, obwohl ich ihn immer wieder ansprach. Minuten schienen zu vergehen und doch waren es nicht einmal fünf, als er abrupt Ruhe gab. Erleichterung überkam mich, doch dann zitterte er erneut wie Espenlaub, was mich erschrocken aufschreien ließ.
Es dauerte dieses Mal nur ein paar Sekunden an, ehe es ruhig war. „Ced?“, fragte ich vorsichtig und stupste ihn an. Nach einigen Versuchen kam er endlich wieder zu sich. „Wo bin ich? Was ist passiert?“, wollte er völlig verwirrt wissen. Ratlos stammelte ich: „Ich weiß es nicht, du hast plötzlich inne gehalten und bist dann hingefallen. Dann hast du gezittert und meine Güte, mache mir nie wieder so Angst! Du sahst teilweise wirklich aggressiv aus und erst dein starrer Blick!“.
„Verdammte Scheiße! Das hätte nicht passieren dürfen!“, fluchte Cedric, doch ich bat ihn sich zu beruhigen. Immerhin leistete er meiner Bitte Folge, denn hörbar leiser hauchte er: „Mir ist schlecht“. „Musst du dich übergeben? Kannst du aufstehen?“, bombardierte ich ihn fast mit Fragen.
„Nein, aber was mache ich hier?“, fragte er erneut. Vermutlich war er zutiefst verwirrt. Seine Augen bewegten sich immer wieder durch den Raum. „Du weißt doch genau, dass du in meinem Atelier bist. Also erspare uns bitte deine schlechte Schauspielerei“, meldete sich sein Onkel erstmals zu Wort.
Da ich eine erneute Eskalation vermeiden wollte, erkundigte ich mich zuckersüß bei ihm nach einem Glas Wasser. Ich vermutete und hoffte, dass das Cedric etwas half wieder bei Sinnen zu kommen.

Natürlich schlug Giovanni mir meinen Wunsch nicht ab und kam eine Minute später mit einem Glas Wasser zurück. „Danke“, sagte ich mit einem Lächeln und stellte es neben Cedric und mir auf den Boden. Dann nahm ich sanft seinen Kopf und hob ihn etwas an. „Trinke, vielleicht hilft dir das“.
Damit hielt ich ihm das Glas an den Lippen, welches er gierig leerte. „Brauchst du noch eins?“, wollte ich von ihm wissen, woraufhin er den Kopf schüttelte. „Kannst du aufstehen?“, fragte ich weiter, woraufhin er sich vorsichtig setzte.
Mehr ging scheinbar noch nicht, denn Cedric vergrub sein Gesicht in beide Hände und murmelte nur irgendetwas Unverständliches vor sich hin. „Was war das?“, lautete meine berechtigte Frage, doch der Braunhaarige reagierte nicht.
Verübeln konnte ich es ihm nicht, denn er sah äußerst blass aus. Bestimmt war er genauso schockiert wie ich, wenn nicht sogar noch mehr. Vorsichtig schleppte er sich zu einer Wand und lehnte sich daran.
Zaghaft folgte ich ihm und setzte mich zu ihm, passte aber auf, dass man nicht zu viel von meinen Oberschenkeln sah. Nein, das musste wirklich nicht sein. Zum Glück war mein schwarz-rot karierter Rock nicht so kurz wie andere meiner Errungenschaften.
„Was machst nur für Sachen?“, murmelte ich vor mich hin, doch Cedric hatte mich sehr wohl verstanden. „Lass es einfach gut sein. Danke, dass du dich um mich kümmerst“, würgte er mich auch schon ab. Leicht abwesend meinte ich: „Gern geschehen, irgendeiner muss es ja tun“.
Damit sprach ich seinen Onkel an, dessen Blick auf der Violine von seinem Neffen lag. Dieser rührte sich nach wie vor nicht, sondern nahm sorgfältig das Instrument unter der Lupe. „Verstehst du nun, weshalb ich nicht wollte, dass du mich begleitest?“, fragte Ced.
Betreten nickte ich und sah auf den Boden, da ich ihm nicht in die Augen sehen konnte. „Sieh mich an“, sagte er dennoch, doch ich hörte nicht auf ihn. Daraufhin machte er kurzen Prozess und nahm mein Kinn in die Hand.
Intuitiv hielt ich die Luft an. Cedric war mir ganz nahe und sah mir genau in die Augen. Dann flüsterte er: „Es ist alles gut, nur fehlt mir dein wunderschönes Lächeln. Es tut mir leid, dass du das mit ansehen musstest, mehr wollte ich dir nicht sagen“.
Nach seinen lieben Worten wurde mir unheimlich warm ums Herz. Er mochte mein Lächeln und entschuldigte sich für etwas, worauf er keinen Einfluss gehabt hatte. Dazu kam noch, dass er nach wie vor mein Kinn nicht losließ.
Wollte er mich küssen? Aus irgendeinen Grund verspürte ich genau diesen Drang. Eine Weile sah Cedric mich an, bis er schließlich seufzte und von mir abließ. Enttäuschung machte sich in mir breit, bis ich mir über unseren Aufenthaltsort bewusst wurde. Natürlich! Wir waren nach wie vor in dem Atelier seines Onkels. Da brauchte ich mich über seine Reserviertheit nicht wundern.

Eine Weile saßen wir noch in dem Raum, der von Schweigen erfüllt wurde. Jeder hing seinen Gedanken hinterher. Nur Giovanni gab ab und zu Laute von sich. Er schien genervt zu sein. Vorsichtig sah ich zu ihm und erkannte, dass er nach wie vor die Violine von Cedric bearbeitete.
„Was machen Sie da genau?“, fragte ich interessiert nach und versuchte so ein lockeres Gespräch zu beginnen. Mir behagte diese unheimliche Stille überhaupt nicht. Ich war niemand, der Angst davor hatte, im Gegenteil, ich war eher ein lebensfroher Mensch, dem Kommunikation sehr wichtig war.
Erstaunt starrten mich die Männer an, als ob sie nicht glauben konnten, dass ich etwas über die Arbeit eines Geigenbauers wissen wollte. „Ich wechsle die kaputte Saite gegen eine neue und werde die Violine reinigen“, antwortete mir der ältere Herr. „Feli müsste auch noch gestimmt werden“, schaltete sich kurz Ced ein, was sein Onkel mit einem flüchtigen Blick auf ihn zur Kenntnis nahm.
Wieder war dieser Name gefallen. Bei Gelegenheit würde ich Cedric darauf ansprechen. Jawohl! Er würde mir nicht einfach so davonkommen. Eigentlich konnte es mir egal sein, dass er so heftig mit Frauen flirtete, obwohl er bereits gebunden war, doch war er für mich nicht nur irgendein Mann.
Er war sehr speziell. Vielleicht war das auch nur eine Masche von ihm, Frauen um den Finger zu wickeln. Falls er das damit bezwecken wollte, gelang ihm das mit Bravour. Nur würde ich ihn nicht schnell aufgeben. Immerhin war ich Fabrizia Da Ferro und würde mir das nehmen, was mir beliebte.
Neben mir regte sich Cedric. „Soll ich dir helfen beim Aufstehen?“, bot ich ihm sofort meine Unterstützung an, da ich mir nach wie nicht sicher war, ob seine Sinne zu ihm zurückgekehrt waren. Mir war nicht entgangen, dass er nach dem Aufwachen völlig orientierungslos gewesen war.
Glücklicherweise schüttelte er den Kopf, bevor er antwortete: „Es geht schon, danke“. „So ist mein Neffe eben. Kaum hat er das, was er will, verschwindet er sofort“, fing Giovanni wieder an, den Braunhaarigen schlechtzumachen.
Verstehe einer mal die Männer! Sie gehörten derselben Familie an und hatten füreinander nicht viel übrig. Wirklich traurig. Auf der anderen Seite wusste ich nicht, was zwischen den beiden vorgefallen war. Also beließ ich es über sie zu urteilen.
Lieber konzentrierte ich mich auf das Geschehen in der Gegenwart. „Darüber brauchst du dich nicht wundern“, wies Cedric ihn zurecht, woraufhin der ältere für ihn nur ein heiteres Lachen übrig hatte. Dann sagte er: „Du solltest mir lieber dankbar sein, aber nein, du wirfst dein Potenzial lieber weg, anstatt es zu nutzen“.
Von was sprachen sie nur? Ich war ahnungslos wie eh und je, was mich unheimlich störte. „Fabrizia, wie gesagt, es tut mir wahnsinnig leid, was du hier erleben musstest und ich wäre dir sehr dankbar, wenn du dir darüber keine Gedanken machen würdest und die Geschehnisse in diesem Raum bleiben würden“, richtete sich Cedric an mich und ging nicht auf die vorherigen Worte seines Onkels ein.
Abwehrend hob ich meine Hände, ehe ich meinte: „Du brauchst dich nicht entschuldigen und ich werde mit niemanden darüber sprechen, nur...-“. Weiter kam ich nicht, da er mich unterbrach. Leicht barsch stammelte er: „Lassen wir es einfach darauf beruhen. Ich muss los, ciao“.

Und schon war er aus dem Zimmer gestampft. Ich wollte ihm hinterher, doch da hörte ich die Stimme von Giovanni. „Sie scheinen mir an sich eine pfiffige Frau zu sein. Verschwenden Sie ihre Zeit nicht an ihm, er hinterlässt nur Chaos“, warnte er mich vor seinem eigenen Neffen.
Überrumpelt drehte ich mich um, doch der Mann würdigte mich keines Blickes. „Was … was meinen Sie damit? Wieso sagen Sie das über ihn und auch die anderen grausamen Dinge?“, erkundigte ich mich über seine Motive.
Endlich schenkte der ältere mir seine Aufmerksamkeit. Ein wissendes Lächeln schlich sich auf seine Lippen, dann antwortete er: „Ich kenne ihn und weiß genau, dass er Sie in große Schwierigkeiten bringen wird. Kehren Sie um, so lange Sie noch können. Der Junge manövriert sich immer mehr ins Aus“.
Er sprach in Rätseln. War ich etwa nun ihr Spielball geworden? Nein, das konnte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Nicht umsonst hatte er mich als pfiffig bezeichnet. Ich straffte meine Schultern und reckte mein Kinn in die Höhe. Dabei sah ich ihm genau in die Augen.
Sehen Sie ruhig her, mich können sich nicht erschrecken! „Keine Sorge, ich bin alt genug und kann auf mich selber aufpassen“, ließ ich ihn mit zuckersüßer Stimme wissen. „So selbstbewusst Sie auch sind, das wird Ihnen letztendlich nichts bringen“, quittierte er meine kleine Show unbeeindruckt.
„War es das?“, ging ich überhaupt nicht auf dessen Worte ein. Dieses Mal war er erstaunt. „Nein, aber wenn Sie wirklich so interessiert am Bau und der Reparatur von Geigen sind, dann empfehle ich Ihnen einen Kurs“ , informierte mich Giovanni sachlich. „Ist gut, danke“, meinte ich. Da dieser merkte, dass ich gehen wollte, sagte er: „Nett Sie kennengelernt zu haben. Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag“. „Dito“, erwiderte ich und verließ das Atelier mit einem Seufzen.
Auf dem Weg nach Hause machte ich mir doch meine Gedanken. Irgendwie war alles sehr grotesk. Es ergab für mich keinen Sinn. Leider fehlten mir dafür nämlich bedeutsame Informationen. Ich wusste nicht, was es mit der Warnung von Giovanni auf sich hatte. War Cedric etwa kriminell?
In diesem Moment war mir nicht klar, wie Ernst ich die Worte von seinem Onkel hätte nehmen sollen. Wie sich herausstellte, verbarg Ced in der Tat etwas. Etwas, von dem ich keinerlei Ahnung hatte und von Grausamkeit kaum zu übertreffen war. Es grenzte an purem Wahnsinn, dass ich trotzdem weitermachte wie bisher.

Always On My Mind

Es war ein schwüler Tag im August. Der Sommer zeigte sich in voller Pracht und doch zeigte der Stand der Sonne, dass der Tag sich dem Ende neigte. Nah am Strand befand sich ein Sommergarten, der unvorstellbar groß war. Zwei Jugendliche spielten darin eifrig verstecken und spürten pure Freude dabei.
„Ich werde dich finden“, schrie ich ein Junge vergnügt und rannte durch die dichten Sträucher. „Nein nein, wirst du nicht“, lachte eine sanfte Mädchenstimme ganz in der Nähe und hielt sich die Hand vor dem Mund.
Für dreizehn Jahre war sie ziemlich intelligent, das wusste auch der Junge. Nicht umsonst lauschte er vergeblich den Geräuschen. Da hat sie aber gut dazugelernt, schoss es ihm durch den Kopf, nur wird ihr das nichts bringen.
Er sah sich um. Vor ihm prangten sie. Sonnenblumen über Sonnenblumen. Fasziniert wie eh und je betrachtete der Sechzehnjährige das Bild, welches sich ihm bot. Eigentlich war es total idiotisch in seinem Alter noch dieses Kinderspiel, verstecken, zu spielen, doch aus irgendeinem Grund machte es ihm großen Spaß.
Vielleicht lag es auch an dem Mädchen dass es ihm gut ging. Dank ihr konnte er für einige Momente seine Sorgen vergessen und das Leben genießen. Es war auch besser so, wenn sie nichts davon erfuhr, was in ihm so vorging. Er wollte sie auf keinen Fall beunruhigen.
Der Garten, in dem sie spielten, gehörte seinen Eltern und befand sich nicht weit von dessen Haus. Wenn es ihm schlecht ging oder er sich mit seiner besten Freundin treffen wollte, verschlug es ihm genau hierhin.
Zwar kannten sie sich erst seit einigen Wochen, doch konnte man sehr gut erkennen, dass die beiden schon jetzt eine innige Freundschaft verband. Wann immer es Fabrizia nicht gut ging, sprach sie mit ihm – Claudio – darüber und dieser wusste ihr zu helfen.
Dann zog er komische Grimassen, bis das Mädchen schließlich in schallendes Gelächter ausbrach. Was es allerdings nicht wusste, war, dass Claudio gerettet werden musste. Er setzte aber auch alles daran, ihr eine heile Welt vorzuspielen.
Der Junge war froh, dass ihm das auch gelang. Er wusste nämlich nicht, wie er über seine Probleme sprechen sollte. Natürlich könnte er sich seinen Eltern oder seinem Zwillingsbruder anvertrauen, doch traute er sich nicht. Zudem wollte er niemanden beunruhigen.
Nein, das war eine Sache, die er sich selber eingebrockt hatte. Also musste er sie auch wieder selbst bereinigen. Allgemein war der Knabe für sein Alter ziemlich reif. Andere Jungen beschäftigten sich damit, wer die meisten Mädchen um den Verstand brachte oder wer die beste Party schmiss, er dagegen wollte einfach nur seine Ruhe.
Von Grund auf war Claudio ein sehr introvertierter Mensch. Nur bei jenem Mädchen konnte er sich fallen lassen. Oh, wie er die Begegnungen mit ihr liebte! Da gab es nur noch sie beide. Sonst niemand. Niemand der ihnen dazwischenfunkte oder ihnen das Leben schwer machen wollte.

 

Er sprintete weiter durch den Garten, bis er sie endlich fand. Sie war so schlau gewesen und hatte sich zwischen den dichten Sonnenblumen versteckt. Durch ihr grünes Kleid war ihre Tarnung perfekt. Allerdings machten ihre dunklen Haare alles zunichte. Sie hoben sich zu sehr von dem hellen Grün ab.
„Gefunden!“, lachte er triumphierend, woraufhin das Mädchen schmollte. Der Junge konnte nicht anders als auf ihren Mund zu starren. Oft hatte er sich vorgestellt diesen zu küssen, doch er wusste auch, dass es irrsinnig war.
Sie war erst dreizehn Jahre alt, hatte ihr Leben noch so sich,wohingegen er sich alt und ausgemergelt vorkam und das obwohl er nur drei Jahre älter war. Er wollte ihr nicht ihren ersten Kuss stehlen.
Dafür respektierte er sie viel zu sehr und er war sich auch sicher, dass sie sich nie wieder sahen. Da wollte er ihr nicht noch mehr Kummer bereiten als er ohnehin schon tat. Ihm waren ihre Blicke nicht entgangen. Im Gegenteil, sie brannten sich immer tiefer in den Ecken seines Verstandes.
Nachts, wenn er alleine war, wachte er manchmal auf und sehnte sich nach Nähe. Nach ihrer Nähe. Umso schwermütiger war er, als er feststellte, dass sie nicht bei ihm war. Da brauchte er ewig, um wieder einzuschlafen, wenn ihm das überhaupt gelang.
Schnell verwarf er jene Gedanken und starrte sie wartend an. Ihr Blick lag auf ihn. Langsam, schon fast vorsichtig hob sie ihre Hand. Sie kam seinem Gesicht immer näher.
Claudio dagegen wusste nicht wie ihm geschah. Wie sehr er sich wünschte, sie würde nie wieder damit aufhören! Wie sehr er sich wünschte, sie könnten einfach nur glücklich zusammen sein. Bis dass der Tod sie schied.
Leider kam ihm die bittere Realität dazwischen. Sie hatte nämlich nicht den blassesten Schimmer, dass es mit ihrem besten Freund jederzeit vorbei sein konnte. Dass er ganz schön tief in der Tinte steckte.
Er erinnerte sich genau an diesen verhängnisvollen Tag, an dem sie ihm ihre Gefühle gestanden hatte. Schweren Herzen hatte er sie zurückgewiesen. Dass sie nicht die Einzige war, die sich so sehr für ihn interessierte, tröstete ihn ein wenig.
So war er es gewohnt, Mädchen zu verletzen und er wusste, dass Fabrizia ihm verzeihen würde. Das Mädchen liebte Claudio viel zu sehr, um ihm deswegen böse zu sein. Das rechnete er ihr sehr hoch an und so konnte er sie aus der Nähe vergöttern.
Es grenzte schon an purem Wahnsinn, dass es für ihn nur sie gab. Wann immer ihm andere Mädchen begegneten verglich er diese mit ihr. Immer und immer wieder hatte er an ihnen etwas auszusetzen, keine würde ihm gerecht werden.
Ich liebe dich, Claudio“ - Immer wieder gingen ihm diese Worte durch den Kopf. Wie sie ihm mit ihren braunen Augen hoffnungsvoll angestarrt hatte und sich so sehr wünschte, er würde ihr dasselbe sagen.
Leider konnte er es nicht. Lieber hatte er seine wahre Gefühle unter einem Lachen verborgen. Im nächsten Moment war er jedoch ernst geworden. „Hast du wirklich geglaubt, dass ich genauso wie du fühlen könnte?“, hatte er sie gefragt. Langsam hatte sie genickt.
Was erwartest du von einem Sechzehnjährigen?“, wollte er von ihr wissen.
Sie blieb stumm. Dann meinte er: "Du bist noch nicht einmal eine Frau, nur ein kleines, dummes Mädchen und das wirst du immer bleiben". Daraufhin flossen ihr Tränen über die Wangen.
Obwohl er davon betroffen war - sie hatte es genau gesehen und auch das war ihm bewusst - blieb er hart. "Ich verspreche dir, dass wir uns wieder sehen werden und dann, eines Tages, werde ich dich auf Händen tragen. Außerdem werde ich dir einen Stern vom Himmel holen", hauchte er im nächsten Moment eine Spur sanfter zu ihr und drückte ihr einen zarten sowie langen Kuss auf die Stirn.
Danach hatte er etwas hervorgeholt und sie darum gebeten, die Augen zu schließen. Natürlich tat sie es und das obwohl er zuvor so gemein zu ihr gewesen war. Keine Minute später hatte sie eine wunderschöne Sonnenblumenblüte in ihrem Haar, wie sie feststellte, nachdem sie ihre Augen wieder geöffnet hatte.

 

~~~~~

 

Cedric's Sicht!
Detailliert erinnerte ich mich an diese Geschichte. Einst hatte mir Claudio davon erzählt. Er hatte jenes Mädchen, Fabrizia, nie vergessen. Immer und immer wieder hatte er sich gefragt, was aus ihr wohl werden würde.
Doch dann kam dieser verhängnisvolle Abend. Der Abend an dem er alles verlor, was für ihn auch nur eine kleinste Bedeutung hatte. Einschließlich sich selbst.
Ich dagegen hatte weiter gemacht wie bisher. Was anderes war mir auch nicht übrig geblieben. Zwar vermisste ich Claudio, doch was brachte es mir, in Selbstmitleid zu versinken? Außerdem musste ich stark sein.
Für Fabrizia. Das hatte ich ihm geschworen und Versprechen brach man nicht. Meine Leben war zwar alles anderes als einfach und eigentlich musste ich mich eher um mich selbst kümmern als um andere, doch behagte es mir überhaupt nicht, auch nur daran denken zu müssen, Fabrizia in dieser schweren Zeit alleine zu lassen.
Mit ihrer Rückkehr waren alte Wunden aufgegangen. Ich hätte nie gedacht, dass ich sie je treffen würde. Seitdem war alles viel verzwickter geworden. Nun musste ich noch mehr aufpassen, keinen Fehler zu begehen.
Nur die kleinste Unaufmerksamkeit konnte fatale Folgen haben und alle Bemühungen mit einem Schlag zunichte machen. Sie würden ihr Gewicht verlieren. Umsonst sein. Nein, so weit durfte es nicht kommen! Ich musste stark bleiben. Für Fabrizia und letztendlich auch für mich selbst.
Sie warteten sicherlich nur darauf, dass ich in eine ihrer Falle tappte. Dabei war es nicht ich, der mir gefährlich wurde, sondern die Frau. Dummerweise konnte ich ihr nichts davon erzählen. Damit würde ich sie nur beunruhigen und das wollte ich nicht. Außerdem schwebte sie selbst in großer Gefahr und das ohne es zu wissen.
Ja, Fabrizia war unbeabsichtigt in etwas hineingeraten, was nichts mit ihr zu tun hatte. Und doch sorgte sie dafür, dass die Situation immer brenzliger wurde. Dabei hatte ich sie doch schon gewarnt!
So selbstbewusst wie sie war würde sie sich aber nicht von mir beirren lassen. Ich war mir sicher, dass ihr genau das eines Tages zum Verhängnis werden würde. Da konnte ich mich noch so sehr anstrengen, sie aus dieser Sache herauszuhalten.

 

Und da gab es auch noch etwas anderes, was mich beschäftigte. Sie hatte mich in einem unmöglichen Zustand gesehen. Gesehen, wie ich völlig die Kontrolle über mich verloren hatte. Es war doch zum Verrückt werden damit!
Das durfte nicht noch einmal passieren. Leider konnte ich das nicht beeinflussen, zumindest nicht direkt. Ich gab mir schon große Mühe, damit es aufhörte, doch letztendlich wollte es mir nicht gelingen. Vermutlich gab es zu vieles, was mich daran hinderte, ein normales Leben zu führen.
Schwermütig dachte ich daran, als es damit anfing. Es war kurz nach meinem achtzehnten Geburtstag, den ich allein verbrachte, passiert. Anfangs wollte ich nicht wahrhaben, dass es mich getroffen hatte und doch hatte ich mich meinem Schicksal fügen müssen. Was anderes war mir auch nicht übrig geblieben.
Natürlich stellte man sich als Betroffener die Frage, warum es ausgerechnet einen selbst erwischt hatte. Diese Gedanken waren so klar, so profan, dass ich mich immer wieder darüber wunderte, dass ich mir ernsthaft jene Frage stellte.
Ich hatte zu viel erlebt, um ungeschoren davon zu kommen. Für das meiste konnte ich nicht einmal etwas und doch irgendwie schon. Immerhin hatte ich den Stein erst ins Rollen gebracht.
Wieder ärgerte ich mich über meine jugendliche Torheit. Hätte ich mich doch ihnen nie angeschlossen! Und doch hatte ich keine andere Wahl gehabt. Mit einem wehleidigen Lächeln dachte ich an Luca. Dieser Narr. Ihm hatte ich das ganze Desaster, in dem ich mich befand, zu verdanken.
Was wohl aus ihm geworden ist? Seit meiner Flucht habe ich ihn nie wieder gesehen, geschweige denn etwas von ihm gehört. Bestimmt war er tot. Bei ihm gab es nichts zu holen, das arme Schwein hatte niemanden außer mir gehabt.
Seine Eltern waren früh gestorben, sodass er im Heim gelandet war. Dort war er auch stets angeeckt. Und dann kam ich. Ich, der diesen Trottel eines Abends von einer Bank aufgelesen hatte. Wir waren ins Gespräch gekommen und so leichtsinnig wie ich gewesen war, hatte ich ihn mitgenommen.
Wer hätte einen abgemagerten jungen Mann, dessen Kleidung völlig zerschlissen und der Körper von Wunden übersät war, sich selbst überlassen? Nein, so herzlos war kaum jemand. Also hatte ich ihn mit zu mir genommen und meinen Eltern vorgestellt. Die waren zwar auch nicht begeistert gewesen, einen Fremden bei sich unterzubringen, doch waren sie herzensgute Menschen gewesen, die jedem eine Chance gegeben hatten.
Welch Ironie, dass ausgerechnet Gutmütigkeit einen um alles brachte. Jener Abend tauchte vor meinem inneren Auge auf. Der Abend, der mein ganzes Leben veränderte. Anfangs bekam ich davon nichts mit, doch merkte ich eines Tages, wie anders ich geworden war. Zaghaft hatte ich einen folgenschweren Entschluss gefasst und schließlich mit allem dafür bezahlt, was für mich je von Bedeutung gewesen war.

 

Schnell verwarf ich jene Gedanken an meiner grausamen Vergangenheit. Das gehörte wirklich nicht in die Gegenwart und das obwohl ich noch immer nicht frei von meinen Lasten war. Trotzdem gab es da eine Sache, die ich tun musste.
Nach meinem überstürzten Abgang aus dem Atelier schuldete ich Fabrizia nämlich etwas. Da war ich mir sicher und es gehörte auch nicht zur feinen englischen Art, eine Person bei einem Fremden zu lassen, schon gar nicht eine Frau.
Außerdem war es für mich ein Leichtes, die Lüge in einer Wahrheit zu verpacken. Sie würde nie darauf kommen, was hinter meiner Fassade steckte. Da konnte sie noch so intelligent sein. So blind wie Fabrizia durch das Leben ging würde sie mir jede Lüge glauben. Sie hatte nicht den blassesten Schimmer, wie es in mir aussah und das würde auch so bleiben.
Zwar machte sie es mir schwer, doch würde ich damit schon zurechtkommen. Außerdem hatte ich schon eine gute Idee, wie ich mich bei ihr entschuldigen konnte. Feli hatte ich schon längst in ihrem Koffer verstaut. Jetzt musste ich meinen Charme spielen lassen. Ich war kein Mensch der großen Worte, doch ich wusste, wenn ich mich anstrengen würde, könnte ich ihr einige Zeilen schreiben.
Mir fiel es außerordentlich leicht, Songtexte zu verfassen, doch bereiteten mir andere Arten für die Überbringung von Worten große Schwierigkeiten. Es war grotesk, aber leider konnte ich nichts daran ändern. Zumindest bis jetzt nicht.
Es ging nicht um irgendeine Person, sondern um Fabrizia. Fabrizia, die immer in meinem Verstand war. Schon immer. Für immer. Ich hatte es Claudio versprochen. Wehleidig sah ich aus dem Fenster wie vor meinem Aufbruch zum Atelier.
Es war kurz vor Mittag, also war die Zeit auf meiner Seite. Mir würde schon noch etwas einfallen. Da war ich mir sicher. Meine Hand glitt zu der Schreibtischschublade, in der ich Unmengen an Papier lagerte. Das war auch gut so, denn ich konnte nie wissen, wann mich ein Geistesblitz heimsuchte. So hatte ich immer etwas parat, um mir Notizen zu machen.
An der rechten Ecke meines Arbeitsplatzes stand eine Dose mit Kulis. Davon konnte ich auch nie genug haben. Doch für Fabrizia nahm ich etwas anderes zum Schreiben. Es war zwar vielleicht etwas altmodisch, doch schien es mir angemessen, mit Feder und Tusche zu arbeiten.

 

Liebe Fabrizia,

bevor Du diesen Brief liest, muss ich Dir sagen, dass ich kein Mensch der großen Worte bin.
Ich war noch nie ein großer Redner, dafür aber ein Mann der Taten.

Dennoch möchte ich versuchen, mich bei Dir zu entschuldigen. Es gehört sich nämlich nicht, eine Dame bei einem Fremden stehen zu lassen. Deswegen möchte ich Dich um Verzeihung bitten.
Eigentlich bin ich auch nicht so unhöflich, doch ich wollte einfach nur meine Ruhe haben. Du hast mich in einer unmöglichen Situation gesehen, was hätte nicht passieren dürfen. Ich bitte Dich inständig, mich nicht darauf anzusprechen ,was es damit auf sich hat.
Lasse es bitte sein, mir auf den Grund zu gehen. Du verläufst Dich nur in den Weiten meines grotesken Verstandes.
Ich möchte diesen Brief auch dafür nutzen, um Dich am Meer zu sehen. Dort habe ich etwas für Dich vorbereitet. Du würdest mir also einen großen Gefallen tun, wenn Du heute Abend um 20:00 Uhr an unserer Bucht erscheinst, auch wenn ich nicht in der Position bin, Dich um etwas zu bitten.

Selbstverständlich kann ich verstehen, falls Du nicht da bist. Ich würde es nur sehr schade finden.

Cedric

 

Zufrieden betrachtete ich mein Werk, welches sich vor mir fein säuberlich geschrieben befand. Ich hatte etliche Versuche gebraucht, um etwas zustande zu bringen, woran ich nichts zu tadeln hatte. Das war vermutlich der Nachteil, wenn man ein professioneller Musiker gewesen war. Man war stets darauf bedacht, die Perfektion in Person zu sein.
Mein Blick glitt durch das Zimmer und mit einem Schmunzeln musste ich feststellen, dass sich wirklich viele zusammengeknüllte Blätter auf dem Boden befanden. Es war so was von klischeehaft, woraufhin ich den Kopf schüttelte.
Ich hätte nie gedacht, dass ich mal in so … eine Situation gerate. Fabrizia hatte etwas an sich, was mich dazu brachte, ihr eine Lektion erteilen zu wollen. Ob ich mein Vorhaben wirklich in die Tat umsetzte war allerdings eine andere Sache.
Noch war sie nicht so weit, dass sie verstehen würde, was ich bezwecken wollte. Selbst mir war es noch ein Rätsel, wie ich es ihr zeigen konnte. Wenn die Zeit kam, dann würde es so weit sein. Das war mir bewusst und so ließ ich alles auf mich zukommen.

 

Nun kam ich zu dem anderen Teil. Ich ging in meine geräumige Küche, die ich in den Farben weiß und grün hielt. Für einen Mann war das vermutlich ungewöhnlich, doch beruhigte mich diese Kombination ungemein.
Für das, was ich vorhatte, brauchte ich Saft, den ich in meinem Kühlschrank lagerte. Dazu nahm ich zwei Gläser aus dem Schrank sowie Strohhalme und einen Shaker. Alles steckte ich in eine große Kühlbox, damit es gut gekühlt blieb.
Danach führte mich mein Weg in den Garten, der sich glücklicherweise hinter meinem Loft befand. Dort klappte ich zwei Liegen zusammen und verstaute sie zusammen mit der Kühlbox in meinen Handwagen. Seit jeher war er mein Begleiter, ein Auto zu fahren kam für mich überhaupt nicht in Frage.
Es wäre unachtsam sowie fatal. Schließlich wollte ich keine anderen Menschen in Gefahr bringen. Freunde besaß ich wie erwähnt keine. Ich kam auch alleine sehr gut zurecht. Für manch einen war mein Handeln vermutlich ziemlich umständlich, doch war ich zufrieden damit.
Wenn einem das Leben Zitronen gab, sollte man Limonade daraus machen. So einfach war das. Und natürlich hätte ich bei meinem Vermögen einen Chauffeur einstellen können, doch war mir meine Selbstständigkeit dafür viel zu wichtig.
Früh genug hatte ich lernen müssen ohne Hilfe auszukommen, wofür ich jenen Erlebnissen sogar etwas dankbar war. Wer weiß wie es heute um mich aussehen würde. Vielleicht wäre ich ein verwöhnter Mann, der andere Menschen wie Vieh behandelte. Zum Glück stand das nur in den Sternen.
Ein Lächeln huschte über mein Gesicht. Lange hatte ich mich nicht mehr so gut gefühlt wie jetzt. Ich frage mich, wie es wohl sein würde, wenn ich später auf Fabrizia treffen würde. Ja, wenn. Obwohl ich mir ziemlich sicher war, dass ich sie dort traf, war ich ein wenig aufgeregt. Im positiven Sinne.
Was mir dann doch ein wenig die Laune verdarb, war die Tatsache, dass ich noch passende Worte finden musste. Ja, was würde ich ihr nur sagen? Darüber würde ich mir noch meine Gedanken machen, wenn ich in der Bucht war. Genau!
Ich musste so oder so ein paar Minuten vorher da sein, da ich noch alles aufbauen musste. Da fiel mir ein, dass ich noch einen Hocker brauchte. Schnell fand ich einen und verfrachtete ihn in meinem Handwagen.
Dann ging ich kurz zurück in mein Loft und holte meine Violine, Feli durfte nicht bei meiner Überraschung fehlen! Mir war nicht entgangen, dass Fabrizia von dem Streichinstrument sehr fasziniert war.

 

Meine Mission fing damit an, dass ich den Brief zu der Frau bringen musste. Ich zog die Variante vor, bei der sie mich nicht zu Gesicht bekam. Sie hatte zwar Überwachungskameras, doch ebenso einen entscheidenden Fehler begangen beziehungsweise einen toten Winkel übersehen.
Lässig wie eh und je stand ich an der vernachlässigten Stelle, die von vielen Sträuchern umgeben war. Darauf würde sowieso kaum jemand kommen, doch bei Gelegenheit würde ich sie darauf aufmerksam machen. Immerhin wollte ich nicht, dass sie doch jemand beklaute.
Rasch bahnte ich mir einen Weg durch ihr Grundstück, ließ aber trotzdem meine Umgebung nicht aus den Augen. Das war auch ein kleiner Tick von mir, doch jetzt war er ein großer Vorteil für mich.
Meine Intuition hatte mich nicht getäuscht: Ein Mann ging aus der imposanten Eingangstür. Vermutlich arbeitete er bei der Post, denn direkt davor befand sich ein Postauto und zudem war die Auffahrt offen.
Das würde mir bestimmt noch von Vorteil sein. Kaum war das Auto verschwunden, legte ich den Brief vor die Tür, die in das Innere der Villa von Fabrizia führte. Darüber legte ich einen Stein, denn man konnte nie wissen, ob nicht doch ein kleiner Windstoß das Land heimsuchte, gerade wenn man in der Nähe vom Meer wohnte.
Als ich damit fertig war, ging ich wieder zurück zu meinem Loft. Dort angekommen machte ich es mir im Wohnzimmer bequem und sah ein wenig fern. Wie ich feststellte, kam gerade nichts Gutes, woraufhin ich den Fernseher auch wieder ausschaltete.
Ratlos lag ich auf meiner Couch und überlegte, was ich mit meiner Zeit so anstellen konnte. Vielleicht sollte ich wieder arbeiten gehen. Nur wollte ich niemanden in Gefahr bringen und so zog ich es schon Jahre vor, meine Zeit daheim zu verbringen oder in der Innenstadt. Mich wunderte es sowieso, dass sie mir noch nie einen Hausbesuch abgestattet hatten.
Hier konnte mir niemand zu Hilfe eilen, also warum lauerten sie mir nur draußen auf? Die Antwort war so einfach und doch grausam. Sie wollten mich in dem Wissen lassen, dass sie Bescheid wussten, wo ich wohnte und doch kamen sie mir nie zu nahe.
Nein, bis jetzt hatten sie es vorgezogen, mir bestimmte Symbole an die Fensterscheiben zu hinterlassen. Aus Blut. Ob es von einem Menschen oder von einem Tier stammte wagte ich erst gar nicht zu beurteilen.
Ihnen war aber ebenso klar, dass ich mich nicht fürchtete. Vielleicht warteten sie nur darauf, mich mit einer Person zu sehen, die mir von großer Bedeutung war. So viel stand für mich fest. Und genau das wusste ich bisher gut zu verhindern. Bis zu dem Augenblick, in dem Fabrizia und ich zusammengetroffen waren.
Wenn sie mich öfters mit dieser bezaubernden Frau sahen, war ich geliefert. So weit würde es aber nicht kommen, denn ich hatte den Entschluss gefasst, Fabrizia ein letztes Mal zu treffen. Ich wollte mich nur bei ihr entschuldigen, nicht mehr und nicht weniger.
Dazu kam noch, dass ich unser Treffen dazu nutzen wollte, sie abermals zu warnen. Ihr den Umgang mit mir zu verbieten. Sie sollte mich nicht mehr aufsuchen oder darauf bestehen, mit mir Zeit zu verbringen.
Nicht nur sie war ein sehr sturer Mensch, sondern auch ich. Also würde ich sie so lange damit nerven, bis sie aufgab.

 

Die Zeit verging und schon bald machte ich mich auf dem Weg zum Meer. Immer wieder warfen mir die Leute Blicke zu, was auch kein Wunder war. Wer zog auch schon einen Handwagen hinter sich her, wenn heutzutage so gut wie jeder ein Auto besaß? Wenn sie doch nur wüssten!
Dennoch machte ich mir keine weiteren Gedanken, ich war es schließlich gewohnt, von vielen Menschen angestarrt zu werden. Zudem war ich ihnen nicht gänzlich unbekannt. Viele winkten mir zu, was ich mit einem Lächeln erwiderte.
Nachdem ich die Innenstadt verlassen hatte, machte ich mich auf dem Weg zur Bucht. Meine Taschenuhr zeigte mir eine Uhrzeit von 18:57 Uhr an. Mir blieb also genug Zeit, um alles vorzubereiten.
Angekommen nahm ich eine Tablette und machte mich sofort ans Werk. Ich stellte die Liegen auf, die durch den Hocker getrennt wurden. Bei den Getränken wartete ich noch ein paar Minuten, denn ich wollte Fabrizia eine Kühlung geben und außerdem schmeckten warme Cocktails widerlich. Nur Feli gönnte ich frische Luft.
Jetzt hieß es warten. Warten, das Fabrizia auftauchte. Bis dahin übte ich jenes Lied einige Male auf meiner Violine.

Wonderwall

Gerade eben hatte ich ein Päckchen von der Post erhalten und freute mich wie ein kleines Kind über meine neuen Kleider. Noch gestern Abend hatte ich sie über einen Expressversand bestellt. Voller Freude stellte ich fest, dass mir alle wie angegossen passten.
Im nächsten Moment überlegte ich fieberhaft, welches ich zuerst anziehen sollte. Nach einigem Hin und Her entschied ich mich für das trägerlose, was oberhalb der Brust mit weißer Spitze verziert war. Der Rock dagegen war in einem recht auffälligen Mintgrün gehalten.
Eigentlich wollte ich eine Runde spazieren gehen, doch als ich einen Fuß aus meiner Villa setzte, bemerkte ich den Stein, der sich genau vor meinen Füßen befand. Stirnrunzelnd fragte ich mich, wie der hierher gekommen war, doch im nächsten Moment hielt ich inne. Weshalb befand sich ein Zettel mit meinem Namen hier?
Meine Frage wurde schnell beantwortet, als ich ihn aufhob und herausfand, dass es sich um einen Brief handelte. Er stammte von Cedric. Dieser wollte mich noch heute an der Bucht sehen. Schmunzelnd las ich den Brief einige Male und konnte mir richtig gut vorstellen, wie er hilflos daran gesessen hatte.
Auf irgendeiner Art und Weise fand ich es auch süß. Ced war wohl ziemlich verzweifelt gewesen, aber wenn er mich schon um Verzeihung bat und sich die Mühe machte, mich zu überraschen, dann wollte ich wenigstens wissen, wie er mich milde stimmen wollte.
Mit einem Blick auf meiner Handyuhr stellte ich fest, dass es kurz nach neunzehn Uhr war. Da hatte Cedric Glück gehabt, dass ich den Brief rechtzeitig gefunden hatte. Außerdem brauchte ich mich nicht weiter großartig zurecht machen, da ich es bereits war.
Kurz überlegte ich, ob ich mein Auto nehmen sollte, doch fiel mir ein, dass ich sowieso eine Runde gehen wollte. Meine Güte, dieser Kerl hatte aber auch ein super Timing! Ich fragte mich, was er für mich vorbereitete.
Mit Blumen konnte er mich jedenfalls nicht beeindrucken. Diese Idee fand ich nämlich sehr primitiv. Selbst wenn er mit hundert Sonnenblumen ankommen würde. Das wäre wirklich lächerlich! Außerdem verblühten sie so oder so.
Cedric war sowieso sehr unberechenbar. Also konnte ich mich nur überraschen lassen. Da war es sinnlos, sich vorher seine Gedanken darüber zu machen. Außerdem wollte ich verhindern, enttäuscht zu werden. Wenn man nichts erwartete, konnte man sich auch nicht ärgern oder traurig sein. So einfach war das.

 

Aufgeregt wie eh und je machte ich mich schließlich auf dem Weg. Umso näher ich der Bucht kam, desto nervöser wurde ich. Wahnsinn, dass ich das mal erlebte! Fabrizia Da Ferro und aufgeregt? Fehlanzeige!
Ich war nie sonderlich schüchtern gewesen, im Gegenteil, schon als Kind konnte ich ohne Probleme auf andere Menschen zugehen und sei es nur im Supermarkt, weil ich etwas von einem hohen Regal haben wollte.
Bei Cedric jedoch ertappte ich mich immer wieder, wie mein Selbstbewusstsein gehörig ins Wanken geriet. Nicht nur das, ich musste mich öfters bemühen, nicht zu stottern und meine Beine fühlten sich bei ihm mittlerweile wie Wackelpudding an.
Manchmal gab es sogar Momente, in denen ich ihm nicht einmal in die Augen blicken konnte. Irgendwie hatte ich Angst, dass ich in diesem Strudel aus Schokolade versank und ich musste mich öfters dabei ertappen, mir vorzustellen, ihn zu küssen.
Mit Mühe und Not konnte ich mich immer wieder zurückhalten. Er sollte mich zuerst küssen, nicht ich ihn. Diese Blöße würde ich mir nicht geben. Schließlich hatte ich auch noch meinen Stolz und so oft, wie er mich süffisant angrinste würde er es nur als Bestätigung sehen und diesem Gefallen wollte ich ihm garantiert nicht tun.
Dafür wollte ich aber gut aussehen, was ich auch tat. Dessen war ich mir bewusst. Mal sehen, wie lange Cedric mir noch widerstand. Verlobte hin oder her, ich würde mir diesen Mann angeln! Oh ja! Wenn ich mit ihm fertig war, konnte sie ihn wieder haben.
Bei diesem Gedanken schlug mein Herz höher, es schmerzte sogar schon fast. Ja, was wäre denn, wenn Ced sehen würde, dass ich den Tod von Claudio überwunden hatte? Würde er sich überhaupt noch mit mir treffen?
Jene Fragen quälten mich gerade ungemein, woraufhin ich den Kopf schüttelte. Ich wollte diese grausamen Gedanken loswerden. Sie taten mir nicht gut und außerdem war ich ein sehr optimistischer Mensch, der versuchte, das Beste aus schier unmöglichen Situationen zu machen.

 

Ein kühler Luftzug sorgte dafür, dass ich mich wieder beruhigte. Mit einem Lächeln auf den Lippen sah ich schon vom weiten die Bucht. Wie ich erkennen konnte, war Cedric wirklich nicht untätig gewesen.
„Hey, danke, dass du da bist“, begrüßte er mich und gab mir einen Kuss auf meine Wangen. Eine Hitze breitete sich in mich aus und verspürte das Bedürfnis, sofortige Kühlung im Meer zu suchen.
Verlegen fuhr ich mir durch das Haar und stammelte: „Hi, ja... also... hier bin ich“, ärgerte ich mich im nächsten Moment aber über die Wirkung auf seine Worte. Ein hinreißendes Lächeln stahl sich auf den Lippen von Cedric und erneut spürte ich das Knistern, was er damit verursachte.
Nicht hinsehen, ermahnte ich mich innerlich und hoffte inständig, dass ihm mein Blick entgangen war. Nur leider sah er mich wissend an, woraufhin ich unschuldig mit den Schultern zuckte und sein Werk betrachtete.
Er hatte zwei Liegen aufgestellt, zwischen denen ein Hocker stand. Direkt daneben befand sich eine Kühlbox. Einzig alleine der Handwagen, der sich dahinter befand, irritierte mich. Leider konnte ich ihn nicht sofort darauf ansprechen, da er seine Violine in die Hand nahm und ein Lied anstimmte.
„Darf ich die Dame bitten, Platz zu nehmen?“, bot er mir an, mir es auf eine der Liegen bequem zu machen. „Dürfen Sie“, erwiderte ich lächelnd ebenfalls in einer höflichen Form und kam seiner Bitte nach. Dann begann er auch schon zu spielen.
Himmel, Hölle, Sakrament! Er spielte so toll, dass ich die Augen schloss und mich vollends seiner Musik hingab. Das Stück, was er spielte, kannte ich nicht. Es hörte sich auf der einen Seite fröhlich an, aber auf der anderen so unendlich traurig, dass es mich nachdenklich stimmte.
Mit eben dieser Stimmung musterte ich ihn und stellte fest, dass er abermals die Kleidung eines Virtuosen trug. Den Titel hatte er sich auch wirklich verdient. Die ganze Zeit über lag sein Blick auf mir, trotzdem spielte er ohne Fehler. Aus irgendeinem Grund erkannte ich das nämlich. Außerdem war er die Ruhe selbst, was mir schon Bestätigung genug dafür war.
Eine Gänsehaut durchfuhr mich, die ich zuvor noch nie verspürt hatte. Was machte er bloß mit mir? Ich war ratlos, ja schon fast verzweifelt, da ich die Signale meines Körpers einfach nicht deuten konnte.
Schon bald war Cedric fertig dem Spielen, was mich ein wenig wehmütig stimmte. Wenn es nach mir ginge, würde ich ihm stundenlang dabei zuhören! „Das war wunderschön. Fröhlich und traurig zugleich. Hast du es selbst komponiert?“, lobte ich ihn und fragte gleichzeitig danach, ob es von ihm stammte.
Er legte sich auf die andere Liege, drehte sich zu mir und antwortete: „Schön zu hören, dass es dir gefallen hat und ja, es entstammt tatsächlich aus meiner Feder“. Hatte ich also richtig gedacht! „Du hast auch gute Ohren, wovon kommt das?“, erkundigte sich Cedric ziemlich überrascht, woraufhin ich leicht verlegen meinte: „Das war eher geraten“.
Ihm entwicht ein Lachen, was mich schier um den Verstand brachte. Glücklicherweise wechselte er aber das Thema. Während er sich an der Kühlbox zu schaffen machte, sagte er: „Na ja, also es tut mir wirklich leid, wie das vorhin gelaufen ist und ich hoffe, dass du meine Entschuldigung annimmst. Und da es so warm ist, dachte ich mir, dass ich uns eine kleine Kühlung zubereite“.
Und schon hatte er zwei Cocktail-Gläser und ein paar Säfte herausgenommen. Einen silbernen Shaker hatte er auch sogar dabei. „Du hast dir wirklich große Mühe gegeben, wie könnte ich dir da noch böse sein?“, lenkte ich schließlich ein, was ihn sichtlich erfreute. „Danke“, hauchte er, was mich nervös kichern ließ.

 

Er erhob sich von seinem Platz und wollte wissen, was für Säfte ich mochte. Das war eine gute Frage. Ich entschied mich schließlich für eine leckere Mischung aus Kokos und Ananas mit einem Schuss Sahne, also einen alkoholfreier Piña Colada. Nachdem er die Zutaten in den Shaker gefüllt hatte und diesen kräftig schüttelte, erkundigte er sich danach, ob dieser mein Lieblingscocktail wäre.
Mit einem Blick auf den Shaker antwortete ich: „Auch. Ich bin generell ein Fan von Cocktails und wie sieht es bei dir aus?“. „Das ist eine gute Frage. Cocktails sind nicht so mein Ding, aber dafür mag ich Whisky und ganz besonders Rotwein“. „Rotwein?“, prustete ich laut los und musste sofort an Giulia denken.
Stirnrunzelnd sah Cedric mich an, ehe ich ihn aufklärte. Kichernd meinte ich: „Meine beste Freundin liebt Rotwein“. „Tja, da haben sie und ich etwas gemeinsam. Vielleicht solltest du sie mir mal vorstellen“, entgegnete er, woraufhin sich meine Pupillen vor lauter Schock weiteten.
War das sein Ernst? Sein Grinsen verriet mir, dass er mich nur aufziehen wollte, was ihm dummerweise gelungen war. „Du bist doof“, sagte ich nur, konnte aber nicht verhindern, dass sich auf meinen Lippen ein Schmunzeln legte.
Der Braunhaarige betrachtete mich belustigt, ehe er erwiderte: „Doof ja, aber trotzdem perfekt für dich“. „Woher willst du das wissen?“, fragte ich über seine selbstgefällige Art erzürnt. Cedric antwortete mir: „Sonst hätte Claudio mir wohl kaum auferlegt, mit dir Zeit zu verbringen“.
Mit einem Mal war meine gute Laune dahin. Weit weg gespült worden von der Brutalität des Lebens. „Musste das sein? Ich … Er fehlt mir“, brachte ich mit erstickter Stimme hervor. Auf dem Gesicht von Ced breitete sich Bedauern aus. Seufzend erwiderte er, während er mir meinen Cocktail in die Hand drückte: „Du wirst darüber hinwegkommen. Mit meiner Hilfe. Und es ist wichtig, dass du über deine Trauer sprichst. Sonst wird irgendwann nämlich alles wie ein Kartenhaus zusammenfallen und dann, ja, dann bist du verloren“.
Nachdenklich nippte ich an dem Glas, ehe ich fragte: „Inwiefern verloren?“. Das verstand ich nämlich überhaupt nicht. Natürlich gab es harte Schicksalsschläge, doch bisher war ich mit allem fertig geworden. „Verloren in dir selbst oder besser gesagt in deiner Trauer. Du wirst dich gehen lassen. Alles wird dir mit einem Mal so unwichtig erscheinen. Letztendlich ziehst du dich immer mehr zurück und das möchte ich nicht. Also tue mir bitte den Gefallen und sprich mit mir, wenn dich etwas bedrückt oder beschäftigt“, führte Cedric seinen Gedanken weit aus.
Täuschte ich mich oder dachte er dabei an sich selbst? Sein Blick war mit einem Mal so traurig, sogar schon leer geworden. Gedankenverloren schüttelte er den Shaker, in dem sich sein Cocktail befand. Vor lauter Grübeln war mir entgangen, um was für eine Mischung es sich handelte.
Aus einem plötzlichen Impuls heraus erwiderte ich: „Weshalb sollte ich dir jenen Gefallen tun? Was bringt dir das?“. „Dein Vertrauen. Damit zeigst du mir, dass du keine Scheu hast, mir von deinem Seelenleben zu erzählen. Hauptsächlich geht es mir aber darum zu wissen, dass du dich nicht hängen lässt, sondern weiterhin so eine starke Frau bleibst“, sagte Cedric, der sich nebenbei sein Glas einschenkte.
Ehe ich auf ihn reagieren konnte, prostete er mir zu und meinte: „Tja, dann mal auf uns und darauf, dass wir uns zurücklehnen und die Ruhe genießen“. Nach diesen Worte lehnte er sich zurück und nahm einen Schluck von seinem Cocktail. „Ja, danke“, nuschelte ich und stellte fest, dass mir mein Getränk schmeckte.

 

Eigentlich wollte ich Cedric wirklich darauf ansprechen, was hinter seinem Zusammenbruch im Atelier seines Onkels steckte und auch, weshalb er mit mir flirtete, obwohl er bereits mit einer andere Frau verlobt war. Da dieser Moment, den wir in vollen Zügen auskosteten, so schön war, beließ ich es dabei.
Nach genauerem Überlegen ging es mich auch nichts an. Es war seine Sache, was er machte und wenn ich so darüber nachdachte, wäre es von mir äußerst unhöflich gewesen, ihn unverblümt darauf anzusprechen.
Nein, so wollte ich dann doch nicht aus. Vielleicht würde er es mir irgendwann einmal erzählen. Ich musste ihm die Zeit geben, die er benötigte. Und falls er doch nicht darüber sprechen wollte, dann war das eben so.
Manche Dinge behielt man lieber für sich. Und unschuldig war ich sowieso nicht. Immerhin mied ich meine beste Freundin und das nur, weil sie eine Beziehung eingegangen war. Wie gemein ich doch war!
Das schlechte Gewissen suchte mich heim, doch … „Schmeckt es dir nicht?“, hörte ich plötzlich Cedric fragen. Ertappt zuckte ich zusammen und stammelte: „Nein nein, also doch, ähm … mir schmeckt mein Cocktail“. „Weshalb ziehst du so ein Gesicht, als ob dich etwas anwidert?“, harkte er nach.
Ihm blieb aber auch rein gar nichts verborgen! Eigentlich wollte ich ihm nichts erzählen, doch die Worte waren einfach aus mir herausgesprudelt: „Jemand widert mich an. Ich selbst. Meine beste Freundin ist überglücklich und ich habe nichts Besseres zu tun, als ihr aus dem Weg zu gehen. Täglich meldet sie sich bei mir, was denn mit mir los sei, ob sie etwas falsch gemacht hätte. Oh, was bin ich für eine schlechte Freundin!“.
„Du könntest sie wenigstens darüber informieren, dass du mit dir selbst ins Reine kommen musst“, schlug Ced mir vor, woraufhin ich ihn argwöhnisch betrachtete. „Wie bitte? Das muss ich doch gar nicht!“, stimmte ich sofort gegen seinen Vorschlag.
Also wirklich! Das hielt ich nicht für nötig. Zumal mit mir eigentlich alles gut war. Mein Gegenüber blickte zum Meer, das in dem Sonnenlicht wie ein riesiges Becken voller Diamanten aussah.
Fasziniert starrte ich das funkelnde Wasser an. Wahnsinn! Leider musste Cedric diesen schönen Moment zerstören. Kaum hörbar hauchte er: „Vielleicht hast du es auch nur noch nicht bemerkt, dass etwas gehörig aus den Fugen geraten ist“. Und ob, schoss es mir durch den Kopf, sonst würde ich wohl kaum so stark auf ihn reagieren.
„Die Vergangenheit ist leider wie ein Fluch, der einem bis zum Ende seines Lebens begleiten wird - sprich, bis man selbst nur noch Vergangenheit ist. Also solltest du lernen, das zu akzeptieren, was dich zu dem gemacht hast, was du bist“, hörte ich ihn unglaublich traurig in dem Rauschen des Meeres und dem Pfeifen des Windes sagen.

 

Als er sich von seinem Platz erhob, schnellte mein Blick zu ihm. Sein Gesicht was vorher noch so wehmütig gewesen war, strahlte nun. „Möchtest du es auch mal probieren?“, wollte er von mir wissen.
Perplex starrte ich ihn an, doch als er seine Violine in die Hand nahm, dämmerte es mir. Verlegen entgegnete ich: „Glaubst du, dass ich auch nur einen vernünftigen Ton zu Stande bringe? Immerhin ist das ein verdammt schweres Instrument“. „Na ja, wenn man voll dahinter steht, kann man es sehr schnell lernen. Du musst sehr viel Zeit und Geduld, aber auch Wissensbereitschaft und Willen haben“, winkte Cedric sofort ab.
Auffordernd musterte er mich. Sollte ich oder sollte ich nicht? Verdammt, im Atelier seines Onkels wurde in der Tat mein Interesse dafür geweckt! Während ich aufstand, warnte ich ihn: „Wehe, du lachst mich aus oder ziehst mich damit auf!“.
Vergnügt entwicht ihm ein Lachen, woraufhin ich versuchte ihn mit meinem Blick zu erdolchen. Genau das würde ihm blühen, wenn er es wagte, sich über mich lustig zu machen! Im nächsten Moment konzentrierte ich mich aber, da Cedric mir seine Geige reichte.
Vorsichtig wie eh und je nahm ich sie ihm ab und legte sie an meinen Hals. Dann lehnte ich mich mit dem Kinn daran, doch ich wurde von dem Violinisten unterbrochen. „Nein, du musst die Sache entspannt angehen und der Kopf muss gerade sein. Außerdem musst du Feli im fünfundvierzig – Grad – Winkel halten“, versuchte er mir zu helfen, doch das wollte mir nicht gelingen.
Daher nahm er mir sein Heiligtum aus der Hand und zeigte es mir an sich. Ich versuchte mir jedes Detail einzuprägen. Trotzdem war ich noch unsicher und außerdem war mir eine Idee gekommen, ihm so nahe wie nie zuvor zu kommen.
Teilweise absichtlich stellte ich mich unbeholfen an, sodass sich Cedric hinter mich stellte und mir nochmal Anweisungen gab. Dann legte er selbst Hand an, wobei mich immer wieder ein Blitz nach dem anderen traf, wenn er mich berührte.
Er stand so dicht hinter mir, dass ich Angst hatte, umzukippen. Ein dicker Kloß bildete sich in meinem Hals, ich war unfähig mich vernünftig zu bewegen. Konzentriere dich, Fabi, ermahnte ich mich selbst und versuchte eine Musterschülerin zu sein.
Es funktionierte, ich war nicht mehr ganz so verkrampft, sondern hielt die Violine sicher an meinem Hals. Zur Hilfe legte Cedric meine Haare auf meiner anderen Schulter ab, wobei ich aus den Augenwinkel erkennen konnte, wie sein Blick meinen Hals streifte.
Alles in mir kribbelte und schrie danach, dass er mich doch dort küssen sollte. Leider geschah nichts dergleichen. Im Gegenteil, er gab mir den Bogen und ergriff beide meiner Hände. Dann führte er langsam meine linke Hand zur rechten.
Die Violine gab ein Geräusch von sich, dass es mich schier kräftig durchschüttelte. Es klang einfach nur schrecklich! Erschrocken zuckte ich zusammen, wobei mich Ced nicht los ließ. „Geduld. Du brauchst Geduld“, flüsterte er mir in mein Ohr, was mir eine Gänsehaut bescherte, die es in sich hatte.
Wir versuchten es erneut und immerhin war der Ton nicht ganz so schief wie beim ersten Versuch. Mit der Zeit wurde ich ruhiger, doch trotzdem hatte ich Angst, dass Cedric meinen rasenden Herzschlag spürte. Wenn ich alles andere ausblendete, konnte ich sogar das Schlagen seines Herzens vernehmen.
Es war so ruhig, als ob er schon einige Menschen mit seiner Violine spielen lassen hätte. Ich war bestimmt nicht die erste. Ein Funke Wut kam in mir auf. Wie viele Frauen er wohl schon versuchte hatte, damit um den Finger zu wickeln?

 

„Dafür, dass du das zum ersten Mal machst, hört es sich ganz gut an“, vernahm ich erneut die Stimme von Cedric. Ja ja, du Mistkerl, dachte ich. „Und zu vielen Frauen hast du das schon gesagt?“, entfuhr es mir, woraufhin ich mich über meine schnelle Zunge ärgerte
Na super, jetzt dachte er bestimmt, dass ich eine eifersüchtige Kuh war. Dabei hatte ich das nicht nötig. Im Gegenteil, lieber sollten die anderen Frauen in seinem Leben zu mir aufsehen. Immerhin waren sie im Vergleich zu mir nur graue Mäuse, denen man keinerlei Beachtung schenkte.
Hinter mir wurde gelacht. Süffisant lachte Cedric mich aus. Als er sich beruhigt hatte, säuselte er überaus verführerisch: „Du möchtest die Einzige sein, nicht wahr? Die Einzige, die ich um den Verstand bringe. Angefangen etwa so“.
Kaum war er fertig mit dem Sprechen gewesen, hauchte er mir federleichte Küsse auf meine freie Schulter. Davon arbeitete er sich bis zu meinem Hals, den er über und über mit Küssen bedeckte. Mein Herz schlug nur so in die Höhe und ich hatte abermals die Furcht, dass er es mitbekommen könnte. „Spiele weiter“, befahl er mir, hörte aber keinesfalls auf mich anzubaggern.
Ich war wie gelähmt und doch kam ich seiner Aufforderung nach. Mein Gehirn schaltete sich ab, es machte mich abwesend und doch konnte ich nicht aufhören zu spielen. Was zur Hölle machte Cedric mit mir und was zur Hölle wollte er damit bezwecken?
Seine Fingerspitzen flogen über meine Seiten, bis hin zu meinen Schultern und meinem Hals. Mich fröstelte es leicht, trotzdem wollte ich nicht, dass er damit aufhörte. „Mhh“, machte ich nur, woraufhin er leise lachte. Gott, wie sexy das klang!
Würde er ewig so weiter machen, würde er mir wirklich meinen Verstand rauben. Da war ich mir sicher. Ich hatte keinerlei Ahnung, was Cedric mit mir anstellte und doch fand ich daran Gefallen. Dieser Moment war einfach nur zauberhaft und ich schwebte auf Wolken.
Eigentlich sollte mir diese Ungewissheit Angst machen oder mich zumindest bremsen, was aber nicht der Tatsache entsprach. Vermutlich war es gerade das, worin ich einen gewissen Kick sah.
„Du hast mit einem Takt ausgesetzt. Eigentlich sollte ich dir nun auf die Finger schlagen, wie es mein Onkel früher bei mir tat“, schnurrte Ced, was mich erstarren ließ. Giovanni war ihm gegenüber doch nicht etwa gewalttätig gewesen?
Übelkeit machte sich in mir breit. Nein, das war mal wieder nur ein dummer Scherz von dem Violinisten! Das glaubte ich nicht! Trotzdem fühlte sich mein Herz mit einem Mal ungeheuer schwer an, als ob es jedem Moment drohte zu explodieren. Wie eine Granate, deren Zündung man betätigt hatte.
Paralysiert stand ich nun da und war nicht in der Lage auch nur ein Wort hervorzubringen. Meine Hände, in denen ich Violine und Bogen hielt, ließ ich sinken. Wenigstens das war mir gelungen. Sonst war ich wirklich nicht in der Lage mich zu bewegen.

 

Erst Cedric brachte die Wende. „Du duftest wahnsinnig gut. Vielleicht sollte ich mal einen Kirschbaum pflanzen“, hauchte er und schnupperte ohne Scheu an mir. Zaghaft drehte ich mich um und starrte geradewegs in sein wunderschönes Antlitz.
Mein Stimme vibrierte zwar deutlich, aber ich war einfach nur froh, dass ich meine Sprache endlich wieder gefunden hatte. Kaum hörbar krächzte ich: „Was soll das?“. „Was soll was? Möchtest du nicht weiterspielen?“, mimte er doch tatsächlich den Unwissenden!
Ertappt sah ich auf meine Hände, drückte ihm sein Instrument gegen die Brust, was er ohne zu zögern in die Hand nahm und ging ein paar Schritte zurück. Ja, Distanz war jetzt wirklich angebracht! Sonst würde ich womöglich meine Fassung endgültig verlieren.
Langsam atmete ich die salzige Meeresluft ein und konnte nur so spüren, wie sich meine Lungen mit neuer, frischer Luft füllten, was mir ungeheuer gut tat. Erleichtert lächelte ich darüber, nur um mir im nächsten Moment bewusst zu werden, dass Cedric wie angewurzelt stehen geblieben war.
Fragend betrachtete ich ihn. Weshalb sah mir so an, als ober er etwas von mir erwartete? „Ich höre“, sagte er kalt. Und da fiel es mir ein. Stammelnd erwiderte ich: „Oh... Ähm, wo waren wir stehen geblieben?“. „Nun, ich wollte wissen, wann und ob du weiter spielen willst. Wenn du magst, kann ich es dir auch beibringen“, schlug er mir freundlich vor, was mich so sehr verwirrte, dass mir gar nicht auffiel, wie er vom Thema ablenkte.
Wenn ich bei ihm Geigenunterricht nahm, bedeutete das, dass ich ihn weiterhin sehen würde. Daher meinte ich: „Liebend gerne!“. „Gut, sehr gut. Das gefällt mir. Du gefällst mir“, freute sich Cedric, was mich ungemein in Verlegenheit brachte.
Nervös spielte ich mit einen meiner Haarsträhnen, den Blick dabei starr auf den Sand gerichtet. Was sollte ich nur darauf sagen? Oh Gott, ich brauchte Hilfe und zwar schnell! Mein stummes Gebet wurde erhört, doch brachte es mich in die nächstbeste verzwickte Situation.
Im Augenwinkel bemerkte ich nämlich, wie Cedric mir wieder näher kam. Als ich seine Schuhe sehen konnte, blieb er schließlich stehen. „Sieh mich an. Bitte sieh mir in die Augen“, bat er mich tatsächlich, meinen Kopf zu heben!
Mechanisch tat ich, was er wollte. Mich traf fast der Schlag, denn sein Blick war so stark, so paralysierend, dass ich nicht wusste, wie mir geschah. Ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus, was mich abermals verwirrte.
Hitze stieg mir in den Kopf und breitete sich in meinem gesamten Körper aus. Vermutlich war ich so rot wie eine Tomate, geworden doch das schien Ced nicht im Geringsten zu verunsichern. Blitzschnell legte er seine Arme um mich, wobei ich seine Violine auf meinem Rücken spüren konnte.
„Was machst du nur mit mir?“, brachte ich stammelnd zustande, was sein Lächeln breiter werden ließ. Mit einem Schmunzeln hauchte er: „Alles was du willst. Du musst es nur sagen und ich tue es“. Damit gab er mir Macht. Macht über ihn und sein folgendes Handeln, worauf ich aber zunächst keinen Einfluss hatte.
Gebannt starrte ich zu ihm hoch. Als er mit seinem Gesicht meinem immer näher kam, dämmerte es mir! Er wollte mich küssen! Mein Herz setzte einen Takt lang aus und ehe ich mich versah, konnte ich seine geschwungenen Lippen schon fast auf meinen spüren.
Genau in diesem Moment wurde mir etwas klar. Etwas, von dem ich nie gedacht hätte, dass es in mir schlummert. Etwas, was mit einem Schlag alles änderte.

Wrecking Ball

Mit einem Mal fühlten sich die Arme von Cedric, die an meinem Körper hafteten, so unendlich schwer an. Ebenso mein Herz, dass unentwegt in die Höhe schlug. „Stopp!“, sagte ich überaus entschieden mit fester Stimme und ging ein paar Schritte zurück.
Ced sah mich erstaunt an. Wieder versuchte er meinen Blick zu lesen wie ein offenes Buch. Mit ausdrucksloser Miene und erhobenem Haupt stand ich da und wartete, bis er den Blick von mir nahm.
Erleichterung übermannte mich, als er schließlich von mir abließ und grinste. Kokett meinte er: „Du bist wirklich skurril. Du wehrst dich gegen etwas ganz Wunderbares. Gegen etwas, was dir sicherlich gefallen hätte“.
Wenn er doch nur wüsste, wie Recht er mit seiner Aussage hatte! Abwesend schüttelte ich den Kopf und merkte, wie sich Tränen in meinen Augen stahlen. Kraftlos sank ich in mich zusammen und schlug mit der Faust in den Sand.
Das durfte nicht wahr sein! Sein Griff um meinen rechten Arm bestätigte nur noch mehr meinen Verdacht. Aus einem mir unerfindlichen Grund hegte ich nämlich Gefühle für diesen Violinisten, die ich schleunigst unterbinden musste.
Mein darauffolgendes Handeln wurde von diesem Gedanken bestimmt. Kräftig schlug ich seine Hand weg und stand wieder auf. Dann zischte ich unüberlegt: „Das solltest du lieber mit deiner Verlobten machen, anstatt mit mir!“.
Erst da dachte ich an Feli. Was sie wohl dazu sagen würde, wenn sie wüsste, was ihr Verlobter so trieb? Die Pupillen von Cedric weiteten sich. Ja, da konnte er froh sein, dass ich ihn von einer Dummheit abhielt.
Verdutzt wie eh und je starrte er auf seine Hände, die zuvor noch an meinem Körper gewesen waren. „Verdammt!“, murmelte er, woraufhin ich keifte: „Hat sie das wirklich verdient? Ich glaube nicht, immerhin liebt sie dich, wenn sie mit dir zusammen ist, ja dich sogar heiraten will!“.
„Es reicht“, sagte Ced verärgert, über was wusste ich allerdings nicht. Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass er es gerade verfluchte, eine Verlobte zu haben. Und erst recht nicht über meinen Rückzieher. Irgendjemand musste schließlich einen klaren Kopf bewahren.
Unschlüssig stand ich nun vor dem Braunhaarigen. Sollte ich ihm den weiteren Verlauf dieses Treffens überlassen oder ihn selbst in die Hand nehmen? Meine Erkenntnis, dass ich für ihn Gefühle hatte oder auf dem besten Weg dazu war, erleichterte mir die Entscheidung kein bisschen.
Im Gegenteil, mir kam es so vor, als ob ich genau deswegen das Weite suchen sollte. Es wäre wohl besser, wenn ich mich damit erst einmal vertraut machen würde. Oder nicht? Ich wusste beim besten Willen nicht, was das Richtige war.

 

Meine Gedanken überschlugen sich. Sie fuhren immer und immer wieder Achterbahn, bis ich schließlich doch noch etwas hervorbrachte. „Meine Güte! Was sagt sie überhaupt dazu, dass du und ich uns treffen?“, fragte ich völlig geschockt und wusste nicht, wie mir geschah.
Ced erschien es kaum anders zu ergehen. Seine Augen wurden abermals riesengroß. Dann jedoch entspannte er sich wieder und erwiderte: „Es ist in Ordnung für sie. Ich habe ihr kurz und knapp erzählt, was es mit Claudio und dir auf sich hat und dir helfen möchte, über ihn hinweg zu kommen“.
Skeptisch beäugte ich ihn. Versuchte er mir da gerade eine Lüge aufzutischen oder sagte er wirklich die Wahrheit? „Schön, dass du ihr nicht dreist ins Gesicht gelogen hast. Wie hat sie reagiert?“, harkte ich nach, ärgerte mich aber über meine Neugier.
In diesem Moment wurde mir klar, was es bedeutete, verlobt zu sein. Beziehungsweise die Tatsache über den Beziehungsstatus von Cedric. Ich war dabei ihn an einer anderen Frau zu verlieren, obwohl ich mir gerade erst darüber klar geworden war, für ihn etwas zu empfinden! Und noch etwas wurde mir bewusst: Ich hatte schon längst verloren, da er Feli wohl kaum umsonst einen Heiratsantrag gemacht hatte.
Cedric meldete sich zu Wort. „Sie hat sich an mich gekuschelt und gesagt, dass sie mich genau deswegen liebt. Aufgrund meiner Ehrlichkeit und es mir sehr ähnlich sieht, jemanden zu helfen, der auch Claudio kannte“, antwortete er mit fester Stimme und lächelte schwach in sich hinein.
Wahnsinn, Feli schien wirklich über eine besonnene Persönlichkeit zu verfügen. An ihrer Stelle wäre ich vermutlich schon fast zur Furie geworden. Oder? Verdammt, ich hatte überhaupt keine Ahnung, was für ein Beziehungstyp ich war! Das kam davon, dass ich mich noch nie an jemanden derartig gebunden hatte.
Wäre doch bloß Claudio am Leben geblieben! Und nun hatte mich die Trauer wieder da, wo sie mich haben wollte. „Hat sie ihn etwa auch gekannt?“, brachte ich krächzend hervor und starrte auf das Meer. Ced stellte sich genau hinter mich und sagte: „Oh ja und wie sie ihn gekannt hat! So wie du war auch sie in ihn verliebt gewesen. Ich erinnere mich sehr gut daran, wie ich ihr damals geholfen habe über ihn hinwegzukommen“.
Er machte das also nicht zum ersten Mal. Also jemanden zu helfen den Tod einer geliebten Person zu verkraften. „Hätten sich doch seine und meine Wege nie getrennt“, schluchzte ich und gab meinen Tränen, die die ganze Zeit über in meinen Augen gestanden hatten, die Kontrolle über mich.
Zaghafte umarmte Cedric mich und vergrub seine Wange in mein Haar. Dann flüsterte er: „Ja, das habe ich mir auch schon gedacht“. „Wieso das denn?“, wollte ich verständnislos wissen, woraufhin der Braunhaarige antwortete: „Vermutlich wärt ihr dann glücklich miteinander“.

 

Etwas an seiner Antwort gefiel mir überhaupt nicht. Er schien mir kein Mensch zu sein, der nur auf seine Vorteile bedacht war, doch machte mich etwas stutzig. „Dann müsste aber Feli zusehen, wie er eine andere liebt. Fändest du das nicht sehr leidvoll?“, legte ich meinen Gedanken vor ihm offen dar.
Einen Moment war es still, Ced verkrampfte sich kaum merklich. „Alles in Ordnung?“, wollte ich alarmiert wissen. Schnell fing er sich wieder, entgegnete dann selbstsicher wie immer: „Ich hätte schon dafür gesorgt, dass sie sich in mich verliebt, so wie ich es auch geschafft habe“.
Wir romantisch. Ja, er hatte für seine Liebe gekämpft und letztendlich gesiegt. Konnte und wollte ich da noch dazwischenfunken? Nein, mit dieser Schuld könnte ich garantiert nicht leben. „Wie lange seid ihr eigentlich schon zusammen?“, fing ich an ihn ins Kreuzverhör zu nehmen, was ihm ein leises Lachen entlockte.
Als er sich gefangen hatte, antwortete er: „Wir befinden uns im verflixten siebten Jahr, wie man so schön sagt. Um genau zu sein sind es sechs Jahre, vier Monate, zwei Wochen und drei Tage“. „Wow, das ist eine Menge. Dann habt ihr also euren Jahrestag am zwanzigsten März“, entfuhr es mir überaus bewundernd.
Cedric befreite sich aus unserer Umarmung, in der wir noch immer verharrten und stellte sich neben mich. Auch sein Blick lag nun auf das Meer. Als ich zu ihm blickte, erkannte ich ein überaus stolzes Lächeln. Meine Güte sah er dabei glücklich und zufrieden aus!
Wären da nicht nur seine Augen. Seine Augen, die Bände sprachen. Sie sahen so … leer und verloren aus. „Zweifelst du etwa an der Hochzeit?“, fragte ich daraufhin. Abwesend flocht er seine Hände ineinander, an denen ich jedoch keinen Ring ausmachen konnte.
Natürlich hatte er meinen Blick bemerkt, denn Ced meinte: „Ich zweifle nicht, ganz und gar nicht. Es wird vermutlich nur die Aufregung sein und ein Ring stört leider beim Spielen, daher bewahre ich ihn daheim auf“.
Sein Loft war auch ein gutes Stichwort. „Das klingt in der Tat plausibel, aber damit hast du mir eine andere Frage entlockt. Nämlich die, warum ihr nicht zusammenwohnt, wenn ihr sogar vor dem Traualtar treten wollt“, harkte ich weiter nach und kam mir schon fast vor wie eine Stalkerin.
Mir doch egal, wenn er das dachte! Immerhin kannte ich ihn noch nicht lange und da war es normal, dass man manchmal ein wenig neugierig war. Oder nicht? Wie auch immer, Cedric hüstelte etwas, ehe er sagte: „Es mag dir vielleicht seltsam vorkommen, doch wollten wir uns bisher unseren persönlichen Freiraum wahren. Natürlich werden wir aber nach der Hochzeit zusammenziehen, um genau zu sein zieht sie zu mir“.
Seine Worte versetzten mir einen gewaltigen Stich. Er möchte also mit ihr seine Wohnung teilen! Ich wusste nicht, ob ich sie hassen oder beneiden sollte. Was dachte ich da? Nie und nimmer würde ich auch nur irgendjemanden beneiden! Jawohl.
Kurzerhand beschloss ich, mir keine weiteren Gedanken um Feli zu machen. Sie würde mir gleichgültig sein, genau. „Wie hast du ihr eigentlich den Heiratsantrag gemacht?“, wollte ich als Nächstes wissen.

 

Ehrlich gesagt war mir diese Frage nur sehr langsam über die Lippen gekommen. Irgendwie hatte ich Angst vor dem, was Ced darauf antworten würde. Ich schätzte ihn nämlich nicht so ein, dass er etwas Primitives gemacht hatte, um endgültig das Herz seiner Liebsten zu erobern.
Breit lächelte er das Meer an, während er die Augen schloss und die salzige Luft sehr tief einatmete. „Es war in meinem Sonnenblumengarten. Die Sonne war am Untergehen. Dort habe ich ihr ein selbst komponiertes Lied inklusive Text gezeigt und dann bin ich vor ihr auf die Knie“, antwortete er so liebevoll, dass es mir schier das Herz brach.
Und da war ich mir sicher, ja, ich empfand etwas für ihn! Nervös fuhr ich mir durch meine Haarpracht, bis ich schließlich flüsterte: „Das ist wahnsinnig romantisch von dir gewesen. Bestimmt hat sie sich sehr gefreut“. „Allerdings“, antwortete er nur kurz und knapp und war wieder ganz unnahbar.
Es störte mich nicht. Nein, denn das gehörte einfach zu seiner Art. Ob er wohl auch so zu seiner Verlobten war? Kam sie damit zurecht? Ich schüttelte mit dem Kopf. Eigentlich wollte ich doch gar nicht weiter an sie denken!
Ach verdammt, es war doch zum Verzweifeln. „So und nun?“, fragte ich daher und fühlte mich mit einem Schlag sehr unwohl. Cedric meinte: „So und nun könnten du und ich noch ein wenig die Ruhe des Meeres genießen und uns wieder unseren Cocktails widmen“.
Stimmt, die gab es ja auch noch. Die hatte ich vor lauter Grübeln und Reden ganz vergessen. Und doch waren sie eine willkommene Ablenkung für das, was gesagt worden war. Als ich einen Schluck von meinem Getränk nahm, verzog ich angewidert das Gesicht. Der war ja ganz warm!
Ced schien meinen Blick bemerkt zu haben, denn er nahm mir mein Glas einfach aus der Hand und schüttete Eiswürfel dazu. „So, ich hoffe, dass es der Dame nun mehr bekommt“, durchbrach er charmant die Stille, die uns umgab.
Drucksend bedankte ich mich bei ihm und stellte zufrieden fest, dass mein Cocktail wieder ganz kühl war. „Die Hitze kann einem schon etwas fertig machen. Immerhin war ich hier lange nicht mehr und bin sie daher nicht mehr gewohnt“, philosophierte ich schon fast über das Wetter.
Eine Weile blieb es still, bis Cedric schließlich hauchte: „Leider war ich noch nie im Ausland. Dabei würde ich schon einmal gerne wissen, wie es zum Beispiel in Deutschland aussieht“. „Wieso das denn nicht? Du warst doch immerhin sehr bekannt, da hat man doch bestimmt Auftritte auf der ganzen Welt“, wunderte ich mich über jene Tatsache.
Nein, das konnte ich wirklich nicht glauben! Auf der anderen Seite würde es erklären, weshalb so wenig von ihm im Internet stand. Das konnte ich mir nämlich noch immer nicht richtig vorstellen.
Seufzend erwiderte der Braunhaarige: „Eigentlich schon, aber … Bei mir war das eben eine andere Geschichte“. „Inwiefern?“, harkte ich interessiert nach, obwohl ich geradezu wusste, dass er mir keine Antwort darauf geben würde. Ich sollte Recht behalten, denn er sagte: „Nun, ich hatte auch noch andere Dinge zu tun und … mein Manager wusste wie eigensinnig ich bin“.
Ein Schmunzeln umspielte meine Lippen. Seine Bemerkung fand ich ziemlich amüsant, sodass es mir erst gar nicht in den Sinn kam, mich zu verstellen. Dummerweise vergaß ich dabei, wie aufmerksam Cedric war. Dieser meinte nämlich grinsend: „Tja, so war ich schon immer und so werde ich auch immer sein“.

 

So war das also oder besser gesagt er. Da stellte sich mir eine neue Frage. „Da muss Feli ja ziemlich leiden“, machte ich darüber eine Bemerkung und hoffte, so Klarheit über meinen Verdacht zu bekommen ohne dass er davon etwas mitbekam.
Forsch betrachtete Ced mich. Hatte er mich sofort durchschaut? Für mich wäre das keine große Überraschung, denn ich zweifelte nicht an seiner überdurchschnittlichen Intelligenz. Er war perfekt für mich. Er sah super aus und hatte gehörig was im Köpfchen. Das Auge aß immerhin mit und ich wollte auch keinen Mann an meiner Seite, dessen Kopf voller Stroh war.
Genau das musste ich ihm irgendwie unterschwellig klarmachen. Nur wusste ich auf Anhieb nicht wie. Natürlich sollte er nicht bemerken, was ich vorhatte. Leichter gesagt als getan. Das passierte nun mal, wenn der Gegenüber auf dem selben Level wie man selbst war.
Verlegen lächelte ich Cedric an, da mir nichts Besseres einfiel. Zu meiner Verwunderung ging er dann doch noch auf mich ein. „Nicht wirklich. Sie kennt mich in und auswendig und weiß daher, wie sie mit mir umzugehen hat. Diese Frau ist perfekt für mich. Außerdem hat jeder Mensch seine Ecken und Kanten“, antwortete er mir.
Eifersucht brodelte in mir. Verdammt! So wie er Feli beschrieb, musste sie eine wirkliche Traumfrau sein. „Sie war schon immer meine Traumfrau und das wird sie auch immer bleiben“, schwärmte Ced just in dem Moment von ihr und hatte sogar dasselbe Wort wie ich verwendet.
Konnte er etwa Gedanken lesen? Hoffentlich nicht, denn das wäre gruselig und absolut unangebracht. Immerhin waren die Gedanken das einzige Paradies, aus dem man nicht vertrieben werden konnte.
Schärfer als gewollt zischte ich: „Das freut mich für dich. Du kannst sie ja mal gerne mitbringen, ich würde sie nämlich sehr gerne kennenlernen“. Ärger überkam mich! War ich denn von allen guten Geistern verlassen? Ich hatte nicht die Ambition, diese Schnepfe zu sehen oder gar mit ihr zu reden.
Nein, ich hasste sie. Hasste sie dafür, dass sie mit dem Mann zusammen war, für den ich mich so brennend interessierte. Hasste sie dafür, dass sie ihn heiraten würde. Doch am meisten hasste ich sie dafür, dass sie ihn viel länger kannte. Ihn überhaupt kannte.
Das konnte ich von mir nämlich nicht behaupten. Ich war erst dabei ein paar Dinge über ihn herauszufinden. Bei ihr konnte sich Cedric vermutlich fallen lassen und war für sie wie ein offenes Buch.
Dieser holte mich auch aus meinen Gedanken. Besorgt sagte er: „Du siehst ganz schön wütend aus. Habe ich etwas falsch gemacht?“. „Wie... Ach so. Nein, es ist alles gut. Ich habe nur gerade zu viel nachgedacht und völlig vergessen, dass ich nicht alleine bin“, gab ich stammelnd von mir.
Überaus skeptisch beäugte mich Cedric daraufhin. „Dein Lächeln wirkt ziemlich aufgesetzt, findest du nicht?“, wollte er von mir wissen. Da begriff ich. Meine Mundwinkel zeigten eindeutig nach oben, jedoch sehr zaghaft.
Verlegen wie eh und je fuhr ich mir durch die Haare und erwiderte: „Selbst das ist mir missfallen, meine Güte, gerade bin ich ziemlich abwesend“. Das war sogar keine Lüge oder Ausrede. Mich hatte das Gespräch über ihn und seiner … Feli ziemlich aufgewühlt. Hoffentlich hakte er nicht weiter darauf herum.
Mein stummes Gebet wurde erhört. Ced lenkte nämlich ein: „Na gut, das alles hier dürfte vielleicht etwas zu viel des Guten gewesen sein. Möchtest du trotzdem noch einen Cocktail?“. Dankbar schenkte ich ihm ein Lächeln und anhand seiner Reaktion erkannte ich, dass es dieses Mal echt war. Dafür wirkte der Braunhaarige nämlich in vielerlei Hinsicht zufrieden.

 

Brav bedankte ich mich, als Cedric mir mein Glas reichte, was er zuvor im Meer ausgespült hatte. Mit einem schelmischen Grinsen auf den Lippen hatte er mir erklärt, dass er das getan hätte, um eine Beschwerde meinerseits zu vermeiden. Zwar musste ich dabei unentwegt auf seinen halb geöffneten Mund starren, doch schien er das zum Glück übersehen zu haben.
In diesem Moment bereute ich es zutiefst, einen Rückzieher vor dem Kuss gemacht zu haben, den Ced mir quasi auf einem silbernen Tablett präsentiert hatte. Wie dumm ich doch gewesen war! Sonst kümmerte es mich doch auch einen Kehricht, ob meine männlichen Begleitungen vergeben waren oder nicht.
Vermutlich lag meine Besonnenheit darin, dass ich etwas für Cedric empfand. Etwas, das ich noch nicht in Worte fassen konnte, da es mich schier überrumpelte. Immerhin war er auch mit einem Mal in mein Leben getreten. Wie eine Abrissbirne hatte er mich mit so einer Wucht getroffen, dass ich neue Seiten an mir entdeckte.
Ich war nicht mehr tough, sondern erkannte immer wieder, wie nervös oder unsicher ich eigentlich war. Das behagte mir überhaupt nicht. Im Gegenteil, es machte mir eher Angst. Große Angst. Einst sagte Coco Chanel, mein Vorbild, dass die selbstsichere Frau den Unterschied zwischen Mann und Frau nicht verwischte, sondern betonte.
Dafür stand ich. Ich kam erst gar nicht auf die Idee, mich zu verstecken, sondern geizte nicht mit meiner Weiblichkeit. Warum sollte ich auch? Wenn ich so über mich und mein Äußeres nachdachte, brauchte ich mich über gar nichts beschweren.
Meine Eltern hatten mir auch schließlich super Gene gegeben. Einst waren auch sie Models gewesen. Zudem hatten sie schon früh erkannt, von welch atemberaubender Schönheit ich gesegnet war.
Und vielleicht war ich auch arrogant, doch für mich war das eher Selbstbewusstsein, von dem ich eine gehörige Portion besaß. Nur war es mir nach wie vor schleierhaft gewesen, weshalb Claudio mich einst abgewiesen hatte. Als Teenager war ich immerhin ebenfalls schon eine Augenweide gewesen.
Im Gegenteil, dort hatte meine kometenhafte Karriere erst begonnen. Daran erinnerte ich mich ganz genau. Nichtsahnend war ich mit meinen Eltern in der Stadt gewesen, als uns ein Agent von meiner Agentur, für die ich seither modelte, ansprach. Kokett hatte er gemeint, dass er mich schon sehr bald auf sämtlichen Cover von Modezeitschriften sehen würde, was bei den Eltern kein Wunder wäre.
Ebenso selbstsicher hatte ich den Verlauf des Gesprächs übernommen, ja ich hatte ihn schier um meinen kleinen Finger gewickelt. Es fing damit an, dass ich das Modeln erst einmal ausprobierte, um zu sehen, ob dieser Job überhaupt etwas für mich war. Mein erstes Shooting war ohne größere Schwierigkeiten über die Bühne gegangen.
Man hatte mich sogar bremsen müssen, da ich zu professionell gewesen war. Sämtliche Mitarbeiter riefen mir immer wieder zu, dass ich ruhig das kleine Mädchen sein konnte, was ich noch war. Mürrisch war ich der Bitte nachgekommen und posierte brav mit kindlichem Auftreten neben den anderen Kindern.
Es endete mit weiteren Buchungen. Und so war ich innerhalb weniger Monate von einem ganz normalen Mädchen zu einem Model geworden. Trotz allem hatte ich nicht die Schule vergessen, sondern darauf bestanden, genug Zeit fürs Lernen zu haben. Meine Eltern hätten mir sowieso die Hölle heiß gemacht, wenn darunter meine Noten gelitten hätten, wofür ich ihnen dankbar war, obwohl jene Situation nicht eingetreten war.

 

Stolz betrachtete ich meine Umgebung. Vor meinen Augen sah ich, wie die Sonne immer mehr am Horizont verschwand und den Himmel in ein kräftiges Pink und Orange färbte. Es sah zum Träumen schön aus!
Da fehlte nur noch der perfekte Mann, dessen Blick unentwegt auf das Meer lag. Und wieder haderte ich mit der Tatsache, dass er fest gebunden war. „Wieso hast du mir nichts davon erzählt?“, hörte ich mich urplötzlich in die Stille hinein fragen.
Im nächsten Moment ärgerte ich mich darüber. Nein, spätestens jetzt konnte ich es Cedric nicht mehr verübeln, wenn er mir sagte, dass er über meine Gefühle genau Bescheid wusste. Dieser starrte mich nun an. Natürlich konnte er nicht wissen, von was ich sprach und trotz allem beließ ich es bei der Wahrheit.
Zögernd trank ich einen Schluck aus meinem Getränk und nahm all meinen Mut zusammen. „Ich frage mich, weshalb du mir verschwiegen hast, dass du eine Verlobte hast. Ich meine, wir haben doch darüber gesprochen, da wäre es kein Beinbruch gewesen, es mir einfach zu sagen“, holte ich aus.
Mit ernster Miene erwiderte Ced: „Auch wenn das alles andere als nett klingt, aber es erschien mir unwichtig. Immerhin kennen wir uns noch nicht lange und mir reicht es völlig aus, wenn Feline und ich von uns wissen“. „Wow, also wäre ich verlobt, ich glaube, ich würde es in die ganz Welt hinaus schreien“, stammelte ich sichtlich überrascht über seine Worte.
Der Braunhaarige lachte heiter. Amüsiert wie eh und je wollte er wissen: „Wann wirst du endlich verstehen, dass es egal ist, was andere Menschen von dir halten?“. „Für mich gibt es da nichts zu verstehen, denn für mich ist es Tatsache. Ich mache das, was ich möchte, auf andere nehme ich keine Rücksicht. Warum auch? Es ist schließlich mein Leben“, wusste ich mich sofort zu verteidigen.
Erleichtert stellte ich fest, wieder die schlagfertige und selbstbewusste Fabrizia zu sein, die ich war. Ja, so gefiel ich mir viel besser! „Da bin ich mir nicht sehr sicher. Sonst würdest du nicht Tag ein, Tag aus diese Maskerade veranstalten“, stellte Cedric offen wie kaum zuvor seine Skepsis offen dar.
Meine Gesichtszüge entgleisten mir komplett. Damit nicht genug blieb mir sogar die Spucke weg. Mir gelang nichts anderes, als ihn mit offenem Mund und geweiteten Pupillen anzustarren. „Deine Maske aus Schminke verzerrt sich ganz schön. Ich möchte nicht wissen, wie alt du in zehn Jahren aussieht. Ein Wunder, dass es jetzt noch nicht soweit ist“, ging Ced sogar weiter.
Für meinen Geschmack viel zu weit. Das musste ich mir wirklich nicht gefallen lassen! Erzürnt über seine Worte zischte ich: „Du musst es ja wissen! Und falls es dir missfallen ist, ich bin mit mir komplett im Reinen. Ich habe an meinem Aussehen und mir nichts zu bemängeln“.
Das dürfte fürs Erste reichen. Der Braunhaarige schüttelte nur machtlos den Kopf und lehnte sich zurück in seine Liege. Die Beine schlug er locker übereinander, was mir sehr gut gefiel. „Wieso sagst du eigentlich immer wieder solche Dinge zu mir?“, erkundigte ich mich über seine Motive, so dreist zu mir zu sein.
Lässig antwortete er: „Mich amüsiert einfach deine Torheit. Du bist so blind, dass ich es einfach nicht lassen kann, dir so etwas zu sagen. Außerdem gebe ich nur meine Meinung offen kund. Wenn diese dir nicht passt, dann sage mir das ruhig“.
Wollte er mich damit etwa erneut aus der Reserve locken? Mir damit beweisen, dass es stimmte, was er sagte. Dieses Mal war ich es, die lachte. Oh ja, ich lachte bitterböse! Was er konnte, konnte ich auch!
Elegant wie eh und je erhob ich mich von meinem Platz. Dann setzte ich mich ohne jegliche Scheu neben ihn auf der Liege. Damit nicht genug, ich lehnte mich an ihm und strich ihm mit meiner linken Hand durchs dichte Haar. Das wollte ich schon immer mal machen.
Cedric war davon sichtlich überrascht, denn er hielt intuitiv die Luft an. Als ob das nicht schon genug von mir war, stupste ich mit meinen Lippen seinen Hals an und kam schließlich seinem Ohr mit meinem Mund ziemlich nahe.
„Nein, damit habe ich keine Probleme. Sage mir ruhig, was du an mir auszusetzen hast. Vermutlich ist deine Verlobte nicht einmal halb so sexy wie ich. Außerdem solltest du lieber froh sein, dass ich es nicht auf dich abgesehen habe. Sicherlich würde es Feli nicht so prickelnd finden, wenn du sie betrügen würdest oder etwa doch? Würde sie vielleicht sogar mitmachen?“, säuselte ich.
Hörbar schluckte Cedric. Natürlich hätte ich noch sehr viel weiter gehen können, doch erschien es mir erst einmal genug zu sein. Geschmeidig wie eine Katze richtete ich mich auf, konnte es aber nicht lassen, ihn über seinen Arm zu streichen, was ihn völlig aus der Bahn warf. Und als ob das nicht genug wäre schlenderte ich zu meinem Platz und schlug wie er zuvor meine Beine lässig übereinander.

 

Betont auffällig sah ich zu ihm. Seine eine Hand hatte sich in den Stoff seiner Weste verkrampft, wohingegen ihm sein Glas aus der anderen gefallen war. Volltreffer! Das geschah ihm recht, oh ja und wie!
Grinsend nippte ich an meinem Glas. „ Das … Du bist ganz schön … durchtrieben“, gab Cedric stammelnd von sich. „Danke“, sagte ich triumphierend und machte innerlich Luftsprünge.
Hörbar atmete er tief ein und aus. Dann raufte er sich die Haare und vergrub seinen Kopf unter seinen Armen. „Das … Das ist so falsch!“, stieß er hervor, was mich alarmierend aufhorchen ließ. Was meinte er damit? Das beantwortete sich von selbst, denn Ced stotterte: „Ich … ich würde sagen, du trinkst deinen Cocktail aus und dann packen wir zusammen … oder … Nein, ich packe zusammen“.
Meine Güte, meine Aktion schien ihn ja wirklich sehr durcheinander gebracht zu haben. Lässig erwiderte ich: „Tue dir keinen Zwang an. Ich werde dich weder aufhalten noch bitten zu gehen“. „Ist gut. Du … Nein, da fehlen mir wirklich die Worte!“, brachte er schon sicherer zusammen.
Okay, Zeit ihm ein wenig zu helfen. Ich wollte nicht, dass er sich noch um Kopf und Kragen redete, denn das brauchte er wirklich nicht. „Dann wird es Zeit, dass du deine Sprache wieder findest“, meinte ich nur mit einem kessen Zwinkern. Mir kam es erst gar nicht in den Sinn, sein Glas aufzuheben. Das konnte er schon selber machen, was er auch tat.
Kurz entfernte er sich, um es im Meer auszuspülen. Dabei schüttelte er unzählige Male mit dem Kopf und sah ziemlich grübelnd aus. Erst als Cedric wieder auf seiner Liege lag, war er wieder die Ruhe selbst.
Entspannt schloss er die Augen und machte es sich auf seinem Platz bequem. Ich dagegen starrte ihn unentwegt an. Immer wieder musste ich mir das Lachen oder eine Bemerkung über seine Reaktion verkneifen.
Oh man, das war zu lustig! Noch nie hatte ich ihn so derartig aus der Fassung bringen können. Da konnte ich schon stolz auf mich sein. Tja, nicht nur er konnte andere Leute aus der Reserve locken, sondern auch ich. Darin war ich sogar eine Meisterin, wie ich soeben feststellte.
Meinen Gedanken wurden ein Ende gemacht, als Ced sein Handy aus seiner Hose hervorholte. Auf seinem Gesicht breitete sich ein Grinsen aus, welches immer diabolischer wurde. „Könntest du dich bitte beeilen? Ich habe morgen nämlich eine Verabredung und da würde ich gerne noch viel schlafen. Außerdem möchte ich nicht verschlafen“, erkundigte er sich bei mir und bat gleichzeitig um Beeilung meinerseits.
Bestimmt wollte er sich mit Feli treffen. Dieses Miststück! „Nichts für ungut, aber da hättest du mehr Zeit einplanen sollen und außerdem vergisst man keine Dates mit seinem Partner“, wies ich ihn darauf hin, dass ich mich bestimmt nicht beeilen würde.
Dummerweise wusste sich der Braunhaarige zu helfen. „Wie du willst, dann fürchte ich, muss ich dich in ein paar Minuten alleine lassen. Ich habe es nämlich wirklich eilig und Pünktlichkeit ist mir sehr wichtig“, informierte er mich. Meine Augen verengten sich zu Schlitzen. Er wollte es wirklich wagen, mich hier stehen zu lassen?
Langsam aber sicher wusste ich nicht mehr, ob ich mich über ihn aufregen sollte oder lieber die Zeit, die ich mit ihm verbrachte, genießen sollte. Er macht es mir überhaupt nicht einfach. Und da wurde mir klar, dass er vermutlich ein recht schwieriger Mensch war. Vielleicht musste ich ihm auch einfach nur Zeit lassen Vertrauen zu mir zu fassen.
Ich wusste nicht warum, aber ich beeilte mich dann doch mit dem Austrinken. Nach kurzer Zeit war ich fertig und half dem Mann sogar beim Zusammenpacken. „Danke“, sagte dieser auch und sah mir ganz tief in die Augen. „Kein Problem“, brachte ich davon total fasziniert hervor und ertappte mich dabei, in Raum und Zeit zu versinken. Dabei waren es nur seine warmen, schokoladenbraunen Augen, in denen ich mich verlor.
„Also dann … Mach's gut Fabrizia und danke für den schönen Abend“, verabschiedete sich Cedric von mir in seiner gewohnten reservierten Art, überraschte mich aber mit einer Umarmung. Völlig überrumpelt konnte ich gar nicht meine Arme um ihn legen, da er sich sofort wieder von mir löste.
Trotzdem freute ich mich. Immerhin war unser Treffen nach diesem Fast-Kuss doch nicht so unbehaglich geworden, wie ich zunächst angenommen hatte. „Ja, gerne und ich danke für die schöne Überraschung, das hat noch nie jemand für mich getan“, lobte ich ihn für seine gute Idee, woraufhin er leicht schwermütig hauchte: „Oh, wenn du nur wüsstest, was ich noch so für dich alles tue“.
Da war er wieder. Der unnahbare Cedric, der in Rätseln sprach. „Was meinst du denn schon wieder damit?“, wollte ich auch schon von ihm wissen, doch er schüttelte nur mit dem Kopf und trat den Rückzug an. Wie immer. Hätte mich auch gewundert, wenn er das nicht getan hätte.
Kräftig zog er seinen Handwagen, über den ich mich insgeheim schon die ganze Zeit wunderte, hinter sich her. Dummerweise hatte ich vergessen ihn darauf anzusprechen. Wieder war er mir entkommen und ich konnte nichts weiter tun, als ihn wie gewohnt so lange zu beobachten, bis er nicht mehr zu sehen war. „Merda!“, fluchte ich in die Dunkelheit und ärgerte mich über den unnahbaren Violinisten.

Just Another Star

Grübelnd machte ich mich auf dem Weg nach Hause. Das vergangene Treffen mit Cedric lastete schwer auf meinen Schultern. Erst recht auf meinem Herzen. Wie zur Hölle hatte er es nur geschafft, dass ich mich immer mehr zu ihm hingezogen fühlte?

Vielleicht war das von Anfang an ein perfider Plan von ihm gewesen. Der Braunhaarige wusste sehr wohl, wie er auf das andere Geschlecht wirken konnte. Bestimmt war auch er ein Jäger, der stets auf der Suche nach neuer Beute war.

Zwar war er verlobt, doch hinderte ihn das scheinbar nicht daran, mit anderen Frauen zu flirten als gäbe es keinen Morgen. Wie konnte Feli da nur ruhig bleiben? Vermutlich war sie genauso wie er. Da würden die beiden doch hervorragend gut zueinander passen.

Auf jeden Fall wollte ich sie sehen. Ich wollte wissen, ob sie mir das Wasser reichen konnte. Genaue Vorstellungen von ihr hatte ich allerdings nicht. Das war auch besser so, denn nachher war ich noch enttäuscht. Enttäuscht darüber, dass sie vielleicht doch viel besser als ich aussah.

Daran wollte ich gar nicht denken. Bisher war ich nur einer Person begegnet, die ich hübscher als mich fand. Giulia. Zwar hatte ich es nie vor ihr zugegeben, doch bewunderte ich sie für ihre Natürlichkeit. Sie war so ein starker Mensch, der schon viel Leid hatte ertragen müssen und doch war sie die Optimistin in Person.

Meine Gedanken gingen zu Jakob, den sie scheinbar wirklich zähmen konnte. Meine beste Freundin besaß so viel Power. Und was war mit mir? Ich wusste nicht, wie ich mich beschreiben könnte und doch kannte ich die Wahrheit. Fabrizia Da Ferro war eine sehr unberechenbare Person, die vor Selbstbewusstsein strotzte und genau wusste, wie sie andere Menschen für sich gewinnen konnte.

Und allein. So schrecklich alleine. Mehr war ich nicht und vorher wollte ich auch nie mehr sein. Doch dann war aus heiterem Himmel Cedric in mein Leben getreten und brachte es völlig durcheinander. Ich war nie ein Mensch gewesen, der sich von anderen abhängig machte und trotzdem fühlte ich mich nur dann vollkommen, wenn er in meiner Nähe war.

Wenn es nach mir ginge, dann wäre ich seine Verlobte oder zumindest seine Freundin und nicht Feli. Schon allein dieser Name rief Erinnerungen in mir hervor, die mich schwermütig seufzen ließen. Manchmal war das Leben wirklich nicht einfach. Vorher war es mir so leicht vorgekommen, weil es da nichts gegeben hatte, was mich erschüttern hatte können.

Vielleicht hätte ich doch in Deutschland bleiben sollen, aber meine fatale Sehnsucht war so stark gewesen, dass alles andere falsch gewesen wäre. So blieb mir nichts anderes übrig, als mich mit der Situation abzufinden, in der ich mich befand. Nur würde ich niemals so schwach sein, um mein Wohlbefinden in den Händen eines Menschen zu legen.

Wieder musste ich an Giulia denken, die bitter gelitten hatte, bevor Jakob und sie ein Paar wurden. Er hatte es ihr auch alles andere als leicht gemacht, wobei ich mich darüber nicht weiter wunderte. Mir war nämlich zu Ohren gekommen, dass er psychisch nicht gerade stabil war.

Trotz der Schwierigkeiten und des Leids, was beide mit sich herumtrugen, haben sie nach einiger Zeit zusammengefunden. Irgendwie war das schon romantisch. Die beiden gaben sich gegenseitig Kraft und waren füreinander da. Eventuell war man zu zweit doch stärker als alleine.

Darüber wollt e ich jedoch nicht nachdenken, schließlich war ich schon immer eine Einzelgängerin gewesen und wenn es nach meinem Verstand ginge, würde sich daran auch nichts ändern. Leider sah das mein Herz wohl anders. Es verzerrte sich schier nach Cedric, vor dem ich das glücklicherweise verheimlichen konnte.

 

Schon alleine, wenn ich an sein morgiges Date dachte, würde ich am liebsten in die Luft gehen. Leider war mir der Ort verborgen geblieben, doch ich beschloss trotzdem, mich auf die Suche nach ihm zu machen. Das konnte ich mir nicht entgehen lassen oder besser gesagt, ich wollte mir sie nicht entgehen lassen.

Meine Neugier war so groß wie nie zuvor. Ich musste einfach wissen, wie Feli aussah. Vielleicht konnte ich dann zur Ruhe kommen und die Dinge ihren Lauf nehmen lassen. Dummerweise wusste ich nicht, wo genau Ced wohnte. Mit einem Quäntchen Glück konnte ich das im Internet herausfinden oder ich informierte mich beim Einwohnermeldeamt.

Etwas peinlich berührt lachte ich in die Dunkelheit und schüttelte den Kopf über meine Dummheit. Seit wann machte ich mir so viele Gedanken, um die Partnerin meiner vielen Bekanntschaften?

Das musste aufhören, aber sofort. Nichtsdestotrotz hielt ich daran fest, Feli morgen zu sehen. Davon konnte mich keine Überlegung dieser Welt abbringen. Und wenn ich mir etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann setzte ich das mit allen Mitteln auch durch.

„Ciao Bella“, hörte ich plötzlich einen Mann sagen, woraufhin zwei andere lachten. Etwas erschrocken sah ich auf und ertappte mich dabei, wie ich total im Gedanken versunken gewesen war. „Ciao“, begrüßte ich das Trio vor mir und begutachtete jeden einzelnen ausgiebig, in der Hoffnung mich so von Cedric ablenken zu können.

Nein, niemand der drei konnte ihm das Wasser reichen. Sie waren zwar an sich ziemlich hübsch, doch sah ich immer wieder jenen Violinisten vor mir, der mich mit seinem sexy Lachen und dem ebenso sexy Gesicht um den Finger wickelte.

Je mehr Zeit verging, desto weniger Lust hatte ich auf die Konversation, in der ich mich gerade befand. Somit war für mich klar, dass sie keine Ahnung hatten, wie man mit einer Frau umging. Dabei schätzte ich sie in meinem Alter ein. „Was kann ich für euch tun?“, übernahm daher ich das Gespräch und klimperte mit meinen langen Wimpern.

Sie schluckten. Und so hatte ich sie am Haken. Trotzdem schaffte es einer, sich von der Starre zu lösen. „Wir, also Fabio, Alonso und Claudio woll-“, fing er an, doch blitzschnell schnitt ich ihm das Wort ab, in dem ich meine Hand hob und aufgebracht fragte: „Wer von euch heißt Claudio?“.

Konnte es endlich soweit sein und ich würde ihn wiedersehen? Ihn endlich zeigen können, welch wunderschöne Frau ich geworden war? Mein Herzschlag beschleunigte sich. Es klopfte wild gegen meine Brust, wohingegen mir das Blut nur so durch die Ohren rauschte. Gespannt musterte ich die drei, die mich verwirrt ansahen.

Zögernd hob der linke Mann seine Hand. Mein Blick schnellte nur so zu ihm. Er war groß, wobei er mich nur um wenige Zentimeter überragte. Dunkle Haare fielen ihm ins Gesicht, worüber ich mich nicht wunderte, da es in Italien üblich war, dass die Menschen dunkelhaarig waren. Seine Augen schienen fast schwarz zu sein. An sich war er sehr attraktiv, doch hatte er keinen Bart, was ihn ziemlich jung wirken ließ. Nicht einmal ein Haar befand sich auf seinem Kinn!

Obwohl ich es bereits wusste, wollte ich wissen, wie alt er war. „Ich bin … einundzwanzig, aber total reif“, antwortete er zögernd und vermied es mir dabei in die Augen zu sehen. Nein, er war wirklich nicht mein Claudio! Traurig seufzte ich, da ich sie aber nicht einfach so verloren stehen lassen wollte, fragte ich abermals: „Entschuldigt die Unterbrechung. Weshalb habt ihr mich denn angesprochen?“.

Gespannt betrachtete ich meine Gesprächspartner. Wieder erhob der Mann seine Stimme, der mich auch angesprochen hatte. „Du bist doch Fabrizia Da Ferro oder nicht? Bestimmt, denn so eine Schönheit wie dich kann man doch nicht verwechseln!“, erkundigte er sich überaus charmant um meine Identität, woraufhin ich lächelnd antwortete: „Ja, das ist richtig und danke für das Kompliment“.

 

Ohne den Grund zu wissen, war ich zu ihnen ziemlich höflich und überhaupt nicht darauf bedacht, mir einen Vorteil aus meiner Berühmtheit zu machen. Komisch. Lag es etwa an Cedric, der mein Verhalten nicht tolerierte oder daran, dass ich einfach nur nach Hause wollte?

Das Treffen mit dem Geigenspieler war irgendwie anstrengend gewesen. Wenn es nach mir ginge, würde ich sofort schlafen gehen, nachdem ich Zuhause war. Da ich aber um diese Uhrzeit noch nicht schlafen konnte, nahm ich mir fest vor, es mir auf meiner Couch gemütlich zu machen und ein Buch zu lesen.

Erst kürzlich hatte ich mir nämlich die Garten – Eden – Trilogie von Nora Roberts gekauft und war ziemlich gespannt, was mich erwartete. Soweit ich schon vorab informiert war, ging es um drei Frauen, die in einem prächtigen Anwesen mit einem Geist lebten, der verhindern wollte, dass sie sich verliebten.

Ausgerechnet ich, die sich aus der Liebe überhaupt nichts machte, ja, sie sogar verspottete, interessierte sich brennend für diese Buchreihe. Beim Lesen war ich sowieso ziemlich flexibel. Egal ob Romantik, Dramatik oder Krimis – Ich verschlang alles, was unter meinen Augen kam. Nur mit Science Fiction konnte ich nichts anfangen. Technik interessierte mich nicht, wobei ich durchaus in der Lage war, Schränke zusammenzubauen oder rasch die Glühbirne von einer Lampe auszutauschen.

Im nächsten Moment konzentrierte ich mich jedoch wieder auf das Gespräch, was ich führte. „Wie heißt du eigentlich? Ihr habt euch gar nicht weiter vorgestellt“, nahm ich erneut das Ruder in die Hand. „Claudio kennst du nun, das ist Alonso und ich bin Fabio“, sagte er und nun wusste ich, wer von den dreien wenigstens etwas Selbstbewusstsein besaß.

„Ja, also … Was kann ich für euch tun?“, erkundigte ich mich abermals. Zum ersten Mal sprach Alonso mit mir. Leise antwortete er: „Entschuldigung für die Belästigung, aber ich … ich wollte fragen, ob Sie etwas dagegen hätten, ein Foto mit mir zu machen. Also … Verstehen Sie mich nicht falsch, aber ich bin ein großer Fan von Ihnen“.

Fast wären mir meine Gesichtszüge entglitten. Wahnsinn, er war der einzige gewesen, der in aller höflichen Manier mit mir sprach. Meine Gedanken gingen erneut zu Ced, der dasselbe bei unserer ersten Begegnung getan hatte.

Rasch blendete ich diesen Fakt aus, denn mir war nicht entgangen, dass Alonso auf eine Reaktion von mir wartete. Lächelnd meinte ich: „Na klar, das ist doch kein Problem“. Danach bat ich die anderen beiden Jungs ein paar Fotos von ihrem Kumpel und mir zu machen. Dieser wusste gar nicht wie ihm geschah.

Er posierte nur ganz zaghaft mit mir und so legte ich ihm einfach einen Arm um die Schultern. Zum Abschluss drückte ich ihm sogar einen dicken Schmatzer auf die Wange, was ihn so rot wie eine Tomate werden ließ. Mit den Worten, dass er nun seinen anderen Freunden und Bekannten erzählen konnte, dass er einen Kuss von mir bekommen hatte und diesen sogar einen Beweis liefern konnte, beließ ich es dabei und machte mich auf dem Weg nach Hause.

Ungläubig hatten die drei mich angestarrt, besonders Alonso, der sich verträumt über die Wange, auf der ich ihn berührt hatte, strich. Jungs konnten schon verdammt süß sein und so beschloss ich kurzerhand, ihn nicht zu vergessen.

 

Unendlich müde kam ich schließlich in meiner prächtigen Villa an. Mir fielen fast die Augen zu, als ich mich aus meinem Kleid schälte und es achtlos neben meinem Wasserbett schmiss, worauf ich mich danach fallen ließ.

Ach, war das schön! Und doch fehlte mir etwas oder besser gesagt jemand. Cedric. In der Dunkelheit sah ich auf die freie Fläche, die mein Bett bot. Kein Wunder, immerhin besaß es die Größe King Size und war somit für eine Person viel zu groß. Sehnsüchtig strich ich über die glatte Oberfläche und stellte mir vor, wie Ced bei mir war.

Meine Gedanken gingen in eine schmutzige Richtung und das obwohl er schon bald heiraten würde. Ich schämte mich aber nicht im geringsten für das, was sich in meinem Kopf abspielte. Warum sollte ich auch? Immerhin machte ich ihm keine eindeutigen Angebote und außerdem hatte er damit angefangen, schlüpfrige Bemerkungen zu machen.

Wenn es doch nur Anspielungen gewesen wären! Leider sprachen seine Taten Bände. Sachte strich ich mir über meinen Nacken und meinen Hals, über jene Stellen, die er mit seinen Lippen so hingebungsvoll berührt hatte.

Ein Schauer nach dem anderen rann mir über den Rücken. Ertappt schüttelte ich mich, trotz der Hitze, die in mir brodelte. Meine Güte, es war schon eine kleine Weile her, seit meinem letzten Sex.

Gierig grummelte ich. Nicht nur Männer besaßen solche Bedürfnisse, sondern auch Frauen. Obschon ich nicht der Sorte Frau angehörte, die nymphoman waren, hätte ich nichts dagegen, wenn ein Mann hier wäre, der mich ins Reich der Lüste entführte.

Sehnsüchtig streckte ich mich unter meiner kuscheligen Decke und seufzte niedergeschlagen. Ich wusste nicht so genau, wie ich bei Cedric vorgehen sollte. Auf der einen Seite war mir seine Verlobung egal, aber auf der anderen kam es mir suspekt vor, dass er so heftig mit mir flirtete.

Vielleicht aber machte er sich nicht viel aus seiner Beziehung geschweige denn aus Treue. Oder es war etwas Offenes mit Feline. Verdammt, es war einfach total mies, wenn man nicht wusste, woran man bei einer Person war!

Eine Sache konnte ich trotzdem mit Sicherheit sagen: Mein Interesse an anderen Männern war dahin. Vielen Dank, Cedric! Missmutig boxte ich mit der Faust in mein Bett, bis ich begriff, dass ich es nicht übertreiben sollte. Immerhin hatte ich keine Lust es kaputtzumachen und somit mein Schlafzimmer schier mit Wasser zu überfluten.

Manchmal war die Welt doch wirklich unfair! Wie konnte ich bloß den Violinisten für mich gewinnen? Ratlos senkte ich meine Hand und verkrampfte mich in den Stoff meiner Decke. Wut überkam mich. Ich durfte es nicht so weit kommen lassen, dass ich meine Launen von einem einzigen Menschen abhängig machte.

Doch wenn ich ehrlich zu mir selber war, wusste ich nur zu gut, was Sache war. Was für eine Verbindung hatte ich denn noch zu Cedric? Die Antwort war simpel: Claudio. Da gab es neben Ced nur noch meine Erinnerungen an ihm.

Vermutlich sollte ich doch das Gespräch mit dem Geigenspieler suchen. Wir könnten gemeinsam über unseren gemeinsamen Nenner sprechen. Es würde zwar schmerzhaft werden, doch sicherlich konnte ich Dio auch noch von ganz anderen Seiten kennenlernen. Mit diesen Gedanken driftete ich in einem wunderbaren Traum, an dem ich mich nicht mehr zu erinnern vermochte, sobald ich meine Augen am nächsten Morgen öffnete.

 

Gut gelaunt war ich aufgestanden und zuerst ins Bad gegangen. Da ich gestern zu müde zum Abschminken gewesen war, holte ich dies nun nach. Noch gründlicher als sonst fuhr ich in sanften kreisförmigen Bewegungen über mein Gesicht und vergötterte den Erfinder der Abschminktücher, da man sich viel Zeit sparte.

Danach verwöhnte ich meine Haut mit einer beruhigenden Reinigungsmilch und zu guter Letzt gönnte ich mir eine Peel-Off Maske mit Salz aus dem toten Meer.

Während der Einwirkungszeit kramte ich aus meinem Schrank neue Unterwäsche und Klamotten. Ratlos stand ich mal wieder davor. Was sollte ich nur anziehen? Manchmal konnte es ausgesprochen stressig sein, eine Frau zu sein.

Mit einem Schmunzeln auf den Lippen entschied ich mich für weiße Unterwäsche und einem recht lässig sitzendem Kleid, was obenrum weiß mit blauen Punkten war. Der Rock dagegen war ebenfalls dunkelblau. Ein Gürtel, der meine Taille betonte, komplettierte mein Outfit.

Danach sortierte ich meine Klamotten ein, die ich nicht nach meiner kühlen Dusche anziehen wollte. Als das erledigt war, ging ich zurück ins Bad, wo ich mir die Maske, die mittlerweile vollständig an meinem Gesicht haftete, abzog. Zufrieden betrachtete ich mein Werk und freute mich darüber, dass nichts kleben geblieben war.

Summend stieg ich unter meiner Dusche, die an der Badewanne grenzte und machte das Wasser an. Im nächsten Moment quiekte ich erschrocken auf. Meine Güte, das war Wasser war viel zu kalt! Ich hatte nichts gegen eine Abkühlung im schwülen Sommer, doch das war zu viel des Guten. Daher schaltete ich das Wasser wärmer als geplant ein und seufzte wohlig auf. Ja, das war viel besser!

Zufrieden machte ich mich danach ans Werk und machte mich hübsch. Wenn ich schon der Verlobten von Cedric begegnen wollte, dann würde ich auch gut aussehen. Oh ja, sie sollte ruhig sehen, dass er und ich uns kannten. Er würde mich so offensichtlich anstarren, dass sie ihm eine gehörige Szene machen würde!

In mir keimte sogar die Idee auf, meine Haare zur Abwechslung mal zu locken, doch ich verwarf den Gedanken, da die Zeit leider knapp wurde. Soweit ich wusste, wollten die beiden Mittagessen gehen und da würde ich rein zufällig an der Stelle auf sie treffen, an der Ced und ich uns an unserem ersten Abend voneinander verabschiedet hatten.

Rasch aß ich noch etwas, nachdem ich mich fertig gemacht hatte und begab mich nach draußen. In Windeseile trugen mich meine beigefarbenen Sandalen mit Keilabsatz und Schleifchen zu jener Stelle.

Schon von weitem erkannte ich das Paar, was einige Meter vor mir lief. Leider war es mir nicht möglich das Gesicht seiner Verlobten zu sehen. Ich konnte nur mit Sicherheit sagen, dass Feline wie ich recht groß war und schwarze lange Haare besaß.

Sie trug einen ziemlich kurzen Minirock, der sich nur so an ihren perfekten Körper schmiegte. Ihre High Heels waren auch nicht schlecht und passten zu dem roten Oberteil, was sie trug.

Wie ich feststellte hielten die beiden nicht Händchen. So eine Beziehung führten sie also. Ja, das passte zu Cedric, der stets darauf bedacht war, nicht zu viel von sich preiszugeben.

Unauffällig verfolgte ich die beiden, bis sie schließlich in ein schickes Restaurant gingen.

Dort konnte ich die Frau wenigstens mal von vorne sehen. Mich traf fast der Schlag. Würde ich es nicht besser wissen, würde ich behaupten, sie sei meine Zwillingsschwester so ähnlich sah sie mir! Selbst meinen knallroten Lippenstift trug sie.

Das Oberteil entpuppte sich als Bluse, die ziemlich viel Preis von ihren chirurgischen Brüsten gab. Daran hatte ich keine Zweifel, man sah es ihrer zierlichen Gestalt an, dass sie nachgeholfen hatte.

Und darauf fuhr Cedric ab? Enttäuschung machte sich in mir breit. Nein, also das war doch zu viel für mich, fehlte nur noch, dass mich Männer bezirzten. Mir entgingen zwar ihre Blicke nicht, die sie mir zuwarfen, doch konterte ich mit einem Augenverdrehen, woraufhin sie es nicht noch einmal wagten, Kontakt mit mir aufzunehmen.

 

Das Mittagessen war jedenfalls gelaufen. Die Tortellini, die man mir brachte, waren zwar lecker und auch vom Aussehen nicht zu verachten, doch schäumte ich innerlich vor Wut und … Eifersucht.

Nun wusste ich, wie bitter es schmeckte, wenn man den Menschen, zu dem man sich hingezogen fühlte, mit einer anderen Person sah, die ihm näher stand als man selbst. Nicht nur das, heiraten wollte er sie auch noch!

Es war verdammt hart und ich fragte mich, weshalb ich mir das antat. Die beiden zu sehen, wie sie lachten, sich tiefe Blicke zuwarfen und schließlich, wie sich immer wieder ihre Hände berührten. Es könnte so romantisch sein, doch war nicht ich es, die diesem wundervollen Mann gegenüber saß, sondern eine andere: Feline.

Diese strahlte im vollen Glanz mit der Sonne um die Wette. Dagegen kam ich mir nur wie ein anderer Stern vor, der viel zu schnell verglühte. Dabei war es sonst ich, die alles erleuchtete. Doch nun stand ich im Abseits und konnte die beiden nur im Hinterhalt beobachten.

Ungeduldig wie ein kleines Kind saß ich alleine an dem Tisch und wartete darauf, dass das Paar endlich das Restaurant verließ. Mit geweiteten Pupillen beobachtete ich, wie Cedric ganz selbstverständlich die Rechnung bezahlte. Was für ein Arschloch!

Irgendetwas stimmte da ganz und gar nicht. Er konnte doch nicht vor mir so tun, als ob er in dieser Hinsicht für das getrennte Zahlen von Rechnungen war. Bei seiner Verlobten schien er aber ganz konservativ und ein Gentleman zu sein.

Im nächsten Moment musste ich aber ganz rasch reagieren, denn die beiden wagten es tatsächlich, mir ziemlich nahe zu kommen! Mir blieb nichts anderes übrig, als mich ganz klischeehaft hinter der Speisekarte zu verstecken.

Und wieder verhielt sich Ced sehr galant. Er ließ Feline den Vortritt. Wie ich jedoch mit einem Anflug von erneuter Wut feststellte, sah er ihr ungeniert auf den Po. Ich tat es ihm gleich und bedauerlicherweise war die Frau wirklich gut in Form. Da war es wohl nicht ganz verwunderlich, dass Cedric sie so verehrte.

Daran hatte ich keine Zweifel. Okay, er hatte sich den ein oder anderen Fehltritt bei mir geleistet, aber letztendlich blockte er mich immer wieder ab, wenn ich auch nur daran dachte, ihm näher zu kommen. Das rechnete ich ihm hoch an. Verdammt hoch sogar, denn ich war schließlich auch keine Frau, mit der man sich nicht blicken lassen konnte.

Im Gegenteil, ich wusste genau, wie ich auf Männer wirkte und welche Knöpfe ich drücken musste, um das zu bekommen, wonach ich mich sehnte. Der Violinist war der erste Mann, der sich meiner Anziehungskraft zu entziehen vermochte. Vielleicht sollte ich ihm ebenfalls die kalte Schulter zeigen, dann würde er mir hinterherlaufen so wie all die anderen Männer, die ich vor ihm im Visier hatte.

 

Genug nachgedacht, nun war meine Konzentration wieder gefragt. Cedric und Feline waren nämlich aus meinem Sichtfeld verschwunden und so legte ich das Geld für meinen Kaffee und den Tortellini auf den Tisch, damit ich die beiden weiter verfolgen konnte.

Dort traf mich auch schon fast der Schlag. Mit einer Selbstverständlichkeit, die mir absolut nicht behagte, ruhte der Arm von Ced um die schwarzhaarige Schönheit. Somit bestand kein Zweifel mehr: Sie war seine Verlobte!

Das Paar hatte sogar sichtlich Spaß. Immer wieder hörte ich die beiden lachen, was mich nur noch wütender, aber mittlerweile auch traurig machte. An einem Baum blieben sie schließlich stehen, fast wäre ich ebenfalls um die Ecke gebogen, doch konnte ich gerade so noch anhalten.

Ich durfte meine Tarnung nicht verlieren! Und so beobachtete ich sie aus sicherer Entfernung. Die Szene, die sich vor meinen Augen abspielte, zerbrach mein Herz in tausende von Scherben. Cedric hatte seine Verlobte im Arm und sah ihr ganz tief in die Augen. Sein Mund zierte ein so liebenswürdiges Lächeln, dass mir Tränen in die Augen schossen.

Wie lange wollte ich mir das eigentlich noch mitansehen? Reichte es denn nicht schon? Nein, ich musste einfach mehr über ihn erfahren. Wo er zum Beispiel wohnte. Wenigstens das sollte ich auch noch in ein paar Minuten erfahren.

Doch zuerst sah ich ihre grenzenlose Liebe. Feline lächelte ebenfalls und konnte gar nicht den Blick von Ced nehmen, was ihm genauso ging. Und dann passierte natürlich das, womit ich rechnete. Die Münder der beiden kamen sich immer näher und verschmolzen zu einem Kuss, dessen Intimität ich auch als Außenstehende erkennen konnte.

Ihr Kuss war gepaart mit grenzenloser Liebe, Hingabe und Vertrauen. All das, was ich nicht kannte. Nicht auf dieser Ebene zumindest. Man konnte die Liebe zu seinen Eltern nicht die mit einem Partner vergleichen.

Ehe ich mich meinen Gedanken weiterhin widmen konnte, erkannte ich, dass Cedric sich von ihr löste und ihr etwas ins Ohr flüsterte. Die Frau lief knallrot an und sah sich um, während der Braunhaarige mit ihrem Haar spielte und sie am Hals küsste.

Das konnte doch nicht wahr sein! Sie wollten doch nicht jetzt übereinander herfallen, oder? Zum Glück blieb mir das erspart, denn mit einem Ruck zog Ced seine Verlobte mit sich, die ungehalten kicherte.

Sie setzten ihren Weg fort und ehe ich mich versah, tauchte vor meinen Augen ein Gebäude auf. Sofort wurde mir klar, wo ich war. Wow! Als ich das letzte Mal hier gewesen war, war hier noch eine Fabrik gestanden.

Scheinbar befand sich das Loft von Cedric hier. Er ging nämlich zielstrebig auf eine Tür zu, die er wie selbstverständlich aufschloss. Dann ließ er wieder seiner Begleitung den Vortritt, die sich nicht zwei mal bitten ließ. Mit einer lasziven Bewegung sah ich noch, wie die langen Fingernägel von Feline über seine Brust strichen, ehe sie in das Innere der Wohnung verschwand.

Eigentlich wollte ich gehen, doch dann schoss der Kopf von Ced nach hinten. Davon war ich so sehr überrumpelt, dass es mir nicht gelang mich zu bewegen. Sein Blick sprach sowieso Bände. Die Augenbrauen zeigten belustigt nach oben und sein Mund zierte ein wohl wissendes Grinsen.

Scheiße, ihm war also nicht entgangen, dass ich ihn verfolgt hatte!

Don't You Realize

Ohne es zu wollen traten mir Tränen in die Augen, die sich auch sofort ihren Weg über mein Gesicht bahnten. Geschockt davon sah ich auf meine feuchten Hände und dann zu Cedric. Er war weg.

Was hatte ich auch erwartet? Dass er zu mir stürmte und mich in den Arm nahm? Nein, so naiv war ich nun wirklich nicht! Dennoch schmerzte seine Ignoranz ungemein. Eigentlich war ich doch selber daran Schuld, immerhin hatte ich mich in ihn verliebt.
Es klang so neu und ebenso seltsam, aber ja, das war die Wahrheit. Schon allein wenn ich nur an ihn dachte, schlug mein Herz in die Höhe und mir war es fast nicht möglich, mich auf andere Dinge zu konzentrieren.
Ratlos stand ich in der prallen Sonne und bemühte mich erst gar nicht mehr, mich vor Cedric und seiner Verlobten zu verstecken. Vermutlich beobachteten sie mich ebenfalls und lachten sich über mich kaputt. Ich dagegen sah von außen gar nichts. Die Scheiben waren nämlich aus getöntem Glas und versperrten mir so eine freie Sicht.
Wieder wunderte ich mich über den Violinisten. Er musste ja ganz schön viel zu verbergen haben, wenn er sogar so weit ging, von dem Geschehen, was sich vor seiner Wohnung abspielte, nichts mitbekommen zu wollen. Und ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass er sich – so wie ich – vor Einbrechern schützen wollte.
Mein Grundstück war nämlich von einem Zaun umgeben, der mir lästige Menschen vom Hals schaffte. Das war auch besser so, denn ich wollte auf keinen Fall ungebetene Gäste empfangen. Bisher war es auch niemanden gelungen, die Alarmanlage, die ich mit installieren lassen hatte, zu umgehen.
Vielleicht war da Ced aus einem ähnlichen Holz geschnitzt wie ich, was Sicherheit anging. Auf der anderen Seite konnte ich mir das nicht vorstellen und doch wurde ich das seltsame Gefühl nicht los, dass es etwas mit diesem skurrilen Mann zu tun hatte, der uns beim Café begegnet war.
Es konnte mir so was von egal sein, in welcher Verbindung die beiden zueinander standen, immerhin hatte Cedric mich hier stehen lassen. Wut keimte in mir auf, erst recht, als ich mir über meinen Aufenthaltsort bewusste wurde.
Stolz stampfte ich davon und kramte ein Taschentuch aus meiner Handtasche. Danach nahm ich meine Klapphaarbürste mit Spiegel heraus und überprüfte mein Gesicht. Hätte ich mir ja denken können. Wieder sah ich aus wie eine Vorstufe von einem Zombie.
Zum Glück wusste ich mir da zu helfen. Rasch trug ich neues Make Up auf sowie Kajal, Wimperntusche und Lidschatten. Und schon sah ich wieder aus wie das Model, als das mich die Menschen kannten.
Man konnte nie wissen, wo die Paparazzi so lauerten. Mich wunderte es sowieso, dass sie mich hier noch nicht aufgespürt hatten. Ich stand zwar gerne in der Öffentlichkeit, doch mein Privatleben versuchte ich so gut es ging abzuschirmen. Daher wussten sie auch nichts von meinem Umzug, geschweige denn von meinem baldigen Arbeitsplatz.
Das war ein gutes Stichwort. Ich war mir sicher, dass die Stadtbibliothek schon bald voll von Fotografen war. Hoffentlich würde ich diesen Schritt noch eine Weile geheim halten können. Schon allein bei diesem Gedanken verdrehte ich die Augen.
Meinem zukünftigen Chef konnte ich sowieso ganz schnell um den Finger wickeln, obwohl es ihm mehr um meine beruflichen Referenzen beim Vorstellungsgespräch gegangen war. Nichtsdestotrotz waren Männer in dieser Hinsicht alle gleich: Kaum sahen sie eine Frau, die nicht mit ihre Reizen geizte, wollten sie sie erobern.
Dazu würde es aber nicht kommen. Nicht auf der Arbeit, das schwor ich mir. Beziehungen, die über die beruflichen Themen hinausgingen, kamen bei mir nicht auf.
Den ein oder andern mochte das zwar überraschen, aber ich ersparte mir lieber ein kühles Arbeitsklima, in dem ich mit keinem Kollegen ab und zu meinen Spaß hatte, ihn aber dann letztendlich zurückwies, was selbstverständlich an dessen Ego kratzte.

 

Traurig, aber auch gleichzeitig wütend, ging ich schließlich. Hier hielt mich sowieso nichts mehr. Außerdem besaß ich noch so viel Stolz, um nicht so lange zu warten, bis Cedric doch noch herauskam und mit mir redete.
In dieser Hinsicht war ich nämlich nach wie vor selbstbewusst. Ich brauchte mir nichts von ihm einreden zu lassen. So weit würde es bestimmt nicht kommen. Er würde sich noch wundern, oh ja!
Trotz allem setzte ich meinen Weg nur zaghaft fort. Vermutlich war ich zu sehr im Gedanken versunken. Immer wieder stellte ich mir die Frage, wie es nun weitergehen sollte. Konnte und wollte ich so tun, als ob nichts passiert wäre?
Die Antwort wusste ich auch ohne großartiges Nachdenken. Es würde keinen Sinn ergeben, sauer auf den Violinisten zu sein. Er hatte schließlich nichts Falsches getan. Mir behagte es nur nicht, dass er in einer festen Bindung steckte und eine andere Frau in seinem Leben eine große Rolle spielte.
Eifersucht war schon ein mieses Gefühl. Nichts anderes durchströmte mich nämlich gerade. Wäre ich doch bloß nie nach Deutschland gegangen! Dann hätte ich ihn bestimmt früher kennengelernt und wäre die Frau an seiner Seite und nicht Feline.
Schon allein dieser Name hörte sich ziemlich merkwürdig an. Hoffentlich könnte ich ihr das eines Tages selber sagen. Ihr Blick wäre bestimmt sehr amüsant. Oh, wie würde ich ihr am liebsten die Augen auskratzen!
Und doch suchte mich das schlechte Gewissen heim. Was erlaubte ich mir über einen Menschen zu urteilen, den ich nicht kannte? Außerdem war Cedric doch selber schuld, wenn er nicht erkannte, dass ausschließlich ich die einzig richtige Frau war, mit der er sein Leben verbringen sollte.
Er ließ sich doch das ganz große Glück entgehen, nicht ich. Dummerweise war er mit seiner Wahl mehr als nur zufrieden. Doch er würde schon noch sehen, was er davon hatte. Ich würde nämlich nicht ewig auf ihn warten. Irgendwie musste ich ihm klar machen, dass er ganz viel verpasste, wenn er es nicht mit mir versuchte.
Das würde er nämlich, oh ja und wie! Mein Spektrum an Erfahrungen war nämlich gewaltig, trotz meines jungen Alters von dreiundzwanzig Jahren. Und im Gegensatz zu ihm war ich schon durch den ganzen Erdball gereist. Ich hatte eine Reihe von Ländern gesehen, von deren Existenz Cedric vermutlich nicht einmal wusste. Trotzdem tat er mir leid, da er noch nie im Ausland gewesen war.
Mich verwunderte diese Tatsache nach wie vor. Als Musiker reiste man doch ebenfalls ziemlich oft wie beispielsweise ich als Model. Vielleicht übersah ich aber auch den Fakt, dass er noch ein Kind gewesen war, als er regelmäßig aufgetreten war. Sicherlich hatten das seine Eltern nicht gewollt.
Bei mir war es kaum anders gewesen. Giaccomo und Francesca waren sehr vorsichtig gewesen, als ich mit dem Modeln begann. Zuerst hatte ich nur ab und zu ein Shooting, doch mit der Zeit kamen immer mehr dazu. Meine Noten hatten darunter nicht gelitten, das mussten auch sie einsehen, was sie auch taten.

 

Seufzend lief ich weiter durch die Stadt und hatte noch immer keine Ahnung, wohin ich gehen sollte. Nach Hause wollte ich nicht, ebenso nicht zu meinen Eltern. Ich wollte einfach nur alleine sein. Wo konnte ich mehr meine Ruhe haben als in der Bucht? Nirgends.
So hatte ich meinen Weg gewählt, auf dem ich mich sofort begab. Langsam ging ich diesen, denn meine Gedanken ließen mich nach wie vor nicht in Ruhe. Eigentlich war ich nicht so nachdenklich, doch Cedric schaffte es immer wieder, dass ich von der Realität abdriftete und mich Tagträumen hingab.
Natürlich drehten sie sich alle um den Virtuosen. Meine Bewunderung über seine Geige war noch immer nicht verblasst. So wie er spielte war das auch kein Wunder. Noch nie hatte ich so ein perfektes Zusammenspiel zwischen Mensch und Instrument gehört. Das, was er da machte, war solieren auf höchstem Niveau.
An sich interessierte ich mich nicht für klassische Musik. Nichtsdestotrotz hörte ich Ced sehr gerne beim Spielen zu. Man merkte ihm dabei richtig an, dass das für ihn nicht nur ein Hobby war, sondern seine Berufung. Er trat völlig weg und lenkte seine gesamte Konzentration auf seine Violine. Und wenn er davon sprach, leuchteten seine Augen heller als die Sterne.
Dieser Mann faszinierte mich so sehr und doch konnte ich die Distanz, die uns umgab, nur zu deutlich spüren. Sie war schon fast zum Greifen nahe. Schwermut überkam mich, denn ich wollte nichts anderes, als ihn berühren. Ihn über sein stoppeliges Kinn streichen, mich in seinen wuscheligen Haarschopf krallen und noch ganz andere Dinge.
Gott, ich brauchte ihn unbedingt! Wenn er mir nur noch einmal deutliche Signale sendete, würde ich über ihn herfallen wie eine ausgehungerte Katze. Das schwor ich mir, während ich mir gierig die Lippen leckte.

 

Nach einer halben Stunde kam ich schließlich an der Bucht an und erfreute mich an ihrer Einsamkeit. Nichts und niemand war da, um mich zu stören. Das war herrlich! Nach vielen Stunden fühlte ich mich endlich wieder frei. So frei wie der Wind.
Ein heiteres Lachen entfuhr mir und ich schnürte meine Sandalen auf. Dann breitete ich meine Arme so weit ich konnte aus. Und so rannte ich ins Meer, was mir meine Füße dankten. Ich konnte nur so spüren, wie das Wasser sie kühlten.
Das war für mich im Augenblick wahre Freiheit. Wie ein kleines Kind tänzelte ich unter der beißenden Hitze der Sonne. Es tat so gut, dass ich fast alles um mich herum vergaß. Denn in diesem Moment umgab mich eine immense Leichtigkeit. Die Erkenntnis, dass ich doch noch sehr wohl wusste, wie es war, frei zu sein, erfüllte mich mit großer Freude.
Ein Schrei der Erleichterung verließ meine Kehle, die sich mit einem Mal ziemlich trocken anfühlte. Jetzt wäre es gut, wenn ich etwas zu Trinken dabei hätte. Da ich dies aber nicht der Fall war, beschloss ich, in ein Café zu gehen. Eine Stärkung hatte ich ebenfalls bitter nötig und als ich das realisierte, bekam ich ungeheure Lust auf Torte. Dazu würde ich mir einen starken Eiskaffee gönnen und fertig war mein perfekter Nachmittag.
Barfuß und mit meinen Sandalen in der linken Hand verließ ich die Bucht und war schon bald an der Strandpromenade angelangt. Mit einem Lächeln auf den Lippen betrachtete ich die Menschen, die meinen Weg kreuzten. Auch sie brachten mir gute Laune entgegen, was mich ungeheuer glücklich machte. Oh ja, mit einem Lächeln gehörte einem die Welt!
Mein Blick glitt über meine Umgebung und ich war wahnsinnig froh, genau hier zu sein. An keinem anderen Ort wollte ich gerade sein außer in Italien. Oder besser gesagt in einem Café, denn mein Magen meldete sich zu Wort oder besser gesagt er gab knurrende Geräusche von sich.
Fast kam es mir so vor, als hätte ich tagelang nichts gegessen, aber das war zum Glück nicht der Fall. Nur weil ich ein Model war, hieß das noch lange nicht, dass ich hungern musste. Außerdem liebte ich meinen Körper. Ich war nämlich der Meinung, dass zu einer Frau Kurven gehörten, die ich ohne Zweifel besaß.
Um ehrlich zu sein fand ich es sogar ziemlich traurig, wenn Menschen dachten, sie müssten schlank sein, um jemanden zu gefallen oder um sich allgemein wohlzufühlen. Jeder wie er mochte. Und ich gehört eindeutig zu der Sorte, die Essen liebte.
Ein Grinsen stahl sich in mein Gesicht, bis ich schließlich in Gelächter ausbrach. Ja, es gab Momente, in denen ich mir über unmögliche Themen Gedanken machte. Aber so war ich nun mal.

 

Jetzt war ich aber froh, dass ich in einem schicken Café saß. Es war das, in dem ich vor Kurzem mit Cedric gewesen war, an dem ich jedoch keinen Gedanken verschwenden wollte. Rasch bestellte ich mir zwei Tortenstücke und einen Eiskaffee.
Gelangweilt trommelte ich mit meinen Fingernägeln auf den Tisch und war ganz schön ungeduldig. Ich konnte es kaum erwarten, etwas zu essen und stürzte mich auf meine Bestellung, als ich diese erhielt.
Schließlich beruhigte ich mich und aß genüsslich das verbliebene Stück von der Maulwurftorte, die köstlich schmeckte. Oh, es tat wahnsinnig gut, wenn man seine Ruhe vor alles und jedem hatte. Mit meinen Blicken hatte ich die Männer nämlich zum Schweigen gebracht, bevor sie überhaupt daran dachten, mich anzusprechen.
Zufrieden lehnte ich mich zurück und nahm einen kräftigen Schluck von meinem Getränk, was ich bis jetzt noch gar nicht angerührt hatte. Auch daran gab es nichts zu bemängeln. Der Kaffee war kühl und erfrischend, genau das, was man unter einem Eiskaffee verstand.
Ich ließ mir alle Zeit der Welt und schon bald kündigte sich die Nacht an. Der Himmel zeigte sich von einer atemberaubend schönen Seite. Immer wieder faszinierte mich dessen Anblick aufs Neue und so bezahlte ich schon bald, damit ich zurück zur Bucht gehen konnte.
Dort angekommen lehnte ich mich gegen einen der mächtigen Felsen und genoss das Farbenspiel, welches sich vor mir bot. Der Wind trug das Wasser in seichten Wellen voran, woraufhin ich die Augen schloss.
Was für ein Tag! Was für ein Chaos, welches sich immer mehr in mein sonst so penibel geordnetes Leben schlich. Und dieses Chaos besaß sogar einen Namen: Cedric. Ohne hatte ich alles wunderbar unter Kontrolle gehabt.
Oh ja, ich dachte, dass ich weiter machen würde wie bisher. Karriere im Modeln und in der Stadtbibliothek, hier und da den ein oder anderen Spaß mit Männern, fertig war mein perfektes Leben.
Das konnte ich nun vergessen wie es aussah. Der Violinist war auch etwas ganz Besonderes. Ich spürte, dass er etwas ganz Großes vor mir verbarg und aus unzähligen Facetten bestand. Nur warum machte er so ein Geheimnis aus seiner Person? Für ihn war ich doch nur jemand, der ihn beim Spielen zusah, nicht mehr und nicht weniger.
Von daher konnte er doch offen zu mir sein. Vielleicht bestand aber genau darin das Problem. Eben weil ich nur jemand war, der zufällig seinen Weg gekreuzt hatte. Ich würde auch nicht jemanden von meinen tiefsten Wünschen und Träumen erzählen, den ich kaum kannte. Und doch wusste ich, dass das nicht der Wahrheit entsprach.
Im Gegenteil, ich hatte Cedric, einem mir fast Fremden, von Claudio, meiner großen Liebe, erzählt. Und auch wenn er es nicht wusste, doch nahm er mir den Schmerz. Er machte mir den Verlust über meinen besten Freund aus Kindertagen einigermaßen erträglich, obwohl ich erst vor Kurzem erfahren hatte, dass ich diesen nie wieder mehr sehen würde.
Es gab noch so viele Dinge, von denen ich keinerlei Ahnung hatte, aber dafür hatte ich Ced. Und auch er war ahnungslos. Wir waren dabei, uns in etwas zu verlieren, was unser Leben von Grund auf veränderte.

 

Jäh wurde ich aus meinen Gedanken gerissen. Erst als ich überaus dumpfe Schritte hörte, hob ich meinen Kopf und erschrak. Vor mir stand tatsächlich Cedric! Wobei man eher sagen konnte, dass er versuchte sein Gleichgewicht zu halten.
Rasch erhob ich mich, wobei ich mir mein Kleid glatt strich da ich nicht zu viel von mir zeigen wollte. Es war ohnehin eher mädchenhaft, was aber mit meinen langen schwarzen Haaren super zur Geltung kam und mir daher sehr gefiel.
Ohne zu überlegen hielt ich Ced fest, der fast auf mich gefallen wäre. „Was … Was ist mit dir? Ist etwas passiert?“, erkundigte ich mich über dessen Wohlbefinden, da er mir ziemlich suspekt vorkam oder besser gesagt seine Betrunkenheit.
Mit einer Selbstverständlichkeit legte der Braunhaarige einen Arm um mich, was mein Herz höher schlagen ließ und antwortete: „Du machst alles kaputt! Warum zur Hölle musstest du mich überhaupt beim Spielen finden?“.
Sprachlos hielt ich inne. Er war hier nur aufgekreuzt, um mir Vorwürfe zu machen! Ich wusste nicht, wie ich darauf reagieren sollte. Er machte auf mich keinen sonderlich zurechnungsfähigen Eindruck.
Daher versuchte ich es erst einmal mit Geduld. Sanft sagte ich: „Beruhige dich, setze dich erst einmal hin und dann sprechen wir in Ruhe darüber, was los ist“. Um meinen Worten Nachdruck zu verleihen, wollte ich mich mit ihm in den Sand setzen, doch er hielt spielend dagegen.
Barsch befreite er sich von mir und schubste mich von sich, wobei er fast erneut sein Gleichgewicht verloren hätte. Ich machte einen Schritt auf ihn zu, doch als ich sah, dass er zurückwich, blieb ich stehen.
„Kannst du mich nicht einfach in Ruhe lassen, so wie ich es dir gesagt habe? Du bist so was von töricht! Wegen dir wird alles nur noch schlimmer!“, machte er mir erneut Vorwürfe, was mich langsam aber sicher zur Weißglut trieb.
Ehrlich mal, was dachte er sich nur dabei? Dachte er sich überhaupt etwas? Ich bezweifelte es, denn er stank überaus stark nach Rotwein und Whisky, woraufhin ich nur die Nase rümpfen konnte.
Das schien er mitbekommen zu haben, denn er näherte sich mir und lallte schier verzweifelt: „Bitte Fabrizia, du musst auf mich hören! So gerne ich auch mit dir Zeit verbringen würde, es geht nicht! Ich könnte mir nie verzeihen, wenn dir etwas zustoßen würde!“. „Ich habe dir schon einmal gesagt, dass ich sehr gut auf mich aufpassen kann und du erscheinst mir im Moment eher harmlos als gefährlich“, quittierte ich matt seine Bitte.

 

Bestürzt starrte mich Cedric an, was mir schon ein wenig Sorgen bereitete. „Du … Du verstehst einfach gar nichts!“, stammelte er hilflos, woraufhin ich fragte: „Woher soll ich wissen, was du meinst, wenn du immer in Rätseln sprichst?“.
Die Erkenntnis kam den Braunhaarigen wie ein Blitz, das erkannte ich an seinen Augen, die immer größer wurden. Im nächsten Moment grinste er mich jedoch siegessicher an. Ich wagte erst gar nicht, mich zu fragen, was folgte.
Mit einem Mal kam mir Ced verdammt nahe, sodass ich scharf die Luft einzog. Dicht vor mir blieb er stehen, legte seine Arme um mich und flüsterte bedrohlich: „Du vergisst aber, dass dich mein Leben überhaupt nichts angeht und schon gar nicht Feline“.
Das war alles andere als eine Information, viel eher eine Warnung. Er wollte mir nach wie vor unmissverständlich klar machen, dass ich mich gefälligst von ihm fernhalten sollte und leider Gottes stimmte es, was er soeben gesagt hatte.
Nervös schloss ich die Augen und wagte nicht diese zu öffnen, da Cedric einige Schritte zurück gegangen war und mich anstarrte. So sehr wie sein Blick sich in mich brannte würde es mich wirklich wundern, wenn er das nicht tun würde.
Sein Trumpf war auch ausgesprochen gut. „Wir sind hier in einem freien Land, also darf ich auch hingehen wohin ich will“, erfand ich eine überaus lahme Ausrede, über die er nur lachen konnte.
Dummerweise fiel mir kein besseres Argument ein und so sah ich ihn abwartend an. Mit einem Schmunzeln auf den Lippen lallte er: „Sie ist meine Verlobte und das weißt du auch! Ich … liebe sie und werde sie heiraten, da kannst du uns noch so oft verfolgen, was ich nebenbei ziemlich krank von dir finde!“.
Jetzt verlor auch ich meine Geduld. Nein, das konnte und wollte ich mir wirklich nicht bieten lassen! „Na und? Dann bin ich eben krank, irgendwie muss ich dich doch kennenlernen! Das hast du nun davon, dass du mir kaum etwas über dich erzählst!“, machte ich ihm Vorwürfe, die ich mehr als berechtigt fand.
Immerhin betrug es auch seine Schuld. Er hatte mir doch durchaus Signale gesendet, ja sogar die Kontrolle über sich verloren. Gedankenverloren strich ich mir über meine entsprechende Schulter und meinen Hals.
Ob ich diese unsichtbaren Male je wieder los werden würde? Noch immer spürte ich die Lippen von Cedric auf meiner Haut und nahm das Brennen nur zu gut wahr. Der Blick von ihm haftete sich darauf und ich hoffte, dass ihm endlich klar wurde, was er damit angerichtet hatte.
Seine Hand ging nach vorne, doch ich schlug sie von mir, ehe er mich überhaupt erneut berühren konnte. Es tat zwar weh, ihn zurückzuweisen, doch die Antwort kannte er. Dennoch sagte ich: „Höre bitte auf damit, du hast doch Feline. Wieso tust du das dennoch? Wieso suchst du meine Nähe?“.
Verloren sah der Violinist mich an und ließ ratlos seinen Arm sinken. „Jenes Versprechen ist tief in mir verankert, vermutlich viel zu tief. Vermutlich ist es meine fatale Sehnsucht nach alten Zeiten. Nach Claudio“, flüsterte er kaum hörbar, was mir einen ungeheuren Stich versetzte.

 

Wieder benutzte er dieses sensible Thema, um mir den Wind aus den Segeln zu nehmen. Dabei müsste er doch wissen, wie sehr mir der Verlust über Dio Schmerzen zubereitete! Fassungslos wie eh und je starrte ich an ihm vorbei auf das Meer.
Als sich mein Blick doch wieder auf ihn legte, erkannte ich nur zu gut, wie sehr er den Triumph über diesen Sieg über mich auskostete. Das konnte und wollte ich nicht so offen stehen lassen!
Mit neugewonnener Kraft zischte ich: „Dann solltest du jene fatale Sehnsucht lieber an Feline auslassen, aber nicht an mir! Ewig werde ich es nicht zulassen, dass du sie hintergehst und außerdem hat sie ebenso eine Verbindung zu Claudio wie ich“.
Ich wusste nicht weshalb, aber ich ergriff Partei für seine Verlobte. Es könnte mir so was von egal sein, doch ich wollte keine Affäre für Cedric sein oder eine erfrischende Abwechslung, nein, ich wollte die Einzige für ihn sein.
Kopfschüttelnd stand er vor mir, wobei er noch immer nicht richtig klar im Kopf war und so belehrte ich ihn noch: „Außerdem solltest du dich lieber ausnüchtern und duschen, du stinkst fürchterlich und glaube mir, das mag keine Frau“.
Nun hatte ich das Ruder des Gesprächs übernommen. Kein Wunder, dass ich mich in diesem Augenblick total gut fühlte. Meine Selbstsicherheit war zurückgekehrt. „Das ist nicht dein Problem. Und wenn ich trinken möchte, dann tue ich das auch“, wies er mich barsch darauf hin, dass es seine Sache war, was er machte.
Darüber konnte ich nur lachen, oh ja! Ich würde ihm bestimmt nicht die Genugtuung geben und ihm zustimmen. Lässig erwiderte ich: „Dann belästige doch jemand anderen, aber nicht mich. Immerhin rieche ich auch nicht so, als ob ich in einem Bottich voller Cocktails gefallen wäre“.
Das dürfte fürs Erste genügen. Seine Augen hatten sich verdüstert, seine Mimik spannte sich an und schließlich meinte er süffisant: „Deine Luxusprobleme möchte ich haben. Das ist ja richtig lächerlich“.
Wollte er mich etwa vorführen? So kam ich mir nämlich gerade vor, was mich tierisch zur Weißglut trieb. Erst recht, als er mir wieder näher kam und mich in eine feste Umarmung zog. „In Wahrheit findest du diese Kombination äußerst sexy oder denkst du etwa ernsthaft, dass mir nicht entgangen ist wie du mich immer ansiehst?“, säuselte er dicht an meinem Ohr, woraufhin sich eine Gänsehaut über meinen Körper zog.
Zumal er genauso gut wie ich wusste, dass er im Recht war. Verdammt. Bei seinem Aussehen konnte man auch nicht anders. Und erst seine Art! Seine Fahne trug auch ihren Teil dazu bei, aber er roch noch etwas anders.
Wenn ich mich nicht täuschte nahm ich nur zu gut den Geruch von Parfüm wahr. Für mich roch es nach Vanille, Zimt und etwa orientalisch – eine geniale Verführung der Sinne!

 

Nichtsdestotrotz ließ ich meiner Wut auf Cedric die Oberhand gewinnen, da ich stark bleiben musste. Ich durfte bloß keine Schwäche vor ihm zeigen. Sauer zischte ich: „In Wahrheit finde ich Männer sexy, die sich gut zu kleiden wissen und sich nicht in abgewetzten Klamotten zeigen. In Wahrheit finde ich Männer sexy, die gut riechen und nicht nach Alkohol stinken, das ist ekelhaft“.
Damit er bloß nicht auf die Idee kam, dass ich bluffte, befreite ich mich aus der Umarmung und verschaffte Distanz zwischen uns. Ratlos schmollte der Braunhaarige, was mich unweigerlich auf seinen Mund starren ließ.
Kopfschüttelnd wandte ich rasch den Blick ab, damit er es gar nicht bemerkte. War er zuerst noch total verloren gewesen, so starrte er mich mit einem fiesen Grinsen an. „Du hast aber etwas Entscheidendes vergessen, meine Liebe“, fing er auch sofort an mich über seinen Einfall aufzuklären.
Neugierig hob ich den Kopf und wurde nervös. Was kam denn nun? „In Wahrheit bist du nämlich auf mich angewiesen“, gab Ced mir noch immer Rätsel auf. Mir wollte beim besten Willen nicht einfallen, weshalb … Die Erkenntnis traf mich wie ein Blitz.
Vor Entsetzen weiteten sich meine Pupillen. Der Violinist wollte nicht wirklich diesen Trumpf ausspielen! Sofort ließ dieser auch die Bombe platzen.
Gehässig wie eh und je lallte er: „Ich, der sich deiner Meinung nach nicht gut zu kleiden weiß, ich, der deiner Meinung nach stinkt, bin deine einzige Verbindung zu Claudio und er bedeutet dir doch noch immer etwas, oder nicht?“.
„Möchtest du wirklich zulassen, dass ich dich fallen lasse? Du wirst danach niemanden haben, mit dem du über alte Zeiten sprechen kannst, der dich auffängt, wenn du wieder zu fallen drohst!“, vergewisserte er sich, ob ich wirklich diesen einen Schritt zu weit gehen wollte, ehe ich auch nur darüber nachdenken konnte, ihm etwas entgegenzusetzen.
Mein Widerstand löste sich in Luft auf. Sofort vermischte sich meine Wut mit unendlicher Trauer. „Merkst du denn nicht, dass du es bist, der viel zu weit geht?“, schrie ich ihn an und war selber davon überrascht, wie wütend ich klang, obwohl mir Tränen über die Wangen liefen.

Bittersweet Symphony

Weinend sank ich in mich zusammen und vergrub mein Gesicht in beide meiner Hände. „Scheiße... Fabrizia!“, hauchte Cedric beinahe tonlos und beugte sich zu mir herunter. Als er mich in den Arm nehmen wollte, wehrte ich mich und schluchzte: „Ach, geh doch! Das möchtest du schließlich auch!“.

Pure Wut überkam mich. Ich wollte alleine sein, das hatte ich bitter nötig. Und dennoch wurde mir ganz warm, als der Braunhaarige trotzdem seine Arme um mich legte. Daran sah ich mal wieder, wie eigenwillig er war.
Wortlos weinte ich, während ich mich an die Brust von Ced lehnte. Meine Hände krallten sich in dessen Rücken. Schon allein der Gedanke, auch ihn zu verlieren, schnürte mir schier die Kehle zu.
Beruhigend flüsterte er: „Ich wollte dich nicht zum Weinen bringen, das tut mir leid“. „Hast du aber“, schniefte ich und hoffte, dass der Violinist die Wahrheit sprach. Im Moment war mir das auch egal, viel zu sehr genoss ich diese grenzenlose Nähe zu ihm, die mir verdammt gut tat.
Obwohl ich ihm schon längst verziehen hatte, ließ ich ihn zappeln. Außerdem wollte ich nicht, dass er sich von mir entfernte. Wie erwartet verstärke sich der Druck seiner Hände und er presste mich noch enger an sich.
Cedric legte seinen Kopf auf meinen und so hörte ich ihn nur noch gedämpft sagen: „Es war gemein von mir, diese Karte auszuspielen. Entschuldige, ich wusste nicht, wer oder was da über mich gekommen ist“. „Das kann ich dir beantworten: Der Alkohol und das toleriere ich nicht. Dir ist auch so bewusst, wie sehr ich Claudio vermisse“, mimte ich weiterhin das Opfer.
Schuldbewusst seufzte der Braunhaarige, was mir einen Schauer über den Rücken jagte. „Kann ich das irgendwie wieder gut machen?“, wollte er versöhnlich wissen, woraufhin ich antwortete: „Bleibe jetzt einfach bei mir. Bitte“.
Vorsichtig ließ er sich auf den Sand nieder und schlang von hinten seine Arme um mich. Etwas angespannt ruhten seine Hände auf meinem Bauch, wohingegen er seinen Kopf an meine Schulter lehnte.
Wäre der Grund nicht so traurig, hätte ich diese Nähe in vollen Zügen ausgekostet. „Das ist lieb von dir“, bedankte ich mich dennoch mit einem zaghaften Lächeln auf den Lippen, welches Ced nicht sehen konnte, da er nach wie vor in seiner innigen Position verharrte.
Es kam ihm erst gar nicht in den Sinn, mich loszulassen, im Gegenteil er schmiegte sich noch enger an meinem Körper. Ob ihm das wohl klar war? Ich vermutete nicht. Scheinbar blendete er alle Fakten aus, die ihn und mich betrafen.
Da war seine Verlobte, die vielleicht sehnsüchtig auf ihn wartete. Da war er, der mich immer und immer wieder zurückwies, wenn ich ihn näher kommen wollte. Und da war schließlich ich, die sich endlos in seinem starken Griff verlor.
Beruhigt seufzte ich. Meine Tränen waren fast versiegt und trockneten an der wärmenden Luft. „Du stinkst übrigens nicht so sehr, wie ich behauptet habe. Mir gefällt dein Parfüm“, sagte ich in die Stille hinein und hörte ihn amüsiert lachen.
Wie im Mantra murmelte er etliche Male meinen Namen, ehe er erwiderte: „Ziemlich verführerisch, was? Ich muss aber auch sagen, dass ich dein Kleid mag“. Verlegen sah ich auf den blauen Rock und grinste in mich hinein.
Wenigstens etwas, dass funktionierte! „Danke“, hauchte ich schüchtern, woraufhin Cedric seinen Griff von mir lockerte.

 

Nein! Zu meiner leichten Überraschung aber drehte er sich zur Seite, weswegen ich es ihm gleich tat. Somit saßen wir uns wieder gegenüber wie zuvor.
Kurz sah er mich an, ehe sein Blick nachdenklich über die Weite des Meeres glitt. Er machte den Eindruck, als ob er über etwas nachdachte. „Ist etwas?“, wollte ich vorsichtig wissen. Der Violinist wendete sich vom Meer ab, bis wir uns erneut in die Augen sahen.
Wortlos betrachtete er mich. Dabei glitt seine Hand genau vor mein Gesicht und zeichnete in der Luft dessen Konturen nach. Bis er schließlich meine Haut berührte. Mein Herzschlag setzte einen Takt aus und ich konnte ihn nur wie gebannt anstarren.
Sanft fuhr Cedric meine Wange entlang, hinauf zur Schläfe, über die Stirn, bis er an meinem Haar ankam. Dort nahm er eine dicke Strähne zwischen seine Finger und zwirbelte dran. Seit wann war es so verflucht heiß und seit wann war er mir so verdammt nah?
„Entschuldige, mir ist glatt missfallen dir zu sagen, wie hübsch du aussiehst“, flüsterte er, während er von der Strähne abließ und sich wieder meiner Wange widmete. Himmel, ich wusste nicht, was er damit bezwecken wollte!
Jede Faser meines Körpers reagierte auf seine Berührungen. Ich hatte schon Angst, dass mich das verriet, doch erstaunlicherweise verlor Cedric darüber kein Wort. Still malte er Kreise, was mich abermals verwirrte.
Zu guter Letzt kam er bei meinen Lippen an, die vor lauter Schreck einen Spalt geöffnet waren. Sein Daumen strich immer wieder über die untere, was mich ungemein durcheinander brachte.
Mit großen Augen blickte ich in seine und versuchte irgendetwas daraus zu lesen. Nichts. Gähnende Leere. Ich erkannte einfach überhaupt nichts! Die Schokolade in seinen Augen war so verschleiert, dass ich mir überhaupt keinen Reim aus dem Braunhaarigen und dessen Beweggründe machen konnte.
„Lächelst du bitte für mich? Nur ein einziges Mal möchte ich ein Lächeln sehen, was allein mir gilt“, bat er mich um einen kleinen Gefallen, der mich stutzig machte. Seine Stimme klang dabei so traurig!
Also tat ich, was Cedric wollte und lächelte so breit ich konnte. Natürlich sollte es auch echt wirken, daher dachte ich an ihn. Der Violinist betrachtete mich wortlos, bis auch seine Mundwinkel nach oben zeigten.
„Dankeschön“, flüsterte und legte dabei seine linke Hand an meiner rechten Wange. Kaum berührten seine schlanken Hände meine Haut, traf mich ein Schlag nach dem anderen. Raum und Zeit begannen sich aufzulösen, da ich mich dieser Empfindung hingab.
Als schließlich die Lippen von Ced auf meiner anderen Wange federleichte Küsse hauchten, war es vorbei mit meiner Kontrolle. Ich schloss meine Augen und konzentrierte mich voll und ganz auf ihn.

 

Das war noch nicht alles, wie ich nach kurzer Zeit feststellte. „Sieh mich an. Bitte“, richtete er noch eine Bitte an mich. Wie könnte ich ihm diesen Wunsch abschlagen? Dieser Moment war so zauberhaft, dass ich nicht anders konnte, als ihn diesen zu erfüllen.
Kaum blickte ich ihn an, schlug mein Herz mir bis zum Hals. Seine Augen hatten sich verdüstert, was ihn unheimlich gut stand und ich ungemein sexy fand.
Langsam kam er mit mir mit seinem Gesicht immer näher, die Kombination aus Alkohol und dem süßlichen Parfüm wurde immer intensiver, was mich genießerisch seufzen ließ. Im Laufe des Abends hatte ich daran nämlich Gefallen gefunden.
Von diesem Geruch benebelt lächelte ich in unseren Kuss hinein. Obwohl Cedric noch immer alkoholisiert war, tastete er sich überaus geschickt an mich heran, womit er mich noch mehr traf.
Diese Berührung war nicht von dieser Welt! Mit einem Mal fing ich an auf Wolken zu schweben. Ced raubte mir all meine Sinne, was mir ein leises Seufzen entlockte. Durch ihn schmeckte ich den Alkohol und stellte fest, dass es sich um Rotwein handelte.
In Anbetracht der Tatsache, dass er so gut aussah und Violine spielte war diese Art von Genussmittel perfekt. Es schmeckte vorzüglich. Oh ja, der Braunhaarige hatte eine Ahnung davon und auch vom Küssen verstand er eine Menge.
Seine linke Hand, die die ganze Zeit auf meiner Wange ruhte, tastete sich zu meinen Nacken. Blitzschnell packte er dort mein Haar und zog mich zu sich. Erschrocken stöhnte ich auf, gab mich aber dann wieder den unglaublichen Gefühlen hin, die mich förmlich überfluteten.
Gott, was machten wir hier eigentlich? Würde es mir nicht so verdammt gut tun, hätte ich ihn schon längst von mir gedrückt, doch dafür war dieser Moment viel zu gut. Und Cedric erst! Hatte er sich zuvor mit Vorsicht an mich herangepirscht, so war er nun außer Rand und Band. Ein feuriger Italiener.
Dieser zündete ein Feuerwerk an, welches mich in Flammen aufgehen ließ. Das Feuer breitete sich in sekundenschnelle aus und ich gab mich vollends diesem Kuss hin, der immer mehr außer Kontrolle geriet.
Mit einem Mal kamen mir meine vorherigen zahlreichen One Night Stands und Affären total langweilig vor und das obwohl ich bereits eine Menge erlebt hatte. Vielleicht lag es auch nur daran, dass ich zum ersten Mal für einen der Männer mehr als nur körperliche Zuneigung empfand.

Vorsichtig, aber bestimmt drücke mich Cedric mit seinem Gewicht auf den Sand, dachte aber nicht im Traum daran unseren Kuss zu beenden oder auch nur zu unterbrechen.
Waren meine Hände zuvor noch an seinem Gesicht gewesen, so fuhr ich ihm jetzt durch die Haare. Es war wahnsinnig weich, es fühlte sich an wie Seide. An dieses Gefühl könnte ich mich glatt gewöhnen.
Leider hatte Ced aber etwas anderes im Sinn. Er nahm nämlich meine Arme und legte sie über meinen Kopf. Während er mich mit der einen Hand festhielt, begab sich seine andere auf Erkundungstour.
Er fing bei meinem Hals an und strich mir über die Schultern, was mir ein Stöhnen entlockte und woraufhin ich mich unter ihm wand. Himmel, wie stellte er das nur mit mir an? Egal was er auch tat, es fühlte sich wahnsinnig toll an!
Der Violinist kam an meiner Seite an, bis er schließlich am Rock des Kleides stoppte. Mit einem anzüglichen Grinsen signalisierte ich ihm, dass er weiter gehen durfte, was er sich nicht ein zweites Mal sagen ließ.
Seine Hand legte sich auf meinem Oberschenkel und strich über mein Bein, während er seine Lippen auf meinem Hals legte. Genießerisch schloss ich die Augen und gab mich abermals diesem erregenden Zustand hin.
Wenn ich etwas mochte, dann waren es Küsse auf meinem Hals, was der Braunhaarige auch nur zu gut bemerkte. Kein Wunder also, dass er sich diesem hingebungsvoll widmete und gar nicht mehr aufhören wollte.
„Gott, du bist so was von heiß!“, hörte ich ihn an meiner Kehle nuscheln. Dasselbe konnte ich ihm nur zurückgeben. Dennoch schwieg ich, da ich diesen zauberhaften Moment nicht zerstören wollte.
Oh nein, ich wollte so viel mehr. Seine Hingabe und volle Aufmerksamkeit. Ihn so nah wie nie zuvor spüren.
Mit voller Kraft befreite ich meine Hände und setzte mich auf. Überrascht sah Cedric mich an, doch ich grinste ihn erneut ziemlich keck mit meinen geschwollenen Lippen an, ehe ich ihn am Hemdkragen packte und zu mir zog.
Er hatte viel zu viel an! Darüber wunderte ich mich immer wieder, er brauchte sich doch nicht zu verstecken. Aus diesem Grund knöpfte ich ihm seine Weste, die er stets trug, auf. Dabei war ich es, die ihn stürmisch küsste.
Als ich den letzten Knopf seiner Weste öffnete, schmiss ich diese achtlos neben ihn in den Sand und machte mich an seinem Hemd zu schaffen. Zum ersten Mal hatte ich einen guten Blick auf seiner muskulösen Brust, was mich schlucken ließ.
Ein weiteres Mal wollte ich ihn küssen, doch dann drehte er sich abrupt weg und wich vor mir zurück.

 

„Was mache ich hier eigentlich?“, fragte er schier außer sich und klatschte seine Hand auf die Stirn und sah auf seine Hände, die zuvor noch auf meinem Körper gewesen waren.
Da ich ihn nicht einschätzen konnte, antwortete ich vorsichtig: „Dir hat es doch gefallen, also verstehe ich nicht, weshalb du nun einen Rückzieher machst“.
„Das … das liegt doch klar auf der Hand!“, erwiderte Cedric, während er sich die Haare raufte. Ich konnte ihm wirklich nicht folgen und so zuckte ich überaus ratlos mit den Schultern.
Seufzend sagte er: „Meine Güte, ich hätte Feline fast betrogen!“. Das hatte gesessen. Mit geweiteten Pupillen starrte ich ihn an. Die Arme kam mir erst jetzt in den Sinn. Auf der einen Seite empfand ich tiefstes Mitleid für sie, aber auf der anderen hätte Ced es erst gar nicht so weit kommen lassen müssen.
Schweigend betrachtete ich ihn und seufzte traurig, als er sich sein Hemd zuknöpfte. Es dauerte ein bisschen, da die Hände von Cedric zitterten. Hatte ich etwas falsch gemacht? Nein, schoss es mir durch den Kopf, da war nichts, worüber ich mir Vorwürfe machen müsste.
Immerhin war ich niemanden fremd gegangen, da ich in keiner Beziehung war. Bei Ced war es eine andere Sache. Kein Wunder, dass er durch den Wind war.
„Das hätte einfach nicht passieren dürfen!“, meldete er sich auch schon erneut zu Wort, was bittersüß in mir aufstieß. Ich hatte doch nur zu gut gespürt, wie sehr es ihm gefallen hatte, mich zu berühren.
Nichtsdestotrotz beschloss ich, es darauf zu beruhen lassen. Lieber sah ich zu, dass ich endlich meine Sprache wieder fand. Sicherlich erwartete der Braunhaarige auch die ein oder andere Aussage von mir.
„Bitte sieh mich nicht so an, da habe ich ein schlechtes Gewissen dir gegenüber“, forderte dieser, was mich zusammenzucken ließ. Machte ich wirklich einen verletzten Eindruck? Schluckend blickte ich in eine andere Richtung, konnte es aber nicht lassen, ihn aus den Augenwinkeln zu beobachten.
Noch immer war auch Ced nicht zur Ruhe gekommen. Seine Gestik sprach Bände. Unentwegt bebte sein Körper, was ich ihm nicht einmal verübeln konnte. Trotzdem hätte ich so gerne gewusst, was ihm durch den Kopf ging.
„Was war denn los?“, wollte ich mit einem Blick auf seinen Oberkörper wissen, als er erleichtert ausatmete, nachdem er wieder vollständig angezogen war. Cedric antwortete mir damit, dass es Dinge gab, die man lieber versteckte, womit er mir neue Rätsel aufgab.
Ehe ich ihn darauf ansprechen konnte, weiteten sich seine Pupillen, was mich beunruhigte. Irgendetwas musste wohl hinter mir sein, denn wegen mir würde er bestimmt nicht so entsetzt sein.
Als ich seinen Augen folgte, erkannte ich nur noch, wie sich etwas Dunkles aus unserem Sichtfeld zurückzog. Auch mir war das nicht ganz geheuer. Wurden wir etwa verfolgt? Das konnte aber auch nicht sein, wenn es Paparazzi wären, würden diese sich nicht aus dem Staub machen.
Jawohl, sie würden unsere Zweisamkeit ohne Rücksicht auf unserer Privatsphäre stören! Allgemein waren mir in letzter Zeit kaum Fotografen begegnet, worüber ich sehr froh war. Endlich konnte ich nämlich Freiheit verspüren. Trotzdem wollte ich wissen, was es mit der Szene von gerade auf sich hatte.
„Ich glaube es wird Zeit für Antworten oder zumindest etwas Klarheit“, eröffnete ich das folgende Gespräch und starrte Cedric erwartungsvoll an.
Dieser dachte aber nicht einmal im Traum daran. „Was willst du nun von mir hören? Dass ich eine Ahnung habe, was das sollte? Meine Güte, hier gibt es viele Menschen, da ist es doch normal, dass man so etwas sieht“, beschwichtigte er mir überaus barsch.

 

Glaubte Cedric wirklich, dass ich ihm das abkaufte? Kopfschüttelnd blickte ich ihn an, um ihn zu signalisieren, dass ich ihm kein einziges Wort glaubte.
„Wieso kannst du nicht einfach dumm sein oder zumindest durchschnittlich intelligent? Das würde so vieles einfacher machen“, gab er sich seufzend geschlagen.
Noch bevor ich darauf etwas erwidern konnte, wies mich der Braunhaarige an ihm zu folgen. Obwohl ich keinerlei Ahnung hatte, wohin er mich bringen wollte, stellte ich sein Vorhaben nicht in Frage und tat, was er von mir verlangte.
Unser Weg führte uns weg von dem Strand, an dem wir uns zuvor so verdammt nahe gekommen waren. Gott, was würde ich dafür geben die Zeit zurückzudrehen! Die Hitze brodelte nach vor ganz tief in mir.
Wir hätten fast am Strand Sex gehabt! Ein Grinsen stahl sich auf meine Lippen, da mir in diesem Moment klar wurde, dass ich nicht so ganz machtlos war wie ich bisher angenommen hatte.
Ced war vielleicht eine harte Nuss, doch scheinbar besaß auch er Schwachstellen. Diese galt es für mich herauszufinden. Nur leider wusste ich nicht wie ich meine Suche danach angehen sollte.
Dummerweise durchschaute er mich nämlich ziemlich gut. Für ihn war ich schon fast wie ein offenes Buch. Fehlte nur noch, dass mich der Violinist mit meinen Gefühlen konfrontierte. Dagegen musste ich mich auf jeden Fall wappnen.

 

Ein Seufzen entfuhr mir in der doch kühlenden Luft der Nacht. Wohltuend legte sie sich auf meine Lungen. Dankbar atmete ich ein und aus, ehe ich meine Gedanken beiseite schob. Lieber wollte ich wissen wohin mich Cedric bringen wollte.
„Das wirst du schon noch sehen, ich weiß es schließlich selber nicht genau“, speiste er mich tatsächlich überaus grotesk ab. Na super, schoss es mir durch den Kopf, das kann ja heiter werden.
Wenn er selber kein bestimmtes Ziel vor Augen hatte konnte ich überhaupt nichts aus ihm herausbekommen. Ausnahmsweise glaubte ich ihm nämlich.
Für eine Lüge sah er viel zu nachdenklich aus. Seine Stirn lag in tiefen Falten, die normalerweise kaum zu sehen waren. Auch an ihm nagte schon das Alter und das obwohl er gerade mal auf die dreißig zuging.
Wie er wohl mit vierzig, gar fünfzig aussehen würde? Bei ihm konnte ich mir sehr gut vorstellen, dass er trotzdem unheimlich sexy bleiben würde. Seine Ausstrahlung machte ziemlich viel aus.
Kaum war ich jemanden begegnet, der so selbstbewusst war und mit einem dermaßen scharfen Verstand durch das Leben ging. Vielleicht war er ein Genie und etwas übergeschnappt.
Mit einem Mal dachte ich wieder an seine Tabletten, die Cedric regelmäßig einnahm. Zumindest kam es mir so vor. Immerhin war es nicht unüblich, dass überaus intelligente Menschen an Schizophrenie litten.
„Woran denkst du?“, riss mich der Braunhaarige aus meinen Gedanken. Ertappt zuckte ich zusammen und überlegte ob ich ihm die Wahrheit sagen sollte oder nicht. Schließlich entschied ich mich für den Mittelweg.
„Nun“, begann ich „ich habe mich gefragt, ob Menschen mit einem hohen IQ mehr dazu neigen an Psychosen zu erkranken“. Verblüfft starrte mich Ced an. Ja, da konnte er mal sehen, was mir alles durch den Kopf ging!
Grübelnd antwortete er: „Vielleicht. So eine Krankheit kann viele Gründe haben. Sei es aufgrund von traumatischen Erlebnissen oder weil man zu viel nachdenkt und alles hinterfragt“.
Sprach er etwa von sich? Mich beschlich das Gefühl, dass er aus Selbstreflexion sprach. Daher beschloss ich kurzerhand ihm eine entscheidende Frage zu stellen. Vorsichtig erwiderte ich: „Da frage ich mich wie man die Symptome lindern kann“.
Abrupt blieb der Violinist stehen. Ein Grinsen legte sich auf dessen Lippen, was jedoch nie seine Augen erreichte. „Ich weiß nicht, ob ich deine Versuche, herauszufinden weshalb ich Tabletten nehme amüsant oder töricht finden soll“, machte er keinen Hehl aus seinem Wissen, worauf ich eigentlich hinaus wollte.
Ehe ich zu einem Konter ansetzen konnte, sprach Ced auch schon weiter: „Obschon es etwas mit mir zu tun hat oder nicht, deine Frage werde ich dir trotzdem beantworten. In der Tat gibt es Medikamente dagegen oder man sucht einen Psychotherapeuten auf“.
Na super, schon wieder war ich gescheitert. „Du machst mich wirklich fertig. Noch nie bin ich jemanden wie dir begegnet. Jemanden, der so offen für alle möglichen Gedanken ist“, entfuhr es mir.
„Diese Offenheit verheißt aber nicht immer Gutes, im Gegenteil, sie kann einem zum Verhängnis werden. Da verfluche ich meinen IQ von 157“, offenbarte Cedric mir tatsächlich, dass er überdurchschnittlich intelligent oder besser gesagt ein Genie war.
Nur leider wusste ich nicht, wie sehr er mit seiner Aussage Recht besaß. Ja, wenn man über alles mögliche nachdachte konnte man sich in der Tat in große Gefahr bringen.

 

Den Rest des Weges verbrachten Ced und ich schweigend. Was hätte ich dazu auch sagen sollen? Da war es weiser gewesen, den Mund zu halten.
Außerdem tauchte vor uns ein Wald auf. Ich hinterfragte erst gar nicht, ob er da wirklich hin wollte. Dafür lief er viel zu zielstrebig darauf zu. Scheinbar wusste er nun, wohin es gehen sollte.
Auch wenn es mir nicht behagte, dass er mich an so einem verlassenen Ort brachte, vertraute ich ihm. So viele Emotionen, wie er mitunter bei unseren Gesprächen zeigte, wäre ich sehr erstaunt, wenn er etwas perfides plante.
Zudem war ich zu sehr damit beschäftigt, mich um meine Sandalen zu sorgen. Als ich Cedric darauf hinwies, winkte er damit ab, dass es hier einen Weg gab, bei dem ich sie mir nicht kaputt machen würde, woraufhin mich Erleichterung umgab.
In der Tat konnte ich im sanften Mondlicht einen Pfad erkennen, den schon viele Menschen gegangen waren. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass dieser nicht enden wollte. Immer tiefer gingen wir in den Wald, was mir ein mulmiges Gefühl versetzte.
„Wann sind wir da?“, fragte ich und kam mir wie ein kleines Kind vor. Meine Neugier wuchs von Sekunde zu Sekunde. Cedric lachte vergnügt auf, was mein Herz höher schlagen ließ. Genau diese Leichtigkeit hatte mir so gefehlt!
Er antwortete mir: „Es dauert nicht mehr lange“. Damit gab ich mich erst einmal zufrieden. Ich hatte auch keine andere Wahl, denn ich wollte nicht die erfrischende Stimmung kaputt machen.
Dummerweise geschah dies von ganz allein. Als wir an einer Lichtung ankamen, von der aus man einen wunderschönen Blick über die Stadt erhaschen konnte, befand sich eine große Lagerhalle.
Die Haltung von Cedric versteifte sich augenblicklich. „Was hast du?“, wollte ich besorgt wissen, doch er winkte nur ab. Mit langsamen Schritten näherten wir uns dem Eingang und ich fragte mich, was mich im Inneren erwartete.
Vorsichtig rüttelte der Braunhaarige an der Tür, die sich nur schwer öffnen ließ. Nach einigen Versuchen schaffte er es, woraufhin er zuerst über die Schwelle ging. Ein Gentleman würde wohl nie aus ihm werden.
Ich wusste nicht genau, was ich erwartet hatte, jedenfalls war es keine leerstehende Ruine gewesen. Wie ich entdeckte wies das Dach einige Löcher auf, die eine Ecke war sogar nicht mehr vorhanden.
„Wenn man so will hat hier das Unglück seinen Lauf genommen“, flüsterte er noch immer recht angeheitert. Wieder schossen mir einige Fragen durch den Kopf und ich wusste nicht, ob ich mich ihm öffnen sollte.
Die Stimmung war mittlerweile schon skurril genug, da wollte ich nicht riskieren von ihm alleine gelassen zu werden. Das traute ich ihm nämlich ernsthaft zu. Immerhin hatte er mich schon einige Male stehen gelassen.

 

Immer wieder drehte ich mich um die eigene Achse, noch immer unwissend über den Grund meines Aufenthalts. Es fröstelte mich leicht, ich wusste nicht weshalb, aber ich spürte nur zu gut diese kalte, ja schon fast dunkle Aura, die von dieser Lagerhalle ausging.
Selbst Cedric schien etwas wahrzunehmen. Abermals rieb er sich über die Arme und das obwohl er ein Hemd trug, was ihn eigentlich vor Kälte schützen sollte. „Wie ich meine Torheit doch verfluche!“, zischte er aus heiterem Himmel und ich beschloss nichts darauf zu erwidern.
Manchmal war es weiser, man hielt den Mund. Gerade war so ein Moment. Außerdem schien sich der Braunhaarige wenigstens etwas zu öffnen, denn er machte weiter. Mit gewaltigem Schwermut seufzte er: „So blind kann doch niemand sein, um zu erkennen, dass manche Menschen nur hinter Geld her sind“.
Von was zur Hölle sprach dieser Kerl? Mir behagte es überhaupt nicht, dass er von etwas sprach, wovon ich keine Ahnung besaß. „Diese Welt ist so was von düster, nein meine Welt. Was willst du also von mir, Fabrizia?“, wandte er sich tatsächlich direkt an mich.
Überrascht starrte ich ihn an. „Ich weiß es nicht“, gestand ich schließlich und fuhr fort: „Es tut mir gut, bei dir zu sein. Du merkst es vielleicht nicht, aber du nimmst mir den Schmerz über den Verlust von Claudio“.
Dieses Mal war er es, der hart schlucken musste. Selbst ich war über meine Offenheit und Ehrlichkeit erstaunt. „Das ist nicht gut... Also doch schon! Aber... Was mache ich hier eigentlich?“, stammelte der Violinist wirr.
Obwohl ich mich um ihn sorgte, beschloss ich darüber hinwegzusehen. Mit fester Stimme antwortete ich: „Das weiß ich auch nicht, trotzdem würde ich gerne wissen, weshalb du mich ausgerechnet hierher gebracht hast. Irgendetwas musst du mit dieser maroden Lagerhalle verbinden“.
„Sei lieber froh, dass du davon keine Ahnung hast. Du solltest nicht zu viel darüber nachdenken, da du sowieso keine Antworten bekommen wirst“, speiste er mich etwas hart, aber trotzdem ehrlich ab.
Kopfschüttelnd wandte ich mich von ihm ab und verließ das Gebäude. Nicht etwa weil ich böse auf ihn war, sondern weil mir die freie Natur mehr behagte als eine verlassene Lagerhalle.
Müdigkeit überkam mich kaum atmete ich die wohltuende frische Luft ein. Ein Gähnen entfuhr, woraufhin ich etwas peinlich berührt meine Hände vor dem Mund legte. „Ich sollte dich lieber nach Hause bringen, oder?“, schaltete sich Cedric sofort ein.
Das wäre wohl besser, denn ich mochte es nicht müde zu sein. Da war man nicht ganz bei der Sache und nicht umsonst meldete der Körper, dass er Ruhe benötigte. Zu guter Letzt machte Ced scheinbar nicht sehr oft solche Angebote, denn ich hatte sehr wohl bemerkt wie sehr es ihm widerstrebte mir jene Frage zu stellen.

Disarm Me

  „Ja bitte“, antwortete ich ihm schließlich und war froh, dass sein Angebot nicht nur aus einer Laune heraus entstanden war. Der Braunhaarige schlug tatsächlich den Rückweg ein.

„Es ist schon ziemlich frisch“, bemerkte er, als wir im dichten Wald waren, woraufhin ich erwiderte: „Aber wunderschön“. „Der Schein trügt, meine Liebe, aber so was von“, warnte er mich vor der Schönheit des Waldes.

Bei ihm wusste ich weder ein noch aus.

Oh Cedric, dachte ich, warum um alles in der Welt machst du es mir nur so verdammt schwer, mich in dein Leben zu lassen?

Auf der einen Seite mochte ich seine distanzierte Art, denn diese machte ihm nur noch anziehender. Auf der anderen Seite jedoch machte sie mir Sorgen. Vielleicht gab es wirklich etwas Schlimmes, was er unter keinem Umständen ans Licht kommen lassen wollte.

Und wieder kam mir etwas in den Sinn. „Nimmst du deswegen die Tabletten? Um etwas zu vergessen?“, gab ich meinen aufkeimenden Gedanken auch schon offen kund. Seufzend antwortete er: „Es sind nur kleine Pillen, weshalb beschäftigst du dich so sehr damit? Ich frage dich doch auch nicht, ob du die Anti-Baby Pille nimmst. Solche Dinge gehen anderen nichts an“.

Dummerweise war sein Argument sehr schlagfertig und entsprach der Wahrheit. Also musste ich wieder passen. Es brachte nichts, wenn ich ihn mit diesem Thema auf die Nerven ging, im Gegenteil, ich würde Cedric nur in die Enge treiben und er wiederum das Weite suchen. So viel hatte ich schon verstanden.

„Es interessiert mich brennend, manchmal habe ich das Gefühl, dass du die Tabletten gegen traumatische Erlebnisse nimmst oder gar gegen psychische Erkrankungen“, klärte ich ihn dennoch über meine Beweggründe auf.

Das Holz heruntergefallener Äste knackte unter unseren Füßen, als ich meine Stimme erhoben hatte. Wie passend. Etwas an der Haltung von Cedric veränderte sich. Obwohl es recht dunkel war, erkannte ich seinen nachdenklichen Gesichtsausdruck.

Er sagte in die Dunkelheit: „Es gibt viele Gründe, weshalb man etwas zu sich nimmt. Mich überrascht jedoch die Tatsache, dass du mich für psychisch instabil hälst“.

„Wundert es dich etwa ernsthaft? Manchmal, da merkt man doch wie gezeichnet du vom Leben bist. Und nicht zu vergessen diese eigenartige Situation bei deinem Onkel. Du warst völlig weggetreten, selbst als du wieder bei Bewusstsein warst, warst du sehr durcheinander, was so gar nicht zu dir passt“, ließ ich meinen Gedanken freien Lauf.

Oh ja, ich kam erst gar nicht auf die Idee ihm etwas zu verheimlichen, denn mir erschien es, dass er im Moment offen genug war, um damit umzugehen.

Cedric meinte: „Du hast doch auch Erfahrungen gemacht, an die du oft denkst. Siehe Claudio. Und es gibt nun mal Dinge, über die ich nicht reden möchte. Das solltest du endlich akzeptieren“.

Obwohl er Dio erwähnte, wusste ich, dass dahinter keine böse Absicht steckte. Nein, dafür war Ced gerade viel zu sachlich. „Weiß wenigstens Feline darüber Bescheid?“, wollte ich von ihm wissen, da mir mit einem Mal seine Verlobte in den Sinn gekommen war.

Keine Ahnung weshalb, aber sie war ein bedeutender Teil seines Lebens und wenn man verlobt war, da wusste man doch bestimmt über alles vom Leben des anderen, oder?

Der Violinist schien sehr überrascht von meiner Frage zu sein, denn er schnappte hörbar nach Luft. „Nein“, gestand er schließlich und fuhr fort: „Bisher habe ich es nicht geschafft, mich ihr anzuvertrauen. Wenn es nach mir ginge würde ich jene Erlebnisse mit ins Grab nehmen. So schrecklich wie diese sind möchte ich sie niemanden zumuten“.

 

Dieses Mal war ich es, die hart schlucken musste. Da sollte ich nicht lieber nachfragen. Ich empfand tiefstes Mitleid für ihn. Niemand sollte so etwas Grausames erleben, dass man darüber nicht reden wollte oder gar konnte.

Vielleicht sollte ich wirklich aufhören ihn ständig danach zu fragen. So würde er nie darüber hinwegkommen. „Wie ist es eigentlich bei dir?“, holte mich seine Stimme zurück in das Hier und Jetzt.

„Was meinst du?“, konnte ich nur ertappt fragen, da ich keinerlei Ahnung hatte, von was er sprach.

Mittlerweile verließen wir den Wald, worüber ich sehr froh war. Allmählich würde auch dieses Unbehagen, welches ich die ganze Zeit verspürt hatte, verschwinden. Eigentlich fürchtete ich mich nicht vor Wäldern, aber die Stimmung, die zwischen Cedric und mir im Moment herrschte, war in Verbindung damit ziemlich gruselig.

„Wie lange ist deine letzte Beziehung her?“, fragte er mit so einer Direktheit, dass ich mich erst einmal neu sortieren musste. Stammelnd erwiderte ich: „Also... Ehrlich gesagt habe ich noch nie eine … richtige Beziehung geführt“.

„Du willst mir also erklären, dass es dir immer nur um Sex ging? Was ist mit einem vor lauter Aufregung schlagenden Herzen, wenn du an eine Person gedacht oder sie gesehen hast? Die berühmten weichen Knie?“, hakte er ungläubig nach.

Schwermütig wie eh und je, sagte ich: „Seit Claudio gab es da niemanden mehr und ja, es war immer nur etwas Körperliches“. „Wow... Er muss dir ganz schön viel bedeutet haben, was man von dir selbst nicht sagen kann. Bist du dir nicht über deinen Wert bewusst?“, überraschte ihn so sehr meine Aussage, dass er nach Worten rang.

Nickend antwortete ich: „Er hat mir alles bedeutet! Und das tut er auch heute noch! Zu deiner Frage, es ist mir egal, ob mich andere für eine Schlampe halten, so oder so verfallen sie mir, denn ich weiß nur zu gut wie ich auf andere Männer wirke. Ab und zu ein wenig Spaß ist völlig in Ordnung, aber fest binden werde ich mich nicht“.

„Eine unvergessliche Liebe also... Wie schön...“, murmelte Ced schwermütig vor sich hin, was mich auch ein wenig traurig stimmte. Ja, es war schon ziemlich tragisch, wie das mit Claudio sein Ende gefunden hatte.

„Die hast du doch auch, immerhin heiratest du bald“, munterte ich ihn trotzdem auf, was er aber nicht so richtig anzunehmen schien. Lieber gestand er: „Ehrlich gesagt weiß ich nicht, ob sie wirklich die Richtige für mich ist“.

Kaum ihm diese Worte über die Lippen gekommen schnellte mein Kopf zu ihm. Vielleicht gab es doch noch Hoffnung für uns? Das galt es eines Tages herauszufinden, doch erst einmal interessierte mich wie er auf die Idee kam, immerhin waren sie schon sehr lange ein Paar oder bekam er einfach nur kalte Füße?

„Wie kommst du denn darauf? Ihr seid doch nicht umsonst seit über sechs Jahren zusammen!“, brachte ich aufgebracht hervor. Also wirklich! Er dachte doch nicht ernsthaft darüber nach, die arme Frau sitzen zu lassen?

An sich konnte es mir egal sein, im Gegenteil, ich sollte mich freuen, doch wollte ich mir gar nicht ausmalen, wie sich Feline fühlte, wenn Cedric sie verließ. Doch obschon ich an sie dachte, es würde nichts an der Entscheidung des Braunhaarigen ändern. Ich sollte mich nicht in solche Angelegenheiten einmischen.

„Das mag zwar stimmen, aber … ich habe es bisher nicht geschafft eine körperliche Beziehung zu ihr aufzubauen“, gestand er, was mich schier überwältigte. Wie zur Hölle konnte so ein gutaussehender Mann wie er keinen Sex haben?

Das war doch verrückt! Aufgebracht erwiderte ich: „Wie bitte? Das kannst du mir nicht erzählen! Wieso das denn nicht?“. „Aus dem einfachen Grund, dass ich seit Jahren sexuell enthaltsam lebe“, gab er mir tatsächlich eine Antwort.

Ungläubig starrte ich ihn an. Er wollte mich doch veräppeln! „Aber... ihr habt euch doch leidenschaftlich geküsst und seid zu dir. Du willst mir wirklich weiß machen, dass da nichts gelaufen ist?“, sprach ich meine kleine Stalkingtour an.

Ertappt nickte Cedric und sagte: „So ist es aber“. „Und wieso? Außerdem … entschuldige meine Neugierde, aber wie hält Feline das nur aus? Ich bin nicht unbedingt nymphoman, aber so lange keinen Sex zu haben ist doch … nein, also ich kann mir das nicht vorstellen“, war ich noch immer nicht ganz davon überzeugt.

Amüsiert lachte mein Gesprächspartner auf, ehe er erwiderte: „Ich habe sie damit vertröstet, dass ich es nach der Hochzeit ändern würde und habe auf altmodische Mittel zugegriffen“. Sofort verstand ich von was er sprach. „Du hast sie also belogen, indem du sagtest, du möchtest keinen Sex vor der Ehe? Oh Cedric, das hätte ich dir gar nicht zugetraut!“, brachte ich ungläubig, aber auch etwas kichernd hervor.

 

Das war doch wirklich unglaublich! Zumal Feli ihm das abkaufte wie ich heraushörte. Wie gerissen Ced doch war! Der Umstand unterhielt mich ungemein, aber auf der anderen Seite wurde mir klar, dass ich ihm körperlich nie näher kommen würde.

Betrübt setzte ich meinen Weg fort und wagte es gar nicht mir ansehen zu lassen wie es in meinem Inneren aussah. „Na immerhin kannst du küssen“, bemerkte ich lieber trocken und spielte auf unsere Küsse am Meer an.

„Wenn du wüsstest, was ich noch so gerne mit dir angestellt hätte, glaube mir, du würdest feuerrot anlaufen und mir gar nicht mehr in die Augen blicken können“, versprach mir Cedric, was in mir ein Feuer entfachte.

Sofort durchfuhr mich tiefste Erregung. Vielleicht brachte der Abend doch noch mehr als ich dachte. Ja, ich sollte ihn zu mir in die Villa bitten und dann hätten wir endlich unseren Spaß! Bei diesen Gedanken leckte ich mir freudig über die Lippen.

Nichtsdestotrotz vergaß ich Feline nicht. „Schön und gut, aber … Willst du mir sagen, dass du solche Gedanken noch nie bei deiner Verlobten hattest?“, erkundigte ich mich bei ihm, woraufhin der Violinist antwortete: „So ist es“.

Nun verstand ich gar nichts mehr. Er war zwar mit ihr in einer Beziehung, gar verlobt, wusste aber nicht ob er sie heiraten sollte und verspürte nicht einmal das Bedürfnis mit ihr zu schlafen?

„Du bist ganz schön skurril. Wieso bist du mit ihr zusammen, wenn du dir unklar über eure Zukunft bist und auch keinen Sex mit ihr hast?“, legte ich meine Skepsis offen vor ihm dar und hoffte auf eine Antwort.

Die bekam ich sogar, denn Cedric sagte: „Ganz einfach, ich … habe Gefühle für sie und dabei ist es egal, ob wir nun diesen großen Schritt wagen oder nicht und das mit dem Geschlechtsverkehr kann sich auch noch ändern“.

„Das muss ich nun wirklich nicht verstehen. Du hast großes Glück, würde ich nicht wissen, dass du ziemlich kompliziert denkst, würde ich glatt denken, du lügst mich an“, beließ ich es schließlich dabei.

Auf einmal lachte er auf. Etwas finster entgegnete Ced: „Wieso sollte ich dich anlügen? Was würde es mir bringen?“. „Nun, das wäre dann die nächste Frage. Wir kennen uns erst seit ein paar Tagen, da hättest du keinen Grund das zu tun“, gab ich zu, keinerlei Ahnung von seinen möglichen Motiven zu haben.

„Ganz genau“, stimmte er mir zu, woraufhin ich schwieg. Ich wusste weder ein noch aus. Es klang so surreal, was Cedric mir eben erzählt hatte und doch traute ich ihm so einen Lebensstil zu. Es würde also eine gewisse Zeit brauchen, bis ich ihn einschätzen konnte ohne verunsichert zu sein.

Noch wusste ich allerdings nicht wie lange es dauern würde bis es endlich soweit war. Bis ich mit Ced sprechen konnte ohne mir Gedanken darüber machen zu müssen, was er meinte. Es konnte natürlich auch sein, dass es einfach seine Art war.

Aus diesem Impuls heraus flüsterte ich in die Stille hinein: „Du bist ein ganz schön faszinierender Mensch“. „Das solltest du aber nicht so sehen“, erwiderte Cedric etwas schockiert, woraus ich mir keinen Reim machen konnte.

„Warum?“, lautete meine berechtigte Gegenfrage, woraufhin der Braunhaarige antwortete: „Die Dinge sind nun mal nicht so wie sie erscheinen“. Schwermütig seufzte ich. Natürlich hatte ich keinerlei Ahnung von was er da sprach und ich wusste, ich brauchte nicht weiter nachhaken.

 

Lieber breitete ich wie vor ein paar Stunden am Meer meine Arme aus und tänzelte unbeschwert die Straße entlang. Mir war bewusst, dass ich nicht alleine war und mich jeder beobachten konnte, doch ich schwor mir, jeden Moment des Glücks auszukosten.

Der Violinist, der nach wie vor bei mir war, schien das etwas anders zu sehen. „Wahnsinn, wie heiter du bist. Wie eine Sonnenblume, deren Farbe in ein kräftiges Gelb getaucht ist. Du hast dich scheinbar nicht verändert“, bemerkte dieser überaus erstaunt, aber auch geknickt. Worüber wusste ich jedoch nicht.

Nichtsdestotrotz war meine Stimmung nach wie vor gut. Lachend meinte ich: „Es gibt schon genug Schlechtes auf der Welt, da sollte man sich wenigstens sein Lachen wahren. Außerdem gibt es nichts Schöneres an einem Menschen als sein Lächeln, einst hatte mir das Claudio gesagt und ich finde, dass er damit Recht hatte“.

Zwar hatte ich meinen besten Freund angesprochen, der mir nach wie vor fehlte, doch war ich mir sicher, er hätte um keinen Preis der Welt gewollt, dass ich am Boden zerstört war.

„So? Das hat er?“, harkte Cedric sichtlich interessiert nach, woraufhin ich stehen blieb. Als er bei mir war, blickte ich zu ihm auf. Seine Augen waren ebenfalls auf meine gerichtet. Gern hätte ich ihn geküsst, da dieser Moment auf irgendeiner Art und Weise ein Zauber umgab.

Rasch besinnte ich mich aber und strich ihm über die Wange. Die Hände von Ced legten sich auf mein Gesicht. Er sah mir so tief in die Augen, dass ich befürchtete, er könnte ganz tief in meine Seele blicken.

Voller Ehrfurcht hauchte er: „Du bist so schön. So wunderschön und doch unerreichbar für mich“. „Aber... wieso? Ich bin hier, du bist hier, worauf also wartest du noch?“, entgegnete ich und schmiegte mich an ihm.

„Ich habe doch Feline, ich kann sie nicht einfach betrügen, auch wenn du etwas an dir hast, was mich nicht los lässt“, gestand Cedric und zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, dass er die Wahrheit sprach.

Mein Gesicht glühte mit einem Mal. Ertappt ging ich einen Schritt zurück und starrte auf den Boden. Ehe ich etwas sagen konnte, hörte ich erneut die Stimme des Braunhaarigen. Schwermütig hauchte er: „Das mit dir und mir würde sowieso nie funktionieren. Warum also tust du dir das immer wieder an? Warum kannst du nicht loslassen?“.

Seine Worte waren wie tausende von Nadeln, die mein Herz durchlöcherten. Fast wäre ich zusammengebrochen, doch mit Mühe hielt ich mich auf den Beinen. Dafür zitterte ich am ganzen Leib.

Sicherlich entging das Ced nicht, denn seine Gesichtszüge entgleisten ihm völlig. Er streckte seine Arme nach mir aus, doch ich wich noch mehr vor ihm zurück. „Ganz einfach, weil du der einzige Mensch bist, der eine Verbindung zu Claudio hat“, ging ich nicht auf seine Frage ein.

Diese Idee war mir mit einem Mal gekommen und ich war froh, Haltung bewahrt zu haben. Verdutzt starrte mich der Violinist an, dessen Blick sich veränderte. War er vorher noch traurig gewesen, so erinnerte er mich jetzt schon fast an eine unberechenbare Bestie.

„Darum geht es dir also nur?“, vergewisserte er sich bei mir, ob ich von der Wahrheit sprach. Seine Stimme war dabei gebrochen. Das letzte Wort war ihm ziemlich scharf über die Lippen gekommen.

Bestätigend nickte ich und antwortete: „Allerdings und deswegen kann ich dich nicht gehen lassen. Bitte versprich mir, dass du weiterhin bei mir bleibst. Du kannst mich doch in dieser schwierigen Zeit nicht alleine lassen“.

„Das, was du machst ist emotionale Erpressung!“, zischte er leise vor sich hin, doch ich hatte ihn sehr wohl verstanden. Ehe ich etwas darauf erwidern konnte, sagte Cedric deutlich sanfter: „Das möchte ich auch nicht, aber … du darfst mir nicht zu nahe kommen“.

 

Abermals machte er so eine Andeutung. Wie oft war ich an diesem Punkt gekommen, obwohl ich ihn kaum kannte? Es war ermüdend und traurig, immerhin öffnete ich mich ihm auch größtenteils.

„Oh Cedric, warum tust du dir das an? Vor wen oder was läufst du davon?“, grübelte ich laut und benutzte teilweise den selben Wortlaut wie er zuvor. Darüber war ich mir aber nicht bewusst. Erst als ich seine Stimme wahrnahm, wurde es mir klar.

Rau entgegnete er: „Letztendlich vor mir selbst“. „Wieso tust du das? Sollte man nicht zu dem stehen, was man ist?“, hakte ich nach, worauf er antwortete: „Besondere Zustände, erfordern eben besondere Maßnahmen“.

„Dich umgibt doch ein Rätsel nach dem anderen. Wenn du so weiter machst, wirst du eines Tages in ziemlicher Dunkelheit leben“, warnte ich ihn vor den Folgen seines Handelns.

War unsere Stimmung zuvor noch geradezu in Leichtigkeit getaucht, so war sie jetzt deutlich unterkühlt. Und das nur, weil unsere Gespräch in eine Richtung gegangen war, die alles andere als heiter war.

„Dieser Tag ist schon längst gekommen, meine Welt ist seit Jahren düster und daran wird sich auch nichts ändern. So schlimm ist es eigentlich nicht, wenn man sich erst einmal daran gewöhnt hat“, gestand Ced, doch seine Augen sprachen etwas anderes.

Nein, er kam überhaupt nicht mit seinem Leben zurecht! Und ganz bestimmt belastete ihn es sehr wohl, dass er etwas mit sich herumtrug.

Es war daher nicht sehr verwunderlich, als ich erwiderte: „Für wie blind hälst du mich eigentlich? Du hast ganz schön nachgelassen, denn ich sehe nur zu gut, wie sehr dich das alles mitnimmt“.

Natürlich verstand der Braunhaarige meine Anspielung sehr wohl, denn seine Augen weiteten sich. Da konnte er mal sehen, wie gut ich ihn bereits kannte und das obwohl wir uns erst vor Kurzem begegnet waren.

Schwermütig seufzte er, ehe er seinen Weg fortsetzte. Obschon mich sein Verhalten störte, setzte auch ich mich in Bewegung.

 

Lässig steckten seine Hände in den Taschen seiner Hose, was ich unheimlich sexy fand. Unweigerlich fragte ich mich, ob es seiner Verlobten genauso ging. Schwärmte sie auch so von ihm?

Hoffentlich war ihr klar, was für einen guten Fang sie da mit Cedric gemacht hatte. Er war zwar kein Gentleman aus dem Bilderbuch, doch bestimmt besaß er eine Menge anderer Vorzüge.

In diesem Moment kam mir seine sexuelle Enthaltsamkeit in den Sinn. Und wieder empfand ich Mitleid für Feline. Sie würde ihm nie so richtig nahe sein können.

Ebenso wie ich. Das war schon ziemlich niederschmetternd. Erst erfuhr ich, dass er verlobt war und dann, dass es in ihrer Beziehung nicht einmal Sex gab. Da konnte ich noch so tief in die Trickkiste der Verführungskünste greifen, Ced würde mir widerstehen.

Auch wenn ich nicht viel Hoffnung hatte, so beschloss ich, es trotzdem zu versuchen. Zudem schwor ich mir, wenn er mir auch nur ein einziges Signal senden würde, dieses auszunutzen.

Gott, ich wollte ihn so sehr. Ihn so tief in mir spüren, dass ich vor lauter Lust mir die Seele aus dem Leibe schrie. Von ihm so sehr geliebt und berührt werden, dass es schon weh tat und ich mich ewig daran erinnern würde...

„Geht es dir gut? Du glühst ja richtig“, riss mich die Stimme des Violinisten aus meinen versauten Gedanken. Ertappt keuchte ich auf. Meine Güte, mir war wirklich heiß und dabei trug ich nur mein Kleid!

Stammelnd erwiderte ich: „Ja.. es ist alles in Ordnung, ich war nur im Gedanken versunken“. „Na da musst du ja an etwas ausgesprochen Angenehmes gedacht haben“, zog er mich mit einem wissenden Grinsen auf.

Damit traf er genau ins Schwarze, was ich auch erst gar nicht verbarg. Schließlich wusste er nicht, an was ich genau gedacht hatte und vor allem, dass es auch von ihm handelte. Daher meinte ich: „Als ob du nie solche Gedanken hättest“.

„Oh doch, die habe ich. Zu genüge“, gab Cedric ohne zu zögern zu. Jetzt würde es interessant werden, denn die Gelegenheit ließ ich mir nicht entgehen. Ganz bestimmt nicht!

„Erzähle mir mehr“, bat ich ihn enthusiastisch, woraufhin er mir eins seiner strahlenden Lächeln schenkte. Lässig schlenderte er weiter, die Hände tief in den Taschen seiner Hose vergraben. Sein Blick glitt zum klaren Himmel, bis er schließlich sagte: „Viel gibt es nicht zu erzählen. Während meiner aktiven Zeit war ich sehr leidenschaftlich und liebte es, den Frauen ihren Verstand zu rauben“.

Bei seiner Ehrlichkeit bekam ich Gänsehaut, die sich über meinen gesamten Körper zog. Mir war abwechselnd heiß und kalt geworden. Von dem Wechselbad der Gefühle rieb ich mir über die Arme, was Ced bemerkte.

Etwas erstaunt fragte er: „Du willst mir aber jetzt nicht weiß machen, dass du frierst?“. „Um Gottes Willen, nein. Deine Worte hatten es nur in sich, ich kann mir nämlich sehr gut vorstellen, dass du nichts anbrennen lassen hast“, antwortete ich ihm ehrlich.

Mit geweiteten Pupillen starrte er mich an. Stammelnd erwiderte Cedric: „Interessant, worüber du dir Gedanken machst“. Ertappt lachte ich auf. Dabei empfand ich keinerlei Scham, sondern Amüsement.

 

Das letzte Stück zu meinem Anwesen war von Schweigen erfüllt. Ich fragte mich, was in seinem Kopf so vorging. Gerne würde ich einmal in sein Innerstes hineinblicken, egal wie tiefgründig es war.

Daran hatte ich keine Zweifel. Mein Blick glitt zu ihm, woraufhin auch er seinen Kopf zu mir neigte. Rasch zwang ich mich zu einem Lächeln, was mir Cedric sogar gleich tat. Dieser Moment hatte eine gewisse Magie, welche man sogar schon fast mit den Händen ergreifen konnte.

Wenn dieser Abend doch niemals enden würde! Leider tat er das in wenigen Minuten. Dann war ich wieder allein. Vielleicht sollte ich jemanden anrufen und mich ein wenig vergnügen. Immerhin hatte mich das intime Gespräch mit Ced ziemlich aufgewühlt. Außerdem wollte ich gerade meinen Spaß haben.

Ehe ich mir über mögliche Konsequenzen Gedanken machen konnte, hauchte ich in die Stille: „Wie wäre es, wenn du mit zu mir kommst? Wir könnten uns noch ein wenig bei mir hinsetzen und sehen, was uns der Abend noch so bringt“.

„Fabrizia, was mache ich nur mit dir? Du bist mir total willig und doch schaffe ich es nicht dir das zu geben, was du so sehr willst“, entgegnete Cedric überaus nachdenklich.

Mir wurde schließlich klar, wie zerrissen er war. Ja, auch der Braunhaarige hatte mit sich zu kämpfen. Vernunft und Triebe fochten einen Kampf aus, dessen Ausgang man nicht vorhersehen konnte.

Genau deswegen konnte ich nicht aufgeben. Und auch meine Gefühle für ihn gaben mir Kraft. Ja, es war äußerst dämlich von mir gewesen, zu denken, ich könnte mich mit anderen Männern von ihm ablenken, wenn ich nur ihn wollte.

Das wurde mir soeben klar. „Du versuchst es scheinbar auch nicht“, ging ich schließlich auf seine Bemerkung ein. Dabei schlug mir mein Herz bis zum Hals. Ich hatte sogar schon das Gefühl, es würde mir jeden Moment herausspringen.

Schwermütig seufzte Cedric auf. Dann sagte er: „Glaube mir, auch ich habe Szenarien, die sich in meinem Kopf abspielen. Zu genüge. Nichtsdestotrotz habe ich meine Gründe für mein Handeln“.

„Magst du nicht einmal zu einen Kaffee mitkommen?“, wollte ich stattdessen wissen, da ich ihn nicht gehen lassen wollte. Noch nicht. Mittlerweile standen wir nämlich vor dem Eingang meiner Villa.

Leider lehnte der Braunhaarige ab, indem er mit dem Kopf schüttelte. Dabei wehten ihm sein dichtes Haar ums Gesicht.

In meiner fatalen Sehnsucht streckte ich eine Hand nach ihm aus, was er sogar zuließ. Sanft strich ich ihm über die Haare, bis ich an seiner Wange ankam. „Du bist so schön, so wunderschön wie ein gefallener Engel“, flüsterte ich kaum hörbar, entfesselt von meiner Einsamkeit.

Plötzlich schloss sich eine Hand um mein Handgelenk, das noch immer an Ort und Stelle wie zuvor war. „Und du bist … ein Bild, das nur die Zeit zaubern kann“, erwiderte Cedric und sah mir genau in die Augen.

Unter seinem Blick schmolz ich förmlich dahin. Meine Knie fühlten sich an wie Pudding und mein Herzschlag stellte einen neuen Rekord auf. Dem Violinisten vor mir erging es scheinbar nicht anders.

Entsetzt unterbrach er unseren Blickkontakt und suchte rasch nach Distanz. Dabei stieß er gegen eine der Säulen, was ihn nur noch mehr in Schreck versetzte. „Ist alles in Ordnung?“, harkte ich besorgt nach.

Ced konnte nichts anderes tun, als mich wortlos anzusehen, was mich nur noch mehr in Unruhe versetzte. Was würde nun folgen?

 

Sky

Cedric's Sicht!
So viele Gedanken schossen mir wie Meteoriten durch meinen Kopf, bis sie schließlich in grellen Blitzen verglühten. Wild zwinkerte ich, da ich das Gefühl hatte von starkem Schwindel überfallen zu werden.
Vor mir erkannte ich aber nur Fabrizia, die mich gebannt anstarrte. Ach ja, sie erwartete eine Antwort. Zum Glück war ihr nicht aufgefallen, wie nah ich dabei gewesen war mich zu verraten.
Also spielte ich weiterhin diese Farce, indem ich sie anlächelte und meinte: „Ja, mir geht es gut. Ich sollte mich aber nun wirklich auf dem Weg nach Hause machen, es ist spät“. Damit log ich sie nicht einmal an, denn ich war ein Mensch, der früh zu Bett ging. Spätestens um halb elf lag ich in meinem Bett.
Diesen Zeitpunkt hatten wir weit überschritten, immerhin war es bereits Mitternacht durch. Die Schwarzhaarige sah mich mit ihren rehbraunen Augen an, was mir einen Stich nach den anderen versetzte.
Nie würde ich diese vergessen können. Sie waren so schön und ließen selbst den kältesten Menschen Wärme empfinden. Hitze schoss durch meinen Körper und ich wusste, wenn ich hier noch einige Minuten sein würde, würde ich einen Fehler nach den anderen begehen, was ich mir nicht leisten wollte und auch nicht konnte.
Mir stand eine weitere einsame Nacht bevor, was nur zu meinem Besten war, aber vor allem zur Sicherheit meiner Mitmenschen. Genau deswegen sagte ich: „Gute Nacht, Fabrizia, schlafe gut und träume schön“.
Um nicht ganz so reserviert zu sein und auch aus eigenem Egoismus beugte ich mich zu ihr. Dann schloss ich sie in eine tiefe Umarmung. Ehe ich mich versah drückte ich sie fest an meine Brust und gab ihr einen Kuss aufs Haar.
Reue machte sich in mir breit. Das hatte ich wirklich super hinbekommen! Hoffentlich machte sie sich jetzt keine Hoffnungen. „Danke... Du auch“, stammelte sie glücklicherweise nur und setzte sich langsam in Bewegung.
Ich wartete, bis sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, ehe ich mich mit der Stirn dagegen lehnte und seufzte. Eine Weile verharrte ich in der Postion, bis ich etwas aus einem der Sträucher hörte.
Es war ein kaum hörbares Rascheln und doch war ich sofort alarmiert. Blitzschnell erwachte ich aus meiner Starre und sah mich um. Ja, da war gerade wirklich eine dunkle Gestalt verschwunden!
Das war eine unmissverständliche Warnung: Wir wissen wo du bist und auch bei wem. Schlimmer hätte es wirklich nicht kommen können. Also versuchte ich das Beste daraus zu machen, in dem ich mit lässigen Schritten das Anwesen verließ.

 

„Sie bedeutet dir etwas, nicht wahr? Möchtest du nicht vielleicht doch zurückkehren?“, ertönte auf einmal hinter mir eine eisig kalte Stimme, während ich die Straßen entlang ging. Ehe ich mich umdrehen konnte, warnte man mich: „Ein Blick nach hinten und sie wird sterben. Sofort“.
Scheiße! Nun war rasches Handeln gesagt. Oder besser gesagt eine gute Reaktion. Unbeeindruckt erwiderte ich: „Was bringt es euch, unschuldige Zivilisten in diese Sache zu ziehen, wenn ihr doch eigentlich an mich herankommen wollt?“.
„Stelle dich nicht dumm, zumal du genau weißt, dass du das nicht bist. Wir werden dich brechen und dann wirst du uns anbetteln, dass wir dich wieder aufnehmen“, wies mich die Gestalt sofort in meine Schranken.
Ich unterdrückte den Impuls zusammenzuzucken, denn somit würde ich mich nur verraten. Außerdem waren sie lange genug hinter mir her, somit war ich zu einem Künstler geworden, der seine Gefühle und Gedanken perfekt zu vertuschen wusste.
Matt erwiderte ich: „Da seid ihr aber falsch. Diese Frau ist nur Ablenkung“. „Ja, von der anderen Schlampe“, stimmte er mir sogar zu. Das war schon einmal der richtige Weg. „Genau, du müsstest doch wissen wie langweilig es sein kann, wenn man nur eine Frau zum Vergnügen hat“, sagte ich.
Der Fremde meinte: „Vielleicht sollte ich es ihr auch einmal besorgen. Mag sie es auf die harte Tour?“. Meine ganze Haltung spannte sich mit einem Mal an und ich war kurz vorm Explodieren.
Was erlaubte sich dieses Arschloch eigentlich? Wehe er würde meine Fabrizia auch nur anfassen!
Dummerweise vergaß ich dabei völlig, dass ich nicht alleine war, denn er sprach weiter: „Interessant wie du reagierst. Würde sie dir nichts bedeuten, wärst du nicht so verkrampft“. „Nun, vielleicht habe ich auch nur darüber nachgedacht, wie wir uns dritt vergnügen“, wusste ich mich sofort zu verteidigen.
Besser hätte ich es wirklich nicht machen können. Fast war ich schon stolz auf mich. Hinter mir wurde gelacht. Spöttisch erwiderte mein Gesprächspartner: „Ich wusste gar nicht, dass du in beiden Ufern verkehrst“.
„Es gibt so Einiges, was du nicht von mir weißt“, stieß ich gelangweilt hervor. Plötzlich spürte ich eine Hand an meinem Arm. Sofort verspürte ich den Drang diese wegzuschlagen, aber im letzten Moment besann ich mich, denn ich wusste nur zu gut, dass das ein Test war. Ja, man wollte wissen, ob ich log.
Also blieb ich gelassen stehen und forderte ihn noch mehr heraus. „Möchtest du dich hier und jetzt vergnügen? So ein öffentlicher Ort ist nämlich sehr reizend und glaube mir, du wirst neue Ebenen der Lust kennenlernen, von denen du gar nicht wusstest, dass sie existieren“, hauchte ich und ließ seine Hand von meinem Oberschenkel über meine Seite wandern.
Bei der Aktion schlug mir mein Herz in die Höhe. Ich riskierte gerade ziemlich viel, das war mir bewusst. Dennoch durfte ich meine Tarnung nicht auffliegen lassen. Hoffentlich ging er nicht auf mein Angebot ein, denn dann würde er merken, dass alles nur ein Bluff war.
Daher ging ich sogar noch einen Schritt weiter, indem ich seine Hand auf meinen Schritt legte und meine auf seine.
Glücklicherweise zog er sich sofort zurück und zischte: „Du bist wirklich widerlich! Als ob ich mit einem Mann verkehren würde!“. Glucksend entgegnete ich: „Schade und ich dachte ich könnte noch etwas Spaß haben“. „Ganz bestimmt nicht, ich bin nur hier, um dir zu sagen, dass wir dich nach wie vor im Auge haben, Cedric“.

 

Und schon war er verschwunden. Sofort spürte ich Erleichterung. Das war wirklich einfacher als gedacht gewesen. Zwar wusste ich, dass sie etwas gegen Homosexuelle hatten, doch hätte ich nicht mit so einer derartigen Reaktion gerechnet.
Gedankenverloren lief ich weiter, immerhin wollte ich irgendwann mal schlafen gehen. Zu meinem Loft war es noch ein Stück. Ein Gähnen entfuhr mir, was perfekt zu meiner müden Stimmung passte. Trotzdem war mein Gehirn noch hellwach.
Unruhe machte sich in mir breit. Sofort war mir klar, worin das enden könnte. Daran war nur dieser verdammte Bastard Schuld! Hätte er mich nicht beobachtet, könnte ich in Ruhe nach Hause gehen. Dummerweise hatte er mir mit seiner unmissverständlichen Warnung gehörig einen Strich durch die Rechnung gemacht.
So blieb mir nichts anderes übrig als mich meinem Schicksal hinzugeben. Trotzdem versuchte ich die aufkommende Stille zu genießen und an angenehmere Dinge zu denken. Wobei ich nicht wusste, ob ich mich darüber freuen sollte.
Meine Gedanken schweiften zu Fabrizia, die bestimmt nun in ihrem Bett lag und sich entspannte. Fast wäre ich auf ihr Angebot eingegangen, doch im letzten Moment konnte ich mich zurückhalten.
Schon alleine unser Kuss am Meer hatte das Fass zum Überlaufen gebracht. Gott, wie gerne hätte ich ihr das Kleid vom Leib gerissen! Am liebsten hätte ich ganz schmutzige Dinge mit ihr angestellt, an die sie sich ewig erinnerte.
Wenigstens da wäre mir Ablenkung von dem ganzen Desaster, in welchem ich mich befand, garantiert. Diese Frau hatte so viel Staub aufgewirbelt, dass es mir nicht mehr gelang, einen kühlen Kopf zu bewahren und klar zu sehen.
Obschon es einiges Positives an ihrem Auftauchen gab, wünschte ich mir fast nichts sehnlicher, als ihr nie begegnet zu sein. Sie machte mir so vieles kaputt. Letztendlich auch mich selbst.
Dabei hatte ich kein Recht ihr Vorwürfe zu machen. Immerhin wusste sie nichts von all meinen Problemen. Das war auch besser so, denn so wie ich sie einschätzte, würde sie diese nur verschlimmern. Zwar unabsichtlich, trotzdem war ich auf der Hut.
Um nichts auf der Welt würde ich meine Maskerade auffliegen lassen. Dafür war ich viel zu sehr besessen von der Idee, mir ein falsches Leben aufzubauen. Nur leider würde das meine Differenzen nicht aus der Welt schaffen.
Warum also veranstaltete ich das alles? Ich wusste es nicht. Es lag vermutlich daran, dass ich es für das Beste hielt. Menschen sollte man sowieso nicht vertrauen. In guten Tagen waren sie bei einem, doch kaum benötigte man Hilfe, war man alleine.
Auf diese ganze Heuchelei konnte ich verzichten. Lieber würde ich sterben, als auf Knien zu leben. Ja, vielleicht war mir da auch mein Stolz im Weg, doch ich war eine Person, die nur aufgrund seines Verstandes handelte.
Wie oft hatte mir Fabrizia schon angeboten, mit ihr zu reden und wie oft hatte ich sie abgewiesen? Nichtsdestotrotz versuchte sie es immer wieder, was auf der einen Seite bitter in mir aufstieß, aber auf der anderen mich beeindruckte.
Sie sollte lernen, sich aus dem Leben anderer herauszuhalten und doch beschlich mich das Gefühl, sie würde nicht ruhen, so lange sie nichts von all den Geheimnissen, die ich mit mir herumtrug, wusste.
Natürlich könnte ich sie auch anlügen, doch etwas hinderte mich daran. Nein, ich konnte ihr nicht noch mehr Lügen auftischen. Es war auch schon so schwer genug mein Netz weiterzuspinnen.

 

Todmüde kam ich schließlich in meinem Loft an. Leider Gottes fühlte ich mich gerade so unwohl, dass ich unbedingt duschen musste. Der Alkohol und die vorherigen Gespräche nagten ganz schön tief an mir.
Mechanisch wie eh und je wusch ich mir den Dreck von meinem Körper, doch der auf meiner Seele würde für alle Zeiten auf mich lasten. Nachdem ich aus der Duschkabine stieg, wickelte ich ein Handtuch um meinen Bauch, das die intimsten Stellen verdeckte.
Danach begab ich mich auf meine Dachterrasse, da ich es hasste mit nassen oder feuchten Haaren zu schlafen. Zum Glück waren sie nicht so lang, bei dem Wind würden sie also sehr schnell trocknen.
Erleichterung umgab mich, als ich eine halbe Stunde später in meinem Bett lag und den Sternenhimmel betrachtete. Vielleicht war es etwas kitschig, doch ich wollte unbedingt eine Glasdecke in meinem Schlafzimmer haben.
Das Ambiente war unbeschreiblich. Zudem half es mir beim Verfassen von neuen Stücken. Verloren starrte ich die vielen hellen Punkte an. Wenn sie mir doch nur den Weg durch diese schwere Zeit weisen könnten!
Leider blieb mir das verwehrt. Was blieb waren diverse Vorsichtsmaßnahmen und meine scharfe Wahrnehmung. Und noch etwas gab es da, was mich stets begleitete: Die Angst.
Sie war zwar stets präsent, doch genau in diesem Moment überkam mich so ein starker Schub, dass ich nicht wusste wie mir geschah. Ich versuchte zwar alles auszublenden, dennoch spürte ich die Unruhe, die schon bald zu einem Zittern überging.
Nun war ich ein Gefangener meiner gebrochenen Psyche. Es wurde immer schlimmer. Nach und nach kamen Herzschmerzen und ein Kribbeln in den Armen dazu. Wenn das doch nur sofort aufhören würde!
Ich drehte mich auf den Rücken, was ich immer machte um mich zu beruhigen. Nur so konnte ich einigermaßen gut atmen und das Geschehnis über mich ergehen lassen.
Für Notfälle hatte ich andere Tabletten da, doch ich wusste, dass ich diese nicht mit den anderen zu mir nehmen sollte. Es war so oder so eine verzwickte Angelegenheit und ich wusste nicht, was für mich das kleinere Übel war.
Waren es die Todesängste, die ich gerade durchlitt oder nicht klar bei Verstand zu sein? Darauf besaß ich keine Antwort. Beides war für mich unerträglich, mir hätte es gereicht, mich nur mit einem der Dinge durchschlagen zu müssen.
Alles um mich herum war mit einem Mal unwichtig, dafür war meine Konzentration zu sehr gefragt. Mit aller Macht dachte ich daran, dass das, was gerade geschah nicht schlimm war, sondern mir mein Verstand einen fiesen Streich spielte.
Nichts anderes war das, oh ja. Körperlich war ich nämlich kerngesund, dafür waren die Gänge zu Ärzten nämlich gut. Selbst die versuchte ich so gut wie möglich zu vermeiden, doch leider musste ich mich ab und zu sehen lassen und diese auch über Schübe in Kenntnis setzen.
Das Gespräch würde schließlich wieder damit enden, mich doch bitte auf eine Warteliste für Psychotherapeuten zu setzen, was ich vehement ablehnte. Erneut würde man auf mich einreden, bis ich schließlich genervt die Praxis verlassen würde.
Verübeln konnte man es den armen Doktoren nicht, immerhin taten sie ihr Bestes, um die Ursachen meiner Probleme herauszufinden. Seit dem ersten Gespräch nach einem mehrtägigem Krankenhausaufenthalt versteckte ich mich hinter dem eisernen Vorhang des Schweigens.

 

Gott, wenn es doch nur andere Wege geben würde, um diesen Kontrollverlusten zu entgehen! So konnte ich nichts dagegen tun und das war es, was mir eine Heidenangst einjagte.
Auf einmal durchzuckte mich so ein heftiger Schmerz in meinem Herzen, dass ich vor Schreck aufschrie und eine Hand auf meine Brust legte. Ächzend ließ ich das Echo über mich ergehen, bis es schließlich verhallte.
Wie lange sollte ich das noch ertragen? Darauf wusste ich keine Antwort. Ich hatte mich ausreichend darüber informiert und doch war ich nicht in der Lage damit fertig zu werden, sonst würde ich wohl nicht mehr davon heimgesucht werden.
Früher einmal hatte ich noch so etwas wie Hoffnung besessen. Leider war sie tagtäglich im Morgenrot erloschen, doch die Pein war nach wie vor da. Ja, ich war ein ziemlich einsamer Mensch und daran würde sich auch nichts ändern.
Mit der Zeit hatte ich es verlernt neue Kontakte zu knüpfen, nicht nur das, ich scheute ihn. Vielleicht wurde ich gerade deshalb von einem fürchterlichen Schwermut erfasst.
Mein Blick glitt zu dem Dach meines Anwesens. Noch immer war das Himmelszelt von Sternen übersät. Tausende Diamanten funkelten mir entgegen. Mit einem Mal fiel mir etwas wichtiges ein. Es gab da noch etwas, das ich tun wollte. Doch alles zu seiner Zeit.
Oh, wenn man mir doch nur die Chance geben könnte, alles anders zu machen! Fehler zu verbessern, die Dinge richtig zu stellen und meine Wege zu verändern. Mich selbst zu verändern.
So konnte ich nichts anderes tun als sehnsüchtig den Himmel anzustarren. An Schlaf war erst einmal sowieso nicht zu denken. Also hing ich meinen Gedanken hinterher. Ich dachte an etwas tolles, fröhliches, was mir einen Moment des Glückes bescherte.
Als Fabrizia am Meer tänzelte, während die Sonne den Horizont berührte. Ihre Haare, die um ihren perfekten Körper wirbelten. Das süße Kleid, welches sie wie ein junges Mädchen aussehen ließ. Alles war so schön an ihr. So wunderschön.
Wie in einem Traum aus dem man nicht mehr erwachte – Ja, so kam ich mir gerade vor. Diese Frau schien wirklich etwas ganz besonderes zu sein. Auf ihrer eigenen Art und Weise.
Auf dem ersten Blick war sie so wie jede andere, wenn nicht sogar sehr schlimm. Ich wusste weshalb sie die ganze Maskerade veranstaltete, sie brauchte die Bestätigung anderer. Nur das Motiv blieb mir schleierhaft.
Jeder, der sie sah, wusste von welch Schönheit sie umgeben war. Leider war diese mehr Schein als Sein. Außer man dachte – so wie ich – weiter und beschäftigte sich mit dem Menschen, der sich dahinter versteckte.
Manchmal erschien sie mir wie ein verängstigtes Reh, welches nur seinen Platz im Leben suchte. Genau dabei wollte ich ihr helfen. Mehr als das, ich wollte, dass sie erkannte, worauf es wirklich ankam. Mit diesem Gedanken schlief ich doch schneller als gedacht ein.

 

Zu meinem Leid war mir nicht viel Nachtruhe gegönnt. Schon um kurz nach acht klingelte jemand Sturm bei mir. Wer suchte mich auf und das um diese Uhrzeit? Normalerweise war ich um diese Zeit schon auf, doch die letzte Nacht lag mir so schwer in den Knochen, dass ich eigentlich weiter schlafen wollte.
Als das unangenehme Klingeln nicht nachließ, raffte ich mich dann doch auf. Wie in Trance zog ich mir eine Anzughose und ein altes T-Shirt an und ging langsam die Treppen von meinem Schlafzimmer zum Wohnzimmer hinunter. Von dort aus kam ich schließlich zur Haustür.
Angefressen öffnete ich und wünschte mir, ich wäre in meinem Bett geblieben. „Hast du wieder zu viel Wein getrunken oder warum lässt du mir hier so lange warten?“, poltere Giovanni auch schon los.
Völlig durch den Wind sah ich ihn an. Ich musste wohl kein schönes Bild abgeben, denn normalerweise machte er sich über mein Aussehen keine Gedanken. „Was willst du?“, kam ich lieber gleich zur Sache, da ich absolut keine Lust hatte, dieses Gespräch künstlich in die Länge zu ziehen.
Glücklicherweise erging es ihm da ähnlich, denn er antwortete: „Du hast lange nichts mehr für deinen Lebensunterhalt getan, im Gegenteil, du gibst lieber das Geld deiner Eltern für deinen teuren Lebensstil aus“.
„Komme lieber gleich zur Sache und rede nicht um den heißen Brei herum“, bemerkte ich trocken und ging nicht auf seine dreisten Worte ein. Giovanni sagte daraufhin: „Ich dachte mir, du könntest ein Comeback feiern. Cedric, der talentierteste Violinist seiner Zeit, kehrt auf die Bühne zurück! Das klingt doch gut oder nicht?“.
Deswegen wollte er mit mir sprechen? Gott, wie ich ihn gerade hasste! Was bildete er sich ein? Ich dachte, er hätte es endlich aufgegeben, doch dem war eindeutig nicht so. Im Gegenteil, erst jetzt registrierte ich das Magazin, was er in den Händen hielt.
Da er meinen Blick bemerkt hatte, drückte er es mir in die Hand. „Früher war die Oper dein heiliger Ort, sie wäre perfekt zum Auftreten und zufällig suchen sie jemanden, der sein Handwerk versteht“, machte mir Gio schon fast ein Kompliment.
Jäh war er wieder ganz der Alte, in dem er meinte: „Für etwas anderes bist du auch nicht zu gebrauchen und wenn ich dich so betrachte würde es dich von deinen Eskapaden ablenken“. „Ich habe kein Interesse daran. Mittlerweile müsstest du wissen, dass ich nicht mehr ins Rampenlicht gehöre“, blieb ich weiterhin sachlich, woraufhin Giovanni wüste Fluche von sich gab.
Trotzdem schaffte er es mich zu überraschen, in dem er unter etlichen Hasstiraden hervor stieß: „Ich kann mir einfach nicht erklären, weswegen du von heute auf Morgen alles aufgegeben hast. Den Tod deiner Eltern schienst du gut verkraftet zu haben, daran kann es also nicht liegen“.

 

Da musste ich doch schwer schlucken. Zugegeben, ich vermisste sie, sehr sogar, aber ich war in der Tat mit anderen Dingen beschäftigt gewesen. Diese verfolgten mich bis heute. „War es das?“, wollte ich lieber von ihm wissen, denn mir gefielen meine Gedanken ganz und gar nicht.
Dummerweise war es zu spät. Ich machte mir nämlich in diesem Moment schreckliche Vorwürfe. Meinetwegen waren Gabriela und Lorenzo viel zu früh aus dem Leben gerissen worden. Ich hatte es nicht einmal geschafft, ihre Gräber zu betrachten und mich bei ihnen zu entschuldigen.
Niemand sollte wissen, wo meine Eltern ihren letzten Frieden gefunden hatten. Außerdem war es ein Zeichen von Schwäche, wenn ich dorthin gehen würde.
Zumal ich nicht alleine war und darin lag der Punkt. Somit würde dieses Thema von vorne beginnen. Kurz nach der Beerdigung meiner Eltern wurde ich regelmäßig daran erinnert, dass ihr Tod allein meine Schuld war.
„Hörst du mir überhaupt zu, du Nichtsnutz?“, riss mich die wütende Stimme von Giovanni aus meinen Gedanken. Abwesend sah ich ihn an, was ihn nur noch mehr provozierte: „Du wirst dich bewerben und wieder regelmäßig auftreten!“, stieß er hervor, woraufhin ich mit dem Kopf schüttelte.
Das schien ihn nicht zu gefallen, denn er schrie: „Für was bist du eigentlich zu gebrauchen? Es wäre besser gewesen, wenn du gestorben wärst und nicht deine Eltern!“. Auch wenn ich es nicht gerne zugab, aber das hatte gesessen.
Und wie! Ich hatte mir schon einiges von ihm anhören müssen, aber dass er mir den Tod wünschte war noch nie dabei gewesen. Sofort wollte ich die Tür schließen, doch Gio war für seine korpulente Statur ziemlich schnell und hatte einen Fuß in mein Anwesen gesetzt.
„Ja genau, versuche wieder wegzulaufen, aber dieses Mal werde ich dich nicht gehen lassen!“, brüllte er mich an. Was sollte ich denn jetzt tun? Gedankenlos ging ich in die Küche und füllte Whisky in ein Glas. Wenn Giovanni schon dachte, ich trank viel, dann war es egal, wenn er es mitbekam.
Auch wenn es töricht war, nahm ich meine Tabletten ein. So wie ich meinen unerfreulichen Gast einschätzte interessierte er sich sowieso nicht dafür. Nein, er wollte nur Profit aus meinen Fähigkeiten ziehen.
„Was ist das? La-“, begann genau jener damit den Blister, den ich noch zuvor in der Hand gehabt hatte unter die Lupe zu nehmen, doch ich entriss ihm diesen blitzschnell. Außer mir vor Wut schrie ich: „Was zur Hölle fällt dir ein, dich an meinen persönlichen Gegenständen zu vergehen?“.
„Aha, du hast also nicht nur ein Alkoholproblem, sondern nimmst auch Drogen. Wie tief bist du eigentlich gesunken? Eigentlich sollte ich dich sofort in eine Psychiatrie stecken“, reimte er sich wieder etwas aus meinem Verhalten zusammen.
Gefährlich ruhig zischte ich: „Verschwinde!“. „Wie war das?“, erkundigte sich Giovanni bei mir, ob er sich nicht verhört hatte. „Du sollst mich in Ruhe lassen! Ich möchte dich nicht in meinem Leben haben!“, war ich offen wie nie zuvor.

 

Ehe ich mich versah, spürte ich einen kräftigen Schlag auf meinem Kopf und als ob das nicht genug wäre schubste er mich noch, sodass ich das Gleichgewicht verlor. Mit einem lauten Krachen landete ich auf den Boden, wobei mir das Glas Whisky aus der Hand fiel und in tausende von Scherben zerbrach.
Für mich bestand kein Zweifel mehr, dass mich Gio nicht nur verachtete, sondern auch hasste. Noch nie zuvor war er mir so dermaßen handgreiflich gegenüber geworden. Mich zu wehren stand auch nicht zur Debatte, denn er war eindeutig der stärkere von uns beiden.
Mir blieb also nichts anderes übrig als den Boden anzustarren, der durch die Scherben und den Whisky einiges abbekommen hatte. „Was mache ich nur mit dir?“, hörte ich Giovanni erheblich ruhiger fragen.
Ich wagte es erst gar nicht auch nur ein Wort zu sagen, sondern überließ ihm das Kommando. Zwischen uns breitete sich eine Stille aus, die ich nicht ertragen konnte. Also war es doch ich, der seine Stimme erhob: „Warum hasst du mich so sehr? Was habe ich dir nur getan? Immerhin sind wir doch irgendwo miteinander verwandt“.
„Du bist mir im Weg. Wenn du nicht wärst, hätte ich alles geerbt und vielleicht wäre deine Mutter die Frau an meiner Seite gewesen“, gestand mein Onkel mit flammenden Hass, ehe er nach mir trat, sodass ich der Ohnmacht nahe war. Nur am Rande bekam ich mit, wie er die Tür lautstark zuschlug.

Impossible

Gut gelaunt wachte ich um kurz nach zehn Uhr auf. Die Sonne begrüßte mich mit all ihren Strahlen, was mir ein Grinsen auf den Lippen bescherte. Gut gelaunt startete man doch gerne in den Tag.
Zufrieden streckte ich mich in meinem Bett und betrachtete die imposante Aussicht von meinem Fenster aus. Mein Garten sah herrlich aus! Etliche Blumen bedeckten die grünen Flächen ohne dabei übertrieben zu wirken.
Hier würde ich mir etwas ganz Tolles aufbauen, da war ich mir sicher. Schon jetzt fühlte ich mich in meiner neuen alten Umgebung pudelwohl. Genau in diesem Augenblick wurde mir klar, wie sehr ich mein Leben liebte. Oh ja, ich würde nichts anders machen, selbst wenn ich die Chance dazu hätte!
Schwungvoll stand ich auf und warf mir meinen Morgenmantel über. Die royalblaue Seide stand mir doch ausgezeichnet. Eigentlich könnte ich es durchaus in Erwägung ziehen mal nur in Unterwäsche zu modeln.
Etliche Male war ich darauf schon angesprochen worden, doch ich wollte nicht zu sehr mein Privatleben mit meiner Arbeit vermischen. Auf einer skurrilen Art und Weise kam mir das nämlich so vor, wenn ich daran dachte.
Auf der anderen Seite wäre das auch mal eine neue Herausforderung. Und es sprach nichts dagegen. Zudem war daran auch nichts verwerfliches. Vielleicht sollte ich das Angebot von Victoria's Secret doch annehmen.
Die weltbekannte Firma hatte bei mir nämlich angefragt, ob ich nicht Lust hätte, den berühmten und sündhaft teuren Fantasy Bra, einen BH, der mit echten Juwelen besetzt war, zu präsentieren.
Wie ich einmal im Fernsehen gesehen hatte, lehnte Giulia dies strickt ab. Das war vielen sehr unverständlich. Mir dagegen war es sofort klar gewesen. Es hätte mich wirklich überrascht, wenn meine beste Freundin zugesagt hätte. Und okay, bestimmt mochte Jakob es genauso wenig, wenn die Welt sah was für einen fantastischen Körper seine Partnerin besaß.
Langsam aber sicher fing ich nämlich an zu glauben, dass ihm die Beziehung zu Lia ernst war. Man sah die beiden so gut wie immer im Doppelpack. Und dabei galt sein Blick ausschließlich ihr.
Gott, das war irgendwo doch sehr romantisch und das obwohl ich solche kitschigen Dinge eigentlich ätzend fand.
Man merkte, wie auch mich langsam aber sicher die Liebe für sich einnahm. Oder besser gesagt Cedric. Cedric del Cancellara. Wie stellte er das nur an? Es war mir ein Rätsel. Und doch wusste ich, wie er es geschafft hatte. Mit seiner reservierten, aber auch offenen Art.
„Ich scheine ihn wirklich zu lieben“, hauchte ich beinahe tonlos ans Fenster, während ich betrübt meine Lider sank. Jene Erkenntnis traf mich wie ein Blitz. Sie entzweite mich schier, was mir einen Stich nach den anderen versetzte.
Es war sinnlos! Schließlich war der Violinist unerreichbar für mich. Das machte er mir immer wieder deutlich. Außerdem traute ich ihm nicht zu mit mir Spielchen zu spielen. Vielleicht auf einer anderen Art und Weise, aber dafür war er letztendlich viel zu ernst.

Wehleidig ging ich ins Bad und machte mich zurecht. Mittlerweile war ich darin so routiniert, dass ich nicht mehr als eine halbe Stunde benötigte, wobei ich mich in dieser Zeit nur meinem Gesicht widmete. Zufrieden betrachtete ich die Frau im Spiegel vor mir. Ihr Blick strahlte viel Lebensfreude sowie Selbstbewusstsein aus.
Nur in meinem Morgenmantel bekleidet bereite ich Frühstück zu. Heute war mir nach Croissants, daher entschied ich mich für tiefgefrorene. Ich liebte den Geruch von frisch aufgebackenem Gebäck, der sich ganz schön schnell in der Küche verbreitete.
Entspannt wartete ich auf das Essen, als es an der Tür klopfte. Sofort war mir klar um wen es sich handelte. Nur eine Person umging meine Klingel am Haupteingang: Cedric. Zudem klang es eher danach, als ob jemand auf die Tür einschlug.
Nervös begab ich mich also dorthin und riss entsetzt die Augen auf. Der Braunhaarige war sichtlich wütend. Sein Gesicht war eine verzerrte Maske aus Jähzorn, die Augen vor lauter Aggressivität verengte Schlitze, die geheimnisvoll verschleiert waren.
Gott, wie schaffte er es in diesem entsetzlichen Augenblick so unwiderstehlich zu sein? „Selbst so siehst du wahnsinnig toll aus“, entfuhr es mir unüberlegt, was ich sofort bereute. Cedric erwiderte: „Wie kannst du es nur wagen, so etwas sagen, wenn du nur zu gut meine Unberechenbarkeit erkennst?!“.
Ehe ich reagieren konnte, schob er mich sanft, aber bestimmend, zur Seite und schlug die Tür lautstark zu. Danach drückte er mich dagegen, damit nicht gut, er presste sich an mich und packte mich am Kopf.
Sein Kuss war gepaarte Leidenschaft mit Wut. An sich stand ich ungeheuer darauf, wenn ein Mann mich dominierte, doch bei Cedric überwog leider letzteres. Er macht mir schon ein bisschen Angst.
„Ced“, raunte ich zwischen den Küssen, „was zur Hölle ist los?“. „Sei leise und bring uns lieber in dein Schlafzimmer“. Bei seinen Worten erschauderte ich. Wahnsinn, er wollte wirklich mit mir schlafen!
Sollte ich seinen Zustand für mich nutzen? Scheiß drauf, dachte ich, danach konnte ich ihn immer noch auf sein Verhalten ansprechen.
Also drückte ich ihn mit einem Ruck von mir und zog ihn hinter mir her, wobei der Braunhaarige mich abermals in einen Kuss verwickelte. Daher stolperten wir eher durch meine Villa.
„Braves Mädchen“, kommentierte er mein Handeln, woraufhin ich ihn angrinste. Dann waren wir da. Cedric sah sich nicht einmal in meinem Schlafzimmer um, sondern drückte mich auf mein Bett, bis wir schließlich darauf landeten.

Und noch immer war er wütend, das erkannte ich an seine unkontrollierten Griffe. Nein, so konnte es wirklich nicht weiter gehen! „Stopp“, nuschelte ich, doch er reagierte nicht auf meinen Protest.
„Hör auf“, sagte ich etwas lauter und wurde wieder ignoriert. „Lass mich los!“, keifte ich schließlich ungehalten, wobei ich meine Knie leicht anhob, was ihn endlich zur Besinnung kommen ließ.
„Was ist los?“, knurrte er über meinen Kopf. Seine Augen bohrten sich so tief in meine, dass ich etwas Angst vor ihm bekam. Stammelnd antwortete ich: „Du... Es ist doch etwas passiert. Merkst du denn nicht, wie unberechenbar du im Moment bist?“.
Der Blick von Cedric verdunkelte sich, dieses Mal nicht vor Verlangen sondern vor Wut. Ergeben ließ er schließlich von mir ab und setzte sich auf mein Bett, wobei er jedoch einen gebührenden Abstand von mir nahm. Als ob er sich nicht an mir verbrennen wollte.
Stille breitete sich um uns herum aus. Diese nutzte ich, um den Gürtel meines Morgenmantels fest um meinen Körper zu ziehen. Danach wartete ich auf ein Wort von Cedric, der sich mächtig Zeit ließ.
Einige Minuten verstrichen, ehe er sich endlich meldete. „Du bist ganz schön störrisch, aber weißt du, dass es mich verdammt anmacht?“, machte er aus seinem Verlangen nach mir keinen Hehl.
Die Röte schoss mir nur so ins Gesicht, mein Blut geriet mächtig in Wallung. „Wie bitte?“, hauchte ich daher beinahe tonlos, woraufhin der Braunhaarige mir näher kam. Sein Atem streifte meinen Hals, was mich schier um den Verstand brachte.
Als er schließlich bei meinem Ohr angekommen war, flüsterte Ced: „Ich würde dich liebend gerne dominieren und dich für dein Verhalten bestrafen, du unartiges, törichtes Mädchen“. Wie schaffte er es nur, trotz seiner verletzenden Worte so anziehend zu sein?
Und da gab es noch etwas, was mich stutzig werden ließ. Die Sicht aus der er mich wahrnahm. Ahnungslos erwiderte ich: „Inwiefern hälst du mich für dumm? Außerdem bin ich schon lange kein Mädchen mehr“.
„Du verstehst rein gar nichts und rennst blind durchs Leben... Wie könnte ich dich da als Frau betrachten?“, fragte mich der Violinist, während er seine Hand auf meinen Kopf legte und mich tätschelte.

Seine liebevolle Art erinnerte mich an etwas. Mit einem Mal fühlte ich mich zehn Jahre in die Vergangenheit versetzt. Einst war Claudio mit mir an einem ähnlichen Punkt geraten. Nämlich da, als ich ihm sagte ich liebte ihn. Schmerzlich wurde mir bewusst, wie präsent er noch war.
Tränen stahlen sich in meinen Augen, nein, ich würde jetzt nicht weinen! Nie wieder sollte mich Cedric so sehen. So schwach und schutzlos wie ein Mädchen. „Du hast erstaunliche Ähnlichkeiten mit Claudio. Man könnte fast meinen ihr seid ein und die selbe Person“, nuschelte ich aus einem plötzlichen Impuls heraus.
Als ich mein Gesicht zu ihm wandte, erschauderte ich. Ced betrachtete mich mit großen Augen. Ich nutzte die Gunst der Stunde, in dem ich versuchte etwas aus ihnen zu lesen. Aber da war nichts. Rein gar nichts. Nur gähnende Leere. So blass, leblos.
Genau so hörte er sich an. Mit monotoner Stimme sagte er: „Claudio ist tot. Tot. Er wird nie wieder zurückkehren, hörst du? Also höre auf dich in diesem sinnlosen Strudel aus Sehnsucht zu verlieren und konzentriere dich auf die Gegenwart“.
Seine Worte trafen mich mitten ins Herz. Sie bohrten sich wie tausende von Nadeln so tief in meinen Körper, dass ich aufschrie. Ja, ich tobte sogar und schrie mir fast die Seele aus dem Leib.
„Du weißt überhaupt nicht, wie sehr er mir fehlt!“, warf ich ihm vor, doch das störte ihn nicht im Geringsten. Lieber fuhr er mit seinem teuflischen Spiel, welches mich immer tiefer in den Abgrund zog, fort. Höhnisch entgegnete er: „Oh doch, er fehlt dir so sehr, dass du ihn versuchst in mir zu sehen, ja gar zu ersetzen. Also warum überspringen wir nicht diese Farce und stecken unsere Energie in nicht etwas angenehmeren?“.
Ehe ich darauf etwas erwidern konnte, packte mich Cedric erneut am Kopf und zog mich zu sich. Ungezügelt presste er seine Lippen auf meine, was mich in eine Schockstarre versetzte. Nichtsdestotrotz erwiderte ich seinen Kuss.
Es war schon grotesk welchen Verlauf sein Auftauchen nahm, dennoch vermochte ich mich nicht ihm zu entziehen. Im Gegenteil, ich ergab mich ihm förmlich und zog ihm sein Hemd über den Kopf.
Ein Grinsen zierte seine Lippen, ja, er war am Ziel. Der unverschämte Mistkerl hatte es geschafft mich ein Stück weit zu brechen, dass nichts anderes mehr zählte. Nur dieses eine Mal, schoss es mir durch den Kopf.
Mein Blick legte sich auf den Oberkörper von Cedric und da fiel mir etwas auf: Eine Seite seiner Brust zierte ein kaum sichtbares Tattoo. Sanft fuhr ich die Konturen nach, war es mir doch nicht möglich zu erkennen um was es für ein Motiv sich handelte.
Leider wurde mir eine Antwort verwehrt, denn der Braunhaarige nahm meine Hand und ließ sie auf dem Laken meines Bettes los. „Immer noch so neugierig, du machst mich fertig“, hauchte er verzückt an meine Lippen.
Kichernd erwiderte ich: „Pass nur auf, nach unserem Abenteuer wirst du kaum mehr in der Lage sein zu atmen“. „So?“, antwortete er, woraufhin ich ihm dreist offenbarte: „Ich bin in der Lage multiple Orgasmen zu haben, also wird es eine Weile dauern bist du mich gesättigt hast“.
Kaum hatte ich das gesagt, verdüsterten sich seine Augen einen Tick mehr und seine Lippen verzogen sich zu einem wölfischen Grinsen. „Dir ist schon klar, dass mich das nur noch mehr anmacht?“, säuselte er und begab sich mit seinen Lippen zu meinen Hals.
Stöhnend wand ich mich unter ihm, da mir klar wurde, dass der Violinist nicht eher ruhen würde, bis ich mir die Seele aus dem Leib schrie.

Ich genoss seine langsamen und doch wilden Liebkosungen in vollen Zügen, gab mich ihm vollends hin. Auch wenn er angeblich schon lange keiner Frau mehr so nahe gekommen war – ja, ich zweifelte daran, eben weil es sich so gut anfühlte! - verstand er sehr viel davon mich zu reizen.
Schon bald machte sich Cedric an den Gürtel meines Morgenmantels zu schaffen, dann zog er mich an sich, um mir den sündhaft teuren Stoff vom Körper zu ziehen. Seine sinnlichen Augen verschlangen förmlich meinen Körper, als ich nackt vor ihm lag und mich lasziv räkelte.
Jetzt lag es an mir, ihn zu verführen. Ich fuhr mit meinem Zeigefinger meine Seite entlang, über meine Brust, bis ich schließlich an meinen halboffenen Lippen ankam. Dabei sah ich ihm die ganze Zeit in die Augen.
Hörbar schnappte Ced nach Luft. Bingo! Ehe er sich versah kam ich ihm ganz nahe. Während ich seine Hände an meinen nackten Körper legte, hauchte ich: „Das alles kannst du haben. Jetzt. Sofort. Zögere nicht“.
Um ihn nur noch mehr zu umgarnen, lockerte ich seinen Gürtel und machte den Reißverschluss seiner Hose auf, bis er mich stoppte. Fragend blickte ich ihn an, bis der Braunhaarige schließlich den Rest erledigte. Danach schmiss er seine Hose achtlos auf den Boden.
„Du bist wunderschön, einfach perfekt. So verdammt perfekt“, sagte mein Gegenüber ehrfürchtig nach Luft schnappend. „Das sagt der Richtige. Schon allein dein Aussehen raubt mir den Verstand“, erwiderte ich.
Der Blick von Cedric veränderte sich. Spiegelten seine Augen gerade noch Verlangen wider, so konnte ich nun Enttäuschung, gar Verletzbarkeit erkennen. „Darum geht es dir also? Du möchtest nur mit mir schlafen, weil du mich gutaussehend findest? Du bist genauso oberflächlich wie alle anderen!“, warf er mir vor, während er sich wieder anzog.
Entgeistert starrte ich ihn an. War das sein Ernst? Ich lag willig vor ihm und er machte einen Rückzieher? Erbost darüber ging ich zu meinem Kleiderschrank. Ohne zu überlegen nahm ich mir Kleidung, denn ich wollte dieses Gespräch bestimmt nicht nackt mit ihm führen. Außerdem war die Stimmung sowieso nun kaputt.
„Du bist wahnsinnig unverschämt, weißt du das? Du hättest den besten Sex deines Lebens haben können, aber nein, du denkst wieder zu viel nach!“, keifte ich ungehalten, als ich ihm in Shorts und Top gegenüberstand.
Verächtlich schnaubte Ced, ehe er mir gefährlich nahe kam und zischte: „Oh bitte, du bist so was von geistig eingeschränkt!“. „Wie... wie meinst du denn das?“, hakte ich verständnislos nach, woraufhin der Braunhaarige zornig entgegnete: „Du siehst in mir doch nur einen Casanova, dem es gefällt, wenn Frauen ihn umgarnen. Dabei möchte ich nichts weiter als meine Ruhe haben!“.
„Das hast du gesagt, nicht ich. Meine Güte... ich wollte dir nichts weiter als ein Kompliment machen, so wie du mir, wenn du sagst, dass du mich hübsch findest“, versuchte ich die Situation noch zu retten.
Sekunden blickte mich mein Gegenüber mit einer so ausdruckslosen Miene an, dass ich schwer schlucken musste. „Was siehst du dann in mir? Was bin ich für dich?“, erlöste er mich von diesem bizarren Blickkontakt, nur um mich noch weiter in die Enge zu treiben. Und wieder sah er dabei so verloren aus.
Stammelnd antwortete ich: „Ich sehe in dir mehr, so viel mehr. Einen gefallenen Engel, den man nur für mich gemacht hat. Manchmal siehst du mich an, als ob du in mir mehr siehst als nur das reiche, hübsche Model, so viel mehr. Als ob du so tief in meine Seele blickst, dass du all meine Abgründe erkennst. Wer ich wirklich bin“.
„Und wer bist du wirklich?“, hauchte er beinahe tonlos, woraufhin ich nur mit den Schultern zuckte. Dass ich nicht einmal selbst den Hauch einer Ahnung hatte musste er nicht wissen.
Aus diesem Grund entgegnete ich: „Ist das denn so wichtig? Sollten wir nicht lieber für den Moment leben, anstatt uns zu viele Gedanken zu machen?“.

Kopfschüttelnd ging Cedric ein paar Schritte zurück. „Man muss auch an Morgen denken und nicht nur für Heute leben. Ein gutes Beispiel sind Ersparnisse. Du kannst nicht dein ganzes Geld ausgeben, sondern solltest dir auch etwas für schlechte Zeiten aufheben“, argumentierte er sehr klug.
Ergeben hob ich die Hände, denn es stimmte was er sagte und das konnte er auch ruhig wissen. Dennoch würde ich mich nicht von ihm unterkriegen lassen. Hierbei ging es um mehr, darüber war ich mir im Klaren.
„Willst du mir vielleicht jetzt sagen, was dein überstürztes Auftauchen zu bedeuten hat?“, wechselte ich das Thema, doch Ced schnitt mir das Wort ab: „Ich wüsste nicht, was dich das anginge!“.
Seufzend ließ ich ihn einfach in meinem Schlafzimmer stehen. Dafür hatte ich gerade wirklich keinen Nerv. Lieber ging ich in meinen Garten und legte mich auf einen der Liegestühle.
Es dauerte nicht lange, bis ich Schritte hörte. Ein wenig überraschte mich das, denn sonst war Cedric eher der Mensch, der nur das tat, was er auch wirklich wollte und lief anderen nicht hinterher.
Er ging vor mir auf und ab, bis er schließlich wissen wollte: „Was sollte das?“. „Das könnte ich dich fragen. Du kannst übrigens gehen“, konterte ich ungewöhnlich gelassen.
„Oh, wie ich es doch hasse!“, fluchte der Violinist plötzlich, was mich hellhörig werden ließ. So fragte ich nach: „Wen oder was?“. „Alles und jeden!“, spie er überaus verächtlich. Okay, langsam aber sicher machte er mir Angst. „Aber wieso das denn? Cedric, was ist nur mit dir passiert?“, bohrte ich besorgt nach.
Vorsichtig ging ich auf ihn zu und lehnte mich an seinen Rücken. Ich sog seinen unverkennbaren Duft tief ein, verlor mich schier in ihm. Seufzend genoss ich diese Nähe, da ich wusste, dass diese nicht von langer Dauer sein würde.
Sofort suchte er auch schon Distanz, was mich kränkte. Seufzend gab ich mich geschlagen, jedoch meldete sich Ced doch noch zu Wort. Aufgebracht zischte er: „Als ob dich das ernsthaft interessieren würde! Gib es ruhig zu, dass du mit ihnen unter einer Decke steckst! Niemand wird mich brechen, auch nicht du!“.
Von was sprach er da? Abermals verstand ich ihn nicht, was ich auch mit einer gerunzelten Stirn signalisierte. Oder es zumindest versuchte. Es musste wohl ziemlich komisch aussehen, denn er nur ein verächtliches Lachen für mich übrig.
Und da wurde mir etwas klar, was ich ihm auch sofort mitteilte. „Es wäre besser, wenn du dir psychiatrische Hilfe suchen würdest. Was auch immer du zu verbergen hast, es macht dir zu schaffen und ich glaube, wenn du nichts dagegen unternimmst, drehst du völlig durch und das meine ich ernst“, riet ich ihm.

Die ganze Sache um ihn war verworren. Er selber war es. Nur realisierte er das scheinbar nicht, denn er betrachtete mich entgeistert. Ehe ich mich versah zog mich Cedric in eine Umarmung, wobei sein Körper bebte.
Noch immer überwog die Wut. Wie sollte ich dem Braunhaarigen nur helfen? Ratlos erwiderte ich die plötzliche Nähe, in dem ich meine Hände vorsichtig auf seinen Rücken legte.
Während wir so dastanden, entgegnete er: „Du stellst dir das scheinbar einfach vor, was? Einfach zu einem Doktor gehen und sich sein Leid von der Seele reden? Pah, du hast doch keine Ahnung!“.
„Wenn du nicht mit mir sprichst brauchst du dich nicht wundern, dass ich dich nicht verstehe“, blieb ich überaus stumpf, womit ich ihn anscheinend provozierte, denn er zischte: „Du würdest mich sowieso nicht verstehen, niemand tut das! Außerdem kommt man besser zurecht, wenn man alleine ist! Ich brauche niemandem, mir geht es gut!“.
Da stand Ced nun. Wie ein Häufchen Elend sah er auf mich herab, doch das würde er nie zugeben. Nie würde er mir offerieren, dass er dringend Hilfe benötigte. „Es geht dir nicht gut, ganz und gar nicht. Du bist blass, ja wirkst leblos“, hauchte ich schwermütig und sank den Kopf.
Er sollte nicht sehen, dass ich wegen ihm Tränen vergoss, die sich unentwegt den Weg über mein Gesicht bahnten. Niemand sollte mich so sehen. In der Hinsicht war ich ihm wohl ähnlicher als er dachte.
Leider schien Cedric andere Plänen zu haben. Obwohl er nach wie vor wütend war, hob er überaus sanft mein Kinn an, sodass ich ihm in die Augen blicke musste. Ich kniff stark die Augen zusammen, um ihn zu erkennen und da sah ich es: Seine Augen weiteten sich bei meinem Anblick, anscheinend konnte er nicht glauben, dass es jemanden gab, der um ihn weinte.
Ratlos ließ er von mir ab, ehe er murmelte: „Irgendwann glaube ich noch ernsthaft dir Unrecht getan zu haben“. Mit bebender Stimme fragte ich: „Warum sollte ich dir auch etwas vorspielen?“. „Wir alle tragen Masken, auch du und ich“, erwiderte der Braunhaarige nur altklug, womit er mich mal wieder im Dunkeln tappen ließ.

Gerade wollte ich ihn fragen, was er damit meinte, als mir etwas einfiel. „Scheiße!“, fluchte ich, ehe ich mich in Bewegung setzte. Verwundert wollte Ced wissen, von was ich sprach, doch da war ich auch schon in meinem Anwesen verschwunden.
„Ich dumme Kuh habe doch glatt mein Essen im Backofen vergessen!“, sprach ich verärgert weiter vor mich hin. Von den einst so schmackhaften Croissants waren leider nur noch dunkelbraune bis schwarze Stücke übrig, was mich verstimmte.
Rasch wischte ich mir die Tränen aus dem Gesicht, die mittlerweile aufgehört hatten zu fließen und verschränkte die Arme vor meiner Brust. Dann sagte ich: „Wegen dir muss ich mir nun etwas Neues machen!“.
Oh ja, man sollte mich nicht stören, wenn ich hungrig war. Dummerweise schien mich der Violinist nicht zu verstehen. Er lachte mich aus, doch war sein Lachen am Anfang von Häme durchzogen, so war es jetzt ziemlich bitter.
Sag bloß, ich hatte ihn wieder unbewusst provoziert? Und schon meldete er sich auch zu Wort: „Genau das meine ich. Du verschließt deine Augen vor der Realität und gibst dich fernen Illusionen hin!“. „Entschuldige, dass ich eigentlich etwas essen wollte!“, zischte ich mit einem kleinen Anflug von Wut.
„Du machst es schon wieder. Mit dir kann man einfach kein vernünftiges Gespräch führen, geschweige denn diskutieren!“, warf Ced mir vor, woraufhin ich es aufgab mich zu erklären. An sich brauchte ich das auch gar nicht, obschon wir so etwas wie Bekannte waren.
Meine Laune war dank ihm völlig im Eimer, woraufhin ich sagte: „Es wird an der Zeit für dich zu gehen“. „Wie bitte? Du willst mich rausschmeißen und das nur weil ich dir meine Meinung offenbart habe?“, hakte er verständnislos nach.
Gott, manchmal war Cedric wirklich anstrengend! Meine Hand verkrampfte sich, bis ich sie mir schließlich gegen die Stirn klatschte. Auch das schien mein Gegenüber in den falschen Hals zu bekommen, denn er schnaubte.
„Oh ja, ich hasse es auch, wenn man meint mich zu kennen! Ich hasse einfach alles! Ich hasse dieses Leben! Und ja, ich hasse auch dich, doch weißt du wen oder was ich am meisten hasse?“, ließ Ced seiner Wut freien Lauf und ehe ich etwas erwidern konnte, schnitt er mich auch schon das Wort ab. Seine Stimme war nur ein kleiner Windhauch, doch so klar und deutlich: „Mich selbst!“.
Diese Gewissheit schockierte mich so sehr, dass sie mir bis ins Mark ging. „Aber... Aber warum das denn?“, hauchte ich und hatte das Gefühl, jeden Moment erneut in Tränen auszubrechen, doch im letzten Moment schluckte ich den Schmerz herunter, der mich mit einem Mal übermannte.
„Ganz einfach, weil mein Leben ein reinstes Desaster ist und doch bin ich zu feige, um es zu beenden!“, brüllte Cedric und zum ersten Mal konnte ich ihm diesen Selbsthass ansehen. Und auch etwas anderes erkannte ich: Ihm musste zuvor etwas zugestoßen sein.
Sein Gesicht zierte eine herrliche Backpfeife und auch sonst sah er ziemlich gequält aus. Daher fragte ich: „Was ist dir passiert bevor du mich überraschend zu mir gegangen bist? Wer hat dir das angetan?“. Um meinen Worten Nachdruck zu verleihen zeigte ich auf sein Veilchen und ließ es mir auch nicht nehmen zärtlich meine Hand darauf zu legen.
„Wie oft soll ich dir noch sagen, dass mein Leben dich nichts angeht?“, wollte er gefährlich ruhig wissen. Angst überkam mich, denn mir wurde soeben klar, dass ich mit dem Feuer spielte, woran ich mich schon längst verbrannt hatte.
Dennoch war Neugier zu groß und so antwortete ich ziemlich unüberlegt: „Freunde erzählen sich nun einmal viel“. „Freunde? Wir sind keine Freunde! Ich vertraue niemandem und außerdem ist das mit dir und mir nur ein Mittel zum Zweck, was du auch wissen solltest!“, erwiderte Cedric mit einem süffisanten Grinsen.
Ertappt kaute ich auf meiner Unterlippe. Den Umstand, dass er sich über mich lustig machte, ignorierte ich dabei beflissen, obschon mir seine Reaktion einen heftigen Stich versetzte. Und noch etwas wurde mir bewusst: Der Violinist zog mich immer tiefer in den Abgrund. Nur weshalb?

Das Lachen von jenem Musiker riss mich aus meinen Gedanken. Höhnisch stand er da und bedachte mich mit einem spöttischen Blick. Er erwartete doch nicht ernsthaft eine Antwort von mir!
Und doch reagierte ich ganz anders. Auch Ced war erstaunt darüber, denn seine Maske aus Hohn und Spott fiel in sich zusammen, kaum hatte ich gemeint: „Es ist in Ordnung, dass wir keine Freunde sind. Schließlich wollte ich vor ein paar Tagen nur wissen, wer da so schön Violine spielt“.
„Was... Was hast du da gesagt?“, wollte er verständnislos von mir wissen. Sanft antwortete ich: „Diese Trauer, die du mir vermittelt hast, werde ich wohl kaum vergessen. Ich glaube, Feli ist das Einzige, was dir Freude bereiten kann“.
Verächtlich wie eh und je entgegnete Cedric jedoch: „Wie ich schon sagte, du hast keine Ahnung von meinem Leben, geschweige denn von mir! Ja, das Spielen macht mir Spaß, aber ich habe es auch so satt!“.
Dieses Mal war ich es, die ihn ahnungslos betrachtete. „Weshalb? Das habe ich dir nämlich noch nie angesehen. Zumal ich mich auch frage, warum du überhaupt noch spielst, wenn du es doch teilweise so sehr hasst“, hakte ich vorsichtig nach, was ich bitter bereute.
Mit einem Satz war mir der Braunhaarige nah wie kaum jemals zuvor. Sein Griff um mein Handgelenk ließ mich etwas aufschreien, so grob war er. „Oh bitte, als ob dich das wirklich interessieren würde! Lass uns lieber das beenden, was wir angefangen haben!“, zischte er unbeeindruckt.
Ehe ich mich versah ließ er mich los, nur um seine Hände in meinem Kopf zu vergraben und mich zu ihm zu ziehen. Sein Kuss war genauso lieblos wie am Anfang, wenn nicht sogar noch grausamer. Ungestüm küsste er mich, was mich wütend machte.
Das zeigte ich ihm deutlich, in dem ich mich wegdrehte. „Was ist?“, fragte er belustigt, „Tust du auf einmal so, als ob du mich nicht wollen würdest?“. Dafür hasste ich ihn. Für diese arrogante Art, die mir zeigte, dass ich für ihn nichts weiter als ein Zeitvertreib war.
Bissig erwiderte ich: „Ich bin bestimmt nicht jemand, den du wie das Allerletzte behandeln kannst! Dir mag zwar einiges passiert sein, doch ziehe mich da nicht mit hinein! Schließlich habe ich dir nichts getan!“.
Cedric starrte mich an. Seine Augen hatten sich verdunkelt, dieses Mal jedoch nicht aus Leidenschaft, sondern aus purer Wut. „Du törichtes Gör!“, stieß er aus, was das Fass zum überlaufen brachte.
„Raus hier, aber sofort!“, brüllte ich mit so einer Lautstärke, dass sogar Ced erschrak. Wenigstens tat er was ich verlangte und setzte sich in Bewegung. Bevor er jedoch die Tür öffnete blieb er stehen.
Leise, kaum hörbar, murmelte er: „... so etwas von kleinkariert. … Nichts weiter als Aufmerksamkeitsdefizite“. Leider verstand ich nur ein paar Fetzen, doch die genügten, um ihm schon fast die Tür ins Gesicht zu knallen, doch leider machte er einen Schritt zur Seite und so blieb er davon verschont.

Dafür traf ihn meine schallende Ohrfeige umso mehr. In diesem Schlag setzte ich nämlich all meine Kraft, Cedric sollte ruhig spüren, wie sehr er mich verletzte. Und das konnte sich sehen lassen. Seine Wange zierte ein satter Handabdruck.
Im nächsten Moment schockierte er mich aber. Der Braunhaarige erhob wirklich seinen Arm und holte aus! Meine Pupillen weiteten sich vor Schreck, ehe ich meine Augen schloss und instinktiv meine Arme schützend vor dem Kopf legte.
Ausweichen konnte ich leider nicht, denn mein Rücken prallte nur gegen die Wand. Vor Schmerz verzog ich leicht das Gesicht. Ich wartete. Wartete auf den Konter von meinem Gegenüber, doch er kam nicht.
Vorsichtig wie eh und je öffnete ich meine Augen, nur um zu sehen, dass dieser verdutzt auf seine Hand starrte, die noch immer hoch hinaus ragte. Das nutzte ich aus, um ihm Vorwürfe zu machen.
Fassungslos wie eh und je fragte ich: „Das möchtest du wirklich tun? Mich schlagen und das obwohl ich bereits genug mit der Trauer über den Verlust von Claudio zu kämpfen habe?“. „Ich … ich...“, rang Ced mit Worten, fing sich aber und setzte einen drauf: „Ich bin mir sicher, er war froh dich verlassen zu haben. So eine niederträchtige Person wie du bist“.
„Das hast du nicht wirklich gesagt...“, hauchte ich beinahe tonlos. Daraufhin erwiderte er süffisant: „So schön deine äußere Verpackung auch sein mag, so sehr dein Antlitz eine Wohltat ist, umso mehr aber verabscheue ich das was sich darunter verbirgt. Du bist nichts weiter als ein selbstsüchtiger Mensch. Ja, du könntest mich nicht mehr anwidern“.
Wie konnte ein Mensch mich gleichzeitig so derartig verletzen und wütend machen? Meine Stimme bebte zwar vor Wut, doch sprachen meine Augen Bände. Sie waren traurig, tieftraurig und das nur wegen eines Mannes, der mich beinahe so sehr verachtete wie sich selbst.
„Manchmal denke ich, du und ich haben uns nur getroffen, um aneinander wehzutun. Mehrmals habe ich versucht dem zu entfliehen, auf dich eingeredet, mich doch in Ruhe zu lassen, aber scheinbar hat das Schicksal wohl andere Pläne mit uns, worauf ich mittlerweile sehr gespannt bin“, flüsterte Ced um einiges sanfter.
Obschon seine Worte berührend waren, lasteten seine vorherigen schwer in meiner Brust. Außer mir vor Wut schrie ich schließlich: „Verschwinde, ich will dich nie wieder sehen! Hörst du? Du und ich, wir sind geschiedene Leute, schließlich habe ich auch noch meinen Stolz! Und wage es ja nie wieder, Claudio mit auch nur einer Silbe zu erwähnen!“.
Ehe der Violinist auch nur reagieren konnte, schubste ich ihn kräftig von meiner Haustür. Ich konnte nur noch sehen, wie er mich vollkommen paralysiert anstarrte, während er die Treppen hinunterfiel.

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Tag der Veröffentlichung: 08.11.2015

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